Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Jahr 2548 leben die Bürger der Unität in einem zentralistisch verwalteten Staatenbund. Oberste Priorität für "die Zentrale" ist es, für das Wohlbefinden ihrer Bürger und für einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Erde zu sorgen. Alle Bürger der Unität genießen ausgiebigen Freiraum zur Erweiterung ihres Wissens, für sportliche Aktivitäten und die Entfaltung ihrer künstlerischen Kreativität. Hunger und körperliches Leiden wurden besiegt, alle Kriege wurden beendet. Nach einem Rückgang an Lebendgeburten sorgen Reproduktionsstätten erfolgreich für das Weiterbestehen der menschlichen Art. Diese perfekte Gesellschaft wird durch das Schicksal eines jungen Paares auf die Probe gestellt, wobei sich ein schreckliches Geheimnis enthüllt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ralf Veith
SMELL
utopisch – dystopischer Thriller
Zum Buch
Im Jahr 2548 leben die Bürger der Unität in einem zentralistisch verwalteten Staatenbund. Oberste Priorität für "die Zentrale" ist es, für das Wohlbefinden ihrer Bürger und für einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Erde zu sorgen. Alle Bürger der Unität genießen ausgiebigen Freiraum zur Erweiterung ihres Wissens, für sportliche Aktivitäten und die Entfaltung ihrer künstlerischen Kreativität.Hunger und körperliches Leiden wurden besiegt, alle Kriege wurden beendet. Nach einem Rückgang an Lebendgeburten sorgen Reproduktionsstätten erfolgreich für das Weiterbestehen der menschlichen Art. Diese perfekte Gesellschaft wird durch das Schicksal eines jungen Paares auf die Probe gestellt, wobei sich ein schreckliches Geheimnis enthüllt.
Zum Autor
Ralf Veith ist Diplom-Psychologe, Kinderliederautor, Musiker und Komponist.Als Buchautor veröffentlichte er bisher psychologische Ratgeber und legt mit diesem Thriller sein Debüt im Bereich der Science-Fiction vor, welche ihn seit frühester Jugend in den Bann zog.
Text:© Ralf Veith, 2020Umschlag:© Ralf Veith
Bilder:Pixabay / Mysticsartdesign
Verlag:RaVe - Selbstverlag,Föhrenweg 4,46539 Dinslaken
Lektorat:SV-DIN-Lektorat
Druck:epubli -ein Service derneopubli GmbH, Berlin
Auflage:1-2020
Das war gerade noch einmal gut gegangen. Alles war gut beleuchtet gewesen und es regnete nur leicht. Er war mal wieder von dem mit stetigen Pfeilen markierten Fußweg, der seinen Wohnkomplex mit seinem nur etwa einen Kilometer entfernten Arbeitsort verband, auf die direkt angrenzende Fastlane geraten. In den letzten Tagen war ihm das immer wieder passiert. Isano konnte nichts dagegen unternehmen, dass seine eigene Aufmerksamkeit sich nicht darum kümmerte, dass er wohlbehalten nach dem Ende seiner Arbeitsschicht an seinem Wohnblock ankam. Zum Glück hatten die Sensoren des heranrasenden Mag-Wagens das Hindernis frühzeitig erkannt und den Wagen auf eine höhere Ebene gebracht, nachdem sich die verschiedenen Fahrzeuge auf den Ebenen darüber automatisch miteinander synchronisiert hatten. Es waren nur noch zweihundert Meter bis zu seinem Wohnungseingang. Isano war sich sicher, dass wieder einmal eine Benachrichtigung der Verkehrsüberwachung auf seinem Monitor erscheint, sobald er die Tür hinter sich geschlossen haben wird. Beim letzten Mal wurden ihm zwanzig Sols abgezogen - fast ein Zehntel seines Monatslohns - und dabei war er nur kurz über die Markierung getreten, ohne dass etwas passiert war. Diesmal war er sich sicher, dass es mindestens vierzig Sols sein werden und er zusätzlich noch einen Termin bei einem Psyformer erhalten wird. Er ärgerte sich über sich selbst, wusste aber nicht, was er dagegen tun sollte. Er hatte sich an das angeordneteSchlafpensum gehalten und war auch heute bei seiner Arbeit meist konzentriert gewesen. Er hatte die Recoverzeiten und die empfohlene Nahrungszufuhr eingehalten. Seine Arbeit im Repo-Werk machte ihm Freude. Mit seinen Kollegen und auch dem überwiegenden Teil seiner Vorgesetzten kam er gut zurecht. Es war ein Arbeitstag ohne besondere Vorkommnisse gewesen. Dennoch war etwas anders. Isano wusste es genau, und beim Gedanken daran spürte er wieder dieses stechende Gefühl in der Magengegend, das ihn an die unveränderbare Tatsache erinnerte, dass sich sein Gefühlsleben mit einer Veränderung auseinandersetzen musste, der er nichts entgegenzusetzen hatte.
