Sophie Passmann über Frank Ocean - Sophie Passmann - E-Book

Sophie Passmann über Frank Ocean E-Book

Sophie Passmann

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Beschreibung

Sophie Passmann über Frank Ocean. Frank Oceans Album Blonde ist für Sophie Passmann ein Souvenir aus einer Zeit, in der nichts gut war. Und doch ist es das Album ihres Lebens. Es erschien in dem Sommer, in dem sie in Arztpraxen saß, mal ominöse, mal seriöse Pillen nahm, sich hektisch verliebte und alles in allem brachial lebte. Song für Song seziert sie das Album und damit ihre Gefühle. Sophie Passmann zeigt auf ihre unnachahmliche Weise, wie eng Musik mit dem verknüpft ist, was man so Leben nennt.

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Seitenzahl: 59

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Sophie Passmann

FRANK OCEAN

Sophie Passmann über Frank Ocean

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Sophie Passmann

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Motti

Blonde

Nikes

Ivy

Solo

Close to you

Nights

Godspeed

Sunday

Rewind?

Dank

Noch mehr Lesespaß

Inhaltsverzeichnis

»Don’t cry – work!«

Rainald Goetz, Irre

»Work hard in silence, let your success be your noise.«

Frank Ocean

Inhaltsverzeichnis

BLONDE

Im Dezember 2016 saß ich in einer kleinen Kapelle in einer niederrheinischen Kleinstadt und beschloss, dass meine Beerdigung ganz anders werden sollte. Ich wollte keine Predigt, keine tränenerstickten Reden von Angehörigen, die all die weniger guten Erinnerungen aus falscher Pietät nur in einem Halbsatz andeuteten. Ich wollte auf keinen Fall Kerzen, beschloss ich, während der Pfarrer vorne an der Urne stand und sie mit Weihwasser bespritzte. Weihwasser, dachte ich, klar, das kommt auch auf die Anti-Liste, was für eine absolute Scheißidee ist es denn, alles im Altarraum mit Wasser nass zu machen, als hätte das irgendein Gott jemals wollen können. Und zuletzt, natürlich, wollte ich auch nicht, dass jemand Blumen niederlegte. Was habe ich in meinem kurzen Leben schon für eine unglaubliche Menge an langstieligen Blumen in irgendwelche Gräber geschmissen, es hat absolut nie etwas gebracht. Für dieses Ritual wird dem Toten dann ja gerne im Nachhinein und ohne sein Zutun so eine Art Lieblingsblume aufgeschwatzt, damit es nicht einfach wie die reine Willkür der Angehörigen wirkt, dass jetzt da Tulpen ins Erdloch geschmissen werden. Ich habe nicht ansatzweise eine Lieblingsblume. Wäre man bei meiner Beerdigung ehrlich, müsste man wohl halb vertrocknete IKEA-Grünpflanzen in mein Grab schmeißen, aber wer liebt einen schon wirklich so sehr, dass er einem die Beerdigung der eigenen Träume verwirklichen will, dachte ich, wurde dann aber von dem Geräusch kollektiven Blätterns im Gotteslob aus meinen Gedanken gerissen.

 

Auf meiner Beerdigung, beschloss ich in diesem Moment, sollte einfach nur das neue Album von Frank Ocean laufen. 60 Minuten und 8 Sekunden, so lange sollten die Leute, die bis zu diesem Moment behaupteten, mich zu lieben, auf unbequemen Holzbänken ausharren und in die undekorierte christliche Innenarchitektur starren, Song für Song zuhören, erst mal abgeturnt sein von diesem sphärischen Autotune, mit dem er seine Stimme in den Songs verzerrt, sie sollen dasitzen und schlicht nicht begreifen können, wie diese Musik aufgebaut ist, wieso ein Track mal eine Minute dauert und mal sieben, wieso Frank Ocean manchmal ganze Geschichten in einem Refrain erzählt und dann wieder einfach nur unverständliches Zeug säuselt. Sie sollten alle dasitzen und nicht pseudoandächtig irgendeinem Pfaffen zuhören, der auf nahezu jeder Beerdigung den Verstorbenen oder die Verstorbene am wenigsten kannte und doch am meisten sagen darf. Nein, dachte ich an diesem Tag im Dezember 2016 in einer kleinen Kapelle in einer niederrheinischen Kleinstadt, auf meiner Beerdigung sollte einfach eine Stunde Frank Ocean laufen, und wer dasitzt und das dann nicht begreift und lieber eine dumme Predigt gehört oder hässliche Kerzen angezündet hätte, der hat mich noch weniger verstanden, als ich bis heute den IKEA-Ficus in meinem Wohnzimmer verstanden habe.

