Sieben Versuchungen - Lydia Mischkulnig - E-Book

Sieben Versuchungen E-Book

Lydia Mischkulnig

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Beschreibung

Ein Kameramann kann nicht aufhören, seine Frau zu filmen, nicht einmal im Kreißsaal. Eine Architektin lässt ihre asiatische Freundin verschicken, bevor diese ihren Mann verführt. Ein Arzt will die Frau seines Herzens an sich binden, indem er ihre Antibabypille gegen Hormontabletten austauscht. Nur: Wer geht am Ende wem in die Falle?

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Ein Kameramann kann nicht aufhören, seine Frau zu filmen, nicht einmal im Kreißsaal. Eine Architektin läßt ihre asiatische Freundin verschicken, bevor diese ihren Mann verführt. Ein Arzt will die Frau seines Herzens an sich binden, indem er ihre Antibabypille gegen Hormontabletten austauscht. Nur: Wer geht am Ende wem in die Falle?

Lydia Mischkulnig, geboren 1963 in Klagenfurt. Studium von Bühnenbild und Film, schreibt seit 1991 Erzählungen, Hörspiele und Romane. 1994 erhielt sie den manuskripte-Förderpreis, 1995 das österreichische Staatsstipendium für Literatur und 1996 den Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Außerdem zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften sowie ›Halbes Leben‹ (1994) und ›Hollywood im Winter‹ (1996), Romane.

Lydia Mischkulnig

Sieben Versuchungen

Erzählungen

© 2014

HAYMON verlag

Innsbruck-Wien

www.haymonverlag.at

Überarbeitete E-Book-Ausgabe

Originalausgabe: Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 1998

ISBN 978-3-7099-3577-4

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Coverkonzept: Balk & Brumshagen

Coverfoto: „La Soubrette, Lio 1995“ von Pierre et Gilles

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Weitere Titel von Lydia Mischkulnig finden Sie unter www.haymonverlag.at.

Nada le debo a la vidanada le debo al amoraquella me dio amargurasy el amor, una traición.

Nichts schuld ich dem Leben,nichts schuld ich der Liebe,jenes bescherte mir Bitterkeitenund einen Verrat die Liebe.

Tango vonAntonio M. Podestá

Inhalt

Bande

Eroica

Brautplan

Spielplatz

Blende

Glatteis

Harmonielehre

Bande

Thailand ist heiß und feucht. Jakob drängt sich nicht vor, er wartet als letzter in der Schlange. Er denkt darüber nach, warum das Wort Schlange weiblichen Geschlechts ist, obwohl sie aus männlichen Domänen besteht, aus Kopf und Schwanz. Bis ins hinterste Glied sind keine Frauen darunter, dafür schauen die weiblichen Zöllner herüber, und die Männer lächeln sich in die Augenspalten, in die aufgeschlitzten Äpfel ihrer Träumereien. Die Frauen sind nicht verführerisch, sie sind nur zart und klein, und herrisch dirigieren sie die Schlange zurück. Don’t touch the line. Die Schalterampeln springen von Rot auf Grün, und die Frauen rufen, come on. Der Kopf der Schlange kommt in Bewegung, explodiert in Zeitlupe, als würde er auslaufen, tritt auseinander, löst sich von seinem Schwanz ab, und die weißen, weichen Männer dringen vor bis zu den Zellen.

Der Flug war lang und ungemütlich, und jetzt wird Belohnung erwartet für die Mühe. Jakob ist das Schlußlicht der Schlange, sein Traum ist ausgereift, und das Weibchen steht schon bereit.

Eva erwartet ihn. Sie hat eine Blume im Haar, sie ist auffrisiert. Sie ist schon zwei Wochen hier im Urlaub. Vorher war sie in Tokio, Hongkong und Singapur. Asien ist ihr Traumkontinent. Ein Wirtschaftsraum, den sie von der angenehmen Seite betritt, bevor sie ihr Büro und ein neues Leben bezieht. Eva ist Modejournalistin, und demnächst sitzt sie für immer, wenn sie Jahre meint, in der Hongkonger Vogue. Jakob hat sie nach Thailand bestellt, auf neutralen Boden, wie er meint, für seinen Plan, der die Aussicht auf ein Leben mit Eva begründen soll. Jakob schwitzt, als müßte er Zweifel ausdünsten, er weiß nicht genau, was er an Eva hat, Liebe oder Freundschaft, auf jeden Fall hat sie seine Leidenschaft.

Er ist müde und wehrt sich nicht gegen den Geruch. Im Land reifen die Stinkfrüchte. Jakob atmet flach, nicht zuviel von diesem Gestank pumpt er in sich. Eva bricht eine Stinkfrucht auf, die Schale ist knorrig wie Krokohaut, der Kern dafür rosig, weich und duftig. Außen pfui und innen hui, sagt sie und gibt Jakob zu kosten.

Jakob setzt sich die Brille auf. Sie schützt, und er kann hemmungslos schauen, wenn Eva vor ihm geht, mit schwingenden Hüften, und auf einem klimatisierten Taxi besteht, das sie sofort bekommt, auch als Frau in einem patriarchalischen Land. Das ist der Reiz an Eva in Thailand. Sie demonstriert, was sie erreichen kann. Eva setzt sich durch wie ein Mann, und Jakob folgt ihren beharrlichen, kleinen Schritten. Seit er sie kennt, läuft er an ihrem Gängelband. Er wird es in die Hand nehmen, sich abnabeln und Eva ein Kind anhängen. Jakob legt ihr die Hand in die Taille und rutscht den Stoff hinunter, das Steißbein entlang. Sie bemerkt es nicht, aber er liebt den Schwung, den sie da hat. Eva ist nicht entwöhnt. Wahrscheinlich war sie vor kurzem noch mit Enrico Fati im Bett.

Eva trägt Türkis, grell und harmonisch. Ihre Augen sind genauso türkis, keine gewöhnliche Farbe, wenn Jakob zu lange hineinschaut. Die helle Iris läßt ihn nicht weiter als bis zur Hornhaut, er könnte seine Konturen packen und ablösen. Eva schafft es, die Augen offen zu halten, länger als sechs Sekunden, die erste Träne könnte bei zwanzig kommen, aber dann wischt das Lid Jakob ab. Er könnte hundertmal sagen, ich lieb dich, es rührt sie nicht.

