Sherbrooke - Savage Love - Jen Curly - E-Book
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Sherbrooke - Savage Love E-Book

Jen Curly

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Beschreibung

Georgia hat wenig Lust von New York nach Boulder zu der Jubiläumsfeier der Tierklinik ihres Vaters zu fliegen. Dabei auch noch Evan, Dads neuem Assistenzarzt, zu begegnen, noch viel weniger. Denn der hält sie für eine versnobte Großstadttussi und bei jedem Aufeinandertreffen zwischen ihnen beiden fliegen die Fetzen.

Als ihre Schwester auf der Feier verkündet, im Sommer heiraten zu wollen, ist Georgia eines klar – ihren Plan erst an Weihnachten wieder ihrer Familie einen Besuch abzustatten, kann sie getrost vergessen. Aber mit jedem weiteren Besuch in Colorado fliegen plötzlich nicht mehr nur die Fetzen, sondern auch die Funken.

Steckt hinter Evans Verhalten doch mehr als nur Ablehnung?

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Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Georgia hat wenig Lust von New York nach Boulder zu der Jubiläumsfeier der Tierklinik ihres Vaters zu fliegen. Dabei auch noch Evan, Dads neuem Assistenzarzt, zu begegnen, noch viel weniger. Denn der hält sie für eine versnobte Großstadttussi und bei jedem Aufeinandertreffen zwischen ihnen beiden fliegen die Fetzen.

Als ihre Schwester auf der Feier verkündet, im Sommer heiraten zu wollen, ist Georgia eines klar – ihren Plan erst an Weihnachten wieder ihrer Familie einen Besuch abzustatten, kann sie getrost vergessen. Aber mit jedem weiteren Besuch in Colorado fliegen plötzlich nicht mehr nur die Fetzen, sondern auch die Funken.

Steckt hinter Evans Verhalten doch mehr als nur Ablehnung?

Über Jen Curly

Hinter Jen Curly verbirgt sich das Pseudonym der deutschen Autorin Jennifer Wellen, die derzeit mit Kind und Kegel im Ruhrgebiet lebt. Seit 2010 schreibt sie neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Dozentin bevorzugt Liebesromane über starke, selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und nicht unbedingt die reiche Millionärsnadel im Heuhaufen suchen.

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Jen Curly

Sherbrooke – Savage Love

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Impressum

Prolog

Das Logo mit den drei verschiedenen Tierköpfen sowie der verschnörkelte Schriftzug Sherbrooke sprangen mir direkt ins Auge. Es ließ mich leise aufseufzen. Ich ahnte bereits, welche Hiobsbotschaft in dem weißen Umschlag auf mich wartete. Das Event war immerhin schon seit Monaten geplant, aber ich hatte es erfolgreich verdrängt. Bis jetzt …

Obwohl ich es lieber nicht getan hätte, fuhr ich mit dem Zeigefinger am Kleberand unter die Lasche und riss an dem marmorierten Papier. Nur Sekunden später flog mein Blick über die schwarz gedruckten Zeilen. Ich erhaschte die Wörter Einladung, dreißigjähriges Jubiläum und März. Hatte ich es doch gewusst. Mist!

Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen und ballte die Hand mit der Karte zur Faust.

Auf keinen Fall würde ich dem fröhlichen Ringelpietz mit Anfassen meiner Familie beiwohnen. Ganz sicher nicht. Und dafür gab es mindestens zwei gute Gründe.

Zum einen mein Dad, der ständig auf mir herumhackte. Seiner Meinung nach würde ich nach meinem Kunstdesignstudium auf der Straße landen und selbst gebastelte Aschenbecher aus Kaugummiresten verkaufen.

Zum anderen lagen knapp dreitausend Kilometer Entfernung zwischen New York und Dads Tierklinik am Fuße der Rocky Mountains, für die nun eine Jubiläumsfeier geschmissen wurde.

Stöhnend schloss ich den Briefkasten wieder zu und stieg die Treppe hinauf zu meinem Apartment. Im Flur kam mir Mrs. Robinson entgegen, die ich freundlich grüßte. Direkt nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, griff ich nach meinem Handy und wählte die Nummer der Klinik. Ich musste absagen. Sofort!

»Sherbrooke Animal Hospital. Mein Name ist Olive Granby, was kann ich für Sie tun?«, ertönte eine mir wohlbekannte helle Frauenstimme.

Ich ließ mich auf das Bett sinken und zog die High Heels aus, die mit einem dumpfen Laut auf das Parkett plumpsten. »Hi, Olive, hier ist Georgi, kann ich bitte mit Dad sprechen?« Anschließend schälte ich mich aus der dicken Jacke und warf den Schal beiseite.

»Hey, Georgi, altes Haus, was macht die brotlose Kunst? Nagst du schon am Hungertuch?«

Ich musste schmunzeln. Im Gegensatz zu meinem Dad durfte Olive mich in dieser Hinsicht frotzeln. Bei der Tierarzthelferin, die mir mehr wie eine Schwester vorkam, wusste ich nämlich, dass es nicht ernst gemeint war. Sie zog mich nur damit auf.

Vom Bett aus ging ich rüber zur Küchenzeile, die durch eine Frühstückstheke mit zwei Stühlen optisch vom restlichen Bereich abgetrennt war. Mein Apartment bestand aus einem großen Raum mit bodentiefen Fenstern. Einzig das Badezimmer war vom Rest abgeteilt und besaß eine eigene Tür. Alles andere war offen und auch nicht wirklich groß. Deshalb gab es nur ein Bett, einen Sessel, einen Schrank und eine Staffelei, die direkt vor dem Fenster stand, weil das Licht dort hervorragend zum Zeichnen war.

»Granby, du dumme Nudel«, frotzelte ich zurück. »Meine brotlose Kunst ist doch genauso brotlos wie dein mieses Liebesleben.«

Olive prustete in den Hörer. »Herrje, wie kann denn mein Liebesleben brotlos und mies zugleich sein?«

»Wenn man seinen Verlobten am Tag der Hochzeit zum Teufel jagt, zum Beispiel«, schoss ich zurück und grinste. »Hast du mal wieder was von Ex-Shawn gehört?«

Das Auflachen am anderen Ende der Leitung war eindeutig. Es hatte sich scheinbar in den letzten Wochen nichts geändert. »Klar, es vergeht kein Tag, an dem er mich nicht per SMS oder E-Mail anfleht, ihm zu verzeihen. Mittlerweile zeigt mein Handy mir schon zu wenig Speicherplatz an.« Leider hatte Shawn, Olives Ex, ihr verschwiegen, dass er mal verheiratet gewesen war und sogar ein Kind mit einer anderen Frau hatte. Wenn Olive nicht zufällig am Tag der Hochzeit besagter Ex-Frau morgens beim Friseur begegnet wäre und dies erfahren hätte, hätte sie den Leiter des lokalen Tierheims wahrscheinlich geheiratet, ohne seinen ganzen Beziehungsballast zu kennen. Daraufhin hatte sie die Hochzeit in letzter Sekunde abgeblasen. Zum Glück hatte es ohnehin nur eine kleine Feier im engsten Freundes- und Familienkreis werden sollen.

