Smaragour – Der Bund der Drachen - Anja Habschick - E-Book

Smaragour – Der Bund der Drachen E-Book

Anja Habschick

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Beschreibung

Das geheimnisvolle Erbe der Dracheninsel – eine fantastisches Abenteuergeschichten für Jungs und Mädchen ab 10 Jahre Jamie hat einen großen Traum: Er will Drachenreiter werden! Doch die Methoden der renommierten Drachenreiterschule Eldurskóla gefallen ihm nicht. Statt die Drachen mit sogenannten Calmer zu zähmen, hat er eine echte Verbindung zu dem mächtigen Smaragdrachenweibchen Big Blue. Gemeinsam mit seinen Freunden stellt er sich dem machtgierigen Ronrök, der versucht, die Drachenwelt unter seine Kontrolle zu bringen. Werden sie es schaffen, ihn aufzuhalten? Und was hat es mit dem geheimnisvollen Mädchen Emine auf sich, das plötzlich in den Drachendocks auftaucht? Bei seinen Nachforschungen macht Jamie eine furchtbare Entdeckung: Nun muss er sich entscheiden, wem er weiter vertrauen kann! - Die spannung- und actiongeladene Fortsetzung des Drachenabenteuers - Eine aufgregende Geschichte über Mut, Freundschaft und den Kampf für die Freiheit.  - Für noch mehr Lesemotivation: Mit Quiz auf Antolin

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Seitenzahl: 273

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anja Habschick

Smaragour

Der Bund der Drachen

 

 

Über dieses Buch

 

 

Das geheimnisvolle Erbe der Dracheninsel – eine fantastisches Abenteuergeschichten für Jungs und Mädchen ab 10 Jahre

Jamie hat einen großen Traum: Er will Drachenreiter werden! Doch die Methoden der renommierten Drachenreiterschule Eldurskóla gefallen ihm nicht. Statt die Drachen mit sogenannten Calmer zu zähmen, hat er eine echte Verbindung zu dem mächtigen Smaragdrachenweibchen Big Blue. Gemeinsam mit seinen Freunden stellt er sich dem machtgierigen Rönrök, der versucht, die Drachenwelt unter seine Kontrolle zu bringen. Werden sie es schaffen, ihn aufzuhalten? Und was hat es mit dem geheimnisvollen Mädchen Emine auf sich, das plötzlich in den Drachendocks auftaucht? Bei seinen Nachforschungen macht Jamie eine furchtbare Entdeckung: Nun muss er sich entscheiden, wem er weiter vertrauen kann!

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de

Biografie

 

 

Anja Habschick ist Architektin und lebt mit Familie und Hund in Witten. Sie liebt Kinderbücher und fantastische Abenteuer.

Inhalt

[Widmung]

Prolog

Kapitel 1 Big Blue

Kapitel 2 Ein schlimmer Verdacht

Kapitel 3 Der Überfall

Kapitel 4 Eldurs Geschichte

Kapitel 5 Team M1

Kapitel 6 Überraschung bei der IDV

Kapitel 7 Eine geheimnisvolle Insel

Kapitel 8 Das Versteck

Kapitel 9 Der Angriff

Kapitel 10 Klatsch und Tratsch der Hologoben

Kapitel 11 Feueralarm!

Kapitel 12 Der Calmer-weg-Plan

Kapitel 13 Gute Nachrichten

Kapitel 14 Vorbereitungen

Kapitel 15 Jamies Forderung

Kapitel 16 Rako Ronrök

Kapitel 17 Flapper

Kapitel 18 Gemeinsam!

Kapitel 19 Die Flucht

Kapitel 20 In die Todesklamm

Kapitel 21 Zwei rote Flammen

Kapitel 22 Enterlinge im Bauch

Kapitel 23 Der Bund der Drachen

Kapitel 24 Ein neuer Morgen

Epilog

Eldurs Brief an Elise

Für die smaragdgrünen Tiefen in euren Augen

Prolog

Big Blue hob den Kopf. Es war dunkel in ihrer Höhle. Etwas hatte sie geweckt. Ein Geräusch? Nein, sie hatte etwas Ungewöhnliches wahrgenommen. Etwas, das sie lange nicht mehr gespürt hatte. Konnte es wirklich sein, dass …

Hoffnung, spürte sie.

Big Blue richtete sich auf. Tatsächlich!

Die Drachen hatten wieder Hoffnung, dass ihre Anführerin noch lebte – sie spürte es jetzt ganz deutlich! Aber woher kam diese Zuversicht?

Seit vielen Jahren hatte Big Blue nur die Hoffnungslosigkeit der Drachen gefühlt, diese Leere …

Im nächsten Moment zuckte Big Blue zusammen. Die Hoffnung war wieder in Hoffnungslosigkeit umgeschlagen. Dieser schnelle Wechsel der Gefühle war seltsam. Irgendwas stimmte da nicht!

Doch da war diese neue Flamme, die erwacht war … ein Reiter, der zu ihr gehörte! Wie klein er damals gewesen war, als sie ihn gesucht und gefunden hatte.

Würden sie es gemeinsam schaffen, den Drachen ihre smaragdgrünen Tiefen zurückzugeben?

Eine Träne sammelte sich in Big Blues Auge. Viel Zeit blieb ihnen nicht.

Kapitel 1Big Blue

Jamie klopfte das Herz bis zum Hals. Der Flur lag im Dunkeln, nur über den Bildschirm an der Wand huschten grellgrüne, flimmernde Ziffern.

