Snowy Kisses. Schreib dich in mein Herz - Viktoria Christians - E-Book
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Snowy Kisses. Schreib dich in mein Herz E-Book

Viktoria Christians

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Beschreibung

**Manchmal ist die Liebe nur eine Tür entfernt**  Die 24-jährige Lynn ist Vollzeitautorin und hat einen neuen Auftrag: Sie soll eine Winter Romance schreiben. Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn einem gerade das Herz gebrochen wurde. Zum Glück erklärt sich ihr süßer Nachbar Ayden dazu bereit, ihr bei einer aberwitzigen Idee zu helfen: Er lädt sie zu romantischen Fake-Dates ein, um sie an das Kribbeln des Verliebens zu erinnern. Rein zu Recherchezwecken, versteht sich. Doch nach romantischem Plätzchenbacken, turbulentem Schlittschuhlaufen und knisternden Schneespaziergängen mit Aydans Hund taut Lynns Herz nach und nach ganz unverhofft wieder auf. Bis ihr Exfreund David auf einmal an ihre Tür klopft …   Eine berührende Winter Romance darüber, wie aus einer ungewöhnlichen Freundschaft Liebe werden kann.    //Der Liebesroman »Snowy Kisses. Schreib dich in mein Herz« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

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Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Viktoria Christians

Snowy Kisses. Schreib dich in mein Herz

**Manchmal ist die Liebe nur eine Tür entfernt**Die 24-jährige Lynn ist Vollzeitautorin und hat einen neuen Auftrag: Sie soll eine Winter Romance schreiben. Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn einem gerade das Herz gebrochen wurde. Zum Glück erklärt sich ihr süßer Nachbar Aydan dazu bereit, ihr bei einer aberwitzigen Idee zu helfen: Er lädt sie zu romantischen Fake-Dates ein, um sie an das Kribbeln des Verliebens zu erinnern. Rein zu Recherchezwecken, versteht sich. Doch nach romantischem Plätzchenbacken, turbulentem Schlittschuhlaufen und knisternden Schneespaziergängen mit Aydans Hund taut Lynns Herz nach und nach ganz unverhofft wieder auf. Bis ihr Exfreund David auf einmal an ihre Tür klopft …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

© privat

Viktoria Christians, 1999 geboren, lebt schon seitdem sie denken kann mehr in ihren Fantasiewelten als in der Realität. Sie ist kein Fan davon, über sich selbst zu schreiben, sondern schreibt lieber über Möchtegern-Badboys, viel Herzschmerz oder turbulente Weltrettungsaktionen, getarnt hinter einer ordentlichen Portion Sarkasmus (und am liebsten über alles zusammen). Wenn sie nicht schreibt, trinkt sie viel Kaffee und verliert sich gerne selbst zwischen den Zeilen eines guten Buches.

Für meine Mama und für Siggi.Wenn ich falle, seid ihr da und fangt mich auf.

N U L L

Der Tag, an dem mein Leben zerstört wurde, war viel zu schön gewesen, um so ein schreckliches Ende zu nehmen. Ich war viel zu gut gelaunt, weil das Wetter so herrlich warm war und ich die Tantieme für mein neues Buch erhalten hatte. Kurz und knapp: Ich war unfassbar glücklich. Hätte mir also jemand am Morgen gesagt, dass ich den Abend gar nicht mehr erleben wollte, hätte ich denjenigen ausgelacht. Aber ab und zu ahnt man nicht, was das Schicksal für einen bereithält. Manchmal braut sich ein Gewitter zusammen, ohne dass man es bemerkt. Manchmal kommt jemand und zerstört das Lebens-Puzzle, das man sich mühsam aufgebaut hat, in nur einem Atemzug.

Als ich in meine Straße einbog und meinen Nachbarn Aydan wartend auf den Stufen vor meiner Haustür sitzen sah, hätte ich wissen müssen, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise war David, mein Verlobter, um halb sechs abends bereits aus dem Büro zurück. Er war Junior CEO bei einem Telekommunikationsunternehmen und arbeitete etwas außerhalb von Detroit, für gewöhnlich brauchte er nicht so lange, um von der Arbeit nach Hause zu kommen. Deshalb verstand ich nicht, warum Aydan gelangweilt vor unserem Haus saß. Für einen Moment trübte sich meine gute Laune, aber dann entdeckte ich seine Dalmatinerhündin Lucretia neben ihm im Gras liegen. Sie ließ sich die brüllend heiße Augustsonne auf den Pelz scheinen und hechelte. Sobald ich Lucretia erblickte, musste ich ganz selbstverständlich lächeln. Aydan und sie wohnten jetzt seit zwei Jahren neben uns. Da er als Fotograf viel unterwegs war, bat er mich öfter darum, auf Lucretia aufzupassen, weshalb ich sie schnell ins Herz geschlossen hatte. Sehr zum Leidwesen von David, der Tiere aufgrund einer imaginären Tierhaarallergie nicht leiden konnte.

Ich lenkte meinen roten Mini die Straße hinunter, an dem Vorgarten vorbei und auf den Hinterhof. Irritation regnete auf mich herab, weil Davids Mercedes nicht an seinem üblichen Platz stand. Seltsam. War er spontan einkaufen gefahren? Vermutlich hatte ich mal wieder einen seiner veganen Aufstriche vergessen.

Beim Aussteigen hörte ich Lucretia bellen. Ich lugte zur Hintertür, die ich lieber mochte als die Haustür vorne. In dem dunklen Holz waren Elemente aus Buntglas eingesetzt und die Messingklinke zierten zarte Ornamente. Ich hatte sie auf einem Flohmarkt in Detroit entdeckt. Mein Herz hing an solchen Kleinigkeiten, die die Bezeichnung Trödel verdienten. Normalerweise gehörte es zu meiner Routine, die Hintertür aufzudrücken, mich vom Lavendel in der kleinen Küche einnebeln zu lassen und mir erst einmal eine Tasse Kaffee zu kochen, bevor ich mich an den Laptop und mein aktuelles Manuskript setzte.

Aber heute nicht. Aydan sah aus, als hätte er genug gewartet, und ich wollte ihn nicht länger in der heißen Augusthitze stehen lassen. Deshalb schnappte ich mir meine Beutel und die Wasserflasche, schloss das Auto ab und ging vorne herum. Die tiefstehende Abendsonne schien mir ins Gesicht und ich hielt mir die Hand vor die Stirn, um sie abzublenden. Lucretia entdeckte mich und bellte zur Begrüßung, blieb aber hechelnd neben ihrem Herrchen liegen, der in hellen Badeshorts und einem ebenso strahlend weißen Muskelshirt vor der Haustür saß und auf seinem Handy herumtippte. Das Weiß seiner Kleidung betonte seine gebräunte Haut. Sein dunkles Haar fiel ihm lässig in die Stirn und seine eisblauen Augen hellten sich auf, als er vom Display hoch und mir ins Gesicht blickte.

Automatisch lächelte ich. »Ich hoffe, du wartest nicht zu lange«, begrüßte ich ihn und reichte ihm die Hand.

»Erst so seit … zehn Minuten«, entgegnete er, stand auf und tat so, als würde er auf seine nicht vorhandene Armbanduhr schielen.

Ich wusste nicht, ob er nur scherzte oder ob er wirklich schon so lange hier saß – manchmal konnte ich Sarkasmus nicht so gut erkennen –, deshalb blieb ich stehen und kramte in einem der Leinenbeutel nach dem Haustürschlüssel. Zwischen meinem Buch, einer Sporthose und einigen leeren Müsliriegelverpackungen fand ich ihn.

