Skin Game - Verhängnisvoller Verrat - Ava Gray - E-Book

Skin Game - Verhängnisvoller Verrat E-Book

Ava Gray

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Beschreibung

Als Wirtschaftsprüferin fällt es Mia Sauter nicht schwer zu erkennen, wenn Menschen etwas zu verbergen haben. Ihre eigenen Geheimnisse kann sie dagegen gut verstecken. Doch dann trifft Mia in Las Vegas auf Addison Foster, dem sie vertraut - und der sie dennoch verrät. Ein Jahr später kehrt er zurück, und immer noch sprühen die Funken zwischen den beiden. Doch Foster hat einen tödlichen Auftrag, der Mia erneut tief treffen wird ...

Spannend und voller Leidenschaft - die mitreißende Romanreihe von Ava Gray:

Band 1: Skin Game - Gefährliche Berührung
Band 2: Skin Game - Verhängnisvoller Verrat

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Inhalt

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Vorspiel

1

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3

4

5

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7

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10

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Nachspiel

Danksagung

Über die Autorin

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Impressum

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Über dieses Buch

Als Wirtschaftsprüferin fällt es Mia Sauter nicht schwer zu erkennen, wenn Menschen etwas zu verbergen haben. Ihre eigenen Geheimnisse kann sie dagegen gut verstecken. Doch dann trifft Mia in Las Vegas auf Addison Foster, dem sie vertraut – und der sie dennoch verrät. Ein Jahr später kehrt er zurück, und immer noch sprühen die Funken zwischen den beiden. Doch Foster hat einen tödlichen Auftrag, der Mia erneut tief treffen wird …

AVA GRAY

Skin Game

VERHÄNGNISVOLLER VERRAT

Aus dem Englischen von Angela Koonen

Für die Fans von BatPunisherMan.

Ihr wisst, wer ihr seid.

Vorspiel

Vor einem Jahr in Las Vegas

Aus ihrem Versteck an der Treppe, die zu Fosters Wohnung führte, sah Mia Sauter seinen goldenen Nissan in die zugehörige Parkbucht einbiegen. Er fuhr, wie er auch alles andere tat: vorsichtig. Ehe er ausstieg, spähte er über den Platz. Notfalls würde er die Wagentür als Deckung benutzen. Sie fragte sich, wo er gelernt hatte, sich so zu verhalten, und warum er es tat.

Nun ja, in gewisser Weise schien es nachvollziehbar, er arbeitete als Sicherheitschef eines Kasinos. Vielleicht war er früher bei der Polizei oder beim Militär gewesen; jedenfalls strahlte er so etwas aus. Obwohl er nur mittelgroß war, wirkte er gefährlich, machte den Eindruck, als würden sich hinter seiner kultivierten Erscheinung stahlharte Muskeln verbergen. Und man spürte einen Hang zur Genauigkeit.

Manche Frauen hätten ihn nicht attraktiv gefunden, denn seine Gesichtszüge waren eher grob als ebenmäßig. Er hatte dichtes, hellbraunes Haar, das sich vielleicht locken würde, wenn er es nicht so kurz trüge. Seine Augen waren unvergesslich – ein unheimliches Eisblau, durchsetzt mit Grau. Bei bestimmten Lichtverhältnissen schienen sie zu leuchten. Er wirkte anziehend, und dieser Ausstrahlung hatte Mia vor ein paar Tagen nicht widerstehen können.

Es war demütigend, aber es gab niemand anderen, an den sie sich hätte wenden können.

Der Wohnkomplex verriet ihr nichts über seine Person, darüber, ob er ein Mann war, dem sie ihr Leben anvertrauen durfte. Die Anlage bestand aus lauter gleich aussehenden, lehmbraun verputzten Häusern, die von Palmen umgeben waren. Bei Tag hätte sie den Swimmingpool im Sonnenlicht blau schimmern sehen können. Doch jetzt war der schwarze Nachthimmel nur von den fernen Lichtern der Stadt erhellt.

Mia bemerkte es, als er sie entdeckte, denn Foster versteifte sich. Er schlug die Wagentür zu und kam mit einer gefährlich wirkenden Geschmeidigkeit näher, bei der ihr Puls zu rasen begann. Eine andere Frau hätte vielleicht nicht erkannt, dass es sich bei seiner Höflichkeit nur um eine dünne Fassade handelte, doch sie schloss aus den von Zorn zeugenden, sinnlichen Falten um seinen Mund auf einen rücksichtslosen Eroberer.

Sie stand auf und versuchte auszublenden, dass sie hart von ihm zurückgewiesen worden war. Dabei hatte sie sich wieder wie das unbeholfene, nervige Mädchen gefühlt, das sie vor Jahren gewesen war: zu intelligent, als dass es einer zweimal ansah, eines, das sich mehr für Bücher interessierte als für Jungen und das die unglückliche Angewohnheit besaß, andere Leute auf ihre Fehler aufmerksam zu machen. Bei der Erinnerung wurde ihr unwohl, und sie schob sie beiseite. Diese Person war sie nicht mehr – sie hatte Takt und Einfühlungsvermögen entwickelt –, deshalb würde sie sich von ihm auch nicht so behandeln lassen.

Ihre Freundin steckte in Schwierigkeiten. Um Kyra zu helfen, würde sie alles tun, was nötig war. Keine Freundschaft hatte ihr je so viel bedeutet. Abgesehen davon musste sie auch an ihre eigene Sicherheit denken und durfte sich jetzt nicht von persönlichen Problemen ablenken lassen.

»Sie sagten, ich solle nicht wieder zum Kasino kommen.« Sie war froh, dass es ihr gelang, gelassen zu klingen, trotz ihrer Aufregung, die wohl verschiedene Ursachen hatte.

»Richtig.« Sein Ton war barsch. »Das wäre keine gute Idee. Warten Sie schon lange?«

Sie sah genau, dass er sie nicht hierhaben wollte. Seine Körpersprache war eindeutig. Doch in einer fremden Stadt blieben ihr nun mal nicht allzu viele Möglichkeiten. Mia gab sich, als wäre alles in Ordnung, als suchte sie nicht nach ihrer verschwundenen Freundin und als würde sie nicht auf Schritt und Tritt beobachtet.

»Nein, ich bin vor fünf Minuten aus dem Taxi gestiegen. Es tut mir leid, dass ich einfach so vorbeischaue, aber ich war mir nicht sicher, ob Sie rangehen würden, wenn ich anrufe. Kann ich mit raufkommen?«

Von Nahem sah er abgespannt aus und wirkte nun unschlüssig, als wüsste er nicht, was er mit ihr machen sollte. Er hatte ihr klar zu verstehen gegeben, was er von ihr hielt, daher passte es ihr gar nicht, dass sie ihn um Hilfe bitten musste. Aber Kyra schwebte in Lebensgefahr, und wenn es um ihre Freundin ging, schluckte Mia ihren Stolz herunter.

»Kommt darauf an, was Sie wollen.«

»Schutz«, sagte sie geradeheraus. »Ich glaube, jemand ist hinter mir her. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«

Die Neuigkeit beunruhigte ihn sichtlich. Im Scheinwerferlicht eines sich nähernden SUV leuchteten seine Augen hellgrau. Foster blieb angespannt, bis der Wagen um die Ecke bog, um vor einem anderen Haus zu parken. Mia sah dem Fahrzeug ebenso nervös nach. Sobald die roten Rücklichter außer Sicht waren, wandte sie sich Foster wieder zu. Er schaute sie an, als könnte sie beißen.

Nun, es war eine Idee gewesen, etwas, das sie sich vor ein paar Tagen überlegt hatte, bevor er unmissverständlich seine Abneigung gezeigt hatte. Sie war vielleicht keine Femme fatale, aber auf eine Berührung von ihr hatte noch kein Mann so reagiert wie er, geradezu als würde sie ihn mit etwas kontaminieren, was sich nie wieder abwaschen ließe. Im Allgemeinen reagierten die Männer eher recht gleichgültig.

Foster traf offenbar eine Entscheidung. »Fahren wir ein Stück.«

»Sagt das nicht die Mafia zu Leuten, kurz bevor die dann verschwinden?«, scherzte sie.

Ohne zu antworten, ging er ihr voran zu seinem Wagen. Er strahlte eine Härte aus, die gewöhnliche Angestellte normalerweise nicht besaßen. Sie konnte ihn sich auf der Brücke eines Schiffs vorstellen oder als Offizier, aber nicht dabei, wie er im Silver Lady Kasino seinen täglichen Pflichten nachging. Als sie ihn zum ersten Mal dort gesehen hatte, war ihr überraschenderweise ein Schauder der Erregung durch den Körper gegangen. In seinem dunklen Anzug hatte er eine elegante Erscheinung abgegeben, doch es war auch seine Gewaltbereitschaft zu spüren gewesen. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die einen Blick auf einen Mann warfen und ihn schon begehrten, erst recht nicht jetzt, da sie ihre verschwundene Freundin aufspüren musste.

Mia stieg ohne Eile in den Nissan. Vermutlich wusste Foster, was zu tun war. Er besaß mehr Informationen über Kyra, als er zugab; darauf hätte sie ihr Leben verwettet. Da sie sich bereits so weit vorgewagt hatte, würde sie ihm nun vertrauen müssen.

