Immer habe ich Angst - Bettina Clausen - E-Book

Immer habe ich Angst E-Book

Bettina Clausen

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Pünktchen trug einen Hosenrock aus Jeansstoff – im gleichen Farbton wie Nicks Hose. Darauf war Pünktchen besonders stolz. Sooft sie an dem Spiegel im Herrenhaus von Schoeneich vorüberkam, betrachtete sie zufrieden ihr Bild. Auch jetzt wieder. Doch als Nick nach ihr rief, eilte sie schnell weiter. In den Händen trug sie eine Schüssel mit Salzgebäck. »Stell es dort drüben hin«, bat Nick und deutete zum Ende der langen Tafel, die im Park von Gut Schoeneich stand. Sie war für die Kinder von Sophienlust gedeckt. Nick hatte die Kinder zu einem Fest eingeladen. Nick zählte schon zum dritten Mal die Stühle und stellte zum dritten Mal fest, dass zwei fehlten. »Henrik«, rief er und drehte sich um. Doch sein jüngerer Halbbruder war nicht da. »Ich möchte bloß wissen, wo er wieder ist«, sagte Nick. »Schon vor zwanzig Minuten habe ich ihm gesagt, er soll noch zwei Stühle holen.« »Ich kann mir schon denken, wo er ist«, meinte Pünktchen und kostete ein Salzplätzchen. »Wo?« »Bei deinem Pferd.« Nicks neues Pferd war der Anlass zu diesem Fest. Seine Eltern hatten es ihm aus Spanien mitgebracht. Einen zwei Jahre alten Andalusier. Nick hatte sich auf den allerersten Blick in den Schimmel verliebt und sofort beschlossen, dieses großzügige Geschenk mit einem Fest zu feiern. Alle Kinder sollten sich mit ihm freuen und gemeinsam mit ihm einen Namen für das Pferd auswählen. Das war der eigentliche Anlass des Festes. Martha hatte eine Kinderbowle zubereitet und Salzgebäck gebacken. Außerdem gab es noch Kaffee, Kakao und Kuchen. Endlich brachte Henrik die fehlenden Stühle. Pünktchen trug

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Sophienlust –142–

Immer habe ich Angst

Die kleine Ani hätte so gern wirkliche Freunde!

Bettina Clausen

Pünktchen trug einen Hosenrock aus Jeansstoff – im gleichen Farbton wie Nicks Hose. Darauf war Pünktchen besonders stolz. Sooft sie an dem Spiegel im Herrenhaus von Schoeneich vorüberkam, betrachtete sie zufrieden ihr Bild. Auch jetzt wieder. Doch als Nick nach ihr rief, eilte sie schnell weiter. In den Händen trug sie eine Schüssel mit Salzgebäck.

»Stell es dort drüben hin«, bat Nick und deutete zum Ende der langen Tafel, die im Park von Gut Schoeneich stand. Sie war für die Kinder von Sophienlust gedeckt. Nick hatte die Kinder zu einem Fest eingeladen.

Nick zählte schon zum dritten Mal die Stühle und stellte zum dritten Mal fest, dass zwei fehlten. »Henrik«, rief er und drehte sich um. Doch sein jüngerer Halbbruder war nicht da.

»Ich möchte bloß wissen, wo er wieder ist«, sagte Nick. »Schon vor zwanzig Minuten habe ich ihm gesagt, er soll noch zwei Stühle holen.«

»Ich kann mir schon denken, wo er ist«, meinte Pünktchen und kostete ein Salzplätzchen.

»Wo?«

»Bei deinem Pferd.« Nicks neues Pferd war der Anlass zu diesem Fest. Seine Eltern hatten es ihm aus Spanien mitgebracht. Einen zwei Jahre alten Andalusier. Nick hatte sich auf den allerersten Blick in den Schimmel verliebt und sofort beschlossen, dieses großzügige Geschenk mit einem Fest zu feiern. Alle Kinder sollten sich mit ihm freuen und gemeinsam mit ihm einen Namen für das Pferd auswählen. Das war der eigentliche Anlass des Festes. Martha hatte eine Kinderbowle zubereitet und Salzgebäck gebacken. Außerdem gab es noch Kaffee, Kakao und Kuchen.

