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Ein entführter Junge. Ein undurchsichtiges Umfeld. Ein Fall für Sherlock Holmes. Der Sohn des Grafen Schönburg verschwindet am helllichten Tag aus dem Garten der Familienvilla. Schnell ist klar: Es handelt sich um eine Entführung, und das Leben des Jungen steht auf dem Spiel. Sherlock Holmes und Dr. Watson reisen nach Wien, um den Fall zu übernehmen. Ihre Ermittlungen konzentrieren sich zunächst auf das engste Umfeld. Die Verwandtschaft, zu der seit Jahren kein Kontakt mehr besteht, hat einiges auf dem Kerbholz und scheint über das Unglück der Schönburgs nicht wirklich bestürzt zu sein. Die Spurensuche des Meisterdetektivs fördert zahlreiche Verdächtige mit glaubhaften Motiven zutage, jedoch keinen konkreten Anhaltspunkt – und jeder Tag ohne Antwort bringt den Knaben in größere Gefahr.
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Arthur Conan Doyle
Amy Onn
Der verschwundene Grafensohn
1. Auflage 2025
Copyright © 2025 Titania Medien GmbH
Elberfelder Straße 47, 40724 Hilden
Buchbearbeitung: Stephan Bosenius
Lektorat: Dr. Daniela Stöger/Marc Gruppe
Illustration: Bastien Ephonsus
Satz und Layout: Lars Auhage
Sherlock Holmes Logo und Rahmen: Firuz Askin
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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten sowie lebenden oder verstorbenen Personen sind unbeabsichtigt und wären rein zufällig.
ISBN: 978-3-69027-004-5
www.titania-medien.de
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1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
Buchvorstellung
Hörspiele
Kapitel 1
Mein Name ist Dr. John Hamish Watson. Obwohl ich eigentlich bloß ein einfacher Militärarzt bin, kennt man meinen Namen mittlerweile doch in der ganzen Welt. Dies verdanke ich einzig einem Umstand in meinem Leben – und er hat nicht das Geringste mit meinem eigentlichen Beruf zu tun: Über viele Jahre genoss ich das Privileg, die Ermittlungsarbeit meines Freundes Sherlock Holmes als Chronist begleiten zu dürfen. Es war mir stets ein Vergnügen, meine Leser mit den Details der Abenteuer des Meisterdetektivs in Erstaunen zu versetzen.
Mitunter gab es aber auch Fälle, deren Berichte aus vielfältigen Gründen zunächst ausdrücklich nicht für eine Veröffentlichung bestimmt waren. Meist entsprang dies dem Wunsch der Auftraggeber nach Diskretion, oder es war schlicht der Brisanz der geschilderten Ereignisse geschuldet. Versiegelt lagerten diese Berichte in einem Archiv, bis endlich die Zeit gekommen war, auch die geheimen Fälle des Meisterdetektivs zu erzählen.
Der Fall des verschwundenen Grafensohns war von besonderer Brisanz, da die Ermittlungen bis in das engste familiäre Umfeld eines alten Adelsgeschlechts reichten und die Beteiligten verständlicherweise nicht interessiert daran waren, im Nachhinein mit diesem unangenehmen Ereignis in Verbindung gebracht zu werden. Zudem handelte es sich bei den Eltern des Kindes um prominente Mitglieder der Aristokratie, die entsprechenden Wert auf Diskretion legten. So vergingen einige Jahre, bis ich die Erlaubnis erhielt, den Fall einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen – und dies tue ich auch nur, um Nachahmungstäter von vornherein abzuschrecken.
Es war ein typischer Spätsommernachmittag in meiner ‚grauen Phase‘, wie Sherlock Holmes sie getauft hatte. Es regnete nahezu ohne Unterlass, und ganz London war in einen dichten Nebel aus dem Rauch und Staub der Kohleöfen gehüllt worden. Ich hatte nach dem Tod meiner geliebten Gattin Mary wieder mein früheres Zimmer in der Baker Street 221b in der Wohnung des Meisterdetektivs bezogen.
Dieser gab sich alle Mühe, mich aus meiner Lethargie aufzurütteln. »Was unternehmen wir denn heute noch Schönes, Watson? Wie wäre es beispielsweise mit einem kleinen Spaziergang? Mit Regenschirm versteht sich! Ich sterbe vor Langeweile!«
»Tun Sie sich keinen Zwang an. Mir ist allerdings nicht danach, Sie zu begleiten. Mich kriegen keine zehn Pferde da raus in dieses Dreckswetter. Und so schnell stirbt es sich auch nicht, wie Sie wissen.«
»Das vielleicht nicht, aber Ihre Mary wird auch nicht wieder lebendig, wenn Sie ständig nur Trübsal blasen. Im Übrigen hätte ich selbst allen Grund dazu, in dasselbe Horn zu stoßen.«
»So?«, fragte ich neugierig geworden.
