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Ich kann mir keine Art von Schönheit vorstellen, in der nicht auch Melancholiezu finden ist ... schrieb Charles Baudelaire im neunzehnten Jahrhundert und bezog sich damit auf ein Phänomen, das seit Jahrhunderten Philosophen, Künstler,Musiker, Dichter und Schriftsteller fasziniert. In der heutigen Welt wird Melancholie häufig mit Trauer verwechselt oder sie wird mit Depression gleichgesetzt. Aber in der Geschichte der westlichen Kultur dachte man, dass sie sowohl in depressiven Zuständen wie auch bei manischer Verzückung gegenwärtig ist. Über zweitausend Jahre lang war Melancholie Teil der Lehre von den Temperamenten, die annahm, dass Körper und Geist auf mystische Weise miteinander verbunden sind und dass diese Verbindungen alle Charakterzüge, Neigungen, Vorlieben, Erscheinungen, emotionalen Zustände sowie alle geistigen und physiologischen Funktionsstörungen erklären könnten. Traditionell nahm man an, dass eine große Bandbreite von Funktionsstörungen durch ein Ungleichgewicht der Lebensenergien verursacht wird. Über die Jahrhunderte hinweg hat Melancholie eine komplexe esoterische und philosophische Bedeutung erlangt. Sie wurde zu einer Erkrankung der Seele, zum Triumph der inneren Dunkelheit über das göttliche Licht des Verstandes, zur Quelle von Genialität und inspiriertem Wahnsinns, zum Synonym für Lethargie und Verdrießlichkeit, zur tödlichen Sünde, zum saturnischen Prinzip der Ekstase und des Leidens, zum dunklen Element in der menschlichen Natur und schließlich zur universellen Grundbeschaffenheit der Menschheit. Dieses Buch konzentriert sich auf die traditionelle Sichtweise der Melancholie und ihre Interpretation in der antiken und der modernen Geschichte der westlichen Esoterik. Es strebt danach, die alten Konzepte in einen zeitgemäßen Kontext zu übersetzen und Melancholie als einen zentralen Teil der okkulten Philosophie wieder zuentdecken, der die kritischste Phase der spirituellen Erfahrung repräsentiert. Alchemie, die dionysischen Mysterien, bacchantische Ekstase-Riten, Lycanthropie, die Wurzelsünde Acedia, spirituelle Reisen in die Unterwelt, inspirierter Wahnsinn, die dunkle Nacht der Seele, saturnische Kontemplation, qliphothische Initiationen und die mystische Bedeutung der Schwarzen Sonne dies sind nur einige der Themen in diesem faszinierenden Buch.
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Seitenzahl: 464
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Dieses Buch ist gewidmet jenen, die es wagen, in das Herz der Dunkelheit hinabzusteigen, die dunklen Labyrinthe des Geistes zu durchwandern, in einer wunderschönen, fortdauernden Suche nach der schwarzen Sonne, dem Licht des Göttlichen im Innern, das nur im tiefsten Abgrund der Melancholie zu finden ist.
1. Auflage 2012
Copyright © 2010 by Edition Roter Drache.
Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Postfach 10 01 47,
D-07391 Rudolstadt. [email protected]; www.roterdrache.org
Übersetzung aus dem Englischen: Helge Lange.
Lektorat: Georg Dehn.
Buch- und Umschlaggestaltung: Asenath Mason.
Titelbild: Asenath Mason.
Gesamtherstellung: Jelgavas Tipografija, Jelgava.
Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.