»Das tut mir sehr leid«, meinte ich, während ich den richtigen Schlüssel suchte. »Ich habe David heute Morgen extra gesagt, dass du Lucretia vorbeibringst. Er hat mir versichert, dass er früher Schluss macht.«

Sorge breitete sich in mir aus. David hatte mir heute Mittag sogar geschrieben, dass er in zwei Stunden Feierabend machen und zu Hause auf mich warten würde. Wir wollten es uns heute Abend mit selbstgebackenem Focaccia und einem herrlich fruchtigen Rotwein auf der Terrasse gemütlich machen und uns den Sonnenuntergang ansehen. Und jetzt war er nicht da, obwohl er mir das zwei Mal versichert hatte? Ein Teil von mir wollte glauben, dass er wirklich nur einkaufen gefahren war und Aydan und Lucretia einfach vergessen hatte.

Aber eine Stimme in mir brüllte, dass etwas passiert war und dass ich mich lieber wieder ins Auto setzen und zurück zum Yogastudio fahren sollte, um mich vor dem zu verstecken, was mich erwartete. Jetzt war dieses Gefühl auf einmal da, das ich den ganzen Tag über hätte spüren müssen. Vielleicht wäre ich dann halbwegs darauf vorbereitet gewesen. Vielleicht hätte ich David beim Frühstück noch einmal gesagt, wie sehr ich ihn liebte. Dass ich so froh war ihn in meinem Leben zu haben. Vielleicht hätte das alles geändert.

Ich ignorierte das Gefühl. Stattdessen zwang ich mir ein Lächeln auf die Lippen und zuckte zusammen, sobald Lucretias feuchte Nase gegen mein nacktes Knie stupste, als forderte sie mich dazu auf, die Tür schneller aufzuschließen.

»Das macht doch nichts. Ich warte gern, wenn die Kleine dafür bei dir bleiben kann.« Aydan verzog die Lippen zu einem charmanten Halblächeln und reichte mir Lucretias Leine.

»Trotzdem. Es geht ums Prinzip.« Mit zitternden Fingern schloss ich die Haustür auf. Quietschend sprang sie auf, was mich daran erinnerte, dass David sie dringend ölen musste. Für gewöhnlich benutzten wir nie die Vordertür, sondern gingen immer hinten rein. Dass heute alles anders war, hätte mir ein Zeichen sein sollen.

Aydan antwortete darauf nichts, sondern lächelte nur. Seine Dalmatinerhündin schlenderte an ihm vorbei in den kühlen, dunklen Hausflur. Ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen.

»Wo geht es dieses Mal hin?«, fragte ich, stellte meine Beutel ab und lehnte mich gegen den kühlen Rahmen der Haustür.

»Wir fliegen nach Rom. Es wird ein Covershooting für ein großes Modemagazin. Der Redakteur möchte unbedingt Fotos vor dem Trevi-Brunnen und der Spanischen Treppe.« Er klang genervt und verdrehte die Augen, als er über seine Arbeit sprach. »Diese Redakteure sind schon seltsam. Fliegen um die halbe Welt, obwohl es die schönsten Locations hier vor der Haustür gibt. Na ja. Aber dir muss ich das nicht sagen, oder?«

Mitleidig lächelte ich. »Definitiv nicht. Ich habe mal kurzzeitig für eine Zeitung geschrieben, da wollte der Redakteur, dass wir alle in einem Raum sitzen, damit er uns jederzeit über die Schulter gucken konnte. Man kam sich ein bisschen vor wie in einem Zoo.«

Aydan lachte. Ich hatte ihn nicht oft lachen gehört, erst ein oder zwei Mal, aber er sah schön aus, wenn er lachte. Dabei legte er immer den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, als genoss er es. Und er lachte laut. Sehr laut. Weshalb ich mich hastig umsah, ob jemand aus den Nachbargärten uns beobachtete. Mrs Mayr von gegenüber war die Klatschtante der Straße und ich wollte nicht, dass sie überall herumerzählte, ich hätte eine Affäre mit meinem zugegebenermaßen sehr attraktiven Nachbarn.

»Bis Montag dann?«, wechselte Aydan das Thema und strich sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

Gedankenverloren nickte ich. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich fragte, ob er eine Freundin hatte. David meinte, dass mich das nichts anging und ich ihn deshalb nicht fragen sollte, was ja auch stimmte. Es ging mich nichts an – aber ich war unfassbar neugierig! David hatte meiner Mom davon erzählt und sie hatte trocken erwidert, dass diese Neugierde, womit sich die Nachbarn beschäftigten, meine Spießigkeit unterstrich, die mir das Leben mit David bescherte. Vielleicht hatte sie recht damit, aber es war nicht das erste Mal, dass sie sich kritisch über meinen Verlobten äußerte, weshalb ich sie nicht so ernst nahm.

»Bis Montag«, schob ich schnell hinterher und spürte Aydans Blick auf mir. Er lächelte zum Abschied, winkte und schlenderte über die Straße, bis er hinter der Hecke seines eigenen Gartens verschwand.

Seufzend schloss ich die Tür und genoss die Dunkelheit, die mich empfing. Lucretia lag entspannt vor der Treppe, die ins Obergeschoss führte. Sie hob nicht einmal den Kopf, während ich die Strickjacke an die Garderobe hängte und die Schuhe ins Regal räumte. Der Platz neben meinen liebsten High Heels war leer. Merkwürdig. Sonst standen hier Davids blank polierte Slipper, die er nur anzog, wenn er zu seinen Eltern fuhr. Ein Blick zur Garderobe verriet mir, dass auch einige seiner Jacken nicht da waren.

Schluckend krallte ich mir die Beutel und meine Wasserflasche, die ich auf den Boden gestellt hatte, und tapste barfuß in die Küche. Der Flur war nicht breit genug, um die Arme nach links und rechts ausstrecken zu können. Ich liebte dieses Haus, obwohl die Flure schmal und die Küche unfassbar klein waren. Während meines Studiums hatte ich es meiner Tante Nora sehr günstig mit dem Geld meiner Großeltern abgekauft, das sie mir vererbt hatten. Meine Tante war mit ihrem neuen Freund zu einer aufregenden Weltreise aufgebrochen und arbeitete jetzt als Tierschützerin auf Sansibar. Sie hatte ihr Glück gefunden – und ich ebenfalls. Ich hatte einen großartigen Verlobten, die beste Freundin auf der ganzen Welt und ein schönes Haus, das für immer mein Zuhause sein sollte. Irgendwann würden ein, zwei Kinder durch das Haus flitzen, genauso wie ich früher, wenn wir meine Tante besucht und in der kleinen Gartenhütte Karaoke-Abende veranstaltet hatten. Konnte es noch besser werden?

Nein, konnte es nicht.

Alles war viel zu schön, um wahr zu sein.

Mit meinen Beuteln und der Wasserflasche trottete ich in die Küche. Ich verdrängte das seltsame Gefühl von vorhin und betrachtete meine kleine Sammlung an Pflanzen und Kräutern. Beruhigender Lavendelduft lag in der Luft, vermischte sich mit der Minze, die ich im Sommer gern mit etwas Zitrone in eiskaltes Wasser gab. Für mich war die Küche der wichtigste Raum im gesamten Haus, weil David und ich hier immer zusammenkamen, gemeinsam kochten und spontan tanzten. Hier fühlte ich mich geborgen.

Und dann zerstörte David alles.

