Whisky mit Schuss - Melinda Mullet - E-Book
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Whisky mit Schuss E-Book

Melinda Mullet

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Beschreibung

Mord bei der Malt Whisky Society.

Whisky-Hersteller aus der ganzen Welt kommen in ein charmantes Landhotel in den schottischen Highlands, um den besten Whisky zu prämieren. Abigail Logan, seit kurzer Zeit Besitzerin einer Whisky-Destillerie, ist zum ersten Mal dabei. Doch dann findet man zwei Leichen – beide waren Jury-Mitglieder. Will der Mörder den Wettbewerb beeinflussen? Als Abi Nachforschungen anstellt und eine Spur zum Täter verfolgt, versucht dieser plötzlich, auch sie auszuschalten ...

Ein Krimi aus den Highlands mit viel Whisky und schottischem Flair.

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Über Melinda Mullet

Melinda Mullet hat britische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Sie hat mehrere Jahre als Juristin gearbeitet, sich in den USA und im Ausland um Kinderrechte gekümmert und ist viel gereist. Sie lebt in der näheren Umgebung von Washington D.C. mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann, der Whisky-Sammler ist.

Ulrike Seeberger, geboren 1952, Studium der Physik, lebte zehn Jahre in Schottland, arbeitete dort u.a. am Goethe-Institut. Seit 1987 freie Übersetzerin und Dolmetscherin in Nürnberg. Sie übertrug u.a. Autoren wie Lara Prescott, Philippa Gregory, Vikram Chandra, Alec Guiness, Oscar Wilde, Charles Dickens, Yaël Guiladi und Jean G. Goodhind ins Deutsche.

Informationen zum Buch

Mord bei der Malt Whisky Society.

Whisky-Hersteller aus der ganzen Welt kommen in ein charmantes Landhotel in den schottischen Highlands, um den besten Whisky zu prämieren. Abigal Logan, seit kurzer Zeit Besitzerin einer Whisky-Destillerie, ist zum ersten Mal dabei. Doch dann findet man zwei Leichen – beide waren Jury-Mitglieder. Will der Mörder den Wettbewerb beeinflussen? Als Abi Nachforschungen anstellt und eine Spur zum Täter verfolgt, versucht dieser plötzlich, auch sie auszuschalten.

Ein Krimi aus den schottischen Highlands mit viel Whisky und Flair.

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Melinda Mullet

Whisky mit Schuss

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Seeberger

Inhaltsübersicht

Über Melinda Mullet

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Anmerkung der Autorin

Anmerkungen

Impressum

Kapitel 1

Flammen züngelten am Holz der Whiskyfässer empor, die auf dem Vorplatz des beeindruckenden alten Hauses aufgetürmt waren. Wir Freunde standen miteinander auf der breiten Kieseinfahrt von The Larches, wir wollten die Sorgen des alten Jahres dem Feuer überantworten und das neue frisch beginnen. The Larches, so hieß das Zuhause der Familie MacEwen. Eigentlich ein Landgut, wenn man es genau nahm. Es war ein wenig heruntergekommen, zum einen vom Alter mitgenommen, zum anderen von den Verwüstungen, die die Erbschaftssteuer angerichtet hatte. Doch die Symmetrie seiner klassischen Proportionen und der schottische Baronialstil waren noch immer atemberaubend. In steinernem Schweigen ragte das Gebäude über uns auf, und unsere langen Schatten tanzten gespenstisch über seine Sandsteinmauern. Gelegentlich stob ein Funkenregen in die Nacht und beleuchtete die Gesichter der Umstehenden. Grant MacEwen, mein Geschäftspartner und unser Gastgeber bei diesem alljährlichen Ritual, stand auf den Eingangsstufen und beriet sich mit Louisa, der großartigen Haushälterin von The Larches. Louisas kleiner Sohn Luke tollte mit Liam, meinem zotteligen Wheaten Terrier, auf dem Rasen herum. Die beiden hatten einen Riesenspaß.

Ich drängte mich nah an die Wärme des Feuers und sah zu, wie Cam Lewis, unser Destillerie-Manager, von seinem Auto her die Einfahrt heraufkam, ein kleines Mädchen huckepack auf der Schulter. Die Kleine hatte zwei lockige kupferrote Haarschwänzchen und kicherte fröhlich, als Cam wie ein Pferd zum Feuer galoppiert kam.

»Wer ist das?«, fragte ich.

»Meine Enkelin Sadie«, antwortete er, und der rollende Tonfall seines ausgeprägten schottischen Akzents zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. »Sie ist übers Wochenende zu Besuch. Sadie, das ist Abi Logan; sie und Grant sind jetzt gemeinsam Besitzer von Abbey Glen.«

»Abbey Glen gehört Abi«, wiederholte Sadie ausgelassen und ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen.

»Die Destillerie hat meinem Onkel gehört«, erklärte ich ihr. »Der Name war so eine Art Wortspiel zwischen uns beiden. Er hat die Brennerei nach mir benannt, auch wenn ihr Name nicht genauso geschrieben wird wie meiner.«

»Das ist toll«, meinte Sadie. »Ich wünschte, jemand würde was nach mir benennen.«

»Ich wette, das macht mal jemand«, vermutete ich und lächelte sie an.

»Aye, die wird irgendeinen armen Kerl um den kleinen Finger wickeln.« Cam lachte leise und voller Zuneigung.

Ich fühlte mich schrecklich, weil ich nie auch nur eine Sekunde lang darüber nachgedacht hatte, dass Cam irgendwas anderes sein könnte als unser loyaler und hart arbeitender Brennereiarbeiter und Manager. Ich wusste, dass er verheiratet gewesen und seine Frau vor einigen Jahren gestorben war, aber in echter schottischer Manier hatte er sonst nicht viel mehr über sein Privatleben erzählt. »Ich wusste gar nicht, dass du Kinder hast«, neckte ich ihn, »geschweige denn Enkelkinder.«

»Ich habe zwei Töchter«, erwiderte Cam. Im Allgemeinen verliehen ihm sein zerklüftetes Gesicht und seine scharfen, aufmerksamen Augen einen etwas grimmigen Gesichtsausdruck, doch bei der Erwähnung seiner Töchter hellten sich seine Züge auf. »Eine lebt mit ihrem Mann in Australien, die andere wohnt in Glasgow. Das ist Sadies Mama.«

»Und du bist für den Hogmanay zu Besuch, ja?«, fragte ich und schaute zu Sadie hinauf. »Dann kannst du mir bestimmt alles über dieses Fest hier erzählen.«

»Da auf dem Feuer wird der Clavie verbrannt, Miss«, antwortete sie aufgeregt. »Das machen wir jedes Jahr. Es bringt Glück, weißt du.«

»Das wusste ich nicht«, gab ich zu, »und ich weiß eigentlich auch nicht, was ein Clavie ist.«

Diese Frage schien Sadie auf dem falschen Fuß zu erwischen, und sie tippte Cam auf den Kopf. »Was ist ein Clavie, Opa?«

»Ein Clavie ist ein Haufen von Fässern, die man zur Hälfte durchsägt und mit Teer füllt, damit sie schön lange brennen.«

»Teer wie der auf der Straße?«, fragte Sadie.

»Genau der.« Cam lachte leise. »Die Leute tragen den brennenden Clavie durch den Ort und später zu irgendeiner Anhöhe, wo er die ganze Nacht weiterbrennt. Wir haben zum Glück einen ganzen Haufen alte Fässer, die wir bei Abbey Glen benutzen. Und statt Teer schütten wir ein wenig vom Bodensatz auf das Holz, damit es heiß und stark brennt.«

Als er meine gerunzelte Stirn wahrnahm, fügte Cam noch hinzu: »Mit Bodensatz meine ich die übrig gebliebene Flüssigkeit, die nach dem Destilliervorgang noch in der Brennblase ist.«

»Aha, deswegen haben wir hier so ein wunderbares Feuer«, meinte ich.

»Ganz genau.« Cam schwang sich Sadie von der Schulter. »Diese Version der traditionellen Feier hat seinerzeit Grants Vater eingeführt, als ich gerade mal so alt wie Sadie war. So machen wir es seither jedes Jahr.« Er schnippte gegen eines ihrer hüpfenden Haarschwänzchen, während sie im Kreis um uns herumrannte. »Mein Dad hat mich immer mitgenommen, als er in der Brennerei noch für die Destillierblase zuständig war.«

»Was passiert, wenn die Fässer heruntergebrannt sind?«

»Sobald sie anfangen auseinanderzufallen, langst du ins Feuer und schnappst dir einen Brocken Holz, der noch glüht, nimmst ihn mit nach Hause und legst ihn auf dein eigenes Kaminfeuer«, erklärte Cam. »Mit den übrig gebliebenen Stücken von diesem verkohlten Holz reibt man die Kamine von innen aus, damit keine bösen Geister und Hexen durch den Schornstein herunterkommen.«

»Das ist das Allerbeste«, sagte Sadie mit offensichtlichem Entzücken; sie hatte bei dem Gedanken daran, dass Hexen und böse Geister aus dem Schornstein verjagt wurden, die Augen ganz weit aufgerissen.