»Dann schaff dir doch eine neue Nummer an. Oder kauf dir einfach ein Handy mit mehr Speichervolumen.«

»Hab ich mir auch schon überlegt. Also die Sache mit der neuen Nummer. Vielleicht mache ich das wirklich, denn so langsam geht er mir echt auf den Nerv. Und was das Handy betrifft – ich sollte wohl einfach mal die ganzen Mails und Nachrichten löschen. Dann habe ich auch genügend Speicherplatz. Nur kann ich mich gerade nicht wirklich dazu durchringen. Auch wenn ich nicht weiß, wieso.« Das verstand ich voll und ganz. In diesem Moment fiel mein Blick wieder auf die verknitterte Karte – der eigentliche Grund für meinen Anruf.

»Okay, Olive, so gern ich auch mit dir quatsche, kannst du mir vielleicht mal meinen Dad ans Telefon holen? Die Einladung ist heute gekommen, und ich will versuchen, irgendwie aus der Nummer mit der Jubiläumsfeier rauszukommen.«

Olive sog scharf die Luft ein. »O weh, ich glaube, das ist heute kein guter Zeitpunkt, um ihm eine Abfuhr zu erteilen. Die Tische für den Pferde-OP-Bereich sind nicht pünktlich geliefert worden, und dein Dad ist seit heute Morgen durchgehend bei einem Puls von 180. Und das mit seinem Herzen.«

Ich stöhnte auf. »Egal, vielleicht kann ich Dad noch zusätzlich so auf die Palme bringen, dass er einen Herzinfarkt bekommt. Dann muss ich ganz sicher nicht kommen.«

Mit einem Auflachen sagte Olive: »Das war jetzt echt fies, und dazu fände ich es wirklich schade, wenn du nicht kämst. Ich hätte mich gerne mal wieder mit dir und Peyton ins alte Baumhaus verzogen und ein Weinchen getrunken. Nur diesmal vielleicht ohne Grund.« Nach der geplatzten Hochzeit hatten Olive, meine große Schwester Peyton und ich im Baumhaus im Garten meiner Eltern Olives Misere ordentlich in Alkohol ertränkt. Der Kater am nächsten Morgen war nicht nur bei mir ein ausgewachsener Tiger gewesen.

»Nächstes Mal gerne Granby, in Ordnung?«, vertröstete ich sie.

»Alles klar, dann verbinde ich dich jetzt. Ich wünsch dir viel Glück. Bis dann, Georgi, und tue nichts, was ich nicht auch tun würde.«

Es knackte in der Leitung, kurz darauf ertönte eine dieser typischen Warteschleifenmelodien. Ich war gerade bei der ersten Wiederholung angekommen, als es erneut knackte und Dads tiefe Stimme an mein Ohr drang. »Georgia, mein Schatz, was gibt es? Ist dir etwa das Geld ausgegangen?«

Dieser eine Satz genügte, um mein Herz binnen dem Bruchteil einer Sekunde doppelt so schnell schlagen zu lassen. War ja klar, dass er gleich wieder eine Spitze abfeuern musste.

Den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, griff ich fester zur Kaffeekanne als beabsichtigt. Es rauschte laut, als das Wasser aus dem Hahn kam. Genau wie das Blut in meinen Ohren.

»Nein, Dad, ich habe einfach den Müll bei uns vorm Haus nach Essensresten durchwühlt und bin fündig geworden, du glaubst ja gar nicht, was Leute so alles wegwerfen«, schnappte ich zurück und drehte den Wasserhahn energisch wieder zu. »Das Geld liegt wirklich auf der Straße.«

Ein Schnauben ertönte. »Wenn du hier in der Klinik arbeiten würdest, müsstest du dich nicht vom Schwarzen unter deinen Fingernägeln ernähren«, ätzte Dad weiter. Er hatte anscheinend wirklich miese Laune, denn auf diese Art und Weise begannen unsere Gespräche nur dann, wenn ihm etwas arg über die Leber gelaufen war. Ich befüllte schnell die Kaffeemaschine mit dem Wasser, gab Filterpapier und Kaffeepulver dazu und donnerte den Deckel runter.

»Du weißt aber schon, dass das immer noch nichts für mich ist, weil ich kein Blut sehen kann, oder?« Was ich wirklich nicht konnte. Noch nie gekonnt hatte, was Dad auch wusste. Zudem hatte ich es überhaupt nicht mit Tieren. Tiere zeichnen? In Ordnung. Aber mir die Hände von einer biestigen Katze zerkratzen lassen? Oder die Kotze eines Hundes aufwischen? Nein danke!

»Aber damit kannst du wenigstens Geld verdienen. Was machst du denn bitte nach deinem Studium? Dich mit deinen selbst gemalten Bildern auf den Trödelmarkt stellen?« Und schon waren wir wieder bei der brotlosen Kunst angelangt. Typisch!

Dass Kunstdesign mehr als eine brotlose Kunst sein könnte, kam ihm leider nicht in den Sinn. Dabei absolvierte ich derzeit sogar ein Orientierungspraktikum in einer großen Verlagsgruppe. Dank der zahlreichen Kurse zum Thema kreatives und wissenschaftliches Schreiben wollte ich nach dem Abschluss gerne an der Entstehung von Fachliteratur mitwirken oder kulturelle Zeitungsartikel verfassen. Das war alles andere als brotlos, sondern wurde sogar sehr gut bezahlt.

Und mal davon abgesehen – Dad überwies mir zur Unterstützung ohnehin gerade mal genug für die Miete und die Studiengebühren. Wenn ich nicht fünfmal die Woche in dem kleinen Bastelladen bei mir um die Ecke ausgeholfen oder hin und wieder mein Taschengeld mit dem Verfassen von Zeitungsartikeln aufgepeppt hätte, wären mir nicht einmal Essen, Klamotten, Collegeblöcke, Kohlestifte oder meine geliebte Ölkreide vergönnt gewesen, mit der ich nun mal gerne zeichnete.

