Sie wollte ihr Kind behalten - Marie Francoise - E-Book

Sie wollte ihr Kind behalten E-Book

Marie Francoise

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Beschreibung

Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht.   Die Sprechstunde bei Dr. Robert Daniel hatte gerade begonnen, als es an der Eingangstür Sturm klingelte.   »Was soll denn das?« knurrte die junge Empfangsdame Gabi Meindl ärgerlich. »Hält mich da jemand für taub?« Dann drückte sie auf den Summer, der die schwere eichene Tür aufspringen ließ.   Im nächsten Moment stürzte eine junge Frau herein, der die Verzweiflung deutlich anzusehen war.   »Ich muß Dr. Daniel sprechen!« stieß sie atemlos hervor. »Schnell!«   »Normalerweise schätzte Gabi Meindl unangemeldete Patientinnen nicht besonders, aber hier gestattete sie sich keinen Kommentar. Die junge Frau schien wirklich dringend Hilfe zu benötigen. Das sah auch Dr. Daniels Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, die von dem ganzen Tumult inzwischen angelockt worden war. Jetzt nahm sie die völlig niedergeschlagene Frau fürsorglich beim Arm und begleitete sie zu Dr. Daniels Sprechzimmer.   »Der Herr Doktor ist gerade bei einer Untersuchung«, erklärte sie in sanftem Ton. »Es wird aber bestimmt nicht lange dauern.«   Die junge Frau nickte nur. Sarina warf ihr einen teilnahmsvollen Blick zu, dann ging sie in den Nebenraum, um Dr. Daniel die Patientin anzukündigen. Erst in diesem Augenblick fiel ihr ein, daß sie die junge Frau nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.   »Nicht so schlimm«, meinte Dr. Daniel. »Das wird sich schon herausstellen. Wenn die junge Dame so verzweifelt ist, wie Sie gesagt haben, dann sollten wir sie jetzt nicht mit solchen Lappalien belästigen.«   Dann wandte er sich seiner Patientin wieder zu, um das Gespräch, das er jeder Untersuchung folgen ließ, fortzusetzen. Erst als von ihrer Seite keine Fragen mehr offenstanden, verabschiedete sich Dr. Daniel, stand auf und betrat

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Dr. Daniel – 33 –Sie wollte ihr Kind behalten

Marie Francoise

  Die Sprechstunde bei Dr. Robert Daniel hatte gerade begonnen, als es an der Eingangstür Sturm klingelte.

  »Was soll denn das?« knurrte die junge Empfangsdame Gabi Meindl ärgerlich. »Hält mich da jemand für taub?« Dann drückte sie auf den Summer, der die schwere eichene Tür aufspringen ließ.

  Im nächsten Moment stürzte eine junge Frau herein, der die Verzweiflung deutlich anzusehen war.

  »Ich muß Dr. Daniel sprechen!« stieß sie atemlos hervor. »Schnell!«

  »Normalerweise schätzte Gabi Meindl unangemeldete Patientinnen nicht besonders, aber hier gestattete sie sich keinen Kommentar. Die junge Frau schien wirklich dringend Hilfe zu benötigen. Das sah auch Dr. Daniels Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, die von dem ganzen Tumult inzwischen angelockt worden war. Jetzt nahm sie die völlig niedergeschlagene Frau fürsorglich beim Arm und begleitete sie zu Dr. Daniels Sprechzimmer.

  »Der Herr Doktor ist gerade bei einer Untersuchung«, erklärte sie in sanftem Ton. »Es wird aber bestimmt nicht lange dauern.«

  Die junge Frau nickte nur. Sarina warf ihr einen teilnahmsvollen Blick zu, dann ging sie in den Nebenraum, um Dr. Daniel die Patientin anzukündigen. Erst in diesem Augenblick fiel ihr ein, daß sie die junge Frau nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.