»Wenn man bedenkt, dass wir in diesem Dorf ziemlich viele geistige Getränke konsumieren«, murmelte ich, »haben wir eine recht seltsame Beziehung zu Geistern.«

»Man kann nie vorsichtig genug sein, wie du genau weißt«, sagte Cam und zwinkerte mir zu. »Du hast ja, seit du hier angekommen bist, auch selbst schon jede Menge Hexen und böse Geister erlebt.«

Da hatte Cam recht. Es war nicht einmal ein Jahr her, dass ich Abbey Glen von meinem Onkel Ben geerbt hatte, und seither hatten wir bereits eine Brandstiftung, persönliche Bedrohungen und überdurchschnittlich viele Morde zu verzeichnen. Mir, der unerfahrenen und überraschenden neuen Besitzerin von Abbey Glen, hatten die Ortsbewohner erheblichen Widerstand entgegengebracht. Meine erste Herausforderung bestand darin, eine Methode zu finden, wie ich mit der frauenfeindlichen Whisky-Bruderschaft, den Barley Boys, wie ich sie genannt hatte, auskommen konnte. Leicht war das nicht. Aber doch nicht annähernd so schwierig, wie es gewesen war, die erste eingebettete Kriegsberichterstatterin für die London Gazette zu sein. Das hatte ich damals geschafft, und ich konnte stolz sagen, dass ich jetzt auch diese Herausforderungen hier bewältigte.

Nicht nur das, ich begann sogar, mein neues Leben wirklich zu genießen. Mein chaotisches Nomadendasein als Journalistin ging mir allmählich auf die Nerven, und dieser Tempowechsel war keinen Augenblick zu früh gekommen. In den letzten neun Monaten hatte ich herausgefunden, wie viel es mir bedeutete, mich in dieser Gemeinschaft hier aufzuhalten. Abbey Glen bescherte mir Wurzeln und Freundschaften und einen Ort, den ich mein Zuhause nennen konnte, etwas, das ich seit vielen Jahren nicht gehabt hatte. Trotz meiner anfänglichen Skepsis war dies das beste Erbe, das Ben mir hätte hinterlassen können. Doch wenn ich schlau war, nahm ich mir trotzdem ein extragroßes glühendes und verkohltes Holzstück vom Feuer mit. Glück konnte ich immer brauchen.

Der kleine Luke machte sich einen Riesenspaß daraus, Holz zu sammeln und ins Feuer zu schleudern. Grant konnte ihn gerade noch davon abhalten hinterherzustolpern. Ich beobachtete, dass er den Jungen keine Sekunde aus den Augen ließ, damit nichts passierte. Cam und Sadie eilten ihm zu Hilfe, während Lukes Mutter die Gelegenheit nutzte, um zu mir herüberzuspazieren und mich zu begrüßen. Louisa hatte den ganzen Tag lang in der Küche gestanden, und ich hatte sie vor Weihnachten zum letzten Mal gesehen. Sie umarmte mich herzlich, und ich fragte sie, ob sie und Luke die Feiertage gut verbracht hätten.

»Es war recht ruhig, aber sehr entspannend«, sagte sie. »Luke hatte sicher seinen Spaß, aber unser Herr und Meister hat ein wenig Trübsal geblasen.« Louisa musterte mich mit einem Funkeln in den Augen von Kopf bis Fuß. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, ihm hat deine aufmunternde Gegenwart gefehlt.«

Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. »Ich kann mir nicht vorstellen, wieso«, murmelte ich.

»O doch, das kannst du«, sagte Louisa. »Und um deine Geschäftstüchtigkeit ging es ihm dabei bestimmt nicht.«

»Sei nicht albern«, erwiderte ich verächtlich. Ich spürte, wie mein Gesicht puterrot wurde, und das lag keineswegs nur an der Hitze des Feuers. »Ich war doch gar nicht so lange weg. Kaum vier Wochen, und dann haben Liam und ich noch einen Zwischenstopp in Edinburgh gemacht und mit Patrick und seiner Mutter Weihnachten gefeiert.« Wieso klang das so, als müsste ich mich rechtfertigen? Es ging doch eigentlich niemanden was an, wo ich meine Feiertage verbrachte. Patrick Cooke war seit meiner Zeit auf der Universität mein bester Freund, und jetzt, da Ben tot war, war er so etwas wie meine einzige Familie. Seine Mutter hatte für die Feiertage den weiten Weg von London auf sich genommen, weil Patrick sich weigerte, nach Hause zu fahren. Trotz ihrer zierlichen Gestalt war sie ein furchterregender alter Drachen, und obwohl sie uns beide auf ihre ganz eigene Art sehr mochte, waren ihre Besuche immer stressig. Wie üblich kompensierten wir, indem wir viel zu viel aßen und tranken. Insgesamt also eine ziemlich normale Weihnachtsfeier in der Familie.

Louisa sah ganz so aus, als hätte sie sehr gern noch mehr über Grant gesprochen, doch zum Glück begannen just in diesem Moment die brennenden Fässer in viele glühende Stücke zu zerfallen. Die Kinder jubelten, und Luke brachte mir eine Keksdose aus Blech, die mit vielen anderen auf einem Haufen gelegen hatte. Ich ging mit ihm zusammen zum Clavie und zog wie alle anderen vorsichtig glühende Holzstücke und verkohlte Holzbrocken aus dem Feuer.

Grant kam mit einem flachen hölzernen Quaich1 zu uns Erwachsenen herüber. Der ziselierte Silberrand und die Griffe des Trinkgefäßes reflektierten den goldenen Schein des Feuers. Ich trank einen wärmenden Schluck Whisky aus der Schale und reichte sie weiter. Grant schaute mir tief in die Augen. Seine dunkelgrünen Augen warfen das Licht des Feuers zurück wie Smaragde. Es war für mich immer beinahe berauschend, in seiner Nähe zu sein, und das weckte in mir Gefühle, die zwischen Geschäftspartnern völlig unangebracht waren. Gefühle, die ich bei jeder Gelegenheit mit größter Mühe zu unterdrücken suchte.

Grant war eine echte Herausforderung für mich – ein Mann von ungeheurer Vielschichtigkeit und großer Leidenschaft, die sich hinter einer kühlen professionellen Fassade verbarg. Alles andere außer einer respektvollen Freundschaft zwischen uns beiden würde dazu führen, dass mich die Whisky-Bruderschaft als Grants kleine Freundin abtat.

Von beruflichen Erwägungen einmal abgesehen, muss ich leider zugeben, dass ich in Bezug auf Männer ein völlig hoffnungsloser Fall bin. In meiner jahrelangen Arbeit als Bildreporterin mit einem stets unberechenbaren Zeitplan für meine Einsätze hatten die schrecklichen und niederschmetternden Erfahrungen, mit denen ich konfrontiert war, tiefe Narben in mir hinterlassen. Zudem musste ich oft auswärts arbeiten. Meine Beziehungen krachten rascher zu einem rauchenden Trümmerhaufen zusammen als der Clavie, den wir gerade als Brandopfer dargebracht hatten. Deswegen war ich wild entschlossen, zu Grant als meinem Geschäftspartner eine angemessene Beziehung aufzubauen, die gut für unsere Destillerie und noch besser für mein arg ramponiertes Herz war.

Als das Feuer langsam erlosch, zogen wir alle ins Haus, um uns an dem Essen gütlich zu tun, das Louisa im Esszimmer angerichtet hatte. Cam ging zum Kamin und warf, von Sadie und Luke unterstützt, mehrere noch glühende Holzstücke hinein und malte mit einem verkohlten Brocken Holz eine Reihe von Zeichen innen in den Kamin. »So. Jetzt sind wir wieder ein Jahr sicher vor Geistern, die wir hier nicht wollen«, sagte er, während er sich den Ruß von den Händen klopfte und einen Whisky vom Tablett auf dem Beistelltisch nahm. »Sláinte. Es ist gut, dass wir dich wieder bei uns zurück haben«, meinte er und erhob sein Glas in meine Richtung.

»Es ist gut, wieder zurück zu sein«, antwortete ich, erhob ebenfalls das Glas und erfreute mich am Leuchten des Whiskys. Meines Whiskys. Noch ein Jahr zuvor hätte ich rein gar nichts zum Thema Whisky sagen können, weder zu Bens Whisky noch zu irgendeinem anderen, doch seit Bens Tod hatte ich Geschmack an seinem Aroma und seiner Weichheit gefunden. Speziell natürlich an unserem Abbey Glen. Unser Whisky hatte nur sehr wenig von dem sonst bei Malt Whiskys üblichen Torfaroma, wurde sorgfältig destilliert und reifte unter liebevoller Fürsorge in Holzfässern, in denen zuvor Sherry gelagert wurde, was dem Endprodukt ein vielschichtiges, leicht süßes und doch pikantes Aroma verlieh, das einem das Herz erwärmte.

»Patrick ist ganz aufgeregt, twittert auf allen Kanälen über diese Golden Quaich Awards. Mit dieser Abfüllung von 15 Jahre altem Abbey Glen hätten wir uns auf jeden Fall für diesen Preis bewerben sollen«, meinte ich anerkennend.