Ich rollte mit den Augen, ging zurück zum Bett und ließ mich in den danebenstehenden kleinen Ohrensessel sinken, der meist meinen Klamotten als Zwischenablage diente. »Dad, ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass sich mir nach dem Studium auch andere Möglichkeiten bieten werden.« Die Sache mit dem Praktikum im Verlag sparte ich mir. Höchstwahrscheinlich war auch das Verfassen von Literatur jeglicher Art brotlose Kunst für ihn. Vermutlich war in seinen Augen alles brotlos, was nicht mit Tiermedizin zu tun hatte. Aber es musste doch auch nicht jede in seine Fußstapfen treten, oder? Sollte er doch froh sein, dass wenigstens Peyton seine Passion für Tiere teilte.

»Wir werden ja sehen«, wiegelte Dad ab. »Also, was ist, wieso rufst du an? Doch sicher nicht, um dich bei mir nach dem Rechten zu erkundigen, oder?« Der leicht vorwurfsvolle Unterton machte es mal wieder deutlich. Dad und ich waren emotional genauso weit voneinander entfernt wie der Mond von der Erde. Aber da musste ich ihm ausnahmsweise zustimmen. Seit dem ersten Streit vor rund fünf Jahren, als ich ihm von meinem Wunsch, Kunstdesign zu studieren, erzählt hatte, waren wir immer weiter auseinandergerückt. Anfänglich, weil ich enttäuscht darüber war, dass er mich in meinem Lebenstraum absolut nicht unterstützen wollte, später dann, weil mich seine ständigen Vorhaltungen verletzten. Ich glaube, wenn Mom nicht interveniert hätte, hätte Dad sich sogar geweigert, mich finanziell zu unterstützen.

»Gut, wenn du es schon so direkt ansprichst, ich rufe wegen der Jubiläumsfeier an. Ich werde nicht kommen. Das ist mir zu weit, und ich weiß eh nicht, was ich da soll.«

Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen. Die Haare an meinen Armen stellten sich auf.

Kurz darauf ertönte ein lauter Wutschnauber, und ich zog unweigerlich den Kopf ein.

»Und ob du kommst! Das ist immerhin das Jubiläum der Klinik. Mit Presseauflauf und vielen wichtigen Leuten. Da soll die ganze Familie zu sehen sein. Außerdem wollen wir den neuen Pferde-Anbau einweihen.«

Innerlich seufzend hob ich die Füße auf die Sitzfläche. »Dad, es ist doch völlig unsinnig, für einen Abend knapp sechstausend Kilometer mit dem Flieger zurückzulegen.« Den anderen Grund für meine Absage – nämlich ihn – verschwieg ich lieber. »Außerdem muss ich arbeiten, ich mache gerade ein Praktikum in einem bekannten Verlag.«

»Herrgott, du wirst als Praktikantin doch wohl mal ein Wochenende freimachen dürfen, oder?«, donnerte er los.

»Ja sicher, aber …«, setzte ich an, wurde jedoch umgehend wieder von ihm unterbrochen.

»Wenn du dir nicht gerade etwas gebrochen oder eine Abschlussprüfung hast, lasse ich nichts als Ausrede gelten. Demnach sieh zu, dass du dir einen Flug buchst. Falls es am Geld liegen sollte, kein Problem, dann überweise ich es dir. Auf die paar hundert Dollar kommt es dann auch nicht mehr an.« Dads Stimme klang unnachgiebig.

Meine Wangen begannen zu brennen, und mein Magen verknotete sich. »Aber Dad …«

»Nichts aber. Wenn du nicht kommst, streiche ich dir deine monatliche Unterstützung. Auch auf die Gefahr hin, dass deine Mutter mich dann verlässt. Mir egal. Aber in diesem Punkt lasse ich nicht mit mir reden.« Seine Stimme klang nun nicht mehr nur unnachgiebig, sondern richtig kalt. »Somit erwarte ich dich nächsten Monat pünktlich um sieben vor dem neuen Anbau und an meiner Seite. Keine Diskussion.«

Mein Herz krampfte zusammen, und ich musste schwer schlucken. Alles in mir sträubte sich. Ich wollte nicht nach Hause, nach Boulder. Ich wollte mich nicht schon wieder Dads Diktatur aussetzen. Aber er hatte leider ein sehr finanzkräftiges Argument, und das bedeutete im schlimmsten Fall, keinen Abschluss machen zu können, weil mir trotz Job das Geld ausging. Demnach tat ich das, was ich die letzten fünf Jahren hindurch gemacht hatte: die Faust in der Tasche ballen, lächeln und nicken.

»Wie du befiehlst, Dad, dann bis nächsten Monat.«

Kapitel 1

Zurück nach Hause

Knapp sechs Wochen später landete ich mit dem Flieger in Denver und leistete mir ein Taxi nach Boulder, weil ich nicht wollte, dass mich extra jemand abholen kam. Mit einem Knoten von der Größe des Mount Elbert im Bauch warf ich meine Reisetasche neben mich auf den Rücksitz. Heute war Donnerstag und für die vier Tage, die ich aufgrund der günstig gebuchten Flüge blieb – in meinen Augen leider drei Tage zu viel –, benötigte ich zum Glück nur ein paar wenige Sachen, weshalb ich extra keinen Koffer gepackt hatte.

»Wohin darf ich Sie bringen, Miss?« Der Taxifahrer war ein hübscher junger Kerl mit einem schwarzen Baseball-Cap, auf dem unverkennbar das schwarz-goldene Logo der Colorado Buffaloes zu sehen war. Vermutlich war er auch ein Student, der mit dem Job seine Kasse etwas aufbesserte. Da ich die Buffaloes auch mochte, fühlte ich mich ihm gleich verbunden.

Ich zog die Tür zu und schnallte mich an. »Chautauqua in Boulder, bitte.«

Er nickte und fuhr zügig an.

Während wir uns in den ausgehenden Flughafenverkehr einfädelten, zog ich mein Telefon aus der Jackentasche und schaltete es wieder ein. Neben der SMS von Mom, die mich fragte, wann sie mich denn vom Flughafen abholen sollte, trudelten noch drei WhatsApp-Nachrichten von Wesley in meinen digitalen Postkasten ein.

Na du Hübsche?

Wie ist die Rocky Mountain-Wildnis?

Schon einen Bären gesehen?

Schmunzelnd sah ich aus dem Fenster. Wir fuhren gerade auf die Interstate 25, die mitten durch Denver führte und wegen der umliegenden Gebäude nicht allzu viel von der Gebirgskette offenbarte. Ich schrieb ihm schnell zurück.