Endlich brachte Henrik die fehlenden Stühle. Pünktchen trug nun gemeinsam mit Vicky eine große Kuchenplatte aus dem Haus.

»Da fehlt doch schon wieder ein Stück«, frotzelte Nick. Dabei schaute er Vicky an, von der alle wussten, dass sie gern naschte.

Doch diesmal wies das Mädchen die Verdächtigung entrüstet von sich. »Ist überhaupt nicht wahr. Keinen einzigen Krümel habe ich gegessen. Frag Pünktchen.«

Die nickte. »Stimmt. Diesmal ist Vicky wirklich unschuldig.« Sie stellten die Kuchenplatte ab. »Ich glaube, jetzt haben wir alles.«

Aus der Ferne erklang nun Lachen und Singen.

»Ich glaube, sie kommen.« Nick lief zum Tor. Pünktchen und Vicky folgten ihm.

»Sie kommen per Fahrrad«, staunte Nick.

Auf jedem Fahrrad saßen zwei Kinder. Die älteren Kinder fuhren und hatten jeweils ein kleines Kind auf dem Gepäckträger sitzen.

»Hallo!« Nick winkte den Gästen entgegen.

Mit lautem Echo antwortete die Schar. Dann sprangen die Kinder von den Rädern. Dabei fiel Heidi hin. Sie überlegte einen Moment lang, ob sie weinen sollte. Doch da war Pünktchen schon bei ihr. »Komm, ich helfe dir auf. Hat’s wehgetan?«

»Nur ’n bisschen.« Heidi rieb sich das Knie. Aber außer einem winzigen Kratzer war nichts zu sehen. Und nach ein paar Minuten hatte sie den kleinen Unfall bereits wieder vergessen.

Die Kinder stellten ihre Räder ab und liefen zu der Tafel im Park. »Es gibt Kuchen«, rief Fabian. Schon wollte er nach einem Stück greifen, doch Vicky schlug ihm auf die Finger.

»Erst wenn wir alle sitzen, wird gegessen.«

»Wo ist Tante Isi?«, fragte Heidi.

Irmela wollte aber etwas anderes wissen. »Wo ist der Schimmel, Nick? Im Stall?«

»Ja«, sagte Nick.

»Wenn wir gegessen haben, führe ich ihn euch vor.«

Irmelas Augen begannen zu leuchten. »Ich kann es kaum erwarten.«

»Was wirst du mit dem Schimmel alles machen, Nick?«, fragte Fabian. »Bringst du ihm auch ein paar Kunststücke bei? Du hast doch gesagt, dass Andalusier oft auch als Zirkuspferde dressiert werden.«

»Das stimmt. Aber ich glaube nicht, dass ich ein Zirkuspferd aus ihm machen kann.« Nick hatte da seine Zweifel.

»Warum nicht? Du kannst es doch einmal versuchen«, riet Henrik ihm. »Mann, das wäre vielleicht lustig.«

»In erster Linie möchte ich mit dem Schimmel reiten«, erklärte Nick. »So, und jetzt wird erst einmal gegessen. Martha bringt schon den Kakao.«

Gleichzeitig mit der Köchin kamen auch Denise und Alexander von Schoen­ecker aus dem Haus. Sie hatten den Kindern versprochen, bei ihrem Fest dabei zu sein. Wenigstens eine Stunde lang. Schließlich hatten sie das Pferd für Nick während ihres Spanienurlaubes gekauft.

»Erzähl uns ein bisschen von Spanien, Tante Isi«, bettelte Pünktchen. Sie hatte es so eingerichtet, dass sie neben Denise von Schoenecker saß. Nun lauschte sie fasziniert Denises Schilderung. Ich möchte auch einmal das Meer sehen, dachte sie dabei.

