Der unerwünschte Stiefsohn - Bettina Clausen - E-Book

Der unerwünschte Stiefsohn E-Book

Bettina Clausen

0,0

Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Henrik von Schoenecker gab seinem älteren Halbbruder Dominik einen Rippenstoß. »Hast du das gehört. Nick?« »Ich bin ja nicht taub. Hör auf, mich dauernd anzurempeln, und sei ruhig, sonst verstehen wir nichts.« Nick presste sein Ohr wieder an das harte Eichenholz der Wohnzimmertür auf Gut Schoeneich. »Hörst du etwas, Nick?« »Nein, jetzt haben sie aufgehört zu reden, ich …« Nick stockte und taumelte, weil die Tür plötzlich nachgab. In der geöffneten Tür stand Denise von Schoenecker und musterte ihre beiden Söhne mit einer Miene, die ausdrückte: Das habe ich mir gedacht. Sie versuchte streng zu bleiben, was ihr bei den verdutzten Gesichtern der beiden Jungen aber nicht gelang. »Habt ihr alles gehört?« »Gar nichts«, versicherte Henrik treuherzig. »Wirklich, Mutti, ihr habt viel zu leise gesprochen.« Da musste sogar Alexander von Schoenecker lachen. »Also, kommt schon herein!« Das ließen sich Nick und Henrik nicht zweimal sagen. »Wie viel habt ihr gehört?«, verlangte der Vater zu wissen. »Nicht viel«, sagte Nick. »Nur, dass Mutti in Frankfurt eine alte Bekannte getroffen hat, dass diese Bekannte jetzt mit einem Italiener verheiratet ist und in Südtirol eine Pension hat.« Henrik fügte hinzu: »Und dass sie uns alle eingeladen hat.« »Also wisst ihr schon alles«, seufzte Alexander. »Es sollte eine Weihnachtsüberraschung für die Kinder werden.« »Wir verraten kein Wort, Vati.« Nick war sogar bereit, das mit großem Ehrenwort zu beschwören. Schon wollte er die Hand heben, doch Alexander von Schoenecker winkte ab. »Besten Dank! Eure Schwüre kenne ich. Heute großes Ehrenwort – und morgen weiß es ganz Sophienlust.« Er schaute dabei Henrik an. »Außerdem ist noch nichts entschieden. Eure Mutter

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 124

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust – 259 –

Der unerwünschte Stiefsohn

Warum Rolf sich einsam fühlte

Bettina Clausen

Henrik von Schoenecker gab seinem älteren Halbbruder Dominik einen Rippenstoß. »Hast du das gehört. Nick?«

»Ich bin ja nicht taub. Hör auf, mich dauernd anzurempeln, und sei ruhig, sonst verstehen wir nichts.« Nick presste sein Ohr wieder an das harte Eichenholz der Wohnzimmertür auf Gut Schoeneich.

»Hörst du etwas, Nick?«

»Nein, jetzt haben sie aufgehört zu reden, ich …«

Nick stockte und taumelte, weil die Tür plötzlich nachgab. In der geöffneten Tür stand Denise von Schoenecker und musterte ihre beiden Söhne mit einer Miene, die ausdrückte: Das habe ich mir gedacht. Sie versuchte streng zu bleiben, was ihr bei den verdutzten Gesichtern der beiden Jungen aber nicht gelang.

»Habt ihr alles gehört?«

»Gar nichts«, versicherte Henrik treuherzig. »Wirklich, Mutti, ihr habt viel zu leise gesprochen.«

Da musste sogar Alexander von Schoenecker lachen. »Also, kommt schon herein!«

Das ließen sich Nick und Henrik nicht zweimal sagen.

»Wie viel habt ihr gehört?«, verlangte der Vater zu wissen.

»Nicht viel«, sagte Nick. »Nur, dass Mutti in Frankfurt eine alte Bekannte getroffen hat, dass diese Bekannte jetzt mit einem Italiener verheiratet ist und in Südtirol eine Pension hat.«

Henrik fügte hinzu: »Und dass sie uns alle eingeladen hat.«

»Also wisst ihr schon alles«, seufzte Alexander. »Es sollte eine Weihnachtsüberraschung für die Kinder werden.«

»Wir verraten kein Wort, Vati.« Nick war sogar bereit, das mit großem Ehrenwort zu beschwören. Schon wollte er die Hand heben, doch Alexander von Schoenecker winkte ab.