»Aber ja doch! Seit Wochen ist kein Klient mehr vorstellig geworden, und es gibt daher rein gar nichts für mich zu tun. Sie sollten sich lieber der Aufgabe widmen, meinem Leben wieder einen Sinn zu geben, anstatt andauernd den Kopf in den Sand zu stecken. Ich lebe immerhin noch!«
Das Klopfen an unserer Wohnzimmertür verhinderte eine passende Antwort meinerseits. Stattdessen grummelte ich: »Na bitte! Da klopft er doch schon, der nächste Fall.«
»Der nächste Fall!«, höhnte Holmes. »Sie, mein Lieber, sind ein absolut hoffnungsloser Fall.«
»Also bitte, ja!«
»Es hat doch niemand unten an der Haustür geklingelt! Und diese Schritte vor unserer Tür, die sollten Sie wirklich so langsam kennen. – Kommen Sie herein, Mrs. Hudson!«
Sherlock Holmes hob einen Stapel mit Zeitungen vom Tisch, damit unsere Vermieterin das zu erwartende Tablett mit Tee und Gebäck abstellen konnte. Zeitgleich wurde die Tür geöffnet, und es erwies sich wieder einmal, dass auf Mrs. Hudson Verlass war. Besonders in Zeiten der Not.
»Ich habe extra Ihre Lieblingskekse gebacken, Dr. Watson! Greifen Sie bitte zu! – Finden Sie nicht auch, Mr. Holmes, dass Dr. Watson sehr schmal geworden ist?«
»Zunächst einmal ist er anstrengend geworden!«, schimpfte der Meisterdetektiv. »Nichts kann man ihm recht machen, und zu nichts verspürt er Lust.«
»Da können Sie mal am eigenen Leib erfahren, wie es uns immer geht, wenn Sie Ihre Launen haben!« Mrs. Hudson stellte den Teller mit dem Gebäck direkt vor mich und nickte auffordernd mit dem Kopf. »Übrigens ist ein Telegramm für Sie gekommen, Mr. Holmes.« Ihre zuvor nüchterne Stimme bekam einen schwärmerischen Klang. »Es ist aus Wien. Erinnern Sie sich an unsere Wien-Reise im Jahr 1889? Meine Cousine Margery Mapleton schwärmt noch immer von der köstlichen Sachertorte, die wir beim Demel genossen haben. Wäre damals nicht Kronprinz Rudolf in Mayerling unter solch tragischen Umständen aus dem Leben geschieden, könnte man glatt sagen, dass es ein durch und durch wunderschöner Aufenthalt dort war.«
»Hätte uns damals der Mayerling-Fall nicht derart beansprucht und somit von Ihrer Cousine abgelenkt, wäre in Wien garantiert ein weiterer Mord zu beklagen gewesen!«
»Wie können Sie sowas sagen? Die arme Margery! Sie ist so eine gute Seele und wird von derart vielen Menschen verkannt.«
»Auch von uns beiden!«, ergänzte ich.
Mrs. Hudson holte tief Luft, um noch etwas zu erwidern. Holmes war indes wieder einmal schneller. Er hatte das Telegramm bereits mit flinken Fingern entfaltet. »Hören Sie, Watson: ‚Bitte auf schnellstem Wege herkommen STOP Mein Sohn ist verschwunden STOP Vermutlich entführt STOP Graf Schönburg.‘«
»Himmel! Ein verschwundener Grafensohn!«, entfuhr es Mrs. Hudson.
Holmes’ Worte rissen mich aus meiner Schwermut. »Ist das Telegramm von Graf Friedrich von Schönburg?«
»Von eben demselben.«
Mrs. Hudson blickte von einem zum anderen. »Ach, Sie beide kennen diesen Grafen bereits?«
»Allerdings. Wir haben ihn vor einigen Jahren kennengelernt, als er auf England-Reise war!«, antwortete Holmes.
»Damals war seine Gemahlin gerade in anderen Umständen!«, ergänzte ich. »Der Junge müsste inzwischen fünf Jahre alt sein – dass wir davon bislang gar nichts in der Zeitung gelesen haben, wundert mich. Über die Entführung, meine ich! Die Gazetten müssten doch eigentlich voll davon sein – immerhin ist der Graf eine sehr bekannte Persönlichkeit. Nicht nur in Österreich.«
»Und genau deshalb hat man sich vermutlich entschlossen, die Sache einstweilen noch aus der Öffentlichkeit herauszuhalten!«, sagte Holmes.
»Ja, natürlich. Bei Entführungen ist Diskretion das Allerwichtigste!«, ließ unsere Hauswirtin verlauten.
»Das haben Sie aber schön gesagt, Mrs. Hudson!« Wie allgemein bekannt, pflegte mein Freund nicht gerade verschwenderisch mit Lob umzugehen. Mrs. Hudson schlug geschmeichelt die Augen nieder.
»Gedenken Sie denn, nach Wien zu reisen, Holmes?«, wollte ich wissen.
»Nicht nur ich, mein Freund!« »
Mrs. Hudson richtete sich vorfreudig auf.
»Da ich nicht lange kombinieren muss, um zu wissen, dass Sie nichts Besseres vorhaben, bestehe ich darauf, meinen Chronisten natürlich an meiner Seite zu haben. Sie kennen ja mein Motto: Arbeit ist das beste Mittel gegen trübe Stimmung aller Art!«
»Ich bin nur zu bereit, es auszuprobieren, Holmes!«, sagte ich.