  »Nicht so schlimm«, meinte Dr. Daniel. »Das wird sich schon herausstellen. Wenn die junge Dame so verzweifelt ist, wie Sie gesagt haben, dann sollten wir sie jetzt nicht mit solchen Lappalien belästigen.«

  Dann wandte er sich seiner Patientin wieder zu, um das Gespräch, das er jeder Untersuchung folgen ließ, fortzusetzen. Erst als von ihrer Seite keine Fragen mehr offenstanden, verabschiedete sich Dr. Daniel, stand auf und betrat durch die Zwischentür sein Sprechzimmer. Ein Blick auf die völlig gebrochen wirkende Patientin genügte ihm, um zu wissen, wen er vor sich hatte. Nicole Baumann, knapp zwanzig, arbeitslos und schwanger. Erst vorige Woche hatte er selbst den Schwangerschaftstest vorgenommen.

  »Guten Morgen, Fräulein Baumann«, grüßte Dr. Daniel freundlich.

  Erschrocken blickte die junge Frau auf. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie den Arzt gar nicht hatte hereinkommen hören. Jetzt brach sie in Tränen aus.

  »Herr Doktor, bitte, helfen Sie mir?« stieß sie unter heftigem Schluchzen hervor.

  Mit einer väterlichen Geste legte Dr. Daniel einen Arm um ihre bebenden Schultern.

  »Das Gespräch mit Ihrem Freund war also erfolglos«, meinte er.

  Nicole nickte. »Er hat gesagt, ich solle mich zum Teufel scheren.«

  Dr. Daniel seufzte. Er konnte eine solche Haltung nicht nachvollziehen, allerdings hatte er bei Nicoles Partner mit eben dieser Reaktion gerechnet, schließlich kannte er den jungen Mann – wenn auch nur flüchtig.

  Mit flehendem Blick sah Nicole jetzt zu Dr. Daniel auf. »Können Sie es denn wirklich nicht wegmachen, Herr Doktor? Ich… ich weiß nicht, wie mein Leben jetzt weitergehen soll.«

  »Das kann ich mir vorstellen«, meinte Dr. Daniel, während er sich neben die junge Frau setzte und für einen Augenblick tröstend ihre Hand ergriff. »Ich kann Ihnen auch versichern, daß ich Ihnen auf die von Ihnen angesprochene Art und Weise helfen würde, wenn es möglich wäre.« Er schwieg kurz. »Ich will kein Geheimnis daraus machen, daß ich normalerweise nicht für einen Schwangerschaftsabbruch bin, und gerade Ihnen würde ich mit einer Abtreibung letztendlich auch keinen Gefallen tun. Ich kenne Sie seit mittlerweile acht Jahren, Fräulein Baumann. Damals waren Sie gerade zwölf und haben zum ersten Mal Ihre Tage bekommen. Seitdem sind Sie regelmäßig für Routineuntersuchungen zu mir in die Sprechstunde gekommen, sogar während der fünf Jahre, wo ich in München praktiziert habe. In dieser Zeit habe ich Sie als eine sehr gefühlsbetonte, sensible junge Frau kennengelernt, und deshalb bin ich sicher, daß Sie eine Abtreibung seelisch nicht verkraften könnten.«

  Nicole seufzte. Sie wußte, daß Dr. Daniel sie sehr richtig einschätzte. Allein der Gedanke an eine Abtreibung bereitete ihr schon Übelkeit – nicht so sehr aus Angst vor den Schmerzen oder sonstigen Unannehmlichkeiten, sondern weil sie dieses winzige Lebewesen, das sie in sich trug, schon jetzt so sehr liebte, daß sie es als einen Teil von sich selbst betrachtete. Eine Abtreibung wäre für sie, als würde man ihr gewaltsam ein lebenswichtiges Organ entreißen.