Er setzte sich nicht sofort zu ihr ins Auto, sondern rief noch jemanden an. Da er sich dabei abwandte und leise redete, konnte sie nicht hören, worum es bei dem Gespräch ging. Das machte sie ein bisschen unruhig. Was wusste sie schon über ihn? Dann stieg er ein und ließ den Motor an.

Das Radio ging an, gerade lief ein Lied aus den Achtzigern. Mia wusste nicht, wohin er fuhr, und er teilte es ihr auch nicht mit. Sie musterte sein Profil, bewunderte die klare, kräftige Kinnlinie. Ihr gefielen seine Augen. Meistens wirkten sie kalt wie zwei Bergseen und strahlten auch in kritischen Situationen Ruhe aus. Er war kein gut aussehender Mann, seine Erscheinung hatte dafür aber etwas Besseres: Er wirkte, als könnte er mit allem fertig werden. Darüber war sie im Augenblick froh.

»Ich wünschte, Sie wären nicht in die Sache reingeraten«, sagte er, als sie schon zehn Minuten unterwegs waren.

Sie hatten inzwischen einen Außenbezirk der Stadt erreicht, und ihre Nervosität stieg. Aber vielleicht fuhr er zu einem Freund, den er gebeten hatte, sie für eine Nacht bei sich unterzubringen. Offenbar konnte Foster sie nicht mit in seine Wohnung nehmen. Vielleicht wurde er ebenfalls überwacht.

»Ich auch. Wohin fahren wir?«

Statt zu antworten, bog er in die Einfahrt eines gewöhnlichen Einfamilienhauses. Die Fenster waren dunkel, und niemand kam an die Tür. Erneut stieg Angst in ihr auf.

»Es tut mir leid.« Das Bedauern in seinen sturmgrauen Augen verwirrte sie. »Aber ich kann nichts anderes tun.« Er neigte sich zu ihr, wie um ihre Wange zu berühren, zog die Hand aber im letzten Moment zurück. »Übrigens wollte ich den Kuss. Mehr, als Sie ahnen.«

Ihre Wangen brannten. Dieses Bekenntnis verwirrte sie so sehr, dass kostbare Sekunden vergingen, ehe sie auf die wichtige Mitteilung reagierte. »Was soll das heißen, Sie können nichts anderes tun?«

»Sie werden Ihnen nicht wehtun. Bleiben Sie nur ruhig und tun Sie, was man Ihnen sagt, dann wird alles gut.«

»Wer denn?«, hakte sie mit schriller Stimme nach.

Doch er wandte sich ab, die Hände entschlossen um das Lenkrad geklammert. Was immer jetzt käme, Foster würde ihr nicht helfen.

Da riss jemand die Beifahrertür auf, und sie wurde von einem Maskierten aus dem Wagen gezogen.

1

Virginia – heute

»Wenn ich richtig verstanden habe, stammt Ihr Vater aus dem Iran«, sagte der Mann, der mit ihr das Vorstellungsgespräch führte, in vorsichtigem Ton. »Und Sie haben dort noch Verwandte, darunter Ihren Großvater und mehrere Cousins?«

Er hatte hellgraue Haare und trug einen dunkelblauen Anzug. Sein hellblaues Hemd und die anthrazitfarbene Krawatte ließen auf einen konservativen, fantasielosen Menschen schließen. Mia konnte inzwischen an der Kleidung von Leuten einiges ablesen.

Der Konferenzraum des Hotels war genauso langweilig wie ihr Gesprächspartner: ringsherum nur Beige und Holzimitat. Sie hätte sich in jedem x-beliebigen Hotel in irgendeinem Teil des Landes befinden können. Der Raum war obendrein fensterlos, sodass sie nicht mal nach draußen schauen konnte, um sich von der ungehörigen Frage abzulenken.

Sie hatte einwandfreie Zeugnisse vorgelegt. Ihr waren keinen Moment Zweifel daran gekommen, dass Micor Technologies sich für sie entscheiden würde, selbst bei einer großen Anzahl qualifizierter Bewerber. Ihre Erfolgsbilanz bei ihren Ermittlungen machte sie zur idealen Wahl. Und tatsächlich hatte sich bisher alles gut entwickelt, nur dass die Geschäftsführung offenbar über ihre orientalischen Wurzeln gestolpert war.

Mia zog eine Augenbraue hoch. »Inwiefern ist das von Bedeutung?« Nein, er hatte es nicht offen ausgesprochen. Aber ihr war klar, was er andeuten wollte. »Darf ich Sie daran erinnern, dass es in den Vereinigten Staaten Gesetze gegen Diskriminierung gibt?«

Collins war kein Dummkopf; er konnte zwischen den Zeilen lesen und wusste, dass sie ihn wegen seiner Frage verklagen konnte, sollte sie eine Absage nicht hinnehmen wollen. Wenn er nicht beabsichtigte, sie zu engagieren, hätte er nicht fragen dürfen.

Mit verkniffenem Mund schob er ihr den Vertrag zu – die üblichen Bedingungen: Sie hatte neunzig Tag Zeit, um aufzudecken, wer Firmengelder veruntreute. Die Geschäftsführung nahm an, es sei jemand aus der Buchhaltung, war sich diesbezüglich aber nicht sicher, denn der Täter ging zu clever vor.

»Ich werde vorgeben, die Firmensoftware zu aktualisieren.« Zum Glück kannte sie sich gut genug damit aus, um diese Rolle zur Tarnung glaubwürdig spielen zu können.

»Ich fürchte, das geht nicht«, entgegnete Collins kopfschüttelnd.

Mia hielt inne. Ihr Stift schwebte über dem blütenweißen Unterschriftenfeld des Vertrags. »Was geht nicht?«

»Es darf generell nicht bekannt werden, dass wir eine freie Mitarbeiterin engagiert haben. Nein, Miss Sauter, wir müssen Sie als gewöhnliche Angestellte einführen, sonst werden die Leute misstrauisch. Da unsere Arbeit äußerst heikel ist, beschäftigen wir nie jemanden auf Honorarbasis. Zum Glück wird gerade eine Stelle in der IT frei. Die mit dem Job verbundenen Aufgaben sind kinderleicht. Ich bin sicher, es wird Ihnen nicht schwerfallen, sie neben Ihren Ermittlungen zu erledigen.«

Als sie ihm in die Augen blickte, beschlich sie das Gefühl, er wolle sie scheitern sehen. Das beleidigte sie dermaßen, dass ihr keine Lösung dafür einfiel. Und in Anbetracht ihrer analytischen Fähigkeiten wollte das etwas heißen.

»Das ist kein Problem«, erwiderte sie kühl und unterschrieb.

Für den Auftrag musste sie einer umfassenden Leumundsprüfung zustimmen und eine Geheimhaltungserklärung unterzeichnen. Collins ließ bei jedem einzelnen Schritt sein Missfallen durchblicken. Offensichtlich bedeuteten für ihn dunkle Haare und dunkle Augen geheime Verbindungen zur al-Qaida.

Sie beendeten den Termin mit gezwungener Höflichkeit, und Mia verließ verärgert sein Büro. Sie fuhr zu ihrem Hotel, zog sich Sportsachen an und prügelte im Fitnessraum eine Stunde lang auf einen Boxsack ein. Sie bekam selten einen Wutanfall, aber nichts brachte sie derart in Rage wie Engstirnigkeit und Vorurteile.

Später einigte sie sich mit dem alten Ehepaar, das ihr für drei Monate seine Eigentumswohnung überlassen wollte, über die Mietbedingungen. Wie es aussah, würde sie es dort sehr angenehm haben.

Die Umstände waren nicht ganz ideal, als sie sich am Montagmorgen zur Arbeit fertig machte. In der Nacht hatte sie Albträume gehabt und danach nur noch zwei, drei Stunden lang ruhig geschlafen. Sie verachtete sich selbst dafür, dass sie solche Schwäche zeigte, doch anscheinend steckte sie das traumatische Erlebnis, mit einem dreckigen Lappen im Mund an einen Stuhl gefesselt gewesen zu sein, nicht so leicht weg. Dabei fand sie, dass sie es längst verkraftet haben sollte, schließlich war sie körperlich nicht zu Schaden gekommen.

Um dem Gefühl der Verletzlichkeit etwas entgegenzusetzen, zog sie sich ein schwarzes Kostüm und darunter eine blaue, spitzenbesetzte Korsage an: streng, mit einem weichen Kern. Mia wusste, was Männer in ihr sahen, und legte es gezielt auf diese Wirkung an, zu der auch der korallenrote Lippenstift und der passende Nagellack an den Fingern beitrugen. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihre analytischen Fähigkeiten durch ihre äußere Erscheinung zu tarnen. Männer beeindruckte es nicht, dass sie zwölf vierstellige Zahlen in knapp zehn Sekunden im Kopf addieren konnte.

Von der Tür aus warf sie kurz noch einmal einen Blick in die Wohnung, in der sie die nächsten drei Monate zu Hause sein würde. Ihr Auftraggeber war ausnahmsweise nicht in einer Großstadt ansässig und stellte keine Unterkunft zur Verfügung. Sie hatte Glück gehabt und war auf dieses Ehepaar gestoßen, das die Winter immer in Arizona verbrachte. Mia fand die kalte Jahreszeit in Virginia nicht so schrecklich, die beiden aber schon.

