Sniper Elite: Ein One Way Trip - Scott McEwen - E-Book

Sniper Elite: Ein One Way Trip E-Book

Scott McEwen

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vom Koautor des New-York-Times-Bestsellers American Sniper. ONE TEAM. ONE SHOT. ONE WAY. Gil Shannon ist einer der tödlichsten Scharfschützen der US Navy und ein SEAL mit Leib und Seele. Gerade genießt er mit seiner Frau seinen wohlverdienten Urlaub, als er einen Hilferuf aus Afghanistan erhält. Eine Hubschrauberpilotin des Special-Forces-Teams wurde während eines Hinterhalts schwer verletzt und entführt. Dann taucht ein Video auf, das zeigt, wie die Pilotin während ihrer Gefangenschaft brutal geschlagen und vergewaltigt wird. Die Taliban fordern für Sandra das irrsinnige Lösegeld von 25 Millionen Dollar. Nachdem ein geheimer Einsatz misslingt, will der Präsident die Sache auf sich beruhen lassen. Er fürchtet eine verpfuschte Rettung wäre eine außenpolitische Katastrophe und könnte das Ende seiner Amtszeit sein. Doch Gil Shannon kann Sandra nicht im Stich lassen. Gegen die Weisung des Präsidenten begibt er sich in die Höhle des Löwen – eine Black Operation mit schlechten Chancen. Ein One Way Trip. Ein actiongeladener Militär-Thriller, der durch mitreißende Charaktere und Detailreichtum besticht und einen tiefen Einblick in die riskante Arbeitsweise der US Special Forces gewährt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 512

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Aus dem Amerikanischen von Laura Gutmann

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Sniper Elite: One-Way Trip erschien 2013 im Verlag Touchstone.

Copyright © 2013 by Scott McEwen und Thomas Koloniar

1. Auflage März 2016

Copyright © dieser Ausgabe 2016 by Festa Verlag, Leipzig

Veröffentlicht mit Erlaubnis von Touchstone, ein Unternehmen von Simon & Schuster, Inc.

Lektorat: Katrin Hoppe

Titelbild: Arndt Drechsler

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-440-9

www.Festa-Verlag.de

Vorwort

Ich saß mit zwei SEAL-Team-Kumpels in Danny’s Bar in Coronado, als sie mir einen Mann vorstellten, den sie beide als einen der härtesten Kerle beschrieben, denen sie je begegnet waren. Ich dachte: Diese zwei Typen, mit denen ich hier trinke, sind wahrscheinlich die härtesten Kerle, die ich kenne, wenn sie also diesen Menschen für hart halten, dann muss er es wohl wirklich sein.

Er war etwa 35 Jahre alt, 1,70 groß und wog ungefähr 80 Kilo. Ich werde ihn Gil nennen. Unser Gespräch begann entspannt, man stellte mich als den Koautor des Buchs American Sniper vor und so weiter. Wir tranken ein paar Biere und Gil durchleuchtete mich und meine Beweggründe mit seinen einfühlsamen und scharfsinnigen Fragen. Dann fand ich endlich heraus, warum Gil ›hart‹ war.

Er war während eines einzigen Kampfes von mehr als 15 Kugeln getroffen worden, irgendwo außerhalb eines Stützpunktes. Nach einigen weiteren Drinks zeigte Gil mir die Ein- und Austrittsnarben, die seinen Körper großflächig vom Hals bis zu den Beinen bedeckten. Es waren keine Fleischwunden, sondern direkte Einschläge von 7,62 x 39 Millimeter AK-47-Patronen. Was mich jedoch am meisten bei diesem Gespräch beeindruckte, war, dass Gil nicht auf seine Kriegsverletzungen stolz war, sondern darauf, dass er die ganze Zeit weitergekämpft hatte, bis er ins Lazarett evakuiert wurde.

Dieses Buch ist den Kriegern der SEAL-Teams gewidmet, die immer weiterkämpfen, selbst wenn sie schwer verletzt werden oder einer großen Überzahl gegenüberstehen. Ihre fiktiven Geschichten basieren auf wahren Missionen – sogenannten Black Operations.

Scott McEwen

1

Montana

Das Pferd war eine graue Appaloosa-Stute von vier Jahren namens Tico Chiz, aber Navy Master Chief Gil Shannon nannte sie einfach Tico. Gerade war er bei seiner Frau Marie und seiner Schwiegermutter auf ihrer Pferderanch in Bozeman, Montana, aber sein wahres Zuhause war die Navy. Er verbrachte den größten Teil seines Lebens entweder am Naval Training Center Hampton Roads in Virginia Beach, Virginia, oder in weit entfernten Ecken des Globus, wo er das tat, was Marie – für seinen Geschmack ein wenig zu oft – verächtlich seinen Konzernmeistern dienen nannte.

Das Leben einer Soldatenfamilie war niemals leicht, aber für die Frau eines US Navy SEAL konnte es mitunter die Hölle bedeuten, und auch in seiner Frau sah Gil eine Bitterkeit, die mit jedem Jahr mächtiger zu werden drohte. Die harte Wahrheit war, dass sie nur wenige Gemeinsamkeiten hatten. Ihnen bedeutete Montana so viel wie der nächste Atemzug, sie hatten beide Pferdeblut in den Adern und die sexuelle Anziehung zwischen ihnen schien manchmal stärker als das Gravitationsfeld der Erde zu sein.

Er setzte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich gerade in den Sattel, als Marie den Stall betrat. Sie trug Jeans, Boots und eine kastanienbraune Carhartt-Jacke. Er betrachtete sie bewundernd, tippte sich an die Hutkrempe und sagte, ein Lächeln in den blauen Augen: »Ma’am.«

Seine Frau lächelte zurück auf dieselbe schüchterne Art, wie sie es immer tat, nachdem sie sich geliebt hatten. Ihre braunen Augen funkelten, ihr langes braunes Haar war lose geflochten. Sie war 36, ein Jahr älter als ihr Ehemann, und ihm geistig mindestens ebenbürtig. Mit verschränkten Armen lehnte sie sich an einen Pfeiler, der voller Zaumzeug hing. »Dir ist klar, dass das Pferd wahrscheinlich nicht mal mehr deinen Namen weiß, seit du das letzte Mal hier warst.«

Gil grinste und lenkte Tico zu der Wand hinüber, von der er eine Browning .300 Winchester Magnum nahm, die mit einem 3x24-Nightforce-Visier ausgestattet war. »Bin mir gar nicht so sicher, dass sie ihn jemals gekannt hat.« Er steckte das Gewehr in die Tasche am Sattel. »Dieses selbstbezogene Biest.«

»Du weißt, dass da draußen nichts ist, was dir etwas antun kann.«

»Na ja, trotzdem, ich hab’s einfach gern dabei«, erwiderte er leise. Er widersprach ihr nur ungern, ihre Zeit zusammen war immer zu knapp.

Sie zog warnend eine Augenbraue hoch. »Gil Shannon, du lässt die Finger von meinen Elchen.«

Ertappt lachte er auf und zog einen Beutel Tabak aus der Hemdtasche, um sich eine Zigarette zu drehen. Die Prozedur hatte etwas Zen-artiges, das ihm half, bei sich zu bleiben, wenn die Wellen der Angst gegen sein Boot schwappten. Die Realität war leider, dass das Leben auf der Ranch für ihn zu langsam war, zu geordnet und sicher, und manchmal fühlte er sich, als müsste er aus seiner eigenen Haut kriechen. Natürlich begriff er, woran es lag. Er war als Nachkomme eines Kriegers aufgezogen worden und so trug er den emotionalen Ballast mit sich herum, den man von dem Sohn eines Green Beret, eines Soldaten der Special Forces, der mehrere Einsätze in Vietnam geleistet hatte, erwarten konnte. Dennoch war er sehr stolz auf seine Herkunft und hatte sich bewusst für den Militärdienst entschieden, der ihn den größten Teil seines Erwachsenenlebens weit weg vom Montana seiner Kindheit führen würde. Montana würde immer da sein, sagte er sich, und wenn er endlich zu alt wäre, um für die Navy rennen, springen und schwimmen zu können, dann würde er sich hierher zurückziehen und sich mit Marie endgültig niederlassen, in dem Wissen, dass er alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um sein großartiges Land zu verteidigen.

Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und lächelte seiner Frau zu. »Keine Sorge. Der alte Spencer meinte, ich kann jederzeit auf seinem Land jagen.«

Marie wusste, dass ihr Mann Geister in sich trug, die er tief versteckte. Sie sah sie in den Schatten, die in jenen schmerzhaften Momenten über sein Gesicht huschten, wenn er sich unbeobachtet glaubte.

»Verstehe«, gab sie nachdenklich zurück. »Also willst du in die höheren Lagen.«

Er zog an der Zigarette und blies den Rauch durch die Nase. »Ich bleibe unterhalb der Schneegrenze. Keine Sorge.«

»Ich mache mir nie Sorgen, wenn du daheim bist«, erwiderte sie, trat vom Pfeiler weg und legte die Hand auf sein Knie. »Ich hab dir schon gesagt, da draußen ist nichts, was dir etwas tun kann. Hier in Montana tankst du Kraft.«

Er beugte sich hinunter, um sie zu küssen, ehe er sich wieder in seinem Sattel aufrichtete. »Hast du Oso heute schon gesehen?«

»Hinterm Haus. Er passt auf die Fohlen auf – er glaubt, es seien seine.«

Gil zwinkerte ihr zu und drückte der Stute die Hacken in die Flanken, um sie aus der Tür zu bewegen. Als er um die Ecke bog, sah er den Chesapeake Bay Retriever an der Koppel sitzen, auf der zwei gescheckte Fohlen mit ihren Müttern standen.

