Sieben Moleküle - Jürgen-Hinrich Fuhrhop - E-Book

Sieben Moleküle E-Book

Jürgen-Hinrich Fuhrhop

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Beschreibung

Kann man anhand von sieben Molekülen die Chemie des menschlichen Organismus erklären? Die Autoren zeigen wie das geht, und dass man dabei viel Staunens- und Wissenswertes aus der Wunderwelt der Moleküle erfahren kann. Geeignet für Wissensdurstige ab der 11. Klasse.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung: SCHÖPFeN und Waglule Tyatohre

Teil 1 Die biologischen Materialien: Flüssiges Wasser, Rohre, Gele und Membranen

1 Wasser: Alles fließt oder die Wandlungsphase eins

Überblick

1.1 SCHÖPFeN: Protonen, Wasserstoff, Sauerstoff und Elektronen

1.2 Cluster

1.3 Auf der Erde und über der Erde

1.4 Rohrsysteme und Pumpen

1.5 Bewegliche elektrische Ladungen (Ionen)

Fragen zum Wasser

2 Glucose: Fünfzehn Milliarden Tonnen nachwachsender Rohstoff im Jahr

Überblick

2.1 Glucose: Struktur, Eigenschaften, Reaktivität

2.2 Cellulose

2.3 Stärke

2.4 Zucker

Fragen zur Glucose

3 Lecithin: Fünf Nanometer Fettmembran

Überblick

3.1 Fettsäuren

3.2 Fette

3.3 Lecithinmembranen und Magenschleimhaut

3.4 Cholesterin als flüssigkristalline Einheit

Fragen zu Lecithin und Steroiden

Teil 2 Molekulare Module für chemische Wechselwirkungen, Nerven, Muskeln, Atmung und das Sehen

4 Tyrosin: In Proteinen zwischen Proteinen

Überblick

4.1 a,L-Aminosäuren und Phenol als Modul der Proteine

4.2 Polyphenole

4.3 Tyrosin in Proteinen

4.4 Tyrosinphosphat

Fragen zu Tyrosin

5 ATP: Phosphatchemie des Denkens und Fühlens, der Bewegung und der Zellteilung

Überblick

5.1 Aminopurin-Motive

5.2 Die Pseudorotation der (Desoxy-)ribose

5.3 DNS (Desoxyribonucleinsäure)

5.4 Phosphorsäureanhydride und cyclische Ester

Fragen zu ATP

6 Oxyhäm: Sauerstoff transportieren und aktivieren

Überblick

6.1 Sauerstoff, Sulfid und Eisen

6.2 Pyrrol, Pyridin und ihre π-Elektronen

6.3 Chlorophyll und Protoporphyrin

6.4 Oxyhäm

Fragen zu Oxyhäm

7 Retinal: … und sah, dass es gut war

Überblick

Fragen zu Retinal

Epilog: Mit unseren sieben Molekülen erreichen wir viel

Anhang: Stichworte zur Lösung der Aufgaben

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Register

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Gossauer, A.

Struktur und Reaktivität der Biomoleküle

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Autoren

Prof. Dr. Jürgen-H. Fuhrhop

Organische Chemie

Freie Universität Berlin

Takustraße 3

14195 Berlin

Tianyu Wang

Inst. Chemie & Biochemie

FU Berlin

Takustraße 3

14195 Berlin

1. Auflage 2009

Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

Print ISBN 9783527320998

Epdf ISBN 978-3-527-62694-6

Epub ISBN 978-3-527-65994-4

Mobi ISBN 978-3-527-65993-7

Vorwort

Dieses Buch stellt sieben Moleküle vor und folgt ihnen durch die kapillären oder muskulösen Wasserrohre des Menschen bis ins Gehirn, die Herzgefäße und die Geschlechtsorgane. Diesem Ansatz zugrunde liegt die Überzeugung, dass Schüler der Chemie und interessierte Laien die „organische Chemie“ vor allem im Zusammenhang mit dem Trinkwasser, dem Blutkreislauf und dem Zellwasser erleben sollten.

Das Molekül Wasser ist eine Pyramide mit zwei Protonen und zwei Elektronenpaaren an den Ecken. Im Zentrum hält ein relativ schweres Sauerstoffatom diese vier Elementarteilchen zwar zusammen, bleibt aber selbst wirkungslos nach außen. Glucose ist starrer Sechsring aus Kohlenstoffatomen, der von einem wasserfreundlichen OH-Ring umgeben ist, dessen Oberfläche aber wasserabstoßend ist wie ein Fett. Die Aufgabe von Glucoseketten ist es, die Rohrsysteme der Pflanzen und körnige Nahrungsstoffe aufzubauen. Glucosemoleküle sind die einzige Energiequelle des Gehirns. Biologische Zellmembranen sind aus molekularen Doppelschichten des Lecithins aufgebaut und erzeugen mit Natrium- und Kalium-Ionen die elektrischen Potenziale für Nerven- und Muskelströme. Nummer vier ist Tyrosin, eine Aminosäure mit holzigem Phenolcharakter und führt uns in die Welt der Proteine, Farbstoffe, Radikalbildner und molekularen Anker. Der Benzolring des Tyrosins dominiert die Welt der Neurotransmitter und der künstlichen Arzneimittel, die störende Aktivitäten von Proteinen blockieren. Ohne das Phosphat aus ATP gibt es keinen Gedanken, kein Gefühl, keine Bewegung und keine Zellteilung. Kein Lebenszeichen des Menschen läuft ohne Phosphat, das mit seinen negativen Ladungen die positiven Natrium- und Kaliumströme antreibt und steuert, und damit die Basis zu unserer Existenz legt. Oxyhäm transportiert das Oxidationsmittel Sauerstoff im reduzierenden Blutstrom und setzt in den Zellen atomaren Sauerstoff frei, der Glucose und Fette in Wasser bei 37 °C verbrennt. Da kommt die Energie her, die wir zur Erzeugung der Nerven- und Muskelströme brauchen. Retinal schließlich leitet den magischen Sehprozess der Tiere und Menschen ein, der farbige, bewegliche Bilder im Hirn entstehen lässt.

Das alles tun die sieben Moleküle für alle Menschen – und zwar großzügigerweise seit wenigstens zweihunderttausend Jahren, obwohl man von ihnen erst seit höchstens hundert Jahren weiß.

Die Autoren dieses Buches, bewundern und lieben Gestalt, Arbeit und Ausdauer der sieben Moleküle und vieler ihrer nahen Verwandten über die Maßen. Wir hoffen, mit diesem Buch den Geist dankbaren Staunens dem geneigten Leser und den noch Lernenden in der Schule nahe zu bringen.

Wir danken der Freien Universität Berlin für uneingeschränkte Unterstützung und Dr. Claus Endisch und den Teilnehmern seines Chemieleistungskurses an der Bertha-von-Suttner-Oberschule in Berlin-Reinickendorf für ihre Anregungen.

Oktober 2008, Berlin

Jürgen Fuhrhop Tianyu Wang

Einleitung: SCHÖPFeN und Waglule Tyatohre

Waglule Tyatohre ist eine für dieses Buch erfundene, pseudo-chemische Formel, die die Namen von sieben Molekülen zusammenfasst. Alle sieben spielen in der täglichen Arbeit der Pflanzen, Tiere und Menschen, die man „Leben“ nennt, anspruchsvolle Hauptrollen. Der „Vorname“ Waglule bezieht sich auf die Baumaterialien Wasser, Glucose und Lecithin für biologische Rohrleitungssysteme der Bäume und Gehirne, der „Familienname“ Tyatohre bezeichnet die funktionellen Teile (Module) biologischer Maschinen, die den Verkehr der Güter und Nachrichten in den Wasserrohren betreiben, nämlich Tyrosin, ATP, Oxyhäm und Retinal.

Die sieben Moleküle enthalten insgesamt sieben verschiedenen Atomsorten, nämlich Schwefel, S, Kohlenstoff, C, Wasserstoff, H, Sauerstoff, O, Phosphor, P, Eisen, Fe, und Stickstoff, N. Daraus haben wir ein neues Kunstwort geformt, nämlich „SCHÖPFeN“. Der Doppelpunkt über dem O symbolisiert dabei die Elektronenpaare, die die Elemente zu Molekülen „verbinden“.

Chemikergehirne sind voll von Merkworten wie „SCHÖPFeN“ und „Waglule Tyatohre“. Sie erwiesen sich, zumindest im Zusammenhang mit der deutschen Sprache, als nützlich, um abstrakte Zusammenhänge zwischen abstrakten Namen nicht zu vergessen.