Unsere Hauswirtin stieß einen Seufzer aus. Der Meisterdetektiv warf ihr einen strengen Blick zu, der jede Art von Widerspruch gleich im Keim ersticken ließ. »Sie und Ihre arg gewöhnungsbedürftige Cousine bleiben diesmal bitte schön brav zu Hause!«
Mrs. Hudson rang sichtlich um Fassung, während ihr Gesichtsausdruck verriet, wie schwer ihr der Verzicht auf die ersehnte Wien-Reise fiel.
»Sollten Sie meinen Anweisungen zuwiderhandeln und uns nachreisen, werden wir unverzüglich Ihre Einweisung in eine Klapsmühle in die Wege leiten. Dr. Watson kann das als Mediziner ganz schnell veranlassen. Auch im Ausland.«
Mrs. Hudson erstarrte.
»Also wirklich, Holmes!«, sagte ich aufgebracht. »Wie können Sie Mrs. Hudson nur so etwas androhen?«
»Das frage ich mich auch!« Mrs. Hudson hatte beide Hände in ihre Seiten gestemmt, ihre Courage offenbar wiedergefunden und blitzte Holmes erbost an. »Meine Cousine und ich, wir haben uns Ihnen gegenüber immer korrekt verhalten. Daher verbitte ich mir Androhungen dieser Art auf das Schärfste!«
Der Meisterdetektiv lachte. »Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, liebe Mrs. Hudson …«
»Ihre ‚liebe Mrs. Hudson‘, die bin ich gewesen!«, fauchte sie.
»… aber mit dieser Bemerkung ist es mir endlich geglückt, Dr. Watson wieder einmal aus der Reserve zu locken. Diese Chance wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen, auch wenn es womöglich ein wenig auf Ihre Kosten ging.«
Mrs. Hudson knurrte etwas, das sowohl als Zustimmung als auch als Ablehnung interpretiert werden konnte.
Holmes wandte sich daher ungerührt mir zu. »Nun lassen Sie uns schnell packen, alter Freund! Ich suche uns derweilen die schnellste Verbindung nach Wien raus! Ach ja! Ich darf das Wörterbuch nicht vergessen. Dann kann ich die Hinfahrt bereits nutzen, um meine Deutschkenntnisse wieder etwas aufzufrischen.«
»Und damit ich mich nicht zu unnütz fühle, bringe ich Ihnen jetzt gleich Ihre vorhin von mir frisch aufgebügelte Wäsche!«, sagte Mrs. Hudson versöhnlich. »Die Aussicht darauf, dass ich mich von Ihnen beiden mal einige Tage erholen kann, beflügelt mich förmlich. Und Ihnen, Dr. Watson, wird der Tapetenwechsel sicher guttun.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Raum.
In Anbetracht der edlen Garderobe, die wir für den Aufenthalt beim Grafen Schönburg vorgesehen hatten, beschlossen wir, zwei Schrankkoffer mitzunehmen, die der herbeigerufene Kutscher sodann unter Ächzen und Stöhnen zuerst nach unten trug und dann mühsam auf dem Dach der Droschke befestigte. Als er seine Arbeit getan hatte und wir eingestiegen waren, rumpelte die Kutsche über das unebene Kopfsteinpflaster der Londoner Straßen in Richtung Victoria Station. Bei jedem Schlagloch bangte ich um die Sicherheit der Koffer über unseren Köpfen und bedauerte mein Steißbein. Meine Vorfreude war dennoch ungetrübt, denn Wien hatte mir schon bei unserem letzten Aufenthalt gefallen – trotz der unheilvollen Ereignisse um den Tod des Kronprinzen, in die wir unvermittelt hineingezogen worden waren. Erfreulicherweise war Wien sehr gut mit dem Zug zu erreichen, sodass mir sowohl das äußerst schmerzhafte Geruckel in einer Postkutsche als auch Probleme mit meiner Neigung zur Seekrankheit – abgesehen von der kurzen Überfahrt mit der Fähre durch den Ärmelkanal – erspart blieben.
In Wien steuerte Sherlock Holmes direkt auf das Grand Hotel an der Ringstraße zu, eine der ersten Adressen der Stadt, wo wir bereits beim letzten Mal abgestiegen waren. Kaiser Franz Josef I. hatte schon vor Jahrzehnten beschlossen, die Stadtmauern Wiens wegen der nicht nachlassenden Zuwanderung abzureißen und durch die sogenannten Ringstraßen zu ersetzen, um so zusätzliches Bauland zu schaffen. Doch statt der erwünschten Unterkünfte für die nach Wien strömenden Menschenmassen zierten nun gewaltige Stadtpalais die begehrten Grundstücke. Aus einem solchen Palais war das prachtvolle Grand Hotel entstanden. So ächzte die Innenstadt weiterhin unter der Last von über 70.000 Einwohnern, während die Reichen und der Adel ihre prunkvollen Residenzen in die unmittelbare Nähe des Kaiserhauses verlagerten und die Ärmeren Schritt für Schritt in die Vororte abgedrängt wurden.