»Oso!«, rief er und der Hund kam zu ihm getrabt. Sein Name war eigentlich Oso Cazador – Bärenjäger – und er hatte Gils verstorbenem Freund Miguel gehört, der ihn als Grizzly-Jäger aufgezogen hatte und mit ihm im Hochland von Yellowstone auf die Jagd gegangen war. Im letzten Jahr war Miguel an Krebs gestorben und seine Tochter Carmen war mit Oso bei der Beerdigung aufgetaucht und hatte Gil gefragt, ob der Hund bei ihm auf der Ranch leben könnte, weil ihre Wohnung in L. A. einfach zu klein für so ein großes Tier wäre. Marie hatte die Leine genommen, bevor Gil auch nur darüber nachdenken konnte, und hatte Oso in der Familie willkommen geheißen. Es war ein gutes Abkommen – Oso hielt die Kojoten von den Fohlen fern, passte auf Marie und seine Schwiegermutter auf, wenn Gil fort war, und konnte Wild auf große Entfernungen erkennen.

Um ehrlich zu sein, war er eine Art Teufelshund. Sobald Gil nicht daheim war, verhielt sich Oso Marie gegenüber extrem beschützerisch, und wenn er glücklich war, zeigte er seine Zähne – eine Art bedrohliches Hundelächeln, das manchmal schwer zu deuten war. Irgendwie erinnerte er Gil an die jungen SEALs, mit denen er arbeitete: leidenschaftlich loyal, intelligent, sportlich und furchtlos, aber mitunter höllisch stur. Und wie diese jungen Männer versuchte auch Oso gelegentlich, Gil seinen Platz in der Hierarchie streitig zu machen. Es war die reine Willenskraft, mit der Gil sowohl Menschen als auch Tieren seinen Alphastatus aufzwingen konnte. Diesen eisernen Willen hatte er von seinem Vater geerbt und dafür war er dankbarer als für jeden anderen Charakterzug. Er war weder der Stärkste in den DEVGRU-Teams, noch der Größte oder der Schnellste, nicht einmal der beste Schütze, aber bei zahllosen brenzligen Situationen an der Front hatte es ihm allein sein Wille ermöglicht, da Erfolg zu haben, wo Männer von scheinbar größerem körperlichem Können gescheitert waren.

Aus diesem Grund sah man ihn oft als den Mann an, zu dem man mit heiklen Dingen ging.

Er lenkte das Pferd herum und machte sich im Trab in Richtung Hochland auf. Oso hielt sich für gewöhnlich im Schatten des Pferdes, selbst wenn das Wetter kühl war, und auch wenn Gil sich nicht ganz sicher war, so glaubte er doch, dass hinter diesem Verhalten die Einsicht steckte, so nicht von der Sonne geblendet zu werden.

Nach 20 Minuten passierten sie das Gatter am westlichen Ende der Ranch und Gil hielt an, um sich eine weitere Zigarette zu drehen. Während er rauchte, zog er einen Hundekuchen aus der Tasche und warf ihn zu Oso hinab, der sofort ein flaches Loch grub, den kleinen Knochen hineinfallen ließ und mit der Nase die Erde wieder darüberschob. Dann setzte er sich auf und bellte, damit Gil ihm noch einen gab.

Der lächelte, zog tief an seiner Kippe und warf erneut einen Hundekuchen hinunter, den Oso diesmal sofort auffraß.

Zwei Stunden später erreichten sie den Grat eines Bergrückens. Gil stieg vom Pferd, behielt die Zügel in der Hand und ließ den Blick über Spencer Valley unter ihm schweifen. Er wusste, dass dort unten Elche waren, die sich vorsichtig im Unterholz bewegten. Bald würde die Brunftzeit anfangen und sie würden unvorsichtig werden, aber noch hielten sie sich versteckt, und so jagte Gil sie am liebsten. Seiner Meinung nach war es keine besondere Heldentat, ein von Hormonen aufgekratztes Tier zu töten, das laut röhrend herumrannte und einen regelrecht zum Schießen aufforderte.

Ein großer Elchbulle tauchte plötzlich zwischen den Bäumen zu seiner Linken auf, keine 100 Meter hangabwärts. Oso duckte sich, um anzuzeigen, dass er ihre Beute gesehen hatte.

Gil zog die Flinte aus der Gewehrtasche, nahm die Schutzkappen vom Zielfernrohr und hob die Waffe an die Schulter, um das Tier genauer zu betrachten. Der Bulle, ausgewachsen und gut bestückt, ein Zehnender, kaute vollkommen sorglos ein Maulvoll Gras. Gil setzte die Kappen wieder auf die Linsen und steckte das Gewehr zurück. Auf 100 Meter konnte er das Tier beinahe mit einem Stein erwischen. Er vergeudete nie eine Kugel auf Wild, das weniger als 500 Meter entfernt war – die Herausforderung war ihm wichtiger als die Ausbeute.

Er band Ticos Zügel an einen abgestorbenen Baum in der Nähe und nahm ihr den Sattel ab. Dann goss er für Oso Wasser in einen Blechnapf und machte für sich selbst hinter dem Sattel einen Platz auf dem Boden frei. Nachdem er seine Feuerstellung vorbereitet hatte, holte er das Gewehr und ließ sich zum Warten nieder. Er wägte die leichte Brise ab, rechnete unbewusst verschiedene Zielbereiche im Tal durch – selten benutzte er dafür noch konkrete Zahlen, die Berechnungen liefen so automatisch durch seinen Kopf wie zwei plus zwei gleich vier.

Nach 40 Minuten stand Oso auf und starrte direkt ins Tal hinab.

Gil nahm die Waffe und suchte weit unter ihnen das Gebiet ab – er erspähte einen jungen Vierender, der breitseitig an der Baumgrenze 900 Meter hangabwärts stand, bei einer Neigung von 30 Grad. Das Zielfernrohr des Gewehrs war so eingestellt, dass es das Abfallen der Kugel auf ebenem Grund ausglich, also wusste Gil, ohne darüber nachzudenken, dass er ein wenig tiefer zielen musste, als er es sonst tun würde, um die voreingestellte Kompensation auszugleichen. Diese Taktik war eines der Dinge, die viele der jungen SEAL-Team-Rekruten nur schwer begriffen.

Er richtete das Fadenkreuz auf den Kamm der Wirbelsäule des Bullen, knapp hinter dem Schulterblatt, wo die 7,62-Millimeter-Kugel einschlagen sollte. Dann zielte er leicht unterhalb davon, als würde er etwas anvisieren, das nur etwa 700 Meter entfernt war anstatt 900. Diese Art des Schießens konnte man nicht wirklich lehren. Dies war jene Präzision, die man erst nach Tausenden tatsächlich abgegebenen Schüssen entwickelte. Wenn Gil auch nur die leiseste Befürchtung gehabt hätte, dass die Kugel das Tier verstümmeln oder ihm Schmerzen verursachen würde, hätte er einfach auf das viel leichter zu treffende Herz gezielt.

Als er flach einatmete und sich darauf vorbereitete, den Abzug zu drücken, geschah es wieder – die Erinnerung an seinen ersten Abschuss kam in voller Farbe zurück …

Der Zweite Irakkrieg war erst einen Monat alt. Gil und sein Partner Tony waren in eine kleine Stadt außerhalb von Bagdad gerufen worden, um dort den Druck auf zwei Kompanien von Marines zu reduzieren, die von feindlichen Scharfschützen dezimiert wurden. Einer der Marines-Scharfschützen war bereits tot und ihre Moral erlahmte auf jene Weise, wie sie nur feindliches Sniper-Feuer verursachen konnte. Also hatte der kommandierende Offizier taktische Unterstützung angefordert und eine halbe Stunde später warf ein Cayuse-Hubschrauber Gil und Tony im Rücken der Marines ab. Während sie sich nach vorn arbeiteten, über fünf Blocks der Hölle, sammelten die beiden SEALs von den Bodentruppen aktuelle Informationen.

Bis sie die vorderen Stellungen der Marines erreichten, hatte Tony die Positionen aller 13 verwundeten und toten Marines auf seiner Karte markiert. Er packte Gil am Ellbogen und zog ihn in eine Betongarage, die guten Schutz versprach.

»Okay, schau«, begann Tony und ließ sich auf ein Knie sinken, um die Karte auf dem anderen auszubreiten. »Siehst du dieses Tötungsschema? Es ist nicht willkürlich. Das bedeutet, es ist nur ein Typ, Gil. Und er zieht sich in einer Art Zickzack zurück, siehst du?« Er zog den Finger auf dem Raster hin und her, um seine Hypothese zu verdeutlichen. »Er bewegt sich von Ecke zu Ecke, um ein offenes Schussfeld zu behalten – und all unsere Marines mit Kopfschüssen sind in dieser immer kleiner werdenden Kill Zone. Der Scheißkerl lässt sie ausbluten, und bis unsere Jungs die andere Seite der Stadt erreicht haben, werden sie noch weitere zehn verlieren. Und dann wird dieses Hadschi-Arschloch einfach verschwinden – aber das werden wir Scheiße noch mal nicht zulassen!« Schnell faltete er die Karte zusammen und ließ sie in seiner Panzerweste verschwinden. »Also müssen wir jetzt den Kommandeur dieser Jarheads finden und ihn dazu bringen, den beschissenen Vormarsch zu stoppen, bevor die Dämmerung einsetzt – noch besser wär’s, wir kriegen die Jungs dazu, sich gleich ein oder zwei Blocks zurückzuziehen. Das würde diesen Hadschi-Wichser direkt zu uns zurücklocken. Dann trittst du ihm auf den Schwanz und ich schneid ihm seine Eier ab!«

Als sie aus der Garage kamen, bogen ein Navy-Sanitäter und zwei Krankenträger um die Ecke, zwischen sich einen jungen Marine, dessen Gesicht komplett weggeschossen war.