»Da bewirbt man sich nicht«, korrigierte mich Cam, »man wird nominiert. Aber, ja, das ist einer der nominierten Whiskys von Abbey Glen. Bisher hat man uns kein einziges Mal berücksichtigt, und dieses Jahr gleich in drei Kategorien. Unglaublich.«

Ich deutete mit erhobenem Glas auf das Feuer im Kamin. »Vielleicht wendet sich unser Glück ja schon.«

»So schnell wirkt der Clavie nicht«, meldete sich Grant zu Wort. »Der Hauptgrund dafür, dass wir in den vergangenen Jahren nicht nominiert wurden, ist, dass weder Ben noch ich Lust hatten, dem Auswahlkomitee Honig ums Maul zu schmieren.«

»Wenn man nur genug Lobbyarbeit machen muss, um in Erwägung gezogen zu werden, ist es wohl keine große Ehre«, gab ich zu bedenken. »Ich hätte gedacht, dass es nur nach Verdienst geht.«

»Verdienst ist ein Teil der Rechnung«, erwiderte Cam. »Aber heutzutage gibt es ja so viele Whiskys. Diejenigen, die sich zu der Zeit, wenn die Nominierungen anstehen, sehr darum bemühen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, bleiben natürlich den Leuten im Komitee am besten im Gedächtnis haften.«

»Was war also dieses Jahr anders?«

»Ich vermute mal, dass Patrick daran nicht ganz unschuldig war«, sagte Grant. »Du hast ja auch schon gesagt, dass er vielschichtige Motive für sein Tun hat. Du erinnerst dich noch, dass er im Herbst für die japanischen Investoren diese VIP-Tour in Abbey Glen organisiert hat? Nun ja, er hat dazu auch die wichtigsten Mitglieder des Auswahlkomitees für den Order of the Quaich eingeladen. Ich nehme an, er hat die VIP-Tour als raffinierte Möglichkeit betrachtet, unseren kleinen Betrieb gut dastehen zu lassen.«

»Und ich habe gedacht, er versuchte lediglich, ausländische Investoren für seine Zeitschrift zu gewinnen.«

»Patrick ist ein schlaues Kerlchen«, sagte Cam mit einem Funkeln in den Augen. »Er hat es geschafft, selbst nicht zu kurz zu kommen und gleichzeitig Abbey Glen zur Geltung zu bringen.«

»Also waren all diese Präsentationen und Fotos von der Herstellung unseres Whiskys Teil einer ausgeklügelten Werbekampagne?«

»Sieht ganz so aus«, antwortete Grant.

Eigentlich überraschte mich das nicht. Ich hätte es wissen müssen. Patrick hatte mir schon immer den Rücken gestärkt. Ob ich es wusste oder nicht. Ob ich es wollte oder nicht. Er war der nervige, aber liebenswerte kleine Bruder, den ich nie gehabt hatte.

Ein Stirnrunzeln überschattete Grants Gesicht. »Der Wettbewerb beginnt übermorgen. Es ist ein bisschen spät, aber wir könnten versuchen, für dich auch noch einen Platz dort zu buchen. Ich war nicht sicher, ob du im Land sein würdest, als die Anmeldeformulare kamen.«

»Eigentlich bin ich startklar«, erwiderte ich. »Patrick und ich haben zu Weihnachten darüber gesprochen, und er hat mich überredet, mitzukommen und mir den Spaß zu gönnen. Er hat sich bereiterklärt, sein Zimmer mit Liam und mir zu teilen.«

»Wenn du das so möchtest«, meinte Grant. »Ich bin sicher, ich könnte auch ein Plätzchen für dich finden.«

Wenn ich bei meiner Freundschaftskampagne eines nicht brauchte, dann das: bei einer Veranstaltung der Whisky-Industrie offiziell ein Zimmer mit Grant zu teilen. Zwei Whiskys, und wir könnten von Glück sagen, wenn wir während der gesamten Zeit überhaupt mal aus dem Bett kämen. Der bloße Gedanke daran ließ mich einen Schritt von der Hitze des lodernden Kaminfeuers zurücktreten.

Jetzt erst merkte Grant, was er da gerade gesagt hatte, und ich konnte sehen, wie ihm eine leichte Röte über den Nacken kroch. »Ich meine, ich bin sicher, wir könnten irgendwie ein eigenes Plätzchen für dich finden, wenn dir das lieber wäre«, verbesserte er sich.

»Das ist eine ziemlich prächtige Veranstaltung«, sagte Cam, dem unser Gespräch entgangen war. »Dieses Jahr findet sie in der Eagle Lodge statt. Das war früher mal ein königliches Jagdschlösschen, und jetzt ist es ein ziemlich großes, protziges Wellnesshotel außerhalb von Stirling. Es gibt tolles Essen und jeden Whisky unter der Sonne.«

»Das wird sicher eine sehr lohnende Erfahrung für dich«, sagte Grant. »Es gibt Seminare, Verkostungen und die Gelegenheit, einige der Topnamen im Whiskygeschäft kennenzulernen.«

Die meisten Leute aus den Destillerien der Umgegend kannte ich bereits, aber die Seminare würden sicher interessant werden, und ich war immer auf der Suche nach Gelegenheiten, meinen Gaumen an weiteren Whiskys zu schulen. Das gehörte alles zu meiner neuen Rolle als Geschäftsfrau und Whiskybotschafterin. »Wie lange geht die Sache?«

»Vier Abende«, warf Cam ein. »Ich hab mir auch ein Zimmer gebucht.« Er grinste. »Nach all dem Verkosten kann man unmöglich Auto fahren.«

»Allerdings«, meldete sich Louisa zu Wort, die gerade ein Tablett mit kaltem Lachs und Salat hereinbrachte, das sie auf die bereits übervolle Anrichte stellte. Liam trottete wie ein liebeskranker Teenager hinter ihr her. »Da wird ein bisschen mehr als nur verkostet«, fügte sie hinzu. »Sie kommen alle drei Kilo schwerer und um ein paar Hirnzellen leichter nach Hause.«

Grant lachte leise. »Stimmt genau.«

»Eine Party ganz nach meinem Geschmack«, sagte ich.

Ich folgte Liam zur Anrichte und begann, einen Teller zu beladen. Louisa hatte sich selbst übertroffen. Außer dem Lachs gab es noch eine große Auswahl an goldbraunen pikanten Fleischpasteten und Würstchen im Teigmantel, zudem ein duftendes Gemüsecurry mit Reis. Daneben ächzte der Teewagen unter dem Gewicht von einem Dutzend verschiedener Käse und Kekse, mundgerechter Mince Pies und mit Puderzucker bestäubter Ingwerscones mit Clotted Cream und frischen Himbeeren.

Diese Feiertage entwickelten sich zu einer Katastrophe für meine Figur. Patrick hatte sich zwar über Weihnachten nicht aus Edinburgh fortbewegt, weil er London und ein mögliches Zusammentreffen mit seinem Ex vermeiden wollte, aber wie immer hatte er sich nicht lumpen lassen. Er hatte bei einem vorherigen Londonbesuch allerlei Köstlichkeiten bestellt, darunter sechs große Fresskörbe von Fortnum & Masons. Zwei Kisten mit allen möglichen französischen Weinen, dazu Gänse- und Entenleberpastete, verschiedene Käse, Marmeladen, Speck und Würstchen. Sogar an Liam hatte er gedacht. Ein riesiger Steakknochen, in Metzgerpapier eingeschlagen und mit dem türkisfarbenen Band von Fortnum & Mason verschnürt, traf mit all den wunderbaren Dingen ein. Liam kaute drei Tage in himmlischer Glückseligkeit daran herum.

Louisa stellte die letzten Speisen hin und gesellte sich wieder zu mir, während sie sich die Hände an einem Handtuch abwischte. Technisch gesehen war Louisa vielleicht Personal, aber in The Larches ging es nicht sehr förmlich zu. All diese Unterscheidungen zwischen Personal und Herrschaft gehörten zudem längst der Vergangenheit an. Grant gab offen zu, dass er ohne Louisas Hilfe verloren wäre und das Landgut wohl kaum am Laufen halten könnte, und Louisa war froh, dass sie eine Arbeitsstelle gefunden hatte, wo man eine alleinstehende Mutter und ihren Sohn herzlich aufnahm und wo sie Teil der erweiterten Familie geworden waren.

Ich hätte das Essen wesentlich überschwänglicher gelobt, hätte ich nicht wenig ladylike den ganzen Mund voller Würstchen im butterzarten Teigmantel gehabt.

Louisa lächelte über meine offensichtliche Begeisterung. »Ich hab dir noch ein paar in der Küche aufgehoben.«

»Du bist die Allerbeste«, erwiderte ich grinsend und drückte ihr den Arm.

»Ich hab mindestens einen Whisky zu viel getrunken«, beichtete sie. »Also frag ich dich jetzt doch. Obwohl ich mir geschworen habe, dass ich’s nicht tu.« Sie deutete quer durchs Zimmer auf Grant, den die Kinder gerade überredet hatten, mit ihnen Charade zu spielen. »Was läuft mit euch beiden?«

»Wir sind Freunde.«

»Und?«

»Und nichts.«

»Na, das ist aber nicht recht.«

Ich stopfte meinen Mund erneut voller Würstchen im Teigmantel, damit ich nicht antworten musste.

