Sherlock Holmes und der Ritter von Malta - Franziska Franke - E-Book

Sherlock Holmes und der Ritter von Malta E-Book

Franziska Franke

4,5

Beschreibung

Mord im Schatten des Malteserkreuzes Eigentlich hatte Sherlock Holmes nur vor, sich auf dem Rückweg vom Sudan mit seinem Freund und zeitweiligen Assistenten David Tristram zu treffen. Umso größer ist sein Erstaunen, als ihm auf Sizilien sein alter Bekannter Colonel Hayter begegnet. Der ehemalige Klient, der sich inzwischen in der maltesischen Hauptstadt La Valetta niedergelassen hat, bittet Holmes inständig, Licht ins plötzliche Verschwinden des Kolonialangestellten Peter O'Brian zu bringen. Zu einem Treffen in der Bibliothek, wo sein Bekannter an einer Abhandlung über den Aufenthalt des skandalumwitterten Barockmalers Caravaggio auf Malta arbeitete, ist O'Brian nicht erschienen. Stattdessen tauchte ein Unbekannter auf und stellte die rätselhafte Frage »Sind Sie der Ritter von Malta?« Seit jenem Tag hat der Colonel den Eindruck, dass er beobachtet wird und ist deshalb nach Sizilien geflüchtet. In prächtig ausgeschmückten Kirchen, uneinnehmbaren Festungsanlagen und unterkellerten Palästen, die aus der Zeit stammen, in der die Ordensritter über die Insel herrschten, stößt Holmes auf die Spur des geheimnisvollen Unbekannten und auf ein finsteres Mysterium, das ganz nach seinem Geschmack zu sein scheint.

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Franziska FrankeSherlock Holmes undder Ritter von Malta

Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:

Sherlock Holmes und die Büste der Primavera

Sherlock Holmes und der Club des Höllenfeuers

Sherlock Holmes und die Katakomben von Paris

Sherlock Holmes und der Fluch des grünen Diamanten

Sherlock Holmes und das Ungeheuer von Ulmen

Franziska Franke, in Leipzig geboren, hat nach ihrer Schulzeit, die sie in Essen, Schwetzingen und Wiesbaden verbrachte, an den Universitäten von Mainz und Frankfurt Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Kunstpädagogik studiert. Sie wohnt heute mit ihrem Mann in Mainz, wo sie freiberuflich in der Erwachsenenbildung tätig ist. Mit ihrem Krimi-Debüt »Sherlock Holmes und die Büste der Primavera« erweckte sie den größten Detektiv der Weltliteratur zu neuem Leben und begeisterte Krimifans und Holmesianer.

Franziska Franke

Sherlock Holmesund der Ritter von Malta

Originalausgabe

© 2014 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Fax: 0 65 93 - 998 96-20

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp

unter Verwendung der historischen Gemälde:

»Portrait des Bruders Antonio Martelli« (Caravaggio) und

»In den Festungsanlagen von Valetta« (Girolamo Gianni)

Redaktion: Volker Maria Neumann, Köln

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm Printed in Germany

Print-ISBN 978-3-95441-192-4

E-Book-ISBN 978-3-95441-206-8

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

1. Taormina

2. La Valetta

3. Die Tochter

4. Die Bibliothek

5. Die Enthauptung des Johannes

6. Das Gouvernement

7. Die Zusammenkunft im Haus des Kapitäns

8. Die Festung St. Angelo

9. Die Gepäckaufbewahrung

10. Die Baumwollplantage

11. Das Polizeirevier

12. Raffaela Cassar

13. Das Grabmal

14. Rabat

15. Der Brief

16. Die Festa

17. Die Arztpraxis

18. Die Upper Barrakka Gardens

19. Die Beerdigung

20. Die Mandelplätzchen

21. Der Palazzo Montegrifone

22. Der Kleidermarkt

23. Die Rückkehr

24. Der Brunnen

25. Abschied von Malta

Vorwort des Herausgebers

Wieder einmal ist es unserer Übersetzerin Signorina Casagrande gelungen, einen der auf Englisch verfassten Manuskriptbände zu übersetzen, die auf dem Dachboden der Florentiner Casa Tristram-Boldoni gefunden worden waren. Mittlerweile hat Signorina Casagrande sich zu einer veritablen Expertin für David Tristrams schwer leserliche Handschrift entwickelt.