  »Sie haben recht, Herr Doktor«, stimmte sie leise zu. »Im Grunde will ich keine Abtreibung, aber…« Hilflos zuckte sie die Schultern. »Was kann ich meinem Kind schon bieten, wenn ich es zur Welt bringe? Ich bin arbeitslos, und als werdende Mutter stellt mich niemand ein. Außerdem verdamme ich dieses Kind zu einem Leben ohne Vater.« Sie senkte den Kopf. »Auch wenn ich geglaubt habe, es hätte einen.« Wieder schluchzte sie auf. »Er hat gesagt, daß er mich heiraten würde, aber dann… als es wirklich darauf angekommen ist… da hat er mich fallengelassen wie eine heiße Kartoffel.«

  Die Worte weckten Wut in Dr. Daniel, und so faßte er einen spontanen Entschluß.

  »Ich werde mit dem jungen Mann sprechen«, erklärte er entschieden.

  Nicole sah ihn an, und dabei lagen in ihrem Blick sowohl Dankbarkeit als auch Hoffnungslosigkeit.

  »Ich fürchte, das wird nichts nützen«, flüsterte sie.

  Doch so leicht ließ sich Dr. Daniel nicht beirren. »Das werden wir ja sehen.«

*

  Es dauerte ein paar Tage, bis es Dr. Daniel endlich gelang, Volker Steffens zu Hause zu erreichen. Als der junge Mann die Tür öffnete und erkannte, wer ihn da so unverhofft besuchte, war es ihm deutlich anzusehen, daß er darüber nicht sonderlich erfreut war.

  »Wenn Sie wegen Nicole kommen, dann war der Weg umsonst«, erklärte er auch schon, bevor er den Arzt überhaupt in die Wohnung ließ.

  Unwillig runzelte Dr. Daniel die Stirn. Er billigte ein so unhöfliches Verhalten ganz und gar nicht.

  »Darf ich vielleicht hereinkommen, oder müssen wir das auf dem Hausflur ausdiskutieren?« fragte er.

  Volker zögerte einen Moment, dann öffnete er widerwillig die Tür.

  »Wenn Sie mir mit irgendwelchen Vorwürfen kommen wollen, dann können Sie gleich wieder gehen«, meinte er mit abweisender Miene. »Ich war der festen Überzeugung, Nicole würde die Pille nehmen.«

  »Und in dieser Überzeugung haben Sie ihr die Ehe versprochen«, ergänzte Dr. Daniel.

  Volkers Kopf ruckte hoch. »Ach, darauf will dieses kleine Biest hinaus! Sie glaubt wohl, sie kann mich mit einem Eheversprechen festnageln, und Sie unterstützen sie dabei auch noch.« Er drohte Dr. Daniel mit dem Finger. »Aber ich kenne die Rechtslage besser als Sie! Es gibt weder etwas Schriftliches noch irgendwelche Zeugen. Außerdem habe ich Nicole tatsächlich nie einen Heiratsantrag gemacht. Es war lediglich so, daß ich eine spätere Hochzeit nicht ausgeschlossen habe.«

  Wieder ärgerte sich Dr. Daniel über den unverschämten Ton, den Volker anschlug, und im Grunde war er der festen Überzeugung, daß Nicole gar nichts besseres passieren konnte, als diesen impertinenten jungen Mann loszuwerden.

  »Eines will ich gleich mal klarstellen, Herr Steffens«, entgegnete Dr. Daniel nachdrücklich. »Niemand will Sie auf irgendeine Weise festnageln. Wenn Fräulein Baumann das vorhätte, dann hätte sie sich an einen Rechtsanwalt und nicht an mich gewandt.«

  Argwöhnisch sah Volker ihn an. »Was wollen Sie denn dann von mir?«

  »Ich möchte mich mit Ihnen über das Baby unterhalten, das Fräulein Baumann erwartet.«

  Volkers Blick wurde wieder abweisend. »Damit habe ich nichts zu schaffen.«

  Dr. Daniel zog die Augenbrauen hoch.