Von wegen Bären. Das einzige Wilde hier ist der Fahrstil des Taxifahrers. ;-)

Der tatsächlich einen ziemlich flotten Reifen auf den Asphalt legte.

Prompt kam eine Antwort.

Oha. Na dann kann ich nur hoffen, dass der Kerl nicht so wild ist, wie er fährt, und dich danach an den Haaren in seine Höhle schleift.

Mein Herz wummerte los. Wesley war der Sohn des Verlegers, bei dem ich derzeit das Praktikum absolvierte. Nicht nur, dass der Kerl von Beruf der Sohn des Verlegers war, er sah dazu auch verdammt gut aus und war recht charmant. Dass er jetzt diese leicht eifersüchtige Spitze abschoss, freute mich, weil es mir zeigte, wie sehr ich ihn scheinbar interessierte.

Keine Sorge. Ich bin schon groß und kann auf mich aufpassen. ;-)

Die Antwort ließ wieder nicht lange auf sich warten.

Weiß ich doch. Pass trotzdem auf dich auf und komm wohlbehalten zurück. Sonst habe ich niemanden mehr zum Ärgern. ;-) ;-)

Ich musste lachen. Genau daraus bestand derzeit unsere Beziehung – wenn man es überhaupt so nennen konnte. Wesley kam circa dreimal pro Woche vorbei, um sich mit seinem knackigen Hintern auf meinem Schreibtisch niederzulassen, mich vollzuquatschen und dabei beiläufig meine Schreibtischdeko umzustellen. Hin und wieder brachte er mir sogar etwas zum Knabbern mit. Geröstete Cashew-Kerne, Schokolade oder Gummibärchen. Und seit er nach meiner Handynummer gefragt hatte, glaubte ich an mehr als nur freundschaftliches Geplauder seinerseits.

Mach ich. Bis nächste Woche. Erst war ich versucht, ein Kuss-Emoji anzuhängen, doch eigentlich war es noch zu früh für solche Bekundungen, zumal er der Sohn vom Chef war und ich nur die Praktikantin. Deshalb wurde aus dem Kuss nur eine winkende Hand.

Lächelnd schaltete ich das Display aus und sah über die Schulter des Taxifahrers nach vorn auf die Straße. So langsam nahmen die Rockys in einiger Entfernung Gestalt an. Mein Herz hüpfte. Der Taxifahrer hatte die Abzweigung zur M36 genommen, was eindeutig die kürzere Strecke war und ihn mir gleich noch sympathischer machte. Der Denver-Boulder-Turnpike, wie Einheimische den Motorway nannten, war nämlich nicht nur der direkteste Weg in Richtung Rockys, sondern auch der landschaftlich schönste.

Während ich seufzend die bergige Aussicht betrachtete, die an mir vorbeiflog, sprach mich der Fahrer plötzlich an.

»Sind Sie das erste Mal hier, Miss? Wenn ja, müssen Sie unbedingt mal zum Lost Gulch fahren und dort den Sonnenuntergang bewundern.« Natürlich kannte ich Lost Gulch. Es war einer der bekanntesten Aussichtspunkte in den Bergen von Boulder. Der Blick von dort oben war fantastisch und wurde gerne als Hintergrundkulisse für Hochzeitsfotos verwendet.

»Danke für den Tipp, aber ich bin gebürtige Boulderin und kenne mich aus.« Der Fahrer sah durch den Rückspiegel zu mir, und ich zwinkerte ihm zu.

Er grinste. »Okay, sorry, ich dachte nur, Sie seien ortsfremd, weil Ihre schicken Klamotten etwas zu dünn für die Jahreszeit aussehen.«

»In New York interessiert es die Leute nicht, ob Kleidung zweckmäßig oder warm ist. Hauptsache, sie ist schick und trendy.« Dies war etwas, was ich an New York nicht mochte: der extrem oberflächliche Blick auf Menschen und auf ihren Status. Da ich aber kein Geld für Markenklamotten hatte – und selbst wenn ich es gehabt hätte, es nicht dafür ausgeben wollte –, kaufte ich sie immer secondhand in den kleinen Boutiquen in Queens. In jeder anderen Hinsicht jedoch liebte ich die Stadt, die niemals schläft. Ich mochte den Trubel, das Glitzernde, das Aufregende, was völlig im Gegensatz zum ruhigen, natürlichen Boulder stand. Hier liefen die Uhren anders. Langsamer, beständiger und gleichmäßiger. Eigentlich kam ich auch gern nach Hause, wo ich mal aufatmen und entspannen konnte. Das Einzige, was mich davon abhielt, öfter herzukommen, war mein nörgelnder Vater. Ob unser angespanntes Verhältnis je besser werden würde, wenn ich endlich mit dem Studium fertig war und einen gut bezahlten Job hätte?

Allerdings stellte sich mir die Frage, wo es mich generell nach meinem Abschluss hin verschlagen würde. Eine Option wäre, dauerhaft in New York zu bleiben. Die Stadt bot genug Jobchancen in Museen, Galerien oder eben Buchverlagen. Boulder hingegen vermutlich nicht, was ich trotz meiner Liebe zum Big Apple sehr schade fand. Immerhin war Boulder mein Zuhause, meine Familie lebte hier. Also hing auch mein Herz irgendwie an den Rockys.

»Miss, wir sind bald in Chautauqua. Ich bräuchte dann noch die endgültige Zieladresse.«

»Bellevue Drive bitte und dann am Ende rechts in den Privatweg«, gab ich nachdenklich zurück.

Er hob überrascht die Augenbrauen. »Sie meinen den Weg zum Sherbrooke Animal Hospital hoch?«

Ich nickte. »Genau den.«

Der Fahrer sah stirnrunzelnd in den Rückspiegel. »Alles klar. Aber Sie haben gar kein Tier dabei.«

Ich seufzte und sah wieder aus dem Fenster. »Richtig, ich möchte auch zum Haupthaus, bitte. Ich bin Georgia Sherbrooke.«

***

Weiße Säulen, breite graue Holzveranda, gelbe Holzfensterläden. Der Anblick der herrschaftlichen Villa im Südstaaten-Stil ließ meinen Magen verkrampfen. Prompt flüsterte meine innere Stimme: Ist doch nur für vier Tage. Stell dich nicht so an. Trotzdem konnten vier Tage mit einem herrischen Vater verdammt lang werden.