»Besten Dank! Eure Schwüre kenne ich. Heute großes Ehrenwort – und morgen weiß es ganz Sophienlust.« Er schaute dabei Henrik an. »Außerdem ist noch nichts entschieden. Eure Mutter und ich haben nur über die Möglichkeit gesprochen.«

»Toll wäre das schon«, meinte Nick. »Einen gemeinsamen Skiurlaub haben wir noch nie gemacht.«

»Alle könnten Ski fahren lernen!« Henrik turnte auf der Sessellehne. Ein Blick von seinem Vater jagte ihn wieder herunter.

Nick dachte an die praktische Seite: »Würdest du alle Kinder mitfahren lassen, Mutti? Könnten wir überhaupt alle in der Pension von deiner Bekannten wohnen?«

»Zu viele Fragen, die ich selbst noch nicht beantworten kann. Geht jetzt ins Bett und lasst mich mit Vati allein.«

Nick stand auf. »Komm, Kleiner.«

»Du sollst mich nicht immer Kleiner nennen«, maulte Henrik und lief neben Nick her bis in dessen Zimmer.

»He!« Auf der Schwelle blieb Nick stehen. »Du schläfst nebenan.«

»Weiß ich, aber ich kann jetzt nicht schlafen. Sag mal, Nick, glaubst du, es wird was?«

»Keine Ahnung.« Nick zuckte mit den Schultern. »Aber so ein richtiger Skiurlaub wäre schon toll.«

Das fand Henrik auch. Er setzte sich auf Nicks Bett.

»Hör mal, das ist mein Bett, und ich will mich jetzt hineinlegen.« Nick schlug die Decke zurück und scheuchte Henrik auf.

Der schüttelte missbilligend den Kopf. »Wie du jetzt bloß schlafen kannst. Ich bin viel zu aufgeregt, um überhaupt die Augen zuzukriegen.«

»Versuche es«, riet Nick seinem Halbbruder. Gleich darauf legte er sich mit einem Buch ins Bett. Aber auch seine Gedanken irrten ab. Immer wieder musste er an den Skiurlaub denken. Das wäre die tollste Weihnachtsüberraschung, die wir je hatten, dachte er. Er sah schneebedeckte Berge, einen strahlend blauen Himmel, Sonne. Schließlich stand er leise auf und holte seinen Atlas. Im Schein der Nachttischlampe suchte er die Dolomiten und stellte fest, wie viele Täler und Orte es da gab. Er hatte jedoch vergessen, seine Mutter nach dem Namen der Stadt oder des Dorfes zu fragen, in dem sie wohnen sollten, und nahm sich vor, das am nächsten Morgen nachzuholen.

*

Als Henrik am Morgen die Augen öffnete, erschrak er: Hatte er den Wecker überhört? Nein, es waren ja Ferien. Ferien!

Henrik sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Oben an der Dachrinne hingen winzige Eiszapfen. Auf den Bäumen und dem Dach der Nebengebäude lag eine gleichmäßige weiße Decke. Es hatte in der Nacht wieder geschneit.

Barfuß lief Henrik aus seinem Zimmer und hinüber zu Nick. Ganz vorsichtig drückte er die Klinke herab und steckte den Kopf in Nicks Zimmer. »Schläfst du noch?«

»Wenn ja, dann hättest du mich jetzt geweckt.« Nick klappte sein Buch zu.

»Es hat wieder geschneit.« Henrik lief zum Fenster. »Schau hinaus.«

»Ich habe es schon gesehen.« Langsam stieg Nick aus dem Bett und streckte sich. »Wie spät ist es?«

»Keine Ahnung.« Henrik kletterte auf die Fensterbank und stellte fest, vor Nicks Fenster hingen keine Eiszapfen. Komisch! »Gehst du zuerst ins Bad?«

»Ja.« Nick verschwand, und Henrik beugte sich über den Atlas seines Halbbruders. Norditalien war darin aufgeschlagen. Aber das war ja so groß.

Als Nick wiederkam, fragte Henrik: »Wo wohnt eigentlich Muttis Bekannte?«

»Keine Ahnung. Irgendwo in Südtirol.«

»Ich denke, in Italien?«

»Das ist doch dasselbe«, sagte Nick ungeduldig.

»Wieso ist es dasselbe?«

»Heiliger Bimbam!« Nick setzte sich. Während er seine Haare trockenfrottierte, erklärte er: »Früher war es eben Tirol, Südtirol. Jetzt gehört es zu Italien, aber man sagt trotzdem noch Südtirol.«

»Reden die dort italienisch?«

»Klar, aber sie verstehen auch deutsch.« Nick fuhr sich durchs Haar, das halbwegs trocken war. Er stand auf. »Ich gehe jetzt frühstücken.«

»Warte auf mich«, rief Henrik und flitzte ins Bad. Aus seiner morgendlichen Reinigung wurde eine Katzenwäsche, und nur zehn Minuten später saß er am Frühstückstisch.