  »Ach? Dann ist das Baby also von allein entstanden?« fragte er mit einem ironischen Unterton. »Das wäre allerdings ein anatomisches Wunder.«

  Volker errötete tief. »So war das doch nicht gemeint. Es ist… Nicole hat mich gelinkt. Wie gesagt, ich war der festen Überzeugung, daß sie

die Pille nimmt. Und dann kommt sie plötzlich mit einer Schwangerschaft an. Das ist doch glatt Erpressung!«

  »Darüber kann man wohl geteilter Meinung sein«, erwiderte Dr. Daniel ernst. »Nach allem, was Fräulein Baumann mir erzählt hat, schienen Sie wirklich ernste Absichten zu haben. Immerhin haben Sie zu ihr gesagt, daß Sie sie heiraten würden.«

  »Ja, aber doch noch nicht jetzt!« erklärte Volker heftig. »Ich stehe erst am Anfang der Karriereleiter. In ein paar Jahren kann ich mich vielleicht selbständig machen – allerdings nicht, wenn ich eine Familie am Hals habe. Ich brauche eine Frau, die mich unterstützt, aber kein Hausmütterchen, das mir jedes Jahr ein Baby schenkt.«

  »Von jedem Jahr ist bei Fräulein Baumann ja auch nicht die Rede«, entgegnete Dr. Daniel ruhig. »Sie liebt Sie und war sich auch Ihrer Gefühle für sie sehr sicher, was sie angesichts Ihrer Äußerungen wohl auch sein konnte. Nun erwartet sie ein Baby und fühlt sich von Ihnen im Stich gelassen. Können Sie das denn nicht nachvollziehen?«

  Volker wurde es ein wenig unbehaglich zumute, doch dieser Anflug von Gefühl dauerte nur wenige Sekunden, dann brach sein Egoismus wieder durch.

  »Hören Sie zu, Herr Doktor«, erklärte er kalt. »Nicole hat sich dieses Problem geschaffen, also soll sie auch zusehen, wie sie damit fertig wird.« Herausfordernd sah er Dr. Daniel an. »Immerhin haben Sie als Gynäkologe einen ausgezeichneten Ruf. Es dürfte Ihnen also nicht schwerfallen, Nicole von der Last ihrer Schwangerschaft zu befreien.«

  Spätestens in diesem Moment sah Dr. Daniel ein, daß seine Mission erfolglos bleiben würde. Allerdings war er nach allem, was Volker Steffen in der vergangenen halben Stunde so von sich gegeben hatte, beinahe froh darüber.

  »Sie sind ein Egoist, Herr Steffens«, erklärte er, »und zwar ein ganz großer. Für Sie zählen wirklich nur Karriere und Geld – dafür hätten Sie sogar Ihre Freundin und spätere Ehefrau eingespannt. Sie sollte Ihnen zur Seite stehen und jeden Tag aufs neue erkennen, was für ein beneidenswertes Leben sie an der Seite eines so erfolgreichen Mannes führe.«

  »Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus!« brauste Volker auf. »Ist es denn ein Verbrechen, wenn man wohlhabend und angesehen sein möchte?«

  »Nein, natürlich nicht, aber man sollte darüber nicht vergessen, daß es noch andere Werte im Leben gibt. Liebe beispielsweise und das Glück, das man in einer harmonischen Ehe finden kann.« Dr. Daniel schwieg kurz. »Und gerade ein Kind stellt einen großen Wert im Leben dar, doch das werden Sie vermutlich niemals begreifen. Für Sie ist ein Kind doch nur ein Hindernis… ein beruflicher Hemmschuh.«

  Abrupt wandte Voker ihm den Rücken zu. »Gehen Sie endlich! Ich will mir Ihre Moralpredigten nicht länger anhören.«

  »Das sind keine Moralpredigten«, entgegnete Dr. Daniel gelassen. »Es ist lediglich meine ganz feste Meinung.«

  »Die interessiert mich erst recht nicht!« gab Volker patzig zurück.

