Sonnyboy - Elian Mayes - E-Book

Sonnyboy E-Book

Elian Mayes

5,0

Beschreibung

Eigentlich wollte Julian nur einen Freund besuchen, um ein wenig ungezwungenen Spaß zu haben. Zu seiner Überraschung ist Alex inzwischen jedoch in einer festen Beziehung. Abhilfe ist zum Glück schnell gefunden: Leo, ein Freund von Alex, gerät in seinen Blick und gewohnt selbstbewusst und offensiv gräbt Julian ihn an. Aber Leo denkt nicht einmal im Traum daran, auf Julians Avancen einzugehen, denn er hat eine eiserne Regel: Er verschenkt sich nicht an x-beliebige Kerle. Wer ihn haben will, soll gefälligst dafür zahlen. Doch auch Julian hat eine Regel. Für Sex zahlen? Never ever.

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Seitenzahl: 477

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Sonnyboy

Die Jungs aus dem Panther 2

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© 2019 Elian Mayes 

www.elianmayes.wordpress.com

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Aaron Amat – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-293-9

ISBN 978-3-96089-294-6 (epub)

Inhalt:

Eigentlich wollte Julian nur einen Freund besuchen, um ein wenig ungezwungenen Spaß zu haben. Zu seiner Überraschung ist Alex inzwischen jedoch in einer festen Beziehung.

Abhilfe ist zum Glück schnell gefunden: Leo, ein Freund von Alex, gerät in seinen Blick und gewohnt selbstbewusst und offensiv gräbt Julian ihn an. Aber Leo denkt nicht einmal im Traum daran, auf Julians Avancen einzugehen, denn er hat eine eiserne Regel: Er verschenkt sich nicht an x-beliebige Kerle. Wer ihn haben will, soll gefälligst dafür zahlen.

Doch auch Julian hat eine Regel. Für Sex zahlen? Never ever.

Kapitel 1: Julian

»Ähm …« Ein bisschen überfahren starrte Julian dem blonden Schopf hinterher, dessen Besitzer plötzlich in Richtung der Kellertreppe davonrauschte und mit dem er in diesen Club, den Panther, gekommen war. Der Name des Blondschopfes war Alex und er war ein guter Freund von Julian. Böse Zungen hätten es Fickbekanntschaft genannt, aber in Wirklichkeit verband sie schon ein wenig mehr als das und er war der Grund, warum Julian zurzeit in der Stadt war. Nach Monaten, in denen sie sich nicht gesehen hatten, hatte er sich zum Semesterende entschieden, Alex zu besuchen. Bis zum letzten Semester hatten sie an derselben Uni studiert. Er selbst Sportwissenschaften und Alex Biologie. Wo sie sich letztendlich kennengelernt hatten, ob in einer Bar oder auf dem Campus, wusste Julian nicht einmal mehr, aber das war ja auch nicht wichtig. Ihre Beziehung war von Anfang an freundschaftlicher Natur gewesen, gespickt mit unzähligen leidenschaftlichen Nächten, bis Alex die Uni gewechselt hatte. Ab diesem Zeitpunkt hatten sie sich nur noch selten gesehen, was sie beide stets bedauert hatten. Dann, kaum dass Julian bei Alex angekommen war, hatte es plötzlich ein riesiges Chaos gegeben, dessen Komplexität vermutlich niemand so genau verstanden hatte. Jetzt, im Nachhinein, war es klar: Alex und dessen Mitbewohner tänzelten wohl schon ewig umeinander herum, keiner von beiden hatte es geschafft, ein anständiges Gespräch anzufangen, es hatte zig Missverständnisse gegeben, bis das Ganze dann vor ein paar Stunden so richtig eskaliert war. Weil sie sich daraufhin bei Janna, besagtem Mitbewohner, entschuldigen wollten, waren Alex und Julian ihm zum Panther gefolgt, aber auch das war in die Hose gegangen, um es freundlich auszudrücken.

Julian verstand nicht mal, was Alex an Janna fand, aber das musste er ja auch gar nicht. Fakt war, dass der Kerl der Grund war, aus dem Alex ihn hier hatte stehen lassen und gerade einen Rekord im Treppenspringen aufzustellen versuchte. Da hatte es seinen Kumpel wohl ganz schön erwischt, wenn er es so eilig hatte.

So viel Stress, nur um einen Kerl ins Bett zu bekommen, und dann auch noch einen, den man eigentlich nur dafür zu bezahlen brauchte. Tja, Liebe war schon etwas Verrücktes – und nebenbei bemerkt nichts, womit Julian sich aufhielt. Beziehungen führten nur zu Problemen und Streit, wie Alex und Janna in den letzten Tagen eindrücklich bewiesen hatten. Vielleicht wäre die ganze Sache nach diesem Abend endlich erledigt – auf die eine oder auf die andere Weise.

So oder so änderte es aber nichts daran, dass Julian sich gerade in diesem Club wiederfand. Als er sich von seiner Überraschung erholt hatte, wurde er sich der Anwesenheit des inzwischen nicht mehr ganz so wütenden Lockenkopfes vor sich gewahr.

»Du musst Leo sein«, mutmaßte Julian abschätzend. Alex hatte ihm von dem Kerl mit den braunen Locken erzählt, der wohl auch ein Freund oder Kollege oder beides von Janna war und der Alex gerade ziemlich zur Sau gemacht hatte, damit der endlich seinen Arsch hochbekam und mit Janna redete.

»So, muss ich das?«, fragte der Lockenkopf zurück, trug dabei ein leicht ironisches Lächeln auf den Lippen. Den appetitlich vollen Lippen, um das nicht unerwähnt zu lassen.

»’ne Frisur wie in die Steckdose gefasst, ein paar Haare am Kinn, jepp, würde sagen, das ist Leo, wie Alex ihn mir beschrieben hat«, frotzelte Julian und verschränkte die Arme. Eigentlich stimmte die Beschreibung so nicht. Leos kaffeefarbene Haare waren wild, aber es stand ihm gut. Besonders die Locken, die ihm in die braunen, schelmisch blitzenden Augen fielen, gaben ihm etwas Verschmitztes, Verwegenes und auch der kleine Kinnbart sah ordentlich, ja geradezu penibel gestutzt aus. Einzig die Augenbrauen hätte Julian etwas schmaler gezupft, wenn es seine gewesen wären, aber vielleicht war er da auch einfach nur übertrieben eitel.

»Na, wer du bist, muss ich nicht einmal fragen«, erwiderte Leo ungerührt ob dieser unglaublich »vorteilhaften« Ansage. »Du bist der Arsch, der sich zwischen Alex und unseren Janna gedrängt hat.«

»Was?« Julian war so überrascht, dass er sogar für einen Moment vergaß, überheblich auszusehen. Das war eine Anschuldigung, die er nicht auf sich sitzen lassen konnte. »Alex hat von Janna nichts gesagt, als ich ihn gefragt hab, ob er Zeit für mich hat, und außerdem war er fest davon überzeugt, dass Janna nichts von ihm will. Kein Wunder eigentlich, oder? Hast du mal geguckt, wie der Typ drauf ist? Da holt man sich ja Frostbrand.«

»Tss«, machte Leo nur augenrollend, was Julian irgendwie wütend machte. Es war ja wohl eindeutig nicht seine Schuld, dass die beiden Idioten zu blöd gewesen waren, um mal Klartext miteinander zu reden! »Red dich ruhig raus«, meinte Leo schulterzuckend. »Aber für mich bist du der Schuldige. Sie waren grad dabei, sich näherzukommen, und dann tauchst du auf.«

»Komm mir nicht so! Ich hab doch gesagt, ich wusste nix davon! Bist du hier die Oberglucke oder was?«

Leo verschränkte die Arme und zog spöttisch eine Augenbraue nach oben – er machte Julian rasend damit.

»Hahn bitte, wenn überhaupt«, ließ er trocken verlauten. Julian wollte etwas Schlagfertiges oder zumindest etwas Giftiges erwidern, aber ein schwarzer Schopf, gefolgt von einem blonden, an der Treppe fesselte seine Aufmerksamkeit. Gerade kam Janna mit Alex im Schlepptau aus dem Keller und durchquerte den Club Richtung Hintertür. Auch Leo drehte sich um, als er bemerkte, dass Julian an ihm vorbeisah. »Na also. Geht doch«, murmelte er zufrieden und verfolgte mit den Augen, wie die beiden den Panther durch den Hinterausgang verließen. Dann wandte er sich wieder Julian zu. »So, ich hab noch zu tun. Wir sehen uns dann morgen beim Umzug.«

Richtig, der Umzug, dachte Julian, während er Leo hinterhersah, der sich in Richtung der Treppen davonmachte. Fast hätte er vergessen, dass Alex mit Janna und dessen Bruder in eine WG zog, weil … So genau hatte Julian das auch nicht verstanden, aber aus irgendeinem Grund konnten oder wollten die Brüder nicht mehr bei ihrem Vater leben. War ja auch streng genommen nicht seine Sache. Er hatte nur vorgeschlagen, den Umzug über die Bühne zu bringen, solange er noch in der Stadt war. Jede helfende Hand zählte, das wusste Julian aus eigener Erfahrung, und richtig, er erinnerte sich: Dieser Leo würde neben ein paar anderen auch dabei sein.