Sie hatten ihr die Wohnung günstig überlassen – sie zahlte fast keine Miete. Die alten Leute meinten, Mia tue ihnen einen Gefallen, und sie seien eine Sorge los, weil sie wüssten, dass jemand ihre Pflanzen gieße und sich um den fetten, trägen Kater kümmere. Mia hatte für Haustiere nicht viel übrig, doch sie würde es wohl hinkriegen, ihm drei Monate lang Futter und Wasser zu geben. Der rotbraun getigerte Kater starrte sie aus seinem Versteck unter dem Couchtisch an.

»Gegen sechs bin ich wieder da, Peaches.«

Das Tier blieb bemerkenswert gleichgültig.

Mia trat nach draußen in die frische Morgenluft und sah zum Himmel hinauf. Es versprach, ein prächtiger Tag zu werden, klar, kühl und schön. Aber statt ihn zu genießen, würde sie einen Betrüger entlarven müssen. Wirklich schade.

Mit einem Schulterzucken ging sie zu ihrem Mietwagen. Ihr eigenes Auto hatte sie irgendwann mal verkauft, da sie häufig in Übersee arbeitete und kaum dazu gekommen war es zu fahren. Seitdem verlangte sie einen Mietwagen als Teil des Honorars, und kaum eine Firma bezahlte den nicht. Wenn sie jemanden brauchten, der heimlich, schnell und leise einen peinlichen internen Betrugsfall aus der Welt schaffte, dann stellte die Miete für einen Ford Focus ihr geringstes Problem dar.

Der Wagen war blau und in jeder Hinsicht unauffällig. Es wäre nicht gut, mit einem protzigen Modell herumzufahren und Aufmerksamkeit zu erregen. In ihrem Beruf blieb man am besten unbemerkt.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Nicht, dass Mia das überrascht hätte. Sie war die Strecke bereits einmal abgefahren, bevor sie sich mit dem alten Ehepaar geeinigt hatte. Bei normalem Verkehr und guten Straßenverhältnisse brauchte sie nur eine Viertelstunde zur Arbeit.

Micor Technologies befand sich außerhalb der Stadt, aber nicht in einem Industriegebiet, sondern mitten im Wald. Das kam ihr ein bisschen seltsam vor, aber vielleicht wurden dort Tests durchgeführt, die in dicht besiedelten Gebieten zu gefährlich waren. Was das Unternehmen produzierte, wusste sie nicht; für ihren Job war diese Information nicht von Belang.

Sie hielt am Tor vor dem Glashäuschen, in dem ein bewaffneter Wachmann saß. »Ihren Ausweis bitte«, sagte er und streckte die Hand aus.

»Es ist mein erster Tag. Ich soll mich bei der Personalverwaltung melden, um mir einen Mitarbeiterausweis ausstellen zu lassen.«

»Dann brauche ich Ihren Führerschein. Sie verstehen sicher, dass ich zuerst anrufen muss.«

Interessant. Bei ihrer Testfahrt zur Firma war sie nicht bis ans Tor gefahren, und das Bewerbungsgespräch hatte in einem Hotel stattgefunden. Bei ihren bisherigen Auftraggebern waren die Wachleute nicht so vorsichtig gewesen. Die Sicherheitsvorkehrungen bei Micor fielen auf.

»Kein Problem.« Mia gab ihm ihre Fahrerlaubnis, und der Mann rief an. Es dauerte fünf Minuten, bis er eine Bestätigung hatte.

»Sie fahren geradeaus weiter und stellen den Wagen auf dem Westparkplatz ab, dann gehen Sie durch den dortigen Eingang ins Haus. Der Gang führt direkt zur Personalverwaltung. Wenn Sie diese Anweisung nicht genau einhalten, könnten Sie Schwierigkeiten bekommen.« Mit einem schiefen Lächeln milderte er die Warnung etwas ab. »Und Sie wollen doch an Ihrem ersten Tag nicht zu spät kommen, oder?«

»Ganz bestimmt nicht. Vielen Dank.«

Mia fuhr die Auffahrt hinauf zu dem genannten Parkplatz. Sie sagte sich, dass es sie nichts anging, was es hier für Regelungen gab. Wie bei jedem anderen Auftrag würde sie den Schuldigen finden, die Beweise vorlegen und wieder gehen. Seit sie im vergangenen Jahr mit Kyra ein paar Wochen in Florida verbracht hatte, war sie noch nicht wieder im Urlaub gewesen, vielleicht würde sie also ein bisschen ausspannen, bevor sie wieder einen Auftrag annähme.

Doch eins nach dem anderen.

Sie parkte, stieg aus dem Focus und nahm das Firmengebäude in Augenschein – eine Reihe miteinander verbundener Einzelbauten mit glänzenden Aluminiumfassaden, die in dem Waldgebiet deplatziert wirkten, zumal das Gelände von einem Elektrozaun umgeben war. Wieder sagte sie sich, dass sie das nichts anging, obwohl ihre Alarmglocken schrillten.

Mit klackernden Absätzen überquerte sie den Parkplatz. Der Eingang war unbewacht, aber Kameras zeichneten jede ihrer Bewegungen auf. Wenn sie jetzt nach rechts oder links abschwenkte, würde sie jemand aufgreifen, daran hatte sie keinen Zweifel. Also hielt Mia sich an die Anweisung des Wachmanns und ging den Korridor entlang, bis sie in einen Bürotrakt gelangte.

Hinter dem Empfangstresen saß eine gut frisierte Frau mittleren Alters. Der Raum war elegant in Rotbraun und Grau gehalten, an den Wänden hingen abstrakte Gemälde, die Mia nicht mochte. Sie erinnerten zu sehr an Blutspritzer.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte die Empfangsdame.

»Mein Name ist Mia Sauter. Ich muss mir einen Mitarbeiterausweis ausstellen lassen.«

»Ja, richtig. Ich bin Glenna Waters. Thomas Strong ist der Personalchef. Er hat heute leider keine Zeit. Aber keine Sorge, den Ausweis kann ich Ihnen ausstellen.«

»Danke.«

Mia lächelte dankbar und folgte der Frau hinter eine beige Trennwand, wo sie sich vor einen schwarzen Vorhang stellte und fotografiert wurde. Glenna benutzte mehrere Geräte, bis sie ihr nach fünfzehn Minuten einen frisch laminierten und mit Magnetstreifen versehenen Mitarbeiterausweis präsentierte.

»Bitte sehr. Sie sollten ihn permanent tragen.« Sie deutete auf ihren eigenen. »Ich kann Ihnen ein Umhängeband oder einen Clip dafür geben. Was ist Ihnen lieber?«

»Der Clip.«

Glenna befestigte den Clip und reichte ihr den fertigen Ausweis. »Sie gehören zur IT-Abteilung. Die ist neben der Buchhaltung am Ende des Gangs. Ich gebe Ihnen einen Lageplan mit, damit Sie sich zurechtfinden. Manchmal verläuft man sich, aber solange Sie im Verwaltungstrakt bleiben, ist alles in Ordnung.«

»Es gibt hier auch Labors?«, wollte Mia wissen und war von sich selbst überrascht. Das betraf nicht ihren Auftrag und ging sie darum nichts an. Glenna würde es hoffentlich nur als beiläufige Frage auffassen.

Die Empfangsdame nickte. »Ja, Ma’am. Die liegen hinter den Sicherheitstüren im Ostflügel.«

»Sind die verbotenen Bereiche deutlich gekennzeichnet?« Sie versuchte zu lächeln. »Ich möchte Sie nicht versehentlich betreten, während ich die Cafeteria suche.«

»Mit Ihrem Ausweis würden Sie nicht durch die Sicherheitstüren kommen, keine Sorge.«

»Das beruhigt mich. Ich habe noch nie in so einem Unternehmen gearbeitet.«

Glenna nickte. »Das ging den meisten von uns so. Sie werden aber feststellen, dass Sie es gut getroffen haben. Die Firma kümmert sich um ihre Angestellten. Es gibt tolle Vergünstigungen und einen Pensionsplan. Ich gebe Ihnen einen Termin bei Mr Strong, dann können Sie wegen der Übertragung Ihres Rentenkontos mit ihm sprechen.«

Mia besaß allerdings keines. Ihr Vermögen hatte sie in verschiedenen Wertpapieren angelegt.

»Das wird nicht nötig sein«, sagte sie. »Ich musste mir das Geld vor Kurzem auszahlen lassen, weil es einen Krankheitsfall in der Familie gab.«

Glenna schaute sie mitfühlend an. »Das tut mir leid für Sie.«

Mia winkte zum Dank und verließ die Personalabteilung mit dem Mitarbeiterausweis am Revers ihrer Kostümjacke. Mithilfe des Lageplans war es nicht weiter schwer, sich zurechtzufinden, und so stellte sie sich kurz darauf in der IT vor, bereit, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Dieser Aspekt des Jobs machte ihr am meisten Spaß: die Jagd nach Indizien, wenn sie eine Spur verfolgte und vorhandene Muster analysierte. Darin war sie gut, auch wenn niemand ahnte, warum.

Wer könnte einem Dieb besser das Handwerk legen als ein Dieb?