Mit Waglule Tyathore kennen Sie die molekularen Hauptpersonen des täglichen Lebens. Der Rest ist Kochsalz und anderes „triviales“ Beiwerk. SCHÖPFeN erfasst das Innere der Moleküle, den Charakter und das Seelenleben der Hauptpersonen. Über CHO verfügen mit Ausnahme des Wassers alle unsere sieben Moleküle: diese Elemente bauen die Rohrsysteme der Bäume, des Nervensystems, der Muskeln und des Blutkreislaufs auf. N kommt immer ins Spiel, wenn individuelle Beziehungen zwischen den Molekülen geknüpft werden, zum Beispiel zwischen den Basen des Erbmaterials oder den Aminosäuren der Proteine. P ist das Element des elektrischen Stroms der Nerven und Muskeln, des Denkens, Fühlens, Sehens und der Zellteilung. Fe und S erledigen das Verbrennen der Nahrung und liefern die Energie für Tier und Mensch.

Wir berichten über Moleküle und verzichten dabei nicht auf die genaue Beschreibung ihres Aussehens und ihres Charakters. Das bedeutet, dass wir die dazu notwendigen chemischen Formalismen einführen und unentwegt benutzen. Verschiedene „Moleküle“ unterscheiden sich durch die Art und Anordnung der Atome. In den sieben Molekülen WaGluLe TyAtOhRe bewegen sich außerdem Atome und Elektronen wie Teile einer Maschine oder intelligente Ampelsysteme eines Verkehrsnetzes. Auch das wird dargestellt. Wenn Sie das Buch verarbeitet haben, sollten Sie die Strukturen der sieben Moleküle Waglule Tyatohre auswendig wissen und ihren Charakter, ihre Tätigkeit beschreiben können. Sie werden wissen, was das Retinal im Auge mit Lichtquanten tut, wie Eilecithin in Wasser spontan Zellmembranen bildet und warum die Neuronen im Gehirn mehrfach ungesättigte Fettsäuren brauchen. Sie werden den Sauerstoff in den sich ewig erneuernden Erythrocyten des Bluts vom aggressiven Sauerstoff in den Zellen unterscheiden können. Die Kenntnis der „sieben Moleküle“ ist der Schlüssel zur Welt der biologisch und medizinisch wirksamen Stoffe.

Dieses Buch will Ihnen als naturwissenschaftlich interessiertem Laien oder als Schüler mit dem Chemieunterricht im Nacken zeigen, wie sieben wichtige und reizvoll unterschiedliche Moleküle des Lebens sich im Alltag verhalten, wie und wo sie dem Lebenden ermöglichen, die Welt zu denken, zu fühlen und sich sehend in ihr zu bewegen. Sie sollen die Moleküle des Körpers und ihre Wasserwege kennen lernen und auch erfahren, wo Hindernisse, Überlastungen oder fehlende Hafenarbeiter stören, ja das Leben bedrohen.

Diese Grundkenntnisse könnten auch die staatlichen, von den Bürgern bezahlten Schulen mit ihren Chemielehrern und -lehrerinnen vermitteln. Sie tun es aber, wie wir meinen, nur unzureichend. Stunde um Stunde vergeht der Chemieunterricht mit der Beobachtung von Farbumschlägen bei der Titration von Säuren und Basen, mit dem Auswendiglernen des Periodensystems der Elemente, der Diskussion abstrakter Elektronenschalen, mit der Fällung von Salzen und mit sinnentleertem Vokabellernen. Das erworbene formale Wissen von der Chemie bleibt im Leben, beim Denken, Fühlen, Essen, Arbeiten, Lieben und Leiden so irrelevant, wie es schon während der Schulzeit empfunden wurde. Es wird schnell vergessen, zur Unkenntnis gesellt sich stumpfes Desinteresse.

Die Autoren dieses Buchs sind enthusiastische Chemiker, die sich trotz, nicht wegen des Schulunterrichts für ihr Fach entschieden haben. Ein wenig hoffen sie, dass die Lehrinhalte der Schulen sich ändern lassen und dass die Einstellung der Menschen gegenüber der Wissenschaft von den Stoffen, der Chemie, einmal so freundlich wird, wie es zum Beispiel die glorreichen sieben Moleküle verdienen.

Denn warum lassen sich Bäume wie Menschen auf ein so langes Leben ein? Weil ihnen die Moleküle in jeder Sekunde süßes Leben und frische Nahrung in die Wasserwege der Wurzeln, Stämme und Blätter, der Muskeln, Nerven und Gehirne tragen und ihnen die Möglichkeit geben, zu wachsen und auf der wunderbaren Erde zu gedeihen!

Teil 1Die biologischen Materialien: Flüssiges Wasser, Rohre, Gele und Membranen

1

Wasser: Alles fließt oder die Wandlungsphase eins

Alles fließt (Platons Zusammenfassung der Lehre Heraklits)

Wasser: Wandlungsphase eins (I ging, das Chinesische Buch der Wandlungen)

Überblick

1.1 SCHÖPFeN: Protonen, Wasserstoff, Sauerstoff und Elektronen

Die sieben Atome oder Elemente, aus denen die sieben Moleküle bestehen, wurden von den Alchemisten und Chemikern Schwefel (engl. sulphur), Kohlenstoff (carbon), Wasserstoff (hydrogen), Sauerstoff (oxygen), Phosphor (phosphorus), Eisen (iron) und Stickstoff (nitrogen) getauft und haben als Symbol dazu die weltweit gebräuchlichen Abkürzungen S, C, H, O, P, Fe, N bekommen. Jedes dieser Atome hat einen Atomkern, der aus den Sternen stammt und eine Atomschale, die mit Elektronen aus dem interstellaren Raum gefüllt ist. Masse und Energie des Universums sind in den Sternen konzentriert, der interstellare Weltraum ist eine kalte Leere mit Staub und Strahlung und Planeten wie der Erde.

Die Erde hat vor sechs Milliarden Jahren viele Wassermoleküle aus dem Weltall an der Oberfläche gesammelt und etwa zwei Milliarden Jahre später begonnen, im warmen Sonnenschein Bäume, Gehirne und viele andere organisierte Systeme aus Wasser und den sieben Elementen entstehen zu lassen. Wie das geschehen konnte, wird wohl ewig ungeklärt bleiben. Im Laufe der Menschheitsgeschichte jedenfalls ist mit den sieben Molekülen nichts passiert: Es waren von Anfang an dieselben mit immer den gleichen Funktionen. Nie wird man mit letzter Gewissheit erfahren, wie die Evolution vor Milliarden Jahren begann und ablief. In Bezug auf die Entstehung der Elemente aber genügt die Beobachtung der Sterne von heute unter der vernünftigen Annahme, dass dort seit sechs Milliarden Jahren die gleichen Prozesse ablaufen. Ein ähnliches „Prinzip des Aktualismus“ gilt für die Entstehung der Erdkruste und des Erdinneren. Die Gegenwart ist ein Fenster zur Vergangenheit – Erosion, Klima und Vulkanismus, Physik und Chemie der Sterne und des interstellaren Raums sind elementar einfach und werden von immer den gleichen chemischen und physikalischen Gesetzen gesteuert. Gesteinsschichten und Gebirge, die heute langsam wachsen oder verschwinden, haben das schon immer so getan. Die astronomische und geologische Geschichtsschreibung ist deshalb glaubwürdig und nachvollziehbar, wenn man von der unvorstellbaren Umwandlung von Energie zu Protonen in einem einzigen „Urknall“ einmal absieht.

Über die Herkunft des Atomkerns des Wasserstoffs, H+, ist nichts weiter zu sagen, als dass er als Proton (p) „schon immer da“ war. In allen Sternen liegt dieser einfachste aller Bausteine der Materie als nackter Atomkern vor, daher auch die Bezeichnung „Proton“ (griech. protyl, „Urstoff“). Aus ihm sind alle anderen Atomkerne durch Fusion in den Sternen entstanden. Heute besteht die Materie des Weltalls zu 92,4 Gewichtsprozent aus Protonen mit einem Durchmesser von etwa einem Femtometer (10–15 m). Das Proton trägt eine positive elektrische Elementarladung und hat die relative Atommasse Eins. Alle anderen Atomarten sind Vielfache der Elementarmasse des Protons. Auch zwei von drei Atomkernen des Wassers, H2O, sind Protonen.

Das Neutron (n) reagiert in den Sternen spontan mit einem zweiten Proton zu einem Deuteron (pn; griech. deutero, „das Zweite“). Die einfachste und häufigste „Fusion“ der Atomkerne in den Sternen ist damit erfolgt. Es folgt eine weitere Fusion zweier Deuteronen zu α-Teilchen (p2n2) oder Heliumkernen He2+. Das ist alles, was die meisten Sterne, zum Beispiel unsere Sonne, können: Sie verschmelzen Wasserstoff- zu Heliumkernen und setzen dabei viel Energie frei. 99,7% der Masse des Weltalls sind damit erfasst: 92,4% sind die „ursprünglichen“ Wasserstoffkerne, 7,3% sind Heliumkerne aus dieser einen Fusion. Dabei gilt immer, dass man Reaktionen im Universum nie in der Vergangenheitsform schildern sollte, denn sie laufen – wie schon gesagt – heute genauso ab wie vor Milliarden Jahren (Abb. 1.1).