Tja, und wie lange würde er, Julian, noch in der Stadt sein? Ursprünglich hatte er Alex besuchen und so lange bleiben wollen, bis sie einander überdrüssig geworden wären oder … es sich anders ergeben hätte. Letzterer Fall war wohl soeben eingetroffen, wenn Alex nun tatsächlich etwas mit Janna anfangen sollte. Aber jetzt zurück nach Hause in seine winzige Dachgeschosswohnung, wo sowieso nur Bewerbungsunterlagen auf ihn warteten? Ne, da konnte Julian sich eindeutig Besseres vorstellen. Seufzend setzte er sein Glas an, nur um festzustellen, dass Alex es geleert hatte, bevor er davongestürmt war. Hatte der sich tatsächlich Mut antrinken müssen? Wie auch immer, dachte Julian seufzend und tigerte mit den beiden leeren Gläsern zur Bar, wo er sich bei einem großen Blonden – Sean war sein Name, wenn er Alex’ Beschreibung vertrauen konnte – einen Caipirinha bestellte. Sean war nicht nur groß, sondern auch ziemlich gut gebaut, konnte Julian nicht umhin, zu bemerken. Breite Schultern, schmale Taille und Augen braun wie dunkle Milchschokolade. Fast schade, dass er laut Alex vergeben war.

»Du bist Julian, oder?«, fragte Sean prompt und als Julian nickte, fuhr er fort: »Dachte ich mir, als du mit Alex reinkamst. Janna hat von dir … erzählt.« Es fehlte der Vorwurf in seinem Ton, aber trotzdem wurde Julian das Gefühl nicht los, dass er da gewesen war. Hallo? Es war noch immer verdammt noch mal nicht seine Schuld gewesen! »Jetzt guck nicht so.« Sean lachte, während er Julian sein Glas hinschob. »Ich weiß, dass Janna weiß Gott nicht unschuldig an der ganzen Verwirrung war. Der kriegt doch nie die Zähne auseinander, wenn es um solche Themen geht. Ist alles ein bisschen blöd gelaufen.« Er zwinkerte Julian zu und der fragte sich unwillkürlich, was Sean denn überhaupt darüber wusste. Gerade als er fragen wollte, vibrierte sein Handy.

»Bringe Janna nach Hause, dem geht’s nicht gut. LG Alex«

»Dem geht’s nicht gut«, schnaubte Julian spöttisch für sich und konnte sich ziemlich gut vorstellen, was Alex damit meinte. Blöd für ihn, dann musste er sich für die Nacht doch tatsächlich ein Hotel suchen. Aber na ja, da gab es Schlimmeres. Schulterzuckend steckte er sein Handy wieder weg und wandte sich erneut an den Mann vor sich. »Sag mal, hast du einen guten Tipp für ein billiges Hotel? Scheint, als bräuchte ich eins.« Eigentlich hätte er sowieso eins gebraucht – Alex hatte nicht genug Platz –, aber jetzt brauchte er erst recht eines. Sean überlegte nicht lange. Er griff unter die Theke, wo er zwei Visitenkarten von günstigen Hotels hervorholte.

»Bitte sehr.« Er grinste, dann widmete er seine Aufmerksamkeit einem anderen Gast, der etwas bestellen wollte. Julian überflog die beiden Karten beiläufig. Zumindest das eine schien eher ein Stundenhotel zu sein, was ihn unwillkürlich schmunzeln ließ. Schade nur, dass ihm der Grund fehlte, ein solches aufzusuchen. Wobei – vielleicht konnte er das noch ändern? Aber irgendwie war ihm nicht wirklich danach, einen Aufriss zu machen – was für ihn doch recht ungewöhnlich war. Also begnügte er sich damit, ein paar Cocktails zu trinken und mit anderen Gästen Pool zu spielen. Er merkte erst, dass der Panther schon fast vollkommen leer war, als sich auch seine Spielpartner verabschiedeten. Sogar die Musik wurde schon heruntergedreht. Es wurde wohl Zeit zu gehen. Blöd nur, dass er noch immer keine Ahnung hatte, wohin. Noch einmal kramte er nach der Karte des zweiten Hotels. Das lag ja ganz schön weit außerhalb. Blöde …

Kapitel 2: Leo

Was für eine turbulente Nacht, dachte Leo theatralisch seufzend. Aber wenn alles richtig gelaufen war, dann hatten Alex und Janna sich endlich ausgesprochen und zusammengerauft. Was hatten die zwei ihn Nerven gekostet! Und das, obwohl Leo eigentlich von sich behauptete, sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen zu lassen. Gerade hatte er sich zwei Hände voll eiskaltes Wasser ins Gesicht geklatscht, um wenigstens ein bisschen runterzukommen. Zumindest war es in dieser Nacht im Keller eher ruhig gewesen; er hatte nur drei Kunden gehabt. Hätte er auch da noch Stress gehabt, hätte er sich bald einweisen lassen können. Leo schüttelte sich wie ein nasser Hund, bevor er die Toiletten verließ und sich auf den Weg zurück zum Keller begab. Es war inzwischen leer geworden, sogar die Musik war schon so leise, dass man nicht mehr schreien musste, um sich zu verständigen. Nur noch ein paar einzelne Gäste hingen herum und die waren allesamt besoffen. Außer Jay natürlich, der hinter der Theke stand und die letzten Gläser sauber wischte, aber der war ja auch kein Gast. Seine langen, strohblonden Haare waren wie so oft zusammengebunden und auf seiner geraden Nase thronte eine dieser Hipster-Brillen mit den viel zu großen Gläsern und dem dicken Rand. Leo mochte so etwas eigentlich überhaupt nicht, aber bei Jay konnte er nicht umhin, anzuerkennen, dass es ihm tatsächlich stand. Leo ging zu ihm hinüber, wollte ihm zur Hand gehen, doch Jay winkte ab.

»Du kannst ruhig gehen, ich mach hier fertig«, rief er Leo zu. Der hob daraufhin lächelnd und dankbar die Hand, nickte seinem Kollegen noch kurz zu und machte sich auf zur Treppe, die nach oben führte. Jay blieb meistens länger als Leo oder Janna, wischte noch einmal durch und schloss den Keller dann ab. Manchmal fragte Leo sich, wieso Jay das jedes Mal freiwillig auf sich nahm, aber meistens war er einfach nur froh darum, dass nicht er derjenige war, der die letzten Gäste aus dem Keller vertreiben musste.

»Bis morgen dann«, rief Leo gerade noch so über die Schulter zurück, was Jay ein schiefes Grinsen entlockte. Stimmt. Hätte er ja beinahe vergessen: Jay würde bei dem Umzug auch helfen.

Auch oben im Barraum war schon tote Hose. Die Musik säuselte nur noch leise im Hintergrund, die Lichter erinnerten nicht mehr an eine Lasershow für Arme und es war kaum noch jemand da.

»Sean, ich mach mich auf den Weg. Wir haben nachher noch viel vor uns.« Halbherzig, weil müde, winkte Leo Sean zu, der den Gruß mit erhobener Hand erwiderte.

»Nicht vergessen, morgen um acht geht’s los!«, erinnerte er ihn überflüssigerweise und zwinkerte.

»Mach ich nicht.« Leo lachte, bevor er sich abwandte und … stockte. Da war noch immer dieser Julian. Was machte der denn noch hier? Unauffällig beobachtete Leo ihn eine Weile. Er lehnte mit der Hüfte gegen einen der Billardtische. Die kurzen, brünetten Haare waren wirr verwuschelt, und zwar auf diese Weise, die schrie: »Ich stand eeewig im Bad dafür, auch wenn ich aussehe wie gerade aus dem Bett gekrochen.« Unwillkürlich musste Leo zugeben, dass es ihm stand; es passte zu seiner sportlichen Figur, dem Dreitagebart auf dem kantigen Kinn und dem engen, schwarzen Tanktop, das er trug. Allerdings passte es auch zu dem Bild des eingebildeten Schönlings, das Leo ohnehin schon von Julian hatte. Absolut selbstverliebt, ohne einen Gedanken an andere zu verschwenden.

Ja, genau so sah er aus.