Wohlig seufzend drehte ich mich zum Kühlschrank. Links von mir befanden sich die dunkle Arbeitsplatte und der Küchenblock, rechts unser kleiner Küchentisch vor einer riesigen Pinnwand, auf die wir eine Weltkarte gepinnt und all die Orte markiert und mit Urlaubsfotos versehen hatten, zu denen wir gereist waren. Als ich meine Flasche in den Kühlschrank stellte und mich nichts ahnend zur Wand umdrehte, entdeckte ich ihn. Er lag zusammengefaltet auf dem Tisch. In Davids geschwungener Schönschrift stand mein Name darauf. Früher hatte ich ihn damit aufgezogen, dass er im Schönschreiben in der Grundschule die besten Noten hatte haben wollen – er bat mich zwar immer damit aufzuhören, hatte es aber auch nicht abgestritten.

Neugierig klaubte ich den Zettel vom Tisch und faltete ihn im Gehen auseinander, weil ich mich daranmachte, meine Beutel auszuräumen. Vorhin war ich noch schnell im Supermarkt gewesen, um Wein zu holen, und jetzt wollte ich ihn in unser kleines Weinregal neben dem Gewürzregal legen. Ich strich den Zettel glatt und mein Blick wanderte über die wenigen Buchstaben. Abrupt blieb ich stehen. Sofort hörte ich Davids monotone Stimme, mit der er mir immer irgendwelche Dinge erklärte, die mich absolut nicht interessierten.

Für einen Moment dachte ich, dass das ein schlechter Scherz wäre und er jeden Augenblick mit einem Kamerateam aus einer Ecke springen und mich mit seiner Alberei zum Lachen bringen würde. Aber das war nicht Davids Art.

Einen Brief zu schreiben, in dem er mir in seiner schrecklichen Schönschrift erklärte, dass er sich von mir trennte und jetzt mit meiner besten Freundin in den Urlaub fuhr – das war Davids Art.

In meinem Kopf kreisten die wenigen Silben herum, die mein Leben innerhalb einer Sekunde zerstörten.

Ich liebe dich nicht mehr.

Ich liebe jetzt Bibi.

Gemeinsam mit dem Brief und der Weinflasche flatterte auch mein Herz zu Boden. Das Papier ertrank in dem Meer aus Wein und Glasscherben zu meinen Füßen. Wenn meinen Protagonisten das Herz gebrochen wurde, durchlitten sie die schlimmsten Schmerzen. Tränen, Fassungslosigkeit, Herzschmerz, das volle Programm. Ich schrieb gern etwas übertrieben, damit es auch so gefühlskalte Menschen wie David fühlten. Jetzt selbst in so einer Situation zu sein überforderte mich. Verzweiflung keimte in mir auf, brachte mich zum Hyperventilieren. Hinter meinen Rippen spürte ich es knacken. Mir war noch nie das Herz gebrochen worden. Ich schrieb darüber, wie schmerzhaft es war, ohne es je erlebt zu haben. Irgendwie hatte ich es mir anders vorgestellt. Abgesehen von der Verzweiflung und einem stechenden Schmerz in der Brust war da nichts. Als schirmte mich etwas vor all den Gefühlen ab. David war mein erster Freund und der Richtige für mich. Und ich war die Richtige für ihn.

Offensichtlich nicht. Sonst wäre er wohl kaum mit Bibi durchgebrannt. Mein Mund öffnete sich, aber heraus kam nichts. Unweigerlich zog sich mein Magen zusammen, schlagartig war mir eiskalt.

Setzen. Ich musste mich hinsetzen.

Aber in der Küche konnte ich nicht bleiben.

Hier würde ich mich für immer und ewig an das Gefühl erinnern, das mich überkommen hatte, als mir das Herz gebrochen wurde. Schwer atmend und zitternd wankte ich aus der Küche durch den Flur ins Wohnzimmer. Der Raum war zu groß für zwei Personen, das Sofa vor der riesigen Fensterfront zu gigantisch für mich. Meine Lippen bebten. Ich sank in die grauen Kissen. Lucretia kam herein. Das Klackern ihrer Krallen auf dem dunklen Parkett vermischte sich mit dem Ticken der Wanduhr, die Davids Opa gehört hatte. Überall roch es nach David. Nach seinem herben Aftershave, nach den Pfefferminzdrops, die er immer abends vor dem Fernseher lutschte.

Der Geruch erstickte mich.

Sofort schnürte sich meine Kehle zu. Tränen traten in meine Augen, aber irgendwie flossen sie nicht. Mein Kopf hatte wohl noch nicht verstanden, was mein Herz bereits wusste.

Nach Luft ringend griff ich nach der Steppdecke, die Mom mir zum Einzug geschenkt hatte. Wie in Trance tat ich das, was ich als kleines Mädchen immer gemacht hatte, als ich mich noch in meinen selbstgebauten Kissenhöhlen versteckt hatte, wenn sie und Dad sich gestritten hatten. Die Knie angewinkelt stellte ich die Füße auf das untere Ende der Decke und schmiss den Rest über den Kopf, damit ich eine eigene Höhle hatte. Ich umschlang die Knie mit den Armen, bettete mein Kinn darauf und fixierte das Muster der bunten Steppdecke, die zu fröhlich aussah, um zu meiner Stimmung zu passen.

Hier, in meiner Höhle, war ich sicher. Eine Träne kullerte über meine Wange, ich spürte, wie sie sich langsam einen Weg über meine Haut bahnte. Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich meine Protagonisten in so einer Situation tun ließ, aber nichts erschien mir sinnvoller, als hier unter meiner Decke zu sitzen, mich selbst zu umarmen und zu weinen. Die Tränen würden schon all die Gefühle, von denen ich wusste, dass sie da waren, die ich aber nicht spürte, aus mir herausspülen. Und dann kullerte mir eine Träne nach der nächsten die Wange herunter und der Knoten in meiner Brust verstärkte sich. Mir war schlecht, meine Brust tat weh, jeder Knochen begann zu schmerzen. Am liebsten hätte ich irgendwen angerufen und gefragt, ob derjenige vorbeikommen könnte. Mein erster Gedanke galt Bibi, meiner besten Freundin. Aber die war ja mit David durchgebrannt. Wenn ich meine Mom anrief, hätte sie mir nur gesagt, dass ich ohne David besser dran wäre. Und meine ganzen anderen Freunde waren nach der Highschool zum Studieren weggezogen – und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich sie nach Jahren des Small Talks als Freunde bezeichnen konnte.

Einsamkeit legte ihre Finger um mein Herz. Das war es, was ich fühlte. Ich heulte nicht, weil David mir das Herz gebrochen hatte, sondern weil er mit Bibi durchgebrannt war. Der einzigen Person, der ich bedingungslos vertraute. Ich heulte, weil Bibi mich hintergangen hatte und ich einsam war. Ohne David und sie war ich einsam. In dem Moment, in dem mir das klar wurde, brach ein Schrei aus mir heraus. Verzweifelt wiegte ich mich vor und zurück, während ich die Stirn gegen meine Knie lehnte. Schwere legte sich auf meinen Brustkorb, presste mir die Luft heraus. Der Schmerz in meiner Brust, das Ziehen und Stechen, wurde so schlimm, dass ich verzweifelt unter der Decke hervorkam und nach Luft schnappend und zitternd auf dem Sofa saß. Lucretia beobachtete mich von ihrem Platz neben dem Fernseher aus. Ich weinte immer weiter. Die Einsamkeit und der Schmerz waren einfach zu groß.

In dieser Nacht betete ich zu Gott, dass es aufhörte, so unendlich wehzutun.