»Setzt ihn ab!«, rief der Sanitäter plötzlich. »Ich muss seine verdammten Atemwege frei machen!«

Gil stand vor dem sterbenden Marine, starrte auf die formlose Masse aus Fleisch, wo einmal das Gesicht des Jungen gewesen war, und konnte nicht fassen, dass ein Mann ohne Gesicht überhaupt noch am Leben war.

Der Sanitäter machte hastig einen Luftröhrenschnitt, dann hoben die Männer die Bahre wieder an und liefen die Straße hinunter auf den sich nähernden Rettungshubschrauber zu.

»Los jetzt!« Tony klatschte Gil auf die Schulter. Die beiden machten sich auf die Suche nach dem Major der Marines, der für die Eroberung des Ortes zuständig war. Ihn zu überzeugen, zwei Blocks von hart erkämpftem Land aufzugeben, war für Tony ein schweres Stück Arbeit.

»Sehen Sie, Major, bei allem Respekt, Sir, Sie haben uns gerufen. Ich sage Ihnen, wie wir diesen Hadschi-Bastard umlegen können. Wenn Sie sich nur zwei Blocks zurückziehen, Sir, werden diese Wichser denken, dass sie diesen verdammten Kampf gewinnen. Und ihr beschissener Scharfschütze wird der Versuchung nicht widerstehen können, diese Eins-a-Stellung zurückzuerobern.« Tony deutete auf die Luftaufnahme an der Wand des Kommandopostens. »Sir, ich bin mir absolut sicher, dass er genau hier war, als er sechs von Ihren Marines in weniger als zehn Minuten ausgeschaltet hat.«

»Wo haben Sie vor, ihm aufzulauern?«, wollte der Major wissen.

Tony zeigte auf ein hohes Gebäude in der Mitte des Blocks, südlich der Stelle, wo sie das Schützennest vermuteten. »Wir werden hier eine hoch gelegene Stellung einnehmen, Sir, mit einem ausgezeichneten Blick auf sein Nest.«

Der Major sah zu seinem Captain hinüber. »Was meinst du, Steve?«

Der Captain fixierte Tony. »Ihnen ist doch klar, dass dieses Gebäude wieder in die Hände des Feindes fallen wird, wenn wir uns zurückziehen. Sie werden abgeschnitten und umzingelt sein.«

Tony lächelte. »Nur kurz.«

Der Captain nickte und wandte sich an den Major. »Wenn ich das Kommando hätte, Sir, würde ich seinen Rat befolgen. Er scheint zu wissen, wovon er redet.«

»Okay«, willigte der Major ein. »Wie lange werden Sie brauchen, um in Stellung zu gehen?«

»Sollte nicht länger als 15 Minuten dauern. Danach können Sie mit Ihrem Rückzug anfangen. Der Scharfschütze müsste sich dann aus einer von diesen zwei Gassen nähern, um die Position wieder einzunehmen. Und wenn er es tut, werden wir ihn einsacken.«

20 Minuten später waren Gil und Tony am Ziel und hatten den perfekten Blick auf das Schützennest in einem Eckladen. Sie beobachteten aus ihrer gut versteckten Deckung auf dem Dach eines dreistöckigen Apartmenthauses heraus, wie die Marines sich zurückzogen. Binnen zehn Minuten würden sie allein und bald von den feindlichen Truppen umzingelt sein, die das Land wieder einnahmen, das sie in der ersten Tageshälfte verloren hatten.

»Wir könnten jetzt einen Haufen von den Typen einfach abknallen«, meinte Gil und beobachtete durch das Zielfernrohr seines M21 – das halbautomatische Scharfschützengewehr, das er damals noch benutzte –, wie der Feind sich auf den leeren Straßen auf sie zubewegte.

»Und genau darauf wartet der Hadschi-Schütze«, widersprach Tony verbittert, den Blick weiterhin konzentriert nach unten gerichtet. »Er wartet ab, ob einer unserer Scharfschützen diese beschissene Entenjagd ausnutzt. Gib ihm Zeit. Halt die verfluchten Augen offen nach einem Hadschi mit einem Dragunow. Das ist der Typ, den du suchst.«

Gils Blick fuhr herum. »Den ich suche?«

Tony grinste. »Kann mir keinen besseren Schwanz denken, an den du deine Jungfräulichkeit verlieren könntest, Gilligan.«

Gils Hände wurden augenblicklich feucht. Er spähte wieder durch sein Zielfernrohr und betrachtete sorgfältig jeden Mann, der in sein Blickfeld wanderte, ihre Waffen, Bärte und Gesichter, vielfarbige Shemaghs, die im Wind wehten, während ihre Träger mutig voranschritten. Viele von ihnen lachten und gestikulierten aufgeregt im Glauben, dass sie die Marines dazu zwangen, die Stadt aufzugeben.

Ein Mann in Grün und mit einer Waffe, die länger als die normale AK-47 war, huschte aus einem Waschsalon und verschwand unter einer Markise.

»Hast du das gesehen?«, fragte Gil. »Sah aus, als ob sich ein Typ mit einem Dragunow gerade unter das Vordach da verdrückt hätte.«

Das Dragunow war ein halbautomatisches 7,62-Millimeter-Gewehr, das die Sowjets seit 1963 benutzt hatten. Obwohl es ursprünglich nicht als Scharfschützengewehr entwickelt wurde, war diese robuste Waffe, die mit einem Zielfernrohr eine Reichweite von bis zu 1300 Metern hatte, doch zur bevorzugten Wahl der Sniper im Nahen Osten geworden.

»Hatte er ein Zielfernrohr?«

»Nein, aber der Schaft war mit Stoff umwickelt.«

»War wahrscheinlich nur ein RPK«, schnaubte Tony. »Unser Mann schießt garantiert nicht mit Kimme und Korn.«

Ein RPK-74 war ein leichtes Maschinengewehr, das wie eine AK-47 in Übergröße aussah.

Ein wenig später huschte die dunkelgrüne Gestalt unter der Markise hervor und dieses Mal steckte ein Zielfernrohr an seinem Gewehr. »Ich hab ihn!«, zischte Gil – aber er konnte ihn nicht gut genug anvisieren, denn der Schütze lief vorsichtig von Laden zu Laden die Straße hinunter.

»Ich hab’s dir verdammt noch mal gesagt! Er will die beschissene Position wieder einnehmen. Hab einfach Geduld und lass ihn direkt in dein Fadenkreuz kommen. Er muss dir den Rücken zudrehen, wenn er die Treppe hochsteigt – dann holst du ihn dir.«

Der feindliche Scharfschütze spähte noch einmal die Straße auf und ab, ehe er jedes Dach mit den Augen abtastete – ohne den Hauch einer Chance, Gil oder Tony in ihrem Versteck zwischen dem Schutt der Gebäude zu entdecken. Echsenschnell flitzte er über die Straße auf die Treppe zu, die außen an dem Gebäude hochführte, das er besetzen wollte.

Er sprintete die Stufen hinauf und präsentierte Gil seinen Rücken in 200 Metern Entfernung.

»Sack ihn ein«, flüsterte Tony ruhig und beobachtete den Schützen durch sein eigenes Fadenkreuz, falls Gil nicht traf.

Gil zielte auf die Wirbelsäule im Nacken und drückte ab. Der Scharfschütze war sofort tot, krachte auf die Knie und fiel rückwärts die Treppe hinunter.

»Ernte den Sturm, Wichser!« Tony klatschte Gil auf die Schulter. »Wenn der Kampf vorbei ist, werden wir das Arschloch finden und dir aus seinem Lauf deinen Keilerzahn holen.« Er meinte die Kugel aus dem Gewehr des Feindes, die für Gil bestimmt war, da sie ihn getötet hätte, wenn er ihn nicht zuerst erwischt hätte.

Jetzt lag Gil in seiner Stellung hinter dem Sattel und beobachtete, wie der Elch sich anmutig durch das Gras bewegte. Das Tier hielt inne, um die Luft zu prüfen. Gil atmete einmal kurz ein und drückte den Abzug. Die Kugel durchtrennte die Wirbelsäule des Elches im Nacken knapp vor der Schulter und er brach, ohne je zu wissen, was geschehen war, tot zusammen.

2

Afghanistan,

Provinz Nangarhar

Warrant Officer Sandra Brux saß rauchend in der offenen Tür ihres UH-60M Black Hawks und plauderte mit ihrem Kopiloten Warrant Officer Billy Mitchell neben sich. Sandra war 29, hatte dunkles Haar und blaue Augen und war eine ausgezeichnete Hubschrauberpilotin, die gerade ihre dritte Tour im Nahen Osten antrat. Sie beobachteten ein Team von sechs US Army Rangers beim Training für ihre nächste Operation, ein ›Snatch ’n’ Grab‹, das als Nachteinsatz für die kommende Woche geplant war. Sandra und Mitchell waren beide Night Stalkers, Piloten für SOAR, das elitäre 160th Special Operations Aviation Regiment, das regelmäßig sowohl mit der Army als auch den Naval Special Forces zusammenarbeitete. Sie galten in der gesamten verschworenen Spec-Ops-Gemeinschaft als die Besten der Besten und waren die Teufelskerle der Lüfte, auf die sich die Teufelskerle am Boden verließen, und Sandra war die erste Pilotin, die zum Mitglied ernannt worden war.