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Es war fast Mitternacht, aber in den Drachendocks unter der Eldurskóla, der Drachenreiterschule auf der Insel Smaragour, wurde auch nachts gearbeitet. Die Docker mussten sich rund um die Uhr um die Drachen kümmern, Reisende versorgen und Nachrichten decodieren.

Aber Jamie hatte keine Nachtschicht heute. Er hatte etwas viel Besseres vor: Heute würde er endlich Big Blue kennenlernen, die legendäre Anführerin der Drachen!

Sein Bauch fühlte sich ganz flattrig an bei dem Gedanken daran, dass er »der Eine« war, der zusammen mit Big Blue gegen die Unterdrückung der Drachen kämpfen würde.

Sein Connector piepte und er holte ihn aus der Tasche seines Overalls. Es war eine Nachricht von Tex.

Hey, wir denken an dich und erwarten dich zusammen in Noahs Raum.

Jamie lächelte. Er tippte zurück.

Bin so aufgeregt! Was, wenn es gar nicht stimmt? Wenn ich gar nicht »der Eine der Einen« bin und Big Blue und ich keine Verbindung zueinander spüren?

Es dauerte einige Sekunden, dann piepte sein Connector wieder.

Das glaubst du doch selbst nicht! Deine Wärme ist so stark, und du hast das größte Talent der ganzen Schule!

Piep! Noah schrieb auch.

Du hast Big Blue doch hinter dem Rosenstein gespürt!

Jamie lächelte. Es tat gut, dass die beiden an ihn glaubten. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihn. Er straffte die Schultern und tippte an Tex: Ich muss los! Bis später.

Tex schrieb zurück.

Viel Glück! Wir sind so gespannt, was du uns später erzählst!

Maga Linh wartete schon. Jamie mochte die kleine Vorarbeiterin mit den knallgrünen Haaren. Noch vor Kurzem hatte er sie verdächtigt, eine Gegnerin der Drachen zu sein, doch mittlerweile wusste er, dass sie das gleiche Ziel hatte wie er: den Drachen ihre Freiheit zurückzugeben.

»Aufgeregt?«, fragte sie. Jamie nickte. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet ich Big Blues Reiter werden soll!«

Jamies Eltern hatten ihn oben in der Drachenreiterschule angemeldet gehabt, aber stattdessen war er als Drachenputzer in die düsteren Drachendocks gekommen – ein großer Schock! Doch dann hatte er bei der Arbeit in den Drachendocks diese besondere Wärme gespürt, Wärme für die Drachen, und erfahren, dass er ein großes Drachenreitertalent besaß. Er war nicht aus Versehen hier unten gelandet, sondern Maga Linh, Big Blues frühere Drachenputzerin, hatte dafür gesorgt – um ihn heimlich trainieren zu können.

»Keine Sorge, Big Blue und du, ihr werdet euch gut verstehen«, sagte Maga Linh, während sie zum Rosenstein in Dock 2 liefen, das sich weit unten tief ins Gebirge erstreckte.

»Wir müssen deine heimliche Drachenreiterausbildung so schnell wie möglich fortführen, damit sich deine Flamme weiterentwickelt.«

»Ja.« Jamie nickte. »Aber ist Big Blue denn schon wieder stark genug, um sie zu reiten?«

Die Anführerin der Drachen war vor vielen Jahren von ihrem früheren Reiter verwundet worden, aus Rache, weil sie das magische Band zu ihm gelöst hatte.

Maga Linh schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist noch zu schwach. Aber wenn ihr viel Zeit miteinander verbringt und wenn du zusätzlich verschiedene andere Drachen reitest und eine Verbindung zu ihnen aufbaust, dann wird sich deine Flamme weiterentwickeln. Ich bin sicher, dass sich bei dir die rote Flamme bildet, die stärkste Flamme auf der Drachenreiterskala.«

Jamies Bauch kribbelte noch heftiger. Seine Oma war eine Drachenreiterin gewesen, aber wie viel Talent sie gehabt hatte, das wusste er nicht. Konnte es sein, dass sie auch die rote Flamme in sich getragen hatte? Er nahm sich vor, seine Eltern zu fragen, wenn er ihnen das nächste Mal schrieb.

»Die rote Flamme zeigt sich nur bei wenigen Drachenreitern«, sagte Maga Linh, als könnte sie Jamies Gedanken lesen. »Mit der roten Flamme wirst du jeden Drachen reiten und verstehen können. Aber deine Verbindung zu Big Blue wird so stark sein, dass ihr unmittelbar das Gleiche fühlt und denkt.«

Jamie nickte. Je näher sie dem Rosenstein kamen, desto aufgeregter wurde er. Sein Magen war ein einziger wabbeliger Klumpen!

»Big Blue gehört zu den wenigen Drachen, die nur mit der roten Flamme geritten werden können«, erklärte Maga Linh. »Nur zu besonderen Reitern lassen sie eine Verbindung zu. Aber du wirst das schaffen! Du hast schließlich bewiesen, dass du Sensibilität und Stärke vereinst.«

Sie bogen um eine Ecke. Und da stand er: der Rosenstein.

Maga Linh blieb stehen. Jamies Wärme nahm schlagartig zu. Der Rosenstein war riesig und aus rosa Granit. Hinter ihm lag die Höhle, zu der niemand Zugang hatte.