Das Taxi hielt vor dem Haupteingang. In der Zeit, als ich den Fahrer bezahlte, der in den höchsten Tönen von der Tierklinik schwärmte, kam Mom aus dem Haus, neben ihr Lila, unsere nigerianische Hausdame. Beide winkten mir freudestrahlend zu, und auch ich freute mich wahnsinnig, sie wiederzusehen. Ich freute mich auch schon auf Peyton und Carter, auf den kleinen Pinscher Harvey und Carters Retrieverdame Amy. Die beiden Hunde waren wirklich zu putzig. Vor allem Harvey, der stets höflich und zurückhaltend war wie ein kleiner Gentleman. Schade, dass Peyton nun bei Carter wohnte und ich die Hunde dadurch kaum noch zu Gesicht bekam. Aber so hatte ich zumindest das Poolhaus ganz für mich allein und musste im Bett nicht mit den Hunden um die Decke kämpfen.

Mom und Lila fielen mir gleich um den Hals, kaum dass ich ausgestiegen war, während der Taxifahrer hupend davonfuhr. Mike, so sein Name, hatte mir hastig eine Karte in die Hand gedrückt, sodass ich ihn anrufen konnte, wenn ich am Montag wieder zum Flughafen wollte.

»Warum hast du nichts gesagt«, schimpfte Mom liebevoll. »Ich hätte dich doch auch abgeholt.« Natürlich hätte sie das, aber ich wusste ja, wie viel sie mit der Organisation der Feier zu tun hatte. Zudem konnte ich Dad wenigstens in diesem Punkt meine Unabhängigkeit beweisen. Und nicht zuletzt, dass ich mir trotz der »brotlosen Kunst« ein Taxi leisten konnte. Sein Angebot, den Flug zu bezahlen, hatte ich selbstverständlich abgelehnt.

»Sind meine Exponate schon angekommen, Mom?« Mein Atem stob als kleine Wolke auf. In den letzten Tagen hatte auch in New York die Kälte wieder angezogen, aber hier draußen in der Wildnis war es noch um einige Grad eisiger. Ich musste Mike recht geben: Die schwarze Wildlederjacke im Bolerostil war alles andere als warm. Ich zog den Reisverschluss hoch und stellte zähneklappernd den Kragen auf.

»Natürlich, ich habe sie gut weggestellt, aber jetzt komm erst mal rein und wärm dich auf. Du bist ja viel zu dünn angezogen, mein Schatz. Ich hoffe, du hast auch was Warmes dabei.«

Dies war der einzige Lichtblick an diesem Wochenende. Im Gegenzug für meine Anwesenheit bei der Jubiläumsfeier hatte Dad mir angeboten, einige meiner Exponate im neuen Klinik-Anbau auszustellen. Einerseits sicher zur Dekoration des trostlosen Gebäudes, andererseits vielleicht in der Hoffnung, dass ich ihm nach dem Studium nicht weiter auf der Tasche lag, weil irgendjemand mein Talent erkannte.

Im Haus legte ich Jacke und Mütze ab, stopfte die Mütze in die Tasche und reichte die Jacke Lila. Vielleicht könnte ich mir für Spaziergänge im Wald eine dicke Jacke von Mom leihen, denn vermutlich waren meine warmen Klamotten nicht warm genug für Colorado.

»Ohhh, Miss Georgi«, jauchzte Lila. »Wie hübsch Sie sein. Haben Miss Georgi neue Frisur?« In der Tat hatte ich mir selbst kurz vorher noch die langen kupferfarbenen Haare bis auf die Schulter abgeschnitten und durchgestuft, nach der Anleitung eines YouTube-Videos einer Meisterfriseurin. Die Frisur war mir gut gelungen, in meinen Augen sah ich damit erwachsener aus und hoffte, damit ein weiteres Zeichen bei Dad zu setzen. Er mochte meine langen Haare. Wenn er das sah, würde er sich sicher zusätzlich ärgern.

»Danke, Lila, dein dunkelgrüner Sarong ist auch nicht zu verachten«, gab ich schmunzelnd zurück. »Besonders mit den Melonen drauf. Da wünscht man sich glatt den Sommer herbei.« Lila lachte und hängte meine Jacke an die Garderobe.

Anschließend betraten wir die Halle, von der mehrere Gänge abgingen und die breite geschwungene Freitreppe in die obere Etage führte. Abgesehen davon, dass ich im hinteren Bereich, wo es zum Garten hinausging, geschäftiges Treiben zahlreicher fremder Menschen sah, hatte sich nichts verändert. Alles stand noch am selben Platz.

»Wie du siehst, ist es hier tagsüber etwas unruhig. Wir bauen bereits das Festzelt im Garten auf.«

Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. »Festzelt? O mein Gott, Mom, wie viele Leute kommen denn?«

Meine Mutter lief voran Richtung Salon. »Um die hundertfünfzig. Da haben wir gedacht, wir verlagern die Feier einfach nach draußen.« Sie setzte sich auf die Couch und klopfte einladend mit der Hand auf die Sitzfläche neben ihr, wohin ich mich fallen ließ. »Wir feiern ja nicht nur Jubiläum, wir wollen auch die Pferdeklinik einweihen, und dazu hat Dad einige Züchter und Pferdesportler aus der Umgebung eingeladen. Und irgendwie haben dann mehr zugesagt als gedacht. Zudem hat sich die Presse angekündigt, was eine wahnsinnige Werbung für uns sein wird. Deshalb haben wir es größer aufgezogen als ursprünglich geplant.«

Ich nickte nur erstaunt. Kein Wunder, dass Dad all seine Sprösslinge dabeihaben wollte.

»Außerdem«, fuhr Mom fort, »gibt es noch etwas, das wir feiern werden, aber das bleibt bis Samstag noch ein Geheimnis.« Sie lächelte verschmitzt.

Oha, so etwas hasste ich. Erst ankündigen und dann doch irgendwie wieder einen Rückzieher machen und schweigen. »Gott, Mom, wir haben heute Mittwoch. Wie bitte soll ich das bis Samstag aushalten?«

Mom lächelte immer noch breit. »Du schaffst das schon. Glaub mir, das Warten lohnt sich.« Sie stand auf und zwinkerte mir zu. »Komm, Schatz, ich bringe dich erst mal rüber ins Poolhaus, dann kannst du dich in Ruhe einrichten.«

»Und meine Exponate?«

»Sind natürlich auch dort.« Ich folgte ihr durch die hintere Terassentür, am Pool vorbei, zum kleinen Häuschen. In einiger Entfernung stand das Festzelt. Somit würde ich zumindest von der Schwelle des Poolhauses in die Feier fallen oder von der Feier direkt betrunken in mein Bett. Wie praktisch!