Im Lauf der Jahre hatte er so oft einen neuen Namen angenommen, dass er seinen eigenen fast nicht mehr wusste. Seit drei Monaten war er nun Thomas Strong. Er hatte die Identität Addison Foster in dem Moment, als er Las Vegas verließ, wie eine Schlangenhaut abgeworfen. Ihm war immer klar gewesen, dass seine letzte Aufgabe Geduld erfordern würde, doch in letzter Zeit mangelte es ihm merklich daran. Trotz seiner perfekten Tarnung war er von seinem Ziel, in den abgesicherten Labortrakt zu gelangen, immer noch genauso weit entfernt wie vor einem Jahr, als er Gerard Serranos Tod eingefädelt hatte.

Als Personalchef war er für alle Angestellten zuständig. In der Theorie klang das gut. Er hatte geglaubt, das gelte auch für die Labormitarbeiter. Doch deren Geheimhaltungserklärung verbot es ihnen, mit ihm über ihre Forschungsarbeit zu sprechen. Das hieß, er war nichts weiter als ein hoch bezahlter Bürohengst und hatte keine Aussicht darauf, jemals in das Labor zu gelangen.

Das konnte er nicht hinnehmen.

Er musste nur den richtigen Ansatzpunkt finden. Vielleicht ließe sich eine der unscheinbaren Laborantinnen verführen. Das war bisher das Einzige, was er noch nicht probiert hatte. Die Sicherheitsvorkehrungen waren lückenlos; das hatte er gründlich geprüft. Und letztendlich bestätigte es ihm, dass er hier an der richtigen Adresse war. Die Forschungsabteilung wäre nicht so hermetisch abgeriegelt, wenn dort keine großen Geheimnisse gehütet werden würden.

Er glaubte zu wissen, um welche es sich handelte.

Das Gegensprechanlage summte. »Mr Strong, Ihr Zwei-Uhr-Termin ist da.«

Er presste die Zähne zusammen. Glenna meinte es gut, war aber ebenso tüchtig wie besitzergreifend und wollte jederzeit wissen, wo er sich gerade aufhielt, für den Fall, dass jemand nach ihm fragte. Er war es nicht gewohnt, über alles, was er tat, Rechenschaft abzulegen; seine früheren Arbeitgeber hatten ihm weitestgehend freie Hand gelassen, da sie mehr an Ergebnissen als an seiner Terminplanung interessiert gewesen waren.

Er drückte auf die Sprechtaste. »Gut. Schicken Sie ihn rein.«

Der Witzbold war gekommen, um über eine Beförderung zu sprechen. Er arbeitete in der Buchhaltung, wollte aber gern ins Management der Forschungsabteilung wechseln. Der Mann hatte die interne Stellenausschreibung gesehen und bewarb sich um den Posten, obwohl ihm dafür einige Jahre Berufserfahrung und die passende Ausbildung fehlten. Jenkins hielt sich jedoch für geeignet und trug fünfundvierzig Minuten lang vor, was der Personalchef seiner Ansicht nach von ihm hören wollte.

»Ich kann gut mit Menschen umgehen, die Leute mögen mich«, sagte er. »Und ich bringe Ergebnisse. In der Buchhaltung ist mein Talent vergeudet. Zahlen addieren kann jeder Idiot. Aber geben sie mir fünf Minuten mit einem Menschen, und ich kann Ihnen genau sagen, wie er tickt.«

Das konnte lustig werden.

Strong zog eine Augenbraue hoch. »Ach, tatsächlich?«

»Jep.« Siegessicher beugte der Buchhalter sich vor. »Soll ich Sie mal analysieren?«

Strong lächelte. »Nur zu.«

»Sie leben allein«, begann Jenkins, »und sind sehr ehrgeizig. Die Arbeit ist Ihnen wichtiger als eine Beziehung. Sie sind im Beruf beherrscht und absolut professionell, in Ihrer Freizeit powern Sie sich aber gern an der frischen Luft aus. Das sehe ich an den Schwielen an Ihren Händen.« Er hielt inne, um zu sehen, wie seine Einschätzung ankam.

»Ausgezeichnet, Mr Jenkins.« Strong bemühte sich um einen nichtssagenden Gesichtsausdruck.

Aber eigentlich hatte der Kerl ihn gar nicht mal so schlecht beschrieben. Er war geneigt, ihm den Gefallen zu tun und ihn aus der Buchhaltung zu nehmen. Doch jetzt schickte er ihn besser erst einmal wieder zurück an den Schreibtisch, bevor dem Mann noch mehr an seinem Personalchef auffiel.

Strongs Arbeitsalltag bestand inzwischen nur noch aus solchen elenden Mitarbeitergesprächen. Glenna war zu sehr auf Effizienz bedacht, um Lücken in seinem Terminkalender zu lassen, sodass ihm keine Zeit blieb, sich in der Firma umzusehen. Manchmal erfand er irgendwelche Verpflichtungen, um sich aus seinem Büro stehlen zu können. Doch wenn er das zu häufig machte, würde sie anfangen Fragen zu stellen, denn leider war die Frau nicht nur fleißig, sondern auch intelligent und absolut ehrlich.

Er hätte sie gern gefeuert, doch dazu gab es keinen Grund. Außerdem hatte er eine Schwäche für sie, sosehr sie ihm auch auf die Nerven ging. Er gab sich Mühe dem Bild, das sie von ihm hatte, zu entsprechen, weil sich ihre wildesten Träume um nette, harmlose Dinge drehten: Zurzeit wollte Glenna vom Leben nicht mehr als einen anständigen Chef, der ihre Arbeit schätzte und respektierte, dass sie sich Mühe gab. Dafür konnte er sie nicht bestrafen.

Erst um kurz vor drei wurde er Jenkins los. Als er die Liste der neuen Angestellten überflog, sprang ihm ein Name ins Auge. Mary hatte heute eine Neue namens Mia Sauter in ihre Arbeit eingewiesen. Es konnte unmöglich dieselbe sein. Zu gern wollte er sich vergewissern, doch er hatte noch zwei Disziplinarvergehen und eine Vorstandsbesprechung vor sich. Die würde bis nach fünf Uhr dauern. Und damit hätte er einen weiteren Tag verschwendet. Er war es nicht gewohnt, kaum voranzukommen. Unvorstellbar, dass er so kurz vor dem Ziel vor einer unüberwindlichen Mauer zu stehen schien.

Morgen würde es anders sein. Das musste es.

Als er Feierabend machte und auf den Flur trat, war es ringsherum still. Die meisten Verwaltungsangestellten gingen pünktlich um fünf nach Hause in dem Wissen, dass ihre Arbeit bis zum nächsten Tag liegen bleiben konnte. Die Vorstandsbesprechung hatte jedoch länger gedauert, weil zwei Profilneurotiker der Meinung gewesen waren, sich über Gott weiß was auslassen zu müssen. Strong hatte sich gleich zu Anfang angewöhnt sich aufmerksam zu geben, ohne wirklich zuzuhören.

Während er zum Ausgang lief, hörte er das Klackern von Pumps. Da hatte jemand genauso lange gearbeitet wie er. Er ging schneller und hoffte halb, auf eine Laborantin zu treffen, obwohl das Geräusch schon verriet, dass es keine von den grauen Mäusen sein konnte. Laborantinnen trugen Schuhe mit flachen, breiten Absätzen oder weichen Kreppsohlen.

Als er um die Ecke bog, bekam er einen gehörigen Schreck und blieb abrupt stehen. Obwohl er sie nur von hinten sah, erkannte er die Frau vor sich. Voriges Jahr hatte er so viel Zeit damit verbracht, ihr auf den Hintern zu starren, dass er ihn überall wiedererkannt hätte. Obendrein trug sie wieder eines ihrer gut geschnittenen Kostüme und hatte ihr schwarzes Haar im Nacken zu einem raffinierten Knoten zusammengesteckt. Die schwarzen Stilettos unterstrichen die Schönheit ihrer Beine und ließen die Waden sexy wirken.

Nach so vielen Monaten sah er sie wieder, und sein Herz machte einen Sprung. Er hatte Mühe, seine Aufregung in den Griff zu bekommen. Dass sie hier war, hatte nichts mit ihm zu tun. Soweit er wusste, arbeitete sie als Consultant und war spezialisiert auf interne Betrugsfälle. Interessant, sie hier anzutreffen. Das hieß, es gab ein Problem in der Firma, für dessen Behebung sie einen Experten engagiert hatten. Noch aufschlussreicher war, dass man ihn nicht eingeweiht hatte, sondern sie als gewöhnliche Angestellte präsentierte. Die Führungsetage konnte natürlich professionelle Hilfe von außen holen, doch das war eigentlich Aufgabe des Personalchefs. Vielleicht war ihm die Angelegenheit verschwiegen worden, weil man ihm nicht traute.

Hatte jemand in höherer Position kalte Füße bekommen? Zwackte einer einen Teil des Gewinns ab, um damit zu verschwinden? Wenn er herausfände, wer der Übeltäter war, könnte das vielleicht sein Ansatzpunkt sein.

Mit Mia Sauter in der Nähe würde sich sein Leben ohne Frage schwieriger gestalten. Schon in Las Vegas hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt, dem Verlangen jedoch nicht nachgegeben, weil er wusste, dass das nicht fair wäre. Er durfte sie nicht an sich heranlassen, denn er könnte ihren Schmerz nicht ertragen, wenn sie begreifen würde, dass er alles war, was sie sich ersehnte, und letztlich doch nur ein Trugbild. Seit Lexies Unfall berührte ihn nicht mehr viel, doch als Mia begriffen hatte, dass sie von ihm an Serrano verraten worden war, hatte ihn ihr Gesichtsausdruck wie ein Messerstich getroffen.