Daß er sie nach Thailand eingeladen hat, hat mehr zu bedeuten, als eine Reise zu zweit. Er kommt als Gesandter, als Part einer Zwillingsschaft, Begehren und Verlangen. Jakob will ein Ergebnis daraus. Vom Liebhaber hat er genug. Eva soll ihn fürs ganze Leben bekommen, aber sie will Jakob nicht als Ehemann. Sie hat Enrico Fati in New York. Sie ist ausgelastet. Sie hat ihre Pläne, und diese führen sie fort. Eva bleibt an keiner fixen Station. Jakob ist gebunden an Ort und Zeit. Er ist Neonatologe und arbeitet in einer Intensivstation, bringt Säuglinge durch, die zu früh aus den Nestern der Mutterbäuche gefallen sind. Eva bewundert ihn für den Dienst am Nächsten, aber sie ist eine Frau von Welt, und sie bewegt sie mit ihren Artikeln über Künstler und Moden, wie über Fati zum Beispiel, der in einem Frack von Yamamoto dirigiert und sich als Philosoph am Dirigentenpult tituliert, wenn er Schubert daherschwadroniert. Jakob arbeitet an den Wurzeln des Lebens, und Enrico Fati nistet im Jetset und stürzt nicht ab, egal wie er sich aufspielt. Wenn er sich als Philosoph bezeichnet, ist das Jakob zuviel Eigenlob. Immerhin reproduziert Fati Schubert nur, während Jakob aus den Tönen seiner Säuglinge eine Sinfonie ans Leben komponiert, wenn ihre Lungen unter seiner Leitung heranreifen und ihre ersten Schreie produzieren und dann aufgehen in einer Klangwolke.

Aber Eva wertet keine Werke, sie nimmt Fati in Schutz. Er ist Dirigent, sagt sie, und er bringt Schubert zum Leben. Das ist seine Gabe, einzudringen in Schuberts Geist und mit ihm zu verschmelzen. Jakob kann keine Toten zum Leben erwecken, dafür kann er vor dem Tod retten, und dieses Wissen ist seine Kunst. Er arbeitet am Boden der Realitäten, mit Händen und Füßen, der Kopf koordiniert sie nur, um ein Ziel zu erreichen, und das heißt, ein normales Leben aus Fleisch und Blut zu gestalten. Eva wird nicht umhin können, den Unterschied zwischen Präpotenz und Potenz zu bemerken.

Seiner Meinung nach geht es jetzt geradeaus zum Hafen, aber Eva lächelt zurück. Sie zeigt auf den Plan. Es gibt Abkürzungen. Der Chauffeur sagt allright und biegt ab. Links ziehen die Gassen vorbei, und der Stau blinzelt parallel zu ihnen, als sie die ausgedienten Lagerhäuser entlang hinunterfegen. Vorne ist ein Streif das Meer. Jakob hat ein besonderes Ferienziel ausgesucht, eine idyllische Insel, ein Thailand ohne Kindernutten und Sextouristen. Die Reise ist Schwerarbeit, dafür wartet ein Paradies auf ihn.

Auf dem Schiff breitet Eva das Handtuch aus, Jakob soll sich ausruhen. Sie achtet darauf, daß er nicht der Sonne ausgesetzt ist. Sie baut ihm einen Schatten mit ihrem Körper. Sie stellt sich an die Reling und flattert mit dem Kleid im Wind. Welle für Welle wird Jakob gewogen. Er versucht nicht dagegenzuatmen. Er sucht einen fixen Punkt am Horizont, Eva taucht vor ihm auf und ab, er fühlt sein Gewicht, genau das ist schlecht, er muß leicht mitgehen, sonst wird er seekrank. Er konzentriert sich auf den Geruch der Luft, mit den Knoten gewinnt sie an Salz, und die Stinkfrüchte verliert er aus der Nase.

Jakob sieht zum ersten Mal Delphine springen, er glaubt, er träumt. Eva hebt den Arm und zeigt hinaus auf das Wasser, es ist blauer, als je gedacht. Jakob hat die Brille auf, sieht aus, als würde er schlafen, dabei wartet er nur auf den richtigen Moment, in dem Eva nicht aufpaßt. Der Motor stampft seinen Dreivierteltakt. Felseninseln wachsen daher, wie steinerne Kakteen in einer Wasserwüste ragen sie aus dem Meer. Jakob greift in die Innentasche seines Sakkos, holt die Babypillen heraus, die für Frauen gedacht sind, die schwer zu befruchten sind. Er wird Leben nicht nur retten, auch stiften. Für Evas Hand nimmt er ein Kind in Kauf. Er tauscht die Antibabypillen aus, nimmt die Dose aus Evas Handtasche, und legt seine identisch aussehenden Hormonpräparate hinein.

Eva dreht den Kopf zu ihm. Sein Gesicht ist nicht mehr im Schatten. Er liegt mit dem Haupt auf ihrer Handtasche. Sonnenbrände sind gefährlich, sagt Eva und rückt ihren Schatten nach. Als der nächste Delphin springt, öffnet sie den Mund, aber es kommt kein Laut, sie schnappt zu und schaut allein dem schwimmenden Säugetier nach.

Eva war Klassenbeste und berühmt für ihren Fernsehauftritt als Gewinnerin des Redewettbewerbs über Leben und Mode. Jakob verteufelte in seinem Aufsatz den Einsatz von technischen Geräten in der modernen Medizin, als Ersatz für die menschliche Beziehung zwischen Patienten und Arzt. Und Eva reflektierte über den Identitätswechsel der Flower Power der sechziger Jahre, die sich in die Businessetage umgetopft hatte, sie behauptete, der Körper brauche ein Gebäude, in dem er sich bewegen könne, maßgeschneiderte Grenzen, die sich mitbewegten und nicht in anarchischen Phantastereien zerfledderten. Jakobs Aufsatz fiel durch, war nichts Neues. Soziales Engagement und keine weitere Raffinesse dahinter. Eva hatte Erfolg, die Frechheit, mit der sie die späten Hippies, darunter Jakob, als Phantasten darstellte, vertuschte ihre biedere Ansicht. Sie lächelte und korrigierte ihren Interviewer, der sie gefragt hatte, was sie werden wolle, und antwortete mit spitzer Zunge, ich bin’s doch schon. Gewinner.