»Ihr zwei wärt doch großartig zusammen. Komm schon, du kannst nicht leugnen, dass er ein ziemlich toller Kerl ist?«

Ich schluckte und trank ein wenig von dem Whisky in meinem Glas. »Er ist toll«, gestand ich ihr zu. Groß, sportlich, mittelbraunes Haar und faszinierende Augen, was wollte man mehr? »Aber keiner aus der Whisky-Bruderschaft würde mich mehr ernst nehmen, wenn ich was mit Grant anfinge. Nicht nur das. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist eine Beziehung, die zum Scheitern verurteilt ist. Denn das würde mein neues Leben hier völlig ruinieren.«

»Wieso ist sie zum Scheitern verurteilt?«, fragte Louisa.

»Das sind sie bei mir immer«, erwiderte ich bestimmt.

»Sei doch nicht so negativ. Grant ist sehr diskret, und ihr werdet jede Menge Zeit miteinander verbringen, wenn du mit zum Wettbewerb fährst.« Louisa gab mir einen kleinen Rippenstoß. »Nutz das aus.«

»Aber wir sind mit allen Barley Boys dort.«

»Zumindest weißt du, dass du da keine weibliche Konkurrenz hast«, erklärte mir Louisa. »Im Augenblick bist du immer noch die einzige Frau, die es ins Whiskygeschäft geschafft hat.«

»Ja, leider. Ich könnte Unterstützung gebrauchen«, jammerte ich.

»Das kommt schon noch. Es ändert sich einiges, aber bis dahin nutze das aus, was du hast. Eagle Lodge ist großartig. Ein romantisches Hotel für eine wunderbare kleine entspannte Auszeit«, sagte Louisa mit einem spitzbübischen Funkeln im Blick.

Ich verdrehte die Augen. »Ja, Grant und ich ganz allein und ein paar Dutzend seiner engsten Freunde und Kollegen.«

»Das ist nur während der hellen Stunden des Tages«, neckte mich Louisa. »In der dunklen Nacht stellen die Leute so allerlei an.«

Ich wünschte, ich hätte schon da gewusst, wie dunkel die Nacht dort werden würde.

Kapitel 2

Ich stand am Gartenzaun und schaute hinüber zu Oscar und Liam, die auf der Wiese spielten. Katherine McRae, unsere Tierärztin aus dem Ort, stand neben mir und schüttelte den Kopf.

»So was wie die beiden habe ich noch nie gesehen. Hunde und Schafe reagieren gewöhnlich ganz instinktiv aufeinander, aber ich könnte schwören, dass diese beiden Fangen spielen.«

»Liam war noch nie wie alle anderen«, sagte ich mit einem Seufzer. Seit ich meine kleine Herde ältlicher Wollerzeuger vor einem vorzeitigen Trip zum Abdecker gerettet hatte, kam Katherine regelmäßig zu Besuch. Ich vermute, wir wären ohnehin gute Freundinnen geworden, mit oder ohne Schafe, doch die Herde hatte den Vorgang beschleunigt, und inzwischen stand Katherine ganz oben auf meiner Handy-Kurzwahlliste. Sie war eine zierliche Brünette mit gefühlvollen Augen, starken Händen und einem warmen Herzen. Eigentlich war sie auf Pferde spezialisiert, aber zum Glück kümmerte sie sich auch gern um meine Schützlinge.

Wir standen einige Minuten schweigend da und genossen das leise zufriedene Blöken der Schafe. Ich fand es seltsam beruhigend und meditativ.

»Bei Agatha scheinen jedenfalls keine Nachwirkungen von ihrer gestrigen Expedition in die Stadt geblieben zu sein«, meinte Katherine.

»Danke, dass du sie dir angeschaut hast. Ich weiß, dass Schokolade für Hunde nicht gut ist, aber bei Schafen war ich mir nicht sicher.«

»Sie ist für beide nicht gut, doch Agatha wird schon wieder. Nur interessehalber: Wie hat sie es geschafft, an ein Fass voller Schokolade ranzukommen?«

»Na ja, Agatha streift gern durch die Gegend. Gewöhnlich hält Liam sie in Schach, aber der war gerade mit mir unterwegs. Sich selbst überlassen, hat sich Agatha irgendwie durch den Zaun gequetscht und ist die Straße entlang in die Stadt gewandert. Ich hatte keine Ahnung davon, bis Floss mich anrief und sagte, eines meiner Schafe sei in ihren Laden spaziert und wäre im Augenblick dabei, sich durch den Behälter mit den dunklen Schoko-Buttons zur fressen.«

»Und wie hast du sie wieder nach Hause bekommen?«

»Liam und ich sind mit dem Mini Cooper in die Stadt gefahren, und ich habe sie auf die Rückbank geladen.« Leider war dies nicht das erste Mal, dass man mich dabei erwischt hatte, wie ich durch den Ort fuhr und eines meiner Schafe aus dem Rückfenster schaute. Jedes Mal hoffte ich vergeblich, dass es das letzte Mal wäre. Derlei trug, Gott weiß, nicht gerade dazu bei, meinen Ruf als ernst zu nehmendes Mitglied der Landgemeinde zu festigen. Und für das Aussehen meines Autos war es noch weniger förderlich.«

Katherine versuchte, ihre Belustigung mit einem Husten zu tarnen, aber mich konnte sie nicht täuschen. Höchste Zeit für einen Themawechsel.

»Was kannst du mir über Eagle Lodge erzählen?«, fragte ich spontan.

»Sehr schön«, sagte Katherine mit hochgezogenen Augenbrauen. »Fährst du etwa zum Abendessen dorthin?«

»Nein, ich übernachte dort sogar ein paar Mal. Während des Wettbewerbs um die Golden Quaich Awards«, hob ich an.

»Ach ja, jetzt fängt die Zeit der Awards an«, sagte Katherine. »Ein herrliches Hotel, die Eagle Lodge. Erstklassig, von A bis Z. Ich war allerdings nur einmal da. Mich hat damals ein Freund als Gast zu einer Hochzeit mitgenommen. Als ich dort ankam, wünschte ich mir, ich hätte mir ein bisschen mehr Mühe mit meinem Outfit gegeben.«

»Über Kleidung habe ich noch gar nicht nachgedacht«, stöhnte ich. »Das Ganze fängt morgen Abend an, und ich bezweifle, dass ich was Passendes zum Anziehen habe.«

»Dann aber mal dalli dalli«, sagte Katherine. Ihre Augen leuchteten vor unverhohlener Begeisterung. »Weißt du was? Ich muss heute Nachmittag nach Stirling fahren, um Impfstoff für die Schweine abzuholen. Warum kommst du nicht mit? In der Altstadt ist eine wunderbare Boutique, die genau das Richtige wäre, und ich bekomme nie Gelegenheit zu solchen Mädelsausflügen.«

Katherine wirkte so aufgeregt, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihr die Idee auszureden. Einkaufen war für mich etwas völlig Wesensfremdes. Ich spazierte gewöhnlich in ein Geschäft, schnappte mir dort das erste schwarze Kleidungsstück in Größe acht und ging wieder, doch nun musste ich so aussehen, als wäre ich tatsächlich eine Brennereibesitzerin und mondäne Geschäftsfrau. Schließlich vertrat ich Abbey Glen und das heraufdämmernde Zeitalter der Frauen im Whisky-Geschäft. Grant und Cam würde es wahrscheinlich gar nicht auffallen, Patrick jedoch schon. Und er würde mit seinen Kommentaren über meine Unzulänglichkeiten nicht hinterm Berg halten. »Also gut, da werde ich mich wohl ein bisschen bemühen müssen.«

»Prima. Ich hole dich um halb eins ab. Das wird ein Riesenspaß für dich.« Nein, das wird ein Riesenspaß für dich, dachte ich, als ich Katherine nachblickte, die mit federnden Schritten zu ihrem Pick-up zurückging. Ich holte tief Luft und versuchte, die in mir aufsteigende Panik zu besiegen, indem ich noch einmal nachsah, ob das Tor zum Schafpferch wirklich fest verschlossen war.

Um ein Uhr hatten wir den Wagen bereits im Parkhaus in der Altstadt abgestellt und uns zu Fuß aufgemacht, das Einkaufsviertel zu erkunden. Die meisten kleinen Läden verkauften Schals mit Schottenkaro, Hochlandkühe aus Plüsch und Schlüsselanhänger mit zweideutigen Sprüchen. Das unvermeidliche Starbucks hatte gleich neben dem Eingangstor zur Burg zwei größere Ladenflächen in Beschlag genommen und bombardierte nun die Umwelt mit den Fotos, die die Gäste von alten Steinmauern und Türmen gemacht hatten. Katherine steuerte mich von all dem Touristenkitsch weg in eine unauffällige enge Gasse, die etwa auf halber Höhe von der Hauptstraße abzweigte. Dieser schmale Durchgang verband die Straße mit einem großen gepflasterten Platz, der so verborgen lag, dass man ihn leicht hätte übersehen können, wenn man nicht ganz genau hinschaute.