Sie jeden Tag zu sehen, würde eine Qual werden, doch wenn sie sich über den Weg liefen, musste er sie mit unverbindlicher Höflichkeit behandeln. Sie würde ihn nicht erkennen. Niemand tat das.

Aus unerfindlichen Gründen blieb sie stehen, eine Hand auf dem Metallgriff der Tür. Strong erstarrte. Wie es schien, betrachtete sie sein Spiegelbild in der Glasscheibe, dann fuhr sie herum. Mit vor Wut funkelnden Augen kam sie auf ihn zu. Offenbar hatte sie ihn erkannt.

Er stand wie vom Donner gerührt da. So etwas war noch nie passiert. Er hatte sich bereits darauf gefasst gemacht ihr zu begegnen. Sie konnte jedoch nicht damit gerechnet haben ihn hier anzutreffen. Es gab gar keinen Grund dazu. Folglich müsste sie ihn für jemand anderen halten, für einen Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Dennoch tippte sie ihm auf die Brust und zog angewidert die Mundwinkel nach unten. »Was machen Sie hier? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es mir nur um Kyra ging. Nichts anderes hätte mich dazu bewegen können, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«

Er stieß den Atem aus. Mia hatte ihn eindeutig erkannt. Trotzdem stellte er sich dumm. Vielleicht könnte er ihr überzeugend vorspielen, dass sie sich irrte. »Es tut mir leid, Miss. Kennen wir uns?«

Wieder bohrte sie den Zeigefinger in seine Brust. »Halten Sie das für lustig, Foster?« Sie schaute auf sein Namensschild. »Oder soll ich Sie lieber Strong nennen? Was haben Sie vor? Vielleicht sind Sie derjenige, der –«

»Pst.« Er versuchte sie mit einem warnenden Blick zum Schweigen zu bringen, doch sie ging darüber hinweg. Zum Glück hatten die Überwachungskameras hier keine Mikrofone, sonst gäbe es für ihn einiges zu erklären. »Sie haben bestimmt eine Menge Fragen, aber hier können wir nicht reden.«

»Oh nein«, stieß sie hervor. »Als ich das letzte Mal auf Ihren Mantel-und-Degen-Scheiß hereingefallen bin, hab ich mich an einen Stuhl gefesselt wiedergefunden. Sie erklären mir, was hier los ist, und zwar auf der Stelle, oder ich gehe an meinen Schreibtisch zurück und rufe Collins an. Ich habe jede Unregelmäßigkeit zu melden, die mir auffällt, und was ich über Sie weiß, wird ihn ganz bestimmt interessieren.«

Hinter ihrem Zorn steckte Kränkung. Sie hatte ihm vertraut. Nur wenige Menschen taten das, Lexie hatte es getan, und welchen Preis sie dafür zahlen musste!

»Mia, bitte.« Er fühlte sich sonderbar, völlig aus der Bahn geworfen.

Niemand sah je, wer er wirklich war. Doch irgendwie besaß er die irrationale Hoffung, bei ihr könnte es anders sein. Er hatte kein Recht, sich das zu wünschen, und er verdiente es auch nicht. Aber selbst wenn sie ihn hasste – dass sie dasselbe Gesicht sah wie er, wenn er in den Spiegel blickte, bedeutete ihm mehr, als sie sich vorstellen konnte.

»Sie sind ein Mistkerl«, sagte sie leise. »Nennen Sie mir einen guten Grund, weshalb ich Sie nicht auffliegen lassen sollte.«

2

Mia glaubte zu träumen.

In den vergangenen Monaten hatte sie oft an ihn gedacht, und in ihrer Vorstellung war er ihr meist auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen. Nie hätte sie geglaubt, dass dieser Tag tatsächlich kommen würde, doch nun stand sie vor ihm. Er wirkte unverändert: eher intelligent als gut aussehend, ein gerissener, rücksichtsloser Kerl im Maßanzug.

»Einen guten Grund? Meinetwegen. Man wird Ihnen nicht glauben«, sagte er ruhig. »Mein Lebenslauf ist makellos. Wenn Sie zu Collins gehen und sich etwas zurechtspinnen, wird er Sie rauswerfen. Er braucht nur einen Vorwand, das weiß ich. Er kann Sie nicht leiden … Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum.«

Sie presste die Lippen zusammen. Vermutlich sagte er die Wahrheit, und damit war sie nicht gerade in einer starken Verhandlungsposition. Mia ging es gegen den Strich, aber manchmal hatte man keine andere Wahl, als wegzugehen und den Kampf bei anderer Gelegenheit wieder aufzunehmen.

»Wenn ich ihm beweisen kann, was Sie im Schilde führen, wird es keine Rolle spielen, ob er mich mag oder nicht. Ich werde mit Freude zusehen, wie Sie ins Gefängnis wandern.«

Daraufhin ging er an ihr vorbei, als wäre die Unterhaltung für ihn beendet, drückte die Tür auf und marschierte hinaus in die Dämmerung. Unwillkürlich lief Mia hinterher. Sie konnte es nicht haben, wenn jemand sie einfach stehen ließ. Er drehte sich zu ihr um.

»Wenn Sie auch nur einen Funken Verstand in Ihrem hübschen Kopf haben, lassen Sie mich in Ruhe. Ich bestehle die Firma nicht, mehr brauchen Sie nicht zu wissen.«

»Na sicher doch. Wenn Sie das sagen. Ihr Wort ist weiß Gott Gold wert.«

Er spannte die Muskeln an. »Ich meine es ernst. Halten Sie sich von mir fern, Mia.«

»Wenn Sie glauben, Sie könnten mich einschüchtern, kennen Sie mich aber schlecht«, sagte sie. »Ich werde herausfinden, was Sie hier machen. Und zu dem Zeitpunkt sollten Sie besser meilenweit weg sein, denn dann kommt die Abrechnung.«

Foster oder Strong, oder wer auch immer er war, lächelte und machte eine freundliche Geste, wahrscheinlich um mögliche Beobachter der Szene in die Irre zu führen. Sollte sie ihm jetzt weiter nachlaufen, würde es glaubwürdig erscheinen, wenn er behauptete, sie sei eine verstörte Stalkerin. Ihr war klar, wie er das drehen würde, und falls er Erfolg damit hätte, gäbe es einen hässlichen Fleck auf ihrer bislang makellos weißen Weste. Diese Aussicht machte sie sauer, denn sie hatte sich ihren guten Ruf verflucht hart erarbeitet.

Im Augenblick konnte sie nur zu ihrem Wagen gehen. Möglichst unbekümmert schritt sie darauf zu und stieg ein. Auf der Heimfahrt hatte sie Zeit zum Nachdenken.

Wäre sie nicht so erschrocken gewesen, ihn zu sehen, hätte sie anders reagiert. Seltsam war, dass er offenbar nicht damit gerechnet hatte, wiedererkannt zu werden, dabei sah er unverändert aus. Nicht mal die Haare trug er anders. Seine Überraschung kam ihr daher unsinnig vor. Ihre letzte Begegnung war auch noch nicht lange genug her, als dass sie vergessen haben könnte, was geschehen war.

Mia umfasste das Lenkrad fester. Sie erinnerte sich nur allzu gut an alles, genau das war das Problem.

Sie sah vor sich, wie sie mit ihm im Restaurant gesessen und sich seine Beteuerungen angehört hatte, dass Kyra nichts passieren werde. Sie wusste noch, was für eine Angst sie gehabt hatte, als ihr aufgefallen war, dass sie beschattet wurde. In der Hoffnung, er werde sie schützen, hatte sie sich an ihn gewandt.

Doch stattdessen war sie von ihm an seinen Boss ausgeliefert worden. Vierundzwanzig Stunden in einem dunklen Haus bei lauwarmem Leitungswasser – bei der Erinnerung daran taten ihr jetzt noch die Schultern weh. Wer wusste schon, was passiert wäre, wenn Kyra und Reyes sie da nicht rausgeholt hätten.

Es war furchtbar, sich so hilflos zu fühlen, und sie hasste es, sich dumm vorzukommen. Beides hatte sie an diesem Tag ertragen müssen; nie wieder wollte sie so etwas durchmachen. Das war das Schlimmste gewesen, was sie je erlebt hatte, und Foster war dafür verantwortlich. Sie würde sich an ihm rächen. Vielleicht war es unvernünftig, aber sie beschloss, ans Licht zu bringen, was er zu verbergen hatte, und gleichzeitig den Betrüger zu entlarven. Im Multitasking war sie schon immer überdurchschnittlich gut gewesen.

Ihre finsteren Gedanken beschäftigten sie, bis sie in die Einfahrt zu ihrem Haus abbog. Sie parkte den Wagen auf dem zugehörigen Stellplatz und betrat schließlich die Wohnung. »Hallo, Peaches, ich bin wieder da.«

Es war ein bisschen ungewohnt, dass jemand auf sie wartete, auch wenn es nur ein fremdes Haustier war. Der Kater hatte offenbar entschieden, sie sei besser als nichts, denn er strich ihr um die Beine und hinterließ seine rotbraunen Haare auf ihrer schwarzen Hose. Sie beugte sich hinunter, um ihn versuchsweise zu kraulen, und er reagierte, indem er schnurrte wie ein Motorboot.