Sie war die erste mit Dauerwelle, die erste mit breiten Schultern, die erste mit einem fixen Freund, und Jakob war ihr erster Liebhaber, einen zweiten oder dritten gab es nicht. Er blieb ihr Liebhaber, auch beim zweiten, dritten und vierten Freund diente er als Trampolin, und Eva federte sich hoch auf ihm. Er maturierte und verlor sie aus den Augen. Nach Jahren traf er sie auf der Straße wieder. Jakob war Arzt und Eva ein schillerndes Wesen geworden, mit bunten Federn am Hut, sie interviewte für Vogue und lud Jakob zum Essen ein.

Ihre Wohnung war leer, nackt, reduziert auf das Notwendigste, sie lebte nicht mehr richtig hier, mehr in New York, bei ihrem jetzigen Freund. Jakob wohnte allein, hatte keine Frau auf Abruf bereit. Seine Arbeit fresse das Privatleben auf, sagte er, und sein Sexlife sei verkümmert. In der Neonatologie burnen ihn nur Säuglinge out.

Du hättest Gynäkologe werden sollen, sagte Eva.

Eva war mit berühmten Männern im Geschäft, manchmal im Bett, aber die meisten kamen ihr wie Nylonsäcke vor, leer, glatt, manche recyclebar. Sie konnte die Erinnerung an den Staranwalt wachküssen. Wenn sie ihn anrief, knisterte ihr Name noch in seinem Gehirn. Sie konnte ihren Redaktionschef mit ihren neckisch grinsenden Schamlippen auf dem Schreibtisch erquicken, bevor er seinen Lausbuben auspackte und den Rahmen seiner Ehe anknackste, als er das Bild seiner Gattin im Orgasmus auf den Tisch knallte.

Die nächsten Jahre würde Eva die Etagen noch weiter hinaufklettern, und im darauffolgenden Dezennium würde sie keinen Anschluß mehr an die Probleme der Kleinfamilien ihrer Liebhaber finden, weil sie zu alt, zu erfolgreich, zu selbstständig wäre. Eva erreicht ihre beruflichen Ziele, aber mit fünfunddreißig hat sie noch keinen Mann für Bett und Wiege. Nur unverbindliche Zusammenkünfte, die ihr auf die Nerven gehen.

Eva erzählte nichts davon. Sie sei keine gewöhnliche Geschäftsfrau, sagte sie, kein beziehungsverwahrloster Single. Im Hinterstübchen überlegte sie, ob Jakob Abgründe und Spalten aufreißen könnte im gemeinsamen Parkett, damit das Leben spannend bliebe und sich nicht in die Breite treten ließe.

Sie verschaffte sich ein Alibi für ihre Intimsphäre. Sie tischte eine Geschichte mit Enrico Fati auf. Sie wollte Jakobs Appetit anregen, um sich dann selbst auf dem Tablett zu servieren.

Eva hatte Enrico Fati zu Yamamoto interviewt. Dieser Kleidermacher bringe ihn zum Fliegen, hatte er gesagt. Ich schwinge mit den Noten, weil ich in keiner Schablone stecke, wie sie Armani anbietet. Fati hatte große blaue Augen, aber keinen Blick für Eva, nur den Himmel spiegelte er. Fati war kühl, aber begeistert von Yamamoto und Musik. Die Leichtigkeit gehört der Ewigkeit, sagte er sehnsüchtig.

Warum komponieren Sie nicht, fragte Eva. Ein eigenes Werk wäre doch eine Herausforderung.

Fati schaute sie gereizt an. Wissen Sie, was das heißt? Schmerzen und Opfer, sagte er. Eine Komposition wäre wie die Geburt meines eigenen Kindes, und noch dazu müßte es später Schubert übertreffen.

Fehlt denn der Glaube daran? fragte Eva.

Enrico Fati hielt die Luft an, seine berühmte Ader über der Stirn schwoll an. Sein Markenzeichen pulste. Sie kennen ihre Grenzen nicht, Madame.

Eva gefiel seine Wut, sie hatte ihn an der Wurzel gepackt. Und sie wollte sie ausreißen. Sind Sie in schöpferischer Hinsicht impotent? fragte sie.

Fati richtete sich auf und sagte: Die Suche nach einer Antwort überlasse ich Ihnen. Er schaute sie verachtungsvoll an. Er war Dirigent und schwul. Er hatte sich nicht ausreißen lassen.

Er schickte ihr in die Redaktion rote fleischige Blumen, die erbärmlich nach Pisse rochen.

Eva ließ Homosexualität und Pißblumen aus, sie erzählte Enrico Fati speziell für Jakob, schilderte ein intim harmonisches Leben abseits von Magazinen und Konzertsälen, sie sagte, daß Fati ein Kind von ihr wolle.

Und? fragte Jakob. Was machst du jetzt?

Ich bin keine Mutti, hab ich ihm gesagt.

Du willst keine Kinder?

Soll ich der Evolution eine Spitze aufsetzen?

Du bist ehrgeizig, was?

Beständig, sagte Eva, ich ringe immer um einen Kompromiß.

Und was sagt Fati dazu?

Nichts. Er komponiert für mich.

Sie führte Jakob tiefer in die Wohnung. Die Töne Enrico Fatis füllten die Räume bis in die Küche.

Jakob war nicht größer als Eva, das fiel ihr zum ersten Mal richtig auf, er war schlank, zu klapprig vielleicht, aber er bewegte sich nicht zuviel, seine Glieder arbeiteten nach Plan, bewußt, als wollte er ihr gegenüber fremd sein.