Isano ging die Treppe zur Wohnung hoch, die im fünften Stock lag. Er schloss seine Wohnungstür auf und sofort erkannte der im Türrahmen eingebaute Scanner, dass die Person, die eintrat, der rechtmäßige Mieter der Wohnung war und es keinen Grund gab, automatische Abwehrmaßnahmen einzuleiten und die Wache zu informieren. Der Mieter der Wohnung hatte Recht behalten. Auf dem Monitor, der fast die komplette ober Hälfte der Wohnzimmerwand zu seiner Rechten einnahm, blinkte eine Meldung der Verkehrsüberwachung auf. Der jedem neuen Bürger bei seiner Geburt implantierte und durch die eigene Körperwärme gespeiste Ident-Chip hatte nicht nur dafür gesorgt, dass Isano seine Wohnung betreten konnte, sondern auch dafür, dass seine Unaufmerksamkeit auf dem Nachhauseweg sofort unweigerlich registriert, gespeichert und dem entsprechenden Bürger zugeordnet wurde. Die vierzig Sols waren schon von Isanos Konto abgebucht worden und wie er erwartet hatte, wurde ihm bereits ein Termin bei einem Psyformer zugewiesen. Isano wusste, dass es schwerwiegende Konsequenzen gehabt hätte, diesem Termin nicht nachzukommen.
Er wandte sich dem Fenster der kleinen Wohnung zu, die in einem der vielen Wohnkomplexe am Rande von Westcon lag. Er schaute in Richtung der hell erleuchteten Stadt, die mit den vielen glänzenden Gebäuden und mit den um sie herumkreisenden Mag-Wagen an eine spiegelnde Teichoberfläche erinnerte, die im Mondlicht glänzte und von Mückenschwärmen heimgesucht wurde. Nicht, dass man so einem Schauspiel in Wirklichkeit noch hätte beiwohnen können. Aber Isano gehörte zuden Wenigen, die sich einen kleinen Schatz an Büchern bewahrt hatte, die mit Bildern illustriert naturgetreue Abbildungen enthielten, die zeigten, wie es außerhalb der Städte lange vor seiner Geburt gewesen war.
Westcon war die drittgrößte Stadt im Norden von Afara. Sie lag am ehemaligen Ufer des Karasee. Nachdem sich bis zum Jahr 2456 die meisten ehemaligen Staatensysteme auf Grund der vielen und lang anhaltenden Bevölkerungsunruhen aufgelöst hatten, traten - nach einer Zeit des Chaos und noch größerer Willkür als zuvor - die ersten Bestrebungen nach einer weltumfassenden, regelnden Instanz auf. Unter Beteiligung aller ehemaligen Nationen wurde nach mehrjährigen Verhandlungen "die Zentrale" gegründet.
Diese versuchte von da an, die unterschiedlichen Interessen der Bürger der so genannten Unität, mit notwendigen ökologischen und ökonomischen Aspekten in Einklang zu bringen. Der Planet war in Folge radikaler Ausbeutung der Ressourcen in den vergangenen Epochen nicht nur von in der Geschichte unvergleichlichen Umwelt- und Klimaka tastrophen heimgesucht worden. Auch die massive Ungleichverteilung lebensnotwendiger Ressourcen auf Grund geologischer Gegebenheiten und kapital- und machtpolitischer Einflussnahmen, hatte dazu geführt, dass alle Bevölkerungsgruppen dazu genötigt waren, sich gemeinsamen und nachhaltigen Zielen zu verpflichten, die unverzüglich die oberste Priorität genießen mussten.