E I N S

– Einige Monate später –

»Du könntest ruhig mal wieder zum Friseur gehen. Anne hat auch schon gefragt, wo du bleibst. Und ich meine, sieh dich mal an. Deine Haare sind so lang und kaputt, das muss man abschneiden.« Tadelnd blickte mich Mom über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an, während sie mit der anderen Hand die Tageszeitung glattstrich. Als ich klein gewesen war, wollte ich immer für den Waterbridge Courier schreiben. Allerdings hatte ich die Idee während meines Studiums schnell wieder verworfen. Ich hatte in einer Redaktion in Detroit ein Praktikum gemacht und festgestellt, dass ich nur halb so gut im Führen von Interviews war, wie ich mir immer vorgestellt hatte. Jetzt mal abgesehen davon, dass es in Waterbridge, einer Kleinstadt am Highway 69, eine halbe Stunde von Detroit entfernt, sowieso nichts zu berichten gab. Mit Ausnahme vielleicht von dem Erbschaftsstreit der bis aufs Haar verfeindeten Bauern Stoker und Brown, die sich sogar um den Dung ihrer Kühe stritten.

»Ich will aber nicht zum Friseur.« Wie ein trotziges Kind verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah Mom an, die nur mit der Zunge schnalzte, so wie immer, wenn sie mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden war, und sich wieder ihrer Zeitung widmete.

»Ich sag ja nur. Du lässt dich ganz schön gehen.«

Ich verdrehte die Augen, während Mom in ihrer Zeitung blätterte und mal so beiläufig beim Frühstück erwähnte, dass ich scheiße aussah. Die trotzige Seite in mir wollte ihr da absolut nicht zustimmen, während eine leise Stimme in meinem Kopf flüsterte, dass an ihren Worten vielleicht etwas Wahres dran war. Mein sonst perfekt sitzender Long Bob hatte sich allmählich verabschiedet. Anstatt bis zur Schulter reichten mir die Haare inzwischen fast bis zur Brust und hatten ihre Dicke und ihr Volumen verloren. Platt baumelten sie herab, die Spitzen vom Spliss zerfressen und kräuselig. Mein Teint war zu blass, weil ich seit August das Haus nicht mehr verlassen hatte. Seit dem Tag, an dem ich den Zettel auf meinem Küchentisch gefunden hatte, lag ich den Großteil der Zeit im Bett, vorausgesetzt, Lucretia war nicht da, die ich zwischenzeitlich in den Garten schickte. Um dann auf dem Sofa zu liegen und aus der großen Fensterfront zu starren.

Mom hatte sich das Elend den halben September lang angesehen, bevor sie ihre Wohnung gekündigt und zu mir gezogen war. Seit Anfang Oktober wohnte sie jetzt bei mir und die Tatsache, dass ich mit vierundzwanzig wieder mit meiner Mutter zusammenwohnte, beförderte mein Selbstwertgefühl auf einen unterirdischen Tiefpunkt. Und da meine Mom dank des großzügigen Erbes meiner Großeltern nicht länger arbeiten musste, hatte sie genug Zeit, um mir auf den Keks zu gehen. Dementsprechend lange würde es dauern, bis ich mich von dem Tiefpunkt meines Lebens wieder aufgerappelt hatte. Falls ich jemals wieder aus diesem Loch herauskam, in das mich David geschubst hatte. Er hatte nicht einmal versucht mit mir zu sprechen, während ich die ersten zwei Wochen nach seinem Auszug gewartet und ihn permanent angerufen hatte, um die Sache zu klären. Er hatte gar nicht reagiert. Irgendwann hatte ich dann aufgegeben und akzeptiert, dass es jetzt vorbei war, was nicht bedeutete, dass es weniger schmerzte. Ich hatte nur nicht länger darauf warten wollen, dass er sich dazu herabließ, mit mir zu reden. Ironischerweise meldete er sich seit einigen Wochen wieder, aber nur, um zu sagen, dass er irgendwann seine Sachen abholen kam oder ich mit meiner besten Freundin sprechen sollte. Aber darauf antwortete ich nicht, weil ich jetzt keine Lust mehr hatte, mit ihm zu reden. Bibi schrieb mir ab und zu per WhatsApp und fragte, ob wir über alles mal wieder quatschen konnten, aber ich war mir seit August nicht sicher, worüber ich mit ihr quatschen sollte.

Die Tatsache, dass meine beste Freundin mit meinem Verlobten durchgebrannt war, trieb mir noch immer die Tränen in die Augen. Wie konnte sie siebzehn Jahre Freundschaft einfach so wegwerfen? Wie konnte David unsere neunjährige Beziehung einfach so wegwerfen? Es war schlimm, betrogen zu werden. Es war schlimm zu erkennen, dass ich nicht geliebt wurde. Dass die Liebe, von der ich dachte, dass sie ewig halten würde, nicht länger existierte. Aber was noch viel schlimmer war, war der Vertrauensbruch von gleich zwei geliebten Menschen. Bibi war immer da gewesen, genauso wie ich immer für sie da gewesen war. All unsere anderen Freunde lebten heute in New York, Washington, London oder irgendwo anders. Mit keinem hatte ich so guten Kontakt wie mit Bibi. Klar hatte sich unsere Freundschaft verändert, aber sie hatte gehalten. David und sie waren die einzigen Menschen gewesen, die ich gebraucht hatte. Und jetzt hatte ich nur meine Mutter, die mich auf ihre schrecklich direkte Art jeden Tag aufs Neue daran erinnerte, dass ich mich in ein Wrack auf zwei Beinen verwandelte. Wenigstens hatte David mir nicht mein Haus wegnehmen können.

»Ach komm schon, Lynn. Du weißt ganz genau, dass ich recht habe. Es ist okay, traurig zu sein, nur solltest du nicht immer traurig sein.« Erneut nippte Mom an ihrem Kaffee. Ihr Haar wurde langsam grau und mehrere kleine Falten zierten ihr Gesicht rund um ihre Augen- und Mundpartie herum. Nachdem sie sich von Dad getrennt hatte, versuchte Mom immer perfekt zu sein. Jederzeit vorzüglich gestylt, die Blusen einwandfrei gebügelt, die Perlenkette vortrefflich poliert. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie sich nur so zurechtmachte, um sich selbst daran zu erinnern, dass sie zu gut für solche Kerle wie meinen Dad war. Männer, die den Alkohol ihren Familien vorzogen. Männer, die nach der Entzugsklinik zehn Jahre jüngere Krankenschwestern heirateten und so taten, als existierten die Menschen, die ihn vor seinem Klinikaufenthalt geliebt hatten, ganz plötzlich nicht mehr.

»Ich bin nicht immer traurig«, erwiderte ich und schob lustlos meinen Teller von mir weg. »Manchmal bin ich auch wütend.« Das Rührei war inzwischen kalt und der Appetit war mir bei dem Gedanken an David vergangen. Die Stimme in mir flüsterte, dass meine Worte eine Lüge waren und Mom das ganz genau wusste.

Seufzend schob sie ebenfalls ihren Teller weg und faltete die Zeitung zusammen. »Ach Lynn. Warum gehst du später nicht mal eine Runde spazieren? Du hockst seit drei Monaten hier herum. Etwas frische Luft würde dir wirklich guttun und dich bestimmt ablenken.« Das schlug sie mir jetzt schon seit einiger Zeit vor und ich war kurz davor, ihrer Aufforderung nachzugeben, damit sie endlich aufhörte mich zu irgendetwas zu drängen. Mom verstand leider nicht, dass ich für manche Dinge mehr Zeit brauchte als sie. Sei es, beim Arzt anzurufen und einen neuen Termin zu vereinbaren oder eben spazieren zu gehen. Ich war noch nicht so weit.