Eva trug ein Kostüm. Die Hände steckten im Teig für die Nachspeise, und sie knetete mit majestätischer Ruhe. Der Kopf gehörte den Tönen, und sie summte nicht dazu, sondern horchte. Eva hatte ihr Schlafzimmer neben der Küche. Jakob konnte es durch den Spalt sehen.

Eva arbeitete mit dem Messer, hackte Gewürze, legte Wachteln aufs Brett und fragte, du magst doch Wachteln? Jakob schüttelte den Kopf. Er ißt kein Gefügel. Die Wachteln erinnern mit ihren gestutzten Flügeln und angezogenen Beinchen an Föten im Gestationsalter von sechsundzwanzig Wochen. Unter den Fotolampen sehen sie in den Brutkästen aus, als lägen sie in einem Griller. Eva legte die Wachteln zurück in den Kühlschrank. Dann gibt es Brot und Wein. Sie holte noch Butter, Lachs und Kapern heraus, überlegte kurz, bevor sie die Kapern den Häppchen punktgenau aufsetzte. Jeder Bissen ein Bild, sagte sie und vollzog das Zeremoniell der Dekoration. Die letzte Kaper hielt sie zwischen den Fingerspitzen und rollte sie hin und her und lächelte verführisch und, fühl mal, wie Nippel, sagte sie. Die Körperlichkeit aus ihrem Mund versteifte Jakob, er saß angespannt und wie gelähmt da, als sie sich herunterbeugte und ihm die Kaper zwischen die Lippen schob. Eva ist Eva geblieben, atemberaubend. Er holte die Kaper mit der Zunge in den Mund, schleckte Evas Fingerspitze ab und spürte den Grat ihres Nagels und die Fingerkuppe. Er schmeckte die Kaper, ihr hartes Fleisch, dann schmeckte er das Salz, und der Speichel weichte ihr Fleisch auf. Evas Finger glitt über sein Kinn. Jakob schluckte, und Eva schenkte Wein nach.

Auf dich, sagte sie.

Auf Enrico, sagte Jakob.

Evas Gesicht sieht unberührt aus, wie bei Schaufensterpuppen, die auf Weite wirken, nur von den Spiegelungen gestreift werden. Das Leben hat noch keinen Kratzer hinterlassen, ist höchstens bis zur Scheibe gekommen und hat sie angeschaut.

Jakob nahm Evas Hand und fuhr die Linien der Innenseite ab. Die Lebenslinie hat einen Knick. Eva beugte sich vor und schaute ihn frech an: Und was bedeutet das? Andere Umstände, würde ich sagen.

Unsinn.

Wird es nicht Zeit für ein Kind, das die Hüften berechtigt, verständlich macht, und entschuldbar im Vergleich zu den Puppen? Sonst wird ein alterndes Mädchen aus dir.

Und aus dir, sagte Eva, ein alter Junge vielleicht?

Seine Hände strichen über ihr Gewand. Er straffte den Stoff, Evas Figur trat heraus, konturierte die Seide. Sie rauschte ganz nah am Ohr. Fati spielte im Hintergrund.

Jakob hatte Mühe, mit dem Blick auf ihrem Gesicht zu bleiben, er kam sich lächerlich vor. Er machte ihr den Oberkörper frei.

Er fühlte seine Hoden anschwellen, seitlich aus dem Stoff quellen, Eva schaute ohne Regung, ohne Ziel in den Augen, glatt, und jede Grenze an ihr war gesammelt im Reflex, gebündeltes Licht, das ihren Blick lebendig machte und Jakob einen Funken aufsetzte.

Es erregte ihn, Enricos Weibchen nicht zu berühren, sondern von ihm in die Hand genommen zu werden. Er drängte sich durch Evas Fingerring. Enrico war im Ohr, er bäumte sich auf, effektvoll und heftig, mit Gefühl für Interpretation, und Jakob fühlte sich von innen, als streife eine gefiederte Hand seine Organe, kratze sanft mit den gekrausten Spitzen das Skelett, als ginge ein Atem durch ihn, als stoße er an die Grenze der Haut und senke sich wieder, fiele in sich zusammen bis zum nächsten Hauch, als wiege ein Flaum um seine Innereien. Er hörte Fati und spürte seinen Dirigentenstab an der Schädeldecke, als hätte er wilde Hörner im Gehirn. Jakob stöhnte, weil Eva stöhnte, während er sich in sie jagte und Enrico Fati erlegte.

Nach ein paar Tagen fuhr Eva weg. Nach Hause, wie sie sagte und New York meinte. Jakob wartete auf Nachricht. Der Briefkasten blieb leer. Er tauchte trotzdem mit der Hand hinein, tastete die Blechwände nach einem Umschlag ab. Eva meldete sich Wochen später, und Jakob war sprungbereit. Sie lächelte wie Mona Lisa, in sich ruhend und kaum. Jakob wollte näher an sie ran, prüfen, wie klar er sich sehen kann. Eva war eine Frau des bleibenden Augenblicks, präzise und scharf nüchterte sie seine Sehnsucht aus. Rien ne va plus, sagte sie.

Eva spricht gern französisch. Sie liebt die Mundgymnastik und schwört darauf, daß es ihr Puppengesicht um Jahre länger erhalten würde.

Sie dachte produktiv. Sie wehrte Jakob ab und sagte mit geschminkten Lippen, du sollst mich nicht küssen. Armer Jakob, sagte sie dann und lächelte ihn mitleidig an, weil er gehorchte.

Jakob, Jakob, Jakob, und wieder Jakob, so lange sagte sie Jakob, bis er sich in sinnlose Buchstaben zersetzte.

Sie lenkte vom Thema ab, als er sie fragte, ob Enrico von ihm wisse. Eva streifte die Schuhe von den Füßen, und unendlich langsam lockerte sie den Gürtel des Mantels und ließ den Knautschlack über den Rücken gleiten. Eva trug einen rosa Pullover. Kaschmir, streichelte sie sich über die Schulter.

Ich spreche über uns! sagte Jakob genervt.