»Ich habe noch keinen Entschluss gefasst«, sagte Denise lächelnd, als sie den fragenden Blicken ihrer Söhne begegnete.

Nick wollte wissen, wo Denises Bekannte lebe.

»Im Val Gardena, auf deutsch Grödener Tal. Der Ort heißt Wolkenstein oder Selva auf italienisch.«

»Warst du schon einmal dort, Mutti?«, fragte Henrik.

»Ich bin vor Jahren einmal durch das Grödener Tal gefahren. Es liegt mitten in den Dolomiten. Eine wunderschöne Landschaft, die ich im Winter allerdings auch noch nicht kenne.«

»Lass uns hinfahren«, bettelte Henrik.

»Mit einem ganzen Kinderheim zu verreisen ist keine Kleinigkeit. Das erfordert gründliche Planung, und dafür ist die Zeit eigentlich ein bisschen zu kurz. In wenigen Tagen ist schon Weihnachten.« Denise schaute nachdenklich zum Fenster. Sobald Henrik und Nick das Haus verlassen hatten, telefonierte sie mit ihrer Bekannten in Italien.

*

In der Halle des Kinderheims Sophienlust stand eine zwei Meter hohe Blautanne, von den Kindern selbst geschmückt. Unter dem Baum lagen Weihnachtspäckchen in allen Größen und Formen, mit kleinen Anhängern, auf denen die Namen standen. Beschert wurde am Heiligen Abend um zwanzig Uhr. Dazu kamen auch Denise und Alexander von Schoenecker nach Sophienlust. Sie aßen gemeinsam mit den Kindern und sangen mit ihnen Weihnachtslieder. Sieben Kinder trugen ein Krippenspiel vor, das sie unter Wolfgang Rennerts Leitung einstudiert hatten.

Else Rennert, die Heimleiterin, war mit den kleineren Kindern schon nachmittags zur Christvesper gegangen. Die Älteren durften mit Denise und Alexander von Schoenecker die Christmette um Mitternacht besuchen.

Natürlich war die Bescherung der Höhepunkt des Abends. Denise von Schoenecker hatte für jedes Kind ein Geschenk vorbereitet, und auch für die Erwachsenen von Sophienlust lagen Päckchen unter dem Tannenbaum. Dazu kamen noch die kleinen, oft selbst gebastelten Geschenke, die sich die Kinder gegenseitig machten.

»Für Nick von Pünktchen«, las Denise laut und reichte Dominik ein winziges Päckchen.

»Mach es auf«, drängte Henrik, der seine Neugier kaum zügeln konnte.

»Entschuldige, aber das ist mein Geschenk.« Nick legte das Päckchen beiseite.

Pünktchen, die unter den vielen Blicken schon verlegen geworden war, atmete erleichtert auf. Es war ein ganz persönliches Geschenk. Deshalb wollte sie, dass Nick es allein aufmachte.

Heidi, die Jüngste unter den Kindern des Heimes, hatte für Denise von Schoenecker ein Bild gemalt. »Für Tante Isi« stand darauf, denn so wurde Denise von den Kindern genannt.

Gefällt es dir auch?, fragte Heidis besorgter Blick.

Denise zog die Kleine auf ihren Schoß. »Es ist wunderschön, Heidi. Damit hast du mir eine große Freude gemacht.« Heidi bekam einen Kuss, und der zählte für sie mehr als das Weihnachtspäckchen, das noch ungeöffnet auf ihrem Schoß lag.

Nick saß auf der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. In der Hand hielt er seine Kamera mit aufgesteckter Blitzlichtlampe.

»Hast du schon viel geknipst?«, fragte Fabian.

»Einen halben Film mindestens.« Nick entdeckte Vicky, die eben zusammen mit ihrer Schwester Angelika ein Päckchen auswickelte. Er drückte auf den Auslöser seiner Kamera.

Nach einer Stunde hatte Nick zwei Filme verknipst.

Nach der Bescherung gingen alle ins Musikzimmer. Wolfgang Rennert setzte sich ans Klavier und sang mit den Kindern die einstudierten Weihnachtslieder. Alle Erwachsenen sangen mit. Den Raum erleuchteten viele Kerzen. Kerzen in Weihnachtsgestecken und in einem großen Adventskranz, der an der Decke hing.