 

Ich habe an diesem Tag in dieser Kapelle und auch in den Monaten davor viel übers Sterben nachgedacht. Ich hatte selten Angst davor, ich habe es mir eher gewünscht. Ich wollte sterben. Ich würde mir das noch oft wünschen, alles würde noch viel schlimmer werden, aber das wusste ich in diesem Moment in dieser Kapelle ja noch nicht. Eigentlich denkt man immer, dass man gerade schon den Tiefpunkt erreicht hat, nur so ist es erträglich, wenn es weiter bergab geht. Man hält sich insgeheim für klüger als die ständige emotionale Abwärtsbewegung, in der man sich befindet. Mit einer Mischung aus Zähigkeit und schierer Dummheit habe ich mich eine Jahreszeit lang durch meine depressive Phase geschleppt. Dass ich auf dem Weg in das immer tiefer werdende Loch dann ausgerechnet auf eine Beerdigung gehen musste, war eine jämmerliche Pointe, aber man nimmt halt, was man kriegen kann. Dass ich meine Beerdigung in diesem Moment plante, war postpubertär, und ich hielt es für wahrhaftig und wichtig, so wie man das eigene Tun immer für wahrhaftig und wichtig hält, wenn man postpubertär ist. Und dass Frank Ocean ausgerechnet dann sein neues Album Blonde rausbringt, wenn ich im emotionalen Ausnahmezustand alles in meinem Leben über den Haufen werfe, Menschen verlasse, Wohnungen und Jobs kündige, Freundschaften und Zeitungsabos beende, ist vielleicht Ironie des Schicksals, vielleicht auch einfach ein total egaler Zufall. Fakt ist, dass Frank Ocean die musikalische Begleitung für meine erste große und mit ein bisschen Glück auch letzte große, alles, auch das Leben an sich, infrage stellende Krise war. Diese Tragweite hat Frank Ocean verdient, er ist immerhin einer der wichtigsten und brillantesten Musiker der Welt. Vielleicht also spricht es für meinen eigenen Größenwahn, ausgerechnet Blonde zu meinem Album zu machen, ein Album, das von allen, die ein bisschen Ahnung haben, ohne Zögern zum besten Album des Jahres, von einigen, die mutig und arrogant sind, zum besten Album aller Zeiten erklärt wird. Frank Ocean hat die Filmmusik zu meinem Unglück geliefert. Monatelang hörte ich seine und ausschließlich seine Musik, anfangs in der Hoffnung, dass es dadurch besser würde, später in dem Glauben daran, dass er der Einzige ist, der versteht, wie ich mich fühle, und ganz am Ende dann fast als Automatismus, weil ich dachte, dass nichts gegen mich und das Drama in meinem Kopf hilft. Heute hören sich die Tracks vom Album für mich an wie Kriegsverletzungen, jeder einzelne Song steht für ein Moment des Dramas, des Wachstumsschmerzes, der Heilung. Sie sind Souvenirs aus einer Zeit, in der nichts gut war. Heute fühlt es sich fast wie leidgeiler Voyeurismus an meinem eigenen Unglück an, sich Blonde wieder anzuhören, weil heute alles unverschämt gut ist.

Inhaltsverzeichnis

NIKES

Die heißesten Tage des Jahres verbrachte ich vor allem liegend und trinkend, ich hatte mir beim Einzug in meine winzige Einzimmerwohnung in Freiburg aus Europaletten ein Bett gebastelt. Wenn ich nachmittags auf der Matratze lag, schien die Sonne direkt auf meine nackten Füße, meine Wohnung war im Dachgeschoss, die Tage waren nur mit Ventilator erträglich. Wobei. Die Tage waren auch mit Ventilator unerträglich, es war nicht die Hitze, die mich lähmte, es war die Leere, die noch nie so schwarz und mächtig und da war wie jetzt. Meine gesamte Schulzeit dachte ich, wenn ich erst mal studieren würde, wäre alles gut, dann hätte ich kluge Freunde um mich herum, könnte mich mit Professorinnen in Hörsälen über Heidegger streiten, auf dem Campus rauchen und hübsche Männer in Studentenkneipen aufreißen. Ich dachte, diese verzweifelte, manchmal hysterische Traurigkeit hätte nur zu tun mit den Umständen, in denen ich mich befand und eben unwohl fühlte. Jetzt, wo ich all das ja machen konnte, fühlte ich mich wie eine undankbare Versagerin, weil ich, statt das Glück, das ich mir irgendwann mal selbst versprochen hatte, einzulösen, nur im Bett lag.