Früher war dies ein Hof für die Postkutschen gewesen, doch inzwischen hatte man die Ställe zu extraschicken Geschäften umgebaut, bei denen dort, wo einmal Kutschen durchgefahren waren, nun große Schaufenster prangten. Man hatte einige der ursprünglichen Holztüren entfernt und an beiden Seiten der weiß getünchten Ziegelfassaden angebracht wie übergroße verzierte Klappläden. Ich war überrascht, dass Katherine diesen versteckten Innenhof kannte. Sie schien ganz genau zu wissen, wo sie hinging, und ich folgte ihr lammfromm in einen Kleiderladen, auf den ein diskretes Schild mit goldenen Buchstaben hinwies.

Als wir eingetreten waren, wollte ich sofort wieder kehrtmachen und wegrennen, doch meine Rückwärtsbewegung wurde von einem Cocker-Spaniel-Welpen gestoppt, der herausgetrottet kam, um uns zu begrüßen, und sich um meine Füße schlängelte.

»Sampson«, schimpfte eine junge Frau. »Komm sofort hierher. Nicht alle Leute mögen Hunde, du kleiner Halunke.«

»Bei mir ist er gut aufgehoben«, erwiderte ich, nahm das zappelnde goldene Fellknäuel hoch und ließ mir von ihm begeistert das Kinn abschlecken.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte die Frau und befreite mich von meinem neuen pelzigen Freund. »Ich heiße Charlotte. Womit kann ich den Damen helfen?«

Ich wusste es zu schätzen, dass Charlotte uns als Damen bezeichnete, obwohl wir beide nicht so angezogen waren, wie ihre üblichen Kundinnen sich kleideten. Ich zögerte, aber Katherine stürzte sich gleich mitten hinein.

»Meine Freundin fährt zu einem 4-tägigen Event im Eagle Lodge, das morgen anfängt, und wir müssen ihr ein paar schicke Outfits verpassen.«

»Gut. Haben Sie eine Vorstellung, welche Art von Event das sein wird? Besprechungen, Dinners, offizielle Empfänge?«

»Ah.« Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, worauf ich mich eingelassen hatte. »Ich habe noch kein Programm gesehen«, antwortete ich schüchtern.

»Dann schauen wir uns das doch mal an.« Charlotte zog ihr iPad hervor und rief das Programm für das Jahrestreffen des Order of the Golden Quaich auf. »Wie’s aussieht, gibt es einen förmlichen Empfang zur Eröffnung, anschließend mehrere Tage mit Bewertungen. Ein Mittagessen und zwei weniger förmliche Dinners sowie die Galaveranstaltung zur Verleihung der Awards. Für die bräuchten Sie ganz was Besonderes«, sagte sie nachdenklich.

»Oh, fangen wir mit den festlichen Kleidern für die Gala an«, sagte Katherine mit großem Eifer.

Charlotte musterte mich mit professionellem Auge. Meine rotbraunen Locken fielen mir inzwischen fast bis zur Schulter, meine Haut war blass, weil ich kaum Sonne abbekommen hatte, und in meinen silbergrauen Augen zeichnete sich wohl eine Spur Furcht ab. Kriegsgebiete? Kein Problem. Eine noble Damenboutique? Die erfüllte mein Herz mit Angst und Schrecken. »Größe sechs«, murmelte Charlotte.

»Größe acht«, korrigierte ich.

»Größe acht bei Kleidern von der Stange, Größe sechs bei Couture«, korrigierte sie mich. »Versuchen wir es mal mit ein paar warmen Farben. Mir etwas Klassischem. Ich habe ein Abendkleid, das perfekt zu Ihren wunderbaren Augen passen würde.«

Charlotte verschwand in einem Hinterzimmer, und Katherine bugsierte mich in einen Umkleideraum, wo ich mich ausziehen sollte. Sie selbst setzte sich im Wartebereich auf einen Plüschsessel und nahm sich ein Glas Schampus. Als ich mit meiner langweiligen Baumwollunterhose und einem ziemlich alten BH in dem opulenten Umkleideraum stand und bibberte, wünschte ich, ich hätte mich vor dem Aufbruch noch umgezogen. Plötzlich reichte Charlotte einen wahren Regenbogen an leuchtend bunten Stoffen durch die Tür herein und sagte: »Fangen Sie mit dem Roten an.« Kurz darauf fragte sie: »Werden Sie eine Schärpe tragen?«

»Eine was?«, murmelte ich aus den Tiefen des schweren Seidenoberteils des »Roten« hervor.

»Eine Clan-Schärpe. Ihr Schottenkaro.«

»Ich habe keins. Ich bin keine Schottin.«

»Aber Abbey Glen hat einen eigenen registrierten Tartan«, meldete sich Katherine zu Wort.

»Das habe ich nicht gewusst«, sagte ich, nachdem ich endlich den Kopf durch den Halsausschnitt gekriegt hatte. »Ich dachte, Tartans wären nur für Menschen.«

»Nicht alle«, sagte Charlotte, die schon auf ihrem elektronischen Assistenten herumtippte. »Da haben wir den Abbey-Glen-Tartan. Sehr schön, damit können wir gut arbeiten.«

Ich trat aus dem Umkleideraum, hielt das Kleid um mich gerafft und schaute Charlotte über die Schulter. Das Karo war in einem kräftigen Königsblau gehalten und hatte schwarze und tannengrüne Karostreifen. Jetzt, da ich es vor mir sah, erinnerte ich mich, dass ich an den Verpackungen von Abbey Glen bereits Bänder mit diesem Tartan gesehen hatte. Ich hatte nur nie danach gefragt.

»Ich rufe eben bei MacClouds an, dem Laden um die Ecke. Die haben die meisten Sachen vorrätig.« Charlotte trat hinter mich, zog den Reißverschluss zu und betrachtete die Wirkung des Kleids im Spiegel.

Ich kam mir in dem schulterfreien Gewand mit Tüllrock ziemlich lächerlich vor. Wie ein roter Staubwedel. Zum Glück schüttelten auch Charlotte und Katherine einmütig den Kopf.

»Sie braucht eindeutig weniger … Na ja, einfach weniger«, sagte Katherine und blickte voller Widerwillen auf den voluminösen Rock.

Zwei qualvolle Stunden später hatten wir uns für die Eröffnung auf ein königsblaues bodenlanges Etuikleid mit einem tiefen, drapierten Ausschnitt geeinigt. Charlotte zeigte mir, wie ich die seidene Schärpe über die rechte Schulter legen und an der linken Hüfte feststecken sollte; das sah wesentlich weniger absurd aus, als ich befürchtet hatte. Katherine fügte noch eine karierte Stola und eine Fliege für den Herren im Tartan von Abbey Glen dazu. Die Stola für mich, die Fliege für Liam.

Ich verließ den Laden zudem mit verschiedenen Hosen aus wunderbar weicher Merinowolle, vier Seidenröcken, drei Kaschmirpullovern, zwei Tageskleidern, einer butterweichen Lederjacke in einem tiefen Burgunderrot und einer Rechnung, die mir die Knie wacklig werden ließ. So viel hatte ich noch nie im Leben auf einen Schlag für Kleidung ausgegeben. Aber andererseits hatte ich nie viel mehr als Jeans, T-Shirts und ab und zu ein kleines Schwarzes für offizielle Anlässe bei der Arbeit und Hochzeiten gebraucht. Dank meines Erbes konnte ich mir das jetzt leisten, und ich hatte Katherine offensichtlich einen sehr spannenden Nachmittag beschert. Sie hatte bei der Sache wesentlich mehr Spaß gehabt als ich, aber sie hatte ja großzügig mein Geld ausgegeben.

Am heftigsten hatte ich mich gegen ein rotes Seidenteil mit Herzausschnitt und einer kleinen Schleppe gewehrt, das laut Charlotte das perfekte Outfit für die Preisverleihung war. Es schien mir übertrieben, doch in der Einsamkeit meines Umkleideraums musste ich zugeben, dass das Kleid atemberaubend war und mir das Gefühl gab, eine völlig andere Person zu sein, allerdings auf angenehme Weise. Die Frage war nur, ob ich auch den Mumm haben würde, es zu tragen, wenn es hart auf hart kam.

Als wir unsere Schachteln und Tüten hinten in den Pick-up luden, spürte ich, wie leichte Panik in mir aufstieg. Nach allem, was mir Katherine und Louisa erzählt hatten, fragte ich mich allmählich, worauf ich mich da eingelassen hatte. Vier whiskygetränkte Abende mit Grant in einem abgelegenen, romantischen Luxushotel. Beruflich ein Muss, privat ein Alptraum. Gleichermaßen wunderbar und schrecklich und zweifellos genau das, was ich in meinem Bestreben nach Stabilisierung meines Privatlebens nun wirklich nicht gebrauchen konnte.