Der englische Buchhändler hatte in eine Steinmetz-Familie eingeheiratet und 1891 in Florenz die Bekanntschaft von Sherlock Holmes gemacht, der nach dem Kampf mit Professor Moriarty seinen Tod vorgetäuscht hatte. Erst durch David Tristrams Aufzeichnungen ist bekannt geworden, dass Holmes während seines mehrjährigen Exils unter dem Decknamen Sven Sigerson auf mehreren Kontinenten Kriminalfälle gelöst hat.

Nach der Lektüre des von mir im Vorjahr herausgegebenen Bandes Sherlock Holmes und das Ungeheuer von Ulmen hatte ich erwartet, dass der folgende Band in England spielen würde. Aber es stellte sich heraus, dass die Manuskriptbände nicht in der richtigen Reihenfolge gelagert worden waren. Daher ist der vorliegende Text zeitlich nach Holmes’ Rückkehr aus Tibet und somit vor der Handlung von Sherlock Holmes und die Katakomben von Paris angesiedelt.

Florenz, den 10.02.2014Giorgio Battista Scalzi, Anwalt und Notar

1. Taormina

Ich hätte nicht erwartet, Holmes jemals wiederzusehen und schon gar nicht im Hochsommer auf Sizilien. Aber letzten Monat hatte er mir unerwartet eine Depesche aus dem Sudan1 geschickt, in der er seine Absicht, Taormina Ende Juli zu besuchen, angekündigt und den Wunsch geäußert hatte, meine Aufzeichnungen unserer gemeinsamen Abenteuer zu begutachten. Wahrscheinlich befürchtete er, ich könnte meine Berichte zu romanhaft ausschmücken. Bei jedem anderen hätte ich vermutet, die Hitze auf dem Schwarzen Kontinent sei ihm schlecht bekommen. Doch Holmes unterstellte ich, dass er derartigen Kleinigkeiten wie Breitengraden und Jahreszeiten schlicht keine Bedeutung beimaß. Es bedurfte einiger Überredungskunst, um meinen Schwager davon zu überzeugen, dass er die Produkte seiner auf Reproduktionen spezialisierten Steinmetz-Werkstatt auch in dem sizilianischen Modeort2 anbieten sollte. Aber ich war erfolgreich.

Als mein Zug zwei Wochen später im prächtigen, in Jugendstilformen errichteten Bahnhof Taormina Giardini einfuhr, war es so heiß, dass die Luft flimmerte. Ich hievte meinen Koffer die Stufen des Waggons hinunter und hatte einige Mühe, offizielle und selbst ernannte Kofferträger und Schlepper von Hotels und Restaurants abzuschütteln, die am Bahnsteig auf die Neuankömmlinge warteten. Die meisten von ihnen waren barfüßige Knaben und Jugendliche.

Nachdem ich mir meinen Weg durch die Menge gebahnt hatte, blieb ich vor dem Bahnhof stehen. Mein Blick glitt zum azurblauen Meer hinunter, auf dem sich die Sonne spiegelte, und blieb an drei Segelschiffen haften. Der Himmel war wolkenlos und von wunderbarer Klarheit. Einen weniger erfreulichen Anblick bot die Landschaft. Das Gras war ausgedörrt, die Erde vertrocknet, nur die Ohrenkakteen und die knorrigen Olivenbäume schienen noch zu leben.

Ich winkte einen untersetzten Kofferträger in Uniform herbei und nannte ihm den Namen des Hotels, in dem Holmes absteigen wollte. Ein kurzer Fußmarsch führte uns ins Stadtzentrum hinauf, und ich gelangte zu einem kleinen Palazzo mit Zinnen auf dem Dach und steiler Wendeltreppe. Als ich eintrat, stand Holmes an der Rezeption und trommelte nervös mit den Fingern auf der Theke herum. Mit seiner hageren Figur, der ungesunden Hautfarbe und den Schatten unter den Augen sah er genauso aus wie vor seiner Abreise nach Tibet. Auch innerlich schien er sich in der Zwischenzeit überhaupt nicht verändert zu haben.