Die Rangers manövrierten durch eine wackelige Sperrholzkulisse, die ein Dorf darstellen sollte, und tüftelten das Timing ihres Angriffs aus. Da es 50 Meilen von der Front entfernt war – soweit man in dieser gottverlassenen Gegend von einer Front reden konnte –, galt das Übungsgelände als sicher. Die Mission hatte die Festsetzung eines muslimischen Geistlichen namens Aasif Kohistani zum Ziel, der in einem kleinen Dorf im Norden der Nangarhar-Provinz lebte. Kohistani war der Anführer einer islamistischen Partei, die sich Hizb-i Islami Khalis oder einfach HIK nannte. Die HIK gewann im afghanischen Parlament immer mehr an Einfluss und die neuesten Geheimdienstberichte deuteten darauf hin, dass Kohistani nun mit den Taliban arbeitete, um angesichts des geplanten amerikanischen Abzugs seine wachsende militärische Präsenz in und um Nangarhar zu sichern.

Logischerweise konnten die amerikanischen Streitkräfte ihren geplanten Abzug nicht vollziehen, wenn die HIK- und Taliban-Kräfte wieder erstarkten, also war es notwendig, Kohistani zu entfernen, bevor er so mächtig wie der bereits lästige Gulbuddin Hekmatyar wurde, der die HIG, die Hizb-i-Islami-Gulbuddin-Fraktion im Shok-Tal am Hindukusch leitete. Sowohl die HIK als auch die HIG hatten im letzten Jahr deutlich an parlamentarischem Einfluss gewonnen und beide standen den afghanisch-amerikanischen Beziehungen aufs Aggressivste ablehnend gegenüber.

Sandra schnippte ihre rauchende Kippe weg, lehnte sich nach hinten, bis sie auf dem Deck ihres Hubschraubers lag, und schloss die Augen. Mit einem Lächeln dachte sie daran, wie sie und der Teamleiter der Rangers, Captain Sean Bordeaux, sich in der vorherigen Nacht auf dem Luftstützpunkt vor Jalalabad einen heimlichen One-Night-Stand geleistet hatten. Es war für sie beide ein notwendiges Stelldichein gewesen, denn ihre beiden Ehepartner waren am anderen Ende der Welt. Sechs Monate ohne Sex mochten für jeden eine lange Zeit sein, aber ihre Jobs waren extrem anstrengend und dieser Stress wurde durch die ungewöhnlich starke Anziehung zwischen ihnen – für die niemand außer Mutter Natur etwas konnte – noch schlimmer. Diese sexuelle Spannung war nun entschärft. Sie konnten beide wieder viel klarer denken und ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre jeweiligen Missionen richten.

»Hey, hast du von Beth gehört?«, fragte Sandra.

Mitchell blinzelte in die Morgensonne und sah zu, wie die Rangers ihre Ausgangspositionen wieder einnahmen und noch einmal in das Dorf ›eindrangen‹. Sandra und er waren die einzigen Sicherheitskräfte für diese Mission. Er zog nachdenklich an seiner Zigarette und dachte an seine Frau, die weniger als eine Woche vor der Niederkunft stand.

»Gestern Nacht«, antwortete er. »Sie meinte, sie könne jeden Moment werfen. Könnte jetzt gerade passieren, wer weiß. Warum habt John und du eigentlich keine Kinder?«

Sie hob den Kopf und starrte ihn an. »Sehe ich so aus, als wäre ich bereit, Kinder zu bekommen?«

Er lachte. »Tja, ich schätze, bei euch ist es ein bisschen anders.«

»Das kann man wohl sagen.« Sie richtete sich auf und stützte sich auf die Ellbogen. »Ich meine, wir sehen uns nur ungefähr vier Monate im Jahr. Manchmal frage ich mich, warum wir überhaupt …«

Eine Maschinengewehrsalve pfiff quer über die Nase des Black Hawk und Kugeln heulten durch die Luft.

»Was zur …«, fluchte Mitchell und griff nach seinem M4. »Feindkontakt!«

»Achtung!«, schrie einer der Rangers vom hinteren Ende des Pseudo-Dorfes.

Die ersten Mörser schlugen in den Boden, ihr unheilvolles Knattern zerriss die Luft. Zwei weitere Geschosse folgten und die wackligen Gebäude-Attrappen flogen auseinander wie Kartenhäuser. Die beiden Rangers, die ihnen am nächsten waren, sprangen auf und sprinteten auf den Hubschrauber zu. Eine Granate schlug genau vor ihnen ein und sie verschwanden.

»Scheiße!« Sandra hechtete in das Cockpit. »Wo zum Teufel sind die hergekommen? Wir sind mitten im verdammten Nirgendwo!«

»Wir müssen dieses Mistding vom Boden bekommen!« Mitchell kletterte hinter sie zum Maschinengewehr. »Hier sind wir beschissen leichte Beute!«

Die übrigen vier Rangers rannten durch das Dorf auf sie zu, aber sie waren immer noch ein paar Hundert Meter entfernt. Sandra legte die Schalter im Cockpit um und die Rotoren begannen sich zu drehen. »In 60 Sekunden sind wir in der Luft!«

»Wir haben keine 60 …!«

Ein Mörser traf das Heck des Hubschraubers mit solcher Wucht, dass das hintere Ende des Vogels in die Luft gerissen wurde und unkontrolliert hin und her schwankte. Mitchell wurde gegen die Trennwand geschleudert, seine Stirn platzte auf. Sandra flog aus ihrem Sitz auf die andere Seite des Cockpits. Das Geräusch von Handwaffenfeuer erfüllte die Luft. Als sie versuchte, über das Funkgerät nach Hilfe zu rufen, pfiffen Kugeln durch den Rumpf des Hubschraubers.

Mitchell packte sie am Arm. »Er ist im Arsch! Wir müssen hier raus!«

Eine Kugel traf ihn mitten in die Brust und er brach tot auf dem Deck zusammen.

Captain Bordeaux sprang ins Cockpit, griff Sandra am Kragen und schleifte sie inmitten eines Kugelhagels hinaus. Sie wurden beide getroffen und fielen aus der offenen Tür. Die anderen drei Rangers gingen, so gut sie konnten, nahe des Hubschraubers in Deckung, aber es sah aus, als ob sie vollkommen umzingelt waren, und die Deckung hinter den Felsen war bestenfalls spärlich.

»Konntest du nach Hilfe rufen?«, fragte Bordeaux, während er auf eine Baumgruppe feuerte, um den Feind zu zwingen, an Ort und Stelle zu bleiben.

»Sie haben als Erstes das Funkgerät ausgeschaltet«, keuchte Sandra und versuchte vergeblich, den Schmerz in ihrem Oberschenkel zu ignorieren, den die Salve einer AK-47 erwischt hatte. »Ich glaube, es ist direkt bis zum Knochen, Sean. Scheiße! Es tut beschissen weh.«

Bordeaux griff sich Mitchells M4 und drückte es ihr in die Hand, bevor er sie halb tragend, halb schleifend zu den Felsen schaffte, hinter denen seine Männer sich abmühten, mit den Kolben ihrer Gewehre ein Loch zu graben. »Wir sitzen tief in der Scheiße, Leute. Keine Deckung und wir können nirgendwohin.«

Einer der Männer machte sich daran, einen Druckverband an Sandras Bein anzulegen. Sie verfiel zusehends in einen Schockzustand und ihr Bewusstsein schwand rapide.

»Wir sollten uns lieber schnell etwas einfallen lassen«, bemerkte einer der Ranger. »Sobald sie ihre Mörser richtig einstellen, sind wir tot.«

»Das hätten sie schon längst tun können«, widersprach Bordeaux. »Die wollen uns lebend einsacken.«

»Oder sie«, meinte ein Sergeant namens Tornero.

»Oder sie, ja.« Bordeaux spuckte angewidert aus. Ihr Funker war direkt in die Hölle gesprengt worden und es würde noch mindestens eine Stunde dauern, vielleicht sogar zwei, bevor irgendjemand versuchen würde, sie zu erreichen, und dann auf die Idee käme, einen weiteren Helikopter zu schicken. Dies hätte eigentlich eine sehr sichere Zone sein sollen, darum hatte man sie überhaupt für dieses Manöver ausgesucht. Irgendetwas war faul. »Ich weiß nicht, Jungs, es fühlt sich an, als hätten sie auf uns gewartet.«

Tornero stopfte gerade Watte in eine Schulterwunde. »Tja, so wie die im Hauptquartier über die Aktion getratscht haben, überrascht mich das verdammt noch mal gar nicht.«

»Es gefällt mir nicht, eine Frau bei dieser Scheiße dabeizuhaben«, murmelte Bordeaux.

»Vielleicht könnt ihr mich eintauschen«, stöhnte Sandra und kämpfte gegen den Brechreiz an.

Ein weiterer wütender Feuersturm brach los und zwang sie alle, sich bäuchlings auf die Erde zu drücken, während der Feind immer näher rückte.

»Es sind mindestens 20!«, schrie einer der Rangers und brachte es endlich fertig, einen von ihnen zu erschießen. »Sie ziehen die Schlinge enger!«

Bordeaux wusste, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Es war Zeit, sich entweder zu ergeben oder zu versuchen, querfeldein auszubrechen, und das konnten sie nicht tun, ohne Sandra zurückzulassen.

