Unerwünscht und doch geliebt - Bettina Clausen - E-Book

Unerwünscht und doch geliebt E-Book

Bettina Clausen

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Müde wusch sich die angehende Medizinerin Ulrike Steffens die Hände. Ihr Nachtdienst war beendet. Jetzt konnte sie nach Hause gehen und sich ausschlafen. Trotzdem beeilte sie sich nicht, sondern blieb vielmehr noch bis acht Uhr im Krankenhaus, bis der Apotheker Bernd Grotius seinen Dienst begann. »Guten Morgen, Bernd.« Er drehte sich überrascht um – ein gut aussehender junger Mann mit einem hellblonden Lockenkopf. Wenn Ulrike übermütig war, dann zerwühlte sie ihm manchmal die sorgsam gekämmten Locken. Aber an diesem Morgen war sie nicht ausgelassen. Nur müde. »Warum bist du noch hier?«, fragte Bernd. »Dein Dienst ist doch längst beendet.« »Ich wollte dich noch sehen.« Er lächelte nachsichtig. »Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten. Fahr nach Hause und leg dich ins Bett.« »Sehen wir uns heute Abend?«, fragte sie. »Ich denke, du hast dich wieder zum Nachtdienst gemeldet?« Sie nickte.

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Sophienlust – 308 –

Unerwünscht und doch geliebt

Ein Baby stellt Ulrikes Lebensplanung auf den Kopf …

Bettina Clausen

Müde wusch sich die angehende Medizinerin Ulrike Steffens die Hände. Ihr Nachtdienst war beendet. Jetzt konnte sie nach Hause gehen und sich ausschlafen. Trotzdem beeilte sie sich nicht, sondern blieb vielmehr noch bis acht Uhr im Krankenhaus, bis der Apotheker Bernd Grotius seinen Dienst begann.

»Guten Morgen, Bernd.«

Er drehte sich überrascht um – ein gut aussehender junger Mann mit einem hellblonden Lockenkopf. Wenn Ulrike übermütig war, dann zerwühlte sie ihm manchmal die sorgsam gekämmten Locken. Aber an diesem Morgen war sie nicht ausgelassen. Nur müde.

»Warum bist du noch hier?«, fragte Bernd. »Dein Dienst ist doch längst beendet.«

»Ich wollte dich noch sehen.«

Er lächelte nachsichtig. »Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten. Fahr nach Hause und leg dich ins Bett.«

»Sehen wir uns heute Abend?«, fragte sie.

»Ich denke, du hast dich wieder zum Nachtdienst gemeldet?«

Sie nickte. »Das schon. Aber der beginnt erst um acht. Bis dahin habe ich Zeit. Wir könnten ein bisschen spazieren gehen. Oder soll ich bei mir etwas für uns kochen?«

»In deiner engen kleinen Bude?«, fragte er lachend. »Mit der neugierigen Zimmerwirtin, die jede halbe Stunde hereinkommt, um zu sehen, ob wir uns auch anständig benehmen? Das macht wirklich keinen Spaß. Dann schon lieber bei mir.«

»Einverstanden.« Sie nickte erfreut.

»Ich hole dich nach Dienstschluss ab«, versprach er. »Geh jetzt lieber. Man sieht uns ohnehin viel zu oft zusammen!«

»Macht doch nichts. Schließlich haben wir nichts zu verbergen.«

»Das nicht. Aber momentan bin ich im Dienst.« Er schob sie sacht zur Tür. Dort gab er ihr einen schnellen Kuss.

»Bis heute Abend.«

Ulrike verließ die Krankenhausapotheke. Auf dem Korridor begegnete ihr Dr. Anja Frey.

Die junge Ärztin erwiderte Ulrikes Gruß freundlich und fragte: »Hatten Sie schon wieder Nachtdienst?«

Ulrike nickte. »Die Semesterferien sind die beste Gelegenheit für mich, mir etwas Geld zu verdienen. Danach beginnen die letzten Prüfungen. Dann bleibt mir keine Zeit mehr, nebenbei noch zu arbeiten.«

»Und wann bereiten Sie sich auf das Examen vor?«, fragte Anja Frey.

»Dazu bleibt mir während der langen Nachtwachen genügend Zeit«, antwortete Ulrike fröhlich.