Mom schloss die Tür auf und gab mir den Schlüssel zum Poolhaus, das wie ein kleines Apartment mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, kleiner Küche und einem eigenen Bad eingerichtet war. Als Kinder hatten wir es geliebt, darin zu spielen, auch wenn es meist den Gästen vorbehalten war, darin zu schlafen. Deshalb hatte Dad uns irgendwann eigenhändig das Baumhaus gebaut. Und darin hatten meine Geschwister, Olive und ich auch viele schöne Stunden zusammen verbracht. Sowohl tags wie auch nachts mit Schlafsack.

»Kommt Ryder auch? Oder ist er wieder zu busy?« Ryder war der älteste von uns drei Sherbrooke-Sprösslingen und bekam als Stammhalter und Top-Manager ständig Freifahrtscheine von Dad, was ich ziemlich ungerecht fand. Immerhin war er auch kein Mediziner.

Mom öffnete die Tür und betrat das Gästehaus. »Natürlich kommt er. Dein Vater will die ganze Familie mit am Tisch sitzen haben. Da war er dieses Mal auch ziemlich unerbittlich, selbst gegenüber Ryder. Ich hoffe nur, dass er diese schreckliche Madison nicht mitbringt, die Weihnachten dabei war.«

Ich lachte auf. An Madison konnte ich mich nur allzu gut erinnern. Sie war wirklich schrecklich gewesen. Schrecklich plapperhaft, schrecklich übergriffig und schrecklich verwöhnt. High-Society-Girl eben.

»Sicher nicht. Hatte Ryder jemals eine Beziehung, die länger als drei Monate gedauert hat? Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern.«

Mom lief ins Schlafzimmer und zeigte auf eine große Holzkiste auf der dick »UPS« stand. Mein Herz hüpfte aufgeregt. Da waren sie, meine kleinen Exponat-Babys. Hoffentlich war beim Transport nichts kaputtgegangen.

»Da hast du allerdings recht. Bleibt nur zu hoffen, dass er eins dieser schrecklich oberflächlichen High-Society-Girls später nicht mal heiratet. Sonst habe ich in seiner Erziehung irgendetwas falsch gemacht.«

Ich schnaubte auf. »Ganz ehrlich, Mom? Ich glaube, Ryder wird niemals heiraten. Seine ständig wechselnden Beziehungen sprechen eigentlich für totale Bindungsangst.«

Mom zuckte mit den Schultern. »Meinst du wirklich? Vielleicht war er nur noch nie richtig verliebt. Das könnte doch auch ein Grund sein, oder nicht?«

Ich nickte geistesabwesend, während ich schon damit begann, die Plastikverschläge an der Kiste zu lösen, was sich mit meinen kurzen Fingernägeln aber als schwierig erwies. Ich eilte hinüber in die Küche und nahm ein Buttermesser aus der Schublade, mit dem ich begann, die Verschläge aufzuhebeln.

»Hast du mal daran gedacht, dass Ryder vielleicht auch schwul sein könnte?«, nahm ich den Faden wieder auf.

Mom riss sogleich die Augen auf. »Schwul?«

Ich nickte und hob den Deckel der Holzkiste an. Einige der weißen Maischips stoben im Luftzug auf und fielen auf den Boden. »Viele Männer, die eigentlich schwul sind und es selbst noch nicht wissen, haben zahlreiche unbefriedigende Beziehungen. Bis sie sich irgendwann outen, weil ihnen endlich klar wird, warum sie unter Bindungsangst leiden.« Ich hob das erste Exponat aus der Kiste. Es war eine kleine grüne Speckstein-Büste auf einem Naturholzsockel. Zwei miteinander verschlungene Schlangen. Mit viel Fantasie konnte man in der Verschlingung auch ein Herz erkennen. Wie ironisch, wo wir doch gerade über Ryder sprachen, der vermutlich nicht mal wusste, wie das Wort Liebe überhaupt geschrieben wurde.

»Vielleicht sollten wir einfach ein paar nette homosexuelle Männer zur Jubiläumsfeier einladen. Die haben meist ein Gespür dafür, ob jemand zum anderen Ufer gehört«, schlug ich vor.

Mom hob skeptisch die Augenbrauen. »Ich glaube, wir sollten uns da besser nicht einmischen. Immerhin will ich meinen Sohn auch nicht mit einer unüberlegten Aktion verletzen.«

Ohne ein weiteres Wort ging Mom in die Küche und kam mit einer Plastiktüte zurück, in der sie die heruntergefallenen Chips zu sammeln begann. Vorsichtig stellte ich die Büste zur Seite und beugte mich wieder über die Kiste. Meine Mutter hielt die Plastiktüte auf, und ich schaufelte die Chips dort hinein. Immerhin wollte ich sie auch für den Rücktransport verwenden.

»Und was ist mit dir? Hast du in New York jemanden?«

Verwundert sah ich zu meiner Mutter auf. »Du meinst einen Freund oder eine Freundin?«

Sie nickte lächelnd.

Schnell sah ich zurück in die Kiste und hob vorsichtig die nächste Skulptur heraus. Ein Pfau mit geschlagenem Rad, gefertigt aus Gabeln und Löffeln eines antiken Silberbesteck-Sets. Es war meine Masterarbeit. Somit würde ich sie nicht zum Verkauf anbieten, aber zumindest ausstellen, damit sie bewundert werden konnte. Immerhin war ich mächtig stolz darauf.

»Oh, wie schön«, hauchte Mom. »Wie bist du denn bloß auf diese Idee gekommen?« Ich zuckte nur mit den Schultern, denn ich wusste manchmal selbst nicht, woher meine Einfälle zu neuen Projekten kamen. Aber so ging es vielen meiner kreativen Kollegen.

Da meine praktische Abschlussarbeit noch nicht benotet worden war, wollte ich nicht, dass sie auch nur den Hauch eines Schadens bekam. Also würde ich mir für diese Skulptur ein besonders gutes Plätzchen in der neuen Klinik aussuchen. Und ein sicheres Plätzchen wohlgemerkt.

»Und?«

Mein fragender Blick huschte zu Mom. »Was und?«

Mom grinste. »Freund oder Freundin ist hier die Frage. Du hast mir noch keine Antwort gegeben.«

Ich stellte den Pfau weg und nahm nacheinander drei Leinwände heraus, um sie aus der Luftpolsterfolie auszuwickeln. »Keine Beziehung zu Männern oder Frauen und nicht einmal Dates«, beantwortete ich nebenbei ihre Frage. »Das Studium nimmt mich zeitlich sehr ein.« Die Sache mit Wesley war ja noch still in progress. Deshalb behielt ich diese Option lieber für mich.