Vicky sprach diesen Gedanken aus. »Das Meer muss schön sein. Ich möchte gern einmal darin baden.«

»Du bist noch jung«, sagte Alexander von Schoenecker. »Irgendwann in deinem Leben wirst du das Meer sehen und darin baden.«

Henrik warf den Mädchen einen verächtlichen Blick zu. Das Meer interessierte ihn im Moment überhaupt nicht. Wie konnten sie nur vom Meer träumen, wenn gleich hinter dem Haus im Stall ein so wunderschöner Schimmel stand? »Wann holst du das Pferd, Nick?«

»Nicht so ungeduldig, kleiner Bruder. Jetzt wird erst einmal gegessen.«

»Ich bin schon fertig.« Henrik schob seinen Teller zurück.

»Ich glaube, du kannst die Kinder nicht länger auf die Folter spannen«, sagte Alexander schmunzelnd.

Nick stand auf. »Okay, Vati. Ich hole den Schimmel.«

Sofort entstand ein Aufruhr an der Tafel. Sämtliche Kinder sprangen gleichzeitig auf. Ein jedes wollte das Pferd zuerst sehen.

Als Nick den Schimmel dann brachte, herrschte sekundenlang staunendes Schweigen. »Ich habe noch nie ein so schönes Pferd gesehen«, sagte Irmela andächtig und trat langsam zu dem Schimmel. Mit vorsichtigen Bewegungen, um ihn nicht zu erschrecken, begann sie seinen Hals zu streicheln.

Jetzt kamen auch die anderen näher, und alle wollten das Pferd streicheln. Doch das mochte der Schimmel nicht. Er begann rückwärts zu trippeln und wäre wohl ausgebrochen, wenn Nick ihn nicht festgehalten hätte.

»Er muss sich erst an euch gewöhnen«, meinte der stolze Pferdebesitzer. »Vorerst ist er noch nervös.«

»Schade«, sagte Irmela. »Ich dachte, du würdest uns eine Runde vorreiten.«

»Morgen«, versprach Nick. »Er muss mich erst kennenlernen.«

Darin pflichtete Alexander von Schoenecker seinem Stiefsohn bei. »Gewöhne ihn langsam an dich«, riet er Nick. »Dann wird sein Vertrauen später umso größer sein.«

Alexander ging zurück in sein Arbeitszimmer zu seinen Abrechnungen. Denise blieb dagegen noch bei den Kindern, die nun abstimmten, wie der Schimmel heißen sollte.

Fast jedes Kind machte einen Vorschlag, sodass sich Nick einen Moment lang lachend die Ohren zuhielt. »Demnach könnte ich dem Schimmel mindestens zwanzig Namen geben.«

»Kannst du ja auch«, meinte Henrik.

»Ja, aber rufen kann ich ihn trotzdem nur mit einem.«

»Mit dem schönsten«, sagte Heidi.

»Vicky und ich, wir haben uns einen ganz schönen ausgedacht.« Sie nannte den Namen.

Ein Teil der Kinder brach spontan in schallendes Gelächter aus.

»Ruhe«, donnerte Nick, obwohl auch er sich das Lachen verkneifen musste. Aber er stellte sich schützend neben Heidi. »Hört auf zu lachen und macht lieber weitere Vorschläge.«

»Soll ich dir meinen Namen sagen?«, fragte Henrik.

»Sag ihn schon«, drängte Nick. »Mach es nicht so spannend.«

»Silberpfeil.«

Wieder lachten ein paar Kinder.

»Da gibt’s überhaupt nichts zu lachen«, schimpfte Henrik, »Silberpfeil ist ein schöner Name.«

»Ja, aber ein Indianername«, stellte Irmela fest. »Na und?« Henrik drehte sich angriffslustig zu ihr um. »Warum soll Nicks Pferd keinen Indianernamen bekommen?«

»Weil es kein Indianerpferd ist, sondern ein spanisches. Ein Andalusier.«

»Dann geben wir ihm doch einen spanischen Namen«, schlug Pünktchen vor.