Ein fleißiges Mädchen, dachte Anja Frey, als sie weiterging. Nur die Tatsache, dass sie sich mit diesem oberflächlichen und leichtsinnigen Apotheker angefreundet hat, gefällt mir nicht. Bernd Grotius ist in ganz Maibach als Schürzenjäger bekannt.

Doch das wollte Ulrike nicht wahrhaben. Müde zwar, aber doch gutgelaunt verließ sie an diesem Morgen das Maibacher Krankenhaus. Den kurzen Weg zu ihrem möblierten Zimmer legte sie mit dem Fahrrad zurück. Ihr langes braunes Haar flatterte im Wind, und ihr gertenschlanker Körper schwang im Rhythmus ihrer Beinarbeit hin und her.

Was für ein schöner Morgen, dachte sie. Fast zu schade, um ihn zu verschlafen. Doch ich muss mich hinlegen. Sonst bin ich heute Nacht nicht fähig, meinen Dienst zu tun.

Ulrike blinzelte in die Sonne. Das Leben ist schön, dachte sie. Auch wenn ich arm bin und der Existenzkampf oft mühsam ist. Dafür bin ich jung und habe das ganze Leben noch vor mir. Ein erfülltes Leben, denn ich liebe meinen Beruf.

Ein paar kleine Mädchen kamen ihr entgegen und winkten lebhaft. »Guten Morgen, Frau Steffens.«

Ulrike erwiderte den Gruß fröhlich. Sie war beliebt bei den Kindern. »Geht ihr zum Baden?«

»Ja, ins Freibad«, antwortete ein stupsnäsiger brauner Lockenkopf.

»Weil es nämlich furchtbar heiß wird. Das hat der Wetterbericht gesagt.«

»Na, dann viel Spaß. Und badet ein bisschen für mich mit, ja?«

»Machen wir.« Die kleine Gruppe eilte fröhlich weiter.

Wenn es am Sonntag auch so schön ist, gehe ich mit Bernd ebenfalls baden, dachte Ulrike, während sie von ihrem Fahrrad stieg.

Ihre Zimmerwirtin war eine liebe alte Dame. Sie hatte nur einen einzigen Fehler – das war ihre Neugier. Allerdings war es keine bösartige Neugier, sondern einfach nur die Langeweile eines Menschen, dessen Leben nicht mehr ausgefüllt ist. Deshalb konnte Ulrike der alten Frau auch niemals böse sein.

Kaum hatte Ulrike den ersten Stock betreten, da öffnete sich auch schon die Wohnzimmertür. »Ich habe für Sie Tee gekocht, Frau Steffens. Er steht in der Küche.«

»Vielen Dank«, antwortete Ulrike gerührt. »Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.«

»Doch, doch. Sie müssen auch unbedingt eine Kleinigkeit zu sich nehmen, bevor Sie sich hinlegen. War der Nachtdienst anstrengend?«

»Nicht so sehr.« Ulrike ging in die Küche. Während sie ihren Tee trank, erzählte sie die letzten Neuigkeiten aus dem Krankenhaus. Doch bereits eine halbe Stunde später lag sie im Bett und schlief fest.

*

Als Bernd Grotius kurz vor sechs Uhr abends kam, fand er Ulrike mit ihren Lehrbüchern im Garten. Er deutete auf die zwei Plastiktüten in seiner Hand. »Ich habe einiges für unser Abendessen eingekauft. Spaghetti, Hackfleisch und Tomatensauce.«

Ulrike sprang auf. »Gehen wir.«

»Deine Zimmerwirtin schaut uns schon wieder nach«, sagte Bernd, als er mit Ulrike auf die Straße trat. »Eine richtige neugierige alte Schachtel.«

»Das darfst du nicht sagen«, bat Ulrike. »Sie langweilt sich nur. Das ist alles. Im Grunde genommen ist sie eine liebe alte Dame.«

»Für mich ist sie eine neugierige alte Schachtel«, beharrte Bernd.

Der junge Apotheker ahnte nicht, dass die Zimmerwirtin ihn im gleichen Moment einen leichtsinnigen Strolch nannte. Aber nicht nur sie wunderte sich über Ulrikes Freundschaft mit Bernd. Alle, die das junge Paar kannten, staunten. Sie fanden durchweg, dass die beiden so gar nicht zusammenpassten.

Doch Ulrike war in den gut aussehenden Apotheker verliebt. Und sie war überzeugt, dass Bernd sie heiraten würde, auch wenn er ihr das noch nie versprochen hatte.