Ohne Beachtung und konsequente Durchsetzung dieser Ziele wäre das Überleben der menschlichen Art auf dem Planeten unweigerlich dem Ende entgegen gegangen. Die Energiegewinnung wurde innerhalb eines Jahrzehnts vollkommen auf regenerative Quellen umgestellt. Die Luft in den Megastädten wurde zunehmend atembarer, so dass immer mehr Bürger ihren Lebensraum wieder dorthin verlagern konnten, nachdem sie sich zuvor aus diesen zurückziehen mussten. Wenngleich die Natur, die die Städte umgab, noch Jahrhunderte benötigen würde, um sich von der massiven Einflussnahme des Menschen zu erholen, so gab es doch mehr und mehr positiv stimmende Anzeichen von Erholung.
Nach einem radikalen, globalen Fangverbot und einem Verbot der Verschmutzung durch jegliche Substanzen, konnten sich die Fischbestände in den vergangenen Dekaden in den Meeren zunehmend erholen. Die komplette Umstellung auf künstliche, sich selbstregulierende und reinigende Aquafarmen führte zu ausreichendem, tierischem Nahrungsangebot. Nachdem die Überlassung von Agrarflächen zur Viehhaltung bis auf ein Zehntel der zuvor beanspruchten Fläche reduziert wurde, war die Grundlage einer ausreichenden und gesundheitlich ausgewogenen Ernährung der Weltbevölkerung durch Saatpflanzen unter Einhaltung von Biodiversität geschaffen worden.
Nach einer zuvor noch tendenziell zu erwartender Überbevölkerung deuteten jedoch im Jahr 2480 immer mehr Anzeichen darauf hin, dass die Zunahme der Bevölkerungszahl sich zunächst verlangsamte und dann in allen von Bürgern bewohnten Gebieten massiv rückläufig war. Im Jahr 2540 reichte diese nur noch an die Bevölkerungszahl der vorindustriellen Zeit heran und war weiterhin stark rückläufig. Es dauerte keine zehn Jahre, bis die gemeinsamen Kräfte der Unität erkannten, dass die Ursache hierfür in sich flächendeckend ausgebreiteten, genetischen Veränderungen der Bürgerinnen zu finden war.
Der nach der Befruchtung einnistwillige Fötus konnte in den ersten Wochen nicht mehr von der Plazenta mit ausreichend Nährstoffen versorgt werden. Anschließend über mehrere Jahrzehnte unternommene Versuche, die Plazenta der Bürgerinnen für die Aufnahme des Fötus in den ersten Wochen mit ausreichenden Nährstoffen zu versehen, schlugen fehl. Die Forschungsergebnisse einiger Reproduktionsmediziner - einer in der Vergangenheit bis zu diesem Zeitpunkt eher vernachlässigten Berufsgruppe -wiesen darauf hin, dass außerhalb des Uterus, im Reagenzglas gezeugte Föten, nach vierwöchiger Aufzucht in einer plazentaartigen Nährlösung nach Wiedereinpflanzung in den Uterus der Bürgerinnen eine normale Überlebenshäufigkeit ohne jegliche Geburts- und Entwicklungskomplikationen hatten.
Diese Ergebnisse führten dazu, dass auf dem ganzen Planeten verteilt Reproduktionsstätten gegründet wurden, die mit ihrer Arbeit zu einer Wiederstärkung der Geburtenzahlen und auch der Anerkennung der Arbeit der Reproduktionsmediziner beitrugen. Schnell wurden die Abläufe in den sogenannten Repo-Werken soweit automatisiert, dass jeweils nur noch eine kleine Anzahl von Reproduktionstechnikern den komplexen, aber mittlerweile standardisierten Ablauf in den Werken überwachen musste.