Weil ich keine Lust hatte, mir einen weiteren, lebensverändernden Ratschlag anzuhören, schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf. Das Quietschen der Stuhlbeine auf dem Parkett ließ mich zusammenzucken. Normalerweise hätte ich mich dafür verflucht, dass ich dem Parkettboden so etwas antat, aber diese spießige Seite in mir war irgendwie verschwunden. Stattdessen war es mir total egal, ob wir Platzdeckchen auf den Mahagonitisch legten, Untersetzer benutzten oder das Parkett ohne den speziellen Parkettreiniger wischten. Diese kleinen Sachen waren vollkommen unwichtig geworden. Nicht einmal Lucretia, auf die ich ab und zu immer noch aufpasste, wobei meine Mom eigentlich die meiste Arbeit übernahm, konnte mich aufmuntern. Ich wollte mich nur in meinem Bett verkriechen und schlafen …

»Lynn, Schätzchen«, rief meine Mom, bevor ich das Esszimmer verließ. »Denk daran, Peter zurückzurufen. Er klang beim letzten Mal sehr aufgebracht, weil du nicht rangehst. Er meinte, es sei wichtig.«

»Jaja.« Ohne ihr weiter Beachtung zu schenken, stapfte ich durch den Flur und die Treppe hoch. Peter war mein Literaturagent bei Publisher&Sons, einer Agentur, die sich vor allem auf die Vermittlung von Romance-Romanen konzentrierte. Denn genau das war mein Markenzeichen: meine herzzerreißenden und äußerst dramatischen Liebesgeschichten. Mit sechzehn hatte ich meine erste Geschichte im Selfpublishing veröffentlicht. Nachdem ich einen Schreibkurs am College belegt hatte, war ich schließlich an die Agentur gekommen. Das war jetzt vier Jahre her und ich verdiente genug, dass ich nach dem Studium direkt als Autorin durchstarten konnte. Aber seit der Sache mit David hatte ich nicht ein einziges Wort geschrieben. Nichts. Ich hatte keine Lust mehr auf Liebesgeschichten. Peter hatte ich das oft genug gesagt, aber weil sich mein letztes Buch nicht sonderlich gut verkauft hatte, wollte er neue Titel von mir sehen. Die ich ihm nicht anbot, weil ich nichts schrieb. Den ganzen Tag über verkrümelte ich mich im Bett, schaute True-Crime-Serien oder las Fantasy-Bücher.

Ich durchquerte den schmalen Flur und vermied es, die Wände anzusehen, die mit unzähligen Fotos von David und mir tapeziert waren. Es war Anfang November und diese Scheiß-Fotos hingen noch immer an den Wänden. Aber ich war nicht bereit sie abzunehmen, und hatte es Mom verboten, auch nur eines von ihnen zu verrücken. Ich wollte das selbst erledigen. Nein, ich musste das selbst erledigen.

Das Schlafzimmer, das jetzt mir allein gehörte, befand sich über dem Wohnzimmer, dementsprechend groß war es. Mein Himmelbett stand auf einem kleinen Podest, direkt unter einem Fenster. Wenn ich mich abends ans Fußende setzte, konnte ich der Sonne beim Untergehen zusehen. Aber Sonnenuntergänge waren mir aktuell zu kitschig. Sogar der bescheuerte Baldachin war mir zu rührselig, weshalb ich ihn zwei Tage nach der Trennung abgenommen und in einer Plastiktüte in meiner Schrankhälfte verstaut hatte. Davids Hälfte war noch fast voll, weil er seit der Trennung nicht hier gewesen war. Manchmal kamen Nachrichten, ob ich zu Hause war, auf die ich nicht reagierte. Aber mehr kam nicht. Keine Erklärung, keine Entschuldigung, nichts. Seine Sachen schienen ihm also nicht so wichtig zu sein. Und meine Gefühle offensichtlich ebenso wenig.

Seufzend legte ich mich in das zu große Bett und starrte an die mit weißem Holz verkleidete Decke, um nicht auf den Nachtschrank zu blicken. Denn dort stand die Schatulle, in der ich den Verlobungsring aufbewahrte, den ich mir vor drei Monaten unter Tränen vom Finger gezogen hatte.

Krampfhaft fokussierte ich die Maserung der Holzverkleidung über mir. Auf einen weiteren Tag, den ich mit Liebeskummer verbrachte. Mir hatte es immer so viel Spaß gemacht, darüber zu schreiben, aber das alles jetzt selbst zu erleben war nicht ansatzweise so unterhaltsam.

Unten hörte ich Teller klappern. Irgendwann Schritte auf der Treppe.

»Ich fahr einkaufen!«, rief Mom. Wie lange ich schon auf dem Bett lag und nur an die Decke starrte, wusste ich nicht. Die Tür knallte, weil Mom das Haus verließ. Nun war ich allein. Seit der Sache mit David betrat ich nur ungern die Küche. Sie war bis dahin mein Safe Place gewesen – aber dann hatte David diesen blöden Zettel auf den Küchentisch gelegt. Seitdem erinnerte ich mich immer an das Gefühl, alles verloren zu haben, sobald ich die Küche betrat. Er und Bibi hatten mir nicht nur das Herz gebrochen, sondern mir zusätzlich den liebsten Raum im ganzen Haus genommen. Konnte man jemanden dafür verklagen?

Ich rollte mich auf die Seite und blickte aus dem Fenster. Draußen war es grau und dicke Regenwolken zogen über den Himmel. Der November war stürmisch und frisch – womit er perfekt zu meiner Stimmung passte.

Das Schrillen der Haustür ließ mich zusammenzucken. Scheiße verdammt. Wer störte mich denn jetzt bitte bei meinem Im-Selbstmitleid-Versinken? Ich beschloss liegen zu bleiben. Der Postbote wusste, dass er die Sachen nach hinten bringen sollte, und alle anderen konnten später wiederkommen. Aber wer auch immer es war, ließ absolut nicht locker. Unfassbar schlechte Laune krabbelte in meinem Herzen hoch, sobald ich mich vom Bett rollte und grimmig durchs Schlafzimmer nach unten ging. Während ich die untere Treppenstufe hinunterstolperte, fragte ich mich, wann ich das letzte Mal die Haustür geöffnet hatte. Mom besaß einen Schlüssel und sprang immer erschrocken auf, wenn es schellte, sodass ich nicht einmal eine Chance bekam, die Tür zu öffnen.

Fluchend durchquerte ich den Flur, während das Klingeln zu einem nicht enden wollenden, monotonen Geräusch anschwoll. Da bekam wohl jemand seine Finger nicht mehr vom Klingelknopf.

Wann war ich das letzte Mal so schlecht gelaunt gewesen? Ich erinnerte mich nicht mehr daran, also musste es schon Jahre her sein. Wütend riss ich die Haustür auf.

»Was?«, keifte ich. Ein Schwall kalter Novemberluft strömte mir entgegen. Ich wurde von einem freundlichen Hundebellen begrüßt.

Langsam wanderte Aydans eisblauer Blick über die kurzen Pyjamashorts, das oversized Bandshirt, auf dessen Mitte ein riesiger Zahnpastafleck prangte, mein wütendes Gesicht und meine unordentlichen Haare.

Aydan räusperte sich, sobald er meine grimmige Miene bemerkte. Lucretia, die neben ihm vor der Haustür saß, schaute nur stumm von mir zu ihm und wieder zurück. Wie ein kleines Kind, das gespannt darauf wartete, was seine Eltern als Nächstes taten.