»Sergeant, ihr drei rennt zu der Deckung da drüben!«, befahl er. »Es geht nicht anders. Versucht, euch zu den eigenen Linien durchzukämpfen. Ergeben ist hier keine Option!«

Tornero wechselte einen Blick mit den zwei anderen Mitgliedern des Teams und sie schüttelten alle drei den Kopf. Er sah Bordeaux an und grinste. »Ich denke, wir bleiben, Captain.«

»Ich hab gesagt: Rennt los!«

Tornero richtete sich auf, gerade lang genug, um eine Granate zu werfen, und duckte sich wieder. »Sie können uns vors Militärgericht zerren, wenn wir so lange leben, Sir, aber wir bleiben.«

»Sture Ärsche«, murmelte Bordeaux und robbte los, um einen besseren Blick auf die Deckung im Norden zu bekommen. Drei feindliche Kämpfer hatten bereits die Mulde besetzt und sie feuerten los, sobald sie sein Gesicht sahen. Er riss den Sicherungssplint aus einer Granate und schleuderte sie in ihre Richtung, dann sah er zu, dass er zu den anderen zurückkam. Er wurde noch zweimal getroffen, einmal im Arm und einmal in die Ballistikeinlage seiner Schutzweste auf dem Rücken. Die Granate ging mit einem scharfen Knall hoch, Körperteile wurden in die Luft geschleudert. Bordeaux und all seine Männer sprangen auf und feuerten gebückt in alle vier Himmelsrichtungen, während der Feind immer aggressiver auf sie zuhielt.

Einer der Rangers wurde direkt im Gesicht getroffen und fiel hintenüber.

Bordeaux wusste, dass ihnen nur noch Sekunden blieben, also feuerte er, bis das Magazin seines M4 leer war, dann riss er seine M9-Pistole aus dem Holster und richtete sie auf Sandra.

Sie zwinkerte ihm zu und bedeckte mit der Hand ihre Augen.

Einen Sekundenbruchteil zögerte er, als er an die vergangene Nacht denken musste, dann drückte er den Abzug.

Eine 7,62-Millimeter-Kugel blies die Seite seines Kopfes weg und die Kugel aus seiner Pistole schlug im Boden neben Sandras Schulter ein, als er auf die Knie fiel.

Sergeant Tornero wirbelte herum, um auf den Mann zu feuern, der Bordeaux getötet hatte, und pumpte ihn vom Schritt bis zum Hals voller Blei, bevor er selbst mehrmals in Panzerung, Gliedmaßen und Eingeweide getroffen wurde. Er kippte vornüber auf Hände und Knie, die Kugeln schlugen weiter auf ihn ein, er würgte Blut hervor und kroch verzweifelt vorwärts, um Sandras Körper mit seinem eigenen zu schützen.

Sandra versuchte gerade, Torneros Pistole aus dem Holster zu ziehen, als der verschwommene Umriss eines Taliban-Kämpfers seinen Schatten auf sie warf. Er trat auf ihre Hand, griff nach unten und riss die Pistole aus dem Holster, warf sie einem seiner Männer zu und zog dann Torneros Leiche beiseite. Er sprach ruhig auf Paschtu, wies auf die amerikanischen Waffen auf dem Boden und befahl, sie aufzusammeln. Sie nahmen den Rangers rasch alles ab. Schutzwesten, Munition, Stiefel, Geld, Erkennungsmarken – einfach alles.

Sandra war schon ziemlich weggetreten, als sie gerade noch bemerkte, wie man sie auf die Schulter eines untersetzten, muskulösen Mannes hob. Einmal öffnete sie kurz die Augen und sah die Erde unter sich vorbeiziehen, die Fersen ihres Entführers, die in Sandalen steckten und sich hin und her bewegten, während er ging.

Sie liefen den ganzen Tag lang und wechselten sich damit ab, ihre Gefangene auf das Vorgebirge nahe der pakistanischen Grenze zuzutragen. Irgendwann nach Anbruch der Nacht wachte Sandra auf und fand sich auf der rumpelnden Ladefläche eines Pick-ups wieder, der in die Berge des Hindukusch hinauffuhr. Sie murmelte, dass ihr kalt sei, und irgendeiner der Männer, die mit ihr hinten im Truck saßen, musste wohl Englisch sprechen, denn wenig später wurde sie mit einem Mantel zugedeckt.

Das nächste Mal weckte sie ein helles Licht, das in eines ihrer Augen leuchtete. Sie wurde vom Truck hinunter- und auf etwas, das sich wie eine Sperrholzplatte anfühlte, gehoben, ehe man sie in eine spärlich beleuchtete Hütte brachte, wo sie spürte, wie man ihr Spritzen gab. Sie schrie auf, als eine Stahlsonde in ihre Beinwunde gesteckt wurde, und kämpfte gegen den Schmerz an. Jemand mit der Kraft eines Gorillas hielt sie fest, während die Kugel entfernt und die Wunde genäht wurde. Danach zog man ihr einen schmutzigen braunen Sack über den Kopf, setzte sie wieder in den Truck und fuhr weiter.

Später in der Nacht nahm man ihr den Sack wieder ab und zwang sie, sehr viel mehr Wasser zu trinken, als sie wollte, während die ganze Zeit eine helle Taschenlampe auf ihr Gesicht gerichtet war. Sie hustete und würgte, schluckte, so viel sie konnte, und die Feldflasche wurde endlich fortgenommen und der Sack wieder übergezogen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt der Truck wieder und man trug sie in ein anderes Gebäude, wo sie an einer Art hölzernem Bett festgebunden wurde.

Sie wachte morgens mit heißem und pochendem Bein auf und fand sich noch immer ans Bett gefesselt. Man hatte ihr die Stiefel und den Fliegeranzug abgenommen und stattdessen ein schmutziges, ehemals weißes Kleid aus grobem Stoff angezogen. Ein etwa 40-jähriger Mann saß neben ihrem Bett und las im Koran. Er trug eine Brille mit dunklem Rahmen, die für sein Gesicht viel zu groß wirkte, und die weiße Jubbah eines muslimischen Geistlichen. Sein ordentlich gestutzter schwarzer Bart ergraute stellenweise.

Er blickte auf und sah, dass sie ihn beobachtete. Langsam schloss er den Koran und legte ihn neben sich auf den Tisch. »Du bist wach«, bemerkte er in einwandfreiem Englisch.

»Ich möchte meine Uniform zurück«, war das Erste, was sie sagte.

Er nahm die Brille von der Nase, klappte sie zusammen und steckte sie in die Tasche seiner Robe. »Sie wurde verbrannt«, entgegnete er. »Dein Bein wurde behandelt. Du bist weit weg von deinen Leuten. Sehr weit weg. Sie werden dich hier nicht finden können. Ich bin Aasif Kohistani von der Hizb-i Islami Khalis. Ich bin der politische Anführer, den du und deine Freunde aus meinem Dorf in Nangarhar entführen wollten.«

»Brux«, setzte Sandra an. »Sandra J., Warrant Officer. 280-76-0987.«

Er lächelte humorlos. »Das weiß ich bereits.« Er hob die Handvoll Erkennungsmarken, die man Sandras gefallenen Mitstreitern abgenommen hatte, vom Tisch und suchte ihre heraus. »Außerdem bist du katholisch. Was kannst du mir über die Absichten der CIA gegenüber unserer Partei sagen? Bereiten sie militärische Angriffe vor?«

»Würden Sie mich losbinden?«, fragte Sandra, anstatt zu antworten. Ihr Mund fühlte sich staubtrocken an.

Er legte ihre Hundemarke beiseite. »Es ist unmöglich, dass du mir nicht sagst, was ich wissen will«, erklärte er geduldig. »Es wäre besser für dich, wenn du es jetzt tust. Es wird dir große Schwierigkeiten ersparen.«

»Ich bin nur eine Pilotin«, erwiderte sie. »Die CIA sagt uns nichts über ihre Pläne. Ich weiß noch nicht einmal, warum sie Sie wollten.« Was Sandra am meisten zu schaffen machte, war, dass dies die Wahrheit war. Sie hatte keine Ahnung, wofür die CIA Kohistani haben wollte und ob irgendwelche Angriffe geplant wurden oder nicht.

»Du bist keine einfache Pilotin«, widersprach er und hielt ihre Night-Stalker-Schulterklappe hoch. »Du bist eine von ihnen. Wir kennen diesen Namen sehr gut. Ich werde dir eine letzte Chance geben, mir zu sagen, was du weißt. Danach werde ich Ramesh rufen.«

»Sie müssen mir glauben«, flehte sie. »Ich weiß nichts! Wenn ich es täte, würde ich es Ihnen erzählen. Die CIA ist mir scheißegal.«

»Das ist nicht die Antwort, die ich mir gewünscht hatte.«

»Wollen Sie, dass ich mir etwas ausdenke?«, fragte sie hilflos. Während sie dort lag und verzweifelt versuchte, sich an das Geiselhafttraining zu erinnern, das sie während der Ausbildung absolviert hatte, griff Kohistani seelenruhig nach einem hölzernen Stab, der am Fuß des Bettes lag und den sie zuvor nicht bemerkt hatte, und schlug einmal hart auf die Schusswunde in ihrem Oberschenkel.