Nach Entnahme der befruchtungsfähigen Eizelle der Bürgerin wurde diese Eizelle an einen sich in hoch-sterilisierter Umgebung befindlichen Auto maten übergeben, der die Befruchtung mit der zuvor erhaltenen Samenspende übernahm. Nach mehrjähriger Optimierung dieses Verfahrens war eine gelungene Befruchtung der Eizelle zu hundert Prozent garantiert. Die anschließend hinter verschlossenen Türen in ebenfalls hoch-sterilisierter Umgebung automatisch durchgeführte Übergabe des befruchteten Eis an die Nährlösung wurde von den werdenden Eltern mittlerweile - genauso wie die sich nach vier Wochen anschließende Wiedereinsetzung in die Gebärmutter - wie ein kleines Fest gefeiert. Hierzu gab es in den Repo-Werken eigene Abteilungen, die sich zunehmend auf die Durchführung der vielen dort stattfindenden Festlichkeiten spezialisiert hatten.
Unter Aufwendung aller vorhandenen Kräfte hatte es die Menschheit geschafft, ihren drohenden Untergang abzuwenden. Hunger und Verfolgung wurden abgeschafft, soziale Ungleichheit weitestgehend beseitigt. Eine vorausschauende, nachhaltige Planung und Ordnung durch die Zentrale, die die Gleichheit aller Bürger als oberste Maxime in sich trug und Bevorteilung Einzelner verbot, schaffte die Grundlage für ein prosperierendes und glückliches und gesundes Leben der meisten Bürger der Unität.
Bei einer durchschnittlich dreistündigen Arbeitszeit der Bürger jeglichen Geschlechts, blieb diesen Freiraum, sich der Weiterentwicklung ihrer individuellen Neigungen und Fähigkeiten zuzuwenden, wobei den Künsten und der Bildung oberste Priorität galt.
Es gab kaum eine Bürgerin oder einen Bürger, die sich nicht zu musischen oder malerischen Künsten hinwendete und nicht auch gleichzeitig den Interessen auf einem wissenschaftlichen Gebiet nachging.
Isano hatte schon früh seine Liebe für das Spielen der Kitara entdeckt. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, dass seine Mutter eine ausgesprochene Meisterin auf diesem Instrument war und daher zahlreiche Arten der Kitara in seiner Familie immer in irgendeiner Ecke des Hauses zu finden waren. Schon als kleiner Junge konnte er stundenlang seiner Mutter zuhören, wie sie manchmal frei improvisierend die sieben Saiten der Kitara zum Klingen brachte, ihn dabei ansah, und als er etwas älter war zum gemeinsamen Musizieren einlud. Als Isano zwölf Jahre alt war, war es mittlerweile üblich, dass er und seine Mutter gemeinsam bei Feiern der Familie oder bei Freunden manchmal kurze oder auch längere Gastspiele mit ihren Kitaras hatten. Und als Isano anfing sich für das andere Geschlecht zu interessieren, half ihm seine eigene Kitara nicht nur einmal dabei, entweder Kontakt mit der Angebeteten aufzunehmen, oder aber auch seinen Kummer nach einer Abweisung durch diese zu besänftigen.
"Hey, pass doch auf!", sagte die junge Frau, die Isano angerempelt hatte. Wie so oft hatte Isano morgens den Beginn seiner Arbeitsphase verschlafen, hastig ein Vitalgetränk heruntergestürzt und musste den Weg zur Arbeit im schnellen Laufschritt auf dem Fußweg zurücklegen. Gedankenversunken war ihm die junge Frau, die seinen Weg kreuzte, nicht aufgefallen. Ihrer beiden Ellenbogen stießen so fest aneinander, dass die junge Frau ins Wanken geriet und gestürzt war. Isano war schon zwei Schritte weiter auf seinem Weg gewesen, kehrte aber sofort um, um seine Hilfe anzubieten.
"Tut mir wirklich leid. Ich habe dich einfach nicht gesehen, weil ich so in Eile war. Meine Arbeitsphase fängt gleich an!", erwiderte Isano, während er gleichzeitig der jungen Frau seine Hand reichte und sie nach oben zog.
"Ja, heutzutage sind alle in Eile", erwiderte die junge Frau und schaute ihr Gegenüber mit prüfendem Blick an. Der junge Mann, der sie umgestoßen hatte, war etwa einen Kopf größer als sie, von eher schlanker Statur und hatte haselnussbraune Augen, über die teilweise Strähnen einer ebenfalls braunen, zerzausten Kurzhaarfrisur glitten. Mit seinen leicht muskulösen Oberarmen erinnerte er sie an die jungen Männer, die sie oft im Kletterdom antraf. Seit ein paar Monaten hatte sie dort mit dem Klettern angefangen.