»Sie kommen eine halbe Stunde später, als ich erwartet habe«, stellte er in einem missbilligenden Tonfall fest. Wie immer, wenn er keinen Fall bearbeitete, hatte offenbar eine düstere Stimmung von ihm Besitz ergriffen. »Ihr Zimmer ist schon vorbereitet. Wenn Sie Ihren Koffer ausgepackt haben, können wir in der Trattoria des Hotels eine Kleinigkeit essen.«

»Mein Zug hatte Verspätung«, entgegnete ich, tat Holmes aber nicht den Gefallen, nachzufragen, woraus er den planmäßigen Zeitpunkt meiner Ankunft geschlossen hatte. Schließlich hatte ich mein Kommen nicht ankündigt, da in seinem Telegramm keine Adresse angegeben war, an die ich hätte antworten können.

Zwanzig Minuten später saßen wir bereits im Gastraum, der in einem Keller untergebracht war, in dem sich die Temperatur nur geringfügig von der drückenden Hitze draußen unterschied. Wir verzichteten wegen des Sommerwetters auf den Nudel-Gang und bestellten gegrillten Schwertfisch in Zitronen-Olivenöl-Sauce mit Zucchini und dazu den Hauswein. Eigentlich hatte ich vor, Holmes um einen Bericht seiner Erlebnisse der letzten Jahre zu bitten. Aber kaum hatte ich mir Wein aus der einfachen Glaskaraffe eingeschenkt, hörte ich schwere Schritte von der Treppe her, die meine Aufmerksamkeit erregten.

»Sherlock Holmes! Ich dachte, Sie sind tot«, trompetete eine Stentorstimme auf Englisch in den Raum hinein. Sie gehörte einem breitschultrigen Mann mittleren Alters, der sich sehr aufrecht hielt und Holmes anstarrte wie ein Gespenst. Der Fremde war fast kahl, trug aber einen großen, buschigen Schnurrbart. Seine Kleidung passte von den Lackschuhen bis zum Stehkragen wie angegossen. Doch trotz seiner korrekten Garderobe und seiner tadellosen Haltung wirkte er bekümmert.

»Nicht so laut!«, raunte ich ihm zu und schaute mich nach den anderen Gästen um. Glücklicherweise waren sie alle in Gespräche vertieft. Sonst hätte der Ausruf Holmes’ Inkognito beendet.

»Mein Herr, Sie verwechseln mich«, widersprach Holmes ungerührt. »Mein Name ist Sven Sigerson, und ich habe Sie noch nie gesehen.«

Ich fuhr halb in die Höhe, ließ mich aber wieder sinken, da Holmes sich nicht von der Stelle gerührt hatte.

»Aber erkennen Sie mich denn nicht wieder?«, fragte der Unbekannte, der mittlerweile zu unserem Tisch geschritten war. »Ich bin Colonel Hayter. Sie haben mich zusammen mit Doktor Watson in Reigate besucht. Dort haben Sie den Mord am Kutscher meiner Nachbarn aufgeklärt.3 Leider ist mir der Name des armen Jungen entfallen.«

Holmes signalisierte mit einem Achselzucken, dass er ihm nicht auf die Sprünge helfen konnte oder wollte.

»Ich freue mich, Ihnen zu begegnen. Es haben sich vor einiger Zeit in meiner näheren Umgebung seltsame Dinge ereignet, und ich wüsste gern, was Sie davon halten.«

Auf Holmes’ meist so reglosem Gesicht spiegelte sich der Kampf zwischen Vorsicht und Neugier. »Sie können mir gern berichten, was vorgefallen ist, aber nur unter der Bedingung, dass Sie mich Mister Sigerson nennen«, sagte er schließlich und lud den Colonel ein, sich zu uns zu gesellen.

Darauf hatte er nur gewartet. »Wie Sie möchten, Mister Holmes! Entschuldigen Sie, das ist mir eben nur so herausgerutscht«, stammelte er und ließ sich auf einem der schlichten Holzstühle nieder. »Doktor Watson hatte mich damals gewarnt, dass Sie reichlich exzentrisch seien, aber …« Er ließ den Satz unbeendet. Sein Blick wanderte zu mir und seine Augen verengten sich. »Es handelt sich um eine vertrauliche Angelegenheit.«

»Das ist unser Landsmann Mister David Tristram«, stellte Holmes mich vor. »Er hat mir schon bei mehreren Fällen assistiert. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm.«