Die nächsten Elemente des Alls stammen aus dem CNO-Fusionszyklus in den großen Sternen. Kohlenstoff (6C), Stickstoff (7N) und Sauerstoff (8O) stammen aus der Fusion von zwei 4He-Kernen zum kurzlebigen Berylliumkern 8Be, der zunächst ein weiteres α-Teilchen (p2n2) aufnimmt und Kohlenstoff 12C bildet. Aus 12C und pn wird dann Stickstoff 14N, aus 12C und Deuterium p2n2 wird Sauerstoff, 16O. Die links tief gestellte Zahl gibt hier die Zahl der Protonen im Kern oder, deutscher, die „Ordnungszahl“ der Elemente an, die links hochgestellte Zahl die Masse des Kerns, also die Summe aus Protonen und Neutronen. Die tief gestellten Zahlen sind identisch mit der Reihenfolge im Periodensystem, das wir hier nicht besprechen, weil wir es nicht brauchen.

Abb. 1.1 Im Kern der Sonne und anderer Sterne kollidieren zwei Protonen H+ und erzeugen ein Deuteron, in dem ein Proton und ein Neutron dicht nebeneinander liegen. Die andere positive Ladung wird in Form eines Positrons e+ abgestrahlt. (Das Positron ist das Antiteilchen des Elektrons.)

Die vier Elemente H, C, N und O genügen bereits, um die Wände der biologischen Wasserrohre, die Zellmembranen und Proteine der Bäume und Menschen, zu formen; zum Aufbau der Pflanzen fehlt eigentlich nur noch Magnesium, 12Mg, das häufigste Metall im Weltall. Für die Nerven- und Muskelströme brauchen wir außerdem 15Phosphor, 11Natrium, 19Kalium und 20Calcium, wobei sich Calciumphosphat für Knochen und Zähne als unübertrefflich erwies.

Das häufigste Metall ist merkwürdigerweise nicht das erste Metall mit einer geraden Ordnungszahl (Beryllium, 4Be, das aus reaktionsfreudigen Deuteronen direkt zugänglich ist, aber in großer Hitze leicht zerfällt) sondern gleichauf das zweite und dritte, Magnesium und Eisen, 12Mg und 26Fe. Magnesium wurde in der Evolution zum Metall des Chlorophylls, das in Photosynthese Sauerstoffmoleküle, O2, produziert, Eisen lagerte sich in den Blutfarbstoff Häm ein, der das gleiche Sauerstoffmolekül zur Verbrennung der Nahrungsstoffe in Mensch und Tier nutzt (Abb. 1.2).

Die Atomkerne SCHOPFeN sind damit im Weltall vorhanden. Die Sterne haben materiell beigesteuert, was sie konnten, um Voraussetzungen für die biologische Evolution auf der Erde zu schaffen. Nun dampfen die Atomkerne ins kalte Universum ab, treffen auf „Weltraumstrahlung“ mit einem hohen Anteil negativ geladener Elektronen und fangen diese, weit entfernt von den heißen Sternen, in einer „Schale“ um den Kern herum ein. Atomkerne werden so zu Atomen, dann zu Molekülen. Das Eintreten der Elektronenpaare in die Atomschale symbolisieren wir in diesem Buch durch einen Doppelpunkt im Zentrum von SCHOPFeN und erhalten so das in der deutschen Sprache bildhaftsuggestive Wort „SCHÖPFeN“ für die sieben Atombausteine des Lebens.

Das I-Ging-Schöpfungsspiel der Chinesen mit Yin und Yang hat damit begonnen, wobei Yin der primären Kraft der Ausdehnung des Universums entspricht, Yang der des Zusammenziehens. Die schweren, massehaltigen Atomkerne (Yang) haben einen zusammenziehenden (zentripetalen) Effekt und ziehen die leichten Elektronen (Yin) an. Die Wellenstrahlung der Elektronen wirkt zentrifugal, strebt Raumausfüllung an (Yin). Kerne liegen innen (Yang), die Elektronen außen (Yin), Kerne sind harte (Yang) Materie, Elektronen haben einen weichen (Yin), diffusen Wellencharakter, Elektronen sind negativ (Yin) geladen und tendieren zu chemischen Bindungen, zu „sozialem“ (Yin) Kontakt mit Nachbarn. Kernen ist die Chemie fremd, sie führen ein abgeschirmtes Eigenleben (Yang) (Abb. 1.3).

Abb. 1.2 Relative Häufigkeit der Elemente der Sonne bis zum Zink. Sie wurde aus dem Emissionsspektrum dieses Sterns abgeleitet. Wasserstoff ist zehnmal häufiger als Helium und 1010-mal häufiger als Beryllium (Be). Fünf Elemente unserer sieben Moleküle sind etwa 103-bis 104-mal seltener als H, P ist 106-mal seltener. Die sieben Elemente der sieben Moleküle haben die Ordnungszahlen 1 (H), 6 (C), 7 (N), 8 (O), 15 (P), 16 (S) und 26 (Fe).

Abb. 1.3 Das Yin-Yang-Modell. Yin ist schwarz und unten, Yang ist weiß und oben. Die Grenze zwischen beiden hat den Charakter einer Welle. Das Weiße hat ein schwarzes Zentrum, das Schwarze ein weißes Zentrum. Alle Dinge sind durch Naturkräfte miteinander verwoben, alle Dinge wandeln sich.

Abb. 1.4 Das Wasserstoffatom H und das Wasserstoffmolekül mit zwei Protonen (+) und Räumen (Orbitalen), die mit Elektronen (–) besetzt sind. Bei der Bildung der Bindung wird Energie frei (→), bei Zufuhr hoher Energie (Temperaturen über etwa 1000°C) zerfällt das Molekül in Atome (←).

In der Hauptmasse des Wassers, den Eiswolken im Weltraum, finden sich 0,2% HDO, in den Protonen der Sterne hundertmal weniger (0,002%). Das Erdwasser liegt mit 0,02% HDO dazwischen – das ist zehnmal mehr als in den Sternen, wo das Deuteron geboren und in α-Teilchen umgewandelt wird, und zehnmal weniger als in den gigantischen Wolken aus Eis, wo sich das schwere Wasser sammelt, weil H2O leichter abdampft als HDO. Der Mittelwert von 0,02% HDO ist in der Geschichte der Wasserwanderung begründet. Das Weltraumwasser wurde auf Meteoren als Eis mit 0,2% HDO gesammelt und dann an Ton und Eisenoxide chemisch gebunden, wobei das leichte Wasser H2O schneller reagierte und sich anreicherte. Diese chemische Bindung des Wassers war die erste Erdreaktion. Nicht gebundenes Wasser mit relativ viel HDO verdampfte hingegen zurück in den Weltraum. Als sich die Erde wegen der großen Gravitationskraft innerhalb des wachsenden Planeten zusammenballte und erhitzte, schmolz sie zu einer glühenden Kugel, die Wasserwolken ausstieß. Diese Wolken aber konnten die Erde nicht mehr verlassen, weil deren Gravitationskraft bereits zu groß geworden war, um Wassertropfen oder Eiskriställchen in den Weltraum zu entlassen (Abb. 1.5).

D2 lässt sich von HD und H2 mit einem Massenspektrometer unterscheiden. Ein Massenspektrometer ist eine Vakuumkammer, in die die zu untersuchende Probe gesprüht und dort mit einem energiereichen Elektronenstrahl aus einer Kathodenröhre bestrahlt wird. Dieser Strahl schießt ein Elektron aus den verdampften Molekülen heraus und erzeugt einfach positiv geladene Moleküle, so genannte Kationen, im vorliegenden Fall , HD+ und . Das kationische Gas wird von einer negativ aufgeladenen Metallplatte am Ausgang der Kammer angezogen, durch einen Schlitz gebündelt und als schmaler Molekülstrahl in ein gebogenes Rohr geleitet, das in einem starken Magnetfeld liegt. Dieses Magnetfeld lenkt schwere („träge“) Kationen weniger ab als leichte. Am Ende des Rohrs steht eine Fotoplatte (heute ein Computerchip), welche die nach ihrer Masse geordneten Molekülstrahlen registriert und mit einem dem Gasstrom zugegebenen Standard vergleicht. Die relativen Massen und die relative Zahl der Teilchen in den voneinander getrennten Gasströmen können so direkt abgelesen werden. Relative Molekülmassen bis etwa 5000 werden unter Anwendung messtechnischer Tricks direkt vermessen (Abb. 1.6).

Abb. 1.5 Das Wasser der Erde enthält wie das Wasser in Meteoriten 0,02% Deuterium D. Das Wasser in unserer Sonne ist zehnmalärmer, das der Eisnebel im Weltraum zehnmal reicher an Deuterium. Erdwasser ist Meteoritenwasser – das ist ein wichtiger Hinweis auf die Entstehungsgeschichte unseres Planeten.