Enttäuscht verzog Mom das Gesicht. Hastig huschte mein Blick zu den Leinwänden, die ich intensiv betrachtete. Auch sie waren zum Glück vollständig unbeschädigt.

»Na, du bist ja noch jung«, bemühte Mom sich um Aufmunterung. »Für dich wird auch noch der Richtige kommen.«

Ich nickte beiläufig. »Eben. Erst der Abschluss, dann die Liebe. Richtig?«

»Genau, und egal, ob Mann oder Frau, wir lieben dich so, wie du bist.«

»Na, ob das erzkonservative Familienoberhaupt das genauso sieht? Ich glaube nicht«, flüsterte ich mir selbst zu. Kunstdesign und dann auch noch lesbisch, o weh, das wäre für Dads Herz ganz sicher zu viel.

Hastig verdrängte ich den Gedanken und überflog die Bilder. Das größte zeigte ein mit Grafit skizziertes Pferd, das ich meinem Vater schenken würde, weil es thematisch einfach zu gut zur Pferdeklinik passte. Auf das Bild war ich zudem besonders stolz, da mir der Schwung der Mähne wirklich gut gelungen war. Das Bild des mit den Vorderhufen steigenden Pferdes hatte ich im Internet gefunden und als Malvorlage verwendet. Drei Tage hatte mich allein das Vorskizzieren gekostet, weil ich immer wieder mit der Stellung der Hufe oder den Muskelansätzen unzufrieden gewesen war.

Die beiden anderen Leinwände dagegen zeigten leblose Motive. Eine rote Rose in einer blauen Vase in Acryl und die minimalistischen Umrisse der New Yorker Skyline mit Kohle gezeichnet. Obwohl ich bei diesem Bild bewusst auf Detailtreue verzichtet und die Umrisse nur angedeutet hatte, war die Skyline absolut prägnant und klar erkennbar.

Lächelnd stellte ich die Bilder beiseite. Dies war meine Passion – malen. Dabei konnte ich stundenlang vor der Staffelei ausharren und Strich für Strich ein Kunstwerk erschaffen, das mich jedes Mal vor Freude lächeln ließ. Das war schon so gewesen, als ich noch ein Kind gewesen war. Während Peyton in Dads Fußstapfen getreten war und schon recht früh in der Praxis mitgeholfen hatte, war ich diejenige gewesen, die Tiere lieber gemalt hatte. Dazu war ich oft mit einem Skizzenblock und Bleistiften in verschiedenen Härtegraden in das Wartezimmer verschwunden. Natürlich hatte Dad stets versucht, mich doch für Tiermedizin zu begeistern und dazu zu überreden, so wie Peyton mit anzupacken. Aber nach dem dritten Mal, als ich aus Angst vor einer knurrenden Katze zu weinen angefangen hatte oder mir beim Anblick von Blut schlecht geworden war, hatte Dad es aufgegeben und mich einfach wieder malen lassen. Vielleicht hatte schon da unser Konflikt seinen Anfang genommen.

Zuletzt nahm ich aus der Kiste noch rund zehn Malpappen mit Skizzen heraus, die ich mit verschiedensten Materialien bearbeitet hatte. Darunter Ölkreide, Buntstifte und Aquarellfarben. Die Pappen waren in einen schwarzen filigranen Holzrahmen eingefasst und mit einem Stoff-Aufhänger versehen worden. So konnte ich sie in der Klinik an die Wände hängen. Die Motive waren allesamt Tiere, darunter Hunde, Ratten, Kaninchen und Vögel. Ich hatte sogar Harvey und Amy nach einem Handybild gemalt. Diese Zehnerskizzenreihe war erst nach Dads Angebot, meine Exponate hier zu zeigen, entstanden. Zu einer Tierklinik gehörten einfach Bilder von Tieren, und die wollte ich ihm bieten.

»Du hast wirklich Talent, Schatz.« Meine Mutter nahm mich in den Arm und sah mir über die Schulter. »Ich finde, die Leinwand mit dem Pferd sollte direkt vorne am Eingang hängen, damit sie jeder sieht. Es ist fantastisch.«

Ich nickte. »Vielleicht kann Dad mir nach dem Abendessen den Neubau mal zeigen, dann kann ich mir schöne Plätze für meine Exponate aussuchen.«

Mom seufzte. »Wenn er zum Abendessen überhaupt rüberkommt. Seit dem Bau der Pferdeklinik bekomme ich ihn kaum noch zu Gesicht, und das, wo er sich doch wegen seines Herzens eigentlich schonen soll.«

Mein Dad hatte schon länger Herzprobleme, was zum Teil am Klinikstress, aber auch an seiner ungesunden Lebensweise lag. Zu viel zu fettiges Essen und zu wenig Bewegung. Allerdings war er auch absolut beratungsresistent, was bereits mit dem ein oder anderen Klinikaufenthalt geendet hatte. Wie viele Stents er mittlerweile hatte, konnte niemand von uns sagen. Es waren jedenfalls ziemlich viele.

»Ich dachte, jetzt, da Evan und Peyton als Assistenzärzte eingestellt sind, kann Dad sich etwas zurückziehen.«

Das laute Aufschnaufen meiner Mom war eindeutig. »Er könnte eine ganze Batterie an Assistenzärzten haben und würde nicht kürzertreten. Er schafft es ja nicht einmal, ein verlängertes Wochenende mit mir fernab der Klinik zu verbringen.« Sie drehte sich von mir weg.

Leider war mein Dad ein Vollblut-Tierarzt, der es noch dazu nicht schaffte, die Zügel vertrauensvoll aus der Hand zu geben. Nicht einmal an seine eigene Tochter. Manchmal tat Mom mir wirklich leid. Sie wollte schon seit Jahren mal eine Weltreise machen. Oder etwas anderes erleben. Aber Dad ließ es einfach nicht zu.

»Manchmal frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich deinen Dad nicht geheiratet hätte.«

Ich zuckte zusammen. »Mom!«

Sie drehte sich mit gequältem Gesichtsausdruck wieder zu mir um. »Es tut mir leid, Georgi, versteh mich bitte nicht falsch. Ich liebe euch und euren Vater über alles. Aber es kann doch nicht alles sein, sein Leben nur für die Klinik zu opfern, oder?« Der Ausdruck in ihren Augen zeigte pure Verzweiflung. Dad machte es ihr wirklich nicht leicht. Und wenn ich ehrlich war, konnte ich mich auch nicht daran erinnern, dass sie jemals groß aus Boulder rausgekommen wäre oder von etwas anderem gesprochen hätte als von Haushalt, Arbeit oder Kindern.