1. Digitale Auflage 2012
Digitale Veröffentlichung: Zeilenwert GmbH
ISBN 9783944180120
Einführung
Kapitel I
Die Lehre der Elemente
Mikrokosmos und Makrokosmos
Die Elemente
Säfte und Temperamente
Die esoterischen Korrespondenzen der Elemente
Die Symbolik der Melancholie
Kapitel II
Die Welt der Melancholie
Die Entstehung der Säfte
Mittelalterliche religiöse Lehren und der Aufschwung der Medizin
Die Renaissance: Ruhm und Abwertung des menschlichen Wesens
Angst und Furcht im siebzehnten Jahrhundert
Die Aufklärung: Vom Geist zum Fleisch
Das neunzehnte Jahrhundert: Begeisterung und Spleen
Hin zur modernen Psychiatrie
Kapitel III
Furor Divinus
Die antike Sicht des Wahnsinns
Bacchische Riten und ritueller Rausch
Propheten und Orakel
Künstlerische Manie und Besessenheit der Sinne
Kriegertrance der Raserei
Rituelle Besessenheit und chamanische Mysterien
Religiöse Manie
Der astrale Garten der Verrücktheit
Kapitel IV
Lycanthropia
Die Legende
Die heilige Krankheit
Mensch zu Wolf
Saturnalien
Tiergeister
Gestaltwandlung
Lycanthropos
Kapitel V
Die schwarze Essenz
Atra Bilis
Die spirituelle Essenz
Kundalini
Der Aufstieg und der Fall
Abstieg in die Schwärze
Die Biologie des Prozesses
Hin zum Licht
Kapitel VI
Der unruhige Geist
Die Wiederkehr der Leidenschaften
Manisch-depressive Verrücktheit & feiner Wahnsinn
Ennui & Spleen
Gegen den Strich
Leiden bis zum Tod
Trauer und Melancholie
Depression
Kapitel VII
Acedia
Spirituelle Erstarrung
Weltschmerz
Faulheit
Die tödlichste der Sünden
Kapitel VIII
Das dunkle Weibliche
Die Dame Melancholie
Tochter des Saturn
Die Hure
Blut auf dem Altar des Saturn
Anima Mundi
Kapitel IX
Kinder des Saturn
Der verschlingende Vater
Das goldene Zeitalter
Astrologische Symbolik
Der saturnische Mensch
Die Vision der Trauer
Kapitel X
Die schwarze Sonne
Der Schatten der Sonne
Visita Interiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem
Der schwarze Stein
Nigredo
Das Herz der Dunkelheit
Anhang
Quellenverzeichnis
Die Autorin
Seit des Aufstiegs der Philosophie haben Gelehrte und Denker der Erfahrung von Kummer, Depression, Traurigkeit und Schwermut mit tiefsinniger Aufmerksamkeit bedacht. Viele von ihnen lebten selbst in abgeschiedener Einsamkeit. Sie widmeten ihr Lebens der Kontemplation über ihre Psyche in dem Versuch, die veränderlichen Geisteszustände durch physiologische Theorien, geistige Störungen oder esoterische Interpretationen zu erklären. Die betörendste Vorstellung war die der inneren Dunkelheit der Seele, der schwärzung der Sinne, des Abbaus von Emotionen und Gefühlen oder ihrer Steigerung zur göttlichen Ekstase. Diese Erfahrung von Dunkelheit wurde „Melancholie” genannt. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem der faszinierendsten Phänomene für Philosophen, Ärzte, Künstler, Musiker, Schriftsteller, Dichter und insbesondere die Adepten der okkulten Künste.
Aufzeichnungen über Depression, Schwermut, Verrücktheit und manische Stimmungswechsel tauchen in fast allen Kulturen aller Geschichtsepochen auf. Die medizinischen Schriften des alten Ägypten beschreiben pathologische Ursachen depressiven Verhaltens und die griechische Mythologie stellt oft Helden dar, die gegen den Wahnsinn kämpfen. Hippokrates, Plato, Aristoteles, Theophrastos und andere Vertreter der antiken Philosophie und Medizin analysierten Depression und Melancholie. Dramatiker der Klassik wie Aeschylos oder Euripides enthalten zahlreiche Beschreibungen von Traurigkeit, Gram, Erschöpfung und spirituellem Leiden. In den alten Zeiten wurde die Melancholie als eine Krankheit der Seele angesehen, als Triumph der inneren spirituellen Dunkelheit über das göttliche Licht der Vernunft und die rationale Harmonie im Menschen. Antike Ärzte versuchten die Melancholie als eine körperliche Störung zu erklären. Sie formulierten eine Theorie der Säfte, die Humoralpathologie. Nach der resultiert die Melancholie aus einer Disharmonie der Körperflüssigkeiten und einer Vorherrschaft der schwarzen Galle, der verderblichsten und schädlichsten der Säfte. Der griechische Begriff mélaina cholé (μέλαινα χολή) erlangte weite Verbreitung in Bezug auf diese mysteriöse schwarze Flüssigkeit.