Gerade starrte er eine Visitenkarte an. War wohl eine von denen, die Sean unter der Theke lagerte. Hatte der Mann denn keine Unterkunft? Das geschah ihm nur recht! Mit Genugtuung beobachtete Leo, wie Julian nachdenklich auf seiner Lippe kaute, die strahlend grünen Augen noch immer auf die Karte gerichtet. Das hatte er also davon, wenn er sich so dreist in Jannas und Alex’ Leben drängte! Pfft! Trotzdem fühlte Leo auch das Bedürfnis, ihm zu helfen. Das Hotel oder eher die Pension, deren Karte Julian gerade so eingehend musterte, lag so weit außerhalb, dass er ohne ein Taxi nicht weit kommen würde und er wollte schließlich morgen ab acht beim Umzug helfen. Das waren nur noch vier Stunden, das lohnte sich ja gar nicht mehr. Leo wohnte nur drei Straßen weiter, er könnte einfach …

»Du bist ja immer noch hier!«, rief Leo Julian zu und kam grinsend näher. Jepp, eindeutig arroganter Schönling, seufzte Leo in Gedanken, als Julian aufsah und er den Blick in den grünen Augen bemerkte, der wohl Überlegenheit ausdrücken sollte.

»So wie du auch«, gab Julian zurück, was Leo zum Lachen brachte.

»Na, ich arbeite auch hier. Hast du keinen Platz zum Pennen?«

»Nope«, antwortete Julian und bestätigte so Leos Verdacht. »Zumindest dann nicht, wenn das mit Alex und Janna wirklich was wird, ich mein … Nee, das können die zwei allein.«

Hätte der sonst tatsächlich wieder bei Alex geschlafen, dachte Leo abfällig. Nicht, dass er das Verlangen des Fleisches nicht verstehen konnte – er lebte schließlich davon –, aber … Nein, das war etwas anderes. Vielleicht auch nur deswegen, weil er aus nächster Nähe erfahren hatte, wie sehr Janna darunter gelitten hatte. Trotzdem verschwand das nervige Bedürfnis zu helfen nicht, sodass Leo Julian tatsächlich anbot, in seiner Wohnung zu übernachten. Der eindeutig zweideutige Blick, der darauf folgte, war Leo so bekannt wie kaum etwas sonst. Mühevoll musste er sich ein genervtes Augenrollen verkneifen, entschied sich stattdessen für ein ironisches Lächeln. Da konnte der Gute drauf warten, bis er alt und grau wurde. Es sei denn, er war bereit, zu zahlen wie jeder andere auch. Plus Aufschlag natürlich, weil es Leos eigene Wohnung war. Nicht, dass das je zuvor vorgekommen wäre, aber Leo hatte soeben entschieden, dass er das von nun an so handhaben würde.

»Wohnst du weit weg von hier?«, fragte Julian, als sie den Panther verlassen hatten. Als Antwort schüttelte Leo den Kopf und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eine Kreuzung. »Wieso nimmst du mich mit? Du wirktest eben nicht, als würdest du mich mögen«, redete Julian weiter, woraufhin Leo die Schultern zuckte.

»Tu ich auch nicht. Aber wenn du morgen nützlich sein willst, solltest du zumindest ein bisschen schlafen und ich sag dir, das wär da in dieser Absteige eher nicht möglich gewesen. Es sei denn, du stehst auf Kakerlaken und so’n Zeug im Bett.«

»Igitt …«, machte Julian und verzog das Gesicht. »Und du hast so was ganz sicher nicht zu Hause?«

»Noch nicht, aber das ändert sich gleich.« Leo bog in die nächste Straße ein und ignorierte Julians Beschwerde über seine charmante Bezeichnung.

Bald erreichten sie den ruhigen Teil der Altstadt und auch das Haus im Jugendstil, in dem Leos Wohnung lag. Sanierter Altbau im zweiten Stock, mit Balkon, drei Zimmern, Wohnküche, Tageslichtbad. Julian fiel fast die Kinnlade herunter und er pfiff anerkennend durch die Zähne, als Leo das Licht im Flur anschaltete.

»Schnieke«, kommentierte er. »So was kostet doch ein Vermögen!« Leo zuckte wieder die Schultern, diesmal grinste er aber dabei.

»Ich krieg hundert Mäuse pro Fick, hab keine Verpflichtungen und keine Schulden – abgesehen von den Raten für die Wohnung. Selbst bei 50 % Steuerlast reichen also zwei oder drei Kunden am Tag dafür. Heute waren es vier, und das war ein ruhiger Abend.«

»Dann machst du das tatsächlich aus … Spaß?« Ungläubig starrte Julian ihn an, was Leo ein Lachen entlockte.

»Ich mag Sex und ich mag Geld. Da dachte ich, das passt gut so. Natürlich sind nicht alle Freier reines Vergnügen, aber meistens komm auch ich auf die eine oder andere Weise auf meine Kosten.« Er war sich bewusst, dass sein Gast ihn noch immer anstarrte, als wäre er ein Alien, also versuchte Leo es noch einmal anders. »Lass mich mal schätzen …«, tat er, als dächte er bloß laut nach. »Du hast sicher so fünf oder sechs One-Night-Stands in der Woche, oder? Jetzt stell dir vor, du würdest dafür bezahlt werden. Ist das Gleiche.«

»Nein, ist es nicht«, entfuhr es Julian. »Das ist was völlig anderes! Ich mein, du verkaufst dich doch!«

»Und du verschenkst dich«, erwiderte Leo ungerührt, während er sich sein T-Shirt über den Kopf zog und es durch die offene Tür in den Wäscheeimer schmiss. Er erwartete gar nicht, dass das jemand verstand – nicht einmal Janna oder Jay verstanden das –, aber er fuhr gut damit und nur das zählte. »Ich geh kurz duschen«, teilte er seinem Gast mit, der ihn noch immer anstarrte. »Mach’s dir bequem, nimm dir was zu trinken oder so und …«

»Ich könnte ja mit dir duschen«, unterbrach Julian ihn. Offensichtlich hatte er aus seiner Überraschung herausgefunden, denn nun hatte er wieder dieses überlegene Grinsen aufgesetzt.

»Danke, aber ich dusche lieber allein.« Leo wollte sich an Julian vorbeischieben, doch der hielt ihn fest und versuchte es noch einmal mit diesem verklärten Lächeln. Damit biss er bei Leo auf Granit.

»Wieso denn? Zu zweit ist doch sicher lustiger und du könntest mir bei der Gelegenheit einen blasen.«

Na, der fiel wohl auch gern mit der Tür ins Haus, dachte Leo bei sich, bevor er mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen antwortete: »Mit dem größten Vergnügen, kostet dich fünfundsiebzig Euro.« Er konnte sich um fünf Uhr morgens mit vor Müdigkeit brennenden Augen schließlich nichts Anregenderes vorstellen.

»Wie jetzt?« Hach, was war dieses dumme Gesicht zum Schießen! »Ist das dein Ernst? Wir sind doch sozusagen Freunde?«

»Nicht einmal sozusagen, Schätzchen«, antwortete Leo mit dem breitesten Lächeln. »Ich hab dich mitgenommen, weil ich ein unfassbar großes Herz für Arschlöcher habe, und jetzt lass mich durch, ich will den Tag morgen überleben.« Mit diesen Worten schob Leo sich an dem sprachlosen Julian vorbei ins Bad, verriegelte die Tür hinter sich und seufzte. Dieser Quatschkopf war genau so, wie er ihn eingeschätzt hatte. Vielleicht sogar noch ein bisschen nerviger. Aber na ja, ab morgen hatte Alex ja eine neue Wohnung und damit wieder Platz für ihn.

Kapitel 3: Julian

»Was zum …« Julian wusste nicht, wie lange er noch vor der Badezimmertür gestanden und sprachlos das weiß gebeizte Holz angestarrt hatte. Das war ihm noch nie passiert! Na ja, nicht »noch nie«, aber doch höchst selten. Wenn Leo so geschickt mit seiner Zunge war, wie er schlagfertig war, dann war es umso bedauerlicher, dass er sich jetzt auf der anderen Seite der Tür befand und nicht hier bei ihm. Aber fünfundsiebzig Tacken? Für einen Blowjob, den man in jedem Club umsonst kriegen konnte? Das war doch ganz bestimmt nur ein Scherz! Irgendwie würde er ihn noch rumkriegen, da war Julian sich sicher. Schließlich ging es spätestens jetzt auch um seine Ehre.

Den Gedanken an Leo erst einmal von sich schiebend, schaute Julian sich endlich um. Vor ihm war das Bad, daneben sowie hinter ihm noch andere Türen, die in angrenzende Zimmer führten, und links die Eingangstür. Rechts von ihm mündete der Flur in ein riesiges Wohnzimmer, an welches, getrennt nur durch eine halbhohe Wand und einen breiten Durchgang, die Küche grenzte. Auch hier kam Julian nicht umhin, beeindruckt zu sein. Weiße Hochglanzfronten trafen auf eine dunkel melierte Granitarbeitsplatte und ein modernes Induktionskochfeld. Und alles war so sauber, als würde es niemals benutzt werden – was, wenn Julian darüber nachdachte, ja möglicherweise sogar der Realität entsprach.