Damit war Nick sofort einverstanden. »Die Idee ist gut. Lasst uns über einen spanischen Namen nachdenken.«

Die Kleineren maulten. »Wo wir uns doch so schöne Märchennamen ausgedacht haben.«

»Ihr mit euren Märchennamen.« Irmela winkte ab. »Die sind doch viel zu kindisch.«

»Silberpfeil ist überhaupt nicht kindisch«, rief Henrik rebellisch.

Pünktchen schüttelte ungeduldig den Kopf. »Du hast doch gehört, dass Nick seinem Pferd einen spanischen Namen geben will. Also hör endlich mit deinem Indianerzeug auf.«

Nick musste lachen. »Ich will einmal zusammenfassen«, sagte er laut. »Fest steht, dass der Schimmel weder Putzi noch Silberpfeil heißen soll. Er soll einen spanischen Namen kriegen. Also lasst uns weiter überlegen.«

»Nenne ihn doch Don Quichote«, riet Irmela ihm.

Nick überlegte. Aber Vicky und Angelika protestierten sofort. »Der ist viel zu schwierig. Den kann man ja nicht einmal richtig aussprechen.«

»Don Quichote gefällt mir irgendwie«, meinte Nick. »Aber Angelika hat recht. Ein bisschen schwierig ist er schon. Besonders für die Kleineren zum Aussprechen. Außerdem wäre mir ein Name lieber, der aus einem Wort besteht.«

»Ich hab’s«, rief Pünktchen. »Nenne ihn Pedro.«

Einen Moment lang schwiegen alle. »Pedro ist nicht schlecht«, sagte Nick langsam. »Gar nicht schlecht. Im Gegenteil. Sogar sehr gut.«

Irmela nickte. »Finde ich auch. Pedro ist kurz und klingt gut. Mir gefällt der Name.«

»Mir auch«, sagten sofort drei andere Kinder.

Sogar Henrik vergaß seinen Silberpfeil und stimmte dem Vorschlag zu. Nick schaute Denise an. »Du sagst ja überhaupt nichts, Mutti. Wie gefällt dir der Name Pedro?«

»Gut. Er passt auch zu dem Schimmel.«

»Ja, er passt zu ihm.« Nick schaute in die Runde. »Stimmen wir doch einfach ab. Wer für Pedro ist, hebt die Hand.«

Fast alle Arme flogen hoch. Nur zwei oder drei Kinder zögerten, ließen sich aber schließlich auch noch für Pedro bekehren.

»Also heißt der Schimmel Pedro«, sagte Nick. »Die Mehrheit hat’s beschlossen.«

»Aber der Name muss dir auch wirklich gefallen.«

Pünktchen schaute ihren Freund prüfend an.

»Er gefällt mir ja«, antwortete Nick lächelnd. Dann ging er mit den Kindern in den Stall.

»Wir haben dich getauft«, sagte er zu dem Schimmel. »Du heißt ab sofort Pedro.« Das Pferd richtete seine großen dunklen Augen auf Nick. Dieser streichelte die Mähne des Pferdes und wiederholte immer wieder den Namen Pedro.

Plötzlich begann der Schimmel zu wiehern. Die Kinder brachen sofort in helle Begeisterung aus. »Er hat dich verstanden. Er hat den Namen akzeptiert!«, riefen sie durcheinander.

Durch diesen Trubel wurde das Pferd schließlich so unruhig, dass Nick die Kinder aus dem Stall hinausschickte. Er selbst blieb noch bei seinem Pferd. »Ich glaube, wir zwei werden uns gut verstehen«, sagte er leise. »Auf jeden Fall werde ich meinen Teil dazu beitragen.«

Wieder musterte der Schimmel ihn aufmerksam. Ich glaube, er versteht mich wirklich, dachte Nick und streichelte Pedros schönes weißes Fell. Morgen werde ich ihn reiten, beschloss er.

Als Nick in den Park zurückkam, hatten sich die Kinder in einzelne Gruppen aufgelöst. Ein paar spielten Ball. Die Kleineren saßen im Gras und flochten Blumenkränze. Und Irmela räumte zusammen mit Pünktchen den Tisch ab. Denise half ihnen dabei.