Der Stein war kalt, aber Jamies Hand glühte, als er vorsichtig mit dem Finger die verschnörkelte Inschrift nachfuhr: Der Eine der Einen wendet die Zeit. Unfassbar, dass er dieser »Eine« sein sollte, mit dem eine neue Zeit beginnen sollte. Der »Eine«, der den Drachen wieder Hoffnung geben konnte!

Als Jamie den Rosenstein entdeckt hatte, hatte er das erste Mal die starke Wärme in sich gespürt und gedacht, er hätte Fieber. Nun wusste er es besser: Big Blue, die einstige Anführerin der Drachen, schlief hinter dem Stein – und er war der Drachenreiter, der zu ihr gehörte!

»Bereit?« Maga Linh lächelte.

Jamie atmete tief durch. Dann nickte er.

Maga Linh fasste hinter einen Felsvorsprung und betätigte einen verborgenen Knopf. Jamie hielt den Atem an, als der Rosenstein sich langsam in Bewegung setzte und nach hinten glitt. Es entstand ein Spalt, durch den Maga Linh und Jamie hindurchschlüpften. Sie standen nun in einer fast runden Höhle. Und da lag Big Blue im Schein des Connector-Lichts: ein riesiges Drachenweibchen mit grünen und blauen Schuppen. Ein leises, gleichmäßiges Grollen erfüllte die Höhle.

»Sie schläft. Aber sie wird dennoch spüren, dass du hier bist.« Maga Linh ließ den Rosenstein zurückgleiten.

Big Blue hatte sich zusammengerollt und ihren gewaltigen Drachenkopf auf den Schwanz gelegt. Ehrfürchtig blieb Jamie vor ihr stehen.

»Hallo, Big Blue«, flüsterte er. Es raubte ihm den Atem, wie mächtig sie wirkte – und gleichzeitig so elegant und sanft. Ihre Schuppen schimmerten in einem leuchtenden Smaragdgrün, aber um das rechte Auge herum waren die Schuppen blau, genauso wie die Federn an den Flügelspitzen.

»Du bist wunderschön!«, flüsterte Jamie. Obwohl er die Macht spürte, die von ihr ausging, hatte er keine Angst – im Gegenteil! Eine Welle der Zuneigung für dieses gewaltige Tier überflutete ihn. Sein Drache! Jamie streckte die Hand aus und berührte vorsichtig Big Blues Rücken. Die am Ende spitz zulaufenden Schuppen fühlten sich glatt und seidig an und gleichzeitig fest und kalt.

»Ich lass euch beide jetzt allein«, sagte Maga Linh und öffnete den Zugang. Dumpf glitt der Rosenstein hinter ihr wieder in seine Position.

Jamie betrachtete den gewaltigen Drachenkopf. Wie schön er war – ganz natürlich ohne einen Calmer, wie ihn die anderen Drachen tragen mussten, weil diese blöden technischen Geräte vorgeschrieben waren. An der Brust waren Big Blues smaragdgrüne Schuppen größer. Und da war die Wunde! Jamies Magen krampfte sich zusammen, als er daran dachte, wie ihr ehemaliger Reiter Rako Ronrök sie hinterlistig angegriffen hatte. Big Blue hatte in einen jahrelangen Heilschlaf versetzt werden müssen, weil die Verletzung so schlimm gewesen war. Jamie fuhr mit dem Finger an den Rändern der Wunde entlang, die weder rot noch entzündet aussahen. Erleichterung breitete sich in seinem Bauch aus. Er ging ganz nah an Big Blue heran und atmete tief ihren Geruch nach grüner Wiese und Pfefferminze ein. Plötzlich zuckte der Drachenhals. Sie wachte auf!

Schnell trat Jamie einen Schritt zurück. Das Drachenweibchen hob den Kopf und öffnete ein Auge.

Es war von einem intensiven Goldgelb. Viel strahlender als bei allen anderen Drachen!

»Big Blue«, flüsterte Jamie und strich ihr zärtlich über den Hals.

Big Blue richtete sich etwas auf.

»Endlich bist du wieder gesund«, flüsterte er. »Ich bin Jamie. Wir beide gehören zusammen. Wir …« Da sah er plötzlich etwas in ihrem Auge aufflackern. Zusammen!, hörte er in seinem Kopf, und gleichzeitig kroch die Wärme bis zu seinem Herzen. Jamie spürte sofort, dass er diese Wärme nie mehr verlieren würde. So war das also, wenn ein Drachenreiter seinen Drachen fand!

Big Blue streckte den Kopf vor – und beschnupperte ihn mit ihren riesigen Nüstern, die smaragdgrün waren wie ihre Schuppen und samtig weich aussahen.

»Das kitzelt«, flüsterte Jamie. Big Blue schnupperte an seinem Bauch. Spürte sie seine Wärme? Jamie hielt die Luft an. Er wünschte sich, dass dieser Moment niemals enden würde. Plötzlich kam Big Blues riesige Drachenzunge aus dem Drachenmaul und fuhr über Jamies Gesicht! Es fühlte sich angenehm an, wie ein warmer Waschlappen. Jamie ließ sich auf den Boden sinken und schmiegte sich an den Drachenkörper. Sie gehörten für immer zusammen!

Big Blue legte sich auf die Seite und atmete auf einmal schwer, so als sei sie erschöpft von ihrer Begrüßung. Jamie hatte plötzlich Angst um sie. Er drückte sich an sie und schloss die Augen. »Wir ruhen uns ein wenig aus, ja? Ich bleibe bei dir.«

 

Jamie hörte ein Geräusch und öffnete die Augen. War er eingeschlafen? Maga Linh war schon da, um ihn abzuholen!