Also, wie war das gewesen? Leo hatte doch gesagt, er dürfe sich etwas zu trinken nehmen, oder? Im amerikanischen Kühlschrank fand er außer einem Sixpack Bier, drei Tüten Saft und zwei Flaschen Cola nicht viel. Wovon lebte Leo denn? Julian suchte ein Glas und wurde in einem der Schränke fündig. Nachdem er sich Saft eingegossen hatte, lehnte er am Tresen und ließ den Blick durch das Wohnzimmer wandern. Die Wände waren reinweiß, einzig hinter der Wohnwand stachen hell- und dunkelgraue Highlights hervor. Alles sah aus, als wäre es geradewegs aus einem Katalog importiert worden. Die schwarze Ledercouch ebenso wie der riesige Flat-TV an der Wand und die PlayStation 4 darunter. Die Schränke und Regale, in denen kleine, verschiedenfarbige LEDs leuchteten und die im gleichen Hochglanzweiß wie die Küche gehalten waren, sowie der grau melierte Flokati ergänzten das Farbschema perfekt. Alles nicht zu vergleichen mit seiner eigenen Dachgeschosswohnung, dachte Julian völlig ohne Neid.

Es war absolut chic. Und absolut unpersönlich.

Nicht einmal eine Fernsehzeitschrift lag herum. Einzig der alte Ohrensessel in der Ecke sah aus, als gehörte er tatsächlich einem Menschen. Es war der einzige Gegenstand im Raum, der in irgendeiner Weise Charakter besaß. Julians eigene Wohnung mochte winzig sein und die Einrichtung aus Zeitungsanzeigen zusammengesucht, aber zumindest konnte er behaupten, statt einer sterilen Umgebung ein Zuhause zu haben. Und dafür gab Leo sich her? Für ein bisschen Luxus? Nein, das konnte Julian nicht verstehen und Leos Vergleich war ja wohl absolut abwegig. Einen One-Night-Stand, auf den man geil war, konnte man doch nicht wirklich mit bezahltem Sex vergleichen – völlig egal, von welcher Seite man das betrachtete.

Aus dem Flur drang das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde. Automatisch, als wollte er nicht beim Herumlungern erwischt werden, drückte Julian sich vom Tresen ab, als Leo mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Hüften ins Wohnzimmer kam.

»Na, hast du’s dir anders überlegt?« Diesen Kommentar konnte Julian sich nicht verkneifen und erntete dafür ein spöttisches Lächeln.

»Wieso ich? Ich hab dir doch gesagt, ich mach’s für fünfundsiebzig.«

»Du meinst das echt ernst, oder?« So ganz konnte er es ihm noch immer nicht abnehmen.

»Klar, wär ich Friseur, würd ich dir doch auch nicht kostenlos die Haare schneiden.« Dagegen fiel Julian nichts mehr ein. Das stimmte zwar irgendwie, aber viel passender als den anderen zuvor fand er den Vergleich nicht.

»Machst du es nie ohne Bezahlung?«, platzte es aus ihm heraus. Es interessierte ihn nach Leos letztem Satz wirklich. Der tat so, als müsste er kurz nachdenken, und schüttelte dann lachend den Kopf.

»Nein, warum sollte ich? Da wär ich doch schön blöd.«

»Ja, aber …« Schon wieder war Julian sprachlos. Selten schaffte das jemand und dann auch noch so oft in so kurzer Zeit! »… was ist mit Beziehungen oder Freundschaften oder so …«

»Also, Beziehungen hab ich keine und meine Freundschaften kommen ohne Sex aus«, gab Leo spitz zurück und Julian war sofort klar, dass das eine Anspielung auf Alex war – er selbst hatte ihm auch noch die Vorlage dazu geliefert. Doch wider Erwarten hackte Leo nicht weiter darauf herum, sondern deutete auf den alten Sessel. »Kannst dir die Wolldecke nehmen, die da liegt, und schlafen, wo auch immer du magst. Nur mein Bett ist tabu«, fügte er warnend hinzu, als Julian grinste und zum Sprechen ansetzte.

»Bist du sicher?« Das zu fragen, ließ Julian sich nicht nehmen. »Weißt du, bei mir hat sich bisher auch noch keiner beschwert.« Zuerst blieb Leos Miene regungslos, dann begann er plötzlich zu lachen und wandte sich ab. Es dauerte ein paar Lidschläge, bis Julian kapierte, dass er ausgelacht wurde.

»Du wechselst aber schnell von ›Blas mir einen‹ zu ›Bitte, bitte, lass mich dir einen blasen‹. Die Antwort bleibt die gleiche, aber wenn du dir Mühe gibst, bekommst du vielleicht Rabatt.« Und schon wieder war Julian sprachlos und starrte Leo zähneknirschend hinterher, der den Flur hinunterging, sich das Handtuch von den Hüften riss, dieses im Vorbeigehen ins Bad schmiss und dann durch eine der Türen verschwand. Na toll, einen geilen Arsch hatte der Kerl also auch noch. Grummelnd schnappte Julian sich besagte Wolldecke und legte sich damit auf die Couch.

Etwas mehr als zwei Stunden Schlaf noch, sagte ihm sein Handy.

Super.

***

Der Morgen kam schneller, als Julian es für möglich gehalten hätte. Und lauter kam er auch. Es war Leo, der aus voller Kehle und dazu auch noch völlig schief singend das Wohnzimmer stürmte, Julian die Decke herunterriss und ihn von der Couch rollte.

»Aufstehen!«, flötete er viel zu gut gelaunt. Als ob er jetzt noch eine Wahl gehabt hätte, dachte Julian mürrisch, während er sich selbst vom Boden pflückte und ein paarmal ins Licht blinzelte, das nun, da Leo freundlicherweise sämtliche Rollläden hochgezogen hatte, schrecklich hell zu den Sprossenfenstern hereinschien. Leise schimpfend und jenen Lockenkopf verwünschend, setzte Julian sich auf und blinzelte noch einmal. Leo hatte unterdessen seinen Kaffeevollautomaten bedient und hielt ihm nun eine Tasse dampfenden Kaffees unter die Nase.

»Danke«, murmelte Julian noch immer verschlafen und fragte sich, wie zum Henker Leo nach knapp zwei Stunden Schlaf so verdammt wach und gut gelaunt sein konnte, während er selbst sich noch nicht einmal an die Helligkeit gewöhnt hatte. Als seine brennenden Augen dann doch die für diese Uhrzeit bemerkenswerte Leistung erbracht hatten, blinzelte Julian dennoch wieder. Diesmal nicht wegen des Lichts, sondern wegen Leo, der in einer hautengen, ausgewaschenen Jeans mit ausgefransten Löchern an den Knien und einem Shirt, dessen Stoff kaum als existent zu bezeichnen war, wieder zurück in die Küche tigerte. Scheiße, sah der Arsch in der Hose gut aus. Julian schloss die Augen, er musste sich ja nicht selbst den Mund wässrig machen.

»Ernsthaft, du trägst ein Netzshirt zum Umzug?«, fragte er, als Leo zurückkam.

»Wie du siehst«, bestätigte der das Offensichtliche, bevor er seinerseits an seinem Kaffee nippte.

»Okay, lass mich die Frage umformulieren: Wieso?«

»Wieso nicht?« Leo zuckte die Schultern. »Ich mag Luft an der Haut, es ist heiß draußen, wir werden uns viel zu viel bewegen und viel zu viel schwitzen. Alternativ könnte ich natürlich auch nackt gehen, aber da kam mir das hier doch angemessener vor. Außerdem seh ich zum Anbeißen darin aus.« Das war unbestritten so. Mühsam riss Julian seinen Blick los und sah demonstrativ woandershin. Zeit, das Thema zu wechseln.

»Wann gehen wir los?«

»Sobald deine Tasse leer ist. Ich hab Mika vorhin geschrieben, dass wir zwischen sieben und acht bei ihnen auflaufen.«

Nur wenige Minuten später machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu Alex’ kleiner Wohnung. Obwohl die Wärme des Tages schon in der Luft lag, war es noch kühl und gepaart mit dem wenigen Schlaf fröstelte Julian. Außerdem hatte er Hunger. Leo hatte ihm nichts zu essen angeboten. Fairerweise musste man allerdings sagen, dass Leo auch selbst nichts gegessen hatte. Trotzdem verursachte der knurrende Magen Julian schlechte Laune.

»Was frühstücken?«, fragte Leo wie aufs Stichwort und deutete auf ein kleines Café mit hauseigener Bäckerei.