Kapitel 3

Eigentlich hatte ich gehofft, gleich am Donnerstagmorgen mit Grant und Cam nach Eagle Lodge zu fahren, doch jedes Mal, wenn ich das Haus verließ, musste ich das nun wie einen größeren militärischen Feldzug planen. Normalerweise hätte ich einfach ein paar Dinge in eine Reisetasche geworfen und mich auf den Weg gemacht, doch diesmal musste ich die neuen Kleidungsstücke ordentlich verstauen, dazu all die benötigten Accessoires und mein Make-up. Zudem musste ich einen Hüter für meine vierbeinigen Wollknäuel finden, Liams Fressen und Bett einpacken und das Heu und den Schlamm, die Überreste von Agathas gestriger Mitfahrt, vom Rücksitz des Autos entfernen. Es hing noch ein zarter Hauch von feuchter Wolle in der Luft, doch jetzt war es zu spät, um den Innenraum des Wagens gründlich reinigen zu lassen, ehe wir abfuhren.

Schließlich war es beinahe Mittag, als Liam und ich aufbrachen. Wir folgten Grants Beschreibung über viele Meilen gewundener Landstraßen, bis wir an einer atemberaubenden, schier grenzenlosen, makellos gepflegten Rasenfläche ankamen, die nur ein Golfplatz sein konnte. Ich bin kein Fan dieses Sports, vermutete aber, dass es sich hier um eine Einrichtung von Weltklasse handelte. Ich hatte schon Teppiche gesehen, die weniger flauschig und üppig wirkten.

Wir bogen durch das Haupttor ein, das zu beiden Seiten der Straße von großen Bronzeadlern bewacht wurde, die auf Steinpfosten hockten, jederzeit bereit, auf unwillkommene Besucher herabzustoßen. Als wir uns dem Hotelgebäude über die lange, von Bäumen gesäumte Zufahrt näherten, ragte es zunehmend eindrucksvoll vor uns auf. Dieses Jagdschlösschen war kein nettes kleines Landhaus, The Larches hätte hier bequem viermal reingepasst. Die hellgrauen Steinmauern waren mit einem tiefen Mansardendach bekrönt, in dem vorn und an den Seiten Dachfenster auf zwei Ebenen angeordnet waren. Der zentrale Teil des Hotels hatte sechs Geschosse und wurde von zwei niedrigeren Flügeln flankiert. Der Architektur nach zu schließen, waren die beiden Seitenflügel wohl erst in jüngerer Zeit hinzugefügt worden, doch sie waren gut angepasst. Das Efeu, das die Wände hinaufwucherte, sah aus, als hätte es schon Hunderte von Jahren hier klettern können.

Es war ein eindrucksvolles Gebäude, das nach altem Geld, vornehmer Lebensart und Absolventen von Eliteschulen roch. Ich schaute zu Liam hinüber, der neben mir auf dem Beifahrersitz hockte und den Kopf und den größten Teil seiner Brust aus dem offenen Fenster streckte, und wünschte mir, ich hätte ihn vor der Abfahrt noch einmal gebadet. Die Hotelleitung behauptete zwar, man sei hier hundefreundlich, aber nun drängte sich mir der Verdacht auf, dass man dabei wohl eher an eine Art kleinen Handtaschenhund gedacht hatte als an meinen viel zu zotteligen, fünfzig Pfund schweren Begleiter. Wenn er sich nicht vorsah, würde man ihn in Schimpf und Schande in den Hundezwinger verbannen. Das Eagle Lodge entsprach gewiss nicht meiner üblichen Kategorie für Unterkünfte, doch jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als die Sache unverfroren durchzuziehen. Dank Katherine konnte ich mich jetzt zumindest meiner Rolle entsprechend kostümieren.

Kaum war ich mit meinem winzigen Auto unter dem steinernen Vorbau des Portals vorgefahren, eilten auch schon drei Herren in dunkelgrüner Livree herbei, um mir beim Aussteigen zu helfen, als sei ich die Queen, die ihren Rolls Royce verlässt. Liam entschied sich, für das Aussteigen die Route durch das Fenster zu wählen, und man muss es den drei Bediensteten hoch anrechnen, dass keiner auch nur mit der Wimper zuckte. In Windeseile wurde mein Gepäck aus dem Auto auf einen Wagen geladen, obenauf thronte Liams übergroßes Hundebett.

Ich folgte meinem Gepäck in die grandiose Eingangshalle und wurde am Empfang von George Larson, dem Hoteldirektor, begrüßt. Er wies gerade einen bärtigen Mann an, eine Transportkiste im Büro hinter dem Empfangstisch abzustellen. Nun widmete er zu meiner Überraschung mir seine gesamte Aufmerksamkeit und checkte mich ein.

»Ist das Hotel voll belegt?«, fragte ich.

»Wir hatten übers Wochenende eine sehr große Gruppe hier, die zur Jagd hergekommen war, aber die sind heute Morgen alle abgereist. Am Donnerstag erwarten wir eine Hochzeitsgesellschaft aus Aberdeen; doch im Augenblick genießen Sie und Ihre Whisky-Freunde unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.« Larson kam hinter dem Empfangstresen hervor und führte Liam und mich aus der mit Marmor und Mahagoni ausgestatteten Lobby über einen mit üppigen Teppichen ausgelegten Flur, der diskret von Wandleuchten aus geätztem Glas erhellt wurde, zu einer Reihe von Aufzügen.

»Sie und Mr Cooke sind im dritten Stock«, sagte er, während wir geräuschlos nach oben sausten. »Es ist eine wunderschöne Junior-Suite, von der Sie sehr leicht in den Speisebereich und zu den Salons gelangen, in denen die Bewertungen stattfinden.« Er klopfte leise an die Tür zu Zimmer 334, und als er keine Antwort erhielt, benutzte er einen altmodischen viktorianischen Messingschlüssel, um aufzuschließen. Liam stürzte ins Zimmer und begann es zu erkunden. Er wedelte ungestüm mit dem Schwanz, sobald er Patricks Fährte aufgenommen hatte.

»Der Kamin hat eine Fernbedienung«, erklärte Larson, tippte auf einen kleinen schwarzen Knopf auf dem Nachttisch und zauberte innerhalb von Sekunden ein loderndes Gasfeuer herbei. Es bot nicht ganz dieselbe Atmosphäre wie ein echtes Kaminfeuer, doch da es sich anzünden ließ, ohne dass man die Wärme der großen Überdecken auf den beiden Betten verließ, überzeugte es mich sofort. Larson zeigte uns das große Bad mit Fußbodenheizung unter schwarz-weißen Art-Deco-Fliesen und mit einer riesigen Badewanne auf Löwenfüßen und einer modernen Regendusche.

»Hier finden Sie eine Minibar«, fuhr Larson fort und öffnete einen Holzschrank unter dem Fernseher. »Sollten Sie sonst noch etwas benötigen, wenden Sie sich auf dieser Etage bitte an Sophie, das Zimmermädchen, das für diese Etage zuständig ist, oder an unsere Hausdame Mrs Easton. Beide stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Nach Larsons Gesicht zu urteilen, würde man mir in kürzester Zeit ein Känguru mit Zylinder liefern, sollte ich den Mumm haben, darum zu bitten. Es war sicher verführerisch einfach, sich an den Luxus dieses 5-Sterne-Hotellebens zu gewöhnen. Mein Gepäck war schon vor mir im Zimmer angekommen und in einem begehbaren Schrank verschwunden, in dem man leicht eine Party hätte feiern können. Auf der einen Seite hingen bereits Patricks Anzüge ordentlich aufgereiht. Mir hatte er den kleineren Teil zugewiesen. Der würde sich noch wundern.

Ehe Larson ging, reichte er mir eine moderne Plastikkarte als Zimmerschlüssel, und dann waren wir uns selbst überlassen. Ich packte meine neuen Festgewänder aus und hängte alles in den Schrank, damit sich die paar Knitterfalten von der Reise glätten konnten. Die offene Flasche Whisky auf dem Tisch war eine allzu große Versuchung. Ich schenkte mir ein Glas ein und legte die Füße auf den Sofatisch vor dem Kamin. So fühlte es sich an – das gute Leben. Liam hechtete mit Anlauf mitten auf das sehr teuer aussehende Federbett, seufzte, als hätte er nun endlich den Lebensstil, der ihm seiner Meinung nach schon immer zugestanden hatte. Mir war klar, dass es vergebene Liebesmüh gewesen war, sein Bett von zu Hause mitzubringen.

Schon bald schnarchte Liam leise, und mir wurden die Augen schwer. Doch jede Hoffnung auf ein dekadentes Schläfchen am Nachmittag wurde durch Patricks polternde Ankunft zunichtegemacht.

»Hallo!« Er schmatzte mir einen Kuss auf jede Wange und baute sich vor mir auf, ein Grinsen auf dem jungenhaften Gesicht. »Wurde auch höchste Zeit, dass du auftauchst. Los, auf geht’s!«

»Wir sind gerade eben erst angekommen«, erwiderte ich mit einem Stöhnen. »Wo müssen wir jetzt hin?«

»Das Whisky Journal hat für die Preisrichter und ein paar ganz besondere Gäste eine Falknerei-Vorführung gesponsert. Ich habe dich auch in die Liste eingetragen, damit du in aller Ruhe ein bisschen Zeit mit den Preisrichtern verbringen kannst.« Die goldenen Pünktchen in Patricks braunen Augen funkelten im Feuerschein. »Komm schon, sonst sind wir zu spät dran.«

Ich seufzte. Ich genoss gerade das wohlige Gefühl und den Luxus dieses Zimmers, hatte die Füße hochgelegt, einen Whisky in der Hand. Ich war mir nicht sicher, ob Falknerei mit der Whisky-Bruderschaft ganz oben auf meiner Prioritätenliste stand. Ich stupste Liam mit einem Finger an. »Los, du auch. Wenn ich gehe, gehst du mit. Du hast von uns beiden die größere Vorliebe für Geflügel.«

Ich hielt es für klug, Liam an die Leine zu nehmen, also befestigte ich trotz des unmutigen Blickes, den ich erntete, eine Leine an seinem Halsband. Seit wir nicht mehr in der Großstadt lebten, war Liam daran gewöhnt, sich ohne Einschränkungen zu bewegen, aber Vögel waren für ihn schon seit jeher ein Ärgernis und eine große Versuchung. Ich musste sicherstellen, dass er nicht Amok lief. Patrick hatte sich mit einer Barbour-Jacke und einem Paar makellos gepflegter Dubarry-Stiefel zünftig ausgestattet. Beides sah nicht so aus, als wäre je ein Wassertröpfchen daran gekommen, geschweige denn ein Regenguss. Wie immer wirkte Patrick wie aus dem Ei gepellt. Gemeißelte Wangenknochen und perfekt frisiertes Haar vollendeten den Eindruck, er wäre gerade von den Seiten von Country Life herabgestiegen.

Als wir in die kalte feuchte Luft hinaustraten, war ich noch weniger begeistert, dass wir den warmen Kokon des Hotels hinter uns ließen. Doch ich beeilte mich, mit Patrick Schritt zu halten, der mich nun hinter dem Hotel über einen Kiesweg zur Falknerei-Schule führte. Die kahlen Bäume standen schwarz vor dem blassgrauen Himmel, und einige dunklere Wolken glitten über den Bergen dahin und flüsterten von der Möglichkeit eines Schneefalls, sollte die Temperatur in der Nacht weiter sinken. Hinter uns verschwand allmählich das Herrenhaus, und wir gingen den säuberlich gepflegten Weg entlang zu einem zweistöckigen Haus aus Stein und Holz, das auf einer Anhöhe stand. Von dort bot sich ein herrlicher Blick über den Golfplatz und hinunter zum Wald. Dieser Ort lag so nah bei Stirling, und doch hatte man das Gefühl, ganz abgeschieden und vom Weltgetriebe weit entfernt zu sein. Die perfekte Zuflucht vor dem Stress des modernen Lebens.

Wir gingen im Gebäude die Treppe hinauf, erreichten die Ebene des Klubraums und blieben kurz stehen, um eine Landkarte des gesamten Geländes zu bewundern. Es war viel größer, als ich vermutet hatte. Im Westen reichte es bis zum nächsten Dorf. Im Osten gab es zwei Golfplätze, und hinter den Greens sah man vereinzelte Häuser. In einer anderen Ecke des Geländes war eine große Reitanlage untergebracht. Die Schule für Falknerei sowie einige weitere Außengebäude befanden sich hinter einer Reihe von Bäumen an der nördlichen Seite des Geländes. Die Südseite des Hotels bot einen weiten Blick über sanfte Hügel mit einzelnen Bäumen bis zu den Wäldern, in denen die Jagdgründe rot umrandet waren.

Auf der Hauptebene des Klubhauses zierten Gemälde antiker Jagdgesellschaften die Wände, und man ermutigte die Gäste, es sich auf den schweren Holzmöbeln mit ihren Polstern in kräftig grünen Schottenkaros bequem zu machen. Eine Vitrine voller Trophäen, Pokale, Schalen und Medaillen berichtete von den historischen Erfolgen des Klubs. Wir waren ein klein wenig spät dran, was laut Patrick ganz allein meine Schuld war. Seine Gruppe war bereits versammelt und erwartete uns.

Im Eiltempo nannte man mir die Namen eines wahren Ozeans von Männern mittleren Alters, die alle ähnliche Wachsjacken trugen und Lederhandschuhe in den Händen hielten. Es wäre ohnehin schwer genug gewesen, sie voneinander zu unterscheiden, aber in diesem Umfeld und mit nahezu identischer Ausrüstung würde es beinahe unmöglich sein.

Der Lauteste und Ausgelassenste in diesem Haufen war Sir Richard Simpson, ein kräftig gebauter Herr mit widerspenstigem grauem Haar und zwei bemerkenswert beweglichen Augenbrauen. »Abi, Sir Richard«, sagte Patrick. »Wir haben ein Riesenglück, dass wir ihn dieses Jahr unter den Preisrichtern begrüßen können.«

Die Augenbrauen schossen in die Höhe, als der Genannte sich zu mir umwandte, um mich willkommen zu heißen. »Ms Logan.« Seine Stimme war volltönend und tragend. »Sie sind ein höchst willkommener und dekorativer Zugewinn für diese Runde.«

Mir wurde ein feuchter, schlaffer Händedruck zuteil, als befürchtete der Sir, der übermäßige Druck einer normalen Begrüßung könnte meine zarten Finger zerquetschen. Ich erinnerte ihn nicht daran, dass wir uns bereits vor einigen Jahren kennengelernt hatten, als ich ihn für einen Artikel in der Gazette fotografiert hatte. Er war der Typ Mann, der der Frau hinter der Kamera keinen zweiten Blick schenkte. Er drehte sich um und stellte mich seinem Freund Archie MacInnes vor. MacInnes war genauso kräftig gebaut, wenn er auch etwas eher Schweinchenhaftes hatte. Seine Augen waren klein und standen zu nah beieinander, und sein Haar wurde oben schon schütter. Die kompliziert darüber gekämmten Haare zeigten inmitten des Grau noch einige wenige verbliebene rote Strähnen. Er zwinkerte mich kurzsichtig an, schüttelte mir aber zumindest kräftiger die Hand als sein Kumpel. Laut Simpson war Archie ein lieber Freund, ein ehemaliger Destilleriebesitzer und ebenfalls Preisrichter.

Richards Bruder Trevor war auch anwesend; er war ein alter Freund von Patrick. Wir waren einander schon mehrere Male in London begegnet. Er war ein etwas trübseliger Bursche, hatte unter der Wachsjacke ein schäbiges Tweedjackett an und abgetragene Jagdhalbschuhe an den Füßen. Er sah um einiges älter aus als bei unserem letzten Treffen. Sein blondes Haar war immer noch eher lang, aber ich konnte sehen, dass bereits ein paar silberne Fäden darin aufblitzten. Das Gesicht, das sich mir zuwandte, wirkte reichlich verlebt, und die Ringe unter den Augen ließen auf chronischen Schlafmangel schließen. Er hatte seiner Leber im Laufe der Jahre einiges abverlangt, und ich vermutete, dass das bei seinem Bruder auch nicht anders war.

Ein dritter Preisrichter, Hugh Ashworth-Jones, ein sportlich wirkender Mann Anfang sechzig, hatte Sir Richard und MacInnes in eine Ecke gedrängt und versuchte nun eifrig, eine Sportwette über die Aktivitäten des Nachmittags abzuschließen. Ich war mir nicht sicher, ob es bei der Falknerei überhaupt eine Punktwertung gab, aber das schien für Ashworth-Jones ein unbedeutendes Detail zu sein. Er kam mir wie ein Mann vor, der nichts wirklich genießen konnte, wenn es nicht irgendwie mit einem Risiko verbunden war.

Vervollständigt wurde die Gesellschaft von den letzten beiden Preisrichtern, Mark Findley, dem Kellermeister der Malt Whisky Society, und Gordon Craig, dem Korrespondenten der Glasgow Times in Sachen Whisky und Spirituosen. Findley war so groß und dürr, wie Craig klein und rund war. Wie sie da nebeneinander standen, erinnerten sie mich an Dick und Doof. Craig streckte mir eine Pfote wie eine Bärentatze hin und schüttelte mir die Hand. Er war in voller Kilt-Montur erschienen und wirkte wie ein zum Leben erweckter Gartenzwerg.

»Es ist immer schön, eine Kollegin von der Presse zu treffen«, merkte er lächelnd an. »Besonders eine, der eine erstklassige Destillerie gehört. Ich sag schon die ganze Zeit zu Patrick, dass wir für unsere Zeitung mal einen Artikel über Abbey Glen machen müssen.«

»Das würde uns sehr freuen«, erwiderte ich.

»Warte noch ein bisschen damit«, mischte sich Mark Findley ein. »Ihr werdet bestimmt einen Preis gewinnen. Das kann ich euch garantieren.«

Findley war schon immer ein Fan von Abbey Glen gewesen und bewahrte in den Kellergewölben der Society in Edinburgh eine schöne Sammlung unserer Whiskys auf.