In der winzigen Küche von Bernds Einzimmerappartement kochte Ulrike die Spaghetti und bereitete dazu eine würzige Sauce zu.

»Schmeckt wunderbar«, lobte Bernd. »Ich bin immer wieder überrascht, wie gut du kochen kannst.«

»Oh, ich könnte es noch besser, wenn ich eine größere Küche hätte«, sagte sie gedankenverloren. Zugleich malte sie sich aus, wie es wohl später einmal sein würde, wenn sie als Ärztin im Maibacher Krankenhaus arbeiten würde. Gemeinsam mit Bernd natürlich.

Der junge Mann wechselte schnell das Thema. »Hast du am Samstag frei?«

»Samstag und Sonntag. Zwei Tage, Bernd.«

»Und zwei Nächte.« Er zog sie an sich.

Sie befreite sich jedoch schnell wieder. »Ich kann nicht hierbleiben, Bernd. Das habe ich dir doch schon oft gesagt.«

Eine unwillige Falte bildete sich auf seiner Stirn. »Ach, und warum nicht, wenn ich fragen darf? Wegen dieser alten Schachtel von Vermieterin?«

Ulrike antwortete nicht.

»Man könnte fast glauben, du seist noch ein Schulmädchen und nicht eine Medizinstudentin von achtundzwanzig Jahren!«, warf er ihr vor. Wütend trat er zum Fenster und wendete ihr den Rücken zu.

Das konnte Ulrike nicht ertragen. Sie kam zu ihm. »Wenn dir so viel daran liegt, dann bleibe ich natürlich«, versprach sie leise.

Da nahm er sie schnell in die Arme und küsste sie.

Nachdem Ulrike das Geschirr abgespült hatte, wurde es Zeit für sie, zum Krankenhaus zu gehen. Bernd begleitete sie.

Es war ein milder Abend, der viele Leute zu einem Spaziergang auf die Straßen lockte. Immer wieder wurden Ulrike und Bernd gegrüßt, und sie grüßten zurück. Sie gingen Hand in Hand wie ein verliebtes Paar und achteten nicht darauf, dass ihnen mancher verwunderte Blick folgte.

Besonders Ulrike bemerkte es nicht. Bernd registrierte wohl manchen erstaunten Gesichtsausdruck. Doch ihm war es völlig egal, wie die Leute über ihn dachten.

Vor dem Krankenhaus verabschiedete sich Bernd mit einem flüchtigen Kuss von Ulrike. Dann ging er langsam zurück, ganz mit seinen Gedanken beschäftigt. Natürlich war Ulrike ein nettes Mädchen.

Er mochte sie ja auch irgendwie, aber eben nicht genug, um sie zu heiraten. Dabei wusste er, dass sie von einer gemeinsamen Zukunft träumte. Aber in dieser Hinsicht hatte er ganz andere Pläne. Er wollte eine reiche Frau heiraten, um sich all die extravaganten Wünsche erfüllen zu können, die er hatte. Das schloss jedoch nicht aus, dass er sich amüsieren wollte, bis er die richtige reiche Frau gefunden haben würde.

Pfeifend ging Bernd weiter. Er beschloss, in seinem Stammlokal noch ein Bier zu trinken. Dort bediente eine wohlproportionierte und gar nicht prüde Kellnerin.

»Hallo, Rosa, ein Bier, bitte«, verlangte er, während er sich an einen freien Tisch setzte.

Die rundliche Rosa brachte ihm das Bier. »Du machst dich ja ganz schön rar. Früher warst du fast jeden Abend hier.«

»Ich habe viel zu tun«, sagte er ausweichend.

Sie lachte und nickte. »Ich weiß. Mit deiner Medizinstudentin. Oder ist sie schon Ärztin?«

Er schüttelte unwillig den Kopf. »Sie studiert noch. Aber bloß wegen Ulrike brauchst du doch nicht so abweisend zu sein. Setz dich ein bisschen zu mir. So, wie du es früher immer getan hast.«

»Lieber nicht. Ich weiß doch, wie das endet. Damit, dass ich mich zu dir setze, bist du doch nicht zufrieden.«

Er lachte und griff nach ihrer Hand, die sie ihm jedoch sofort wieder entzog. »Bleib bei deiner Medizinerin. Oder möchtest du uns gern alle beide haben?«

Am liebsten hätte er ja gesagt. Statt dessen schüttelte er nur den Kopf, zahlte und ging nach Hause.

