Signale der Schwerkraft - Rüdiger Vaas - E-Book

Signale der Schwerkraft E-Book

Rüdiger Vaas

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Beschreibung

Physik-Nobelpreis 2017 für Gravitationswellenforscher: Dieses Buch bietet einen brandaktuellen Ein- und Überblick mit den jüngsten Forschungsergebnissen! Die Entdeckung der Gravitationswellen ist eine wissenschaftliche Sensation. Erstmals seit Albert Einsteins Vorhersage konnten diese Signale der Schwerkraft gemessen werden: Wenn Schwarze Löcher kollidieren, bebt der ganze Weltraum. Der Nachweis von inzwischen einem halben Dutzend Raumzeit-Schwingungen ist ein weiterer Triumph für die Relativitätstheorie und ein enormer Erfolg der Technik. Diese Leistungen wurden nun mit dem Physik-Nobelpreis 2017 gewürdigt. Von Einstein bis zum Urknall und darüber hinaus: Gravitationswellen haben eine neue Ära der Astrophysik eröffnet.

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© S. Ossokine, A. Buonanno/AEI, Simulating eXtreme Spacetimes project, D. Steinhauser/Airborne Hydro Mapping GmbH

Kosmische Karambolage: Bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher wird die Raumzeit erschüttert und förmlich zum Schwingen gebracht. Das können Physiker im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie präzise berechnen. Die Bilder zeigen Ausschnitte aus solchen äußerst aufwendigen Computersimulationen. Bei der rasanten Annäherung der finsteren Materiekonzentrationen werden immer heftigere Gravitationswellen erzeugt.© S. Ossokine, A. Buonanno/AEI, Simulating eXtreme Spacetimes project, D. Steinhauser/Airborne Hydro Mapping GmbH

»Sailing heart-ships thru broken harbors

Out on the waves in the night

Still the searcher must ride the dark horse

Racing alone in his fright.«

Neil Young: Tell Me Why (1970)

Mensch und Kosmos

Es gibt nicht viele Erkenntnisse über das Universum, das Leben und den ganzen Rest, die so faszinierend, so irritierend und gleichermaßen so unglaublich (schön) sind wie die wahrhaft weltumspannenden Einsichten, die Albert Einstein im Rahmen seiner Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben hat. Demnach sind Raum und Zeit nicht die passive und starre Bühne allen Geschehens, sondern eine Einheit, die alle Ereignisse einschließt und aktiv mitgestaltet so wie sie auch von diesen geformt wird. Das hätte sich vor Einsteins Erkenntnissen niemand vorstellen können. Die Raumzeit wird von den Körpern und sogar von Licht beeinflusst – wie auch umgekehrt. Denn Masse verlangsamt die Zeit (relativ zu einem Bezugssystem in einem schwächeren Gravitationsfeld), krümmt den Raum und zwingt Strahlen auf die schiefe Bahn. Das macht die Welt zu einer dynamischen und zugleich unverbrüchlichen Ganzheit.

Die Raumzeit kann sich dehnen, stauchen, biegen und sogar umstülpen, als wäre sie aus Gummi. Obwohl sie tatsächlich Myriaden Mal härter als Stahl ist. Sie bringt Licht auf krumme Touren, verschluckt Materie in finsteren Kerkern und schmettert die zerquetschen Kerne ausgebrannter Sterne mit geradezu irrsinniger Geschwindigkeit aufeinander. Dabei wird das vierdimensionale Gefüge des Alls erschüttert und förmlich zum Schwingen gebracht, wabert wild und schlägt lichtschnelle Wellen, die sich durch das ganze Universum pflügen. Die Erde ist eine Insel in diesem wispernden Ozean, umspült von geheimnisvollen Nachrichten, die teilweise vom Anfang der Zeit stammen.

Der Weltmeister: Mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (1915, 1917) hat Albert Einstein die Grundlage für die physikalische Beschreibung des ganzen Universums gelegt sowie den engen Zusammenhang zwischen Raum, Zeit, Energie, Masse, Schwerkraft und beschleunigten Bewegungen entdeckt. Auch die Existenz der Gravitationswellen folgt aus seinem Geniestreich, wie er 1916 überrascht erkannte – und mehrfach selbstkritisch bezweifelte.© P. Ehrenfest; Museum Boerhaave, Leiden

Es hat lange gedauert und einen extremen Aufwand erfordert, um solche Gravitationswellen direkt zu erhaschen – ein Jahrhundert nach Einsteins gewagten Voraussagen. Neben den grandiosen Gedankenleistungen und dem Mut kühner Vorstellungen waren es vor allem raffinierte Entwicklungen der Experimentalphysik sowie technologische Spitzenleistungen, die nun einen völlig neuartigen Zugang zum Universum ermöglichen. Die kosmischen Kräuselungen künden von erstaunlichen Ereignissen – Dramen der Dunkelheit, die zugleich Arien der Astronomie zwitschern und trotz aller verborgenen Fremdartigkeit eine Poesie der Physik erstrahlen lassen, die Laien wie Profis gleichermaßen verblüffen. Stumme Schreie in der Finsternis entrinnen abgründigen Gravitationsschlünden und bleiben für immer in der Raumzeit – zugänglich jedoch nur für die Wissenden mit ihren raffinierten Lauschposten.