»Ähm, klar«, antwortete Julian und folgte Leo durch die Tür. Ein einziger Blick genügte, um das ganze Café in Augenschein zu nehmen. Es war klein, aber mit Nippes und Spitzendeckchen kitschig-niedlich. Nicht Julians Stil, aber trotzdem fühlte man sich sofort irgendwie wohl. Eine ältere, pausbäckige Frau mit einem Dutt trat hinter die Theke, als das Türglöckchen klingelte. Sie sah aus, wie Julian sich eine Bäckerin vorstelle. Ob sie tatsächlich eine war, konnte er jedoch nicht sagen.

»Oh, guten Morgen, Leo!«, grüßte sie. »Das Übliche?«

»Ja gern«, antwortete Leo ihr, bevor er sich an Julian wandte. »Und du?«

»Ich nehm dasselbe«, murmelte der und fragte sich, ob Leo wohl jeden Tag hier sein Frühstück holte, wenn die Frau ihn sogar beim Namen kannte. Die packte indes zwei Tüten, dann strahlte sie Leo an.

»Sag, hast du meinen Sohn gestern Abend getroffen? Er hat seit vorgestern nichts von sich hören lassen.«

»Nein, Maria, sorry, nicht gesehen. Aber falls ich ihm über den Weg laufe, sag ich ihm, dass du nach ihm gefragt hast.«

»Danke, Schatz, das ist nett von dir. Und wer ist er hier?« Sie deutete auf Julian. »Hast du es endlich geschafft, wieder jemanden zu finden?« Als Antwort lachte Leo, als wäre das absolut abwegig, und Julian fragte sich automatisch, ob er nun beleidigt sein müsste.

»Nein, das ist nur ein Freund von einem Freund. Er hat bloß bei mir übernachtet.« Ein Freund von einem Freund, wiederholte Julian in Gedanken und seine Laune sank zusehends. Ging es noch viel distanzierter? Das klang wie »der zweite Cousin dritten Grades des Onkels meines Großvaters«. Mürrisch nahm er die Tüte entgegen und wollte zahlen, aber Leo kam ihm zuvor.

»Sie scheint ja ganz schön offen zu sein, wenn sie dich einfach so fragt, ob ihr Sohn dich letzte Nacht gefickt hat«, meinte Julian, als sie die Bäckerei wieder verlassen hatten. Leo warf ihm daraufhin einen merkwürdigen Seitenblick zu und räusperte sich trocken.

»Er ist ein Freund von mir. Kein Kunde. Manchmal kommt er in den Panther und wir trinken was zusammen.«

»Ach so. Oh. Sorry.«

»Kein Ding.« Belustigt lachend biss Leo von seinem Brötchen ab. Den Rest des Wegs gingen sie schweigend und kauend, bis sie Alex’ Appartement erreichten. Leo klingelte und kaum eine halbe Minute später ging der Summer.

Kapitel 4: Leo

Bald schon waren alle Kisten verpackt, die Möbel verladen und sie machten sich daran, alles in der neuen Wohnung wieder aufzubauen. Leo sah diese nun zum ersten Mal und beglückwünschte Alex, Janna und Mika im Stillen zu ihrer Wahl. Noch am selben Abend standen alle Möbel an Ort und Stelle, die Kartons waren ausgepackt und ihr Inhalt hatte seinen Platz gefunden.

Gemeinsam warteten sie auf Seans bessere Hälfte. Marco hatte sich bereit erklärt, die Fressalien für den Abend zu sponsern. Es klingelte und kurz darauf betrat der Heißersehnte mit einem riesigen Stapel Pizzakartons den Raum. Sean beeilte sich, sie ihm abzunehmen, und gab seinem Freund einen schnellen Kuss, damit Marco Sandalen und Sonnenbrille ausziehen konnte.

»Hey Chefchen, lang nicht gesehen.« Ohne Zögern trat Leo an den tätowierten Schrank heran und tätschelte ihm den Arm. Die verblüffte Reaktion der anderen war eindeutig. Außer den Jungs, die im Panther arbeiteten, wusste so gut wie niemand, wer eigentlich der Besitzer des Clubs war, denn er zeigte sich dort nur selten. Zumal Sean das komplette Management allein schmiss, seit er mit Marco zusammen war. »Hat das nie jemand erwähnt?« Leo lachte in die Runde. »Unser guter Sean hier hat sich nämlich ganz dreist hochgeschlafen.« Schnell duckte er sich unter der Pranke weg, die Marco daraufhin drohend nach ihm ausstreckte.

»Pass auf, was du sagst, Leonard«, brummte er dunkel, aber trotzdem zuckten seine Mundwinkel dabei etwas.

»LEONAAARD!« Julian strahlte übers ganze Gesicht und knuffte Leo den Ellenbogen in die Seite, der daraufhin genervt aufstöhnte. Danke, Marco, wirklich. Fehlte nur noch, dass er herausposaunte, dass sein Nachname Bernstein war, damit auch gleich jeder wüsste, dass seine Mutter ein Riesenfan der »West Side Story« war.

»Also jetzt noch mal langsam für müde Hirne«, murmelte Mika an seinen Bruder gewandt. »Das ist der Mann, dem der Schuppen gehört, in dem du …«

»Hey, Moment mal«, unterbrach Marco ihn. »Ich hab nie jemanden dazu angestiftet, wenn du darauf hinauswillst. Eher mach ich doch Minus, wenn die Jungs die meiste Zeit beschäftigt sind und in ihre eigene Tasche wirtschaften, statt ihrer Arbeit nachzugehen.«

Leo kicherte. »Jaja, und plus machst du, weil die Kerle wegen meinem Knackarsch in Scharen zum Panther pilgern, Chefchen«, stellte er richtig, leckte sich dabei lasziv mit der Zunge über die Oberlippe und durchbohrte den völlig perplex schauenden Julian dabei mit seinem Blick. Wenn der ihn schon den ganzen Tag stalkte, dann konnte Leo auch genauso gut ein bisschen mit ihm spielen. Eine leichte Röte schlich sich auf Julians Wangen, dann drehte er demonstrativ den Kopf weg. Leo grinste breit. Diese Runde ging eindeutig an ihn – wie eigentlich auch alle anderen zuvor.

***

»So, Leute, ich bin weg.« Jay war der Erste, der sich verabschiedete. Er sah müde aus, aber das war kein Wunder, das waren sie schließlich alle. Trotzdem war da etwas in seinem Tonfall, das Leo stutzig werden ließ. Ohne zu zögern, erklärte er daher, dass er mitkommen würde. Jay sah aus, als läge ihm eine Erwiderung auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter und nickte nur. Die anderen hoben müde die Hände zum Abschied und Leo schaffte es gerade noch, zu winken, bevor er Jay hinterhersprang, der schon durch die Wohnungstür geschlüpft war. Leo hörte noch, wie Sean, Marco und Diego – ihr Mündel – sich ebenfalls verabschiedeten, aber er bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Dafür war Jay zu flott. Es war schon fast dunkel und die Laternen tauchten die Straße in gelbliches Licht. Die Luft war bereits kühler geworden; man merkte, dass der Herbst nahte. Eine Weile liefen sie einfach schweigend nebeneinander her, bis Leo es nicht mehr aushielt.

»Gehst du jetzt noch zur Auenstraße?«, wollte er wissen und beobachtete Jays Reaktion genau. Die Richtung, die Jay eingeschlagen hatte, und auch die Art, wie seine Mundwinkel bei der Erwähnung des stadtbekannten Straßenstrichs amüsiert zuckten, sprachen dafür.

»Wieso ›jetzt noch‹? Die Nacht ist doch noch jung«, gab er verschmitzt grinsend zurück, während er nach einer Kippe angelte, sich ein Ende zwischen die Lippen schob und kurz darauf der Schein des aufflammenden Feuerzeugs sein Gesicht erhellte.

»Aber du bist total erledigt!«, warf Leo besorgt ein. »Du hast doch letzte Nacht auch nicht länger geschlafen als ich und warst den ganzen Tag auf den Beinen. Willst du dir das jetzt echt noch antun?«

Schulterzuckend nahm Jay einen tiefen Zug von seinem Glimmstängel. »Nicht lange, keine Sorge. Ich seh zu, dass ich vor drei Uhr daheim bin, sonst regt René sich nur unnötig auf.«

»Zu Recht«, grummelte Leo, zog es aber vor, ansonsten nichts mehr zu sagen. Warum es Jay zusätzlich zur Arbeit im Panther immer wieder dorthin zog, verstand er nicht einmal entfernt. Wie man sich überhaupt freiwillig an den Straßenrand stellen konnte, erst recht nicht und noch viel weniger verstand er, dass Jays Freund das einfach so hinnahm. »Und René macht sich keine Sorgen um dich?«, fragte Leo und brachte Jay damit zum Lachen.