Eva schmollte und ging ins Bad. Er hörte es knistern. Sie drückte die Antibabypillen aus der Palette in ihr Döschen, schluckte eine Tablette, klappte das Döschen zu, und wie eine Zicke drehte sie sich weg, als Jakob ihren Kaschmir berührte.

Für den Maestro war Jakob Tabu, er diente Eva als Mätresse. Sie konsumierte Jakobs Hülle, den Einschluß seiner Liebe ließ sie übrig wie Gekröse.

Sie flog um die Welt, und Jakob saß in seiner Neonatologie und hielt die Welt der Säuglinge in der Hand. Die Köpfe der Frühgeburten sind weich und schwer, die Schädelknochen noch nicht zuammengewachsen, sie schwimmen unter der Haut, wie Kontinente im Meer, er liebte dieses Gefühl in seinen Händen und ertappte sich dabei, die Schädel zu streicheln, als wären die Kinder seine eigenen.

Eva erfuhr in der Redaktion, daß Enrico Fati in New York an einer Inszenierung von Carmen arbeite. Sie wollte mit ihm ein Shooting verabreden. Fati sollte sich in den Klamotten seines spanischen Kostümbildners fotografieren lassen und etwas über die Hitze und das Feuer Bizetscher Musik erzählen. Die exzessive Liebe Spaniens und die Raffinesse französischer Musik als Italoamerikaner analysieren und zum Schluß kommen, daß in jedem von uns ein Feuer brenne, eine unstillbare Gier nach amore.

Enrico Fati war klein und eitel. Er zierte sich beim Anziehen und meckerte über die Maskerade, aber es gefiel ihm, sein fotogenes Gesicht auflagenstark publiziert zu sehen, das war sein Geschäft, und er beherrschte es. Er nahm kaum Notiz von Eva, war beleidigt, benützte sie als Mittel zum Zweck. Nur eine berühmte Journalistin darf Enrico Fati ein zweites Mal belästigen. Er blähte die Brust, zeigte seine Größe, und als es blitzte, lächelte er. Blendend und überzeugend.

Eva wollte mehr aus ihm herausholen. Sie fragte ihn über sein Privatleben aus. Fati sagte, er arbeite immer, und sei er einmal zu Hause, dann seziere er die Geräusche der Stille, wenn der Plattenspieler den Arm hebe, wenn der Wasserhahn tropfe, je ruhiger es werde, desto genauer höre er in sich hinein. Fati schloß die Augen, schlug sie gleich wieder auf und sagte, dann höre ich meine Lider quietschen, und ich konzentriere mich auf das Blutrauschen, höre hindurch, bis in meinem Kopf Glockenschläge erklingen, ich dringe in den Ursprung der Musik, in ihren kleinsten gemeinsamen Nenner, ich bin verschmolzen mit ihm. Verstehen Sie das?

Eva nickte.

Enrico Fati drehte sich auf seinen hohen Absätzen um und verließ sie mit einem letzten Tip, schildern Sie mich traurig.

Warum das?

Nehmen Sie Anteil an der Hingabe, sie bedeutet Isolierung.

Eva rief Jakob an, sie spielte mit dem Kabel, wickelte es um den Finger. Es schnitt in die Haut. Er war nicht zu Hause. Sie rief in der Klinik an. Jakob hatte keinen Dienst. Sie wollte ihn hören. Er war nicht zu finden. Sie spürte Stiche in der Hand, das Telefonkabel schnürte das Blut ab. Sie lockerte es, der Abdruck wand sich um ihren Finger und verschwand erst mit dem einsickernden Blut. Enrico Fati sollte für Jakob fühlbar sein, ein Dirigentenstab sollte in seinem Bauch glühen, sich aufrichten und ins Herz sticheln, die Eifersucht hineintätowieren.

Jakob sah und las.

Der Maestro stand in seiner Torerouniform vor dem Notenpult, mit erhobenen Armen und dem Kopf im Nacken, er holte zum Todesstoß aus und spießte im nächsten Bild einen Stapel Notenblätter auf. Dann lag er auf einem Sofa, im Gespräch mit Eva. Fati war leidenschaftlich, nachdenklich, gefühlvoll und philosophisch. Kein Wort über Eva ließ er fallen. Sie durfte ihn portraitieren, aber ihre Beziehung blieb für die Öffentlichkeit ein Geheimnis. Eva hatte die Macht, ein Genie zu besitzen, ein Leben mit ihm zu führen, dessen Bedeutung nicht auszuplaudern war.

Jakob betrachtete sich nackt im Spiegel. Er drehte sich um und schaute sich von hinten an. Er strich seitlich über die Backen hinauf, über den Bauch und die Rippen. Sein Atem stieg auf, und er drehte sich wieder um, die Hand strich weiter, und Erregung kam auf und verpuffte, als er sich sein Gesicht streicheln sah. Jakob arbeitete wie ein kaputtes Echolot an sich, er suchte das Genie an sich und erhielt kein Signal, blieb an der Visage hängen, die ihn angrinste und Jakob nur Jakob reflektierte. Er ging unter die Dusche.

Evas Anruf kam überraschend.

Jakob hörte die Sirene, die Geräuschkulisse spielte Evas weite Welt, und sie lockte ihn nach New York. Er tropfte, und seine Füße standen in einem kleinen See. Er trat ans Ufer, setzte dem Boden Wasserflecken auf, als wollte er eine Fährte für sich legen. Um zurückzufinden, befahl er, bitte mich. Eva sagte erst ein paar Sekunden später, überleg’s dir noch mal, und legte auf.

Das Schiff plumpst ins Wellental. Eva stemmt die Arme in die Hüften und zeigt die Silhouette durch das Kleid, bin ich fett?

Jakob setzt sich auf.

Hast du geschlafen oder mich angesehen?

Jakob findet das Schiff, das Meer, Eva, die Delphine und die Farben von alledem märchenhaft. Sie weiß, daß er übertreibt. Vielleicht ist es das. Seine verläßliche Art, sie als Prinzessin zu sehen.

Jakob legt die Hände ins Genick. Er fühlt sich wie gerädert, aber der Gedanke an Enrico bringt ihn in Schwung. Jakob hätte Lust auf eine große Geste, wenn er könnte, würde er eine Zigarre guillotinieren.