Zurück zur Fusion der Protonen zu schweren Atomkernen. Wasser enthält neben H auch Sauerstoffatome mit acht Protonen und acht Neutronen im Atomkern. Diese Fusion von acht Deuteronen schaffen über verschiedene Zwischenstufen große und sehr heiße Sterne im CNO-Zyklus. Die acht Elektronen, die die Protonen neutralisieren, kommen aus der Weltraumstrahlung. Zwei davon sind auf einem inneren, kugelförmigen Orbital lokalisiert, das dem des Wasserstoffs (Seite 11) gleicht, die sechs „Außenelektronen“ des Sauerstoffatoms aber verteilen sich auf vier Orbitale in Tetraeder-Anordnung um den Atomkern herum. Die Tetraederwolke mit dem Sauerstoffkern im Zentrum sorgt für einen optimal weiten Abstand der einander abstoßenden negativen Ladungen der einzelnen Elektronen und der Paare, die sich in jedem Orbital aufhalten. Zwei der Orbitale sind mit je einem Elektronenpaar voll besetzt und haben kein Magnetfeld. In den beiden anderen Orbitalen wartet je ein magnetisches Elektron auf ein weiteres Elektron, das die „bindenden“ Orbitale auffüllt und das Magnetfeld aufhebt. Ein Sauerstoffatom kann nun entweder mit seinesgleichen ein Sauerstoffmolekül, O2, bilden oder mit anderen Atomen reagieren.

Abb. 1.6 Massenspektrum eines Gemischs aus , HD+ und H+. Die Ionen sind durch Fragmentierung einer Probe beim Beschuss mit energiereichen Elektronen entstanden.

Im Weltall herrscht ein Überangebot von Wasserstoff; bei Temperaturen über –70°C gibt es dort deshalb keinen elementaren Sauerstoff, sondern ausschließlich Wasser. Zwei Wasserstoffatome lagern dazu ihre Elektronen in die beiden halb leeren Orbitale des Sauerstoffatoms ein und verkleinern den Tetraederwinkel von 109° auf 105°, weil die abstoßende Wirkung der Elektronen zwischen den Protonen kleiner ist als die zwischen zwei ungebundenen Elektronenpaaren (Abb. 1.7).

Abb. 1.7 Oben: Das Sauerstoffatom mit sechs Außenelektronen. Nur zwei Orbitale sind halbbesetzt und können Elektronen von anderen Atomen, zum Beispiel von zwei Wasserstoffatomen, aufnehmen. Unten: Die tetraedrische Struktur des Wassers mit dem Sauerstoffatom, O, im Zentrum, den großen „Wasserstoffflügeln“ H+ vorne und den etwas weniger voluminösen Elektronenpaaren hinten (Modell von Elektronenpaaren in lokalisierten Orbitalen). Alle Orbitale des Sauerstoffs und des Wasserstoffs sind mit Elektronenpaaren besetzt: zwei Paare binden die Wasserstoffatome an den Sauerstoff, zwei weitere Paare sind nur mit dem Sauerstoffatom verbundene „einsame“ oder „nichtbindende“ Elektronenpaare. Der Bindungswinkel ist 105°, also kleiner als der Tetraederwinkel von 109°. Das zeigt, dass ein Teil der Elektronen sich in einem kugelförmigen Orbital befindet, was die Abstoßung der Elektronenpaare und damit den Spreizwinkel des Tetraeders vermindert.

Die Namen „Sauerstoff“ und „oxygen“ (O, griech. oxygen, „Säure-Bildner“) beruhen auf einem Irrtum der ersten Chemiker, die Ende des 18. Jahrhunderts darum kämpften, Mystik und Scharlatanerie der Alchimisten (Goldmachen, Stein der Weisen, künstlicher Mensch Homunculus) mithilfe von Waage, Elementaranalyse und Synthese hinter sich zu lassen. Man hatte noch wenig vermessen und glaubte, dass alles, was sauer schmeckt und Eisenpulver auflöst, Sauerstoff enthält. Das stimmt auch für alle biologischen Säuren außer Salzsäure, HCl. Tatsächlich aber sind es die Protonen, die sauer schmecken und biologische Zellen töten.

Das Sauerstoffmolekül, O2, tritt, soweit das Weltall vermessen wurde, in größerer Menge nur auf der Erde auf, wo Pflanzen es in der Photosynthese aus dem Wasser mithilfe von Sonnenlicht freisetzen (Seite 274 ff). Die Sonne wandelt hier das Sauerstoffatom des Wassers (elektronenreich; Yin) in das Sauerstoffatom des Sauerstoffmoleküls (elektronenarm; Yang) um. Wasser wurde damit erst auf der Erde zur Wandlungsphase eins, zum Lebensspender.

Sauerstoffatome aus der Photosynthese haben vier innere Elektronen, die nicht nach außen wirken, und vier Einzelelektronen in vier halbbesetzten Außenorbitalen. Wenn sich zwei Sauerstoffatome verbinden, läge die Bildung einer Doppelbindung aus zwei Elektronenpaaren nahe. Dann blieben insgesamt vier nichtbindende Elektronenpaare übrig. Die Sauerstoffatome aber wählen eine andere, energieärmere Variante: Sie bilden eine Dreifachbindung aus, indem zusätzlich zu der Doppelbindung eine dritte Bindung aus „halbierten“ Elektronenpaaren der Sauerstoffatome erzeugt wird. Dabei bleibt jeweils ein einzelnes Elektron pro Atom übrig. Es entsteht ein Biradikal , ein Molekül mit zwei ungepaarten Elektronen. Diese Elektronen befinden sich in einem energiereichen Molekülorbital, das „antibindend“ wirkt. Der Energiegewinn aus der Bildung der Dreifachbindung wird dadurch zum großen Teil aufgehoben, aber eben nicht völlig. Die O–O-Bindungslänge entspricht der einer Doppelbindung und Luftsauerstoff liegt vollkommen in dieser Biradikal-Form vor.

Ungepaarte Elektronen machen das Molekül magnetisch. Dieser „para“magnetische Grundzustand verbietet es dem Sauerstoff, direkt mit diamagnetischen (nicht magnetischen, keine ungepaarten Elektronen besitzenden) organischen Molekülen zu reagieren. Sauerstoff ist zwar ein starkes Oxidationsmittel (Yang) und biologische Zellen sind starke Reduktionsmittel (Yin), trotzdem sind die reduzierenden Wälder und Felder in der Luft stabil, trotzdem können Tiere die Luft einatmen, ohne dabei Schaden zu nehmen. Das ist ausschließlich im paramagnetischen Grundzustand des Sauerstoffs begründet. Chlorgas hat etwa das gleiche Oxidationspotenzial von etwa 1,3 Volt wie Sauerstoff, ist aber diamagnetisch. Eingeatmet zerstört Chlor die menschliche Lunge in wenigen Minuten.

Paramagnetischer Sauerstoff ist schwach blau, was sich besonders in der Flüssigkeit zeigt (Siedepunkt: –170°C). Das Sauerstoffmolekül absorbiert rotes Licht und wird dabei in einen angeregten Zustand überführt, der keine Dreifach-, sondern die oben vorausgesagte Doppelbindung enthält. Dieser diamagnetische Sauerstoff ist ein viel aggressiveres Oxidationsmittel als das Biradikal. Das Sauerstoffmolekül ist das einzige natürliche Oxidationsmittel auf der Erdoberfläche, und es wirkt wegen seines Biradikalcharakters sehr langsam. Der Paramagnetismus des Sauerstoffmoleküls ist jedenfalls eine unbedingte Voraussetzung für das Überleben der Pflanzen und Tiere in einer oxidierenden Atmosphäre (Abb. 1.8).

Abb. 1.8 Die beiden Formen des Sauerstoff- Moleküls. Links: Der energiearme, magnetische, biradikalische Zustand des Luftsauerstoffs mit sechs bindenden und vier nichtbindenden Elektronen. Damit hat jedes Sauerstoffatom acht Elektronen in seinen vier energiearmen Orbitalen (siehe Abb. 1.19). Die beiden übrig bleibenden Einzelelektronen finden dort keinen Platz mehr und werden in energiereicheren, antibindenden Orbitalen untergebracht. Rechts: Der angeregte, nicht magnetische Zustand mit vier bindenden (Doppelbindung) und acht nicht bindenden Elektronen. Er entsteht in geringer Ausbeute bei der Einstrahlung von sichtbarem Licht auf den biradikalischen Sauerstoff.