»Hört einmal alle her«, sagte Denise laut, als das letzte Lied verklungen war.

Henrik und Nick schauten sich an.

»Ob es jetzt kommt?«, fragte Henrik flüsternd.

»Sei ruhig«, mahnte Nick.

Denise wartete, bis ihr alle zuhörten. »Ich habe eine Überraschung für euch, sozusagen ein Weihnachtsgeschenk für alle.«

Nick bekam einen Rippenstoß von Henrik und rückte ab.

Denise fuhr fort: »Wir fahren alle gemeinsam in Skiurlaub.«

Schweigen. Erstaunte, neugierige Blicke, atemlose Fragen und wieder Schweigen, als Denise die Hand hob, um weiterzusprechen. »Wir verbringen alle zusammen acht Tage in den Dolomiten in Südtirol.«

»Wann, Tante Isi?«

»Schon in zwei Tagen«, sagte Denise. Danach konnte sie nicht mehr weitersprechen. Die Kinder tobten vor Freude und übertönten damit alles.

»Also doch, also doch«, rief Henrik und machte einen Luftsprung.

Nick, der seine Mutter beobachtete, dachte: Dabei hat sie so getan, als würde nichts daraus werden, Henrik und ich sind prompt darauf hereingefallen. Er trat zu ihr. »Die Überraschung ist dir gelungen, Mutti.«

Denise und Alexander schmunzelten. »Eine Überraschung sollte es ja auch werden, eine große Weihnachts­überraschung für alle.«

Die Kinder umringten Denise und Alexander von Schoenecker. »Es ist eine große Pension, die ich vom Keller bis zum Dachboden gemietet habe«, erzählte Denise.

»Nur für uns?«, fragte Pünktchen.

»Für acht Tage gehört das ganze Haus uns«, bestätigte Alexander von Schoenecker.

Schwester Regine, die Kinderschwester, kam mit einem Topf Punsch aus der Küche. Mit ihr und der Heimleiterin hatte Denise am Nachmittag schon die Einzelheiten des Urlaubsplanes besprochen. Außer der Heimleiterin und der Kinderschwester wollten Denise und ihr Mann noch Wolfgang Rennert mitnehmen. »Als Aufsichtspersonen für die Kinder sollte das genügen«, meinte Denise. Schwester Regine und Else Rennert pflichteten ihr bei.

Die Kinder bestürmten Denise mit so vielen Fragen, dass es für den Rest des Abends kein anderes Thema mehr gab.

»Eine schönere Überraschung hättest du den Kindern nicht machen können«, sagte Alexander von Schoenecker leise zu seiner Frau. »Hoffentlich springen auch für uns ein paar Urlaubsstunden dabei heraus.«

»Ganz bestimmt«, versicherte Denise ihm. Sie selbst freute sich sehr auf den Skiurlaub.

»Dürfen wir da auch Ski fahren, Tante Isi?«, fragte Fabian.

»Ihr dürft Ski fahren, Schlittschuh laufen oder Schlitten fahren. Was ihr wollt.«

»Ich kann das immer noch nicht so ganz glauben«, sagte Pünktchen. »Bis nach Italien …«

»Ist das weit?«, wollte Heidi wissen.

»Und wie«, sagte Henrik. »Da müssen wir über die Berge fahren.«

»Wirklich?« Halb neugierig, halb besorgt schaute Heidi zu Denise empor.

Vorübergehend waren sogar die Geschenke vergessen. Alle Kinder sprachen von dem Skiurlaub.

Genauso war es auch am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag. Schwester Regine und Else Rennert kontrollierten immer wieder ihre Listen und hakten Dinge ab, die schon eingepackt waren. An so vieles musste gedacht werden. An warme Wäsche für die Kinder, an Mützen, Handschuhe und Stiefel. An Schlafanzüge, Nachthemden und Hausschuhe. Jedes Kind bekam einen kleinen Koffer den es selbst packen musste. Natürlich kontrollierten Schwester Regine und Else Rennert, ob die Kinder auch alles Nötige eingepackt hatten. Den kleineren Kindern halfen die älteren. Heidi schmuggelte schnell noch ihre Lieblingspuppe mit in den Koffer.

Am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages setzte sich Denise mit Else Rennert und Schwester Regine zusammen, um die ganze Reise noch einmal durchzusprechen.