Eva schwankt und verliert das Gleichgewicht. Sie landet auf Jakob. Sie lacht vergnügt und schaut ihn an. Sie ist das Leben, das spielt. Jakob ist nicht in der Lage, sich zu befreien, und die Zigarren hat er im Taxi liegengelassen.

Eva seufzt neben ihm. Sie denkt an Enrico. Er wird zerspringen vor Wut. Er hat ihr betörende Liebeserklärungen gemacht. Zwischen Dur und Moll ist seine Stimmung geschwankt. Mal wollte er sie heiraten, mal sich umbringen, sagt sie.

Und wie hast du reagiert? fragt Jakob.

Mit Ehrlichkeit! sagt Eva. Er hat mich verflucht dafür.

Unter Schmerzen sollst du gebären, oder was?

So ähnlich.

Das ist nicht schön.

Er wollte mich vergewaltigen. Er wollte mich schwängern.

Übertreib nicht, sagt Jakob.

Er stellt sich Eva mit Enrico vor, wie sie mit ihm in die Ehe trudelt und die Geburtsanzeige des ersten Kindes aufgibt, wie sie am Geländer eines Schiffes steht, ihrer eigenen Yacht vielleicht, und Segel setzt für orchestralen Wind. Eva hat erzählt, daß Fati einen Flipper zu Hause habe, Delphingesänge notiere und sie in eine Sinfonie für Greenpeace verwandle, um der Natur am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts ein akustisches Denkmal zu setzen. Jakob könnte ihr erzählen, daß er sich mit seinen Genen in das nächste Jahrtausend verpflanzen wird, und Eva der Boden für den Samen sein wird.

Sie holt Wasser vom Schiffsbuffet. Sie nimmt sich das Hormonpräparat aus der Pillendose. Jakob fröstelt.

Ist dir kalt? fragt Eva, legt sich das Clomiphen auf die Zunge und schluckt. Der Eisprung ist in wenigen Tagen garantiert.

Jakob streckt die Füße zu ihr hin, will mit den Zehen die Fesseln berühren, Eva trinkt Wasser nach, und Jakobs Herz klopft aufgeregt, bald wird er sie schwängern, doch bis dahin kann noch viel geschehen.

Eva wohnte in Brooklyn. Auf den ersten Blick wirkte das Appartement desolat, nur frisch lackiert, aber die Aussicht auf Manhattan war mächtiger als die Risse und Spalten im Parkett. Spuren von Enrico waren nicht vorhanden. In den Kästen lag Designerware nach dem Muster einer erfolgreichen Geschäftsfrau. Die Blusen und Pullover waren im Lot aufeinandergestapelt, und die Kostüme hingen in Reih und Glied hinunter. Eva lebte durch und durch in New York. Die Rasterung Manhattans setzte sich bis in ihren Kleiderkasten fort.

Jakob wollte nicht allein in der Wohnung bleiben. Er fuhr mit der Fähre nach Staten Island und gleich wieder zurück. Die Skyline war eine Konstante im Seegang. Das Schiff schwankte, und Jakob schwindelte, aber die Häuserschluchten hielten ihn aufrecht. Das ist der Optimismus dieser Stadt, dachte er sich und griff in die Jackentasche. Die Hormonpillen waren da. Er hatte sie aus der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses. Er hielt sie fest. Er wollte sie erst austauschen, wenn Eva außerhalb Enricos Reichweite war. Er mußte sie aus New York bringen. Er mußte sichergehen, daß die Schwängerung durch ihn erfolge. Er dachte an einen idyllischen Ort. Keine Dürre sollte ihn umgeben. Er stellte sich eine fruchtbare Insel vor und entschied sich für subtropisches Klima. Er kaufte die Tickets für Thailand und wollte Eva mit der Reise überraschen.

Sie saß im Dunkeln. Manhattan funkelte hinter dem Vorhang. Eva rauchte. Ein kleiner Leuchtturm zwischen ihren Lippen, woran sich Jakob orientieren konnte.

Er tastete sich heran. Sie hielt die Zigarette aufrecht zwischen den Fingern und trug einen Ring mit einem Türkis. Jakob beugte sich vor, er konnte den Glitzer auf der Haut berühren.

Was willst du? fragte er heiser.

Evas Gesicht blendete auf. Ruhe, rauchte sie aus. Sie überlegte und sah überlegen aus. Jakob legte die Tickets aufs Bett. Eva warf den Blick darauf und hob die Augenbrauen. Ein Sexurlaub?

Jakob spürte die Hitze in seinem Bauch, der Flaum um seine Innereien brannte.

Ich will eine Entscheidung auf neutralem Boden! sagte er. Oder bleibst du im Orchestergraben?

Ich gehe fort, sagte sie.

Und was ist mit Thailand?

Sie dämpfte die Zigarette aus und sagte: Ich werde nach Hongkong versetzt, und bis Thailand ist es dann ein Katzensprung.

Jakobs Laichplatz war akzeptiert.

Eva fühlte sich schwer wie ein Stein und wollte untergehen, am besten in ihrem Wasserbett. Sie ließ sich fallen. Das Haar schlug über ihrem Gesicht zusammen, und Jakob wollte sie sehen, schmachtend und hingegeben. Er packte ihr Haar, als wäre ein Netz einzuholen, und der Fang war ihr Gesicht. Die Haut um die äußeren Augenwinkel legte sich nicht in Falten, nur die Wangen schoben sich zu kleinen Pölstern, als wären sie frisch aufgeschüttelt, wenn sie lachte. Eva flüsterte, und Jakob verstand sie nicht. Eva wiederholte, du kannst nicht bleiben. Was soll das heißen?

Jakob durfte mit ihr schlafen, aber nicht in ihrem Bett bleiben. Er war Evas Bajazzo, ein kleiner Charge in ihrer komischen Oper. Eva hätte Enrico Fati platzen lassen, aber Jakob glaubte zu sehr an ihn. Sie blies den Rauch aus, und dünne Häute zogen durch seine Worte. Jakob war verletzt, und Eva wollte ihn nicht noch mehr enttäuschen. Sie behielt Enrico für ihn und bat Jakob zu gehen. Es ist ein schwerer Schlag für Enrico. Jakob muß verstehen.