»Garantien gibt es keine, mein Junge«, korrigierte Sir Richard, der sich in die Diskussion mischte. »Aber sie hat verdammt gute Aussichten auf einen Preis. Abbey Glen hat ein paar sehr außergewöhnliche Whiskys.«

»Ich nehme jede Werbung, die ich kriegen kann«, erwiderte ich und lächelte Craig an. »Ein doppelseitiger Artikel in der Times wäre mehr als willkommen.«

»Gewinnen Sie einen Preis, dann kriegen Sie alle Werbung, die Sie nur haben wollen«, erklärte Findley. »Und nicht nur in der Times, sondern in jeder größeren Publikation im Whiskygeschäft, in jedem Getränkeladen und Restaurant. Vielleicht haben Sie sogar Glück und gewinnen den Jackpot, einen Royal Warrant.«

Langsam kam ich mir ein bisschen dämlich vor. »Ich denke mal, ich war mir nicht darüber im Klaren, dass die Quaichs so eine wichtige Angelegenheit sind.«

»Die allerwichtigste«, erwiderte Sir Richard voller Stolz. »Hier werden die Besten der Besten prämiert. Blindverkostungen, völlige Anonymität. Für die Whiskys, die sich durchsetzen und an diesem Wochenende einen der Preise gewinnen, bedeutet das Bekanntheit, Werbung und Einkünfte von Hunderttausenden von Pfund. Das Geschäft ist in letzter Zeit sehr schwierig geworden. Für manche Bewerber geht es um Sein oder Nichtsein. Darum, ob die Lichter ausgehen oder das Unternehmen blüht.«

Ich spürte, wie sich mir der Magen umdrehte. Irrtümlich hatte ich geglaubt, diese Awards wären kaum mehr als ein bisschen freundschaftliche Rivalität vor Ort, aber hier ging es um lebenswichtigen Zugang zu den Märkten. In Laienworten: um ein echt großes Geschäft. Ich wünschte, Grant hätte deutlicher gesagt, was diese Preise für Abbey Glen bedeuten mochten. Nicht dass ich jetzt noch etwas dazu beitragen könnte, außer nett zu den Preisrichtern und zur Presse zu sein. Plötzlich ergab es auch einen Sinn, dass Patrick so auf meiner Teilnahme bestanden hatte. Sir Richard entschuldigte sich, und ich wandte meine Aufmerksamkeit Craig zu, um mit ihm über seine Kolumne und seine Lieblingswhiskys zu plaudern.

»Ich bin ja selber ein Islay-Mann«, gestand er mir. »Ich liebe die großen, torfigen Whiskys, doch das heißt nicht, dass ich die weicheren, eleganteren Whiskys nicht auch zu schätzen weiß.«

»Liam ist ein Islay-Fan«, sagte ich und tätschelte den Hundekopf, der sich an mein Knie schmiegte. »Ich muss auf ihn aufpassen, sonst schlabbert er alles auf, was auf Nasenhöhe übrig ist. Allerdings nur die Whiskys aus Islay.«

Craig blickte mit neuem Respekt auf Liam hinunter. »Der Junge hat einen feinen Geschmack. Wie ist es mit Ihnen?«

»Ich mag meinen eigenen Whisky sehr gern«, antwortete ich ehrlich.

»Viel besser als euer reiner Malt geht es ja auch nicht«, gestand er mir zu. »Viele experimentieren mit verschiedenen Aromen und so, aber ich bin Purist. Gutes, sauberes, klares schottisches Wasser, Gerste von unseren eigenen Äckern und die Kunstfertigkeit eines Brenners vor Ort, der die Tradition mit der Muttermilch aufgesogen hat. Das ist eine Sinfonie wie keine andere.«

Wieder einmal verblüffte mich, dass der Whisky ansonsten verdrießliche Männer in Poeten verwandelte. Allerdings hatte es wohl auch nicht geschadet, dass die hier versammelte Mannschaft wahrscheinlich auf dem Weg zur Falknerei-Schule schon kurz im Verkostungsraum vorbeigeschaut hatte.

Inzwischen schlossen Hugh, Archie, Sir Richard und Trevor in der Ecke Wetten darüber ab, wer den schnellsten und wer den größten Vogel bekommen würde. Sie waren wie Jungs auf einem Schulausflug, aber zumindest schienen sie ihren Spaß zu haben.

Während wir auf unseren Fremdenführer warteten, wurden Patrick und ich mit ledernen Schutzhandschuhen und entsprechenden Jacken ausgestattet, ehe man uns in das untere Geschoss des Klubhauses geleitete. Dort warteten entlang der Wände ein Dutzend Falken und Bussarde in Käfigen. An jedem Käfig gab ein Schild Auskunft über den Namen und das Alter des Vogels. Der älteste war zweiundzwanzig.

Liam, der gewöhnlich Vögel mit größtem Vergnügen verbellte, wich von den Käfigen zurück und schlich an die gegenüberliegende Wand, von diesen majestätischen Geschöpfen völlig eingeschüchtert. Die glänzend braunen und goldenen Federn der Bussarde waren wunderbar gepflegt, und während wir an der Reihe entlanggingen, schauten vierundzwanzig wachsame Augen auf uns herab. Diese hervorragenden Jäger, kräftige Vögel mit scharfen Augen, würden uns nur mit großer Geduld ertragen, wenn sie sich dazu herabließen, dieser Gruppe von Dilettanten ihre Künste zur Schau zu stellen.

Als unser Fremdenführer kam, bat er Patrick und mich, ihm dabei zu helfen, die Vögel nach draußen zu bringen. Ich gab Trevor Liams Leine und ging meinen Vogel holen, einen vierzehnjährigen männlichen Falken, von ähnlicher Größe wie die Bussarde, aber mit grauen und weißen Federn. Seine gelben Füße mit den scharfen Krallen gruben sich in das abgeschabte Leder meines Handschuhs, und er begutachtete mich mit grimmigen schwarzen Augen von der Seite, als nähme er Maß. Liam war eindeutig in der Zwickmühle. Einerseits war er wild darauf, mich zu beschützen, andererseits war es ihm genauso wichtig, größtmöglichen Abstand von meinem neuen Freund zu halten.

Patrick überreichte man einen Bussard. Der Vogel hatte am Kopf und auf dem Rücken glänzend braune Federn und zudem dunkelviolette Schwingen. Er blickte uns beide mit seinen braunen Augen durchdringend an, erfasste jede Einzelheit seiner Umgebung. Nun verstand ich, warum man die Falknerei auch den Sport der Könige nennt. Diese Vögel waren durch und durch königliche Geschöpfe.

Wir gingen hinaus auf den Hof, und Trevor ließ Liams Leine los, so dass er an den Rand der Rasenfläche laufen konnte. Dort saß er und warf angewiderte Blicke in meine Richtung. Der größere Abstand zwischen uns schien seine Lebensgeister wiedererweckt zu haben, hatte seine Nerven allerdings eher nicht beruhigt.

Ich war froh, als ich erfuhr, dass wir an diesem Nachmittag mit den Falken nicht wirklich jagen sollten. Man wollte uns vielmehr die Möglichkeit geben, die Schönheit dieser Greifvögel aus nächster Nähe zu bewundern und etwas über ihre Ausbildung zu erfahren. Überall im Park hatte man kleine Stücke von Nagerfleisch versteckt, und wir bekamen alle die Gelegenheit, die Vögel aufsteigen zu lassen und zuzuschauen, wie sie ihr Fressen fanden und zurückkehrten. Es war großartig anzusehen, wie die Vögel den Aufwind nutzten und sich von ihm in Kreisen über die Lichtung tragen ließen, wie sie gleichsam in einem Luftballett auf und ab schwebten, bis sie auf Befehl auf den Unterarm des Falkners zurückkehrten.

Bei der letzten Vorführung sollte ein lebendiges Kaninchen aus einem Käfig freigelassen werden und über den Rasen rennen, bis es von den gewaltigen Krallen eines Bussards erfasst wurde. Eine drastische Demonstration der Kraft und des Geschicks eines solchen Vogels. Patricks Gäste waren ganz aufgeregt, und alles verlief relativ gut für alle, außer dem Kaninchen natürlich. Man hatte unsere Gruppe an den Rand des Geländes geleitet, und die meisten hatten ihre Handys gezückt, um diesen Moment auf die Festplatte zu bannen. Patrick und ich standen noch immer an der Seite, hielten jeder einen Vogel auf der Hand, hofften inständig, dass die Hauben, die man ihnen nun übergezogen hatte, sie daran hindern würden, bei der Verfolgungsjagd mitzumachen. Allerdings muss ich sagen, dass ich, falls mein Vogel losfliegen wollte, nicht besonders scharf darauf war, ihn daran zu hindern. Seine Krallen sahen tödlich aus.

Die Käfigtür wurde geöffnet. Das Kaninchen zögerte einen Augenblick und flitzte dann quer über den Rasen. Ursprünglich hatte man dem Kaninchen einen kleinen Vorsprung geben wollen, ehe man den Bussard losließ, doch Liam, der vom Rand her mürrisch zuschaute, hatte nun endlich etwas erspäht, mit dem er sich anlegen konnte, noch dazu mit einiger Aussicht auf Erfolg.