»Sie ist noch sehr schwach, das hast du sicher gemerkt«, sagte sie.

Jamie nickte. Der Gedanke, sich von Big Blue zu trennen, tat ihm weh. Vorsichtig strich er über ihren Hals. »Du musst wieder ganz gesund werden«, flüsterte er.

Maga Linh zog Jamie sanft von Big Blue weg. »Die Wunde sieht gut aus. Aber es ist nicht nur die Wunde, die sie schwächt.«

In Jamies Hals bildete sich ein dicker Kloß. »Was ist es dann?«

»Die hinterlistige Tat von Ronrök hat auch ihre Drachenseele verletzt. Und … nun ja, ich glaube, sie spürt, dass die anderen Drachen hoffnungslos sind, weil sie ohne ihre Anführerin ihre Freiheit nicht zurückerlangen können.«

»Kann ich etwas für sie tun?«, fragte Jamie.

Maga Linh strich ihm über den Rücken. »Gib ihr einfach noch Zeit. Und geh zu ihr, sooft du kannst. Ihr müsst ein starkes Team werden, ihr habt einen schweren Kampf vor euch.«

 

Als der Rosenstein wieder an seinen Platz geglitten war, fasste Maga Linh Jamie an den Schultern und sah ihm fest in die Augen. »Big Blue ist Smaragours größtes Geheimnis. Ihr Versteck muss geheim bleiben. Niemand darf wissen, dass sie noch lebt, damit Ronrök es nicht erfährt.«

Jamie nickte. In seiner Brust wurde es ganz eng bei dem Gedanken, dass Rako Ronrök das Smaragddrachenweibchen finden würde. Nachdem er Big Blue verwundet hatte, hatten die Drachen geschworen, ihn zu töten, und er war untergetaucht. Er hatte im Verborgenen die Calmer entwickelt, die die Sinne der Drachen beeinflussten, sodass sie Ronrök nicht aufspüren konnten. Ronrök würde um jeden Preis verhindern, dass Big Blue und Jamie gegen ihn und seine schwarze Flamme kämpften. Jamie musste so vorsichtig sein wie niemals zuvor in seinem Leben. Er ballte die Hände zu Fäusten. »Niemand wird davon erfahren«, flüsterte er.

Kapitel 2Ein schlimmer Verdacht

Tex sprang auf, als Jamie die Tür von Noahs Pritschenraum öffnete.

»Ich konnte keine Sekunde lang schlafen! Wie sieht sie aus? Wie ist sie so? Hat sie grüne oder …«

»Hol mal Luft, Tex!« Noah grinste und zeigte auf Tex, die auf und ab hüpfte. »Ich habe schreckliche Stunden hinter mir. Sie ist schlimmer als ein Haufen Ameisen und …« Er hielt inne. »Ist alles okay bei dir?«

Jamie trat in den Raum und nickte. Im Schein von Noahs Connectorlicht fuhr er mit einem Finger über Flappers Rücken. Das Flederküken schlief auf Noahs Pritsche, neben ihm lag eine angebissene feuerrote Dracayafrucht. Noahs Mitbewohner hatten zum Glück Nachtschicht.

»Jetzt erzähl schon!«, rief Tex.

Jamie zuckte mit den Schultern. »Wo soll ich anfangen? Es war … Sie ist unglaublich! Ihre Schuppen glänzen smaragdgrün, aber um ihr rechtes Auge herum sind sie blau. Und sie hat blaue Federn an den Flügelspitzen. Sie hat mich beschnuppert … und abgeschleckt!« Jamie schloss die Augen und fühlte wieder Big Blues warme Zunge in seinem Gesicht. Tex klatschte in die Hände. »Sie hat dich erkannt!«

Noah nickte. »Und jetzt sag schon, was dich bedrückt – du bist doch trotzdem nicht richtig glücklich, oder?«

Jamie seufzte. »Ihre Wunde sieht gut aus. Aber … ich habe gespürt, dass es ihr nicht gut geht.« Er schluckte. »Ich mach mir Sorgen um sie.«

»O nein!«, rief Tex. »Was sagt Maga Linh dazu?«

»Sie sagt, es ist nicht nur die Wunde …« Jamie zögerte.

Noah boxte Jamie gegen die Schulter. »Hey, Big Blue ist stark, sie schafft das schon.«

»Genau!« Tex’ Augen funkelten. »Sie ist schließlich die Anführerin der Drachen. Kommt, wir schauen, ob es schon Frühstück gibt. Mit vollem Magen sieht die Welt viel besser aus.«

Noah verdrehte die Augen. »Es ist Viertel vor vier!«

»Ja, aber bald geht schon die Sonne auf. Und das spürt mein Magen. Vielleicht können wir uns danach rausschleichen. Der Sonnenaufgang auf Smaragour ist so schön!«

»Das stimmt«, sagte Noah.