Der Colonel öffnete den Mund, aber Holmes forderte ihn mit einer theatralischen Geste zum Schweigen auf. »Sagen Sie nichts …« Holmes musterte die bullige Gestalt unseres Gesprächspartners. »Wenigstens Ihre Finanzen können es nicht sein, die Ihnen Sorgen bereiten. Aber nach Ihrer Rückkehr aus Afghanistan konnten Sie sich einfach nicht an das feuchtkalte Wetter in der Heimat gewöhnen. Daher traf es sich gut, dass Sie eine Erbschaft gemacht haben. So konnten Sie Ihr Heim in Surrey verkaufen und ein Anwesen auf Malta erwerben. Dort haben Sie viel Zeit am Schreibtisch verbracht, was Sie am Anfang einige Überwindung gekostet hat. Aber mittlerweile haben Sie Gefallen daran gefunden. Deshalb haben Sie sich auch eine Brille angeschafft, die Sie früher nicht getragen haben, obwohl Sie seit Langem kurzsichtig sind.«

»Das grenzt an Zauberei!«, entfuhr es Colonel Hayter verblüfft. Mit einer automatischen Handbewegung schob er seinen Kneifer auf dem Nasenrücken hoch.

»Das ist alles ganz unübersehbar«, sagte Holmes bescheiden. »Bei meinem Besuch in Ihrem Haus sind mir Ihre gerötete Nase und Ihr ständiges Hüsteln aufgefallen. Offenbar litten Sie damals unter einer chronischen Bronchitis, die Sie inzwischen völlig auskuriert haben. Die Hitze scheint Ihnen weniger zuzusetzen, sonst würden Sie nicht im Juli nach Sizilien reisen.« Seine Laune hatte sich im Verlauf der Unterhaltung zusehends gebessert. Er war vor Energie kaum zu bändigen Es bedurfte nur einer kleinen Demonstration seiner Talente, um ihn aus seiner Schwermut zu reißen.

»Ich habe hier einen Regimentskameraden getroffen, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte«, behauptete der Colonel.

Doch ein alter Soldat verwendete sicherlich kein Parfüm. Trotzdem verströmte unser Gesprächsteilnehmer einen leichten Veilchenduft.

»Ihre der neuesten Mode entsprechende, maßgeschneiderte Kleidung zeigt, dass sich nicht nur Ihre Gesundheit, sondern auch Ihre Finanzen in der Zwischenzeit gebessert haben«, fuhr Holmes mit dem Feuerwerk seiner brillanten Schlussfolgerungen fort. »Den auffälligen Ring an Ihrer linken Hand, den Sie früher nicht trugen, hat Ihnen Ihr Verwandter, wie ich vermute Ihr Onkel mütterlicherseits, vermacht. Das Wappen an Ihrer Krawattennadel verrät Ihren neuen Wohnort.«

Es zeigte einen gelben Löwen auf rotem Schild, der eine Mauerkrone trug. Später erfuhr ich, dass es sich um das Emblem der Stadt La Valetta4 handelte.

»Warum ausgerechnet Malta?«, erkundigte ich mich.

»Weil ich keine Fremdsprache lernen wollte«, war die etwas unwirsche Antwort. »Was die Arbeit am Schreibtisch betrifft, so bin ich dabei, ein Buch über den Duke of Edinburgh zu schreiben.« Mein verständnisloser Gesichtsausdruck ließ ihn stocken. »Sie kennen doch Prinz Alfred, den zweitgeborenen Sohn unserer verehrten Königin?«

»Ich lebe schon lange in Florenz und habe inzwischen den Überblick über die zahlreichen Nachkommen Königin Victorias verloren«, begann ich, bevor ein Erinnerungsfetzen in mir aufstieg. »Der Admiral der Mittelmeerflotte?«

Unser Gesprächspartner nickte.

Im gleichen Augenblick trat die mütterliche Wirtin an den Tisch, um unseren Fisch zu servieren, den ich vor Aufregung völlig vergessen hatte. »Sie wünschen bitte, Signore?«, fragte sie den Colonel in holprigem Englisch.

»Ich möchte das Gleiche wie Sie«, brummte er gedankenverloren in Holmes’ Richtung.

Holmes übersetzte die Bestellung und bat die Matrone, eine neue Weinkaraffe und einen Krug Wasser zu bringen. Dann stach er mit der Gabel in die knusprige Fischhaut. Sie zischte leise, während der Schwertfisch ein köstliches Aroma verströmte. Auch ich machte mich hastig über die Mahlzeit her. Man konnte bei Holmes nie wissen, ob er plötzlich aufsprang und seinen Teller im Stich ließ.