»Was meinst du? Kommen wir miteinander aus?«

Der Kater lief vor ihr her in die Küche, wo sie seinen Futternapf füllte. Offenbar bejahte er die Frage, solange Mia wusste, was sie zu tun hatte. Sie ging durch die Wohnung und betrachtete ein paar Habseligkeiten der Caldwells. Da sie sonst in Hotelapartments wohnte, war es für sie ungewohnt, von gerahmten Fotos und Erinnerungsstücken aus einem erfüllten Leben umgeben zu sein.

Ihre Vermieter hatten ihr sogar gesagt, sie könne an die Vorräte in der Küche gehen. Mia kramte in den Schränken und holte eine Dosensuppe hervor. An jedem anderen Abend hätte sie Essen kommen lassen, doch heute fühlte sie sich aus der Bahn geworfen. Neben dem Telefon lagen auch keine Speisekarten von Bringdiensten, denn dies war jemandes Zuhause. Es passte nicht zu ihr, aber sie fühlte sich sonderbar und konnte nicht einmal sagen, warum.

Sie verscheuchte die leise Melancholie, die das Wort Zuhause in ihr weckte, aß die Suppe an dem kleinen Küchentisch und ging anschließend ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Sie hatte sich das Bett im Gästezimmer ausgesucht, weil nicht so viele persönliche Dinge in dem Raum standen. Nach dem Duschen ging es ihr ein bisschen besser, und bis sie im Pyjama war, hatte sie die schlechte Stimmung ganz abgestreift.

Sie holte sich die Notizen, die sie sich während der Arbeit gemacht hatte, und setzte sich damit vor den Fernseher. Ihren Laptop benutzte sie nie, um ihre Ergebnisse zu protokollieren. In den konnte man sich einhacken. Darum schrieb sie ganz altmodisch auf einen Block, und zwar in einer eigenen Kurzschrift, die sonst niemand lesen konnte.

Bislang gab es allerdings nicht viel zu lesen, nur eine Auflistung der Leute, die in der Buchhaltung arbeiteten. Sie glaubte nicht, dass der Schuldige unbedingt dort zu suchen war; auch wenn der Verdacht nahelag, da die Angestellten der Abteilung Zugriff auf bestimmte Konten besaßen. Das hieß, sie hatte umfangreiche Ermittlungen vor sich und nur noch neunundachtzig Tage Zeit dafür.

Gewöhnlich war Zeit bei ihrer Arbeit kein Faktor, da die Auftraggeber sie im Unternehmen als Freelancerin vorstellten. In der Rolle einer neuen Mitarbeiterin konnte sie sich jedoch nicht frei in der Firma bewegen, und das schränkte ihre Möglichkeiten ein.

So hatte sie heute einige Stunden dadurch verloren, dass sie von einer schwangeren Kollegin aus der Personalabteilung herumgeführt worden war. Sie hätte nicht einmal sagen können: Entschuldigen Sie, das ist gar nicht nötig, denn ich werde gar nicht so lange hier sein. Schließlich durfte sie ihre Tarnung nicht gefährden.

Erschwerend kam noch hinzu, dass ihr Vorgesetzter in der IT offenbar annahm, sie habe es auf seinen Posten abgesehen. Die Firmenleitung hatte sich einen zu beeindruckenden Lebenslauf für sie ausgedacht, weshalb der Kollege nun glaubte, er werde entlassen, sobald sie eingearbeitet sei. Selbst wenn sie wirklich die wäre, für die man sie ausgab, bliebe seine Angst allerdings unbegründet: Das konnte sie angesichts seiner Arbeitsleistung schon nach dem ersten Tag sagen. Wie es aussah, war Greg Evans ein weiteres überflüssiges Ärgernis.

Sie musste ihn irgendwie beruhigen, sonst würde er ihr nur das Leben schwermachen. Vielleicht sollte ich mich wie ein Nichtstuer geben, ihm zeigen, dass der Schein trügen kann. Wenn ein entspanntes Verhältnis zwischen uns herrscht, wird er auch eher bereit sein, meine Fragen zu beantworten. Mia wusste aus Erfahrung, wenn sie ihn nur richtig anpackte, würde er ihr alles erzählen, was sie wissen wollte, ohne überhaupt zu bemerken, dass sie ihn ausquetschte.

Der Kater stupste ihre Hand an und sie begann unwillkürlich, ihn zu streicheln. »Wir sollten uns am besten aneinander gewöhnen, hm? Schnarchst du eigentlich?«

Peaches blickte sie hochmütig an, als wollte er sagen: Na und, wenn schon.

Mia musste lächeln. Sie legte den Block beiseite und begann mit ihrem Zubettgeh-Ritual, das mit Eincremen anfing und mit einer Tasse Apfel-Zimt-Tee aufhörte. Eigentlich sollte sie um diese Uhrzeit längst schlafen, aber Kyra hatte versprochen anzurufen, und sie wollte sie nicht enttäuschen. Niemals. In ihrer dunkelsten Stunde war Kyra aufgekreuzt und hatte ihr geholfen.

Wie aufs Stichwort klingelte das Telefon. Auf dem Display wurde keine Nummer angezeigt, aber sie wusste, wer anrief. Als sie abnahm, hörte sie Partylärm im Hintergrund, laute Musik und Bongotrommeln.

»Kyra?« Sie hob die Stimme in der stillen Wohnung.

»Genau die. Wie geht’s dir?«

»Gut. Hab gerade einen neuen Auftrag begonnen. Und wie geht’s dir?«

»Großartig.« So, wie Kyra das Wort betonte, hatte Mia sofort Bilder im Kopf.

Es versetzte ihr einen Stich, aber sie weigerte sich, das als Neid zu bezeichnen. Nach allem, was Kyra in den letzten Jahren durchgemacht hatte, verdiente sie es, glücklich zu sein. »Wo bist du?«

»Bali, glaube ich.« Sie klang undeutlich, als hätte sie sich abgewandt, um zu fragen. Eine Brummstimme antwortete in unmittelbarer Nähe, aber zu leise für Mia, um die Wort zu verstehen.

Sie stellte sich vor, wie der Mann an Kyras Hals flüsterte, sie solle auflegen, damit sie trinken oder tanzen könnten oder was sie sonst noch an dem Partystrand taten.

»Ja«, sagte Kyra schließlich. »Auf Bali. Und du?«

»Virginia. Ich kann nicht lange telefonieren. Es ist schon spät. Ich weiß gar nicht, welche Uhrzeit bei euch ist.«

»Nachmittag. Es ist soooo toll hier. Du kannst dir nicht vorstellen, wie –« Kyra lachte laut auf.

Nein, das konnte Mia nicht. Ihr Leben kam ihr plötzlich farblos vor. Aber sie wollte ihre Freundin nicht beneiden, schließlich führte sie selbst das Leben, das sie immer gewollt hatte, eines, in dem Ordnung herrschte und es Regeln gab und greifbare Zeichen des Erfolgs. Niemand würde sie je bitten, mit ihr in den Sonnenuntergang zu segeln.

»Als Nächstes segeln wir nach Singapur. Ich ruf dich nächsten Monat von dort aus an. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch«, sagte Mia, aber Kyra hatte schon aufgelegt.

Mia stand genau da, wo sie es wollte. Sie hatte Jahre gebraucht, um sich das zu erarbeiten. Warum war sie dann nicht glücklicher?

Strongs Tag fing nicht gut an.

Er hatte bis spät in die Nacht über das Problem Mia Sauter gegrübelt und am Morgen verschlafen. Nun musste er sich abhetzen, und er hasste es, wenn die Dinge nicht nach Plan liefen. Es gab einen Grund, warum ihm immer gelang, was er sich vornahm – und zwar seine Fähigkeit, sich permanent die Umstände zunutze zu machen. So hielt er es schon seit Jahren.

Kalter Kaffee und verbrannter Toast machten ihn sauer. Aber so lief es offenbar, wenn Mia in seinem Leben aufkreuzte. Dass sie da war, passte ihm überhaupt nicht.

Doch da es sich nun mal so ergeben hatte, sollte er das Beste daraus machen. Vielleicht würde es sich sogar als ein großer Vorteil herausstellen.

Er war sich selten anständig vorgekommen, als er sie in Vegas abgewiesen hatte. Sicher, das war merkwürdig gewesen – und überhaupt nicht sein Stil –, darum sollte er sich jetzt, da das Schicksal sie ihm ein zweites Mal in die Hände spielte, vielleicht ein bisschen mit ihr vergnügen. Er setzte seine Gabe zwar nicht gern auf diese Weise ein, aber er bräuchte sie nur zu berühren, und sie würde ihre kleinlichen Rachegelüste vergessen.

Natürlich würde er dabei verschwinden, an seiner Stelle sähe sie dann den Mann, den sie am meisten liebte oder am sehnlichsten begehrte. Eigentlich müsste er sich längst daran gewöhnt haben, doch bei der Aussicht darauf verspürte er einen unangenehmen Stich im Herzen. Es hatte ihm gefallen, sich in ihren Augen zu sehen, obwohl sie in diesem Moment voller Hass für ihn gewesen war. Als er das Firmentor passierte, löste sich der innere Konflikt auf.