  Dr. Daniel betrachtete ihn noch einen Moment, dann drehte er sich um und verließ Volkers Wohnung. Draußen atmete er erst einmal tief durch, bevor er sich wieder auf den Heimweg machte. Dabei ließ ihn das eben geführte Gespräch nicht los. Hatte er vielleicht einen Fehler gemacht? Hätte er bei Volker Steffens anders vorgehen sollen? Möglicherweise mit mehr Verständnis für den Karrierewunsch des jungen Mannes?

  »Robert! So spät noch unterwegs?«

  Die fröhliche Frauenstimme riß Dr. Daniel aus seinen Gedanken. Er fuhr herum und sah sich der Steinhausener Allgemeinmedizinerin Dr. Manon Carisi gegenüber, mit der er nun schon seit geraumer Zeit auch privat befreundet war. Es war eine tiefe, ehrliche Freundschaft, die immer noch ohne eine intime Beziehung auskam.

  »Manon, das ist aber eine nette Überraschung«, meinte Dr. Daniel lächelnd und nahm die attraktive Frau für einen Moment in den Arm, um sie freundschaftlich auf die Wange zu küssen. »Wir haben uns ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

  »Stimmt«, entgegnete Manon. »Dabei ist Steinhausen nun wirklich keine Großstadt, aber der liebe Dr. Daniel steckt ja immer bis über beide Ohren in der Arbeit.«

  »Diesen Vorwurf kann ich nur zurückgegeben«, konterte er. »Schließlich sitzt du ja auch halbe Nächte in deiner Praxis.«

  Manon seufzte und hob theatralisch die Hände. »Das traurige Schicksal der sogenannten Landärzte. Sie sind eben nicht nur für medizinische Probleme zuständig, sondern auch für die vielen Wehwehchen, die eigentlich ganz und gar nicht in unseren offiziellen Aufgabenbereich fallen würden.«

  Dr. Daniel nickte zustimmend und wurde dabei wieder ernst. »Da hast du recht, und genau in einer solchen Mission war ich gerade unterwegs.« Er seufzte. »Leider ohne Erfolg.«

  Aufmerksam sah Manon ihn an. »Möchtest du darüber sprechen?«

  »Das darf ich eigentlich nicht«, entgegnete Dr. Daniel wenig überzeugend. »Immerhin unterliege ich der Schweigepflicht.«

  »Du mußt ja keinen Namen nennen.«

  Dr. Daniel zögerte noch einen Moment, dann begann er zu berichten. »Es geht um eine zwanzigjährige Frau… nein, eigentlich ist sie eher noch ein Mädchen. Sie wirkt irgendwie so… unschuldig. Vermutlich ist sie das auch in gewisser Weise, obwohl sie in ihrem Leben doch schon einiges mitgemacht hat. Ihr Vater ist früh gestorben, und die Mutter hat nach einigen Jahren wieder geheiratet und schließlich noch zwei Kinder bekommen. Das Mädchen war daraufhin immer ein bißchen im Weg. Auch beruflich lief nicht alles optimal. Sie hat ihre Ausbildung zwar mit Auszeichnung bestanden und auch noch ein knappes Jahr in ihrem Lehrbetrieb gearbeitet, aber dann wurde sie plötzlich unter fadenscheinigen Gründen entlassen und ist seither arbeitslos.«

  »Das klingt nicht schön«, urteilte Manon, »aber ich denke, das wirklich dicke Ende kommt erst noch.«

  Dr. Daniel nickte. »Sie verliebte sich in einen jungen Mann, und irgendwann sprachen die beiden eben auch vom Heiraten.« Er seufzte. »Über die genaueren Begleitumstände hüllt sie sich in Schweigen. Ich weiß nicht, ob sie die Pille absichtlich abgesetzt oder einfach nur vergessen hat. Jedenfalls ist sie jetzt schwanger, und ihr Freund schert sich den Teufel um sie.« In groben Zügen schilderte er Manon das Gespräch, das er gerade mit Volker Steffens geführt hatte.