Doch Jamie fühlte sich, als hätte er einen Marathon hinter sich. Er griff vorsichtig nach Flapper und schüttelte den Kopf. »Ne, ich bin hundemüde. Ich leg mich noch mal hin.«

 

Als der Bildschirm drei Stunden später zum Frühstück piepte, wachte Jamie mit einem stechenden Schmerz in der Brust auf. Er setzte sich auf. Vielleicht hatte er sich verrenkt? Er lockerte die Schultern etwas und drehte den Oberkörper hin und her. Dabei stach es noch heftiger in der Brust. Er beschloss, die Stiche zu ignorieren, und stieg in seine Arbeitsstiefel. Flapper schlief noch zusammengerollt auf Jamies Pritsche. Jamie staunte wieder, wie groß sie geworden war. Er strich ihr über den Bauch und zog die Decke über sie. »Ich bin bald zurück«, flüsterte er. Jute rührte sich jetzt auch. Nur seine pinken Haare lugten unter der Decke hervor. Jamie musste grinsen. Sie hatten so große Ähnlichkeit mit den pinken Federbüscheln, die der Transportdrache Pinkman an Kopf, Schwanz und Beinen trug! Anfangs hatte Jamie gedacht, Jute sei ein Einzelgänger. Doch mittlerweile waren sie gut befreundet, und Jamie wunderte sich auch nicht mehr, wenn Jute mal wieder mit sich selbst sprach.

»Kommst du mit frühstücken?«, fragte Jamie.

»Ich komm nach«, murmelte es unter der Decke.

 

Tex saß an einem der langen Tische und winkte Jamie zu sich. »Hey, du siehst ja aus wie ein Gespenst!«

»So fühl ich mich auch«, sagte Jamie. »Ich hab so komische Stiche in der Brust.«

»Hast du auf einem Schocker geschlafen?« Tex lachte. »Hör mal, wusstest du eigentlich, dass dieses Halbjahr mit dem Ritt um die Rosen endet?«

»Ritt um die Rosen?«

»Ein großes Turnier mit feierlichem Empfang und so. Sogar die Internationale Drachenreitervereinigung kommt mit ihrem ersten Vorsitzenden. Hast du nie davon gehört?«

Jamie schüttelte den Kopf. »Nicht schon wieder ein Turnier«, stöhnte er.

»Ist nur für die Drachenreiter aus der Schule oben«, sagte Tex. »Und den Platz dort hast du abgelehnt, schon vergessen?«

»Wie könnte ich!« Jamie sah das noble Turmzimmer noch vor sich, den Blick aus dem Fenster, der weit über die Berge reichte, das Himmelbett mit der dicken, weichen Decke. Aber er hatte es noch keine Sekunde bereut, dass er in den Drachendocks geblieben war. Hier waren die Drachen, und hier waren seine Freunde.

Tex stapelte fünf Pfannkuchen auf ihren Teller und ließ warme Butter und goldgelben Ahornsirup darüberlaufen, als Noah mit Holly und Carlita in die Küche geschlendert kam. Die beiden Mädchen, die auch zur Dockergruppe 1 bei Maga Linh gehörten, kicherten. Tex stieß Jamie an und verdrehte die Augen. »Wie sie ihn anhimmeln! Typisch Cheerleader-Tussis.«

Hinter der Dreiergruppe schlurfte Jute in die Küche und ließ sich neben Tex plumpsen. Jamie nahm sich ein warmes Brötchen und schob Jute das Blech hin. Normalerweise liebte Jamie die Brötchen der Köchin, die alle nur Mamma nannten, aber heute bekam er kaum einen Bissen herunter. Es stach schon wieder in seiner Brust. Er warf einen Blick auf den Bildschirm an der Wand.

8:00+++DG+1+++ZAHNPFLEGE+++BOX3+++

Der Bildschirm sprang um.

8:00+++DG+2+++WASCHEN+++ENT+FOSS

Tex seufzte. »Heute wäre ich gerne in der DG2. Ich hasse es, wie das Drachenmaul für die Zahnpflege eingespannt wird.«

Jamie nickte. »Ich hab immer Angst, dass ihnen das Bohren und Schleifen wehtut. Und das Geräusch der großen Bohrer ist grausam!«

»Am schlimmsten ist die Zahnzange.« Tex schüttelte sich.

Jute zuckte mit den Schultern. »Die Blätter der Sumpfeichen würden ihre Zähne reinigen«, sagte er. »Aber die fressen sie nur in Freiheit.«

Tex stieß Noah an und zeigte auf seinen Connector. Ihre grünen Augen funkelten. »Kannst du dich nicht schnell ins System reinschleichen und die Dockergruppen vertauschen?«

»Zu spät«, sagte Noah. »Die Meldung erscheint doch schon auf allen Bildschirmen.«

»Och, schade«, maulte Tex.

 

Auf dem Weg zur Boxengasse hörten sie laute Stimmen.

»Was ist denn da los?«, rief Tex und lief los. Jamie und Noah rannten hinterher. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie, wie mehrere Docker ihre Köpfe an die Gitterstäbe der Boxen drückten.

Maga Linh und die beiden anderen Vorarbeiter, Droll und Monsieur Petit, der jünger und viel netter war als Droll, sprachen mit einem Mann mit weißem Kittel. Jamie verzog das Gesicht, als er Drolls keifige Stimme hörte. Zwei Beamte der IDV, die Jamie sofort an ihrer blauen Uniform mit dem goldenen Drachenreiter auf den Ärmeln erkannte, machten sich Notizen. Einer war so dünn, dass die Uniform um seinen Körper schlackerte, der andere war kleiner und hatte einen runden Kopf mit wenigen Haaren. Aber warum standen Cashmira und Émile dabei? Cashmira drehte nervös an einem ihrer Zöpfchen, und Émile, der Tex sonst immer anlächelte, wenn er sie sah, starrte düster vor sich hin.

»Ist was passiert?«, rief Tex. Alle drehten sich zu ihr um.

Droll trat ihnen in den Weg. »Die Boxengasse ist gesperrt.«

»Wir haben Zahnpflege bei Maga Linh!«, konterte Tex.