»Hi, Lynn«, begrüßte mich Aydan und schüttelte den Kopf. Versuchte er den Anblick, den ich abgab, schleunigst aus seinem Hirn zu vertreiben? Ganz ehrlich? Ich konnte ihm seine Überraschung nicht verübeln. Ich sah grauenvoll aus und meine Klamotten passten absolut nicht zueinander. Jetzt mal abgesehen davon, dass er mich immer in Kleidung gesehen hatte, die mir bis übers Knie reichte. Früher, als mich die Interaktion mit anderen Menschen noch nicht alle Nerven gekostet hatte, hätte ich gelächelt und Aydan freundlich daraufhin gewiesen, dass er meine Beine nicht so offensichtlich anstarren sollte, jetzt war ich einfach nur sauer.

»Einmal klingeln reicht«, entgegnete ich kühl. Mit einem Kopfnicken deutete ich zur Klingel.

Er zog die Mundwinkel hoch und kratzte sich verlegen am Kopf. »Ja, sorry. Katherine meinte, wenn sie nach dem ersten Klingeln nicht aufmacht, soll ich länger klingeln.«

Wow. Meine Mom war wirklich gerissen. Sie hatte dieses Treffen vermutlich sogar eingefädelt, damit ich nicht länger wie eine depressive Kartoffel im Bett lag. Schlau, Mom. Und warum Aydan nach so kurzer Zeit schon ihren Vornamen kannte, war mir äußerst schleierhaft. Bei David hatte es ein ganzes Jahr gedauert, bis sie ihm endlich die Hand gegeben und ein »Du darfst Katherine sagen« gemurmelt hatte.

»Wie viel hat sie dir dafür gezahlt, dass du herkommst? Egal, wie viel es ist, ich zahle das Doppelte, damit du dich auf keine weiteren Tricks mit ihr einlässt.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an. Keine Frage, es war unfassbar dreist von mir, unsere sonst so peinlich gepflegte Höflichkeit außer Acht zu lassen, aber ich wollte so schnell wie möglich wieder in mein Bett und keinen, absolut keinen Kontakt zu anderen Menschen haben.

Die Augenbrauen zusammengekniffen starrte Aydan mich fragend an. »Ich weiß nicht, wer hier wem etwas gezahlt hat«, meinte er vorsichtig und hob sogar zu einer beschwichtigenden Geste die Hände, »aber ich wollte fragen, ob du spontan auf Lucretia aufpassen könntest. Ich muss über Nacht nach Detroit und möchte sie ungern mitnehmen.«

Einen Moment lang erwiderte ich seinen Blick. Es war beeindruckend, wie blau seine Augen waren. Die perfekte Mischung aus intensivem Eisblau und einem Hauch Grau. Faszinierend. Vor allem aber hatte ich das Gefühl, dass er absolut ehrlich war. Dass er mir nichts vorgaukelte und nichts mit meiner Mutter im Schilde führte.

Seufzend trat ich zur Seite. Lucretia verstand, was ich ihr damit sagte, weshalb sie sofort an mir vorbei ins Haus stürmte. Im August hatte Aydan sie am Montag wie versprochen abgeholt und mich mehrmals gefragt, ob bei mir alles in Ordnung war. Vermutlich hatte ich ausgesehen wie ein Zombie – blass, mit rotgeweinten Augen und stumpfem, ungekämmtem Haar. Ich hatte damals nur genickt, ihm die Leine in die Hand gedrückt und ihm eine schöne Woche gewünscht. Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen. Manchmal hatte ich seine Stimme gehört, wenn Mom ihm die Tür geöffnet hatte.

»Danke«, murmelte Aydan, biss sich auf die Lippe und wich meinem Blick aus, als wäre es ihm unangenehm, mich länger anzusehen, jetzt, da er das bekommen hatte, was er wollte.

»Gern.« Warum zitterte meine Stimme auf einmal? Und wo war die Wut hin, die bis vor wenigen Sekunden in meinem Bauch rumorte? Mit einem Mal war sie verschwunden. Ich wusste, dass sie noch irgendwo in mir herumschwirrte, aber ich spürte sie nicht mehr.

»Lynn?« Aydans Stimme riss mich aus den Gedanken.

Ich blickte auf und bemerkte, wie krampfhaft ich mich am Türrahmen festhielt.

»Geht es dir gut?« Vier einfache Wörter. Vier Wörter, die meine Welt zum Wanken brachten. Die letzten Monate hatte ich mich so unfassbar allein gefühlt. Wie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt. Klar, Mom war da und sie hörte mir zu, aber sie verstand mich nicht so, wie mein Verlobter es getan hatte. Sie verstand mich nicht so, wie eine beste Freundin es tat. Aber Aydans vier einfache Wörter, seine stinknormale Frage, gaben mir das Gefühl, dass er mich verstand. Dass ich verstanden wurde.Ein Gefühl, welches mir erneut die Tränen in die Augen trieb. Unweigerlich schnürte sich meine Kehle zu und ich flehte mich gedanklich selbst an nicht vor ihm in Tränen auszubrechen. Das letzte bisschen Anstand, das ich besaß, wollte ich nicht auch noch verlieren.

»Alles bestens«, sagte ich und schluckte bemüht die Tränen herunter. »Ich bin nur … egal. Wann kommst du morgen vorbei?«

Aydans Mundwinkel fielen herab, seine Augen taxierten mich nur traurig. In seiner Miene stand Mitleid. »Das weiß ich noch nicht«, meinte er nach einigen Sekunden des Schweigens, in denen er mich nur stumm gemustert hatte.

»Katherine wird da sein. Ist also egal, wann du kommst.« Um eine möglichst ausdruckslose Miene bemüht guckte ich ihn an. Anstelle des leichten Bartschattens, der sich sonst immer an seinen Kieferknochen und seinem markanten Kinn abzeichnete, trug er nun einen gepflegten Bart, der ein bisschen dichter war als ein Drei-Tage-Bart. Quasi ein Sieben-Tage-Bart. Obwohl es ungewohnt aussah, stand es ihm wirklich gut.

»Noch mal danke«, entgegnete Aydan nur, lächelte und wandte sich ab. Offensichtlich wollte er mich nicht weiter stören, wofür ich ihm sehr dankbar war. Die Haustür protestierte quietschend, sobald ich sie schloss. Großartig. Ich musste dringend diese verfluchten Scharniere ölen! Und was hatte ich da bitte schön alles gesagt? Mich beschlich das Gefühl, dass ich Aydan vor den Kopf gestoßen hatte. Hoffentlich hatte er jetzt kein schlechtes Gewissen, weil er auf Hilfe angewiesen war. Ich liebte Lucretia und genoss ihre Anwesenheit. An dem Wochenende, an dem David mein Leben zerstört hatte, war ich froh gewesen, dass ich mich um sie kümmern musste, weil ich so gezwungen war aufzustehen. Aber als sie weg gewesen war und ich mich ungeniert in meinem Bett verkriechen konnte … dann war da Leere. Unendliche Leere. Die immer noch anhielt.

Z W E I

Die Dalmatinerhündin kam hechelnd auf mich zu und schmiegte ihren warmen Kopf an mein Bein. Ihr Fell kitzelte mich, was mir sofort ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

»Ich hab dich auch vermisst«, wisperte ich, streichelte ihr sanft über die Ohren und erschrak. Im Wohnzimmer piepste etwas. Lucretia betrachtete mich fast schon skeptisch, weil ich bei dem nervigen Klingelton meines Handys zusammenzuckte. Mir war wirklich nicht mehr zu helfen.