Das Meer schäumt noch, als der Motor ausgeht. Dann kommen kleinere Boote hinter den Felsen hervor, wie Gondoliere stehen Thais an den Steuerrudern und knattern mit ihren Booten zum Schiff.

Eva nimmt die rotbraunen Strähnen im Nacken zusammen, dreht sie hoch und fixiert sich einen neuen Hinterkopf mit den Nadeln. Nicht perfekt genug, im Wind löst sich das Haar wieder. Jakob nimmt eine Locke. Eva neigt den Kopf zurück, kommt ihm entgegen, damit er leichter spielt.

Das kleine Boot bringt sie ins Camp. Die Wellen schaukeln Eva auf, und Jakob kommt ihr im nächsten Schwung nach, dazu knattert das Meer, und seitlich zieht die Küste der Insel vorbei. Jakob greift in seine Hosentasche, holt die Antibabypillen heraus und läßt sie hinter Evas Rücken ins Wasser fallen. Dann röstet er unter der Sonne. Eva genießt den Wind, und wenn das Wasser über die Bootswand spritzt, träufelt es in der Glut. Hinter dem nächsten Felsvorsprung biegt sich die Küste auf, ein Hufeisen mit Palmenstrand, ein karibischer Bortenrand weitet sich aus.

Perfekt, sagt Eva.

Jakob ärgert sich über ihre Stimme, sie kratzt ein himmlisches Kinderbild an. Die Bucht ist ein Dreiklang aus Sand, Stämmen und Palmkronen, der Rundhorizont einer Urlaubswelt. Jakob fühlt sich wie in Kulissen, fehl am Platz, aber überwältigt von der natürlichen Wirkung. Dann löst sich eine Hütte heraus, sie wächst immer größer ins Bild und detailliert sich in Giebeln, verspielt sich in Bambusgeflecht, und das Dach schwingt pagodenhaft mit. Ein blauer kniehoher Teppich ist das Meer. Ein weißer Streifen weht über den Steg, und bunte Menschen spannen ihn glatt.

Welcome to Peepee Island, steht im Wind. Das Ruder schlägt noch ein paarmal aus, und das Boot gleitet die letzten Meter dahin, bis Eva als erste einschreitet, mit den nackten Füßen ins Wasser sticht und vor Jakobs Augen versinkt bis zu den Knien. Ein türkises Stehaufweibchen. Das Kleid bauscht sich um Schenkel und Hüften. Die Sonne bestrahlt ihre Schultern. Jakob steigt ihr nach. Eva gondelt in ihrem Kleid über das Wasser, eine lautlose Glocke, deren Klöppel im Wasser erstickt.

Jakob verliert das Gefühl für den Boden, hält gerade noch die Balance, um das Gepäck trockenzuhalten.

Dann verstreichen die Tage, und Jakob, der Neonatologe, macht sich ans Werk. Der Beischlaf gehört zum gemeinsamen Urlaub. Jakob fühlt den Schwellkörper, praktisch und griffbereit, transportabel und fremd. Er wird seine Gene nicht los. Eva will nicht mit ihm schlafen. Enrico geistert in ihrem Kopf herum, ein heißer Schatten im Gehirngang.

Eva verteilt das Öl auf der Haut und putzt sich die Finger an Jakobs Rücken ab, dann legt sie sich flach und steckt die Kopfhörer in die Ohren. Aus den Knöpfen kommt Fati. Leise Geräusche, dumpf und Schlag für Schlag, eine Kette von sanften Massakern. Eva singt die Habanera mit. Der Wind peitscht Jakobs Seiten weiter und verblättert die Illustrierte, die zwei Wochen alt ist und lauter Liebesgeschichten in sich hat, lauter Evas und Jakobs, beliebige Namen und immer im gleichen Muster, deshalb keine Ablenkung für Jakob.

Er zieht die Beine an und sieht dem Schatten zu, wie er über die Zehen und das Bein in die Genitalzone klettert und sie teilt in Tag und Nacht. Als trüge Jakob einen Embryo in der Hose, liegt das Geschlecht da, eine kopflose Puppe, die belebt werden will. Er wartet auf Regung, die Sonne ist heiß genug. Er spreizt ein bißchen die Beine.

Eva liegt wie angerichtet da, sie nimmt das Oberteil ab und schwitzt sogar am Brustansatz. Sie atmet ruhig und lautlos, greift in den Sand und schwenkt den Arm über den Bauch und läßt den Sand auf den Nabel rieseln.

Jakob schaut in die Palmen, die Kokosnüsse könnten jederzeit fallen und ihn erschlagen, er überlegt den richtigen Zeitpunkt, Eva einfach zu übermannen.

Er blättert in den wahren Geschichten der Illustrierten, sucht eine Anleitung zur Eroberung.

Eva steht auf. Jakob schaut ihr nach, legt sein Augenmaß an, prüft, ob ihr Becken breit genug ist für eine normale Geburt.

Dann nimmt er das Heft in die Hand, liest über Leute von heute und hält den Atem an. Enrico Fati ist abgebildet. Er lächelt traurig, und schwarze Leisten rahmen sein Foto. Eine kleine Notiz gibt bekannt, der Dirigent ist tot. Jakob liest immer wieder die Zeile. Enrico Fati hat sich umgebracht, und man weiß nicht, warum. Jakob könnte jubeln, aber er hält sich zurück. Ohne Fati ist sein Plan sinnlos.

Eva liegt in den Wellen. Sie treibt bis zum Riff. Am Strand liegen die Handtücher auf, wie die Fenster eines Reihenhauses. Jakob beobachtet Eva, sie taucht unter und mit Schwung wieder auf, das Wasser spritzt wie Scheibensplitter, und das Licht bricht sich darin.