»Nein, warum sollte er? Er weiß, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.«

»Ja, und wenn nicht? Da laufen doch die größten Psychos rum!« Leo war stehen geblieben und fixierte Jay nun mit wütenden Augen. Der blieb nun ebenfalls stehen und lächelte Leo beruhigend an, nur um ihn kurz darauf in den Arm zu nehmen.

»Leo, ich weiß zu schätzen, dass du auf mich aufpassen willst, aber das musst du nicht. Ich weiß, was ich tue, mit wem man nicht mitgehen sollte und wo es nicht sicher ist. Ich bin …«

»Da aufgewachsen … Jaja, blabla«, beendete Leo sarkastisch den Satz und machte sich los. Er selbst sah darin eher den Grund, aus dem Jay das Ganze verharmloste. Weil er sich ja ach so gut dort auskannte. Aber er wollte nicht mehr mit ihm streiten, es brachte ja doch nichts. Also verabschiedete er sich von Jay, nahm ihm nur noch das Versprechen ab, ihm zu schreiben, wenn er zu Hause war, und bog schon bald in seine Straße ein.

Die Fenster seiner Wohnung lagen verlassen und dunkel da. Fast bedrohlich, wie die gähnenden Münder einer hungrigen Bestie. Bei dem Gedanken flackerte ein ironisches Lächeln über Leos Lippen und er wischte ihn beiseite, beeilte sich, nach oben zu kommen und das Licht anzuschalten. Sah direkt alles viel einladender aus. Nun, da er allein war, spürte er die Müdigkeit wie eine Decke, die sich auf seinen Körper legte. Schlafen, ja, das war es, was er nun brauchte. Nach einer kurzen Dusche – die Leo regelrecht lästig war, so müde war er – schlurfte er in sein Schlafzimmer. Auch hier schaltete er zuallererst das Licht an und seufzte ob des Chaos, das sich wie immer dort drin breitgemacht hatte und das ihn brüllend begrüßte. Der Boden war übersät mit T-Shirts, Hosen, Unterwäsche und Socken, dreckig wie sauber lag neben- und stapelte sich übereinander. Er müsste ganz dringend mal wieder einen Waschtag in Angriff nehmen, dachte Leo, als er sich auf sein Bett fallen ließ, dessen Decke und Kissen unter dem Moskitonetz zu einem einzigen Knäuel zusammengedrückt waren. Und aufräumen, fügte er hinzu, als sein Blick auf die leeren Getränkedosen und Pizzakartons fiel. Es kostete ihn Überwindung, seinen müden Körper noch einmal hochzuhieven, um die Rollläden herunterzulassen. Zwei Stunden Schlaf waren für einen solchen Tag wohl doch irgendwie zu wenig. Noch bevor sein Kopf das Kissen berührt hatte, war er schon eingeschlafen.

Kapitel 5: Julian

Als Julian aufwachte, brauchte er einen Moment, um sich zu orientieren. Richtig, Alex, Janna und Mika waren umgezogen und er hatte sich abends dann Jannas Bett unter den Nagel gerissen. Das erklärte auch die karge Einrichtung um ihn herum; Janna schien Minimalismus zu bevorzugen. Aber das Bett war bequem und mehr interessierte Julian nicht. Er räkelte und streckte sich, bevor er aufstand. Der Blick auf sein Handy sagte ihm, dass er nicht so lange geschlafen hatte, wie das bei ihm normalerweise üblich war, aber das war ja nicht schlimm, denn er war trotzdem wach und ausgeruht. Nicht so wie am Vortag. Vielleicht deswegen, weil ihn niemand mit schiefem Gesang und viel zu viel Fröhlichkeit aus den Federn gesprengt hatte.

Als er in Unterwäsche ins Wohnzimmer schlurfte, stellte er fest, dass er wider Erwarten nicht der Erste war, der sich zu dieser unchristlichen Uhrzeit – es war gerade neun – aus den Laken geschält hatte. Mika stand nur in Boxershorts bekleidet und mit Haaren, die in alle Richtungen abstanden, am Tresen und schlürfte verschlafen einen Kaffee.

»Morgen«, nuschelte der jüngere der beiden Berger-Brüder und hielt Julian wortlos die Kaffeekanne hin. Na, so hatte er seinen Morgen gern! Bedient werden von einem halb nackten Schnuckelchen. Okay, nein, rief er sich selbst und seine abschweifenden Gedanken zur Ordnung. Mika war absolut tabu, und zwar in sämtlichen ihm bekannten Universen. Soweit er wusste, war der Kleine nicht einmal schwul, ganz abgesehen davon, dass er mit seinen süßen Sechzehn auch definitiv zu jung für ihn war und Julian keinen Tag länger am Leben wäre, sollte Janna etwas in die Richtung spitzkriegen.

»Danke dir.« Julian nahm die Kanne entgegen und goss sich Kaffee in einen Becher. »Na, gibt’s irgendwelche Pläne für heute?«, fragte er dann, woraufhin Mika die Schultern zuckte.

»Weiß nicht. Das Wetter ist ganz schön, deswegen hatte ich überlegt, schwimmen zu gehen, aber wer weiß, wann mein Bruder und Alex aufstehen.«

»Na, dann sorgen wir eben dafür, dass sie aufstehen«, antwortete Julian grinsend. Wieso sollten die auch länger schlafen als er?

»Ja, und am Ende wollen sie gar nicht mit …«, murmelte der Kleine.

»Ach doch, sicher … Und dann fragen wir noch Leo …«, sinnierte Julian und sein Grinsen wurde bei dem Gedanken noch breiter. Leo in Badehose und nass und … Ähm ja, falscher Moment und vor allem falsche Kleidung, um daran zu denken. Mika schien von der Idee allerdings begeistert.

»Ja genau! Und ich schreib noch einem Freund. Je mehr wir sind, desto lustiger wird es«, freute er sich und war schon wieder auf dem Weg in sein Zimmer.

»Ich hab Leos Nummer nicht! Du musst ihm schreiben!«, rief Julian ihm hinterher und fand, dass das eigentlich eine gute Gelegenheit war, an selbige heranzukommen, weswegen er nachsetzte: »Oder sag mir seine Nummer, dann schreib ich ihm!« Fast hätte er die Zahlen, die Mika daraufhin nach ein paar Augenblicken in seiner naiven Kindlichkeit zurückrief, nicht eintippen können, so schnell rasselte er sie herunter.

Wer hatte eigentlich gesagt, dass er ihm schreiben musste?, dachte Julian keine halbe Minute später, als er Leo kurzerhand anrief. Es dauerte gar nicht lang, bis am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde.

»Guten Morgen, Leeeeooonaaard!«, sang Julian in sein Handy, hielt es dann eine Armlänge weg, als die verschlafene Stimme auf der anderen Seite sich dezent aufzuregen begann. »Doch, doch, ich nenn dich ab jetzt so.« Julian lachte. »Aber eigentlich rufe ich an, weil Mika schwimmen gehen wollte und wir gedacht haben, es wäre ganz nett, wenn du auch kämst. Du weißt schon, je mehr, umso lustiger und so …«

Kurz später grinste Julian noch immer. Das hatte ja erstaunlich gut geklappt. Es hatte kaum Überredungskunst gebraucht, um Leo davon zu überzeugen. Dazu würde er Brötchen fürs Frühstück mitbringen. Julian lächelte selig. Kaffee von Mika, Brötchen von Leo. Der Tag ging richtig gut los!

***

»Alter! Als du angerufen hast, dachte ich, dass mit Jay was wäre oder so!«, fuhr Leo Julian an, kaum dass er durch die Tür war und die Tüte mit den Brötchen und seine gepackte Tasche auf den Tresen geknallt hatte.

»Hä? Was sollte denn mit Jay sein?«, fragte Julian verständnislos zurück, woraufhin Leo stöhnte und sich mit der Hand durchs Gesicht fuhr.

»Er wollte mir schreiben, wenn er zu Hause ist, aber ich bin eingeschlafen und als du angerufen hast, hab ich nicht gesehen, dass ich auch eine Nachricht von ihm hatte. Erschreck mich nie wieder so!«

»War keine Absicht, Mann!« Julian verstand noch immer nicht, warum Leo sich darüber so aufregte oder warum Jay ihm Nachrichten schrieb, wenn er zu Hause war. Als Friedensangebot deckte er daher den Couchtisch mit dem Wenigen, das Alex schon in seinem Kühlschrank hatte, und hielt Leo wortlos die Kaffeekanne hin.

»Danke.«, Leo seufzte und ließ sich auf die Couch fallen. Nun wieder mit seinem Strahlen im Gesicht. Anscheinend hatte er den Anflug des theatralischen Aus-der-Haut-Fahrens überwunden.