Lucretia legte den Kopf schief, bevor sie auffordernd gegen mein Knie stupste. Am liebsten hätte ich sie einfach weiter gestreichelt, aber das Handy stieß erneut einen fürchterlichen Laut aus, weshalb ich nur die Hände hob, zum Zeichen, dass ich sie nicht streicheln würde.

»Sorry«, entgegnete ich und marschierte an ihr vorbei durch den Flur. Lucretia trabte mir seelenruhig hinterher, bog mit mir nach links ins Wohnzimmer ab und machte es sich dann auf ihrem gewohnten Platz neben dem Fernseher gemütlich. Sie hier zu sehen, wie sie sich in ihre Decke einkuschelte, tat mir gut. Wie die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut, wenn der Winter vorbei war und der Frühling langsam einzog.

Das Klingeln des Telefons schreckte mich erneut aus meinen Gedanken. Himmel, warum war dieses Teil überhaupt eingeschaltet? Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass ich es gestern Abend auf lautlos gestellt und absichtlich auf dem Sideboard neben dem Esstisch liegen gelassen hatte. Hatte Mom es vorhin angeschaltet, bevor sie zum Einkaufen gefahren war?

Mit einer fast schon erschreckenden Kontinuität schrieb mir David, ob ich zu Hause war und dass ich bitte mit Bibi reden sollte, während Bibi mir schrieb und mich fragte, ob wir über alles reden konnten. Das ging jetzt schon eine ganze Weile so und auf keine einzige der Nachrichten reagierte ich. Weder mit Emojis noch mit leeren Wörtern. Was hatte das für einen Sinn? Die Kontakte zu blockieren brachte ich allerdings nicht übers Herz. Dafür war ich noch nicht bereit.

Grimmig ging ich auf das Sideboard zu, griff nach meinem Handy und vergewisserte mich, dass die Lesebestätigung bei WhatsApp wirklich ausgestellt war. Dann wanderte mein Blick über die immer gleichen Textnachrichten, die mir die Wut zurück ins Herz trieb.

Ich komme nächste Woche und hole meine Sachen ab. Wollte dir nur Bescheid geben.

Sprich endlich mit Bibi.

Was soll dir das bringen, Lynn? Es ist so, wie es ist, also ignorier mich nicht.

Ich hätte gedacht, dass du erwachsener wärst.

Was für ein verdammter Mistkerl! Ich hätte gedacht, dass du erwachsener wärst. Ähm, hallo? Ich hätte auch einfach seine Sachen in den Mixer schmeißen oder auf einem Scheiterhaufen verbrennen können, aber nein, stattdessen bewahrte ich sie immer noch in seinem Schrank auf. Jedes Kleidungsstück lag noch immer so ordentlich dort, als hätte er es gerade erst in seine beschissenen Fächer einsortiert! Und vor allem, was brachte es mir, wenn er mir jetzt Bescheid gab, dass er nächste Woche vorbeikommen wollte? Nächste Woche war genauso vage wie die Vorhersagen im Horoskop!

Plötzlich klingelte auch noch das Haustelefon. Na großartig. So viel menschliche Interaktion war ich nicht mehr gewohnt.

Mies gelaunt stapfte ich zur Anrichte im Flur, auf der das Telefon stand – und erblickte Tannenzweige. Wo kamen die denn her? Ohne länger darüber nachzudenken, dass Mom offensichtlich bereits in Weihnachtsstimmung war und mein ganzes Haus in einen Albtraum aus Weihnachtsdeko verwandeln würde, drückte ich auf den grünen Hörer.

»Was?« Meine Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Gesellschaft meiner Mutter stresste mich schon ungemein, dann noch die Begegnung mit Aydan und die blöden Nachrichten von David … das war zu viel für einen Tag. Vor allem für einen Tag, an dem ich wirklich, wirklich nicht in der Stimmung für Gesellschaft war.

»Lynn? Bist du das?«

O nein, nicht das noch! Innerlich verfluchte ich mich dafür, nicht vorher aufs Display geschaut zu haben. Denn dann hätte ich gesehen, dass die Nummer aus Detroit stammte, und hätte mich an meinen Grundsatz – nicht ans Telefon zu gehen, wenn eine Nummer aus Detroit anrief – halten können.

»Lynn?« Die Stimme meines Agenten Peter klang alles andere als höflich. Das Schlimmste war, dass ich ihn verstand, obwohl ich nicht vorhatte mein Verhalten zu ändern.

»Ja«, entgegnete ich deshalb kühl und war kurz davor, einfach wieder aufzulegen. Ich wollte nicht mit ihm reden und erst recht wollte ich nicht schreiben. Nie wieder. Einige Wunden brauchten Zeit, um zu heilen, aber ich war mir nicht sicher, ob sich mein gebrochenes Herz jemals von diesem Verrat erholen würde.

»Nicht wieder auflegen! Es ist wichtig!« Peter brüllte fast, weshalb ich den Hörer etwas vom Ohr weghielt, um keinen Hörsturz zu bekommen.

Stöhnend legte ich mein Handy auf die Ablage und strich mir mit der freien Hand die Haare aus der Stirn.

»Was willst du? Ich hab doch gesagt, dass ich erst einmal nichts schreiben werde.«

Ich hörte ihn scharf die Luft einziehen. »Hör zu, Lynn, ich weiß, was du gesagt hast«, meinte er lahm und klang deutlich weniger aggressiv als noch vor ein paar Sekunden. »Und glaub mir, ich würde dich nicht anrufen, wenn es nicht so wichtig wäre.« Genervt sank ich auf die Treppe, stützte die Ellenbogen auf dem Knie auf und legte mein Kinn in die Handfläche. Mein Kopf war plötzlich viel zu schwer für mich.

»Was ist passiert?« Ich gab mir nicht einmal Mühe, interessiert zu klingen. Vielleicht wurde ich ihn ja schneller los, wenn er merkte, dass ich keine Lust auf ein Gespräch mit ihm hatte?

»Der Verlag hat sich gemeldet, bei dem deine neue Romance erscheinen sollte«, setzte Peter an. »Sie wollen von uns eine Entschädigungszahlung, weil sie den Programmplatz freigehalten haben und jetzt, nachdem du abgesprungen bist, weniger Titel bringen konnten. Sie werfen uns Vertragsbruch vor und drohen, uns zu verklagen, wenn wir nicht zahlen.«

Hupps. Mein letztes Projekt hatte ich nicht fertig geschrieben, weil es nicht ging. Kein Wort hatte aus mir herausfließen und sich auf dem Papier verewigen wollen. Anfangs hatte ich versucht mich zum Schreiben zu zwingen, aber alles, was ich zustande gebracht hatte, war hoffnungsloser Müll. Eine Woche vor Abgabe hatte ich Peter schließlich gesagt, dass ich mich nicht dazu in der Lage sah, das Projekt zu beenden, das nur vier Monate später hätte erscheinen sollen. Mir war klar, dass weder der Verlag noch die Agentur über meine Entscheidung begeistert waren, aber gleich so was? Das fand ich etwas übertrieben, zumal ich nicht einmal in der Vorschau angekündigt worden war.

»Und? Wie viel wollen die? Dann bezahle ich das halt.« Meine Stimme klang noch gelangweilter und es fühlte sich seltsam an, darüber zu sprechen. Also, übers Schreiben. Fremd und vertraut zugleich, aber auch wie etwas, für das ich mich schämte. Woher diese Gefühle kamen, wusste ich nicht, und jedes Einzelne zu benennen erschien mir wie ein Ding der Unmöglichkeit.