»Fällt aus!«, bellte Droll.

»Ja, aber wir können die Docker gleich gut gebrauchen«, mischte sich Maga Linh ein.

Droll warf ihr einen unergründlichen Blick zu und stapfte davon.

»Was ist denn passiert?«, fragte Jamie. Er merkte, wie die Angst in ihm hochkroch und sein Mund trocken wurde.

»Das wissen wir nicht. Cashmira und Émile haben heute Nacht beim Boxenstoppdienst gesehen, dass bei allen Calmern gleichzeitig die grüne Kontrolllampe erloschen ist. Cashmira sagt, dass die Kontrolllampe kurz orange geflackert hat und dann wieder auf Grün gesprungen ist. Und heute Morgen sind alle Drachen lethargisch und lassen die Köpfe hängen. Monsieur Petit hat die IDV gerufen und den Tierarzt. Sie wollen die Calmer überprüfen und die Drachen untersuchen.« Sie sah sich um und sprach so leise weiter, dass es nur Jamie, Tex und Noah hören konnten. »Ich habe einen schrecklichen Verdacht! Was, wenn Ronrök die Calmer kurzzeitig abgeschaltet hat, um herauszufinden, ob die Drachen noch Hoffnung haben? Ohne die Calmer – oder wenn die Calmer ausgeschaltet sind – können die Drachen Big Blue spüren. Wenn sie merken, dass ihre Anführerin sterben wird, verlieren sie ihre Hoffnung. Wenn sie aber spüren, dass Big Blue sich erholt, dann haben sie noch Hoffnung. Und diese wird in dem Moment spürbar, in dem die Calmer abgeschaltet werden.« Sie seufzte. »Wenn meine Vermutung stimmt, dann weiß Ronrök jetzt, dass Big Blue noch lebt und die Drachen noch Hoffnung haben. Big Blue stellt für ihn also immer noch eine Gefahr dar!«

Jamies Bauch krampfte sich zusammen. »Hoffentlich war es nur ein technischer Ausfall und kein Test von Ronrök«, murmelte er. »Dürfen wir hierbleiben?«

Maga Linh nickte und zeigte auf die anderen Docker, die Émile und Cashmira umringt hatten. »Die DG1 wird statt bei der Zahnpflege bei der Visite helfen. Ich sage dem Tierarzt und den IDV-Beamten Bescheid.«

Drei Minuten später brüllte Droll: »Alle Docker, die nicht zur DG1 gehören, verlassen sofort die Boxengasse!«

Tex lächelte ihn an. »Wir gehören zur DG1.«

Droll wollte etwas erwidern, klappte den Mund aber zu, als Maga Linh zu ihnen trat. Sie zählte die Docker ihrer DG durch. »Zwei sind krank heute?«

Carlita nickte. »Lilee und Himari.«

Maga Linh tippte etwas in ihren Connector. »Tex, Noah, Jamie und Jute bringen immer zu zweit einen Drachen zur Untersuchung in eine Stoppbox und füttern ihn notfalls, um ihn abzulenken. Émile, Cashmira, Holly und Ceve fahren die Arbeitsgerüste heran. Linda, Carlita, Pétur, Harty und Asta stehen für den Notfall an den Steuerpulten bereit.« Alle nickten. Maga Linh ermahnte sie: »Die IDV ist dabei. Also: nicht quatschen, konzentrieren, Vorschriften beachten. Verstanden?«

»Also wie immer!«, rief Tex grinsend und hakte sich bei Jamie ein. »Komm, wir beide sind ein Team.« Jamie spürte, dass seine Wangen rot wurden, und schaute schnell auf den Boden.

»Lass uns Lunari holen«, sagte Noah zu Jute. »Wir bringen sie in Stoppbox 1.«

»Können wir zuerst Geena holen?«, bat Jamie Tex. Er hatte das Granatalabasterweibchen sehr ins Herz geschlossen. Beim Drachenturnier hatte sie ihren gutmütigen Charakter bewiesen, und sie waren ein prima Team gewesen. Tex war einverstanden.

Als sie Geenas Box öffneten, rief sie: »Schau mal, wie sie den Kopf hängen lässt.«

Jamie nickte. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Irgendetwas stimmte nicht. Sanft streichelte er über Geenas Drachenmaul. Droll hatte ihnen verboten, das zu tun, aber Jamie hatte herausgefunden, dass die meisten Drachen es genossen. Geena ließ trotzdem den Kopf hängen.

»Was war da bloß los mit den Calmern heute Nacht? Meinst du, an Maga Linhs Vermutung ist was dran und es war wirklich Ronrök, der die Calmer ausgeschaltet hat?«, fragte Tex.

Jamie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.« Er spürte, wie er wütend wurde. »Die Calmer haben viel größere Auswirkungen auf die Drachen, als alle denken. Eine Verbindung, wie ich sie gestern zu Big Blue gespürt habe, kann es mit den Calmern überhaupt nicht mehr geben!«

»Diese blöden Geräte machen alles kaputt!« Tex stampfte mit dem Fuß auf. »Ich hasse die Calmer!«

Jamie nickte. »Ich glaube nicht, dass die Drachen ohne Calmer Menschen angreifen würden.«

»Ähm … Maga Linh fragt, wo ihr bleibt.« Jute steckte seinen Kopf in die Box.