Mehr als zweitausend Jahre lang wurde die Humoralpathologie die annahm, dass Körper und Geist mystisch verbunden seien, zur Erklärung von Charakterzügen, Zuständen, Geschmäckern, Aussehen, emotionalen Zuständen und körperlichen Funktionsstörungen verwendet. Viele alte Traditionen basierten auf dem Konzept von Flüssigkeiten, die im Körper zirkulieren, oft durch metaphorische Darstellungder Energieflüsse. Im Laufe der Zeit wandelten sich diese Vorstellungen sukzessive in die von Hormonen, Enzymen, Partikeln usw. Ihre mystische Bedeutung blieb nur in bestimmten Teilgebieten der okkulten Philosophie erhalten.
Die Melancholie wurde jedoch nicht nur mit dem schwarzgalligen Temperament gleichgesetzt. Es war ein Zustand, der jeden befallen konnte, abhängig von der wechselnden Menge an schwarzer Galle, die im Winter zunahm, bei Nacht, im Prozess des Alterns und anderen Lebensabschnitten, mit denen das Element Erde und der Einfluss des Saturn assoziiert wurde.
So war die Melancholie auch nicht nur körperliche Erkrankung, sondern auch eine geistige Störung, resultierend aus der Disharmonie zwischen Körper und Seele in Verbindung mit Schwäche und dem Mangel an Lebensenergien. In diesem Sinne kann sie als eine universelle Erfahrung der Menschheit betrachtet werden, die unabhängig von Kultur oder Einstellung dieselben Aspekte beinhaltet. Robert Burton, der Autor des berühmten Kompendiums der Melancholie aus dem siebzehnten Jahrhundert, beobachtete, dass es immer einen inhärenten Zustand der Sterblichkeit gab. Burton glaubte auch, dass die Melancholie nicht nur eine Serie von Anfällen, sondern eine fixe Gewohnheit war, ein immanenter Zustand, der die ganze Welt und alle menschlichen Institutionen betreffen konnte, Königreiche, Zivilisationen und Familien, als eine grundlegende Eigenschaft der menschlichen Existenz.
Der Begriff „Melancholie” als solcher, wird durch eine große Unschärfe und Vieldeutigkeit charakterisiert. Heute neigen wir dazu, Melancholie mit Kummer oder Depression zu verwechseln. In der westlichen Kultur wurde sie jedoch immer sowohl in depressiven Zuständen als auch in Exzessen manischer Begeisterung gesehen. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es auch eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Melancholie und Melancholia. „Melancholie” bezog sich traditionell auf jede Störung, die durch ein Ungleichgewicht der Säfte oder den schädlichen Einfluss der schwarzen Galle verursacht wird, konnte aber auch alle natürlichen Zustände und Charakterzüge meinen. „Melancholia” umfasste einen weiten Bereich von medizinischen Störungen, insbesondere geistiger und emotionaler Art. In diesem Sinne wurde der Begriff in der aufstrebenden Psychiatrie und dem Studium der geistigen Krankheiten vom achtzehnten Jahrhundert an gebraucht. Oft wurden diese beiden Begriffe abwechselnd verwendet. Ich behalte die ursprüngliche Bedeutung von „Melancholie” als kultureller Idee, aber ich werde diesen Begriff auch in Bezug auf das ganze Phänomen verwenden, das alle Arten von geistigen, emotionalen und spirituellen Zuständen umfasst, ebenso wie körperliche Symptome: Die Krankheit des Fleisches und des Geistes.
Dieses Buch konzentriert sich auf die alten Konzepte der Melancholie und ihre Interpretationen in der modernen westlichen Kultur, im zeitgenössischen Kontext. Es zeigt sich, dass diese frühen Ideen nicht aus der modernen Esoterik verschwunden sind. Darum enthalten die folgenden Kapitel viele Bezüge zu ausgewählten Aspekten oder Phänomenen, die mit der esoterischen Weltanschauung assoziiert werden und nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Melancholie stehen, aber notwendig sind zum Verständnis des Ursprungs, der Natur und des Einflusses, den diese mystische Idee auf die westliche Kultur ausübte. Dabei werde ich mich auf die philosophischen und praktischen Grundlagen der Tradition konzentrieren, die in der westlichen Esoterik als der linkshändige Pfad bekannt ist.