»Guten Morgen, Leo«, grüßte Mika fröhlich, aber dabei noch immer etwas müde, als er wieder ins Wohnzimmer kam. »Nett von dir, dass du Brötchen mitbringst.« Begeistert setzte der Kleine sich neben Leo auf die Couch und nahm sich das erstbeste Brötchen, das er zwischen die Griffel bekam. »Fön, daff du mitkompft«, teilte er ihm kauend mit.

Leo lachte. »Na, immer gern! Mir wär sonst ja doch nichts eingefallen, das mir die Langeweile bis heute Abend hätte vertreiben können.«

Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis sie wegkamen. Irgendwann wurde es Julian zu blöd, auf Janna und Alex zu warten, weswegen er die beiden kurz entschlossen eigenhändig aus dem Bett schmiss.

»Bist du schon lange hier?«, fragte Alex Leo verwirrt, als er ihn auf der Couch sitzen sah.

»Bisschen«, antwortete Leo und sah auf sein Handy. »Zwei Stunden oder so. Mika, dein Ex-Stecher und ich haben auch schon gefrühstückt.«

Was hatte der gerade gesagt? Julian glaubte, sich verhört zu haben.

»Hallo? Ich hab auch ’nen Namen!«, beschwerte er sich, aber Leo tat, als habe er ihn nicht bemerkt, stand stattdessen auf und übernahm es, die Gruppe zur Eile anzutreiben. Na warte, dachte Julian nur grummelnd, bevor er den anderen durch die Tür folgte.

Auf dem Weg zum Schwimmbad zockelte er die meiste Zeit mürrisch hinter den anderen her. Mika und Leo unterhielten sich angeregt; die beiden schienen sich regelrecht zu lieben. So hatte Julian sich das eindeutig nicht vorgestellt! Erst als sie das Freibad erreichten und dort Mikas Kumpel Jan auf sie wartete, ließ der kleine Berger ein wenig von Leo ab. Julian ergriff seine Chance und drängte sich in die neu entstandene Lücke, aber Leo strafte ihn mit Nichtachtung. Was sollte das denn? Gestern diese eindeutig zweideutigen Bemerkungen und Blicke und heute … Nichts? Julian spürte, wie seine Laune gen Keller sank und noch weiter sank, als er feststellte, dass alle schattigen Plätze schon vergeben waren. Sicher, das war kein wirkliches Problem, aber doch die Kirsche auf seinem Eisbecher der Enttäuschung. Egal, er wäre ja nicht Julian, wenn er direkt aufgeben würde.

Kaum hatten sie ihre Handtücher ein wenig abseits ausgebreitet, ihre Taschen abgestellt und sich umgezogen, waren die beiden Teenager schon zu den Sprungtürmen verschwunden. Dann, dachte Julian mit dem verhaltenen Grinsen neuen Mutes, konnte er sich ja wunderbar Leo schnappen und ihn irgendwohin entführen. Janna und Alex blieben doch sicherlich mit größtem Vergnügen allein! … oder auch nicht. Schneller, als Julian gucken konnte, war Janna fertig umgezogen und bereit zum Aufbruch. Auch wenn es Julian gegen den Strich ging, brachte ihn Alex’ düstere Miene fast zum Lachen. Sein blonder Freund hatte sich das wohl ebenfalls ein kleines bisschen anders vorgestellt. Na, da waren sie immerhin schon zwei.

Zu dritt machten sie sich auf den Weg zu den Becken – Alex zog es vor, zu schmollen – und Julian fühlte sich wie das dritte Rad am Fahrrad. Janna unterhielt sich leise mit Leo, hin und wieder bekam Julian Wortfetzen mit, aber nichts, das ihm etwas verraten hätte. Wozu noch mal war er eigentlich mitgekommen?

Der Beckenrand kam in Sicht, kurz darauf das Wasser, das trotz der vollen Liegewiese bemerkenswert leer war, und in Julian entflammte plötzlich ein primitiver, ureigener Instinkt. Er wusste selbst, dass es dämlich war, aber er war doch nicht umsonst Sportstudent! Also nahm er Anlauf, sprintete an den beiden anderen vorbei über das Einmeterbrett und stieß sich mit einem Schrei davon in die Luft ab. Anderthalb Saltos schaffte er, bevor er mit einem lauten Platschen mittelmäßig glamourös mit dem Kopf voran ins Wasser eintauchte.

Ha!, wollte er denken, doch ein anderer Gedanke schob sich unabweisbar in den Vordergrund: Verdammte. Scheiße! War. Das. Verfickte. Wasser. KALT! Sommer hin oder her, das schien an diesem blöden Becken jedenfalls vollkommen vorbeigegangen zu sein! Am liebsten wäre Julian sofort wieder aus dem Wasser geflohen, nachdem er prustend hochgekommen war, aber so, wie Leo spöttische Blicke mit Janna – ausgerechnet mit dem – austauschte, konnte er sich dieser Schande unmöglich aussetzen. Also versuchte er, sich so lässig wie möglich an den Beckenrand zu lehnen. Die Sonne von oben war ja Gott sei Dank warm und der andere Teil seines Körpers würde sich entweder gleich an die arktischen Temperaturen gewöhnen oder zumindest taub werden. Letzteres war der Fall, stellte Julian schon bald fest und beschloss, ein paar Bahnen zu schwimmen, um sich aufzuwärmen.

»Wettschwimmen?«, schlug er schelmisch grinsend vor, wohl wissend, dass er nur gewinnen konnte. Janna winkte ab, sprang mit einem Kopfsprung ins Wasser und tauchte nur einen Meter von Julian entfernt wieder auf.

»Frisch«, bemerkte er trocken, während er auf der Stelle trat und Leo erwartungsvoll ansah. Julian folgte Jannas Blick und begann zu lachen. Leo hielt den großen Zeh ins Wasser und verzog leidend das Gesicht.

»Das ist viel zu kalt zum Schwimmen«, verkündete er und zog den Fuß wieder zurück.

»Quatsch nicht so’n Müll. Das gibt sich, wenn du erst mal drin bist«, erklärte Julian lachend. Er wusste ja schließlich, wovon er sprach.

»Ich weiß nicht …« Zweifelnd hockte Leo sich hin, versuchte es statt mit dem Zeh mit der Hand, was sein Fehler war. Blitzschnell schoss Julian heran und zog den kreischenden Leo ins kühle Nass.

»HAST DU DEN VERSTAND VERLOREN!«, quietschte er in einer Tonlage, die Julian ihm nie und nimmer zugetraut hätte, und wollte sich zum Rand retten, aber Julian zögerte nicht lange, umfasste das schreiende Bündel und schleppte es wie einen Ertrinkenden in die Mitte des Beckens.

»Jesses Maria, ist das Scheißwasser kalt!«

Jepp, zu dem Schluss war auch Julian schon gekommen, aber nun war es an ihm, schadenfroh auszusehen. So zogen sie kreischend und spritzend wie kleine Kinder ihre Kreise im Wasser, bis Janna irgendwann zurück zu ihrem Liegeplatz verschwand. Er hatte versucht, ein paar Bahnen zu schwimmen, und es irgendwann aufgegeben.

Endlich war Julian mit Leo allein! Na ja, abgesehen von den ganzen anderen Leuten, aber die zählten nicht. Er verfolgte ihn eine ganze Weile stumm und mit einem diabolischen Grinsen durchs Wasser, sich nur allzu bewusst, dass er Leo jederzeit einholen konnte, wenn er denn nur wollte. Als Leo wendete, schnitt Julian ihm den Weg ab.

»Du, ich lad dich heute Abend zum Essen ein, was sagst du?«, hielt er nicht lange mit seiner Absicht hinter dem Berg und kam Leo noch ein klein wenig näher. Eigentlich ging er nicht mit seinen Ficks aus, wozu auch? Das war bisher nie nötig gewesen. Aber wenn das der Weg war, Leo zu kriegen, dann war es eben so.

»Du lädst mich ein?« Leo musterte ihn abschätzend »Sweety, das hab ich doch gar nicht nötig. Wenn überhaupt, müsste ich dich einladen.«

»Dann tu das doch«, gab Julian raunend zurück, inzwischen war er sehr nah an Leo herangekommen. Hätte er die Hand gehoben, hätte er Leos nackte Brust berühren, den Herzschlag unter der kühlen Haut fühlen können. Nur eine Bewegung nach vorn und er könnte seine Lippen auf Leos legen, ihn küssen und ihn zu sich ziehen. Allein der Gedanke genügte, um Julian einen Schauer den Rücken hinunterzujagen – und das lag nicht an dem arschkalten Wasser. Diese sexuelle Spannung zwischen ihnen konnte Leo doch unmöglich nicht bemerken? Tatsächlich kam auch Leo näher. So nah, dass Julian seinen warmen Atem auf der Wange spüren konnte. Automatisch ging sein eigener Atem ein wenig schneller. Leo öffnete den Mund, schluckte noch einmal, wobei sein Adamsapfel kurz hüpfte, setzte zum Sprechen an.