*

Ulrike machte Dienst auf der Privatstation. Normalerweise waren die Nächte hier ruhig. Diese Nacht bildete jedoch eine Ausnahme. Immer wieder wurde nach ihr verlangt. Kaum hatte sie sich einen Augenblick hingesetzt, musste sie schon wieder aufstehen. Ein Patient verlangte nach dem Arzt vom Dienst, eine Patientin konnte nicht schlafen.

Ulrike brachte der Kranken eine Tablette, doch die siebzigjährige Frau schüttelte nur den Kopf. »Ich nehme kein Schlafmittel. Lieber liege ich ein paar Stunden ohne Schlaf«

»Das kann aber sehr quälend sein, Frau Baronin.«

»Nennen Sie mich nicht Frau Baronin, mein Kind. Das klingt so steif. Sagen Sie einfach Frau von Stetten zu mir.«

»Gern, Frau von Stetten.« Ulrike klopfte ihr das Kissen auf. Dann stellte sie das Schälchen mit der Tablette auf den Nachttisch. »Falls Sie es sich doch noch anders überlegen. Ich komme in einer halben Stunde noch einmal herein.«

Die Baronin schaute Ulrike nach, als sie das Zimmer verließ. Seit Wochen lag sie nun schon im Maibacher Krankenhaus auf der Privatstation. Dabei hatte sie das ganze Personal des Krankenhauses kennen gelernt, und eine besondere Sympathie zu der stillen Ulrike gefasst. Meist hatte Ulrike Nachtdienst. Und da nicht alle Nächte so unruhig waren wie diese, hatte Ulrike manche Stunde am Bett der Baronin gesessen und sich mit ihr unterhalten. Dabei hatten die beiden ungleichen Frauen einander schätzen gelernt. Ulrike hatte von ihrem Studium erzählt und davon, wie mühsam sie sich durchschlagen musste, weil sie keine Eltern mehr hatte und das Geld oft nicht einmal für das Nötigste reichte. Trotzdem hatte sie es geschafft und stand nun kurz vor ihrem Staatsexamen. Die Baronin war überzeugt, dass Ulrike ihr Staatsexamen mit Auszeichnung bestehen würde.

Als Ulrike nach einer Dreiviertelstunde wieder das Zimmer betrat, starrte die Baronin immer noch mit offenen Augen zur Decke.

Ulrike setzte sich auf den Bettrand. »Sie sollten die Schlaftablette nehmen«, riet sie der Kranken.

Doch die Baronin schüttelte den Kopf. »Ich mag diese chemischen Mittel nicht. Nicht, wenn sie nicht unbedingt notwendig sind.«

Ulrike kannte die Abneigung der Baronin gegen jede Art von Tabletten. Deshalb drang sie auch nicht weiter in sie, sondern blieb ein bisschen am Bett der Kranken sitzen.

Dankbar tastete die alte Frau nach Ulrikes Hand. »Lieb von Ihnen, dass Sie mir ein bisschen Gesellschaft leisten.«

»Ich tue es gern.« Das stimmte auch. Ulrike mochte die einsame alte Frau.

»Wie geht es Ihrem Freund, dem Apotheker? Wie heißt er doch gleich wieder?«

»Grotius, Bernd Grotius«, antwortete Ulrike lächelnd. »Es geht ihm gut. Ich habe ihn heute Abend gesehen.«

»Und Sie lieben ihn, nicht wahr?« Die wachen Augen der alten Frau richteten sich auf Ulrike. Aber nicht neugierig, eher besorgt.

»Ja, ich liebe ihn«, antwortete Ulrike offen.

»Und er?«

»Er liebt mich auch. Wir werden heiraten«, sagte Ulrike überzeugt.

»Hat er Ihnen das gesagt, mein Kind?«

Ulrike senkte den Blick. »Nein. Aber so etwas fühlt man doch. Ich weiß, dass er mich liebt. Ich spüre es doch.«

»Sie haben nicht sehr viel Erfahrung im Umgang mit Männern«, wandte die Baronin vorsichtig ein. Doch als sie sah, dass sich Ulrikes Blick verschloss, wechselte sie schnell das Thema. »Ich bin eine aufdringliche alte Frau. Verzeihen Sie meine Neugier.«

»Sie haben keinen Grund, sich zu entschuldigen, Frau von Stetten«, erwiderte Ulrike. »Ich weiß, dass Sie es gut mit mir meinen.«

»Dann wollen wir diese Unterhaltung vergessen. Ich wollte Sie auch noch etwas anderes fragen, Frau Steffens. Woher kommen eigentlich diese Blumen?« Sie deutete auf einen Nelkenstrauß auf dem Fensterbrett.