»Wir kommen«, sagte Jamie. »Geena lässt leider den Kopf hängen.«

Jute nickte. »Lunari wollte nicht einmal Mondblümchen fressen«, murmelte er. »Die Lieblingsspeise aller Mondschwärmer.«

Jamie und Tex führten Geena in Stoppbox 2, wo der Tierarzt und die zwei Beamten der IDV bereits warteten. Maga Linh warf ihnen einen fragenden Blick zu. »Lunari ist schon fertig.«

»Geena geht es nicht gut«, erklärte Tex. »Es ging nicht schneller.«

Maga Linh nickte. »Den sensiblen Drachen geht es deutlich schlechter. Wie Geena und Lunari.« Jamie hörte die Sorge in ihrer Stimme.

»Sie muss nicht fixiert werden«, sagte die Vorarbeiterin zum Tierarzt. »Sie ist ganz sanft.«

Der Tierarzt strich seinen Schnurrbart glatt und klappte die Arzttasche auf. Jamie und Tex streichelten Geena über den Hals, während der Arzt ihr am Vorderbein Blut abnahm. Die Injektionsnadel war dreimal so groß wie die, die Jamie von seinen Arztbesuchen kannte. Er konnte gar nicht hinsehen, als der Tierarzt sie in Geenas weißes Fell am Bein stach und zwei Ampullen so groß wie Wasserflaschen füllte. Als er die Nadel zog, liefen ein paar Tropfen rotes Drachenblut an Geenas weißem Bein herunter.

»Es muss nicht mit dem kurzen Ausfall der Calmer zu tun haben«, sagte der Tierarzt. »Da alle die gleichen Symptome haben, könnte es auch ein Virus sein. Und wir untersuchen das Blut natürlich auf alle bekannten Drachenkrankheiten.«

Maga Linh schaute sich um. »Wo bleibt das Arbeitsgerüst?«

»Kommt schon!«, rief Émile, der mit Cashmira das Gerüst heranfuhr. Er zwinkerte Tex zu, und Tex verdrehte die Augen.

Als die Beamten der IDV auf das Arbeitsgerüst stiegen, um den Calmer zu überprüfen, baute sich Tex vor ihnen auf, die Hände in die Hüften gestemmt. »Ich glaube, die Calmer sind schuld am schlechten Zustand der Drachen.«

Der kleinere Beamte warf Tex einen missbilligenden Blick zu. »Weißt du überhaupt, wovon du da redest, Mädchen?«

»Und ob ich das weiß!« Tex funkelte ihn herausfordernd an.

Maga Linh warf ihr einen strengen Blick zu.

Tex zuckte mit den Schultern. »Warum soll man den Mund halten, wenn man was zu sagen hat?«

»Weil man ein Docker ist?«, brummte der Beamte mit dem runden Kopf und rüttelte an Geenas Calmer.

»Vorsichtig«, ermahnte Maga Linh ihn.

Der Beamte bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. Er zog einen Zollstock aus der Tasche und maß damit die Lage des Calmers zur Stirn und zum Ende des Hinterkopfes. »Sitzt ordnungsgemäß«, brummte er. Er tippte auf seinem Connector herum und hielt ihn an den Calmer. Ein Piepton ertönte, und der Connector leuchtete grün. »Arbeitet einwandfrei.« Der Beamte zuckte mit den Schultern und stieg vom Gerüst.

»Ich will noch mal ihren Bauch abtasten«, sagte der Tierarzt.

Plötzlich schrie Tex: »Moment … ich glaub, Geena geht’s schlechter! Sie … sie dreht die Augen nach hinten!« Im nächsten Augenblick schwankte Geena.

»Achtung!«, schrie Tex. »Sie kippt um!«

Jamie machte einen Satz nach hinten. Er stolperte über eine Pflegekiste und fiel hin. Jemand kreischte. Der Drachenkörper kam auf Jamie zu. Im ersten Moment war er wie erstarrt. Dann rollte er sich zur Seite. Mit einem Rums krachte Geena auf den Boden, keine fünf Zentimeter neben Jamie. Das war knapp gewesen! Aber … Geena rührte sich nicht mehr! Der Schreck lag wie ein Eisklumpen in Jamies Bauch. War sie …?

»Ist sie tot?«, schrie Tex. Sie ließ sich neben Jamie auf den Boden sinken. Jamies Bauch krampfte sich zusammen.

Der Tierarzt hielt sein Stethoskop an Geenas Brust. »Sie ist nur bewusstlos.« Er holte eine Spritze aus seiner Arzttasche und zog eine Flüssigkeit aus einer Ampulle auf. »Mal sehen«, murmelte er und spritzte ihr das Medikament. Dann holte er ein schuhkartongroßes Gerät heraus und bunte Kabel, an die er Geena anschloss.

»Ist das ein Sauerstoffgerät?«, fragte Jamie. Er merkte, wie er zitterte, und die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Der Tierarzt nickte.

Das Gerät piepte, und eine rote Kurve erschien auf dem Display.

»Sieht ganz normal aus«, sagte der Tierarzt.

Jamie atmete erleichtert aus. Tex rückte näher an ihn heran. »Gruselig«, flüsterte sie, und Jamie hörte, dass sie den Tränen nahe war. Er nickte. Auch er hatte einen Kloß im Hals. Geena reglos und verkabelt auf dem Boden liegen zu sehen, machte ihm Angst. Die Drachen waren ihm immer so stark vorgekommen. Aber nun brauchten sie Hilfe!

»Können wir was für Geena tun?«, fragte Jamie mit erstickter Stimme.