»Nee, lass mal. Dann bezahl ja ich dich zum Ficken. Außerdem muss ich arbeiten.«

Klatsch. Da ging sie hin, die Spannung.

»Hä?«, rutschte Julian dieses besonders geistreiche Zeichen seines Unverständnisses heraus, bevor er nachdenken konnte, und als daraufhin Leo lachte, fühlte er sich eindeutig ausgelacht.

»Na, das obligatorische Essengehen vor dem Vögeln? Ist doch letztendlich nichts anderes, als den anderen zu kaufen«, erklärte Leo schmunzelnd, als wäre das glasklar. »Mit ein bisschen unnötiger Romantik natürlich, aber dafür bist du doch gar nicht der Typ? Wenn du bereit bist, mein Abendessen zu bezahlen, kannst du mir das Geld doch auch direkt geben.«

»Pah! Als ob das blöde Abendessen so teuer wäre!«, entfuhr es Julian patzig und er verschränkte auf der Stelle tretend die Arme.

»Nun«, gab sein Gegenüber erzwungen trocken zu bedenken. »Die meisten schaffen es auch erst zum dritten Date ins Bett. Das summiert sich und das kannst du auch einfacher haben.«

Was zum …? Wortlos, weil wieder einmal sprachlos, drehte Julian sich um und schwamm davon. Das war doch echt nicht wahr! Das war doch einfach … Aaahhhrrr!

Kapitel 6: Leo

»Da bist du ja endlich, komm rein!« Strahlend trat Mika ein Stück zur Seite, um den Gast einzulassen. Leo grinste, schlug zur Begrüßung in Mikas erhobene Hand ein und quetschte sich dann an ihm vorbei in die Wohnung.

»BIN DAAHAA!«, verkündete er lautstark und dann, nachdem er seine Jacke abgelegt und seine Nase probeweise in die Luft gehalten hatte: »Das riecht ja saulecker hier!«

»Jepp«, bestätigte Mika, der ins Wohnzimmer vorausging, wo Alex und Julian auf der Couch herumlümmelten.

»Janna kocht.«

»Ja, stell dir das vor!«, übernahm Julian sich aufsetzend das Wort und Leo glaubte, einen leicht ironischen Unterton aus seiner Stimme herauszuhören. »Janna kann kochen! Es gibt absolut nichts, was der Kerl nicht kann! Anscheinend kann er sogar deine Schicht verschieben, wenn du Zeit hast, hier zu essen!«

»Jetzt mach dich nicht lächerlich, Juls.« Leo seufzte. »Keiner hat meine Schicht verschoben, sie beginnt nach wie vor um sieben.«

»Pfft«, machte Julian nur und verschränkte die Arme. Leo zog es vor, nichts zu erwidern. Eigentlich hatte er Julian für erwachsener gehalten. Was war denn an seinem Prinzip so schwer zu verstehen? Konnte er nicht verlieren oder was lief bei ihm falsch? Es ärgerte Leo fast, dass er sich nun darüber den Kopf zerbrach. Wenn Juls das nicht akzeptieren wollte, dann war das allein dessen Problem.

»Was geht denn zwischen euch ab?« Alex hatte die Zickerei stirnrunzelnd verfolgt.

»Dein Ex-Freund hat ein Problem damit, dass er mich nicht kostenlos kriegt«, erklärte Leo schulterzuckend, aber kam kaum bis zum Ende des Satzes, bevor Julian einen Protestschrei losließ.

»Ich bin nicht Alex’ Ex-Freund! Genau darum geht es nämlich! Ich habe keine Beziehungen und ich zahle nicht für Sex.«

»Das ist doch schön«, gab Leo trocken zurück. »Dann such dir doch jemanden, der sich auf diese Bedingungen einlässt. Damit wäre jedem geholfen.«

Aufgebracht sprang Julian auf die Füße.

»Was ist denn dein Problem? Gibt’s nicht mal jemanden, auf den du stehst oder so? Dass du einfach nur Lust drauf hast?«

»Doch, sicher, dann flirte ich ein bisschen und mach den Preis klar.« Inzwischen musste Leo wieder ein Lachen unterdrücken. Vermutlich hatte er mit seiner Vermutung recht und Julian konnte wirklich nicht verlieren. Das erklärte auch die absolut verzweifelte, um nicht zu sagen, peinliche Aktion im Schwimmbad. Es war Julian nie um das Essen gegangen. Der setzte gerade zu einem weiteren Satz an, doch bevor auch nur ein Laut seine Lippen verließ, ging Janna dazwischen, der von allen Augen unbemerkt ins Wohnzimmer gekommen war.

»Jetzt hört mal gut zu, ihr zwei. Ich hab keinen Bock, dass ihr euch hier aufführt wie zwei unreife Teenager. Davon haben wir schon einen hier und selbst der benimmt sich erwachsener. Wenn ihr ein Problem habt, dann klärt das draußen!«

»Sieh an, die Hausfrau droht uns mit dem Kochlöffel«, spottete Julian in Jannas Richtung, der Julian seinerseits einen Blick zuwarf, als wollte er ihn augenblicklich damit umbringen. Seine Augen blitzten besorgniserregend, was Leo einmal mehr faszinierend fand. Normalerweise ließ Janna sich durch kaum etwas aus der Ruhe bringen und Julian schaffte das innerhalb von Sekunden. Gut, wenn man bedachte, was zwischen ihnen gewesen war, war es irgendwie verständlich, aber trotzdem hatte dieser Anblick für Leo Seltenheitswert.

»Du fragst Leo, was sein Problem ist?«, knurrte Janna Julian an. »Ich hab da ’ne Vermutung: Und zwar ist da so ein minderbemittelter Macho, der ihn partout nicht in Ruhe lässt! Welchen Teil von nein hat dein winziges Hirn noch nicht richtig verarbeitet? Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder du setzt dich da hin und bist still oder du gehst.«

»Ich werd mir doch von dir nicht sagen lassen, was ich …«, setzte Julian trotzig an, aber Leo schnitt ihm scharf gestikulierend das Wort ab.

»Jetzt ist aber gut! Janna, ich weiß es zu schätzen, dass du mich unterstützen willst, aber er ist nicht der erste Kerl, den ich abwimmeln muss. Und Julian, du solltest dich daran gewöhnen, auch mal eine Absage zu kriegen. So ist das Leben. Und nun entschuldigt mich, ich glaub, ich kauf mir unterwegs ’nen Döner oder so.«

Alex und Mika protestierten heftig, aber davon ließ Leo sich nicht beeindrucken. Er schnappte sich seine Jacke und stürzte hektisch aus der Wohnung, bevor ihn jemand festhalten konnte. Die Nacht würde noch anstrengend genug werden, da brauchte er nicht noch ein stressiges Abendessen.

Als er die Treppe zur Haustür hinuntereilte, bemerkte er, dass ihm jemand folgte, und befürchtete schon, es sei Julian, aber es war nur Janna.

»Sind sie dir nicht böse, wenn ihnen der Koch wegläuft?«, fragte Leo grinsend, als Janna ihn unten auf der Straße einholte.

»Ich schätze, dann müssen sie sich die Finger zur Abwechslung mal selbst schmutzig machen«, gab der mit zuckenden Mundwinkeln zurück.

»Eher werden sie wohl verhungern«, murmelte Leo und lachte dann bei der Vorstellung, wie die drei sabbernd und weinend vor dem halb fertigen Abendessen saßen.

»Vermutlich, ja … Aber du, hör mal, du hättest nicht gehen müssen. Es ist doch eigentlich wegen mir ausgeartet und das tut mir leid. Das hätten wir schon hingekriegt.«

Was sagte man dazu, der Herr war doch immer für Überraschungen gut, dachte Leo, während er sich zu erinnern versuchte, ob er je zuvor mitbekommen hatte, dass Janna sich bei irgendwem entschuldigte.

»Ach, das ist schon okay so. Ich hätte wegen Julian eh fast abgesagt. Zuerst fand ich’s ja ziemlich schmeichelhaft, dass er so auf mich abfährt, aber mittlerweile ist es echt nur noch nervig.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.

»Begleitest du mich jetzt bis zum Panther?«, fragte Leo irgendwann. Janna zuckte die Schultern.

»Weiß nicht. Könnte ich. Vielleicht gibt’s ja auch noch was für mich zu tun.«

»Ich dachte, du wolltest aufhören, Prinzessin?« Fragend hob Leo eine Augenbraue und blieb stehen, um Janna anzusehen. Hatte er es sich jetzt doch anders überlegt? Obwohl er es nicht mochte? Und obwohl er jetzt Alex hatte?

»Ich meinte hinter der Theke, aber eigentlich war es nur ein Witz«, gab sein Gegenüber lachend zurück, aber dann wurde er ernst.

»Leo, darf ich dich was fragen?«

»Klar, schieß los.«