»Ich habe mich noch nie besonders für die Marine erwärmen können. Wasser ist mir ein zu unbeständiges Element«, bekannte er, als die Karaffe und ein zusätzliches Glas auf dem weißen Tischtuch standen, und sah seinen Gesprächspartner aufmunternd an.

»Vor drei Wochen betrat ich gegen zwölf Uhr den Lesesaal der Bibliothek von La Valetta«, setzte dieser seinen Bericht fort. »Einige Zeit zuvor hatte ich dort die Bekanntschaft eines gewissen Peter O’Brian gemacht, der als Angestellter der Kolonialverwaltung im Gouverneurspalast arbeitete und oft seine Mittagspause in der Bücherei verbrachte. Er besserte nämlich sein mageres Salär damit auf, dass er für jemanden eine Abhandlung über Caravaggios Aufenthalt auf Malta schrieb. Leider weiß ich nicht viel über meinen Bekannten, denn er redet nie über sich oder über seine Familie. Aber ansonsten ist er ein anregender Gesprächspartner. Außerdem hat er mich einem Kreis kultivierter Landsleute vorgestellt, der sich einmal im Monat abwechselnd im Haus eines der Mitglieder trifft. Dafür war ich ihm sehr dankbar.«

»O’Brian klingt irisch«, stellte Holmes fest.

Der Colonel verscheuchte eine Fliege, bevor er zum Zeichen der Zustimmung nickte.

»Hat nicht ein Ire vor einigen Jahren in Australien ein Attentat auf Ihren Admiral verübt?« Holmes interessierten in der Zeitung vor allem die Kriminalberichterstattung und die Kleinanzeigen.

»Das stimmt. Aber es ist doch wohl kein Grund, einen Groll gegen alle Iren zu hegen.« Der Colonel schaute uns tadelnd an, bevor er endlich sein Glas zum Mund führte. »Sie bringen mich mit Ihren Fragen völlig aus dem Konzept«, sagte er dann leicht verärgert.

Holmes zuckte entschuldigend mit den Schultern und klaubte mit spitzen Fingern ein Stück des Mittelknochens aus seiner Fischportion, das der Koch übersehen hatte. Dabei vermied er, dem alten Soldaten ins Gesicht zu schauen. Dieser war so aufgeregt, dass er nur lustlos in seinem Essen herumstocherte, das ihm inzwischen serviert worden war.

»An dem besagten Mittag traf ich meinen Bekannten nicht an. Auf seinem Arbeitsplatz lag ein dickes Buch über die Malerei des 17. Jahrhunderts, weshalb ich annahm, dass er den Raum nur kurz verlassen hätte. Während ich auf meine alten Tageszeitungen wartete, die ich bestellt hatte, blätterte ich gelangweilt in seinem Kunstband herum. Kurze Zeit später betrat ein kleiner, gedrungener Mann mit schwarzem Haar den Raum. Er ging zielstrebig auf mich zu und fragte mich mit starkem Akzent, ob ich der Ritter von Malta sei. Zuerst vermutete ich, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben. Dann begriff ich, dass er mich mit Peter O’Brian verwechselte, weil ich auf dessen Platz saß. Ich wies den Fremden auf seinen Irrtum hin, er stieß einen leisen Fluch aus, entschuldigte sich dann halbherzig und stürmte so eilig aus dem Lesesaal, dass er fast mit dem Bibliothekar zusammengestoßen wäre.«

»Sehen Sie Ihrem Bekannten ähnlich?«, erkundigte sich Holmes, schob sich etwas Gemüse in den Mund und kaute gedankenverloren.

»Vielleicht könnte man uns von hinten verwechseln, denn er war in seinen jungen Jahren ebenfalls bei der Armee. Aber ich bin mindestens zehn Jahre jünger als Peter O’Brian«, antwortete der Colonel nachdenklich. »Ich hatte die Sache fast vergessen. Aber am nächsten Morgen musste ich erfahren, dass man in der Wohnung meines Bekannten eingebrochen hatte. Er selbst war am Morgen zur üblichen Zeit zur Arbeit aufgebrochen, ist aber nicht dort angekommen und wurde seitdem von niemandem mehr gesehen.«

»Faszinierend!«, war Holmes’ reichlich herzloser Kommentar. »Was wurde bei dem Einbruch gestohlen?«