Schmerz explodierte in ihrem Bein. Ihr Kreuz hob sich unfreiwillig aus dem Bett, ihr ganzer Körper versteifte sich, sie konnte den Schrei gerade noch unterdrücken, der ihrer Kehle entweichen wollte. Sie schnappte in tiefen Zügen nach Luft und versuchte, sich auf den nächsten Schlag vorzubereiten, aber sie wusste, dass es zwecklos war. Der Schmerz war zu heftig.

Er stand auf und hob den Stock über den Kopf.

»Nicht – ich sag’s Ihnen!«

Er ließ den Stab wieder herabsausen, diesmal mit einer wirklich unglaublichen Härte. Sandra schrie vor Schmerz, in ihrem Kopf drehte sich alles, als der Geistliche das dritte Mal zuschlug. Sie heulte qualvoll, schluchzte schamlos, während sie gänzlich erfundene Informationen hervorbrabbelte, in der verzweifelten Hoffnung, dass er sie nicht ein viertes Mal schlagen würde.

Kohistani hielt inne, bevor der Schlag sie traf, und warf den Stab mit einer Grimasse auf den Boden. »Siehst du, wie sinnlos … wie nutzlos es war, dass du leidest?«

Sie schloss die Augen und versuchte, so leise zu schluchzen, wie sie konnte, um wenigstens das bisschen Würde zu behalten, das sie noch besaß.

»Öffne die Augen«, befahl er, auf sie hinabblickend. »Weißt du, warum dein Land in Afghanistan verlieren wird? Die furchtlosen Kapitalisten werden verlieren, weil sie Frauen schicken, um ihren Krieg zu führen. Jetzt werde ich Ramesh reinschicken, um zu sehen, ob du mir die Wahrheit gesagt hast.«

Er verließ den Raum und ein brutaler, wütend aussehender Mann kam ein paar Sekunden später herein. Er ließ einen braunen Leinensack auf den Tisch fallen – er landete mit einem metallischen Klimpern.

Jämmerliche Furcht packte Sandra. Sie schloss die Augen wieder und betete dafür, einfach zu verschwinden.

3

Montana

Gil und Marie waren gerade dabei, frisches Heu im Stall auszuteilen, als seine Schwiegermutter ihn auf dem Handy anrief, um ihm mitzuteilen, dass er einen Anruf auf dem Festnetztelefon hatte.

»Bin gleich wieder da«, gab er seiner Frau Bescheid und steckte das Handy wieder in die Tasche.

Marie sah noch nicht einmal auf. Sie schnitt das Band von einem weiteren Heuballen und brach ihn mit dem Fuß auseinander.

»Ist wahrscheinlich nichts, Babe.«

Sie hielt inne und blickte ihn an. »Es ist nie nichts mit der Navy. Du bist erst einen Monat da und du solltest zwei bekommen. Willst du behaupten, dass ihre Schiffe nicht schwimmen, wenn Gil Shannon nicht an Bord ist?«

Er grinste, war ihr doch völlig klar, dass er kein einfacher Seemann war. »Na ja, schwimmen tun sie – aber die Besatzung bleibt in Sichtweite des Festlandes, wenn ich nicht an Bord bin.«

Sie schüttelte den Kopf und ging wieder an die Arbeit. Sein sarkastischer Humor war für sie nicht mehr so attraktiv wie früher.

Gil fand das kabellose Telefon auf dem Küchentisch und nahm es mit auf die hintere Veranda. »Shannon am Apparat.«

»Gil, hier ist Hal. Es ist was passiert, ich hätte dich nicht angerufen, wenn’s nicht wichtig wäre. Kannst du mich auf dem Satellitentelefon zurückrufen?«

Master Chief Halligan Steelyard war Gils Teamkollege bei DEVGRU – der United States Naval Special Warfare Development Group, auch bekannt als SEAL Team – und einer von Gils besten Freunden. Steelyard war schon in der Navy gewesen, als Chester Nimitz noch in die Windeln machte, und er war eine Art Institution unter den SEALs.

»Warte kurz.« Gil legte auf und ging ins Schlafzimmer, wo er das abhörsichere Satellitentelefon aufbewahrte, und rief Steelyard zurück. »Also, was gibt’s?«

»Tut mir leid, dass ich dich zu Hause damit störe«, entschuldigte sich Steelyard. »Sean Bordeaux und fünf seiner Männer hat’s gestern in einem Hinterhalt erwischt, hier in der Nangarhar-Provinz, südlich von Jalalabad.«

Gil hatte mehrmals mit Bordeaux zusammengearbeitet und zählte ihn zu seinen Freunden, dennoch war sein Tod nicht die Art von Nachricht, die einen Anruf auf dem Satellitentelefon von einem Typen wie Steelyard am anderen Ende der Welt wert wäre. »Was noch, Chief?«

»Ein Night-Stalker-Pilot ist im gleichen Hinterhalt gefangen genommen worden«, fuhr Steelyard fort. »Die Taliban haben den Vogel am Boden während einer Ranger-Übung erwischt, haben alle erschossen, den Kopiloten gekillt und die Leichen gefleddert. Das ist ein Problem, weil die Pilotin eine Frau ist, hübsches Ding, 29 Jahre alt … die einzige Frau bei den Night Stalkers. Das wird in den Medien nicht gut aussehen, besonders wenn sie blutend auf Al Jazeera auftaucht. Ich dachte, ich warne dich vor, ich schätze, es ist nur eine Frage der Zeit, wann die SOG bei dir anruft.«

SOG war die Special Operations Group der CIA, eine fortgeschrittenere Version der einst berüchtigten und mittlerweile abgeschafften MACV-SOG (Military Assistance Command, Vietnam – Studies and Observations Group), zu der Gils Vater einst gehört hatte. Obwohl die CIA Mitglieder von der SOG noch immer aus allen Zweigen des US-Militärs rekrutierte – genau wie sie es während des Vietnamkriegs getan hatte –, war es der CIA heutzutage nicht mehr gestattet, eigene ›Hausspezialisten‹ zu haben. Also wurden oft Spezialkräfte wie Gil Shannon von den Special Mission Units, den SMUs, denen sie angehörten, abgezogen, um Ein-Mann-Operationen auszuführen, die oft so geheim waren, dass niemand in der Special-Forces-Gemeinschaft jemals davon erfuhr … jedenfalls nicht offiziell.

Momentan war Gil hauptsächlich DEVGRU zugeordnet, genau wie Chief Steelyard. DEVGRU war so geheim, dass die US-Regierung es vorzog, ihre Existenz nicht einzugestehen, und sie war eine von nur vier SMUs im amerikanischen Militär. Die anderen drei waren die Delta Force bei der US Army, das 24th Special Tactics Squadron der Air Force und die Intelligence Support Activity – ebenfalls ein Teil der Army.

Gil tastete nach dem Tabak in seiner Jackentasche. »Reden wir von Warrant Officer Sandra Brux, Chief?«

»Ja. Kennst du sie?«

»Sie ist ein paarmal als Luftunterstützung für uns geflogen«, antwortete Gil. »Sie werden sie zerfetzen. Wie ist das passiert?«

»Das untersucht die CID gerade.« Hinter der schmucklosen Abkürzung verbarg sich nichts anderes als das Army Criminal Investigation Command – die Militärstrafverfolgungsbehörde der United States Army, die ursprünglich Criminal Investigations Division hieß, als General Pershing sie im Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen hatte. Der Einfachheit halber nannte man sie immer noch CID. »Aber ich hab mit unserem Mann beim NCIS geredet.« Der Naval Criminal Investigative Service war dagegen die Strafverfolgungsbehörde der US Navy. »Er meinte, die CID habe gerade einen Typen vom pakistanischen Geheimdienst verhaftet, der Infos an die andere Seite verkauft hat. Ich schätze, er könnte dem Feind verraten haben, dass die Army vorhatte, einen Geistlichen der al-Qaida zu verschleppen, der sie nervös machte. Hör zu, ich melde mich in ein paar Tagen noch mal, okay?«

»Okay, Chief. Danke für die Vorwarnung.«

»Na klar.«

Gil ging wieder nach unten, wo er seine Schwiegermutter in der Küche antraf. Sie machte gerade Sandwiches. »Danke, dass du mich gerufen hast, Mom.«

Sie lächelte. »Verlässt du uns wieder?« Ihr Name war Janet, sie war 65, nicht besonders groß und hatte langes graues Haar, das sie wie ihre Tochter in einem Reiterknoten trug.

»Nein«, antwortete er. »Das war nur ein Update, damit ich auf dem Laufenden bin.«

»Meinst du, Marie wird dir das abkaufen?«

Er lachte. »Ihr zwei seid euch sehr ähnlich, was?«

Sie schüttelte den Kopf und reichte ihm einen Teller mit einem Roastbeef-Sandwich und Kartoffelchips. »Willst du ein Bier dazu?«

»Ja, bitte«, gestand er und wünschte inständig, dass er Sandra Brux nicht persönlich kennen würde. Die beiden hatten vor einem halben Jahr einen Abend lang Witze ausgetauscht und sich über die Schwierigkeiten unterhalten, eine Ehe mit dem Militärdasein zu kombinieren.

Später am Abend, nachdem Janet das Geschirr vom Abendessen abgewaschen hatte und ins Bett gegangen war, saß Gil alleine im Schaukelstuhl vor dem Kamin und drehte sich eine Zigarette.