Im Weltall werden Sauerstoffmoleküle kaum beobachtet. Sie reagieren oberhalb von –70°C spontan mit dem allgegenwärtigen Wasserstoff zu Wasser. Das Wasserstoffmolekül H2 ist das einfachste aller chemisch wirksamen Reduktionsmittel, seine reduzierende Kraft gleicht der von biologischen Organismen. Das elektrochemische Potenzial des Paars H2/2H+ liegt bei null Volt, das der Körperflüssigkeiten des Menschen auch. Das Sauerstoffmolekül ist das einzige Oxidationsmittel des Universums und der Erde. Wasserstoff und Sauerstoff reagieren zu Wasser, wenn sie sich unter geeigneten Bedingungen begegnen.

Für das Sonnenlicht, das die Erde erreicht, ist Wasser der wichtigste Absorber. Etwa 70% der atmosphärischen Absorption beruht auf Wasser. In der Nacht kühlt sich deshalb die nicht bestrahlte Erdhälfte nur langsam ab. Unser Gewächshaus funktioniert deshalb auch bei zeitweiliger Dunkelheit.

Die Wasserbildung im Weltraum lässt sich wegen der Wassermassen in der Atmosphäre nicht direkt beobachten und messen. Satellitengebundene Infrarot-Spektrometer (ISO) aber machen das möglich. Besonders intensive Banden der H2O- und HDO-Absorptionsbanden finden sich bei Frequenzen von 1595 und 3756 Schwingungen pro Zentimeter (cm–1) bzw. 1403 und 3707 cm–1. Zeitabhängige und quantitative Daten vom relativ nahen Orionnebel belegen, dass dort täglich Wolken aus Eiskristallen neu entstehen, deren Masse 1011 km3 flüssigen Wassers entspricht. Das ist 60-mal mehr Wasser als auf der Erde seit sechs Milliarden Jahren festgehalten wird. Alles Wasser der Erde wird also heute jeden Tag 60-mal in einem einzigen Weltraumnebel geschaffen!

Das Wasser der Erde, ihr leichtestes Molekül, stammt als einziges der sieben nicht aus der biologischen Evolution auf der erkalteten, doch von der Sonne beschienenen Erdoberfläche, sondern war von vorneherein ein integraler Bestandteil des Chemielabors Erde. Dort wurde es vor sechs Milliarden Jahren in die Silicat-, Eisen- und Nickeloxidgitter des Weltraumstaubs eingebaut, aus dem sich der Planet Erde bildete (vorwiegend war das wohl Tonerde), oder es bildete Eismäntel auf den Meteoren. „Ton“ ist ein Wort germanischen Ursprungs und bedeutet „dicht“. Eine Tonne trockenen Tons sammelt 150 kg Wasser in den Zwischenräumen der Silicatschichten und gibt es unter Hitze- und Druckeinwirkung wieder ab (Abb. 1.9).

Abb. 1.9 Meteoriten enthalten oft viel Kohlenstoff und Wasser in Form von Graphit bzw. Eiskristallen. Diese Rohstoffe wurden auf der Erde zur Ausgangsbasis der biologischen Evolution; die anorganischen Oxide dominieren die irdische Geologie.

Vor knapp fünf Milliarden Jahren schmolz der Planet Erde dann unter dem Druck der in ihm wirkenden Gravitationskräfte zu einer glühenden Kugel aus viel Eisen- und Nickeloxid (Seite 266) im Kern und Aluminiumsilicaten in der Schale zusammen. Das Wasser wurde entweder chemisch an die Oxide der Erde gebunden oder in Wolken aus Wassertropfen und Eiskristallen gespeichert, die infolge der Schwerkraft der Erde nicht im Weltall „verschwanden“. Das „heute“ entstehende Orionwasser ist „frisches Wasser“ im Vergleich zum Erdwasser: Die Wasser erzeugenden Orionnebel sind nur wenige Lichtjahre von uns entfernt, die Eisnebel sind bestenfalls ein paar Millionen Jahre alt und wachsen noch heute. „Alles fließt“ in der Erdgeschichte – dank Wasser.

Es ist vor allem das Wasser, das Erdklima, biologische Evolution und Menschheitsgeschichte zueinander geführt hat. Die biologische Evolution der anderen sechs Moleküle konnte vor drei bis vier Milliarden Jahren beginnen, als die Erdoberfläche genügend abgekühlt war, um flüssiges Wasser aufnehmen zu können.

1.2 Cluster

Wir kommen zum Molekülbegriff, zum Einzelteilchen des Wassers, H2O. „Molecula“ ist der letzte lateinische Diminutiv von Masse. Für die alten Römer war das eine verniedlichende Form, „klein“ im Sinne von „äußerst unwichtig“. Chemiker sehen das seit 200 Jahren anders: Das Wort Moooleeeküüül beherrscht ihr Denken und ihr Berufsleben, es bedeutet für sie etwa: „Zur Sache, Schätzchen!“ oder „Na, Kleines, wir werden das Ding schon schaukeln.“ Jedes Problem, das auf die Dimension der Moleküle reduziert werden kann, ist für den Chemiker anschaulich und lösbar: Er isoliert und reinigt chemische Verbindungen, die aus einer einzigen Molekülsorte bestehen, erarbeitet eine individuelle Strukturformel für das Molekül, was einer absolut genauen, unumstößlichen Vermessung seiner Architektur entspricht, und charakterisiert seine Eigenschaften. Danach wandelt er es in beliebig viele Abkömmlinge („Derivate“) um und verkauft die Nützlichsten als Arzneimittel, Farben, Waschmittel, Parfums, Werkstoffe oder was immer gerade gebraucht wird. Reinigen und Verkaufen – alles kein Problem, solange sich der Chemiker dabei auf eine Molekülsorte zur Zeit beschränken darf. Dann nimmt er sich das nächste und das nächste Molekül vor und wählt wiederum die Nützlichsten für immer neue Zwecke aus. Heute kennt man zwischen 107 und 108 verschiedene Moleküle, genau weiß das niemand.

Es ist gut, um die unsichtbare Kleinheit und gigantische Zahl der Moleküle zu wissen, was allerdings nicht bedeuten kann, dass man sie sich „vorstellen“ kann. Zahl und Kleinheit sind jenseits der menschlichen Erfahrung.

99 von 100 Molekülen des Menschen sind Wassermoleküle. Wie kommt man darauf? Bei einem Gewicht von z.B. 75 kg enthält ein Mensch etwa 50 kg Wasser, was sich aus einer einfachen Bilanz der Volumen des Bluts, des Zellwassers und des Zwischenzell- (interstitiellen) Wassers sowie aus der Analyse der Zusammensetzung von Muskeln und Nerven ergibt. Die restlichen 25 kg, das heißt etwa 35 Gewichtsprozent, sind die Proteine der Muskeln, die Lipide der Nerven, Zellmembranen und Fettgewebe sowie das Calciumphosphat der Knochen. Die durchschnittliche relative Masse der leichtesten dieser Komponenten (Fette, Calciumphosphat) bezogen auf das Wasserstoffatom liegt bei 350, das der Proteine über 1000, das des Wassers bei 18. So kann man grob ansetzen, dass alle anderen Moleküle unseres Körpers im Durchschnitt wenigstens 30-mal schwerer als ein Wassermolekül sind. 1/30 von 35% ist etwa ein Gewichtsprozent. Wenn wir unsere Moleküle zählen, ist nur ein Molekül von hundert etwas anderes als Wasser.

Jedes Mol einer Molekülsorte umfasst 6×1023 einzelne Moleküle. 1 mol Wasser, das sind 18 g oder 18 mL, enthält also 6×1023 identische Moleküle H2O. 50 kg oder 50 L Wasser sind dann 6×1023×55,5×50=1,6×1027 Moleküle Wasser (der Faktor 55 kommt durch die Umrechnung von 18 mL für ein Mol auf 1000 ml für Mol pro Liter zustande). Die Gesamtzahl aller anderen Moleküle eines durchschnittlich schweren Mannes liegt dann etwa bei 1×1026 bis 2×1026 Molekülen. Die Zahl der Wassermoleküle in einem erwachsenen Menschen lag zu allen Zeiten in der Größenordnung von 1027; das durchschnittliche Körpergewicht schwankte immer nur zwischen (ungefähr) 40 und 120 kg. Ein Fettwanst mit 1028 Wassermolekülen (600 kg) wurde bisher ebenso wenig beobachtet wie ein Klapperdürrer mit nur 1026 Molekülen (6 kg). Die Anzahl der Wassermoleküle ist also bei allen Menschen ziemlich gleich, und zwar ungefähr 1,6×1027; einen qualitativen Unterschied („bessere“ oder „schlechtere“ Wassermoleküle) gibt es schon gar nicht. Für die anderen sechs Moleküle, die in diesem Buch beschrieben werden, gilt das genauso. Lecithin und ATP von Cleopatra, Einstein oder Dschingis Khan unterscheiden sich nicht im Geringsten von Ihrem, freundlicher Leser. Leicht zu analysierende, aber unendlich schwer zu deutende Unterschiede gibt es lediglich zwischen den Anordnungen der Untereinheiten der DNS (Vererbung und Evolution) und, vor allem, zwischen den mehr oder weniger originellen Wasserwegen, die die Synapsen der Nerven des Gehirns (Lernen und Schöpfen) mit den Muskeln (Bewegung und Leben) verbinden.