Als die jetzt nachgewiesenen Gravitationswellen zu schwingen begannen, gab es auf der Erde nur einfache Einzeller. Aber als die winzigen Vibrationen des Weltalls viele Hundert Millionen Jahre später die Milchstraße und schließlich das Sonnensystem erreichten, hatte die Evolution hier zufällig bereits Wesen hervorgebracht, die diese eigenartigen Signale der Schwerkraft zu erhaschen und zu deuten wussten – das Rumoren der Raumzeit wurde augen- oder besser ohrenfällig. Dass dies um Haaresbreite gelang, ist noch übertrieben formuliert: Die Messungen, die dem Gravitationswellendetektor LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) nach jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit glückten, sind besser als 1 zu 1021. Das ist, als hätte man die Entfernung des Nachbarsterns Proxima Centauri, etwa 40.680.000.000.000 Kilometer (4,3 Lichtjahre), auf 0,01 Millimeter genau bestimmt – rund ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Diese Leistung war zu Einsteins Zeiten utopisch – und deshalb dachte er auch, dass die winzigen Undulationen des Universums niemals nachzuweisen wären. Nur ein Jahrhundert später aber sind die Spiegel von LIGO grandiose Spiegel der Erkenntnis, in denen sich die große weite Welt niederschlägt.

Die Voraussage und Berechnungen von Gravitationswellen sowie die Ideen zu ihrer Messung geben ein beeindruckendes Zeugnis des menschlichen Denkens und Erfindergeists. Das gilt erst recht für die Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie, ohne die all die Erfolge und Entdeckungen nicht möglich gewesen wären. Dieser Triumph der Welterkenntnis kann sich selbst transzendieren, weil die Schlussfolgerungen daraus neue Horizonte eröffnen – und wieder überschreiten lassen. Es ist zuweilen geradezu ein Lawineneffekt im sich selbst beschleunigenden Fortschritt. Er käme nicht in Schwung ohne die oft langwierige Anfangsphase und die nötige Hartnäckigkeit – das macht die Pionierleistungen noch heroischer. Es sind intellektuelle Heldentaten, so pathetisch das klingt. Denn Heldentaten bestehen nicht darin, jemanden totzuschlagen, auf einer Kreisbahn-Hatz zu überholen (wo man am Ende bloß wieder am Ausgangspunkt steht) oder einen Steinhaufen zu erklimmen (wo der sich selbst quälende Planet auch nicht anders aussieht). Heldentaten bedeuten eher, Menschen zu helfen, zu inspirieren, Fantasie und Wissen zu erweitern sowie trotz widriger Verhältnisse und schäbiger Randbedingungen ein paar Tropfen aus dem vielbeschworenen Ozean der Wahrheit zu schöpfen – kurzum, sich gegen die Absurdität des Daseins zu stemmen und etwas zu erschaffen, mit dem das blinde und taube Universum seine Augen und Ohren öffnet. –

Der irdische Ruhm bedeutet da wenig. Und doch ist er bereits kulminiert – lediglich zwei Jahre nach dem ersten, damals noch nicht einmal völlig verstandenen und ausgewerteten intergalaktischen Impuls. Am Dienstag, 3. Oktober 2017, kurz vor 12 Uhr gab Göran K. Hansson bekannt, der Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, dass der Physik-Nobelpreis 2017 »für entscheidende Beiträge zum LIGO-Detektor und zur Beobachtung von Gravitationswellen« verliehen wird – eine Entdeckung, »die die Welt wahrhaftig erschüttert hat«, wie er schmunzelnd anfügte. Die neun Millionen Schwedische Kronen (gut 940.000 Euro) erhalten zur Hälfte Rainer Weiss sowie zu je einem Viertel Kip S. Thorne und Barry C. Barish (siehe Fotos auf Seite 61).

Weiss (1932 in Berlin geboren) hat am Massachusetts Institute of Technology seit 1972 wesentliche konzeptionelle und technische Entwicklungsarbeiten für LIGO geleistet, Störquellen charakterisiert und einen Prototyp gebaut. Thorne (Jahrgang 1940) trieb LIGO seit 1975 am California Institute of Technology voran (wo der 2017 verstorbene Ron Drever ab 1979 ebenfalls maßgebliche Beiträge schuf); außerdem hat er als Theoretischer Physiker seit 1972 wichtige Forschungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie publiziert, besonders auch zu den Arten, Stärken und Häufigkeiten der Quellen von Gravitationswellen. Und Barish (Jahrgang 1936), der ebenfalls am Caltech wirkte, stieg 1994 als Principal Investigator bei LIGO ein und war von 1997 bis 2005 dessen Direktor; er setzte die politische Finanzierung und dann den Bau der damals zu scheitern drohenden Anlage durch bis hin zu ihrer Erweiterung Advanced LIGO, und er schuf 1997 die LIGO Scientific Collaboration. Sie umfasst inzwischen rund 1200 Wissenschaftler und Ingenieure aus 18 Ländern. Zu ihr gehören auch die Forscher vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und der Universität Hannover, wo ein Großteil der LIGO-Daten analysiert wird, und die bei Sarstedt südlich von Hannover den Gravitationswellendetektor GEO600 betreiben, an dem zahlreiche Technologien für LIGO entwickelt und getestet wurden. Alle drei Nobelpreisträger haben nach ihrer offiziellen Emeritierung weitergearbeitet, sind bis heute weltweit mit Vorträgen präsent und in der LIGO Scientific Collaboration tätig. Ohne die großartige Zusammenarbeit dieser vielen Menschen aus rund 100 Instituten wäre die Entdeckung der Gravitationswellen weder geglückt noch jetzt mit dem höchsten Wissenschaftspreis gewürdigt worden.

Bislang steht die Erkundung der Gravitationswellen am Anfang. Aber bereits der erste Nachweis überraschte die weltweite Gemeinschaft der Wissenschaftler. Dieses wahrhafte Jahrhundertsignal hat eine neue Ära der Astrophysik eingeleitet. Und die Detektoren werden noch empfindlicher, weitere kommen jetzt hinzu, spezielle Satelliten sind geplant und Astronomen spähen bereits eifrig nach elektromagnetischen Gegenstücken der brachialen Ereignisse, die in einem kurzen Augenblick mehr Energie freisetzen als alle Sterne des ganzen sichtbaren Universums zusammen. Theoretiker vermuten eine Fülle neuer Quellen am Himmel – und wie bei jeder Exploration wird es ganz unerwartete und nicht einmal vorstellbare Phänomene geben. Dieses Abenteuer beginnt erst. Es ist eine Anstrengung ohne Garantie, eine Investition ohne Versicherung, eine Expedition mit ungewissem Ausgang – oder ohne Ausgang eigentlich, denn sie soll und wird immer weitergehen, wenn der Forschergeist nicht stirbt.

Exkurs

Die Quellen der Wellen

Dass die Raumzeit schwingen kann, gehört zu den frappierendsten Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie – ja der ganzen Naturwissenschaft überhaupt. Wodurch die Schwingungen hervorgebracht werden und wie sich das messen lässt, ist eine andere Frage. Lange war die Theorie der Praxis hier weit voraus. Doch das ändert sich nun – mit gegenwärtig noch unabsehbaren Konsequenzen für die Theorie.

Es werden verschiedene Klassen von Quellen der Gravitationswellen unterschieden: Bursts, periodische Wellen und ein stochastischer Hintergrund.

Bursts sind kurze Emissionen von Gravitationswellen, die nur Sekundenbruchteile andauern, aber mehr Energie abstrahlen können als unsere Sonne in Form von Wärme während ihrer gesamten Existenz – oder sogar mehr als die gesamte Energie von allen Sternen im beobachtbaren Universum im selben Zeitraum. Weil Bursts oft hohe Frequenzen besitzen (über 10 Hertz), sind sie mit erdgebundenen Detektoren messbar. Erzeugt werden sie von kosmischen Katastrophen:

› Explosion eines Sterns als Supernova und Kollaps seines Zentralbereichs zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch (bei rasch rotierendem Sternkern oder asymmetrischer Explosion). – Häufigkeit: wenige Ereignisse pro Jahr im Umkreis von 10 Millionen Lichtjahren.

› Kollaps eines Sternhaufens zu einem galaktischen Schwarzen Loch. – Häufigkeit: wenige Ereignisse pro Jahr im beobachtbaren Universum.

› Kollision zweier Sterne oder Schwarzer Löcher nach einer spiralförmigen Verengung ihrer Umlaufbahn. – Häufigkeit: einige Ereignisse pro Jahr im Umkreis von 100 Millionen Lichtjahren.

› Kollision eines Sterns oder Schwarzen Lochs mit einem galaktischen Schwarzen Loch.

› Kollisionen supermassereicher Schwarzer Löcher (aber zu niedrige Frequenzen für erdgebundene Detektoren).

› Exotische Prozesse, über die nur spekuliert werden kann, etwa fluktuierende Bosonensterne, nackte Singularitäten oder Schnitte, Wechselwirkungen und Knicke Kosmischer Strings.

Periodische Gravitationswellen haben oft niedrige Frequenzen (10-5 bis 10 Hertz) und können dann wegen den seismischen Störungen auf der Erde nur vom Weltraum aus nachgewiesen werden. Dazu ist ein Satelliten-Interferometer mit Millionen Kilometer Basislänge nötig, das mit Lasern Abstandsänderungen von 20 Billionstel Meter misst. Die langwellige Gravitationsstrahlung hat diverse Ursprünge, zum Beispiel:

› Doppelsterne, die sich umkreisen,

› rotierende Neutronensterne (Pulsare),

› Vibrationen von Neutronensternen.

Der stochastische Gravitationswellenhintergrund hat Frequenzen unter 10-5 Hertz; er entsteht durch die Überlagerung vieler ferner periodischer Vorgänge sowie schwacher oder weit entfernter Einzelereignisse. Dazu gehören:

› Gravitationsbremsstrahlung, die entsteht, wenn zwei Sterne oder Schwarze Löcher mit hoher Geschwindigkeit aneinander vorbeifliegen.

› Kollisionen der ersten Sterne im Universum und die Bildung hypothetischer primordialer Schwarzer Löcher.

› Vorgänge (»Phasenübergänge«) im sehr frühen Universum, die zur Bildung von null- bis dreidimensionalen Störungen im Raumzeitgefüge geführt haben (sogenannte Magnetische Monopole, Kosmische Strings, Domänengrenzen oder Texturen). Ursachen dafür können die Aufspaltung der Naturkräfte gewesen sein oder die Änderung des Vakuumzustands (etwa durch eine Veränderung des Higgs-Felds).

› Zusammenstöße von Blasen-Universen (»Bubble Collisions«) mit verschiedenen Naturgesetzen oder -konstanten, was ebenfalls einen Phasenübergang oder eine Änderung des Vakuumzustands bewirkt sowie anisotrope Erschütterungen an den Kollisionsfronten und magnetohydrodynamische Turbulenzen im Plasma.

› Relikte des Urknalls selbst (Turbulenzen der Raumzeit; das Ende der Kosmischen Inflation) oder Spuren eines kosmischen Kollaps, falls der Urknall ein Übergang (»Bounce«) von einem in sich zusammenstürzenden Universum war, das durch Quantengravitationseffekte wieder zur Ausdehnung gezwungen wurde – zum heute expandierenden Weltraum.

Schwarze Löcher und Einsteins Fehler

Selbst einem Genie wie Albert Einstein glückte nicht alles beim ersten Anlauf. So hatte er die Existenz von Gravitationswellen zuerst bezweifelt, dann wies er sie nach, später revidierte er das und schließlich argumentierte er doch wieder dafür. Der Begriff selbst geht auf eine Arbeit des Physikers Henri Poincaré aus dem Jahr 1905 zurück und beruht auf einer Idee des Physikers Hendrik Antoon Lorentz fünf Jahre zuvor. Davon wusste Einstein. Doch ob und wie es die ominösen Wellen gibt, war völlig offen.

Gravitationswellen ließen sich erst im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie als Fluktuationen des Metrik-Tensors in eine mathematische Form bringen und als überprüfbare wissenschaftliche Hypothese formulieren. Demnach kann der Raum schwingen. Das klingt sehr sonderbar – ist aber durchaus logisch, wenn man eine dynamische Raumzeit akzeptiert und die Gravitation als metrisches Feld beschreibt, vergleichbar mit dem elektromagnetischen, das ja auch schwingt.

Trotzdem meinte Einstein noch in einem Brief vom 19. Februar 1916 an den Astrophysiker Karl Schwarzschild, dass es in der Allgemeinen Relativitätstheorie »keine Gravitationswellen, welche Lichtwellen analog wären«, geben könne. Wie Einstein war Schwarzschild damals an der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin angestellt, hielt sich aber als Artillerie-Leutnant an der Ostfront in Russland auf, wo er unter anderem ballistische Berechnungen ausführte. Dort fand er auch die ersten exakten Lösungen von Einsteins Feldgleichungen. Nur wenige Wochen nach Einsteins Durchbruch am 25. November 1915 beschrieb Karl Schwarzschild die Raumzeit-Metrik für eine nicht rotierende, isolierte Kugel und für statische isotrope leere Räume um einen Massenpunkt beziehungsweise deren Gravitationsfelder. Aus diesen 1916 in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie publizierten Artikeln folgt der später ihm zu Ehren benannte Schwarzschild-Radius: die Größe der einfachsten Art eines Schwarzen Lochs. (Das war damals freilich noch nicht verstanden worden und der Begriff wurde erst in den 1960er-Jahren geprägt; Einstein selbst bezweifelte sogar noch 1939 vehement, dass es solche Schlünde der Raumzeit im All geben könnte.) Schwarzschild hatte, wie aus einer Mitteilung an den Quantenphysiker Arnold Sommerfeld hervorgeht, vergeblich versucht, Gravitationswellen aus Einsteins Feldgleichungen zu deduzieren. Und Einstein hatte das in seinem Brief bestätigt und auf ein Versagen der angewandten Methode der Näherungsrechnung zurückgeführt.

Schwarzschild, der Einstein in einem Brief vom 22. Dezember 1915 von seiner ersten Rechnung berichtet hatte, »trotz heftigen Geschützfeuers«, kehrte im März 1916 aus Russland zurück. Er war durch eine Autoimmunerkrankung der Haut (Pemphigus vulgaris) zum Invaliden geworden und starb am 11. Mai im Alter von 42 Jahren. »Selten ist ein so bedeutendes mathematisches Können mit so viel Wirklichkeitssinn und solcher Anpassungsfähigkeit des Denkens vorhanden gewesen wie bei ihm«, sagte Einstein in seiner Gedächtnisrede, die im Juli in den Sitzungsberichten der Akademie gedruckt wurde.

Die Ordnung der Oszillationen: Gravitationswellen sind periodische Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit, die sich als charakteristische winzige Änderungen von Abständen bemerkbar machen. In der Grafik werden sie schematisch dargestellt durch eine entsprechende Versetzung von Testteilchen bei maximaler positiver und negativer Auslenkung im Abstand einer halben Schwingungsperiode der Welle; die Schwingungsebene liegt jeweils in der Fläche dieser Seite, die Welle bewegt sich in Richtung der z-Koordinate (in den ersten drei Teilgrafiken auf den Betrachter hin, in den drei weiteren innerhalb der Seitenebene). Metrische Gravitationstheorien sagen bis zu sechs solcher Schwingungsarten (»Polarisationen«) voraus. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist die einfachste metrische Theorie und erlaubt nur zwei Polarisationen (oben), wie Einstein bereits 1918 entdeckte. Sie werden +-Polarisation und x-Polarisation genannt. Würden Gravitationswellendetektoren auch anders polarisierte Oszillationen messen (zum Beispiel die dritte, die in masselosen Skalar-Tensor-Theorien und Theorien mit zusätzlichen Raum-Dimensionen vorkommen), wäre die Relativitätstheorie widerlegt.© C. Will; Gunther Schulz/Rüdiger Vaas

Allerdings enthielt Einsteins Rechnung zwei Fehler. Einen korrigierte er noch vor dem Druck. Auf den anderen machte ihn der Physiker Gunnar Nordström 1917 aufmerksam: Es könne keine drei linearisierten Wellenformen geben, wie Einstein zunächst dachte, sondern nur zwei. Und dass sie keine Energie transportierten, wie Einstein verwundert festgestellt hatte, war bloß ein Koordinaten-Effekt.

Am 31. Januar 1918 reichte Einstein daher einen weiteren Artikel in den Sitzungsberichten seiner Akademie ein. Der schlichte Titel: Über Gravitationswellen. Da seine frühere Darstellung »nicht genügend durchsichtig und außerdem durch einen bedauerlichen Rechenfehler verunstaltet« sei, müsse er »nochmals auf die Angelegenheit zurückkommen«, schrieb er. In der neuen Arbeit formulierte er die berühmte Quadrupol-Formel für die Energie der Gravitationswellen, die noch heute verwendet wird.

Bemerkenswerterweise hatte schon der Physiker Max Abraham im Rahmen seiner eigenen – mit Einsteins Relativitätstheorie konkurrierenden – Gravitationstheorie von 1912 argumentiert, dass es keine Dipol- und Monopol-Wellen geben könne, wenn Impuls und Masse erhalten bleiben. Ganz ähnlich, wie die Erhaltung der elektrischen Ladung impliziert, dass keine Emission magnetischer Monopole möglich ist.

Einsteins Artikel enthielt zwar einen neuen Rechenfehler – doch diesmal nur um einen Faktor zwei. 1922 korrigierte das Arthur Stanley Eddington. Der britische Astrophysiker, der mit seiner Sonnenfinsternis-Expedition 1919 die von der Relativitätstheorie vorhergesagte Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne gemessen hatte und damit Einstein zu Weltruhm verhalf, war von der Existenz der Gravitationswellen allerdings nicht überzeugt. Er polemisierte 1922, sie würden sich »mit der Geschwindigkeit der Gedanken« bewegen – sie seien also reine Hirngespinste. Das Problem bestand unter anderem darin, dass nicht klar war, ob die Wellen Energie transportierten. Trotzdem ließen sich die meisten Physiker – von den wenigen, die überhaupt Interesse und Verständnis aufbrachten – nach und nach von der Existenz der Gravitationswellen überzeugen.

Rolle rückwärts

Doch Einstein machte erneut eine Kehrtwende, nachdem er in die USA emigriert war und am Institute for Advanced Study in Princeton weiterforschte. 1936 beschäftigte er sich wieder mit dem Thema, zusammen mit seinem ersten Assistenten Nathan Rosen. Die beiden glaubten nun nachweisen zu können, dass Gravitationswellen doch nicht möglich sind. In einem undatierten Brief an den befreundeten Quantenphysiker Max Born, der ebenfalls Nazi-Deutschland verlassen hatte und inzwischen an der Edinburgh University untergekommen war, schrieb Einstein: »Ich habe zusammen mit einem jungen Mitarbeiter das interessante Ergebnis gefunden, dass es keine Gravitationswellen gibt, trotzdem man dies gemäß der ersten Approximation für sicher hielt. Dies zeigt, dass die nichtlinearen allgemeinen relativistischen Feldgleichungen mehr aussagen, beziehungsweise einschränken, als man bisher glaubte. Wenn es nur nicht so infam wäre, strenge Lösungen zu finden.«

Einstein und Rosen schickten ihren Artikel Do Gravitational Waves Exist? an die Zeitschrift Physical Review, die bis heute zu den renommiertesten Physik-Fachjournalen gehört. Dort hatten Einstein und Rosen bereits zwei Arbeiten publiziert, die zu Klassikern wurden: In einer hatten sie die Idee der Wurmlöcher formuliert (erst 1957 so bezeichnet), auch Einstein-Rosen-Brücken genannt. Das sind hypothetische topologische Verbindungen der Raumzeit – die sich in dieser Formulierung später allerdings als instabil erwiesen. In der anderen Arbeit beschrieben Einstein und Rosen zusammen mit Boris Podolsky erstmals ominöse Verschränkungen von Quantenzuständen (»spukhafte Fernwirkungen«). Diese interpretierten sie als eine Paradoxie der Quantenphysik, die sie kritisierten – die inzwischen aber eindeutig gemessen sind. Im Gegensatz zu diesen beiden Arbeiten druckte John Tate, der Herausgeber der Physical Review, den neuen Artikel nicht sofort. Vielmehr leitete er ihn nach längerem Zögern erst einmal weiter zur Begutachtung.

Wie erst vor ein paar Jahren publik wurde, schickte Tate den am 1. Juni 1936 eingegangenen Artikel am 6. Juli an Howard Percy Robertson. Der hatte sich als Relativitätstheoretiker bereits einen Namen gemacht. (Er hatte die sogenannte Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik expandierender homogener Universen mitformuliert, die dem aktuellen Standardmodell der Kosmologie zugrunde liegt.) Robertson arbeitete eigentlich ebenfalls in Princeton, war in jenem Jahr jedoch erst auf einem Sabbatical am California Institute of Technology in Pasadena und machte dann Urlaub in Saranac Lake. Aus diesem Dorf im US-Bundesstaat New York schrieb er am 14. Juli an Tate, dass er Fehler im Artikel gefunden hätte und schlug vor, Einstein seine Kommentare weiterzuleiten. Tate tat dies am 23. Juli und bat um eine Reaktion. Und die fiel ganz anders aus als erwartet.

Bereits am 27. Juli beschwerte sich Einstein – Rosen war inzwischen in die Sowjetunion gereist, wo er zwei Jahre lang an der Universität Kiew lehrte –, er habe Tate »nicht autorisiert, den Artikel vor der Publikation Spezialisten zu zeigen«. Auch wolle er nicht auf die »in jedem Fall fehlerhaften« Kommentare des anonymen Gutachters eingehen und den Artikel anderswo publizieren. Am 30. Juli antwortete Tate, dass er dies bedauere, aber die Begutachtungspraxis nicht ändern würde.

Der systematische wissenschaftliche »Peer-Review«-Prozess von Publikationen, der heute Standard ist, war damals erst im Entstehen. Im deutschen Sprachraum war er kaum üblich – selbst bei den führenden Annalen der Physik wurden weniger als ein Zehntel der eingereichten Beiträge abgelehnt. Motto: Besser ein falscher Artikel als keiner. Und die Preußische Akademie der Wissenschaften druckte alles von Einstein. Er selbst begutachtete allerdings andere Beiträge für die Sitzungsberichte und fand sie nicht selten »wertlos«. Jedenfalls war er verärgert und schickte seinen Artikel ans Journal of the Franklin Institute in Philadelphia, in dem er auch schon früher publiziert hatte. Und er veröffentlichte, von einem Kommentar abgesehen, nie mehr etwas in der Zeitschrift Physical Review.

In der Falle der Artefakte

Doch die Geschichte war noch nicht zu Ende, sondern nahm eine überraschende Wendung. Der Artikel erschien 1937 nämlich unter dem geänderten Titel On Gravitational Waves, nachdem Einstein am 13. November 1936 »fundamentale« Änderungen erbeten hatte. Was war geschehen?

Howard Percy Robertson kehrte nach Princeton zurück und freundete sich mit Leopold Infeld an. Der aus Polen stammende Physiker wurde Einsteins neuer Assistent. (Zuvor war er übrigens Max Borns Assistent, und 1938 veröffentlichte er mit Einstein das noch immer lesenswerte Sachbuch The Evolution of Physics.) Einstein hatte Infeld von der Nichtexistenz der Gravitationswellen überzeugt, und dieser diskutierte seine eigene Version des Beweises mit Robertson. Der wiederum machte Infeld auf die Fehler aufmerksam. Als Infeld daraufhin Einstein informierte, antwortete der, er habe in der Nacht zuvor ebenfalls entdeckt, dass die ursprüngliche Argumentation falsch sei. Unglücklicherweise hatte Einstein für den folgenden Tag einen Vortrag am Institut in Princeton angekündigt, bei dem er nun zerknirscht einräumen musste, dass sein Beweis ungültig sei. Er schloss Infeld zufolge, der die Vorgänge später in seiner Autobiografie Quest (1949) schilderte, mit dem Eingeständnis, nicht zu wissen, ob es Gravitationswellen gibt oder nicht.

Der Fehler von Einstein und Rosen bestand darin, dass sie die Singularitäten in den Gleichungen für die ebenen Gravitationswellen für unphysikalisch hielten. In Wirklichkeit waren sie Artefakte des verwendeten Koordinatensystems, also nicht real. Das ist ähnlich wie beim Nord- und Südpol: Sie sind Singularitäten im Netz der Längengrade auf dem Globus. Doch an diesen Schnittpunkten verlieren die Naturgesetze bekanntlich keineswegs ihre Gültigkeit. Wählt man andere Koordinaten, so verschwinden die singulären Artefakte. Ähnlich bei der Beschreibung der Gravitationswellen. Das erkannte Einstein Ende 1936 und korrigierte seinen Aufsatz entsprechend. Sogenannte zylindrische Gravitationswellen sollte es demnach also doch geben.

Wellenkundige Pioniere: Der Beweis, dass im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationswellen existieren müssen, war ein theoretischer Kraftakt. Einstein hatte zunächst ab 1916 allein und dann wieder Mitte der 1930er-Jahre mit seinen Mitarbeitern Nathan Rosen (1909–1995) und Leopold Infeld (1898–1968) darüber nachgedacht (Fotos von links oben). Howard Percy Robertson (1903–1961) fand Fehler in den Rechnungen. Erst 1957 konnten Hermann Bondi (1919–2005) und Felix Pirani (1928–2015) noch bestehende Verwirrungen auflösen und den Sachverhalt klären. Bereits 1925 hatte Guido Beck (1903–1988) Gravitationswellen beschrieben, was allerdings erst viel später zur Kenntnis genommen wurde.© Wikimedia Commons/CC

Ein rigoroses Verfahren, Koordinaten-Singularitäten von echten physikalischen Singularitäten zu unterscheiden, wurde erst Jahre später gefunden. Hier ist Einstein also kein Vorwurf zu machen, denn damals lautete die Methode schlicht: Versuch und (viel) Irrtum. »Die Ironie ist allerdings, dass Einstein den Ausweg Monate zuvor hätte finden können, wenn er nur das Gutachten gelesen hätte, das er so hastig verwarf«, sagt Daniel Kennefick. Der Wissenschaftshistoriker von der University of Arkansas in Fayetteville hat die Geschichte akribisch rekonstruiert und besonders Robertsons Rolle dabei erforscht. (Kenneficks Buch Travelling at the Speed of Thought von 2007 spielt im Titel auf Eddingtons skeptische Bemerkung an.)

Nathan Rosen fand den Fehler übrigens ebenfalls. Er war aber mit Einsteins Änderungen nicht ganz glücklich und publizierte 1937 einen eigenen Artikel. Darin wies er nur die Nichtexistenz der ebenen Wellen nach – wobei sich sein Beweis später als falsch herausstellte, weil auch hier die Koordinaten-Singularitäten verwirrten. Kurioserweise hatte bereits 1925 der österreichische Physiker Guido Beck in der Zeitschrift für Physik zylindrische Gravitationswellen beschrieben, was aber lange völlig unbeachtet blieb.

Ob Einstein bis zu seinem Tod 1955 wirklich an die Existenz der Gravitationswellen glaubte, ist ungewiss. Auch die Fachwelt war sich damals nicht einig, ob die Raumzeit tatsächlich zum Zittern gebracht werden und dabei Energie übertragen könnte. Erst durch die Arbeiten von Hermann Bondi vom King’s College in London und seinem – wie auch Infelds – früheren Studenten Felix Pirani zusammen mit Rainer Sachs, Ivor Robinson und Roger Penrose konnte die Sachlage ab 1957 eindeutig entschieden werden. Bondi meinte nach dem Durchbruch, die Wellen seien so real, dass man damit im Prinzip Wasser erwärmen könnte.

Rotierende Ruinen

Einsteins Universum ist ein magischer Ort. Nahezu perfekte Kugeln schwirren darin umeinander wie die Bälle eines Jongleurs. Allerdings sind sie über ein Dutzend Kilometer groß, und ein Kaffeelöffel von ihrer superdichten Materie würde über zehn Milliarden Tonnen wiegen – mehr als der Mount Everest. Diese Kugeln bringen die Raumzeit selbst zum Schwingen, was die Vorstellungskraft völlig überfordert. Und wenn sie miteinander kollidieren, kommt es zu einigen der energiereichsten Explosionen im gesamten Universum. Diese Kugeln sind Neutronensterne – die Kerne ausgebrannter Riesensterne, deren äußere Schichten als Supernova in den Weltraum hinausgeschleudert wurden. Da die Mehrzahl der Sterne im All Doppelsysteme bildet, bleiben solche Sternruinen zuweilen als Paar übrig. Mindestens 15 solcher Duos haben Astronomen bereits entdeckt. Das fasziniert auch Grundlagenphysiker. Denn solche exotischen Sternenpaare erlauben es, die Allgemeine Relativitätstheorie hochpräzise zu testen – und zwar für starke Schwerefelder und auf eine Weise, wie es im Sonnensystem niemals möglich wäre. Inzwischen gehören die Messungen bei zwei dieser Neutronenstern-Duos zu den besten Bestätigungen von Einsteins Meisterwerk. Und alternative Erklärungen der Schwerkraft, die physikalisch komplizierter aussehen, sind dagegen teilweise bereits in Bedrängnis geraten. Mehr noch: Diese ultrakompakten Doppelsterne lieferten den ersten indirekten Nachweis der Existenz von Gravitationswellen.

Kreisel im All: Ein Doppelsystem aus zwei umeinander kreisenden Neutronensternen ist ein ideales natürliches Labor für Überprüfungen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Denn die kompakten, ausgebrannten Sternleichen rotieren äußerst rasch und emittieren Radiowellen entlang ihrer Magnetfeldachse (die mit der Rotationsachse in der Regel nicht übereinstimmt). Überstreicht ein solcher Strahlungskegel das irdische Beobachtungsfeld (ähnlich wie ein Wassersprenger im Garten oder ein Leuchtturm an der Meeresküste), dann lassen sich die regelmäßigen »Radiopulse« als kosmische Präzisionsuhren nutzen und geben genaue Auskunft über die Bahnparameter der Neutronensterne. Pulsare heißen Neutronensterne, von denen solche Pulse gemessen werden können (was etwas irreführend ist, denn diese Sterne pulsieren nicht).© M. Kramer, MPIfR

Das zuerst entdeckte System aus zwei Neutronensternen befindet sich ungefähr 21.000 Lichtjahre entfernt im Sternbild Adler. Es heißt PSR 1913+16, benannt nach seinen Himmelskoordinaten. Aufgespürt wurde es im Rahmen einer Himmelsdurchmusterung am 2. Juli 1974 von dem US-Amerikaner Russell Hulse und seinem Doktorvater Joseph Taylor bei 430 Megahertz mit dem 300 Meter großen Arecibo-Radioteleskop im Nordwesten der Insel Puerto Rico. (Sie entdeckten 40 neue Pulsare, damals waren erst etwa 100 bekannt.) Dafür erhielten die zwei 1993 den Physik-Nobelpreis. Denn schon bald nach der Entdeckung wurde klar, dass sich mit PSR 1913+16 neue relativistische Effekte erforschen lassen.

Die beiden 1,44 und 1,39 Sonnenmassen schweren Neutronensterne von PSR 1913+16 umlaufen sich einmal alle 7,75 Stunden auf stark elliptischen Bahnen (Exzentrizität: 0,617, große Halbachse: 1,95 Millionen Kilometer). Eine der beiden Sternruinen ist ein Pulsar: Er sendet Radiostrahlung entlang seiner Magnetfeldachse ins All: Wie der Lichtkegel eines Leuchtturms überstreicht sie periodisch das Sonnensystem und kann somit von irdischen Astronomen gemessen werden. Der Pulsar braucht für eine Rotation nur 59 Millisekunden. Der andere Neutronenstern ist unsichtbar.

Einsteins Uhren

Pulsare können als ultragenaue »Uhren« im All fungieren, denn ihre Radiosignale sind extrem regelmäßig und relativ einfach zu messen. Astronomen haben seit 1967 in der Milchstraße und in anderen Galaxien mehr als 2500 Pulsare mit Rotationsperioden von 1,4 Millisekunden bis 8,5 Sekunden gefunden. Manche sind so stabil, dass sie innerhalb von drei Jahrzehnten um nur eine Millionstel Sekunde abweichen. Neutronensterne sind quasi gewaltige Schwungräder, die so viel Rotationsenergie haben, dass sie sich nur sehr schwer aus dem Tritt bringen lassen.