Die Melancholie war nie eindeutig philosophisch, religiös oder esoterisch einzuordnen. Traditionen, die Ordnung und perfekte Struktur im Universum anstreben, die die Welt in ein Idealschema von göttlicher Schöpfung einzupassen versuchen, konnten die Melancholie nicht vereinnahmen. Sie war immer ein mehrdeutiges, komplexes und stets veränderliches Prinzip, das unmöglich zu greifen war, weder im christlichen Schöpfungsplan noch in der Mystik der Kabbala und ihrem Lebensbaum noch in den gnostischen Lehren.
Melancholie bezeichnet die Dunkelheit, die außerhalb der Strukturen der Schöpfung existiert und wird mit der linken, unbewussten Seite der menschlichen Psyche assoziiert. Sie ist das dunkle Prinzip in der Natur, im mikrokosmischen wie im makrokosmischen Sinne. Sie wird auch mit dem Weiblichen, der lunaren Sphäre, der Nacht und dem Irrationalen assoziiert. Melancholie ist der innere Abgrund, vollkommen schwarz und bar des Lichts, das Ordnung und kosmische Harmonie bedeutet. Dieser Abgrund wird von den Dämonen des Unbewussten bewohnt – atavistischen Urinstinkten und Impulsen, die vom Bewusstsein im Schöpfungsprozess unterdrückt wurden. Sie liegen in den Tiefen des Unbewussten, schlafend, „tot, aber träumend”, Ungeheuer und schreckliche Geschöpfe des Urchaos. Gelegentlich steigen sie aus dem Abgrund auf und Eindrücke ihrer Natur schlüpfen in unser Bewusstsein. In diesen Momenten müssen wir unsere innere Dunkelheit konfrontieren, das schwarze Reich der vergessenen Archetypen. Es wird als Depression, Furcht, Wahnsinn, Obsessionen oder Selbstmordgedanken erlebt. Wenn wir auf diese Konfrontation nicht vorbereitet sind, können wir uns in den Labyrinthen des Irrationalen verlieren.
Melancholie kann aber auch ein Weg zu Selbsterkenntnis sein, zu tiefgehender Innenschau, zur Selbstinitiation in die Mysterien der Seele. Die Reise durch die Melancholie ist die sprituelle Pilgerfahrt in den schwarzen Abgrund des inneren Geistes. Dieser Pfad führt durch schmerzhafte Transmutation, die alchemistische Nigredo, die dunkle Nacht der Seele, in der das einzige Licht die geheimnisvolle Illumination der schwarzen Sonne ist. Es ist die Reise ohne Anfang und Ende, eine immerwährende Passage durch das Labyrinth von Düsternis und Wonne, Verzweiflung und Ekstase, Wahnsinn und Weisheit, Besessenheit und Leere, Trauer und Vergnügen, Chaos und ultimativer Stille.
Wir sollten uns dieser Reise nicht verweigern. Wir sollten sie genießen und den Abgrund unserer Psyche zu erforschen lernen, weil wir dort das Unerwartete, das Vergessene, das Irrationale finden können – die verborgene Kraft, die unser Leben und unsere Art, die Welt zu sehen, beständig ändern wird. Der Danse melancholique ist ein der menschlichen Existenz zugehöriges Element, und widersprüchliche Erfahrungen verweben sich beständig in dem mystischen Reich unserer Imagination.
Dieses Buch wurde fertiggestellt nach über zehn Jahren, die dem Studium der Melancholie, ihrer Ursprünge und Interpretationen in der westlichen okkulten Praxis gewidmet waren. Ich hoffe, dass dieses Werk den modernen Leser wieder in diese wunderschöne Vorstellungswelt einführt und dass jene, die vom schwarzen Abgrund der Melancholie verschlungen werden, es hilfreich finden beim Verständnis ihrer mystischen Bedeutung und den Zweifel und die Verzweiflung in eine lohnende innere Erfahrung umwandeln werden.