Beginnen wir also unser Studium der molekularen Welt mit der Zahl der Wassermoleküle in jedem von uns. Was bedeutet 1027? Zunächst ist das nichts weiter als eine Eins mit 27 Nullen dahinter.

Die große Zahl lässt sich nicht fühlen.Das Hirn allein kann damit spielen.

Ein erster Versuch der Veranschaulichung mit der kapitalistischen Methode des Geldzählens scheitert kläglich. Gäbe es 1027 Cent auf der Welt und würde man sie auf die maximal 100 Milliarden (1011) Menschen aller Zeiten gleichmäßig verteilen, so hätte jeder Mensch ein Vermögen von 1016 Cent oder 1014 Euro zur Verfügung. Das sind hunderttausend Milliarden Euro. So viel Geld (pro Mensch) ergibt keinen Sinn. Der Cent ist offensichtlich ein zu großes Modell für ein Molekül. Nehmen wir stattdessen das gedruckte chinesische Symbol für das Wasser, das Zeichen („schui“) und versuchen, dieses Symbol 1027-mal aufzuschreiben. Der erste Übergang von 100=1 zu 101=10 Molekülen bedeutet die Addition von 9 Molekülen. Der nächste „Sprung“ von 101 auf 102=100 Moleküle bedeutet schon 90 , der Sprung von 102 auf 103 braucht 900 , zu 104 gelangt man nur mit 9000 zusätzlichen . Zehntausend oder 104 ist bereits der letzte Schritt des I-ming-Systems der Chinesen. Sie lehnten es ab, weiter zu zählen, es dauerte zu lange bis hunderttausend zu zählen, es machte keinen Sinn. Für den wissenden Chinesen begann jenseits von Zehntausend das Unendliche. Wir sind aber noch unendlich weit entfernt von 1027. 104 ist nichts dagegen.

Die Anzahl der Moleküle in einer geringen Masse ist so groß, dass sie in Exponenzialzahlen aufgeschrieben werden muss und unvorstellbar bleibt. Man muss hier verinnerlichen, dass jeder letzte Sprung um eine einzige Zahl im Exponenten, also zum Beispiel von 1022 auf 1023 Moleküle, zehnmal mehr Moleküle bedeutet. Der letzte Sprung bringt immer die entscheidenden 90%. Der letzte Sprung von 1026auf 1027Moleküle entspricht schließlich 900 000 000 000 000 000 000 000 000 schui-Zeichen . Dafür bräuchte man ein Buch, dessen Papieroberfläche 60 Millionen Erdoberflächen entspräche und das größer und schwerer wäre als die Erde selbst (Abb. 1.10).

Abb. 1.10 Im Bild ist die Zahl 10 000 veranschaulicht – für die Philosophen Chinas der Sprung ins Unendliche. Bis 10 000 konnte man unter normalen Lebensumständen noch zählen, bis 100 000 nicht mehr, das dauerte auch für das gelassene Gemüt zu lange.

Auch das kleine schui-Zeichen für Wasser ist also viel zu groß, um die Zahl 1027 auf Erden zu veranschaulichen. 18 mL Wasser aber, die gerade so viele Moleküle enthalten, kann sich jeder problemlos vorstellen.

Ebenso wie die große Zahl der Moleküle sind deren winzige Maße leicht zu berechnen, aber nicht zu begreifen. Ein Mol Wasser füllt einen Raum von 18 cm3, ein Molekül hat also ein Volumen von 18×10–6 m3/6×1023 oder 0,03×10–27 m3 oder 0,03 nm3. 33 Moleküle Wasser passen in einen Kubiknanometer. Ein Kubiknanometer verhält sich zur Größe eines normalen Spielwürfels wie dessen Volumen zu dem eines Würfels von 1000 km Kantenlänge. Das ist ein sehr großer Würfel, wenn man sich daran erinnert, dass der Mount Everest nur knapp 10 km hoch ist.

Die Anzahl der Moleküle mit gleichen Eigenschaften in unserem Körper ist sehr hoch. Selbst das Millionstel Milligramm eines Steroidhormons im Blut bedeutet immer noch etwa 1013 Moleküle. Der biologische Nutzen dieser hohen Zahlen liegt auf der Hand: Wenn eines der Hormonmoleküle kaputt geht oder sein Ziel verfehlt, an sinnlosen Proteinen andockt (Seite 154 ff), so macht das nichts aus, weil Milliarden und Milliarden anderer Moleküle den gewünschten („nützlichen“) Effekt durchsetzen werden. Das System wird erst versagen, der Organismus erst sterben, wenn entweder die Produktion wichtiger Moleküle völlig aufhört oder ihr Transport nicht mehr funktioniert; das einzelne Molekül aber wird im Strom des Lebens problemlos durch Seinesgleichen ersetzt. Jedes einzelne Molekül kann an der richtigen Stelle eine Kaskade von Millionen Reaktionen auslösen.

Die Summenformel des Wassers, H2O, ist wie die ganze Chemie nicht älter als die Zauberflöte Mozarts. Man ermittelte sie durch elektrochemische Spaltung (Elektrolyse) des flüssigen Wassers in die Gase Wasserstoff und Sauerstoff: Zuerst legte man ein negatives Potenzial an und reduzierte bei –0,5 V die Protonen H+ zu Wasserstoffmolekülen (4H+ → 2H2), dann oxidierte man bei +1,5 V die übrig bleibenden OH–-Anionen zu Sauerstoff (4OH– → O2+2H2O) und achtete darauf, dass bei der Oxidation an der Anode und der Reduktion an der Kathode die gleiche Menge Strom (Ampère pro Sekunde) geflossen war. Dann entstanden an der Kathode zwei Volumen Wasserstoff, an der Anode wurde ein Volumen Sauerstoff gebildet. Das Schema dazu ist auf Seite 54 abgebildet. Das Volumenverhältnis 2:1 entspricht der dem H:O-Atomverhältnis in H2O, das Gewichtsverhältnis den relativen Molekülmassen von H2 (2) und O2 (32): 44,6 Liter Wasserstoffgas wiegen vier Gramm, 22,3 Liter Sauerstoffgas wiegen 32 Gramm. Daraus bilden sich 2 Mol oder 36 Gramm oder 36 Milliliter flüssiges Wasser, 2H2O (Abb. 1.11).

Abb. 1.11 Die Ermittlung der Summenformel eines Moleküls am Beispiel des Wassers: Zwei Liter Wasserstoffgas H2 plus ein Liter Sauerstoffgas O2 ergibt zwei Liter Wassergas H2O. Wägt man die Gase ab, so findet man, dass sich immer acht Gramm Sauerstoff (=ein halbes Molatom) mit einem Gramm (=1 Molatom) Wasserstoff zu 9 Gramm Wasser verbinden. Anfang des 19. Jahrhunderts nahm man deshalb für Wasser die Summenformel OH an, das Atomgewicht des Sauerstoffs war acht. Später korrigierte man zu H2O und 16.

Die Eigenschaften des Wassers werden von den beiden elektropositiven Wasserstoffatomen und den beiden negativen Elektronenpaaren an der Oberfläche des Wassermoleküls bestimmt. Das dicke Sauerstoffatom im Zentrum dient dabei nur als Chassis zur Aufhängung der Ladungen an den Ecken eines Tetraeders. Alle 1045 Wassermoleküle der Erde haben die Gestalt eines molekularen Schmetterlings mit zwei Wasserstoffflügeln, einem Sauerstoffkörper und Elektronenwolken.

Exklusiv für das Wasser, das dominierende und einfachste Molekül des Lebens, soll jetzt die Chemie und die Elektronenstruktur realistisch betrachtet werden, so wie sie sich aus Computermodellen ergibt. Dabei wird vorausgesetzt, dass nicht nur einzelne Elektronenpaare zwei Atomkerne zusammenbinden, sondern dass alle Elektronenpaare in verschiedenen Orbitalen bindende Beiträge liefern. Beim Wasser ergibt dieses Molekülorbitalmodell, dass insgesamt sechs von insgesamt zehn Elektronen des Systems an chemischen O–H-Bindungen beteiligt sind. Die inneren beiden Elektronen des energieärmsten kugelförmigen Orbitals des Sauerstoffatoms sind abgeschirmt und binden nicht mit. Zwei bindende Orbitale für je zwei Elektronen enthalten dann erwartungsgemäß Elektronenwolken hoher Dichte zwischen dem Sauerstoff- und den beiden Wasserstoffatomen. Das sind die klassischen O–H-Bindungen. Das dritte Elektronenpaar entfernt sich zwar von allen drei Atomkernen und schwebt weitgehend isoliert über dem Sauerstoffatom, enthält aber auch noch bindende Elektronen, die zur Elektronendichte zwischen den Atomen beitragen. Sechs Elektronenpaare halten also die Atomkerne zusammen, die „bindenden Elektronen“. Nur das vierte äußere Elektronenpaar ist vollkommen am Sauerstoffatom lokalisiert und weder bindend noch antibindend, sondern schlicht „nichtbindend“.