*

Es war genau vierzehn Tage nach dem Fest. Wie jeden Tag ging Nick nach dem Frühstück zuerst zum Stall, um Pedro zu begrüßen. Doch Pedros Platz war leer.

Ruckartig blieb Nick stehen. Er schaute sich im Stall um. Doch Pedro blieb verschwunden. »Das gibt’s doch gar nicht«, murmelte der Junge. Er lief schnell aus dem Stall hinaus und in den Park hinein.

Dort spielte Henrik mit sich selbst Federball. »Warum rast du denn wie ein wild gewordener Fliegenfänger durch die Gegend, großer Bruder?«

Nick blieb stehen und fuhr sich mit beiden Händen durch’s Haar. »Pedro ist verschwunden.«

»Waas?« Augenblicklich war das Federballspiel vergessen.

»Wahrscheinlich durchgegangen.«

»Dann müssen wir ihn suchen«, rief Henrik aufgeregt. »Wohin kann er denn gelaufen sein?«

»Keine Ahnung. Ich weiß ja auch gar nicht, wie lange er schon weg ist.« Nick war sichtlich verstört. »Ich möchte bloß wissen, wie er aus dem geschlossenen Stall herausgekommen ist. Sag bitte Vati Bescheid. Ich setze mich auf mein Fahrrad und radle die Umgebung ab.«

»Okay. Ich komme dir nach.« Henrik lief zum Haus. »Vati«, rief er schon in der Halle. »Vati!«

Alexander von Schoenecker trat langsam aus seinem Arbeitszimmer. In Gedanken war er noch bei seinen Rechnungen. »Was ist denn passiert? Warum schreist du so?«

»Pedro ist verschwunden. Nick meint, dass er durchgegangen ist.«

»Das muss er ja wohl, wenn er nicht mehr da ist.«

»Nick ist losgeradelt, um Pedro zu suchen. Darf ich ihm nachfahren, Vati?«

Alexander von Schoenecker nickte. »Fahr schon los. Ich hole mein Pferd aus dem Stall und reite die Felder und Wiesen ab. Allzu weit kann Pedro ja nicht sein.«

Doch das erwies sich als ein Trugschluss. Alexander von Schoenecker ritt die ganze Umgebung ab, aber er fand keinen Hinweis darauf, dass der Schimmel durchgegangen war. Es hatte ihn auch niemand gesehen.

In Sophienlust traf der Gutsherr mit Nick zusammen. Aber schon der besorgte Ausdruck seines Stiefsohnes verriet ihm, dass auch dessen Suche erfolglos geblieben war.

»Hast du ihn gefunden, Vati?«, fragte Henrik. Sein Gesicht war erhitzt vom schnellen Radfahren.

»Nichts, keine Spur.« Alexander stieg ab.

»Wir auch nicht«, sagte Nick. »Verstehst du das, Vati?«

Alexander von Schoenecker schüttelte den Kopf. Er stand vor einem Rätsel. Dass ein Pferd durchbrannte, kam schon einmal vor. Aber dass es dann einfach unauffindbar blieb, war verdächtig.

»Da ist noch etwas Komisches, Vati. Der alte Justus sagt, er hätte heute Nacht so komische Geräusche gehört.«

»Was für Geräusche?«, fragte Alexander.

Doch das wusste Nick auch nicht. »So genau konnte er es nicht erklären. Eben Geräusche, sagte er. Vielleicht kannst du einmal selbst mit ihm sprechen, Vati?«

Das tat Alexander von Schoenecker auch. Er erfuhr von Justus, dass sich die Geräusche wie Pferdegalopp angehört hätten. Das ließ darauf schließen, dass Pedro tatsächlich durchgebrannt war.

Als Alexander zum Herrenhaus zurückkam, hatten sich sämtliche Kinder vor dem Eingang versammelt.