Erschrocken fuhr Ulrikes Hand zum Mund. »Ich habe vergessen, Ihnen das auszurichten. Frau Strasser hat sie gebracht. Heute Abend. Aber so spät, dass ich sie nicht mehr zu Ihnen lassen durfte.«

»Gott sei Dank. Ich will sie auch gar nicht sehen. Und ihren Sohn auch nicht.«

»Aber …« Ulrike wusste nicht, was sie sagen sollte. Schon öfter hatte sich die Baronin über ihre sechzigjährige Cousine Hedwig Strasser beklagt – und ebenso über deren Sohn Arnold.

»Die beiden sind nichts weiter als Erbschleicher«, fuhr die Baronin erregt fort.

Ulrike versuchte sie zu beruhigen, doch die alte Frau schimpfte weiter: »Solange es mir noch gut ging, haben sie sich nicht um mich gekümmert. Aber jetzt, da sie mit einer großen Erbschaft rechnen können, belästigen sie mich mit ihrer unaufrichtigen, falschen Freundlichkeit.« Sie schaute Ulrike an. »Sagen Sie mir ehrlich, was Sie von den beiden halten. Sie haben sie doch oft genug gesehen.«

»Das ist schwer zu sagen, Frau Baronin.«

»Ich will nur wissen, ob Ihnen die beiden sympathisch sind. Ja oder nein?«

Ulrike konnte nicht lügen. »Nein«, sagte sie leise.

»Na, sehen Sie.« Die Baronin sank in ihre Kissen zurück. »Und deshalb möchte ich Sie bitten, die beiden nicht mehr zu mir zu lassen.«

»Das kann ich nicht, Frau von Stetten. Dazu fehlt mir die Befugnis. Sie würden wahrscheinlich sofort zur Oberschwester oder zum Chefarzt gehen, und man würde mich entlassen.«

»Dann werde ich selbst mit der Oberschwester sprechen«, entschied die Baronin. Dann fielen ihr ganz plötzlich die Augen zu. Ganz gegen ihren Willen.

Lächelnd stand Ulrike auf und löschte leise das Licht. Sie ging auf ihren Posten zurück und vertiefte sich in ihre Lehrbücher. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder eilten ihre Gedanken zu der Baronin, an deren Bett sie schon so viele Nachtstunden zugebracht hatte. Sie wusste fast alles von der alten Frau. Dass sie am Stadtrand von Maibach ein großes Haus besaß, in dem sie allein gelebt hatte. Dass ihre einzige Schwester sich schon in sehr jungen Jahren von ihr getrennt hatte und nach Amerika ausgewandert war. Den Verlust dieser Schwester hatte Agathe von Stetten nie ganz überwunden. Immer wieder sprach sie von ihr und betonte, wie sehr sie sich nach dieser Schwester sehnte.

Sie tut mir leid, dachte Ulrike. Es muss schlimm sein, so ganz allein zu leben – und jetzt auch noch allein zu sterben. Denn dass Agathe von Stetten nicht mehr lange zu leben hatte, war offensichtlich. Vielleicht noch ein paar Monate. Aber das war auch schon das Äußerste. Der Chefarzt des Krankenhauses rechnete nur noch mit einigen Wochen. Aber das wusste die Baronin nicht.

*

Ulrike hatte am Samstagvormittag ein paar Stunden geschlafen. Am Nachmittag fuhr sie mit Bernd zum Baden. Sie hatte sich sehr auf diesen Nachmittag gefreut. Doch als sie dann in dem überfüllten Bad lag, umgeben von Lärm und unzähligen Menschen, wünschte sie, sie wäre zu Hause geblieben.

»Was hast du?«, wollte Bernd wissen. Ihn störte der Lärm nicht. Im Gegenteil. Er zeigte sich gern mit Ulrike im Freibad. Denn sie war so gut gewachsen, dass ihr alle Männer nachschauten. Das genoss er.