Das Orbitalmodell des Moleküls liefert auch antibindende, energiereiche Orbitale, die im Grundzustand des Wassers nicht mit Elektronen besetzt sind, sondern erst erreicht werden, wenn dem Molekül viel Energie (kurzwelliges UV-Licht, Röntgenstrahlung, sehr hohe Temperaturen) von außen zugeführt wird. Elektronen in einem antibindenden Orbital haben die Räume zwischen den Atomkernen verlassen und treiben die Kerne des Moleküls auseinander, bewegen sich aber oft zwischen Atomen, die in dem gegebenen Molekül nicht direkt nebeneinander stehen. Hier bahnen sich dann „Umlagerungen“ an, aus Wasser wird bei der Zersetzung Wasserstoff, H2. Intensive, energiereiche Strahlung zerlegt deshalb das Wassermolekül in seine Atome, führt schließlich zu neuen Molekülen.

Dieses Phänomen ist typisch für alle Moleküle: Die Absorption von viel Energie zerstört sie, weil die Elektronen die bindenden Orbitale um die Atomkerne herum verlassen. Die Kenntnis dieser Molekülorbital-Geometrie bildet eine nützliche Basis für das Verständnis der Chemie des Wassermoleküls im Grundzustand und im angeregten Zustand. Manche experimentellen Beobachtungen lassen sich damit deuten, wichtiger noch, neue Experimente lassen sich planen. So lassen sich die Energien und Wege berechnen, mit denen man Wasser zersetzen und wieder bilden kann, was zur Grundlage des Betriebs vieler moderner Maschinen (Explosionsmotor, Hybridantrieb, Brennstoffzelle) werden kann (Abb. 1.12).

Abb. 1.12 Links: Die ersten Rechnungen mit dem „delokalisierten Orbitalmodell“ (= jede Elektronenwelle verteilt sich auf mehrere Orbitale) zu den beiden O–H-Bindungen des Wassers zeigten die Beteiligung von sechs Elektronen daran. Das dritte Elektronenpaar von unten ist dabei weitgehend, aber nicht völlig nichtbindend. Erst beim vierten, nichtbindenden Elektronenpaar ergaben sich tatsächlich Räume ohne Elektronendichte zwischen den Sauerstoff- und Wasserstoffatomen. Beim antibindenden Orbital schließlich fand man nur minimale Elektronendichte am Sauerstoff, aber zwischen den Wasserstoffatomen war sie sehr hoch. Wenn dieses Orbital besetzt ist, wird das Wassermolekül also molekularen Wasserstoff, H2, abspalten, der dann viel stabiler wird als das Wasser. Nach H.B. Gray, G. Haight, Principles of Chemistry, Benjamin, 1967.

Die Art und Anordnung der Atomkerne bestimmt Masse und Gestalt eines Moleküls im Ruhezustand. Die Wechselwirkungen der Elektronenwolken aber dominieren die physikalischen Eigenschaften der Gase, Flüssigkeiten und Festkörper und vor allem die chemischen Reaktionen. Der Grundzustand definiert dabei lediglich die Startposition eines Moleküls. Wenn die vom Sonnenlicht initiierte Photosynthese, die Verbrennung von Nahrungsmitteln in der Atmung oder die Synthese von Proteinen losgeht, dann werden Elektronen in instabile, energiereiche Orbitale gehoben, dann kann Wasser zersetzt oder irgendwo angelagert werden (Seite 48, 49, 54, 58).

Ein einzelnes Wassermolekül gibt es auf der Erde kaum. In flüssigem Wasser, und darum geht es in der Wandlungsphase eins, zieht jedes Wassermolekül mit seinen elektropositiven Protonen und elektronegativen Elektronenpaaren vier andere Wassermoleküle zu sich heran. Ein Wasser-Pentamer (H2O)5 entsteht, dessen molekulare Masse der von neunzig Protonen entspricht. Dieser elementare Wassercluster (engl. „Haufen“) ist die Grundeinheit flüssigen Wassers. Jedes Wassermolekül ist am liebsten mit vier Nachbarmolekülen über so genannte Wasserstoffbrücken H···O···H verknüpft: Die Protonen kleben an Sauerstoffatomen benachbarter Wassermoleküle, die Elektronen der Sauerstoffatome kleben an Protonen.

Die Clusterbildung sorgt für die enorme Wärmespeicherfähigkeit des flüssigen Wassers. Die Wärmekapazität ist hoch, solange die Cluster intakt sind, in denen die Wassermoleküle in unterschiedlichster Weise durch Wärmebewegungen verschoben werden. Dieser Effekt lässt erst bei Temperaturen oberhalb von 37°C nach. Bei 38–42°C bricht ein Cluster nach dem anderen auf. Bei 37,5°C sind 0,6 cal/mL oder etwa 30 kcal für die 50 L Wasser eines Erwachsenen erforderlich, um die Körpertemperatur um ein Grad auf 38,5°C anzuheben. Bei dieser kritischen Temperatur („Fieber“) zerfallen viele polarisierte Cluster in den engen Kapillaren des Blutkreislaufs (Seite 50, 104 und 144ff) und in den Hydrathüllen der Ladungsträger von Nerven und Muskeln (Seite 211). Überhitzung auf 40°C kann dort ein lokales Chaos und einen biologischen Kollaps erzeugen. Deshalb ist es gut, dass die Cluster im Volumenwasser und das Verdampfen an der Hautoberfläche („Schweiß“) kühlend wirken und dass die Wärmekapazität des Wassers so hoch ist (Abb. 1.13).

Abb. 1.13 Jedes Wassermolekül umgibt sich in flüssigem und festem Wasser mit wenigstens vier anderen Wassermolekülen. Dabei bildet jedes kovalent gebundene Wasserstoffatom eine Wasserstoffbrücke (gestrichelt) zu einem Elektronenpaar eines benachbarten Wassermoleküls. Die Bindungsenergie einer Wasserstoffbrücke liegt um 5 kcal/mol, die Wärmeenergie bei 20°C beträgt etwa 0,6 kcal/mol; das bedeutet, alle Wassermoleküle sind bei Raum- oder Körpertemperatur miteinander verbrückt. Abbildung a) zeigt das Pentamer, das b) in einer Ebene zu hexagonalen Mustern führt. Es ist im flüssigen Wasser bei 4°C optimal verwirklicht. c) Dieses Modell zeigt ein bei 20°C häufig auftretendes gestörtes Muster; zusätzliche Wassermoleküle drängen sich in die Lücken der hexagonalen Anordnung. d) Situation bei 37°C, der Körpertemperatur: 40% der regelmäßigen Cluster sind durch gestörte ersetzt. Solche Temperaturbilder stammen aus Computermodellen.

Das Pentamer ist aber nicht alles. Besonders wichtig für die Eigenschaften flüssigen Wassers ist ein sechstes Wassermolekül, das sich wie eine spitze Gabel mit einem Extra-Wasserstoffbrücken-Paar in jedes leicht gestörte Tetraeder hineindrängt und zu einer größeren Dichte des Wassers führt. Das sechste Wassermolekül wandert blitzschnell um das gestörte Tetraeder herum und beseitigt so die Zähflüssigkeit oder „Viskosität“ des Wassers, die sich aus steifen Clustern ergeben würde. Ungestörte Wasserstoffbrückensysteme würden das Wasser zähflüssig wie Glycerin machen, das unstete Drängen des sechsten Moleküls in die Cluster hinein aber bewirkt die wunderbare Fluidität des Wassers, die unser Leben und die Meereswellen beschwingt (Abb. 1.14).

Abb. 1.14 Links: Das Zustandsdiagramm des Wassers. Festes Wasser hat immer eine Temperatur unterhalb von 0°C. Druckunterschiede beeinflussen die Struktur flüssigen Wassers kaum. Rechts: Wasser hat eine hohe Oberflächenspannung: Die Moleküle an der Grenze zwischen Luft und Wasser werden durch Wasserstoffbrücken von unten fixiert, weshalb sie erst bei +100°C verdampfen und nicht bei –200°C wie molekularer Sauerstoff.

Das fluktuierende Wasser-Hexamer führt zu extrem komplexen Verhaltensmustern des Volumenwassers, deren molekulare Ursachen oft schwer zu enträtseln sind. Ein Molekül im Zentrum, vier reguläre Wasserstoffbrücken zu nächsten Wassermolekülen, der bewegliche Lückenfüller und größere, ebenso irreguläre Folgecluster sind als Basis für eine einfach-durchsichtige, quantitative Deutung und Berechnung der Eigenschaften großer Wasservolumen kaum zu brauchen. Hier bleibt der molekular denkende Chemiker ratlos; die Welt der tau-send gleichzeitig auftretenden „intermolekularen“ Wechselwirkungen verschieden zueinander gelagerter und fluktuierender Moleküle verwirrt ihn nur. Das realistische molekulare Modell ist zu kompliziert, die gemessenen physikalischen Besonderheiten des flüssigen Wassers sind es auch.