»Sie wollen mir suchen helfen«, sagte Nick. »Wir schwärmen aus und durchsuchen das ganze Gelände. Aber wir haben noch eine Bitte, Vati. Kannst du mich oder Henrik schnell zum Tierheim fahren? Wir möchten Munko mitnehmen. Er kann uns suchen helfen.«

Munko war ein ausgedienter Polizeihund. Bei einem Einsatz war er verletzt worden und lahmte nun. Trotzdem konnte man ihn zum Suchen noch sehr gut verwenden. Seit einiger Zeit lebte er im Tierheim Waldi & Co.

Alexander gab Justus die Zügel seines Pferdes. »Ist ein Wagen frei?«

»Ja«, sagte Nick. »Ein Wagen schon. Nur kein Fahrer. Deshalb dachte ich, du könntest mich schnell hinüberfahren.«

Alexander nickte, »Komm, wir fahren schnell.«

Als Nick mit Munko zurückkam, waren die Kinder schon in das Gelände ausgeschwärmt. Doch Nick holte sie mit seinem Fahrrad schnell wieder ein.

»Vielleicht ist er in den Wald gelaufen«, meinte Pünktchen. »Die Hälfte von uns sollte den Wald durchkämmen.«

Damit war Nick sofort einverstanden. Denn die Felder und Wiesen in der näheren Umgebung hatte er ja schon mit seinem Stiefvater abgesucht. »Such, Munko«, spornte er den ehemaligen Polizeihund an.

Munko begann auch sofort an der Leine zu zerren und loszulaufen. Doch bald schon blieb er wieder ratlos stehen.

Nick legte beide Hände an den Mund und rief nach den anderen. »Hört ihr uns?«

»Ja«, schallte es zurück.

»Irgendeine Spur?«, fragte Nick schreiend.

»Nichts.«

Resigniert ließ Nick die Arme hängen. In diesem Moment fürchtete er zum ersten Mal, dass Pedro für immer verschwunden bleiben könnte. Diese Vorstellung tat ihm weh. Sehr sogar.

Plötzlich spürte Nick, dass Pünktchen ihre Finger in seine Hand schob.

»Wir finden ihn bestimmt, Nick.«

»Aber wir haben doch schon die ganze Umgebung von Schoeneich und Sophienlust abgesucht«, sagte Nick verzweifelt.

»Vielleicht ist er noch weiter weggelaufen. Bis in ein Nachbardorf.« Pünktchen wollte ihren Freund trösten. Nur deshalb sagte sie das.

Nick griff den Gedanken jedoch sofort auf. »Wenn er auch hier im Wald nicht ist, dann setze ich mich aufs Fahrrad und fahre im Umkreis von zwanzig Kilometern alle Dörfer ab.«

»Das schaffst du aber heute nicht mehr«, gab Pünktchen zu bedenken.

»Ja, du hast recht.« Der große Junge schüttelte betrübt den Kopf.

Am späten Nachmittag kamen alle Kinder müde und ohne Hoffnung zurück.

»Habt ihr ihn nicht gefunden?«, fragte Else Rennert, die Heimleiterin.

»Nein.« Irmela schüttelte betrübt den Kopf. »Wir waren überall. Beim See, im Wald. Aber wir konnten den Schimmel nicht finden.«

»Das ist komisch«, meinte die Heimleiterin. »So ein großes Pferd kann doch nicht einfach verschwinden.«

»Wahrscheinlich ist er zu weit weggelaufen«, überlegte Irmela. »Irgendwo muss er ja sein. Schließlich kann sich ein Pferd nicht plötzlich in Luft auflösen.« Sie drehte sich zu Nick um. »Wir suchen morgen weiter.«

»Okay«, sagte Nick. »Ich radle jetzt zurück nach Schoeneich. Vielleicht weiß Vati etwas. Er wollte mit der Polizei telefonieren.«

Dieses Telefonat hatte Denise ihrem Mann abgenommen. Aber auch sie hatte keine positive Nachricht für Nick. »Niemand hat einen Schimmel gesehen«, berichtete sie, als Nick und Henrik nach Hause kamen.

Nick hätte am liebsten geheult, so unglücklich war er. »Ob ich noch einmal mit dem Rad losfahre, Mutti?«