"Ich heiße übrigens Tela!", hörte sich die junge Frau sagen, hielt Isano die andere Hand hin und war selbst etwas verwundert darüber, dass sie spontan diesem fremden jungen Mann ihren Namen verriet.
"Ich bin Isano!", erwiderte dieser und reichte Tela seine weitere Hand, so dass sie sich nun gemeinsam an ihren beiden Händen hielten. Isano schaute Tela kurz an und dann aber eher schüchtern auf den Boden. Isano kannte sich mittlerweile ganz gut und wusste, dass dies ein ziemlich untrügliches Zeichen dafür war, dass sein weibliches Gegenüber bei ihm durchaus positive Gefühle erregte. Obwohl es ihm sehr missfiel, konnte Isano nicht vermeiden, dass sein Gesicht eine gesteigerte rote Farbe annahm und er stammelte: "Ich arbeite hierim Repo-Werk ... bin leider zu spät aufgestanden. Ich musste mich so beeilen.... Meine Arbeitsphase..."
"Ich arbeite auch dort, in der Biochem-Abteilung und bin auf dem Weg nach Hause. Meine Arbeitsphase ist gerade zu Ende. In welchem Bereich arbeitest du denn?", fragte Tela, merkte, dass sie sich immer noch an den Händen hielten und ließ diese los.
"Bei den Technikern", erwiderte Isano. Er wollte eigentlich nicht gehen, aber gab Tela dann doch zu verstehen, dass er sich beeilen müsste. "Tut mir leid. Ich muss weiter. Ich hoffe, dir ist bei dem Sturz nichts passiert.“
"Ist alles gut", sagte Tela, schnallte ihren Umhängerucksack, der sich etwas gelockert hatte, wieder fester und strich sich reflexartig den nicht vorhandenen Schmutz von der blauen Arbeitshose. Isano merkte, dass seine Gesichtsröte noch nicht ganz verflogen war, schaute daher Tela nur kurz in die Augen und rief im Gehen: "Komm' gut nach Hause. Man sieht sich!"
"Oder auch nicht!", dachte Tela bei sich. Schon oft genug hatten Begegnungen mit einem Spruch in dieser Art geendet, als dass sie sich der unrealistischen Illusionen hingab, dass es diesmal anders seien sollte.
Beide setzten ihren Weg in die jeweils entgegengesetzte Richtung fort, wobei Isano lief, da er sich bemühen wollte, es eventuell noch pünktlich zum Beginn seiner Arbeitsphase zu schaffen. Eine kleinere Verspätung stellte kein Problem dar, aber Isano wollte den anderen Technikern keinen Grund geben, ihn wieder tagelang deswegen mit witzigen Bemerkungen zu überhäufen. Seine Sorge stellte sich als unbegründet dar. Er war gar nicht der Letzte, der zur Arbeitsphase eintraf. Sein Freund Genado traf gerade erst ein, als Isano schon an seinem Pult Platz genommen hatte.
Während dieser Tagesarbeitsphase, die sich nur unwesentlich von den an anderen Tagen unterschied - ein Brutregelprozessor hatte die erwartete Lebensdauer erreicht und konnte, noch bevor der Ersatzprozessor anspringen musste, ersetzt werden - bemerkte Isano an sich wieder diese leichte Unachtsamkeit, von der er wusste, dass sie nicht mit seinem etwas geringeren Schlafpensum zu tun hatte. Er war 24 Jahre alt und hatte - wie die meisten in seiner Altersklasse - mit 20 eine eigene kleine Wohnung im Wohnquartier in der Nähe des Repo-Werks bezogen.