»Darum geht’s mir nicht«, murmelte Peter. »In letzter Zeit springen mehrere unserer Autoren kurz vor Ende ab. Es kann immer was dazwischenkommen, Programme lassen sich verschieben, ist alles kein Problem. Aber der Chef sortiert gerade systematisch diejenigen aus, die uns nicht mehr genug Geld einbringen – und du gehörst da auch zu. Die Sache wird nicht billig und wenn du nicht bald wieder etwas schreibst, das wir verkaufen können, werden wir dich auch abgeben müssen.«

Mit anderen Worten: Aus der Sache mit dem Verlag herauszukommen war viel zu teuer, als dass meine eingebrachten Einnahmen die Kosten abdeckten. Noch einfacher gesagt: Meine Bücher verkauften sich nicht mehr so gut. Zum Glück hatte ich einiges gespart, sodass ich erst mal abgesichert war.

»Ihr schmeißt mich wegen dieser einen Sache raus?« Jetzt klang meine Stimme weder desinteressiert noch genervt. Erschütterung breitete sich in meinem Herzen aus. Erschütterung und Wut.

»Lynn«, setzte Peter an. Ich stellte mir vor, wie er gerade vor der gigantischen Fensterfront seines Büros in Detroit stand, auf die Stadt herabblickte und die freie Hand in die Tasche des blauen Nadelstreifenanzugs schob, von dem er zigtausend Modelle besaß. »Ich kann versuchen das Übel abzuwenden, wenn du uns etwas schreibst, hörst du?«

Seine Worte waren wie Brandbeschleuniger in einem leicht lodernden Feuer. Sofort flackerte die Wut in mir empor. »Wie oft soll ich es noch sagen? Mir geht es nicht gut! Ich werde dann schreiben, wenn ich mich dazu bereit fühle!«

Ich hörte ihn seufzen. »Pass auf. Ich habe hier zwei Projekte, die du dir anschauen kannst. Es sind nur zwei kleine Sachen, nichts Wildes, das müsstest du schnell hinbekommen. Der Writer’s Place sucht zum Beispiel gerade eine kurze winterliche Liebesgeschichte, die für die Weihnachtsausgabe …«

»Ich will gerade nichts schreiben!«, unterbrach ich ihn gereizt. »Bitte lass mich damit einfach in Ruhe, okay?« Warum verstand er mich nicht? Er benahm sich wie meine Mutter, die mich permanent dazu bringen wollte, spazieren zu gehen.

»Du kannst es dir ja bis morgen Abend überlegen«, meinte Peter lahm.

»Da gibt es nichts zu überlegen!«, wetterte ich.

»Ich weiß, dass du es gerade nicht leicht hast, Lynn. Ich wünschte, ich könnte dir die Zeit geben, die du brauchst, um weiterzumachen. Bitte überleg es dir, okay?«

Am liebsten hätte ich gesagt, dass er sich seine Zeit sonst wohin stecken konnte, aber diesen Kommentar verkniff ich mir im letzten Moment. Ich hatte ihn vermutlich schon genug verletzt, indem ich ihm so offen zeigte, dass ich nicht mit ihm arbeiten wollte. Seufzend rieb ich mir über die Stirn und nickte dann, auch wenn er mich nicht sah.

»Na schön. Dann bis morgen.« Ehe er etwas erwiderte, legte ich auf. Lucretia kam aus dem Wohnzimmer zu mir getapert und schmiegte ihren Kopf an mein Knie, eine stumme Aufforderung, dass ich sie streicheln sollte.

»Du spürst es, wenn es einem nicht gutgeht, oder?«, flüsterte ich, sobald ich die Fingerspitzen in ihrem weichen Fell vergrub. Sie brummte zustimmend. Unweigerlich grinste ich. »Manchmal wünschte ich, dass ich auch ein Hund wäre. Als Hund wäre doch alles viel einfacher, oder?«

D R E I

Irgendwie schaffte Mom es, ganz unauffällig Weihnachtsdeko in meinem Haus zu verteilen. Zu dem Tannenzweig auf der Anrichte im Flur gesellten sich nach und nach diese seltsamen Wichtel mit den überdimensional großen Nasen. Als ich zum Mittagessen wieder herunterkam, entdeckte ich einen von ihnen neben dem Telefon. Ein paar Stunden später, Mom hatte mich zum Kaffee runtergerufen, saß plötzlich noch ein zweiter dabei. Zufall? Vermutlich nicht.

Beim Abendessen verkündete sie dann, dass ihr die zwei Kisten Weihnachtsdeko, die sich im Keller stapelten, nicht ausreichten, um den Weihnachtszauber ins Haus und somit auch in mein Herz zu holen. Als ich ihr dann auch noch erklärte, dass eine der Kisten nicht einmal mir, sondern Davids Mom gehörte, die sie nur bei uns zwischenlagerte, verfinsterte sich ihre Miene und sie sprach kein Wort mehr mit mir. Vermutlich ging ihre Welt gerade unter, weil ich nicht genug Weihnachtsdeko besaß. Wobei ich sagen musste, dass ich noch nie ein großer Weihnachtsfan gewesen war. Dieses Rot und Grün fand ich lächerlich und den Sinn eines Weihnachtsbaums hatte ich auch noch nie verstanden. Und hinterher musste man ja auch alles wieder aufräumen! Leider teilte Mom meine Abneigung gegen Weihnachten nicht. Im Gegenteil: Auch wenn sie immer etwas zu spät dran gewesen war mit dekorieren und backen, hatte sie ihre Weihnachts-Liebe fast schon übertrieben ausgelebt.

Als ich missgelaunt nach dem Abendessen in mein Schlafzimmer hinaufstapfte, nannte Mom mich einen Grinch.

Den restlichen Abend und den folgenden Vormittag verbrachte ich damit, meine Nase in einem Buch zu vergraben. Ich hatte die Fantasy-Reihe zufällig bei Amazon entdeckt und war nach der Leseprobe von Teil eins bereits ein großer Fan gewesen. Angeblich basierte die Story lose auf dem Märchen Aschenputtel, nur dass dieses Aschenputtel definitiv nicht brav und lieb, sondern eine richtige Killermaschine war. Und es gab Fae. Was wollte ich also mehr? Diese neue Reihe entsprach genau meinem Geschmack, weshalb ich auch erst wieder aus meinem Zimmer kam, als Mom gegen Mittag zu ihrem Yoga-Kurs im Stadtzentrum aufbrach und mich somit nicht ständig mit der Weihnachtsdeko oder einem Spaziergang nervte. Außerdem wurde es langsam Zeit, dass Lucretia sich im Garten erleichterte – für mich der einfachste Weg, um nicht das Haus verlassen zu müssen.

Mit dem Buch in der Hand schlenderte ich die Treppe hinunter und in die Küche. Was Klischees über Autoren betraf, erfüllte ich auf jeden Fall das der ausgeprägten Kaffeesucht. Selbst wenn ich nicht schrieb, brauchte ich Kaffee, um klar denken zu können. Was in den letzten Monaten zwar nicht gerade funktioniert hatte, aber dem Kaffee würde ich trotzdem nicht abschwören. Das Brummen der Kaffeemaschine beruhigte mich jedenfalls. Heute gelang es mir tatsächlich, für einen ganz kurzen Augenblick nicht daran zu denken, was hier passiert war. Aber nur für einen ganz kurzen Moment, denn dann fiel mein Blick wieder auf den Küchentisch und ich erinnerte mich schmerzhaft daran, dass David mir das Herz gebrochen hatte, ohne überhaupt anwesend zu sein.

Ich liebe dich nicht mehr.

Ich liebe jetzt Bibi.