»An was man alles denken muss.« Schwester Regine schüttelte den Kopf. »Übrigens: Irmela möchte wissen, ob sie ihren Haarfön mitnehmen darf.«

»Sicher.« Denise nickte.

Sie einigten sich darauf, mit einem Bus und Alexanders Privatwagen zu fahren. Am zweiten Feiertag entschloss sich Else Rennert, zu Hause zu bleiben. Sie wollte sich um Carola, ihre Schwiegertochter, kümmern, die stark erkältet war. »Ich kann sie doch nicht mit den Zwillingen allein lassen. Und Wolfgang muss auf jeden Fall mitfahren. Den brauchen sie zur Beaufsichtigung der Kinder. Er kann mit ihnen Ski fahren oder Schlittschuh laufen.«

Denise gab ihrer Heimleiterin recht. Wolfgang Rennert brauchte sie als zusätzliche männliche Aufsicht. Aber jemand musste natürlich bei der kranken Carola bleiben.

Um den Bus, in dem die Kinder reisen sollten, kümmerte sich der Chauffeur Hermann. Der Bus hatte neue Winterreifen, außerdem bestand der Chauffeur darauf, auch noch Schneeketten mitzunehmen. Für den Reiseproviant der Kinder sorgte Magda, die Köchin. »Die Kinder werden mir fehlen«, sagte sie zu Schwester Regine.

»Eine Erholungspause wird Ihnen aber auch guttun«, meinte Schwester Regine. Dabei ging sie noch einmal ihre Liste durch. Alles war abgehakt. »Ich wüsste nicht, was wir jetzt noch vergessen haben könnten.«

»Irgendetwas vergisst man immer.«

»Hören Sie bloß auf!« Auf der Stirn der jungen Kinderschwester bildeten sich Falten. »Wenn ich mir vorstelle, dass wir da unten in Italien sitzen …«

Magda unterbrach sie: »Haben Sie daran gedacht, Medikamente mitzunehmen?«

»Ja.« Schwester Regine zählte auf: »Schmerztabletten, Nasenspray, Grippemittel, kurzum eine ganze kleine Hausapotheke. Was fehlen sollte, kann man schließlich nachkaufen.« Sie fuhr sich über die Stirn. »Ich weiß gar nicht, warum ich so unruhig bin.«

»Reisefieber«, sagte Magda lakonisch.

»Vielleicht. Aber ein bisschen sorge ich mich auch. Hoffentlich geht alles gut. Zum Glück sind ja Herr und Frau von Schoenecker dabei.«

Magda schnitt einen neuen Weihnachtsstollen an und schichtete die Stücke auf eine Glasplatte. Eine Schüssel mit Plätzchen hatte sie schon in den Speisesaal getragen. Jetzt brachte Frau Rennert den Stollen in den Speisesaal. Fast wäre sie dabei über Henrik gestolpert, der in der Halle bäuchlings auf dem Teppich lag und mit seinem neuen Auto spielte.

»Ist es nicht eine Wucht, Tante Ma?« Henrik hob sein neues Spielzeug hoch. »Na ja.« Else Rennert zuckte unsicher mit den Schultern. »Das Einzige, was mir daran gefällt, ist die Farbe.«

»Tante Ma!« Henriks Stimme klang entrüstet und tadelnd. »Du hast aber auch keine Ahnung, was ein tolles Auto ist.«

»Schon möglich«, gab die Heimleiterin zu. »Kannst du mir einmal verraten, was so toll daran ist? Ich meine, an dem Original. Für das schwärmst du doch, oder?«

»Klar.« Henriks Blicke liebkosten die Nachahmung. »Es ist ein Italiener.«

»Ein Ferrari.«

Henrik schaute die Heimleiterin erwartungsvoll an.

Genauso erwartungsvoll schaute Else Rennert zurück. »Na und?«

»Tante Ma!« Henrik schlug beide Hände vors Gesicht. »Du hast aber auch wirklich keine Ahnung. Der Ferrari ist das teuerste italienische Auto.«

»Und das beeindruckt dich, wie?«

Henrik nickte. »Weißt du, was ein Ferrari kostet?«

Else Rennert winkte ab. »Das will ich gar nicht wissen. Für mich liegt der Wert eines Autos nicht in seinem Preis. Ein Wagen ist ein Gebrauchsgegenstand. Wichtig ist nur, dass man damit fahren kann. Und das geht doch mit einem Mittelklassewagen genauso gut, oder nicht?«

»Schon«, gab Henrik zu.

»Na also!« Else Rennert ging zurück in die Küche.