Asenath Mason im Frühling 2010
„Alle Menschen haben das Potential, sich selbst zu erkennen.”1
Die ersten Zeilen der Tabula Smaragdina, des uralten Textes, der die philosophischen Grundlagen der traditionellen und modernen hermetischen Lehre liefert, enthalten das berühmte Motto „wie oben, so unten”. Es reflektiert die Erkenntnis, die im menschlichen Geist immer gegenwärtig war: Das ganze Universum ist eins und alle Dinge enthalten dieselben Prinzipien und Elemente. In den alten Schulen des Denkens wurde das menschliche Wesen als das wichtigste von allen lebenden Geschöpfen im Universum betrachtet, und man glaubte deshalb, dass der Mensch von den Göttern als ein lebendes Abbild des Kosmos und der ganzen Natur erschaffen wurde. So setzten diese Lehren den Menschen über alle anderen Lebewesen. Er war der Knotenpunkt der gesamten Schöpfung und ein Prinzip, das jedes Element enthielt, aus dem das Universum zusammengesetzt war. Erde, Feuer, Wasser und Luft sie alle spiegelten sich im menschlichen Körper und Geist. Als Abbild der Götter war der Mensch der Vermittler zwischen der unteren (dem Reich der Pflanzen und Tiere) und der oberen Welt (der Domäne der Götter) und enthielt Aspekte von beiden, wodurch er die kosmische Kluft zwischen den gegensätzlichen Prinzipien Materie (der sterbliche Körper) und Geist (die unsterbliche Seele) überbrückte.
Die pythagoräische Lehre beschrieb den Menschen als eine „kleine Welt”, weil er die Fähigkeiten des Universums besaß: Die gottgleiche der Vernunft sowie die Natur der Elemente in den Prinzipien der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung. Gleichzeitig war der Mensch unvollkommen in jeder dieser Fähigkeiten, ganz so wie „der Wettkämpfer im Fünfkampf, der dem Athleten unterlegen ist, der sich auf nur einen Teil spezialisiert.”2 Und so wurde die Gabe der Vernunft weniger bedeutend gesehen als die heiligen Eigenschaften der Götter. Die Elemente waren im Menschen nicht so üppig vorhanden wie in den Elementen selbst, die menschlichen Energien und Wünsche waren schwächer als die der Tiere und die Kräfte der Ernährung und des Wachstums waren geringer als die der Pflanzen. Deshalb fand der Mensch als ein Gemisch aus vielen und verschiedenen Elementen sein Leben schwierig zu beherrschen:
Denn jedes andere Geschöpf wird von einem Prinzip geleitet, aber wir werden von unseren verschiedenen Fähigkeiten in unterschiedliche Richtungen gezogen. Zum Beispiel werden wir einmal vom gottgleichen Element zum Besseren hingezogen, und ein andermal von der Herrschaft des tierischen Anteils in uns zum Schlechten.3
Diese komplexe Natur des Menschen stellte von der frühesten Vorzeit bis heute eine Quelle des Interesses dar. Philosophen und Ärzte analysierten die möglichen Korrespondenzen zwischen dem Menschen (Mikrokosmos) und dem Universum (Makrokosmos). Analog zur Lehre der Elemente, die den ganzen Kosmos einschloss, schufen sie die Lehre der Säfte (Humoralpathologie) im menschlichen Organismus, die, wie sie dachten, die vier Elemente der Natur widerspiegelten. Die vier grundlegenden Säfte waren Blut (Luft), gelbe Galle (Feuer), Schleim (Wasser) und schwarze Galle (Erde).
Der Gelehrte und Okkultist der Renaissance Agrippa von Nettesheim schrieb in seinem berühmten Buch , „die Knochen ähneln der Erde, das Fleisch der Luft, der Lebensgeist dem Feuer.” Dies kennzeichnet auch menschliche Qualitäten: Erde sind langsame und sichere Bewegungen, Wasser Furchtsamkeit, Trägheit und Nachlässigkeit bei der Arbeit, Luft Fröhlichkeit und ein freundliches Wesen und Feuer ein aufbrausendes, schnelles und zorniges Temperament. Die ganze Philosophie des Menschen, einschließlich seiner Wesensart, seines Aussehens und seiner Lebensweise, wurde durch dieselben Elemente bestimmt, die die Grundlagen des Universums bildeten.
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