Er hatte das schon hundertmal getan. Die Routine war beruhigend, obwohl er einen Kloß im Hals spürte. Glenna empfing ihn mit der Frage, wie er geschlafen habe, und einer Tasse Kaffee, die genau nach seinem Geschmack war. Er hatte eine Besprechung mit zwei seiner Mitarbeiter vor sich. In deren Arbeit mischte er sich kaum ein, was ihn in ihren Augen zu einem großartigen Chef machte.

Und als wäre sein Entschluss, Mia ein zweites Mal hinters Licht zu führen, ein gutes Omen, kam ihm eine Idee. »Todd könnte Ihre Hilfe gebrauchen, Glenna. Er sitzt über der Halbjahresauswertung, und ich bin mir sicher, er wüsste Ihre Kenntnisse zu schätzen. Hätten Sie etwas dagegen, ihn zu unterstützen?«

Die Assistentin strahlte. »Woher wissen Sie, dass ich schon immer gern mehr Personalverwaltung machen wollte?«

Tatsächlich? Das traf sich gut. Damit würde er seine Aufpasserin womöglich loswerden. »Nun, Mary geht in einem Monat in Mutterschutz. Vielleicht sollte ich nach einer Aushilfskraft suchen, die Ihre Aufgaben übernimmt, und sehen, wie Sie sich als Sachbearbeiterin machen.«

Sie machte große Augen. »Meinen Sie das ernst?«

»Absolut. Sie arbeiten schon länger hier als die meisten anderen Mitarbeiter, und soweit ich weiß, waren Sie schon vor meiner Zeit in der Personalabteilung.«

Nicht, dass er das mit Sicherheit gewusst hätte, er stellte bloß Vermutungen an, aber selbst wenn sie nicht stimmten, hörte sie sie gern. Er wusste, wie man Leute manipulierte.

»Sie sind der Beste«, sagte sie strahlend. »Ich werde es gleich Todd erzählen, ja?«

Todd war ein fauler Hund. Er würde die Auswertung sofort Glenna zuschieben und im Internet surfen. Sie hätte dann seine Arbeit zu erledigen und ihre noch obendrein. Damit wäre sie dann zu beschäftigt, um sich zu fragen, wo Mr Strong sich aufhielt und was er machte.

Um den Schein zu wahren, ging er in sein Büro und las seine E-Mails, bis er sicher sein konnte, dass sich Glenna in ihre neue Arbeit vertieft hatte. Er wusste, was als Nächstes kommen würde, und tatsächlich streckte Todd kurz darauf den Kopf zur Tür herein. »Danke für die Hilfe, Mr Strong. Sie wussten wohl, wie überlastet ich bin, was?«

»Mir fiel ein, dass Sie die Auswertung ganz allein machen.«

»Richtig. Ich hatte befürchtet, Mary würde alle verfügbare Hilfe für sich in Anspruch nehmen, weil sie ja schwanger ist und so, aber ich hätte wissen müssen, dass Sie mich unterstützen.«

Wieso?, hätte er am liebsten gefragt. Weil wir beide weiße Haut haben und Männer sind? Todd verkörperte alles, was er verabscheute.

»Kein Problem«, entgegnete er. »Ich hoffe, Sie werden sich daran erinnern, falls ich einmal etwas von Ihnen brauche.«

Todds Lächeln entgleiste. Er begriff, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte, wusste nur nicht, wie er plötzlich dahin gekommen war. »Sicher, Sir. Ich geh dann mal wieder an die Arbeit.«

»Tun Sie das.«

Er wartete noch fünf Minuten, ehe er sich aus dem Büro stahl und in die IT-Abteilung ging, die wie zu erwarten in einem grauen Großraumbüro mit lauter Trennwänden untergebracht war. Seltsamerweise saßen nur an der Hälfte der Schreibtische Mitarbeiter, darunter Mia Sauter.

»Sie stehen in meinem Terminplan wegen Ihres Rentenkontos«, sagte er freundlich lächelnd. »Es ist nicht weiter schlimm, aber das ist Ihnen wohl entfallen.«

Sie warf ihm einen tödlichen Blick zu, als sie aufstand. »Anscheinend. Sie hätten mich per E-Mail daran erinnern können.«

Sie wussten beide, dass sie dann nicht gekommen wäre.

»Ach, ich lerne neue Mitarbeiter gern persönlich kennen.«

Sie presste die Zähne zusammen und folgte ihm hinaus auf den Flur, wo sie die geballte Faust hob, als wollte sie ihm auf die Nase boxen. »Ich weiß nicht, worauf Sie es abgesehen haben, aber wenn Sie glauben, Sie würden damit durchkommen –«

»Halten Sie den Mund und folgen Sie mir.« Die Büros waren alle verwanzt, auf den Fluren gab es dagegen nur Kameras. Hier konnte er freiheraus reden, solange er seine Körpersprache beherrschte.

Es bestand kein Zweifel daran, dass sie ihn am liebsten umbringen wollte. Während sie zu seinem Büro liefen, brannte sie ihm mit ihrem wütenden Blick quasi ein Loch in den Rücken. Statt sich hinzusetzen, lehnte er sich gegen den Schreibtisch, nachdem er die Tür hinter ihnen zugemacht hatte. Wenn sie ebenfalls stehen bliebe, würde sie so nervös wirken wie eine Schülerin, die zum Direktor zitiert worden war. Sollte sie sich setzen, würde es durch den Größenunterschied so wirken, als besäße er größere Autorität. Er konnte ihr genau ansehen, wie sie diese Überlegungen anstellte.

Sie überraschte ihn, indem sie zum anderen Ende des Schreibtischs ging und sich mit einer Hüfte dagegenlehnte, als wäre es ihrer. Sieh an. Mia wusste also auch etwas über Körpersprache. Bei ihrem Beruf war das wohl zu erwarten gewesen.

In seinem Büro konnten sie sich frei unterhalten. Strong machte regelmäßig die Abhörgeräte funktionsuntüchtig und ließ es aussehen, als hätte sich bei der groben Behandlung durch das Reinigungspersonal ein Draht gelockert. Er machte sich einen Sport daraus.

»Was wollen Sie?«, fragte Mia.

»Sie haben mir gestern gedroht«, sagte er mit seidenweicher Stimme. »Das war nicht klug. Sie haben sich in die Karten blicken lassen, und jetzt weiß ich, dass Sie eine Gefahr für mich sind. Was machen wir jetzt also?«

Sie trat einen Schritt auf ihn zu, womit sie sich in seine Reichweite begab. »Das sagte ich schon. Sie werden sich nicht herausreden können, wenn ich Sie fertigmache. Sie sollen es auf sich zukommen sehen und genau wissen, dass Sie nichts mehr dagegen tun können. Wenn das alles war, was Sie wollten, dann verschwenden Sie jetzt nicht länger meine Zeit. Ich habe zu arbeiten.«

Ungerührt dachte Strong über die naheliegende Lösung nach. Er sollte sie töten. Inzwischen hatte er so viele Verbrechen begangen, da kam es auf ein weiteres nicht mehr an. Wenn er es täte, dann allerdings nicht hier. Er würde es so arrangieren, dass sie auf einer einsamen Strecke eine Autopanne hätte, und dann nähme Mia Sauters Leben ein lautloses Ende in einer Schlinge.

Ihre Leiche würde er im Wald von Monongahela verschwinden lassen. Falls man sie je fände, hätte die Natur längst alle verwertbaren Spuren vernichtet. Strong wusste, wie man mit einem Mord davonkam.

Anfangs war er nicht so methodisch vorgegangen. Die beiden Ersten hatte er einfach umgebracht, dann war er bei seinen Racheplänen anspruchsvoller geworden. Angesichts dessen, was sie Lexie und ihm angetan hatten, war es ihm nicht ausreichend vorgekommen, seine Feinde einfach nur zu töten. Er wollte sie leiden sehen und ging deshalb ausgeklügelter vor.

Mia schien das Böse in ihm wahrzunehmen. Manche Leute bemerkten es gar nicht oder erst, wenn es zu spät war. Sie jedoch wich einen Schritt zurück, nur reagierte sie zu langsam. Er packte sie beim Unterarm und zog sie zu sich heran.

»Lassen sie mich los!« Ihre Stimme zitterte leicht und verriet, dass sie ihre Unerschrockenheit bloß vortäuschte.

Immerhin war sie so vernünftig, ihn zu fürchten. Er wünschte bloß, das würde ihm nicht so ein schlechtes Gefühl geben. Unterm Strich war es für sie am besten so. Sie würde sich ohnehin nicht lange an diese Angst erinnern.

»Ganz bestimmt nicht«, flüsterte er. »Sie wollten von mir geküsst werden, wissen Sie noch? Sie haben mich geradezu angebettelt.«

»Das ist nicht wahr.« Sie drehte den Kopf weg, hoffte wahrscheinlich, er sähe nicht, dass sie es war, die jetzt log.

Mit den Fingerspitzen fuhr er über ihre Wange und wappnete sich für den schrecklichen Moment, in dem ihr Blick verschwimmen würde. »Keine Sorge, Prinzessin. Ich gebe dir genau das, was du dir gewünscht hast.«

3

Mia war wie gelähmt.

Sie sah die Gewaltbereitschaft in seinen Augen, aber er berührte sie immer noch ganz sanft. Die Welt um sie herum schien zu kippen, und als sein Mund ihren berührte, verlor sie den Bezug zur Realität. Sie fand sich in einer anderen wieder.

Über ihr funkelten Lichter. Seidenblumen waren um die Säulen der Turnhalle gewickelt und verliehen ihr ein tropisches Flair. Am hinteren Ende knipste ein Fotograf Pärchen in einer märchenhaften Gartenlaube. Edwin McCain sülzte die ersten Zeilen von »I’llBe«.

Sie trug ein rotes Kleid. Ihre Mutter hatte gesagt, es sei zu teuer, doch offenbar hatte sie ihre Meinung geändert. Angespannt vor Aufregung schaute Mia zu den tanzenden Paaren. Mädchen wie sie wurden nicht aufgefordert. Sie gehörte nicht hierher und ahnte schon, dass etwas Peinliches passieren würde.

In dem Moment kam Jared Kennedy mit zwei Gläsern Punsch zu ihr. Er lächelte unsicher, was sich aber änderte, als er sie von oben bis unten ansah. »Du meintest doch Durst, du hättest Durst.«

»Ja«, sagte sie plötzlich atemlos.

Mit zitternder Hand nahm sie das Glas, das er ihr hinhielt. Zum Glück machte es nichts, wenn sie kleckerte. Der Fruchtpunsch hatte ungefähr die gleiche Farbe wie ihr Satinkleid, da würden Flecken bei diesem Licht gar nicht auffallen. Sie nippte damenhaft an dem Getränk, während sie ihn von unten herauf ansah.

In seinem schwarzen Smoking sah er blendend aus. Genau wie in ihrer Vorstellung, wenn sie nachmittags im Unterricht vor sich hin geträumt hatte. Die Cheerleader-Mädchen würden ihr sicherlich nicht zustimmen, denn er war groß, aber schmal und wirkte eher drahtig als muskulös. Sein Gesicht strahlte die Empfindsamkeit eines Künstlers aus, besonders wenn er in der Klasse Gedichte vortrug. Sie hatte sich oft gefragt, worüber er nachdachte und ob er so philosophisch war, wie sie glaubte.

»Möchtest du tanzen?« Dass er genauso unsicher zu sein schien wie sie, nahm ihr die Anspannung.

Sie nickte nur, und er führte sie ins Gewühl auf der Tanzfläche. Zuerst hielt er sie nur locker, beinahe zaghaft fest, dann zog er sie enger an sich, wie sie es sich so oft erträumt hatte. Sie tanzten zu Liedern der Backstreet Boys und von 98 Degrees. Es machte sie glücklich, so glücklich, wie sie nie geglaubt hätte, sein zu können.

Die Anstandswauwaus waren nicht besonders aufmerksam, und so manövrierte Jared sie beide in einen dunkleren Teil der Turnhalle. Er fragte sie nicht; die Art, wie sie ihm das Gesicht entgegenhielt, machte offensichtlich, dass sie sich einen Kuss wünschte. Seine Lippen waren warm und weich, die Berührung voller Unschuld und Verlangen. Ein Glücksgefühl durchströmte sie und am ganzen Körper verspürte sie ein Kribbeln. Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn, woraufhin ihn merklich ein Schauder durchlief.

Zart und gekonnt spielte er mit ihren Lippen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass Jared so gut küssen konnte, sanft und zugleich nachdrücklich. Es machte sie an. Seine Art, die Zunge in ihren Mund gleiten zu lassen, weckte ihr Verlangen. Sie erwiderte seinen Kuss und wollte mehr von der süßen Anspannung fühlen, die ihren Körper erfasste.

Mit den Zähnen streifte er unverschämt fordernd über ihre Unterlippe. Sie gab ihm mehr und drängte sich gegen ihn. Sie hatten aufgehört zu tanzen. Die Musik war nun auch leiser, doch Mia machte die Augen nicht auf. Sie hatte Angst, dass alle sie anstarrten und beobachteten, wie die Eisprinzessin Mia Sauter von Jared Kennedy mit seinen wunderbar geschickten Lippen an den Rand eines Orgasmus gebracht wurde.

Mit flüchtigen Berührungen wanderte er mit dem Mund zu ihrem Kinn, dann den Hals hinunter bis zum Schlüsselbein und wieder zurück. Unter ihrem Kleid richteten sich ihre Brustwarzen auf. Eigentlich sollte sie ihm das nicht erlauben. Brave Mädchen sagten Nein, zumindest in der Öffentlichkeit. In einem Hotelzimmer oder auf dem Rücksitz eines Wagen – na ja, das war etwas anderes.

»Du musst aufhören«, flüsterte sie.

Es war aufregend, das zu sagen, denn es hieß, dass er sie begehrte. Nach all der Zeit. Zwei Jahre lang hatte sie ihn angehimmelt und nicht geglaubt, dass er sie jemals beachten würde. Seine Erregung war berauschend und steigerte ihre eigene noch. Sie wurde zum ersten Mal geküsst und dachte schon an alles Mögliche.

»Soll ich wirklich?«, fragte er heiser. »Bitte nicht, Mia, ich hab mir das so lange gewünscht.«

»Ehrlich?« Konnte das wahr sein? Hatte er die ganze Zeit über ein Auge auf sie geworfen? Wenn doch einer von ihnen eher den Mut gehabt hätte, den anderen anzusprechen!

»Ja.«

»Beobachtet uns jemand?«

»Nein, Prinzessin, wir sind auf dem Flur. Keiner wird es mitkriegen, bestimmt nicht.«

Sie machte die Augen auf und staunte, denn während seiner süßen, endlosen Küsse hatte er sie unbemerkt durch die Seitentür hinaus auf den dunklen Gang gelenkt. Sie stand mit dem Rücken gegen die Spinde gelehnt, und es war niemand in der Nähe. Sein Drängen traf bei ihr genau den richtigen Nerv: Sie wollte nicht aufhören.

»Dann vielleicht noch ein bisschen«, hauchte sie.

Seine Küsse schalteten ihren Verstand aus. Er wanderte mit den Fingerspitzen an ihrer Wirbelsäule hinab bis zum Kreuz. Gekonnt schob er ihr Becken vor, sodass sie mit dem Unterleib an seine Erektion stieß. Mia bog den Rücken durch und zitterte vor Erregung. Sie wollte ihn in sich spüren, so dringend, dass sie laut aufstöhnte.

Daran erkannte sie, dass es eine Illusion war. Sie empfand das Verlangen einer erwachsenen Frau. Hätte jemand solche Gefühle in ihr ausgelöst, als sie siebzehn gewesen war, hätte sie bestürzt und weinend das Weite gesucht. Damals war sie noch nicht so weit gewesen.

Sie machte sich los. Sofort verschwand der Gang mit den Spinden, und ein anderer Ort in einer anderen Zeit schob sich vor den Traum. Es war nicht Jared Kennedy gewesen. Der hatte es wahrscheinlich heute noch nicht drauf, eine Frau so gekonnt zu streicheln. Er war nur ein romantisches Idealbild gewesen und hatte sie gar nicht zum Abschlussball eingeladen. Wie peinlich, dass diese heimliche, fast vergessene Fantasie aus ihrem Unterbewusstsein hervorgeholt worden war.

Sie würde wütend und ballte die Fäuste, wollte Foster prügeln, damit er ihr sagte, wie er das mit ihr gemacht hatte. Mittels einer Droge auf seinen Lippen? Nein. Die würde bei ihm ja genauso wirken.

Er zitterte ebenfalls, fiel ihr auf. Das passte ihr schon besser. Er fand sie also genauso unwiderstehlich wie sie ihn. Außerdem verriet es ihr, dass etwas Ungewöhnliches vorging.

Er setzte zweimal an, bis er einen Ton herausbekam. »Habe ich etwas Falsches getan?«

Er weiß es nicht, begriff sie. Er denkt, ich würde noch immer Jared in ihm sehen. Passiert das immer, wenn er eine Frau anfasst? Versetzt er sie in eine Art Wahnzustand? Wie … schrecklich. Das war doch schlimm für die Frauen, die nie den sahen, der er wirklich war. Und für ihn musste es unmöglich sein, eine normale Beziehung zu führen. Jetzt verstand sie, warum er sie damals so schroff zurückgewiesen hatte.

Sein Schicksal erinnerte sie an Kyras. Wüsste sie nichts von der Fähigkeit ihrer Freundin, hätte sie jetzt panische Angst. Doch so war sie nur erschüttert und überlegte, wie sie seine Besonderheit zu ihrem Vorteil nutzen könnte.

Ließ die Wirkung nach, wenn er den Körperkontakt aufgab? Oder blieb das Opfer in der Vergangenheit verhaftet? Wenn sie das wüsste, könnte sie entscheiden, wie sie am besten damit umgehen sollte. Aus seinem Gesichtsausdruck ließ sich auf nichts schließen.

Mia versuchte einen Trick. »Nein, Jared, aber da sind Leute.« Sie wünschte sich, sie könnte auf Kommando rot werden. »Wir müssen uns später ein Hotelzimmer nehmen.«

Wenn sie ihn damit an der Nase herumführen könnte, würde er vermutlich glauben, sie sei nicht mehr gefährlich für ihn, und sie in Ruhe lassen. So lange, bis ihm aufginge, dass er sich täuschte, hätte sie Zeit, etwas über ihn herauszufinden. Doch er las es ihr vom Gesicht ab, und der Bluff ging daneben.

»Sie wissen es«, flüsterte er. »Woher? Wie sehe ich für Sie aus?«