Der Tierarzt schüttelte den Kopf. »Ich will, dass alle sofort die Box verlassen. Sie braucht absolute Ruhe.«

Jamie nickte. »Klar.« Er schaute fragend zu Maga Linh, und sie verstand.

»Ich geb dir später Bescheid, wenn du zu ihr kannst«, sagte sie. »Wir machen mit den anderen Drachen weiter.«

 

Zwei Stunden später waren sie mit allen Drachen durch. Die anderen waren zwar etwas lethargisch, ansonsten schien es ihnen aber gut zu gehen. Besser als Geena. Jamie merkte, dass er sich nicht richtig konzentrieren konnte. Seine Gedanken wanderten von Geena zu Big Blue und wieder zu Geena. Sie brauchten Hilfe!

»Kommt«, sagte Jamie zu Tex und Noah. »Wir müssen noch mal mit Maga Linh reden.«

Als die Vorarbeiterin die IDV-Beamten verabschiedete, schlenderten Jamie, Tex und Noah unauffällig an die Gruppe heran, um zu hören, was sie sagten.

»Wie wir schon vermutet haben, arbeiten die Calmer einwandfrei«, sagte der größere Beamte. »Aber wir stehen jederzeit zur Verfügung.«

Der Beamte mit dem runden Kopf nickte. »Melden Sie sich bitte, wenn Sie rausfinden, was das Problem für den Defekt bei den Drachen war.«

»Der Defekt? Drachen sind doch keine Autos!«, rief Tex.

Der IDV-Beamte musterte Tex ärgerlich, als er mit seinem Kollegen an ihnen vorbeiging.

Maga Linh trat zu Jamie, Tex und Noah. »Ich bin sicher, dass die Calmer an der Lethargie der Drachen schuld sind. Sie greifen grundsätzlich viel zu tief in ihre Seele ein – und jetzt noch dieser merkwürdige Vorfall.« Sie schüttelte den Kopf.

Jamie nickte. »Die Calmer müssen weg«, sagte er entschlossen.

»Wie geht’s denn den Jungdrachen?«, fragte Noah. »Die tragen ja noch keine Calmer.«

»Denen geht es gut, zum Glück«, sagte Maga Linh. »Genauso wie den freien Drachen der Emeralds«, fügte sie leise hinzu. Mittlerweile wussten Jamie, Tex und Noah, dass die Emeralds eine Gruppe waren, die im Geheimen arbeitete und die zu Unrecht beschuldigt wurde, Angriffe auf Drachen zu fliegen. Sie waren Drachenfreunde und wollten wie Jamie und seine Freunde etwas gegen die Calmer unternehmen. Maga Linh gehörte zu ihnen.

Tex rief: »Das ist doch der Beweis, dass es kein Virus ist! Sonst hätten die Kleinen ihn doch auch.«

Maga Linh nickte. »Da hast du recht. Ich muss jetzt los. Ihr habt das gut gemacht. Und ich sag dir später wegen Geena Bescheid, Jamie.«

Jamie hielt Maga Linh zurück. Tex und Noah traten zu den beiden. »Ich … Da ist noch was«, sagte Jamie. »Ich habe Schmerzen in der Brust. Und ich mach mir Sorgen deshalb. Wie soll ich meine Flamme trainieren, wenn ich krank bin?«

»Wo genau hast du die Schmerzen?«, fragte Maga Linh.

Jamie fasste sich neben das Herz. »Hier.«

Maga Linh betrachtete ihn nachdenklich. »Hm … Ich glaube nicht, dass du krank bist.« Sie schaute ihm in die Augen. »Dass deine Brust schmerzt, liegt auch nicht daran, dass du Herzprobleme hast. Du spürst Big Blues Wunde.«

»Was?«, rief Tex. »Das geht?«

Jamie starrte Maga Linh an. Er spürte Big Blues Wunde? Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Schmerz tatsächlich genau an der gleichen Stelle spürte, an der sich ihre alte Verletzung befand. »Das … Kann das wirklich sein?«

Jamie sah, wie Noah ungläubig den Kopf schüttelte.

Maga Linh nickte. »Du hast die Verbindung doch gespürt, die zwischen euch besteht. Und als ihr euch begegnet seid, ist sie noch stärker geworden.«

Jamie nickte.

»Und deshalb fühlst du, was Big Blue fühlt. Du musst lernen, damit umzugehen, dass du ihre Schmerzen und ihre Ängste spürst.«

»Wow!«, rief Tex.

In diesem Moment begriff Jamie, was die Verbindung zwischen ihnen wirklich bedeutete. Wie gewaltig sie war. Ihm wurde klar, dass er jetzt stark sein musste, wenn Big Blue schwach war. »Aber … was kann ich für sie tun?«

Maga Linh zuckte mit den Schultern. »So oft wie möglich bei ihr sein. Und natürlich deine Flamme trainieren. Ihr gehört zusammen. Das bedeutet, dass sich die Flamme für euch beide entwickelt. Euer Band wird so stark werden, dass ihr unmittelbar spürt, was der andere fühlt und denkt, sodass ihr eure Schwächen und Stärken ausgleichen könnt.«

»Also besteht die Hoffnung, dass Big Blue durch Jamies wachsende Flamme auch wieder stärker wird?«, fragte Noah.

Maga Linh nickte etwas zögernd. »Ja … Die Hoffnung besteht.«

Da kam Jamie eine Idee. »Tagsüber hab ich ja kaum Zeit, aber ich könnte nachts bei Big Blue schlafen! Dann bin ich für sie da, und unser Band kann wachsen.«