  Manon dachte eine Weile angestrengt nach.

  »Meiner Meinung nach ist sie ohne ihn besser dran«, erklärte sie schließlich. »Dieser junge Mann mag für ein Mädchen ein ganz passabler Freund sein – als Ehemann und Familienvater eignet er sich aber ganz bestimmt nicht. Er würde doch immer seiner Frau und seinen Kindern die Schuld zuweisen, wenn etwas beruflich nicht so klappen würde, wie er es sich vorstellt.«

  Genau das hatte auch Dr. Daniel schon gedacht, aber wenn er vor seinem geistigen Auge die völlig verzweifelte Nicole sah, dann wünschte er, daß er ihr eine größere Hilfe hätte sein können.

*

  Jasmin Kalisch stand am Herd und bereitete das Abendessen vor. Dabei erstaunte es sie ein wenig, daß sie sich noch immer auf den Beinen halten konnte. Den ganzen Tag über fühlte sie sich schon müde und ausgelaugt, und der Gedanke an ihr Bett war die verlockendste Vision, die sie heraufbeschwören konnte.

  »Mami, wann kommt denn der Papi endlich heim?«

  Unzählige Male hatte Jasmin diese Frage heute schon gehört, und es fiel ihr ein bißchen schwer, ihrer fünfjährigen Tochter Katrin in ihrer momentanen Verfassung ruhig und freundlich zu antworten.

  »Papi heim?« plapperte der knapp zweijährige Tobias nach.

  Jasmin warf einen Blick auf die Uhr. Sie konnte es selbst kaum noch erwarten, daß Bernd endlich aus dem Büro kommen würde. In letzter Zeit wurde ihr jeder Tag entsetzlich lang. Allerdings war Bernd meistens keine große Hilfe für sie. Sein Chef verlangte ihm eine Menge ab, und so war er jeden Abend ziemlich geschafft, wenn er nach Hause kam.

  In diesem Moment klingelte das Telefon. Jasmin schaltete den Herd ab, schob den Topf zurück und klappte das Schutzgitter hoch, damit sich Tobias die Fingerchen nicht verbrennen oder gar den heißen Topf herunterziehen konnte.

  »Kalisch«, meldete sie sich dann ein wenig atemlos.

  »Liebling, ich bin’s«, erklang Bernds tiefe, warme Stimme.

  Jasmin schloß sekundenlang die Augen. Ihr Mann würde also auch heute wieder später kommen, und das bedeutete…

  »Es tut mir wirklich leid«, drang Bernds Stimme an ihr Ohr. »Ich wollte heute pünktlich daheim sein, aber…«

  Jasmin hörte nicht mehr zu. Die Müdigkeit ließ dunkle Punkte vor ihren Augen tanzen.

  »Macht doch nichts, Bernd«, hörte sie sich schließlich sagen. »Das Essen kann ich warmhalten, und Katrin muß bei der Gutenachtgeschichte eben mit mir vorliebnehmen. In letzter Zeit hat das immer prima geklappt.«

  »Du bist wirklich die beste Frau, die man sich wünschen kann«, urteilte Bernd mit einem erleichterten Seufzer. »Ich verspreche dir auch, daß ich mich beeilen werde. Vielleicht schaffe ich es noch vor acht Uhr.«

  Jasmin nickte mechanisch, obwohl ihr Mann das ja nicht sehen konnte.

  »Schon gut, Bernd. Mach dir keine Gedanken. Ich schaffe das ganz problemlos.«

  »Weiß ich doch, Liebes. Gib den Kindern einen dicken Kuß von mir.«

  Er verabschiedete sich sehr liebevoll von Jasmin, dann legte er auf, doch sie blieb noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehen.