Single Malt Mörder - Melinda Mullet - E-Book

Single Malt Mörder E-Book

Melinda Mullet

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Beschreibung

Geistermönch und Inselmord – und ein guter Tropfen Single Malt.

Abigail Logan, leidenschaftliche Whisky-Brennerin und begnadete Fotografin, möchte mit ihrem Partner Grant eine romantische Auszeit auf einer kleinen schottischen Insel verbringen. Doch daraus wird nichts: Gastgeber Neil spannt die Kollegin direkt ein, um die Werbetrommel für seine Whisky-Destillerie zu rühren. Seine Umgestaltungsideen gefallen nicht jedem der siebenundsechzig Inselbewohner. Als ein geheimnisvoller Mönch sein Unwesen treibt und jemand ermordet wird, werden sofort die Fremden verdächtigt – auch Abi und Grant ... 

Sie kann das Ermitteln nicht lassen: der sechste Fall für Abigail Logan.

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Seitenzahl: 434

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Es soll ein romantisches Wochenende werden für Abigail Logan, Fotojournalistin und Besitzerin der Whisky-Brennerei Abbey Glen, und ihren Partner Grant. Doch Neil, ihr Gastgeber auf der kleinen Insel, möchte ihre Anwesenheit nutzen, um für seine Whisky-Destillerie zu werben. Neils Umgestaltungsideen gefallen nicht jedem der siebenundsechzig Inselbewohner.

Als ein geheimnisvoller Mönch sein Unwesen treibt und schließlich jemand ermordet wird, werden sofort die Fremden verdächtigt. Auch Abi und Glen. Die müssen sich beeilen, den Täter zu finden, denn nach einem zweiten Mord verliert die Inselgemeinde die Geduld mit dem ungebetenen Besuch.

Über Melinda Mullet

Melinda Mullet hat britische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Sie hat mehrere Jahre als Juristin gearbeitet, sich in den USA und im Ausland um Kinderrechte gekümmert und ist viel gereist. Sie lebt in der näheren Umgebung von Washington D.C. mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann, der Whisky-Sammler ist.

Zuletzt erschien von ihr »Mord on the Rocks«. Alle lieferbaren Titel der Autorin sehen Sie unter aufbau-verlage.de.

Ulrike Seeberger lebte zehn Jahre in Schottland und arbeitete dort u. a. am Goethe-Institut. Seit 1987 wohnt sie als freie Übersetzerin und Dolmetscherin in Nürnberg. Sie übertrug u. a. Philippa Gregory, Vikram Chandra, Alec Guinness, Oscar Wilde, Charles Dickens und Greg Iles ins Deutsche.

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Melinda Mullet

Single Malt Mörder

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Seeberger

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Anmerkung der Autorin

Danksagungen

Erläuterungen

Impressum

Für Kat, Amanda, Emma, Cami, Abel und Sam, meine phantastischen Cosplayer! Danke, dass ihr mein Leben mit euren Geschichten und euren atemberaubenden Kostümkreationen bereichert habt.

Kapitel 1

Überraschung!«

»Mir reicht es, dass ich in dieser mikroskopisch kleinen Propellermaschine eingesperrt bin. Ich weiß nicht, ob mein Herz noch mehr Überraschungen verkraften kann«, sagte Grant, während er mit Liam um einen Platz an dem winzigen Fenster rangelte. »Die weltberühmte Kriegsberichterstatterin Abigail Logan mag es ja gewöhnt sein, wie ein überfälliges Päckchen auf einem Frachtflug hin und her gebeutelt zu werden, aber wir Normalsterblichen beschränken unsere Abenteuer in der Luft lieber auf Flugzeuge von respektabler Größe mit einem Getränkeservice und Notausgängen.«

Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass ein kleines Flugzeug meinen Partner Grant möglicherweise nervös machen könnte, doch er wirkte eindeutig unruhig, und ich hatte ganz kurz Gewissensbisse, dass mir nicht einmal der Gedanke gekommen war, bei ihm nachzufragen. Als ich zu Grant hinüberschaute, sah ich, dass seine blasse Haut schon beinahe im selben Grün schimmerte wie seine Augen. Wenn er festen Boden unter den Füßen hatte, war Grant so unerschrocken, da hatte ich nicht vermutet, dass er Flugangst haben könnte.

»Wo sind wir eigentlich?«, fragte er und schaute auf die Landzunge hinaus, die unter uns aus der sturmgepeitschten See auftauchte.

»St. Galan’s. Ich dachte mir, dass ein kleiner Urlaub für uns beide angesagt wäre. Seit den ersten Anzeichen, dass du dich von deiner Gehirnerschütterung ganz erholen würdest, ackerst du nonstop in der Destillerie. Ein schönes romantisches Wochenende auf einer abgelegenen schottischen Insel ist genau das, was wir jetzt brauchen.«

Grant schob den Hund, der sich wie eine Decke über seine Knie drapiert hatte, ein wenig zur Seite, um einen besseren Ausblick zu haben. »Wie bist du auf St. Galan’s gekommen?«

»Erinnerst du dich noch an Neil Campbell aus unserem Whiskykurs? Seine Destillerie ist auf St. Galan’s, und er hat an diesem Wochenende Tage der offenen Tür. Eine Tour durch die Destillerie und eine Verkostung. Letzte Woche hat er angerufen und gefragt, ob ich komme und ein paar Fotos mache, um die neue Werbekampagne zu unterstützen, die er gerade plant.«

Grant warf mir einen schiefen Blick zu, der Bände sprach. »Ah ja, also ist es für dich Arbeit und kein Urlaub.«

»Du wirst es gar nicht merken, dass ich arbeite, das verspreche ich dir. Neil hat ein paar andere Leute aus der Whiskybranche eingeladen, also konzentriert er sich nicht nur auf uns.« Ich streichelte Grants Unterarm, der auf der Lehne neben mir lag. »Ich habe mir gedacht, es wäre doch schön, wenn wir zusammen hingehen. Wenn wir mal ein bisschen Abstand von all der Verantwortung in unserer Destillerie gewinnen. Ein bisschen Zeit nur für uns beide haben.« Ob Grant es nun auch gespürt hatte oder nicht, wir mussten einfach mal weg. Es war Zeit, ein paar Tage auszuspannen, Zeit zu reden und vor allem Zeit, ein paar von den Dämonen auszutreiben, die in meiner Hälfte dieser Beziehung herumspukten.

Grant lehnte sich zurück und legte mir einen Arm um die Schulter. »Da hast du recht. Ein Kurzurlaub wäre wunderbar. Wo werden wir übernachten?«

»Auf der Insel gibt es eine nette Frühstückspension, die zum Pub gehört. Neil hat bereits alles in die Wege geleitet.«

»Klingt toll.«

Grant beugte sich herüber, um mich zu küssen, wurde aber abrupt zurückgeschleudert, weil das Flugzeug plötzlich eine scharfe Rechtskurve machte.

»Was ist los, John?«, fragte ich unseren Piloten.

»Wir müssen noch mal um den Block. Haben noch keine Landeerlaubnis.«

»Wieso das denn? Da hatte wohl eine 747 Vorrang?«, fragte ich und linste auf die grüne Wiese hinunter, die gleichzeitig als Rollbahn diente.

»Nö«, antwortete John und lachte glucksend. »Die müssen nur die Schafe von der Landebahn scheuchen, ehe wir runterkommen.«

Durch das Fenster neben mir konnte ich beobachten, wie ein Dutzend Schafe vom flachen Weideland in einen Pferch neben der dort vorbeiführenden Straße getrieben wurden.

Bei unserer Ehrenrunde tief über der Insel sahen wir Wiesen mit kurz gemähtem Gras, die sich bis ganz zur Küste hinunterzogen, um dann im Westen schroff zu Klippen abzufallen. Am Nordende war das Land karger und abschüssig, verlief danach steiler zu den darunterliegenden und von den Wellen gepeitschten Felsen. Als wir an die Ostküste kamen, flogen wir über atemberaubende weiße Sandstrände, die aus der azurblauen See auftauchten, eine winzige Bucht immer idyllischer als die nächste. Weiter im Inneren erblickte man einzeln verstreute Bauernhöfe und Häuser und natürlich die Ruine einer alten Kirche und einen Friedhof. Die Kirche hielt Wacht mitten auf der Insel und war von friedlich auf ihren Weiden grasenden Schafen umgeben. Sie wirkte außerordentlich alt, war vielleicht einer der klösterlichen Außenposten, wie sie überall auf den schottischen Inseln verteilt sind. Es würde sicher Spaß machen, das alles ein wenig zu erkunden, wenn wir Zeit hatten.

Die Häuser auf der Insel waren aus dem Stein der Region gebaut. Die meisten sahen so aus, als wären sie in der Erde versunken und müssten sich mit letzter Kraft gegen die Stürme anstemmen, die oft vom Nordatlantik hereinrollten und die Gegend heimsuchten. Am Südende der Insel zog sich eine adrett aussehende Hauptstraße einen sanften Berghang hinunter und endete bei einem kleinen Hafen, wo eine Fähre vor Anker lag. Die Insel war malerisch, aber viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte, und umgeben von endlosen Meilen grauer See wirkte sie noch viel kleiner. Vom Wind zerzaust und trostlos, und aus irgendeinem Grund kam mir noch das Wort verletzlich in den Sinn. Vielleicht weil ich mich gerade selbst so verletzlich fühlte. Mit einem leisen Schaudern zog ich den Pullover enger um mich.

Ich hatte viele Jahre keine ernsthafte Beziehung gehabt. Beziehungen waren ein Luxus, der nicht zu meinem früheren rasanten Leben passte. Doch in letzter Zeit war mir klar geworden, dass ich wirklich eine Beziehung wollte. Leider war die Sache nicht so einfach. Denn wenn man sich festlegte, wurde man verwundbar, musste man sich öffnen und Vertrauen schenken. Und es gab immer noch einige Dinge, die Grant von mir nicht wusste. Wichtige Dinge, die er unbedingt erfahren musste, wenn unsere Beziehung eine Überlebenschance haben sollte. Wir hatten nie ausdrücklich über Ehe und Kinder gesprochen, und doch spürte ich, dass dieses Thema in der Luft lag. Leider konnten Kinder nie Teil meiner Zukunft sein, und ich vermutete stark, dass das für Grant möglicherweise das Ende einer langfristigen Beziehung einläuten würde. Diesem Gespräch war ich bis jetzt bewusst aus dem Weg gegangen. Einen guten Zeitpunkt, um das Thema anzuschneiden, gab es wohl nicht, aber je länger wir zusammen waren, desto weniger konnte ich ihm die Wahrheit verschweigen. Vielleicht wühlte diese so verletzlich wirkende Insel deswegen gerade jetzt so sehr viel in mir auf.

»Sieht ganz so aus, als gäbe es eine Fähre«, brach Grants Stimme in meine Gedanken ein. Er lehnte sich weit über mich, um auf den Hafen zu schauen, hatte dabei die Armlehnen fest mit den Händen umklammert. »Darf ich fragen, warum wir die nicht genommen haben?«

»Liam und ich, wir werden seekrank«, gab ich zu. »Und das ist doch kein guter Anfang für einen Urlaub.«

»Nein, auf keinen Fall will man seinen Urlaub mit Übelkeit anfangen«, erwiderte er.

Die Schärfe in seiner Stimme ließ darauf schließen, dass es in dieser Hinsicht für ihn bereits zu spät war.

»Sind wir bald da, John?«, fragte ich.

»Das letzte Schäfchen geht gerade brav in den Pferch. Ich fliege noch einen Bogen, und dann gehen wir im Nu runter.«

»Das heißt landen«, quetschte Grant zwischen den Zähnen hervor. »Nicht runtergehen, landen.«

Liam und Grant waren schon ausgestiegen, ehe wir völlig zum Stillstand gekommen waren. Ich vermutete, dass es einige Mühe kosten würde, Grant nach dem Wochenende wieder an Bord eines Flugzeugs zu bekommen. Während John unser Gepäck auslud und wir zu dem Jeep hinübergingen, der auf der kleinen Straße neben dem Flugfeld wartete, kam uns Neil Campbell mit einem herzlichen Lächeln entgegen. Er trug ein dunkelgrünes Hemd, auf dessen Brusttasche »Galan’s Gold« gestrickt war. Das Hemd hatte er locker in eine Jeans gesteckt, die unter seinem Bauch hing, was die Vermutung nahelegte, dass Neil sein eigenes Erzeugnis selbst sehr genoss.

»Da habt ihr auf der Insel gleich für einige Aufregung gesorgt«, meinte Neil. »Es kommen nicht viele mit dem Flugzeug hier an.«

»Tut mir leid, dass wir die Tiere so gestört haben«, sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung.«

»Das stört den alten Clyde mehr als die Schafe«, erwiderte Neil leise lachend, während er unser Gepäck in den Geländewagen lud. »Es ist uns wirklich eine Ehre, dass ihr beide es zu unserer kleinen Gesellschaft rausgeschafft habt.«

»Wir sind gespannt auf die Verkostung«, sagte Grant, »und auf die Tour.«

»Freut mich, aber ich fürchte, ihr werdet mehr Zeit in der Destillerie verbringen, als ich erwartet hatte.« Unser Gastgeber seufzte laut. »Heute Morgen hat’s schon ziemliches Chaos gegeben.« Neil warf unsere letzten Sachen hinten ins Auto und öffnete für Liam und mich die hintere Tür. »Meine anderen Gäste sind mit der 11-Uhr-Fähre eingetroffen.«

»Wer ist sonst noch da?«

»Patrick Cooke natürlich.«

»Mein Patrick?«, fragte ich.

»Aye, er hat mir ja geholfen, dieses Wochenende zu organisieren. Er hat einen Freund mitgebracht, Sandy Reid. Dem gehören in Glasgow ein paar Restaurants. Und dann ist noch ein Kumpel von mir hergekommen: Knox ist in Sachen Venture Capital unterwegs. Außerdem sind da noch zwei Leute von einer PR-Firma, die ich angeheuert habe, um das Profil der Destillerie zu schärfen.«

»Das klingt ganz so, als würde hier am Wochenende einiges los sein.« Zumindest würden wir beide wohl eher an letzter Stelle von Neils Prioritätenliste stehen, dachte ich zufrieden.

»Leider hat Knox seine Partnerin mitgebracht«, fuhr Neil fort. »Auf der Fähre hierher haben sie sich völlig zerstritten. Sie hat ihn zur Schnecke gemacht, als sie rausgekriegt hat, dass dieses kleine Wochenende für ihn eher eine Geschäftsreise ist.« Ich warf Grant einen raschen Blick zu und sah, wie ein leises Lächeln über seine Lippen huschte. »Sie kann nicht hier weg, weil die nächste Fähre erst am Dienstag geht, also ist sie in der Frühstückspension in ein separates Zimmer gezogen.«

»Oje.« Ich gab mir alle Mühe, Sympathie für die Beziehungsprobleme dieser mir völlig fremden Leute aufzubringen. Der sehr beschränkte Zugang zu dieser Insel war der Hauptgrund, warum ich für uns das Flugzeug gebucht hatte, doch ich begriff nicht so recht, was die Schlafgelegenheiten anderer Besucher mit uns zu tun hatten.

Neil verzog leicht das Gesicht. »Leider war das Zimmer, in das sie umgezogen ist, für euch vorgesehen.«

»Oh, verstehe. Sollten wir schauen, dass wir John erwischen, ehe er wieder abfliegt?« Ich sah, wie Grant die inzwischen zurückgekehrte Farbe erneut aus dem Gesicht wich.

»Nein, nein. Ich habe mir überlegt, dass ihr bei mir in der Destillerie draußen unterkommen könnt. Ich habe ein schönes Gästezimmer. Ich verspreche euch, da werdet ihr es bequem haben.«

Welche Bedenken Grant auch gegen unsere nun weit weniger romantische Unterkunft haben mochte, sie verblassten davor, wie ungern er gleich wieder in dieses kleine Flugzeug einsteigen wollte. »Das wird schon gehen«, sagte er rasch.

»Und mit dem Hund auch?«, fragte ich von hinten im Auto. Bei der Frühstückspension hatte ich mich danach erkundigt, aber bei unserem neuen Gastgeber konnte ich nicht davon ausgehen.

»Ist das ein Wohnungshund?«

Grant prustete los. »Und wie!«

»Ich bin ein bisschen allergisch«, meinte Neil, »aber wir kommen schon klar.«

Liam schob sich auf der Rückbank ein bisschen näher zu mir hin und brachte ein leises kehliges Grummeln hervor. Ich hätte schwören können, dass er wusste, worüber da gerade geredet wurde. »Er haart nicht, also geht das wahrscheinlich gut«, brachte ich vor.

»Die Destillerie hier auf St. Galan’s ist uralt, nicht wahr?«, fragte Grant und wechselte das Thema.

»Ja, es gibt sie in der einen oder anderen Form seit dem späten 13. Jahrhundert«, antwortete Neil. »1260 wurde hier neben einer Quelle mitten auf der Insel ein Kloster gegründet.«

»Das haben wir beim Landeanflug gesehen«, sagte ich. »Es sieht wunderschön aus.«

»In den kalten, dunklen Wintermonaten haben die Mönche einen schlichten, aber sehr beliebten Whisky zustande gebracht. Er war bei den Inselbewohnern so begehrt, dass das Kloster schon bald durch den Handel mit dem ›Wasser des Lebens‹ seinen täglichen Bedarf erwirtschaften konnte.«

»Wird der noch hergestellt?«, fragte ich.

»Um Himmels willen, nein. Mitte des 15. Jahrhunderts waren die Mönche fort. Ihre Gerätschaften waren ziemlich primitiv, das könnt ihr euch denken. Viele Jahre lang herrschte danach auf der Insel ein tragischer Whiskymangel, bis einige Leute beschlossen haben, es noch mal zu probieren. Sie haben das aufgebaut, was wir heute auf St. G’s haben.«

Seit ich selbst Hals über Kopf im Whiskygeschäft gelandet war, faszinierte mich, wie oft Destilleriebesitzer und eigentlich auch viele Mitarbeiter das Whiskybrennen in Familientradition betrieben. In unserer eigenen Brennerei waren Leute beschäftigt, die von Kindesbeinen an bei uns arbeiteten, ebenso wie davor ihre Väter und Vorväter. Das war einer der Gründe dafür, dass unser Endprodukt mit so viel Leidenschaft hergestellt wurde und ein wahres Kunstwerk war. Auf einer so kleinen Insel wie St. Galan’s musste es eine ähnlich lange Tradition geben, da war ich mir sicher.

»Ihr seid ja wahrscheinlich einer der größten Arbeitgeber auf der Insel«, vermutete Grant.

»Der größte. Das ist eine ziemliche Verantwortung und der Hauptgrund dafür, dass ich mich entschlossen habe, einen Teil unseres mageren Gewinns darauf zu verwenden, die Marke bekannter zu machen. Ihr beide habt mich dazu inspiriert. Als ich neulich an eurem Whiskykurs teilgenommen habe, konnte ich sehen, was ihr da macht. Dass ihr euren Status als kleine, aber feine Brennerei unterstrichen und damit euer Produkt definiert habt. Eine absolut brillante Idee! Abbey Glen steht jetzt für beste handwerkliche Fertigung und Vintage-Produktion. Qualität und Geschichte, alles in einem.«

»Man muss das, was man hat, kreativ vermarkten«, sagte ich. Soviel hatte ich zumindest noch von meinem Onkel gelernt, ehe er starb.

»Ich konnte es erst gar nicht glauben, als ihr mit euren Whiskykursen angefangen habt.« Neil schaltete holperig vom zweiten in den dritten Gang hoch. »Die meisten Brenner hätten nicht den Mumm, ihre Türen für jedermann zu öffnen und allen zu zeigen, wie ihr Whisky gemacht wird, schon gar nicht ihren Konkurrenten.«

»Was wir machen, ist kein Geheimnis«, meldete sich Grant zu Wort. »Und wenn man unsere Methoden kopiert, garantiert das noch lange keine Ergebnisse. Der Prozess ist wesentlich komplexer, als er aussieht.«

»Ich bin sehr stolz auf den Whisky, den wir hier herstellen.« Neil bremste ab, um einen Farmer auf seinem Traktor vor uns die Straße überqueren zu lassen. »Unser Problem ist, dass wir auf St. Galan’s so abgelegen sind. Niemand weiß eigentlich, dass es uns gibt. Wir produzieren keine riesigen Mengen wie die Jungs auf Islay, also müssen wir aus jedem Fass rausholen, was nur möglich ist. Mein Plan ist, die romantischen Aspekte der Insel und ihre Geschichte zu betonen und so eine unverwechselbare Marke zu schaffen.«

»Klingt sinnvoll«, meinte ich. »Es ist ja wirklich eine wunderschöne kleine Insel.«

»Wie viele Leute leben hier?«, fragte Grant.

»Siebenundsechzig.«

Siebenundsechzig Seelen. Neils Wochenendgäste hatten die Inselbevölkerung um mehr als zehn Prozent anwachsen lassen. Wie es wohl war, in einer so isolierten Gemeinschaft zu leben? An den Fahrplan der Fähre gebunden, es sei denn, man konnte sich einen Charterflug leisten. Man würde jeden und jede kennen und umgekehrt würden einen alle kennen. Niemand hätte Geheimnisse. Auf lange Sicht würde es wahrscheinlich langweilig und viel zu eng – zumindest für meinen Geschmack.

»Das Problem ist, dass die jungen Leute nicht hierbleiben wollen«, fuhr Neil fort. »Die hauen ab zum Festland, wo es Schulen und Arbeit und besseres WLAN gibt. Da können wir nicht mithalten. Schließlich wird hier niemand mehr übrig bleiben.«

»Du hast doch den winzigen Ort gesehen, wo wir leben«, meinte ich. »Wir mussten ein Vermögen in die Schule dort investieren und dafür sorgen, dass alle ans Internet angeschlossen sind und gute Datengeschwindigkeit haben. Wir hatten Glück, denn das hat dafür gereicht, dass mehr Leute bleiben und von zu Hause arbeiten. Sogar einige von den Jüngeren.«

»Darauf hoffe ich auch«, erwiderte Neil. »Wenn wir das Profil der Destillerie schärfen können und zusätzliche Einnahmen erzielen, die wir dann wieder in die örtliche Infrastruktur stecken, dann können wir ein paar neue Arbeitsplätze schaffen, die Dienstleistungen verbessern und St. Galan’s zu einem attraktiven Wohnort machen.«

»Bist du schon dein ganzes Leben lang hier?«, rief ich Neil über den Wind hinweg zu, der nun, da wir den höchsten Punkt der Insel erreicht hatten, durch die offenen Fenster hereinpfiff.

»Größtenteils.« Er wandte mir den Kopf zu, damit ich seine Worte besser hören konnte. »Bin in Glasgow auf die Uni gegangen. Hab da Chemie studiert, denn das schien mir das Fach zu sein, das dem Destillieren am nächsten kam.«

»Lustig, genau wie ich«, meinte Grant.

»Ich hätte wohl besser Betriebswirtschaft studiert«, räumte Neil ein. »Aber wenn man vom Rathaus kommt und so weiter. Kurz nachdem ich zurückgekehrt war, hatte mein Vater einen Schlaganfall, und ich bin praktisch ins kalte Wasser geworfen worden.«

Na, so kalt war das Wasser nun auch wieder nicht. Zumindest hatte Neil als Kind bei der Arbeit mit seinem Vater Erfahrungen sammeln können. Als ich nach dem Tod meines Onkels in Abbey Glen ankam, wusste ich absolut gar nichts über die Herstellung von Whisky – ich mochte das Zeug nicht einmal. Nicht in meinen wildesten Träumen wäre mir eingefallen, dass ich Besitzerin einer Destillerie werden könnte. Der Groll, den man vor Ort gegen meine Anwesenheit hegte, hatte schließlich eine Serie von Ereignissen voller Gewalt und Verrat ausgelöst, die mich beinahe die Destillerie und das Leben gekostet hätten. Aber ich hatte alles heil überstanden und dabei eine Menge gelernt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass wir beide, Grant und ich, Neil zusammen dabei helfen konnten, aus dem, was er hier in St. Galan’s hatte, das Beste zu machen.

Grant und Neil waren inzwischen bei einer Diskussion über Torf und Terroir gelandet. Als wir endlich auf den Hof von Neils Destillerie fuhren, hatten sie bereits ein so ehrgeiziges Programm für die Verkostungen ausgeklügelt, dass ich fürchtete, die romantischen Abenteuer, die ich mir ausgemalt hatte, wären schon zum Scheitern verurteilt, ehe wir überhaupt damit begonnen hatten.

Kapitel 2

Neils Wohnhaus stand auf dem Hof gleich der St. Galan’s Destillerie gegenüber. Er konnte seiner Arbeit also unmöglich entkommen. Im Gegensatz zu Abbey Glen, das wie in eine Umarmung in das Tal von Glenmorrow mit seinem murmelnden Bach und den violett leuchtenden Heidehängen eingebettet lag, war St. G’s auf einer Anhöhe oberhalb eines kleinen Meeresarms schutzlos den Elementen ausgesetzt. Die Steinbauten waren gepflegt, wirkten jedoch recht streng. Ich würde all meine Fotografenkunst aufbringen müssen, um ansprechende Werbebilder zu produzieren.

Das Innenleben des Hauses war fast so grimmig wie sein Äußeres. Es war so eingerichtet, dass man meinte, sich in einer wenig ratsamen Zeitschleife in die 1970er Jahre verirrt zu haben. Die Küche und ein ungewöhnlich geräumiges Doppelzimmer, das Neil zu seinem Büro umfunktioniert hatte, waren eindeutig die am meisten benutzten Zimmer. Ich war erleichtert, dass sich der Gästebereich am entgegengesetzten Ende des Hauses befand und die Küche und das Wohnzimmer dazwischen als Pufferzone dienen könnten. Wir hatten ein schönes, großes Bett und unser eigenes Bad auf der anderen Seite des Flurs. Ich hatte beschlossen, die Dinge positiv zu sehen. Diese Unterkunft war vielleicht weder besser noch schlechter als die in der Frühstückspension, und Neils Schlafzimmer war am anderen Ende des Hauses. Wir würden also für uns sein.

Neil gab uns Zeit, erst einmal anzukommen und uns frisch zu machen, ehe er mit uns über die von Sturm und Regen gepeitschten Felder ins Dorf ging. Dort sollten wir beim Abendessen zu den anderen Gästen stoßen. Der Wind schien auf dieser Insel ein ständiger Begleiter zu sein, und ich ertappte mich dabei, wie ich vor mich hin summte: »Der Wind weht weiter wütend, und die Bäume schwanken schwer«, obwohl kaum Bäume zu sehen waren. Aber Pu der Bär hatte recht, es würde ein ziemlich stürmisches Wochenende werden. Umso besser, wenn man sich später in einem großen, gemütlichen Bett zusammenkuscheln konnte. Dieser Gedanke zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht, und ich summte während des gesamten Fußwegs leise weiter.

Wir folgten Neil im Gänsemarsch auf dem Trampelpfad. Der Wind peitschte mir das Haar ums Gesicht, und Liams Ohren flatterten hinter ihm, während er den Kopf in die steife Brise hielt und all die Informationen erschnüffelte, die da auf seine Hundenase einstürmten. Unterhalb gab der Cloister Cove, der Inselhafen, mit einer leuchtend bunten Schar von Segelschiffen, die dort vor Anker auf dem Wasser schaukelten, ein friedliches Bild ab. Wir gingen bergab in Richtung Hauptstraße. Als wir weiter unten im Schutz der Bucht ankamen, ebbte der Wind ab, und ich konnte mich endlich gründlicher umschauen. Es war schon nach 5 Uhr, und die Metzgerei und das Gemüsegeschäft hatten bereits geschlossen, ebenso wie das Café und der Dorfladen. Die Hauptstraße, die den Namen Cloister Row trug, war malerisch und zum Glück nicht von den Ladenketten des Festlands verdorben. Aber ich vermutete, dass die Warenauswahl ein wenig beschränkt war.

Das einzige hell erleuchtete Gebäude in der Straße war das Abott’s Arms. Der heraussickernde Lichtschein ließ die weiß getünchten Steinmauern und das schlichte Schieferdach des Pubs trotz des bescheidenen Anblicks sehr einladend wirken. Der Wappenschild, der über der Tür baumelte, zeigte ein Kreuz und ein Schwert, und in den vielfach unterteilten Fenstern, die zur Straße hinausgingen, waren zahlreiche Notizen ausgehängt – alles von entlaufenen Katzen bis zum Wohltätigkeitsbasar. Das Abbot war eindeutig das pulsierende Herz des Dorfs.

Als die Sonne gemächlich hinter dem Berg versank, wurde es kühl, und wirklich eisige Luft strich in kleinen Brisen vom Wasser herauf. Wir traten ins Abbot ein, und es war, als würden wir in eine warme Umarmung gezogen. Der Hauptraum war groß, zur Hälfte Bar, zur Hälfte Restaurant und bereits gedrängt voll. Kamine an beiden Giebelenden halfen im Kampf gegen die Kälte und warfen ihren flackernden Feuerschein auf die versammelten Menschen. Fotos von Booten und Sportmannschaften bedeckten die Wände, dazu noch verschiedene nautische Erinnerungsstücke, einschließlich alter Seekarten und eines wuchtigen Ankers.

Als wir uns zwischen den Tischen hindurchschlängelten, löste sich mein Freund Patrick von einer Gruppe am Tresen und kam zu uns, um mich zur Begrüßung zu umarmen.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du auch herkommst?«, fragte ich.

»Ich wollte dich überraschen. Diese Wochenendveranstaltung war meine Idee«, erwiderte Patrick voller Stolz. »Ich schreibe für das Whisky Journal einen Artikel über Galan’s Gold, und ich habe mir gedacht, das wäre ein toller Vorwand, um mal herzukommen und die Insel zu erkunden. Ein Gespür für den Ort zu kriegen.«

»Oder ein Gespür für den Geschmack? So wie ich dich kenne, wirst du dich voller Begeisterung den Flaschen mit Galan’s Gold widmen«, sagte ich und lachte.

»Haargenau«, gab Patrick zu und reichte um mich herum, um Grants Hand zu schütteln.

Patrick war mein ältester Freund. Mein treuster Verbündeter in den Jahren, als ich mit der Krebserkrankung und dem Tod meines Onkels und dann mit dem Erbe zu kämpfen hatte, zu dem zu Patricks unbändiger Freude auch die Whisky-Destillerie gehörte. Als Chefredakteur des Whisky Journal war er im siebten Himmel, und zu seiner Ehre musste ich sagen, dass er sehr viel Zeit damit verbracht hatte, mich im Whiskygeschäft heimisch zu machen und dann Grant und mir bei der Ausweitung unserer Geschäfte zu helfen. Er verstand sich hervorragend auf das Marketing und unterstützte auch andere in der Whiskybranche nach Kräften.

»Kommt, ich stelle euch beiden die anderen in der Gruppe vor.« Er klatschte dem Mann, der neben ihm stand, die Hand auf den Rücken. »Das hier ist Sandy.«

»Hi.« Ein stämmiger Kerl mit blondem Haar und großen braunen Augen wandte sich zu mir um. »Sandy Reid.« Sandy trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck Macallan, das sich straff über seinen muskulösen Brustkorb spannte. Vor ihm war bereits eine ganze Anzahl von Verkostungsgläsern auf dem Tresen aufgereiht.

»Sandy und ich, wir kennen uns schon ewig«, fuhr Patrick fort. »Er betreibt in Glasgow einige Restaurants. Ich habe ihn mitgebracht, weil ich hoffe, dass Galan’s Gold ihm so gut schmeckt, dass er den Whisky in seine Karte aufnimmt.«

Ich gab Patrick einen kleinen Rippenstoß. »Und was ist mit unserem üblichen Gastronomen?« Patricks Partner Gordon Wright war Küchenchef und Besitzer eines Restaurants in Edinburgh mit großen Hoffnungen auf einen Michelin-Stern. Meiner Meinung nach wäre eigentlich er der logische Begleiter auf diesem Ausflug gewesen.

»Mein Gastronom ist großartig und ich liebe ihn heiß und innig«, sagte Patrick, »aber er hat ein Restaurant – Sandy hat fünf.«

»Mit Aussicht auf mehr«, merkte Sandy grinsend an. »Und jetzt besorgen wir euch beiden mal was zu trinken.«

Patrick hob die Hand, um den massigen Mann herzurufen, der gerade aus dem Hinterzimmer in die Bar zurückgekommen war. Seine Körperfülle allein hätte ihn bemerkenswert gemacht, aber wahrhaft unvergesslich machte ihn die Tatsache, dass er zudem in eine volle Wikingertracht gekleidet war, einschließlich des mottenzerfressenen Fells irgendeines Tiers, das er sich um die Schultern geschlungen hatte. Neil stellte ihn uns als Ross Patterson, den Besitzer des Abbot, vor.

Liam knurrte leise, und ich zog ihn näher zu mir. Ross war ein eindrucksvolles Mannsbild. Er begrüßte uns mit einem Wort, das wie »Hail« klang, ehe er auf Neils Drängen eine Flasche Galan’s Gold holen ging.

»Ist heute Kostümabend?«, fragte ich Neil leise.

»Bei Ross ist jeden Abend Kostümabend«, antwortete Neil. »Er ist der Chef des örtlichen LARP-Clubs.«

Grant schaute verwirrt. »LARP?«

»Live Action Role Play. Live-Rollenspiele«, erklärte Patrick.

»Ross und seine Kumpel spielen am liebsten Assassin’s Creed Valhalla[1] «, fügte Neil hinzu.

»Aber ist das nicht was für Kinder?«, wunderte sich Grant.

»Derlei Sprüche behaltet ihr hier lieber für euch«, zischte Sandy uns aus dem Mundwinkel zu. »Video-Gamer nehmen ihre liebsten Quests, ihre tollsten Missionen, todernst.«

»Das Leben auf dieser Insel ist kalt und einsam«, merkte Neil noch an. »Da gibt’s sonst nicht viel, womit man sich hier an den langen Winterabenden die Zeit vertreiben kann, außer mit Phantasiekämpfen zusammen mit den Kumpeln.«

Grant zog eine Augenbraue in die Höhe und schaute zu mir hin. Irgendwie konnte ich mir mühelos vorstellen, dass Grant in diesen Winternächten wesentlich phantasievollere Formen des Zeitvertreibs finden würde, und ich merkte, wie mir die Röte in die Wangen stieg.

Neil nahm ein Glas von Ross entgegen. »Wenn das Wetter es zulässt, treiben sie sich überall draußen an den Klippen rum und fechten Schlachten aus und gehen auf ihre ganz eigenen, selbst ausgedachten Missionen. Ross hier ist der Game-Meister, und seine Figur heißt Eivor. An den meisten Wochenenden widmen sie mindestens einen Nachmittag ihren kleinen Scharmützeln, die am westlichen Ufer der Insel ausgetragen werden.«

»Spielst du da auch mit?«, fragte ich Neil.

»Manchmal, aber ich bin keine zentrale Gestalt. Ich bin der Meister des Quaich[2] . Das bedeutet, dass ich hauptsächlich an den Gelagen am Ende beteiligt bin, und das passt mir prächtig.«

LARP war wirklich nicht meine Sache, aber Ross’ Kostüm war phantastisch. Es wirkte vollkommen echt, bis hin zu den Kratzern und Spuren am Leder, die andeuteten, dass der Träger des Gewandes schlachtenerprobt war. Ich beobachtete, wie er weiter hinter dem Tresen Getränke ausschenkte. »Wo kriegt er seine Sachen her?«, erkundigte ich mich bei Neil.

»Seine Schwester Gloria näht alle Kostüme. Ross und Gloria führen den Pub zusammen.«

Ross kam mit fünf weiteren Verkostungsgläsern, die er in seinen riesigen Pranken balancierte, in unsere Richtung gegangen.

Grant ließ keines seiner Verkostungsrituale aus, hielt das speziell geformte Glas gegen das Licht, ehe er daran roch, den Whisky darin schwenkte, daran nippte und schließlich seine Zustimmung bekundete. »Sehr komplex, und doch ist der Torfrauch nicht zu dominant. Ein außergewöhnlich ausgewogener Whisky.«

Neil errötete vor Stolz. Grants Lob hatte ins Schwarze getroffen, und nun wandte sich Neil mir zu. Das war der Augenblick, den ich immer fürchtete. Ich war keine Whisky-Expertin. Ich wusste, was ich mochte, aber ich war nicht besonders begeistert von den sehr torfigen Malt-Whiskys, die traditionell auf den schottischen Inseln gebrannt wurden. Zum Glück hatte ich aber noch ein Ass im Ärmel. Ich nippte vorsichtig an meinem Glas und lächelte, wie ich hoffte, überzeugend. »Wunderbar«, sagte ich. »Aber bei uns hat der wahre Test für einen torfigen Whisky vier Beine.« Ich goss einen kleinen Schuss meines Whiskys in den Napf, den ich für Liam immer dabeihatte, und er schnüffelte vorsichtig daran. Man musste schon sagen, er wusste stets genau, was ihm schmeckte, und Whisky mochte er, je torfiger desto besser. Liam schleckte den Napf aus und seufzte zufrieden, ehe er zu mir kam, sich an mein Bein schmiegte und mich mit flehendem Augenaufschlag ansah. »Er mag ihn sehr«, sagte ich, wobei mir viel zu spät einfiel, dass ich nur hoffen konnte, das Lob eines Hundes würde so aufgenommen, wie ich es beabsichtigt hatte.

»Nicht mal die Wölfe kriegen Whisky«, grummelte Ross, der wieder in seine Wikingerrolle geschlüpft war.

Grant trat dazwischen, um die Wogen zu glätten. »Ich habe noch nie einen Hund gesehen, der so viel Geschmack am Whisky findet. Und der noch dazu ein so feines Näschen dafür hat. Er mag es besonders, wenn der Torf ordentlich durchkommt.«

Ross schaute uns drei weiterhin an, als hätten wir Eis und Soda in unseren Whisky gegeben, doch in Anbetracht seiner Kostümierung fand ich es ein wenig dreist, dass er uns als die seltsamen Vögel hinstellen wollte.

»Willkommen auf St. Galan’s«, sagte eine rothaarige Frau, die gerade aus der Küche hinter der Bar aufgetaucht war und sich die Hände an einem Handtuch abtrocknete. »Ich bin Gloria, die Schwester von Ross.« Gloria hatte sich für einen eher minimalistischen Wikingerstil entschieden und trug nur eine Leinentunika über einer langärmeligen Bluse und Jeans. Ergänzt wurde dieser Look noch durch ein Paar kurzer bestickter Lederstiefel. »Ich hoffe, wir haben uns nicht nach Strich und Faden blamiert. Wir haben dieses Wochenende eine ziemliche Truppe hier versammelt, und ein paar Leute haben sich ein bisschen drüber aufgeregt.«

»Alle waren wirklich reizend«, erwiderte Patrick.

»Wo sind meine anderen Gäste?«, fragte Neil.

»Die beiden aus Glasgow sind auf ihren Zimmern und schmollen, soweit ich das beurteilen kann, und das Großmaul ist noch nicht rausgekommen«, antwortete Gloria. »Er hat heute Nachmittag mit dem Handy ein Gespräch geführt, und da konnte man ihn ein paar Straßen weiter noch hören. Der glaubt vielleicht, er kann das schwache Netz durch Brüllen ausgleichen. Na ja, der hat aber auch ein Stimmchen! Die hätten ihn wahrscheinlich auch ohne Telefon verstanden.« Sie lachte leise. »Wenn man vom Teufel spricht …« Gloria deutete mit dem Kopf zur anderen Seite der Bar.

»Neil«, dröhnte eine Stimme durch den Raum.

Wir sahen einen gut erhaltenen Mitfünfziger, der locker als Werbung für die Allwetterkleidung von Barbour hätte durchgehen können. Er kam mit großen Schritten auf uns zu und schüttelte unserem Gastgeber kräftig die Hand. »Die Truppe ist bereits vollzählig angetreten, wie ich sehe.«

Patrick und Sandy nickten dem Neuankömmling von ihrer Position an der hintersten Ecke der Bar kurz zu, ehe sie sich rasch wieder ihrem eigenen Gespräch widmeten. Ich hatte das Gefühl, dass sie für diesen Mann nicht sonderlich viel übrig hatten.

»Bin heute Nachmittag mal ein bisschen spazieren gewesen«, fuhr der Barbour-Mann fort. »Nette kleine Insel haben Sie hier, Neil. Total reizvoll und jede Menge Atmosphäre. Das wird ein echter Verkaufsschlager.«

Liam hatte es sich auf dem Läufer vor dem Kamin bequem gemacht, um dort auf sein Abendessen zu warten, und beäugte den lauten Neuankömmling mit leicht missbilligender Miene.

Neil schaute verlegen drein. Die Lautstärke dieses Mannes und seine Taktlosigkeit zogen unerwünschte Aufmerksamkeit auf unsere Gruppe, die die Inselbewohner bisher mit einem gewissen Gleichmut wahrgenommen hatten. Ehe wir einander vorgestellt werden konnten, wurde Neil schon von einer schmalen Frau in grauen Jeans und schwarzem Rollkragenpullover abgelenkt, die aus dem Flur erschienen war, an dem die Gästezimmer lagen. Sie hatte feines blondes Haar, das ihr Gesicht wie ein glatter Vorhang umrahmte. Mein erster Eindruck war, dass sie ihre Lenden gegürtet hatte, um sich ins Gefecht zu stürzen. Doch als sie bei uns angekommen war, hatte sie ein Lächeln aufgesetzt.

»Jessica Howard«, sagte sie und streckte die Hand aus. »Nennen Sie mich Jess. Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit, Ms Logan!«

»Abi, bitte.« Jess war jung. Ich hätte sogar vermutet, sie wäre beinahe zu jung, um mit meinen Arbeiten wirklich vertraut zu sein. Aber sie hatte offensichtlich vorausschauend Recherchen über die anderen Gäste an diesem Wochenende angestellt und sich auch so angezogen, dass sie sich an ihre Umgebung anpasste, anstatt hier wie Blake aufzuschlagen, der locker als Karikatur eines Gutsherren aus Country Life durchgehen konnte.

»Ihre Fotos werden in unserer Werbekampagne wahre Wunder wirken«, sagte Jess. »Die wilde Schönheit dieser Insel ist ja atemberaubend, und ich weiß, Sie werden sie in spektakulären Bildern einfangen.«

»Blake Malloy«, sagte ihr Geschäftspartner und reckte seine Hand zu mir hin. »Wir werden jede Menge Spaß bei unserer gemeinsamen Arbeit hier haben!«

Blake hielt meine Hand einen Augenblick zu lange fest, und Grant erschien rasch an meiner Seite, streckte Blake die Hand hin und legte mir in einem stummen Warnsignal den Arm um die Taille.

Blake schien zu kapieren und ging zur Bar hinüber. »Barkeeper, ich glaube, wir brauchen ein bisschen Inspiration«, verkündete er laut. Eivor war aber ganz plötzlich schwerhörig geworden, und so musste Neil zu ihm gehen und ihm einen Rippenstoß versetzen.

Blake kam kopfschüttelnd an unseren Tisch zurück. »Wirklich ein seltsamer Vogel, dieser Kerl«, meinte er.

»Ross scheint mir der Typ Mann zu sein, dem blöde Leute einfach auf den Wecker gehen«, merkte Sandy an. »Ich vermute, dass deswegen Ihr Umgang mit ihm ein wenig belastet sein könnte.« Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Sandy zu uns gestoßen war, aber plötzlich stand er dicht neben mir.

Ich warf einen raschen Blick auf Blake, um festzustellen, ob er diese abfällige Bemerkung mitbekommen hatte, aber sie schien unbemerkt an ihm abgeprallt zu sein, wie bei Blake wohl ziemlich viele Dinge, überlegte ich mir.

Ich grinste Sandy zu, und er hob hinter Blakes Rücken sein Glas in meine Richtung und sagte: »Wir werden prächtig miteinander auskommen. Genau wie die beiden da.« Er deutete nach unten, wo Liam stand und an einer wunderschönen goldbraunen Cockerspanieldame herumschnupperte, die aus dem Garten hereinspaziert war und nun zu den Füßen ihres Herrchens lag und den Störenfried schlicht ignorierte. »Das ist Delilah«, erklärte Sandy.

»Na, meinen Samson hat sie jedenfalls schon mal in ihren Bann gezogen. Alles, was ihn von seinem Whisky ablenkt, ist ein wahres Wunder.« Liam hatte sich inzwischen vor seine neue Freundin gelegt, die Nase nur Zentimeter vom Gegenstand seiner Zuneigung entfernt. »Liam, benimm dich anständig«, sagte ich.

Sandy beugte sich nach unten und tätschelte Delilah rasch. »Keine Sorge, die lässt es ihn schon wissen, wenn er zu weit gegangen ist. Wie das alle guten Frauen machen sollten.«

Ross kam mit einem Tablett voller Whiskys hinter dem Tresen hervor und stellte sie in einer Reihe mitten auf unserem Tisch ab. Blake betrachtete die Ansammlung von Gläsern und rieb sich freudig die Hände. »Na, das ist mal ein Produkt, das ich hundertprozentig unterstützen kann. Für einen Whisky dieses Kalibers Werbung zu machen, das ist so einfach wie Luftholen.«

Er streckte die Hand nach einem Glas aus und kippte den Inhalt hinunter, ohne ihn auch nur zu kosten.

Blake schien ein Mann zu sein, der wesentlich mehr Show als Substanz zu bieten hatte. Die Wörter eitel und schamlos, doch schlau kamen mir in den Sinn. Eine unfreiwillige Einschätzung des Mannes, der da vor mir stand. Ein sprachlicher Schnappschuss, wie er sich mir bei der ersten Bekanntschaft mit Leuten stets aufdrängte. Je mehr ich versuchte, diese Bewertung zu verdrängen, desto rascher kamen mir die Wörter in den Kopf. Ich hatte längst aufgegeben, mir das Phänomen erklären zu wollen. Diese ersten Eindrücke waren keine einfache Laune, sie hatten sich in vielen Jahren beim Beobachten von Menschen bei ihren besten und ihren schlimmsten Handlungen stetig verfeinert, und ich wusste, dass ich es besser nicht riskieren sollte, mein Bauchgefühl zu ignorieren.

Jess andererseits schien mir trotz ihrer Jugend das Hirn und der Sachverstand hinter dieser Unternehmung zu sein. Ihre Augen musterten uns der Reihe nach, und als sie merkte, dass Blake mich sehr mit Beschlag belegt hatte, kam sie zu uns herüber und bugsierte ihn zum anderen Ende des Tisches, weiter weg von der Bar und den neugierigen Ortsbewohnern. Kompetent, dieses Wort blitzte mir als Erstes im Kopf auf, unmittelbar gefolgt von engagiert und findig. Jess war zweifellos der dezente Ruhepol, das Gegengewicht zu Blakes rüpelhaftem Chaos.

»Na ja, unsere Jess ist nicht unbedingt eine Whiskytrinkerin«, polterte Blake. »Ist ja auch eher ein Getränk für Männer, nicht wahr. Frauen haben einfach keinen Sinn dafür.«

»Abi ist Besitzerin einer sehr hoch geschätzten Destillerie auf dem Festland«, merkte Patrick an. »Ich glaube, Sie werden feststellen, dass sie eine ganze Menge über die Branche weiß.«

»Ich dachte, sie wäre Fotografin. Das hat jedenfalls Jess gesagt.« Blake schaute mit gerunzelter Stirn auf Jess.

»Abi ist tatsächlich eine preisgekrönte Fotojournalistin. War in einem halben Dutzend Kriegsgebieten weltweit unterwegs. Aber zufällig gehört ihr auch der Mehrheitsanteil an der Abbey Glen Destillerie«, erklärte Grant.

»Was Sie nicht sagen.« Blake sah aus, als wäre er sich keineswegs sicher, was er damit anfangen sollte.

Grants Stimme hatte bei seiner Erklärung eisig geklungen, und das tat mir in der Seele gut. Ich war kein schüchternes Pflänzchen, aber es war doch schön, vom eigenen Partner verteidigt zu werden, insbesondere wenn in Freud und Leid der Geschäftspartner auch der Liebespartner war. In unserer Geschäftspartnerschaft hatte ich vielleicht 51 und Grant 49 Anteile, aber in unserer Beziehung waren wir ganz und gar gleichberechtigt. Natürlich hatte Grant, wenn es um das Handwerk des Whiskybrennens ging, hundertprozentig das Sagen. Wenn überhaupt, so leistete ich meinen Beitrag im Vertrieb und im Marketing.

Jess griff wieder ins Gespräch ein. »Neil, wir freuen uns wirklich darauf, eine Werbekampagne zu entwerfen, die das Profil von Galan’s Gold sichtbarer macht. Mit Abis Fotos und unserer Erfahrung mit den Medien zeigen wir der Welt, welche verborgenen Schätze St. Galan’s und die Destillerie zu bieten haben.«

»Und verborgen werden sie nicht mehr lange bleiben«, meldete sich Blake zu Wort. Ich hatte bemerkt, dass er seinen und auch meinen Whisky getrunken hatte, doch in Anbetracht meiner Einstellung zu torfigem Whisky war ich gewillt, diesen Übergriff zu ignorieren.

»Ich bin schon gespannt auf eure Ideen«, erwiderte Neil. »Allerdings«, und hier senkte er die Stimme und beugte sich über den Tisch hinweg näher zu Jess, »würde ich gern sicherstellen, dass wir uns alle Mühe geben, die ortsansässige Bevölkerung so wenig wie möglich zu verärgern. Eine ganze Reihe der Inselbewohner verabscheuen jegliche Veränderung, und beinahe alle fühlen sich nicht wohl bei dem Gedanken an Eingriffe in etwas, das sie als unser ureigenes idyllisches Fleckchen Erde betrachten.«

»Man darf sich nicht von Leuten bremsen lassen, die den Fortschritt fürchten«, erwiderte Blake, nach wie vor sehr lautstark. »Bringt euren Whisky an das richtige Publikum, und eure Verkaufszahlen gehen durch die Decke. Unsere Kampagne wird diesen Ort unwiderstehlich machen. Die Leute werden in Scharen kommen, um ihre Lieblingsdestillerie zu besichtigen. Den Nutzen habt ihr, genau wie die Geschäfte vor Ort auch.«

Neil zuckte zusammen, als Blake wie ein Elefant im Porzellanladen seine Pläne herausposaunte. Doch ehe Blake in noch mehr Fettnäpfchen treten konnte, trug Gloria das Abendessen auf. Es war beste Hausmannskost, eine Steak-und-Nieren-Pastete mit Pommes frites und einer köstlichen Soße. Der Whisky floss weiter in Strömen, und Sandy und Patrick hatten sich offensichtlich mit Neil und Grant auf einen langen gemütlichen Abend eingestellt. Nun begriff ich, warum Neil darauf bestanden hatte, dass wir zu Fuß herkamen. Als ich mich auf den Weg zur Bar machte, um meine Runde zu ordern, schaute ich den Flur entlang zum Gästeflügel. Dort diskutierten Jess und Blake miteinander. Ich konnte zwar nicht hören, was sie sagten, doch so, wie sie da vorgebeugt standen und einander anfunkelten, sah es mir ganz nach einem Streit aus. Ob es um persönliche oder berufliche Dinge ging, ließ sich schwer herausfinden. Jess hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wich ein wenig zurück. Blake streckte den Arm aus und legte ihr eine Hand auf die Hüfte, als versuchte er, sie näher zu sich zu ziehen. Jess hob den Fuß und trampelte mit dem Absatz ihres Stiefels auf Blakes Mokassin. Er fluchte, machte dann kehrt und stolzierte den Flur hinunter.

Ich beneidete Jess nicht, dass sie es mit einem so unausstehlichen Chef zu tun hatte, aber sie schien zumindest bestens in der Lage, sich zu wehren, wenn es nötig war.

Kapitel 3

Die Inselbewohner stellten sich, wenn man sie ein wenig ermunterte, als ausgelassen und begeistert heraus, und Sandy und Patrick ermunterten sie selbstverständlich. Einmal schaute ich zu ihnen hinüber und sah, wie Sandy Schnapsgläser mit Soße und einem Schuss Whisky füllte. Darauf war ich selbst zwar nicht sonderlich erpicht, aber Glorias Soße war so hervorragend, dass mir diese Kombination keine schlechte Idee zu sein schien. Wir verließen den Pub als Letzte, und Ross schloss hinter uns die Tür ab, allerdings nicht ohne vorher zu fragen, ob Neil nicht den »Publicity-Typen« mitnehmen wollte. Sandy und Patrick hatten vielleicht Aufnahme in die Herde gefunden, doch Blakes spezieller Charme hatte für die Leute hier wohl schon früh jeglichen Reiz verloren.

Ich schaute auf die Uhr. Es war erst elf.

»Hier klappen wir die Bürgersteige früh hoch«, sagte Neil.

»Keine Sorge.« Grant lächelte. »Es war ein langer Tag, und wir sind beide ziemlich müde. Da ist es uns höchst willkommen, wenn wir mal früher ins Bett kommen.«

Irgendwas an der Art, wie Grant »müde« gesagt hatte, ließ mir einen leisen Schauer über den Rücken rieseln. Früher ins Bett kommen, eine perfekte Idee.

Liam hatte man ein, zwei Schlückchen Whisky spendiert, obwohl sein Interesse daran geschwunden war, sobald er Delilah erblickt hatte. So hatte ich ihn noch nie mit einem anderen Hund erlebt. Es schien ganz so, als hoffte er auf eine eigene nette Urlaubsliebelei. Die Aufregungen des Tages und der Whisky hatten ihn geschafft. Wir hatten Neil kaum Gute Nacht gesagt, da schnarchte Liam bereits zufrieden vor dem Kamin im Wohnzimmer und träumte von Spaniels und Eichhörnchen. Wir schlichen uns in unser Zimmer und waren froh, es nicht mit meinem pelzigen Kumpel teilen zu müssen.

Ich gab Grant die Chance, sich im Zimmer bettfertig zu machen, und schlich mich inzwischen über den Flur zum Badezimmer. Zu meiner Freude entdeckte ich in der Ecke einen kleinen Heizlüfter. Ich packte das hauchzarte schwarze Nachthemd aus, das ich aus einer Laune heraus gekauft hatte, als ich in der Woche zuvor zum Shoppen in Edinburgh war. Normalerweise schlief ich in einem übergroßen T-Shirt von einem Rockkonzert, doch dies war schließlich unser erstes Wochenende, das wir gemeinsam woanders als in Balfour verbrachten, und das sollte doch unvergesslich bleiben. Ich hatte noch einige Dinge mit Grant zu besprechen, und ich hatte mir versprochen, das während unseres Aufenthaltes hier zu machen. Andererseits wollte ich das romantische Wochenende nicht gleich zu Beginn vermasseln. Das Gespräch konnte noch warten. Zunächst hatten wir ein bisschen Spaß verdient – nur falls später dann alles den Bach runterging, meldete sich mein zuverlässig pessimistisches Hirn zu Wort.

Ich zog Jeans und Pullover aus und legte meinen vernünftigen BH und Schlüpfer ab, ehe ich mir das neue Gewand überwarf. Die dünnen Träger sorgten im Oberteil für ein wenig Struktur, ehe sie in einen durchscheinenden Wasserfall aus Seidenchiffon übergingen, der mir bis zu den Füßen reichte. Dieses Kleidungsstück war nicht aufs Wärmen ausgelegt, und so trat ich näher an den kleinen Heizlüfter heran, während ich mir die Zähne putzte und das Haar bürstete. Bei mir war sonst »pflegeleicht« das wichtigste Kriterium gewesen. In den vergangenen anderthalb Jahren hatte ich mir das Haar wachsen lassen, und nun fiel es mir in lockeren kastanienbraunen Locken bis knapp unter die Schulter. Ich freute mich darüber, dass die Frau, die mir aus dem Spiegel entgegenblickte, zugleich feminin und selbstbewusst schaute, aber ihr war auch noch immer kalt.

Ich schaltete den Heizlüfter und das Deckenlicht aus und huschte über den Flur in unser Zimmer. Grant wandte sich um, als ich eintrat, und sein Blick deutete an, dass ich im Begriff war, ihn für die Schrecken des Flugs zu entschädigen.

»Du weißt ja wirklich, wie man jemandem an einem kalten Abend einheizt«, sagte er mit einem kleinen Lächeln, das mir mitten im Herzen einen Funken entzündete.

»Und du hast entschieden zu viel an«, flüsterte ich an seinem Ohr. Ich langte nach oben, um ihm das Hemd aufzuknöpfen, hatte es aber gerade erst einmal zur Hälfte geschafft, als Grant es sich über den Kopf zerrte und sich zu mir herunterbeugte, um mich zu küssen.

Die Kälte war vergangen, und wir standen beieinander und sonnten uns in einem Schein, den wir ganz allein entfacht hatten. Plötzlich gab es da niemanden mehr am anderen Ende des Flurs, niemanden sonst auf der ganzen Insel. Es beunruhigte uns nicht mehr, wie abgelegen St. Galan’s war. Stattdessen war die Insel uns ein willkommener Hafen, in dem wir vor der Außenwelt mit all ihrem Lärm und ihren Spannungen Zuflucht finden konnten. Genau die Ablenkung, die ich mir erhofft hatte.

Langsam bewegten wir uns in unseren ureigenen Tanz. In einem Rhythmus, der so einfach wie verführerisch war. Ich schlang Grant die Arme um den Hals und ließ mich davontragen, genoss in vollen Zügen unsere selige Weltvergessenheit.

Grant lag neben mir auf der Seite und berührte mit dem Finger sanft meine Lippen, ehe er ihn über meinen Hals und die Brust zu meinem Bauch hinunterwandern ließ. Ich bebte vor Erwartung.

Ein leises Stöhnen klang durch den Raum.

Grant schaute zu mir auf. »Warst du das?«

»Diesmal nicht«, erwiderte ich, »aber sicher bald, wenn du so weitermachst.«

Grant schenkte mir ein träges Lächeln und wandte sich wieder seiner langsamen Erkundung zu. Doch ein zweites, diesmal deutlich lauteres Geräusch ließ uns beide auffahren. Es klang wie leiser Sprechgesang, der aus der Ferne hergeweht wurde. Ich lauschte angespannt und meinte, einen vertrauten Tonfall zu erkennen.

»Was zum Teufel ist das?«, fragte Grant.

»Ich glaube, das Salve Regina.« Blasse Erinnerungen an die katholischen Gottesdienste mit meiner Großmutter wirbelten mir durch den Kopf. »Es ist ein Klagegesang – den man üblicherweise am Ende einer Totenmesse anstimmt.«

»Um diese Uhrzeit, mitten in der Nacht?«

»Vielleicht hat Neil einen etwas ungewöhnlichen Musikgeschmack?«

»Niemand hat einen so ungewöhnlichen Geschmack«, erwiderte Grant.

»Dann gehen wir mal nachschauen, was da los ist.«

»Ich gehe, du bleibst hier«, sagte Grant mit Bestimmtheit, als ich mir gerade das Nachthemd wieder über den Kopf zog.

»Wir gehen beide«, antwortete ich, schnappte mir die Decke vom Bett, wickelte sie fest um mich und tappte hinter ihm her.

Als wir aus unserem Zimmer auftauchten, war das Geräusch verstummt. Von Neil war nichts zu sehen, aber Liam gesellte sich mit schief gelegtem Kopf auf dem Flur zu uns. Er hatte also das Geräusch auch gehört, wahrscheinlich sogar besser als wir, und er schien genauso verwirrt darüber zu sein, was es wohl sein könnte.

Da setzte der Gesang wieder ein. Grant überprüfte die Stereoanlage im Wohnzimmer, doch die war dunkel und stumm. Das Geräusch brach erneut ab, aber es war immer noch keine Spur von Neil zu sehen. Vielleicht geschah derlei öfter. Hatte wohl etwas mit der Kirche auf dem Berg zu tun. Möglicherweise schliefen die Inselbewohner einfach durch, obwohl ich mir das nur schwer vorstellen konnte. Es war ein gespenstischer Klang, ein Klang aus einer anderen Welt, seltsam durchdringend. Mir standen die Haare im Nacken zu Berge. Liam schaute zu uns auf und wedelte mit dem Schwanz. Eindeutig hielt er dies für eine seltsame nachtschlafende Zeit, um wach durchs Haus zu wandern, aber er war zu allem bereit.

»Hörst du jetzt was?«, fragte Grant.

»Nein.«

»Ich auch nicht. Meinst du, wir haben es uns nur eingebildet?«

»Ich habe zwar eine lebhafte Phantasie«, antwortete ich, »aber singende Mönche sind eigentlich nicht das Ziel meiner erotischen Wünsche.« Grant legte den Arm um mich und zog mich an sich. Während wir noch so dastanden, ertönte ein weiteres leises Stöhnen, als hallte der Wind in einem alten Gebäude durch das Haus. Liam knurrte leise, wich aber nicht von meiner Seite. Ich streckte die Hand nach unten und tätschelte ihm den Kopf.

»Unheimlich«, murmelte Grant.

Er hatte recht. Das Geräusch war gespenstisch, ja sogar finster. Der Gedanke machte mich wütend. Jemand war in unseren sicheren Zufluchtshafen eingedrungen, und ich spürte auf einmal wieder, wie abgelegen St. Galan’s Island war. Ich kuschelte mich enger an Grant, war dankbar für seine Wärme und Unerschütterlichkeit.

»Was immer diese Geräusche sind, sie stammen nicht von etwas, das hier in der Nähe ist. Falls außer uns beiden und Neil noch jemand hier wäre, würde Liam bellen«, merkte ich an. Der Gedanke spendete mir vorübergehend Trost. »Das muss von irgendwo draußen in den Bergen kommen.«

»Mh. Vielleicht. Wir können Neil fragen, aber erst morgen früh. Ich bin schon viel zu lange von meinem warmen Bett weg.« Grant beugte sich zu mir herunter und küsste mich. »Dann gehen wir mal und machen selbst ein bisschen Lärm.«

Kapitel 4

Als Grant und ich am nächsten Morgen in die Küche kamen, werkelte Neil dort herum und schien ein wenig neben der Kappe zu sein.

»Ihr seid hier kaum im besten B&B abgestiegen«, meinte er reumütig. »Toast ist bei mir das höchste der Gefühle, aber ich mache prima Tee.« Neil geleitete uns zum Tisch und streckte die Hand nach dem Wasserkessel aus. »Habt ihr gut geschlafen?«

Ich zögerte, war mir in vielerlei Hinsicht nicht ganz sicher, wie ich auf diese Frage antworten sollte. Viel Schlaf hatten wir nicht bekommen, aber es war uns gelungen, den nächtlichen Spuk auf unsere ganz eigene Weise zu bannen. Heute Morgen war ich höchst angeregt, wenn auch nicht völlig ausgeruht aufgewacht.

»Das Zimmer war sehr bequem, vielen Dank.« Grant war diplomatisch wie eh und je. »Aber nach Mitternacht haben wir ein paar seltsame Geräusche gehört.«

»Ah. Ihr also auch. Das tut mir leid, doch eigentlich bin ich recht froh, dass ihr unser Gespenst gehört habt. Manchmal frage ich mich nämlich, ob ich hier draußen so ganz allein langsam verrückt werde.«