»Daran entsinne ich mich nicht. Es war jedenfalls nichts Wertvolles darunter.« Unser Gesprächspartner schaute finster in sein Glas, bevor er sich einen großen Schluck Wein genehmigte. »Außerdem gibt es noch etwas, das mir nicht gefällt: Als ich das nächste Mal die Bücherei besuchte, winkte mich der Angestellte an der Ausleihe zu sich und teilte mir mit, dass sich ein Mann nach meinem Namen und meiner Adresse erkundigt habe. Die Beschreibung seines Äußeren passte auf den seltsamen Gesellen, der mich als Malteser-Ritter adressiert hatte. Zwar beteuerte der Bibliotheksmitarbeiter hoch und heilig, meine Anschrift nicht herausgerückt zu haben. Aber ich habe da meine Zweifel, denn der gute Mann ist sehr redselig.«

»Sie haben ihn hoffentlich nach dem Namen des Mannes gefragt«, unterbrach Holmes.

»Selbstverständlich.« Die Züge des Colonels verdüsterten sich bei der Erinnerung. »Aber leider ist er nicht bei der Bibliothek registriert.«

»Sie würden ihn aber wiedererkennen?«

Unser Gesprächspartner kratzte sich verlegen am Kinn. »Da bin ich mir nicht sicher. Für mich sehen alle Südländer gleich aus.«

Ich hatte mich schon die ganze Zeit gezwungen, langsamer als sonst zu essen, um nicht als Einziger vor einem leeren Teller zu sitzen. Nun drohte mein Essen kalt zu werden, und ich schnitt ein Stück von meinem Schwertfisch ab und schob es mir in den Mund. »Ob die Malteser-Ritter die Insel zurückerobern wollten?«, sinnierte ich, nachdem ich den Bissen gekaut und heruntergeschluckt hatte.

»Es könnte mehr hinter der Sache stecken als es auf den ersten Blick den Anschein hat«, bemerkte Holmes, ohne zu zögern. Offenbar schien ihm meine Bemerkung nicht zu weit hergeholt. »Aber ich habe noch eine Frage: Wer hat den Einbruch zuerst bemerkt?«

»Ein Polizist auf Nachtstreife. Er sah gegen ein Uhr morgens eine zerbrochene Fensterscheibe im zweiten Stock, die bei seiner letzten Runde noch heil war. Daher klopfte er vehement an die Tür, bis ihm der Hausmeister öffnete, und weckte dann Peter O’Brians Familie. Auf dem Boden der Bibliothek lagen überall Bücher herum, aber der Einbrecher hatte keine Spuren hinterlassen, an denen man ihn hätte identifizieren können. Auch hat er keinen Bewohner der Wohnung geweckt, die alle bereits zu Bett gegangen waren.«

»Sie haben ja eine tüchtige Polizei in La Valetta. In London halten die Streifenpolizisten nicht nach defekten Fenstern in Mietshäusern Ausschau«, wunderte sich Holmes und zog ein Stück Fisch durch die Soße. »Habe ich Sie vorhin richtig verstanden: Der Einbrecher ist durch ein Fenster im zweiten Stock eingestiegen?«, vergewisserte er sich in einem skeptischen Tonfall.

»Man sagt, er sei die Regenrinne hochgeklettert.«

»Das war offenbar ein sportlicher Bursche. Ist er auch in andere Wohnungen eingebrochen?«

»Seltsamerweise nicht! Dabei leben wohlhabendere Mieter im Haus.«

»Dieser Einbrecher war kein Profi. Sonst hätte er einen Dietrich benutzt. Auch hätte ein Berufsverbrecher in den unteren Etagen begonnen«, beurteilte Holmes. »Trotzdem entnehme ich Ihren Worten, dass die Polizei den Einbruch nicht aufgeklärt hat?«

»Sie hat nicht die geringste Spur. Was aber noch schlimmer ist: Sie nimmt das Verschwinden des Hausherrn nicht ernst. Bevor sie keine Leiche hat, geht sie nicht von einem Gewaltverbrechen aus.« Colonel Hayter atmete tief durch und zog die Augenbrauen zusammen. »Mister Holmes …«

Ein eisiger Blick aus scharfen, grauen Augen brachte ihn zum Verstummen.