Für Jakob kristallisiert sich ein Dilemma heraus. Wenn er Eva den Artikel zeigt, ist es vorbei mit dem Urlaub. Er könnte Fati zerreißen, aber Jakob will wissen, wie Eva auf seinen Tod reagiert. Sie steigt aus dem Wasser und schleicht sich heran, ihr Schatten schiebt sich über den Sand. Mit einem Satz ist sie auf Jakob, sein Körper zwischen ihren gegrätschten Beinen, sie preßt ihm die Fersen in die Flanken.

Jakob kann sich nicht wehren, sie liegt auf ihm, die Situation ist pikant, unter freiem Himmel, am hellichten Tag, will sie es mit ihm treiben. Jakob versucht sich zurückzuhalten, aber die Beherrschung gelingt ihm nicht, es reicht die geringste Bewegung, und er spritzt den Samen in ihren Unterleib. Wie erschlagen legt er den Kopf zurück und sinkt in den Sand.

Was hätte Enrico auf der Insel getan? fragt Jakob.

Eva schüttelt den Kopf: Wie kannst du jetzt an ihn denken?

Sie peitscht das nasse Haar hin und her, versprengt die Wassertropfen und schreckt Jakobs Sonnenbrand ab.

Du wirst dich häuten wie eine Schlange, sagt sie und steigt ab.

Auch Enrico ist feucht, und Evas Schatten verdunkelt ihn.

Hätte er den Wind studiert? Hätte er sich Partituren mitgebracht? Hättet ihr ein Kind gemacht?

Du spinnst wohl, sagt Eva.

Ich frag ja nur.

Soll ich ihn umbringen, damit du ihn vergißt?

Mach keine Witze.

Er hält ihr die Zeitung hin. Eva liest und wird blaß. Wie eine Musterschülerin sieht sie aus, die zum ersten Mal versagt. Sie bringt keinen Ton heraus. Sie fühlt sich schuldig, dabei möchte sie Gras über Enrico wachsen lassen. Jakob schaut sie neugierig an, als prüfe er ihre Gefühle. Eva muß leiden und bereuen, Tränen treten ihr in die Augen, und sie möchte erklären.

Er konnte Schubert nicht übertreffen.

Jakob ist empört, Eva hat Enrico auf dem Gewissen und sucht läppische Ausreden.

Eva schaut ihn herausfordernd an und sagt: Ich habe ihn deinetwegen verlassen. Dann steht sie auf und läßt Jakob sitzen, als hätte er ein Leben verspielt.

Er könnte ihr nachgehen, sie um Verzeihung bitten, sie trösten. Er müßte ihr gar nicht sagen, was noch passiert ist, er könnte alles bei seiner alten Listigkeit belassen und das Kind als Zufall erklären, aber Jakob ist zu allem zu feig.

Abends hört er die fliegenden Hunde. Wenn sie in den Palmen die Kokosnüsse streifen, schießen diese herunter wie Bomben und brechen nicht auf. Die schwarzen Schatten schwirren wie elektrische Drähte.

Eva sitzt auf der Veranda, das Streichholz brennt gleich wieder ab, die Luft ist zu feucht. Sie wäre am liebsten in New York, aber das Paradies entläßt sie nicht, erst in eineinhalb Wochen geht das nächste Schiff zum Festland zurück.

Bis dahin sitzt sie fest mit Jakob, und Fati bleibt zwischen ihnen. Jetzt kommt Jakob vom Strand zurück. Er stellt sich neben Eva, riecht ihr Salz und die Hitze, die aus dem Boden steigt. Immer wieder gehen Kokosnüsse nieder, harte trockene Detonationen auf der Erde. Er sagt, ich muß etwas beichten.

Vergiß es, sagt Eva.

Eroica

Curt spitzt den Bleistift, Curt sticht New York. Nach Wien muß er blättern und von dort nach Ägypten. Der Maßstab ist eins zu einer Million, Curt zeichnet Curt, der Strich ist dicker als seine Bedeutung. Der Atlas ist neu, und Curt zählt die Längengrade. Es geht um das Beileid, das er der Tochter seines Freundes auszudrücken hat. Sie lebt in New York, jetzt, was ist das für eine Zeit, der Freund ist auf dem Nil verblichen, und kaum zwei Tage ist es her.

Curt ist erschöpft. Er denkt, ich begreife nicht genügend. Es wäre ihm lieber, die Tochter des Freundes wäre tot. Tröstende Worte ließen sich leichter zum plötzlichen Tod einer jungen Frau finden als zum Verscheiden eines älteren Mannes, dessen Leben ohnehin zur Neige ging. Was soll er schreiben, Curt ist ein Schriftsteller, und er muß jetzt schreiben, sonst schreibt sie. Sie ist die Tochter des Toten, lebendig in der Millionenstadt. Was bedeutet der millionste Tod eines Vaters?

Der Tote hatte von ihr gesprochen, von der einzigen Tochter, und dann gleich von der Schuld, die er sich aufgeschrieben hatte. Curt war um den Frieden des Freundes geflogen, Ablaß sollte er anbieten für dessen Geschichte.

Der Leichnam wird von Luxor nach Kairo gebracht, und wegen der Obduktion weiß keiner was, aber der Arzt hat vermutet: Herzversagen bei einem sechzigjährigen Mann. Der Arzt hat in Deutschland studiert, hatte bei der Leiche eine Nummer gefunden und noch eine, aber ohne Vorwahl, die Polizei sagte, der Arzt soll telefonieren, bevor er die Leiche aufmacht. Die vollständige Nummer war Curts Nummer.

Ehe die Tochter den Brief erhält, wird der Leichnam zu Hause sein. Curt könnte sie anrufen, nur ist es ihm peinlich. Was ist passiert?

Die Tochter war ein häßliches Kind, fett war der Leib, und fett war das Haar, sie konnte das Fett nicht abwaschen, sie produzierte es im Überfluß nach, und selbst die Augen verschlierten, anstatt zu funkeln. Curt wäre guten Willens gewesen, die innere Schönheit zu entdecken, wenn sein Freund, ihr Vater, sich nicht blind gestellt hätte. Curt verstand ja die Vatergefühle, aber.