»Jetzt ist die Pferdeklinik ja fertig. Vielleicht wird es nach der Einweihung anders. Immerhin hat er nun zwei Ärzte, die den Laden wuppen können«, tröstete ich sie.

Doch Mom schüttelte nur den Kopf und nahm die UPS-Kiste vom Tisch. »Wer‘s glaubt …«

Und wenn ich ehrlich war, stimmte ich ihr innerlich sogar zu. Wer glaubte, dass mein Vater kürzertreten würde, glaubte vermutlich auch an ewig währenden Weltfrieden.

***

Nach dem Abendessen, zu dem Dad wirklich nicht erschienen war, schnappte ich mir Jacke und Mütze und lief zur Klinik hinüber. Der neue Pferdeanbau lag etwas abseits, direkt neben der großen Wiese, die seit jeher zu unserem Familiengrund gehörte, neuerdings jedoch im unteren Bereich durch einen weißen Zaun in vier kleine Stücke unterteilt war. Dies sollten sicher Weiden für die Klinikpatienten sein.

Durch den breiten Eingang, durch den ein Pferdetransporter rückwärts reinfahren und das Pferd ausladen konnte, betrat ich den Neubau. Zuerst fiel mir auf, dass die Decken hier sehr hoch und alles sehr weiträumig war. Nun gut, Pferde waren nun mal keine Hamster. Auf der rechten Seite der Eingangshalle gab es so etwas wie ein abgetrenntes Pförtnerhäuschen, in dem sich die typische Büroausstattung wie an der Anmeldung in der Kleintierklinik drüben befand. Computer, Telefon, Kopierer und eine kleine Sitzecke zum Warten für die Patientenbesitzer. Sicher müsste Dad damit eine weitere Helferin einstellen, die die Anmeldung hier managte, was ihn vor ein Problem stellte. Er wollte ja keine Fremden im Familienunternehmen.

Ich ließ die Anmeldung hinter mir und lief von der Eingangshalle aus auf eine große Tür zu, auf der in großen roten Buchstaben Zugang nur für Klinikpersonal stand. Da die Klinik noch nicht offiziell geöffnet hatte und ich eine Sherbrooke war, drückte ich die Klinke hinab und betrat einen breiten, mit grauen Fliesen ausgelegten Gang. Auf der linken Seite dominierte eine schicke Glasfront mit großen weißen Pferdeaufklebern, hinter der mir zwei modern ausgestattete OP-Säle mit riesigen Metalltischen und einem automatischen Flaschenzug ins Auge fielen. Wow, Dad hatte scheinbar für sein neues Klinikbaby keine Kosten und Mühen gescheut. Auf dem Glas war nicht ein einziger Fingerabdruck zu sehen.

Auf der rechten Seite des Ganges reihten sich über die ganze Länge der Wand Schränke aneinander, was ich merkwürdig fand. Der Anbau war ja eigentlich viel breiter. Somit musste sich hinter den Schrankwänden noch etwas anderes befinden.

Neugierig lief ich weiter und fand am Ende der beschrankten Wand tatsächlich eine weiße Stahltür, auf der Zur Stallgasse stand. Als ich hindurchtrat, fand ich mich im Stallbereich wieder, wo sich vier große Boxen mit Fenstern befanden. Von dort aus gab es wiederum am anderen Ende eine Tür. Ich ging den Gang entlang, ließ meinen Blick über die frische Einstreu sowie die dunkelgrau lackierten Metallgitter wandern und verließ am Ende die Stallgasse, um vorne wieder neben der Eingangshalle rauszukommen. Links herum zeigten sich vier kleine Steinterrassen mit Blick auf die Berge und in Richtung Weide. Die Umzäunung der Steinterrassen wies Gatter auf, durch die die Pferde über einen umzäunten Gang direkt zu den abgeteilten Weiden laufen konnten. Das war insgesamt ein wirklich gut durchdachtes Konzept. Bei Problempferden konnte man somit einfach das Gatter aufmachen und es, ohne zu führen, auf die Weide lassen.

Nachdenklich ging ich zurück und sah mich um, ließ meinen Blick überall umherschweifen. Die Klinik war wirklich schön geworden, keine Frage. Aber was Dad sich dabei gedacht hatte, mir das Angebot mit der Ausstellung zu machen, wusste ich nicht. Allzu viel Platz für Kunst gab es hier nun wirklich nicht. Vielleicht könnte ich einige Dinge ja einfach drüben in der Kleintierklinik ausstellen. Im Wartezimmer oder der Anmeldung vielleicht. Mein Herz hüpfte freudig, und ich verließ die Klinik, als mir ein Gedanke kam: Wenn Dad nicht hier und nicht beim Abendessen war, wo war er dann?

***

»Du bist ja schon da«, begrüßte Peyton mich überrascht. Sie war mir an der Anmeldung in der Kleintierklinik über den Weg gelaufen, wo ich meinen Vater vermutet hatte.

»Klar, schon seit ein paar Stunden. Ich habe dich und Dad beim Abendessen vermisst.«

Meine Schwester seufzte und zog eine Schublade auf, in der Tabletten lagen. Sie füllte einen Blister in eine kleine Papiertüte und schrieb etwas darauf. Dann kam sie auf mich zu. »Dad und Evan sind zu einem Notfall raus, bei Al Mackelroff haben zwei Hengste sich ordentlich um eine Stute geprügelt. Zahlreiche Bisswunden und Trittverletzungen. Wenn Al schon zwei Tierärzte anfordert, dann braucht es mindestens drei.« Sie legte den Stift weg. »Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass ich hier die Stellung halten und die Sprechstunde allein wuppen muss.« Sie marschierte mit der Tüte in der Hand zurück in den Behandlungsraum. Ich folgte ihr. Dort traf ich auch auf Olive, die der Besitzerin, einer älteren Dame, gerade dabei half, die Katze wieder in den Kennel einzupacken. Als Olive ihren Blick hob, grinste sie und zwinkerte mir zu. »Hey, Georgi, bist ja doch da. War deine brotlose Kunst kein überzeugendes Argument?«

Ich grinste zurück. »Natürlich nicht. Mir blieb also nichts anderes übrig, als herzukommen. Dad hätte mich am langen Arm verhungern lassen, und dann hätte ich dich um Geld anbetteln müssen.«

Nun grinste Olive noch breiter. »Das glaube ich gern. Nur bei mir wärst du erst recht verhungert, du armes Ding.«