Marie kam und setzte sich mit einem Glas Weißwein in der Hand auf den Boden vor ihm. »So hab ich dich schon einmal gesehen«, bemerkte sie leise. »Du hast heute einen Freund verloren, nicht wahr?«

Er blickte von seiner Zigarette auf. »Es ist sogar schlimmer als das.«

»Warum?«

»Die Taliban haben gestern einen unserer Hubschrauberpiloten gefangen genommen.« Er leckte die Kante des Blättchens an und strich es so glatt, dass die Kippe beinahe wie eine gekaufte aussah. »Ein Night Stalker. Für die Taliban ist das ein echter Hauptgewinn. Fast so gut, wie einen SEAL oder einen Green Beret zu fangen.«

»Und ich schätze, du kennst ihn?«

»Sie«, korrigierte er Marie leise, steckte die Zigarette in den Mund und zündete sie mit einem Streichholz an. »Sie ist 29. Hübsch. Die Medien werden ausflippen, wenn sie davon Wind bekommen.«

Marie nickte und trank einen Schluck Wein. »Noch eine Jessie Lynch«, meinte sie traurig. »Wann gehst du?«

»Deswegen haben sie mich nicht angerufen.«

»Das habe ich dich nicht gefragt.«

Er stützte die Schläfe auf die Hand, in der er die Kippe hielt. »Sie wissen noch nicht einmal, wo sie ist, Baby.«

Marie setzte seufzend das Weinglas ab und rieb sich die Knie. »Gil, es tut mir leid, aber ich habe nicht mehr die Geduld, ewig um den heißen Brei herumzureden. Fährst du oder nicht?«

Er sah sie an, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Es ist mein Job, Baby. Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, das einzig andere, wozu ich je bestimmt war, ist, dich zu lieben. Wie soll ein Mann damit seinen Frieden schließen?«

In ihren Augen standen Tränen, sie wischte sie fort. »Was ist mit meinem Frieden?«

Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und sah zu Boden. Sie war der einzige Mensch, den er jemals auf intellektueller Ebene gefürchtet hatte. »Das ist eine berechtigte Frage«, gab er zu. »Wenn du mich bitten willst, dass ich auf den Anruf warte, dann werde ich das tun. Es könnte leicht noch einen Monat dauern. Wahrscheinlich wird es das.«

»Sieh mich an«, befahl sie. »Du bist in der Bestform deines Lebens, nicht wahr?«

Er dachte einen Augenblick darüber nach. »Ja, Ma’am. Ich denke, schon.«

Sie hob das Glas, trank den Wein aus und griff dann nach seiner Zigarette. Nach einem tiefen Zug gab sie sie ihm zurück. »Dieses Mädchen hat sein Leben für unser Land riskiert und jetzt lebt sie einen Albtraum. Ich schätze, dafür verdient sie das Beste, was unser Land bieten kann, um ihr zu helfen.« Sie fixierte ihn. »Aber dieses Mal wirst du mir dieses Versprechen geben. Dieses Mal wirst du mir versprechen, dass du lebend heimkommst. Sonst gebe ich dir meinen Segen nicht.«

Er kniff die Lippen zusammen, um sein Lächeln zu verbergen – sie hatte ihm die Pistole auf die Brust gesetzt. »Ich verspreche es.«

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Was versprichst du?«

»Ich verspreche, dass ich lebend heimkomme.«

»Und dieses Versprechen wirst du halten«, warnte sie mit erhobenem Zeigefinger. »Sonst werde ich, wenn ich irgendwann in den Himmel komme, nicht mit dir sprechen. Ich werde mindestens 1000 Jahre lang nicht mit dir reden, Gil Shannon. Ist das klar?«

»Großer Gott«, murmelte er. »So lange?«

»Ist das klar?«

»Ja, Ma’am. Ich weiß, dass du es ernst meinst.«

Sie stand vom Boden auf und strich ihr Jeanshemd glatt. »Brav. So, jetzt gehe ich hoch und bade. Wirst du noch wach sein, wenn ich rauskomme?«

Er sah zu ihr auf und lächelte. »Kommt drauf an. Gibst du mir einen Kuss, bevor du gehst? Ein bisschen was, um mich in Stimmung zu bringen?«

Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn leidenschaftlich, dann ging sie.

4

Afghanistan,

Provinz Nuristan, Dorf Waigal

Am nächsten Morgen wachte Sandra davon auf, dass sich zwei Männer heftig im Raum nebenan stritten. Sie verstand nicht, was sie sagten, aber sie war davon überzeugt, dass es etwas mit ihr zu tun haben musste. Zwar war sie nicht mehr ans Bett gefesselt, aber mit ihrer Beinwunde war es sowieso egal, sie war so entzündet, dass sie sich weder verstecken noch entkommen konnte, sie hatte noch nicht einmal Socken an, geschweige denn Schuhe. Das Essen, das man ihr gegeben hatte, schmeckte streng und unbekannt, sie vermutete, dass es wohl eine Art Ziegeneintopf war. Aber was sie am meisten beunruhigte, war der üble Geschmack des Wassers. Sie wusste, dass ihre Chancen gegen null gingen, wenn sie sich hier einen Magen-Darm-Infekt einfing, andererseits würde sie ohne genügend Flüssigkeit nicht mal die nächsten Tage überleben.

Sie fragte sich, ob ihr Mann John bereits über ihr Verschwinden informiert war. Sie bezweifelte es. John war die einzige Familie, die sie hatte, und er war auf den Philippinen stationiert, wo er Lastenflugzeuge für die Air Force flog. Sandra wusste, dass dies einen Unterschied machte. Wäre er ein Zivilist, würde man es als dringlicher erachten, ihn in Kenntnis zu setzen. So aber würden sie es ihm sagen, wann immer sie eben dazu kamen. Sandra war nicht dumm. Ihr war klar, dass sie fotogen war und dass das State Department bereits mit Hochdruck versuchte, die Geschichte nicht zu einer Titelstory ausarten zu lassen, möglicherweise sogar, indem man sie ganz vertuschte. Sie war jetzt ein Bauer im großen Schachspiel und sie rechnete sich wenig Chancen aus, vor allem weil sie keine große Familie hatte, die für sie Druck ausüben konnte. Und sie war sich im Klaren darüber, dass selbst eine muslimische Frau am Hindukusch weniger wert war als ein gutes Packpferd, und sie selbst war zu allem Überfluss auch noch Katholikin, was hier nach einem Juden das Nächstschlechtere war.

Tief im Inneren wusste sie, dass ihre beste Überlebenschance die Männer waren, für die sie flog, die Männer der Special-Forces-Gemeinschaft, Männer, die es nicht dulden würden, dass man einen von ihnen auf unbestimmte Zeit quälte, ohne einen entschlossenen Versuch zu starten, sie zu finden und rauszuholen, bevor es zu spät war.

Die Tür wurde plötzlich aus den Angeln getreten und fiel auf den Boden. Ein bärtiger Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, trat ein. Er trug einen Pakol, die traditionelle Kopfbedeckung der Afghanen, und sah entsetzlich wütend aus. Er marschierte auf das Bett zu und griff nach dem Saum ihres Kleides. Zuerst leistete sie ihm keinen Widerstand, weil sie glaubte, er wollte nur nach der Schusswunde an ihrem Oberschenkel sehen, aber er riss den Stoff bis über ihre Taille hoch und ein anderer Mann kam herein und drückte ihre Schultern auf das Bett.

Sie schrie und trat um sich, schlug nach den Augen des bärtigen Mannes und schaffte es, den Daumen tief in seine Augenhöhle zu drücken, bevor der andere Mann ihr einen Hieb auf den Kehlkopf versetzte, der kurzzeitig ihre Luftzufuhr abquetschte. Der Bärtige betastete sein Auge und stolperte vom Bett weg, während mehr Männer schreiend in den Raum kamen. Sie setzten sich auf sie und banden sie fest. Dann fetzten sie ihr das Kleid vom Körper und ließen sie nackt und immer noch nach Luft ringend liegen.

Die Männer lachten, als sie sie begrapschten. Sie schloss die Augen und zwang sich, nicht zu schreien, da sie wusste, dass sie das nur noch mehr anstacheln würde.

Der Mann mit dem Bart lachte nicht. Er stieß die anderen aus dem Weg und stand wutschnaubend über ihr, sein rechter Augapfel war blutig. Auf seinen Ruf hin kam ein Mann mit einer Videokamera aus dem anderen Zimmer und schickte die anderen Männer hinaus. Dann ließ der bärtige Mann seine Hosen herunter, stieg zu ihr aufs Bett und verfluchte sie in einer Sprache, die sie nicht verstand. Von dem Moment an schrie sie.

Zehn Minuten später saß Naeem, der bärtige Mann, auf einem Tisch im Nebenzimmer und versuchte, den Kopf still zu halten, während eine junge Frau, der die halbe Nase fehlte, sein Auge untersuchte.

»Du hast Glück gehabt«, stellte sie leise fest. »Wenn sie näher an die Netzhaut gekommen wäre, hättest du erblinden können.«

Naeem stieß sie beiseite. »Erzähl mir nicht, ich hätte Glück, Badira. Sag mir, was ich für mein Auge tun muss.«

»Es gibt Medikamente, die man ins Auge gibt«, erklärte sie, »aber wir haben sie nicht da. Du kannst nur eine Augenklappe darüber tragen, bis es abgeheilt ist.«

»Na gut. Bedeck dein Gesicht«, befahl er angewidert und stand vom Tisch auf.

Badira entfernte sich und zog gehorsam den unteren Teil ihres Kopftuches über ihre verstümmelte Nase, bis nur noch ihre Augen sichtbar waren. Man zwang sie im Dorf nicht, einen Tschador oder eine Burka zu tragen, weil sie erstens Krankenpflegerin und zudem eine Witwe war. Es war ihr Ehemann gewesen, der ihr die Nase kurz nach der Hochzeit abgeschnitten hatte, weil sie sich geweigert hatte, eine Burka zu tragen. Glücklicherweise war er ein paar Jahre später bei einem Luftangriff nahe der pakistanischen Grenze ums Leben gekommen. Ihre Ehe war arrangiert gewesen, so wie drei Viertel der afghanischen Ehen.

Ein älterer Mann kam von draußen in das Zimmer und die anderen Taliban richteten sich drohend auf, aber Naeem beruhigte sie. »Lass es gut sein, alter Mann. Es ist getan.«

Der alte Mann hieß Sabil Nuristani und war das offizielle Dorfoberhaupt. »Jetzt musst du sie weit weg von hier bringen«, beharrte er. »Sonst werden sie Männer schicken, die uns alle töten werden.«

»Nein!«, blaffte Naeem. »Wir werden ihnen den Film zeigen, dann werden sie zahlen, um sie zurückzubekommen. Sie haben schon früher gezahlt.«

»Du solltest lieber deinen Kopf gebrauchen«, warnte Sabil und kam weiter in den Raum hinein. »Kohistani hat keiner Lösegeldforderung zugestimmt. Er hat gesagt, wir sollen nur …«

»Aasif Kohistani hat hier nicht das Sagen!«, schrie Naeem. »Hizb-i Islami hat hier nicht das Sagen! Sondern ich! Wir Taliban! Wir haben die Frau gefangen, also werden wir mit ihr tun, was wir wollen.«

»Du bist ein Dummkopf, wenn du riskierst, Kohistani in die Quere zu kommen. Er ist ein mächtiger Mann.«

Naeem stapfte angriffslustig auf den Alten zu. »Was tut Hizb-i Islami für dieses Dorf? Nichts! Kohistani hatte noch nicht einmal genug Männer, um sie in diesen Hinterhalt zu schicken! Warum glaubst du, dass er uns geschickt hat und nicht seine eigenen Leute, hä?«

Sabil schüttelte bestürzt den Kopf. »Es ist so traurig, du bist sogar jetzt noch zu dumm, um zu sehen, dass man dich benutzt hat. Ihr Taliban bedeutet den Hizbis nichts.«

»Sei still, alter Mann. Scher dich raus!«

Nuristani ging und Naeem knallte hinter ihm die Tür zu. Dann wandte er sich an seine Männer. »Er hat Glück, dass ich ihn nicht prügeln lasse. Jafar, du machst fünf Kopien von dem Video. Morgen wirst du zwei davon zu unseren Leuten in Kabul schaffen, ich werde Anweisungen für sie aufschreiben. Bald werden die Amerikaner für die Ungläubige bezahlen und wir werden wieder gute Sachen haben. Wir werden Medikamente und mehr Waffen haben. Ihr werdet sehen. An die Arbeit jetzt, ihr alle.«

Das Zimmer leerte sich. Naeem blieb mit Badira allein zurück.

»Wird sie lange genug leben?«, verlangte er zu wissen.

Badira zuckte mit den Achseln. »Nicht wenn ihr Bein entzündet ist.«

»Wird sie eine Woche überleben?«

»Nicht mit entzündetem Bein.«

Naeem fuhr ungeduldig auf. »Ist das Bein entzündet oder nicht?«

»Das muss es wohl sein«, antwortete sie. »Sie hat keine Antibiotika bekommen.«

»Dann werde ich welche ordern. Du bist für sie verantwortlich, verstanden?«

»Ja.«

»Gut.«

Er stapfte aus dem Haus und Badira nahm ihre Arzttasche mit in das Zimmer, in dem Sandra noch immer an das Bett gefesselt war und vor Scham und Ekel weinte.

Sandra hatte all dem Geschrei gelauscht und angenommen, dass sie sich stritten, ob man sie töten sollte oder nicht. Erst als sie spürte, wie Badira sich behutsam auf das Bett setzte und Peroxidlösung über ihre eiternde Schusswunde goss, wagte sie, die Augen zu öffnen.

Sie versuchte zu sprechen, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken.

»Ich werde dir etwas geben, damit du schlafen kannst«, erklärte Badira mit einem leichten britischen Akzent. »Du brauchst deine Kraft. Dein Bein ist entzündet.«

Sandra konnte nur krächzen: »Bitte binde mich los.«

Badira schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht, aber mach dir keine Sorgen. Du wirst schlafen.«

»Ich will nicht schlafen«, bettelte Sandra. »Ich muss hier raus!«

Badira verlor langsam die Geduld. »Hör mir zu. Deine Regierung wird für dich bezahlen, dann werden sie dich freilassen. Du musst Geduld haben.«

Sandra schüttelte verzweifelt den Kopf. »Du begreifst nicht – meine Regierung bezahlt nicht, schon gar nicht für Soldaten! Sie werden mich hier sterben lassen!«

»Wir werden uns nicht streiten«, bestimmte Badira. »Du wirst ein paar Tabletten nehmen und einschlafen. Ich werde versuchen, dich so viel wie möglich schlafend zu halten. So wird er dich in Frieden lassen. In einer Woche werden deine Leute bezahlen und du wirst fortgehen.«

Als sie die gänzliche Abwesenheit von Mitleid in Badiras Augen sah, wurde Sandra plötzlich wütend – ein viel mächtigeres Gefühl als Angst – und der Wunsch, zu betteln, verschwand. »Was wirst du gegen die Entzündung tun?«

»Naeem hat Antibiotika bestellt.«

Sandra sah zu, wie sie die Wunde mit einem neuen Verband versorgte. »Wo hast du Englisch gelernt?«

»In Pakistan«, antwortete Badira. »Ich war Medizinstudentin in Islamabad, bis die Taliban hier die Macht übernahmen. Danach forderte mein Vater meine Rückkehr.« Sie verschwieg, dass man sie heimgerufen hatte, um den Sohn eines Mannes zu heiraten, dem ihr Vater Geld schuldete, ein regionaler Anführer, der den Aufstieg der Taliban unterstützt hatte. Denjenigen, die Taliban-Anführern Geld schuldeten, erging es meistens schlecht.

»Kann ich etwas anderes zum Anziehen bekommen?«, fragte Sandra.

»Ich werde dich bedecken.«

»Und ich muss …« Sandras Stimme brach. »Ich muss mich waschen.«

Badira begriff. »Ich kann dich zwar nicht losbinden, aber ich werde dich reinigen.«

Sandra schloss die Augen und verbot sich zu weinen. »Danke.«

»Du darfst nicht vergessen, wo du bist«, mahnte Badira, während sie in ihrer Tasche kramte. »Du bist nicht in New York City. Du bist in Afghanistan, und wenn du hier überleben willst, darfst du nicht schwach sein. Du musst stark sein, sonst stirbst du.« Sie hielt inne und sah auf. »Verstehst du, was ich sage?«

Sandra nickte. »Wie heißt du?«

»Badira.«

»Danke, Badira. Ich werde es versuchen.«

Badira wühlte weiter in ihrer Tasche. »Ich fürchte, du wirst dir mehr Mühe geben müssen, Sandra Brux.«

5

Afghanistan,

Luftstützpunkt Jalalabad

Master Chief Halligan Steelyard kaute nachdenklich auf einer importierten Cohiba Robusto Zigarre herum, während er zusah, wie die hydraulische Rampe des C-130E-Militärtransports heruntergelassen wurde. Als Master Chief Gil Shannon mit seinem SR-25 über der Schulter die Rampe herunterkam, spannte sich sein Gesichtsausdruck an. Seine beiden anderen Scharfschützengewehre, ein .338 Lapua McMillan und ein .308 Remington Modular, waren mit dem Rest von Gils Ausrüstung in einer der acht Transportboxen im Laderaum des Fliegers verstaut und warteten darauf, dass die Crew sie ablud. Die SR-25 war ein halbautomatisches 7,62-Millimeter-Scharfschützengewehr für mittlere Reichweiten, das man auch für Patrouillengänge benutzen konnte.

Gil musste zwar jetzt, da er zur SOG gehörte, nicht wirklich patrouillieren, aber wenn die Base angegriffen wurde, während er da war, dann brauchte er die Vielseitigkeit und Mannstoppwirkung, die eine Waffe wie die SR-25 im Vergleich zum M4-Karabiner bot, der für die 5,56-Millimeter-NATO-Patronen ausgelegt war.

Das Problem bei dem M4 war weniger die Waffe selbst als vielmehr die moderne Munition. Die 5,56-Millimeter-NATO war nicht die gleiche wie die 5,56-Millimeter-Patronen, die man gegen Ende des Vietnamkrieges eingesetzt hatte. Die aktuelle NATO-Munition war darauf ausgelegt, die neuesten russischen Panzerwesten zu durchschlagen, ehe sie mit einem verheerenden Effekt im Körper zersplitterte. Kämpfer der Taliban oder von al-Qaida trugen jedoch keine Panzerwesten, weshalb die Patronen beim Aufprall nicht zersplitterten und häufig nicht einmal im Körper von ihrer Flugbahn abgelenkt wurden. Und so flog eine M4-Patrone oft genug einfach durch einen feindlichen Kämpfer hindurch, ohne ihn dabei zu töten. Der Mistkerl konnte zwar später daran verbluten, aber wenn er bis dahin jemanden umbrachte, half einem das auch nicht wirklich weiter.

Gil und Steelyard begrüßten sich mit Handschlag. »Was hab ich verpasst, Chief?«