Nützlicher ist hier ein statistischer Überblick, das klassische Zustandsdiagramm des Wassers. In den Grenzbereichen dieses Diagramms, an den die Zustände voneinander trennenden Linien, stehen Eis und flüssiges Wasser und Wasserdampf im Gleichgewicht.

Der freie Raum über flüssigem oder festem Wasser füllt sich bei wachsender Temperatur und bei sinkendem Druck mit steigenden Mengen Wasserdampf, die Luft wird feucht. Der Ausdruck „Gleichgewicht“ bedeutet dann, dass heißere Moleküle die Flüssigkeit oder das Eis an der Oberfläche verlassen, während kältere Moleküle des Dampfes zur Flüssigkeits- oder Eisoberfläche zurückkehren. Hitze und niedriger Druck treiben viel Dampf in die Luft, niedrige Temperaturen und hoher Luftdruck lassen sie austrocknen. Das Zustandsdiagramm in Abbildung 1.16 zeigt, dass ein Temperaturanstieg in Eis um 10°C (von –10°C auf 0°C) einen relativ größeren Effekt auf die Menge des verdampften Wassers hat als derselbe Anstieg zwischen null und 37°C in flüssigem Wasser. Danach steigt die Verdampfungskurve stärker an und wird naturgemäß nahe dem Siedepunkt von 100°C sehr steil. Der Siedepunkt des Wassers liegt mit 100°C sehr hoch. Molekularer Sauerstoff, dessen relative Molekülmasse fast doppelt so hoch wie die des Wassers ist, siedet schon bei –182°C. Das alles kommt durch die Volumenwirkung der Cluster zustande, die es nur beim Wasser gibt.

Die Stabilität der Cluster, die daraus resultierende Oberflächenspannung flüssigen Wassers und Tröpfchenbildung im Gas sind für den hohen Siedepunkt verantwortlich. Oberhalb von 100°C verdampft schließlich alles Wasser (Siedepunkt), dessen Dampfdruck erreicht dann den Druck der Außenluft. Weder flüssiges Wasser noch der Dampf darüber erhitzen sich bei Normaldruck über 100°C, die Temperatur des Dampfs steigt erst weiter, wenn alles Wasser gasförmig geworden ist, wenn alle Tröpfchen („Nebel“) im Dampf verschwunden sind.

Der Siedepunkt des Wassers ist deshalb so hoch, weil Wassermoleküle an der Oberfläche durch Wasserstoffbrücken von den Clustern im Volumenwasser festgehalten werden. Die gleiche Ursache führt auch dazu, dass das Oberflächenwasser noch stärker geordnet ist als das Volumenwasser. Wasser benetzt hydrophile Oberflächen nur langsam und wird von hydrophoben Oberflächen abgestoßen, weil die Wasserstoffbrücken zum Innenvolumen mit den fremden Oberflächen konkurrieren und sich, wenn sie gelöst sind, schnell wieder schließen.

Flüssiges Wasser hat bei 4°C seine höchste Dichte und ist dann dichter als festes Eis. Bei einem Druck von eintausend Atmosphären, wie sie etwa die schmale Kufe eines Schlittschuhs auf einer Eisoberfläche erzeugt, sinkt der Schmelzpunkt des Eises bis auf –7,5°C ab und der Schlittschuh gleitet auf einem Wasserfilm. Ist das Eis aber kälter, wird es stumpf. Eis gibt es wegen seiner relativ geringen Dichte nur bei Temperaturen unter 0°C. Eine Druckerhöhung bei höheren Temperaturen begünstigt den flüssigen gegenüber dem festen Zustand, weil flüssiges Wasser von 4°C die größte Dichte hat. In Eis gibt es kein bewegliches Molekül mehr, das Lücken schließt. Das sechste, bewegliche Molekül flüssiger Wassercluster ist in das feste Kristallgitter eingefügt worden und dieses Gitter ist weniger dicht als flüssiges Wasser.

Das Volumen flüssigen Wassers vermindert sich unter einem äußeren Druck kaum, die „Kompressibilität“ ist mit 0,003 Volumenprozent pro Atmosphäre (oder kilobar) sehr gering. Zwar ist diese Eigenschaft allen Flüssigkeiten gemeinsam, aber außerdem ist das Wassermolekül extrem leicht und wegen der Cluster und deren Beweglichkeit extrem gut geeignet zur kooperativen Bildung von langen und hohen Wellen. Hinzu kommt, dass sich Oberflächenwasser sehr stark vom Volumenwasser unterscheidet: Ersteres ist nur mit durchschnittlich drei Wassermolekülen verbunden anstatt mit fünf. Wenn ein Wassermolekül an die Oberfläche drängt, muss es daher zwei Nachbarn abstreifen und bekommt dafür nichts als den Kontakt mit ein bisschen gasförmiger Luft. Jedes Oberflächenmolekül drängt deshalb zurück ins Volumen, wo es vollkommen von anderen Wassermolekülen umgeben ist. Wenn irgend möglich, bildet das Wasser große Tropfen mit einer kleinen Oberfläche oder aber stabile Schichten auf Oberflächen, die OH-Gruppen für Wasserstoffbrücken bereit stellen. Der Energieaufwand, der zu betreiben ist, um Moleküle aus dem Volumen an die Grenzfläche zu Gasen zu befördern, heißt Oberflächenspannung. Beim Wasser ist diese hoch, bei organischen Lösungsmitteln niedrig.

Die Wirkung hoher Wellen im Sturm wird übertroffen von jener flacher Tsunamis (jap. „große Welle“), die sich blitzschnell über tausende von Kilometern ausbreiten. Auslöser eines Tsunami ist ein Erdbeben in großer Meerestiefe. Das Anheben einer tektonischen Platte um 1–2 m unter einer Wassersäule von, sagen wir, 3000 m Höhe erzeugt lokal nur eine Welle von 1–2 m Höhe: nichts Besonderes, kaum auffallend. Aber die Anhebung geht rasend schnell, setzt im Meer enorme Energien frei, die reibungsfrei transportiert und in 1000 km Entfernung die Küste zerstören. Ein Seebeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala reicht aus, um eine Tausende von Metern hohe Wassermasse ruckartig hochzuheben. Die kinetische Energie dieses Hebeprozesses wird an der Wasseroberfläche in Wellenenergie umgesetzt, wobei die Ausbreitungsgeschwindigkeit v der Welle von der Tiefe des Meeresbodens abhängt (v=9,8 m/s2×Tiefe in Me-tern) – sie beträgt bei 6000 m Meerestiefe etwa 800 km/h, bei 2000 m Tiefe 500 km/h und bei 1000 m noch 120 km/h.

Keine dieser Geschwindigkeiten kann mit der von seismischen Wellen im festen Gestein der Erdoberfläche (36 000 km/h) konkurrieren, sodass Erdbebenstationen vor Seebeben warnen können: Das Erdbeben meldet sich in der festen Erdkruste viel eher an und geht der Welle im offenen Meer voraus (Seite 266). Seebeben in Nord-Süd-Richtung erzeugen Wellen in den Richtungen Ost und West und umgekehrt. Typische Wellenlängen liegen im offenen Meer bei 200±100 km. Es dauert etwa 10–15 min, bis der erste Wellenberg der Flutwelle dem ersten Wellental folgt, das immer vorneweg läuft und zunächst das Ufer großflächig über mehrere Minuten hinweg trocken legt. Also braucht man eigentlich keine Warnung von außerhalb – jeder Laie sieht, wenn ein Strand plötzlich trocken läuft. Nur am Ufer findet ein Wassertransport statt, nicht aber im offenen Meer. Dort schwanken die Wassermassen nur vertikal mit relativ geringen, unauffälligen Höhenunterschieden von ein bis zwei Metern.

Da eine wellige Wasseroberfläche größer ist als eine glatte, muss das Beben am Meeresgrund viele Wassermoleküle an die Oberfläche drücken, um eine Welle zu erzeugen. Das kostet viel Kraft; die vom Beben hochgedrückten Moleküle werden dann wieder nach unten zurückgezogen, und so verbreitet sich das Beben als Wasserwelle mit geringen Höhendifferenzen, aber großer Geschwindigkeit und ohne Reibungsverlust. Die Seebebenwelle ist völlig anders geartet als die Welle unter einem Orkan, der die Wasseroberfläche zerreißt und den Wellenberg damit lokalisiert. Die Bebenwelle ist schnell und gerichtet, transportiert die Energie praktisch verlustlos; die Orkanwelle ist kurzlebiges Chaos und legt sich sofort mit dem Sturm.