Unser Gesprächspartner stellte sein Glas auf den Tisch, räusperte sich und holte tief Luft. »Ich meinte natürlich Mister Sigerson. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Als ehemaliger Soldat bin ich nicht besonders ängstlich, aber das Verschwinden meines Bekannten hat mich doch ziemlich beunruhigt. Außerdem, es gefällt mir einfach nicht, dass man mir nachspioniert. Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie sich der Sache annehmen. Wie Sie bereits wissen, bin ich nicht unvermögend. Am Geld soll es daher nicht scheitern. Übermorgen kehre ich wieder nach Malta zurück. Könnten Sie mich nicht begleiten?«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Aber ich war sicher, dass Holmes’ Vorliebe für ausgefallene Dinge über seine Vorsicht die Oberhand gewinnen würde.

»Sie haben Glück, dass ich mich zufällig für Maltas dunkle Bienen interessiere. Außerdem entbehrt Ihr Fall nicht einiger interessanter Aspekte.« Holmes machte eine kurze Pause, um einen Schluck Wein zu trinken. Dann schaute er mich fragend an. »Mister Tristram, würde es Ihnen etwas ausmachen, die Statuen Ihres Schwagers nicht in Sizilien, sondern auf Malta zu vertreiben?«

»Mit dem größten Vergnügen …«, begann ich hocherfreut, stutzte aber sogleich. »Woher wissen Sie, was ich hier vorhatte?«

»Wenn Sie die Kataloge Ihres Schwagers mitnehmen, stecken Sie sie immer in den großen Koffer, den der Gepäckträger Ihnen vorhin nachgeschleppt hat.«

»Darauf hätte ich auch selbst kommen können«, murmelte ich verärgert vor mich hin, verabschiedete mich dann von unserem Klienten und eilte aus dem Lokal.

Höchste Zeit, in den verbleibenden eineinhalb Tagen sämtlichen Andenkenhändlern Taorminas den Musterkatalog der Firma Boldoni zu präsentieren, der Abbildungen von kitschigen Engeln und verkleinerte Repliken des David von Michelangelo enthielt. Der Erfolg meiner Bemühungen sollte jedoch meine kühnsten Erwartungen übertreffen, und so konnte ich mir guten Gewissens eine Reise nach Malta gönnen.

1 Nach seinem Kampf mit Professor Moriarty war Holmes nach Florenz geflüchtet, wo er David Tristram kennengelernt hatte. Von Italien hatte ihn sein Weg über Tibet und Persien in den Sudan geführt.

2 Im späten 19. Jahrhundert wurde Taormina von Künstlern wie Oscar Wilde geschätzt und war ein beliebter Winteraufenthaltsort europäischer Adliger.

3 Das war im Jahr 1887 und wurde später beschrieben in der Geschichte: Der Junker von Reigate.

4 Die Hauptstadt Maltas, heute Valletta genannt.

2. La Valetta

Um nach Malta überzusetzen, mussten wir zuerst mit dem Zug nach Catania reisen, wo die Fähre abfuhr. Als sich unser Schiff nach einer neunstündigen Überfahrt endlich der maltesischen Küste näherte, bestaunte ich die atemberaubende Aussicht auf La Valetta. Im Abendlicht thronte die Stadt auf einer felsigen Landzunge zwischen zwei weiten Häfen. Gegen die Landseite war sie von mächtigen Festungswerken begrenzt. Aber die Landschaft enttäuschte mich. Zumindest auf den ersten Blick gab es außer den grandiosen Zeugen menschlichen Gestaltungstriebs auf Malta nur trostlose Felseneinöden. Gigantische Festungsmauern wechselten sich mit trockenem Geröll ab, bis wir den Grand Harbour erreichten.

Auf weichen Knien schritt ich über die Landungsbrücke und war im Begriff, die Straße zu überqueren, als von rechts das laute Gepolter eines Fahrzeugs an mein Ohr drang, gefolgt von einem unflätigen Fluch. Ich blieb abrupt stehen, eine Kutschte raste wenige Inches an mir vorbei, und ich musste meinen Hut festhalten, damit er mir nicht davonflog. Um ein Haar hätte mich das Fuhrwerk überfahren. Erschrocken rief ich mir ins Gedächtnis, dass Malta britische Kronkolonie war, weshalb hier Linksverkehr herrschte. »Willkommen in der Heimat«, murmelte ich vor mich hin, jetzt fehlte nur noch der Nebel. Doch vor einem typisch englischen Regentag brauchte ich mich nicht zu fürchten. Obwohl ich es in Sizilien für undenkbar gehalten hätte, herrschten auf Malta noch höhere Temperaturen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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