Schon in seiner frühen Jugend hatte sich Isano immer für die technischen Details aller Dinge um ihn herum interessiert, was auch seinen Eltern auffiel.Er konnte sich stundenlang damit beschäftigen, technische Geräte auseinanderzunehmen und dann wieder zusammenzubauen. Selbst schon im Alter von 10 Jahren war es ihm nicht nur einmal gelungen, kleinere Reparaturen an Haushaltsgeräten vorzunehmen. Seine Mutter erzählte bei Familientreffen immer wieder gerne, wie ihr Sohn Isano es geschafft hatte, den Thermodal - ein standardmäßig in jedem Haushalt vorhandener, programmierbarer Essensautomat - an einem Tag vollständig auseinanderzunehmen, zu reinigen und eine defekte innere Verdrahtung durch eine neue zu ersetzen.So konnte die Familie ihr beliebtes Haushaltsgerät noch am selben Tag wieder nutzen, und Isano bekam damals endlich wieder sein Lieblingsessen serviert: gebackene Sojafladen mit Plumo, ein nicht nur bei vielen Kindern beliebter süßer Nachtisch.
So war es fast natürlich, dass sich Isano nach dem Abschluss der Meta für eine Ausbildung zum Techniker einschrieb, die er dann nach 3 Jahren erfolgreich beenden konnte. Er hatte sich zwar zeitgleich auch weiterhin im Spiel der Kitara weitergebildet, hatte dann aber doch mehr Freude daran gefunden, zunächst seiner Leidenschaft für technische Dinge in seinem Beruf nachzugehen.
In dem fast vollautomatisierten Arbeitssystem der Unität, das unter vollkommener staatlicher Obhut stand, war es normal, dass ein Bürger mehrfach seine berufliche Ausübung in Richtung seiner gerade vorherrschenden Neigung und seiner Interessen wechselte. Es war jedem freigestellt sich jederzeit neu zu orientieren, solange er oder sie eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden erfüllte.
Isano war seit nun 4 Jahren im Repo-Werk beschäftigt und verstand sich gut mit seinen Arbeitskollegen, die fast alle auch zu seinem Freundeskreis zählten. Auch Gerano, der heute der Letzte war, der zur Arbeitsphase erschien, gehörte dazu. Er beobachtete Isano, wie dieser gedankenverloren in die Gegend schaute.
"Pass auf, dass der Regulationsregelfluß im Normalbereich bleibt. Ich glaube du müsstest etwas mehr Gol23 dazugeben", sagte Gerano zu Isano und zeigte gleichzeitig auf die Grafik, die auf dem Holo-Desk am Arbeitsplatz seines Freundes zu sehen war.
Isano schaute erst auf Gerano, dann auf sein Holo-Desk und regelte den Zufluss auf die notwendigen Werte nach. Alles lag noch vollkommen im Normal-, aber nicht ganz im Optimalbereich. Hätte die Gefahr bestanden, dass sich das Verhältnis der Nährlösung in einen kritischen Bereich in Richtung außerhalb des Normbereichs bewegen würde, hätte das Holo-Desk seinen Bediener wie immer so frühzeitig informiert, dass dieser rechtzeitig hätte einschreiten können. Die Sicherheitseinrichtung zur Überwachung war so optimiert, dass dies nie der Fall sein konnte. Manchmal hatte sich Isano gefragt, warum für diese Überwachung überhaupt Bürger gebraucht wurden, da im Grund nach auch alles hätte automatisch geregelt werden können. Und er war sich insgeheim sicher, dass es im Notfall auch diese automatische Regelung gab.
"Ich finde es gut, dass wir dadurch keinen Fehler machen können“, meinte Gerano mal in einem Gespräch zu Isano.
"Ich weiß nicht. Irgendwie komme ich mir da aber ganz schön überflüssig vor. Da könnten wir ja auch gleich zu Hause bleiben“, erwiderte Isano damals und Gerano schüttelte nur mit dem Kopf, lächelte und klopfte seinem Freund auf die Schulter.
Dass Isano zuvor nicht auf die Anzeichen seines Holo-Desk geachtet hatte, war aber nicht dieser -aus seiner Sicht - überflüssigen Kontrolle geschuldet. Vor seinem Auge erschien immer wieder diese junge Frau, die ihn anlächelte, als er ihr am heutigen Morgen nach dem gemeinsamen Zusammenstoß seine Hand reichte. Besonders waren ihm die großen, dunklen Augen, die von ein paar Strähnen der grünen Kurzhaarfrisur bedeckt waren in Erinnerung geblieben. Und entgegen seiner sonstigen, manchmal zu häufigen Erinnerungslücken, war ihm der Name der jungen Frau in Erinnerung geblieben.