Unter bösem Verdacht - Marisa Frank - E-Book

Unter bösem Verdacht E-Book

Marisa Frank

5,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Neben den alltäglichen Sorgen nimmt sie sich etwa des Schicksals eines blinden Pianisten an, dem geholfen werden muss. Sie hilft in unermüdlichem Einsatz Scheidungskindern, die sich nach Liebe sehnen und selbst fatale Fehler begangen haben. Dann wieder benötigen junge Mütter, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben, dringend Unterstützung. Denise ist überall im Einsatz, wobei die Fälle langsam die Kräfte dieser großartigen Frau übersteigen. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. »Die Schuhe passen wie angegossen«, sagte Henrik. »Schau nur, Mutti, ich kann damit prima laufen.« Wie zur Bestätigung marschierte er um seine Mutter herum. »Setz dich«, meinte Denise von Schoenecker. Ihre Miene war skeptisch. Sie beugte sich über ihren Sohn und drückte auf die Schuhspitzen. »Mutti, sie passen wirklich«, maulte Henrik. »Ich bin doch kein kleines Baby mehr. Weißt du, wie viele Schuhe ich jetzt schon probiert habe? Fünf Paar!« »Mir hat das erste Paar am besten gefallen«, gab Denise ungerührt zurück, »aber diese Schuhe wolltest du ja nicht.« »Mutti, das waren doch Mädchenschuhe.« Empört blies Henrik die Backen auf. Mit seinen neun Jahren wußte er schon ganz genau, was er wollte. Er betrachtete die Sandalen, die er eben anprobiert hatte. Vorsichtshalber hatte er auch gleich beide Schuhe angezogen.

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Sophienlust (ab 351) – 404 –

Unter bösem Verdacht

Warum glaubt mir keiner?

Marisa Frank

»Die Schuhe passen wie angegossen«, sagte Henrik. »Schau nur, Mutti, ich kann damit prima laufen.« Wie zur Bestätigung marschierte er um seine Mutter herum.

»Setz dich«, meinte Denise von Schoenecker. Ihre Miene war skeptisch. Sie beugte sich über ihren Sohn und drückte auf die Schuhspitzen.

»Mutti, sie passen wirklich«, maulte Henrik. »Ich bin doch kein kleines Baby mehr. Weißt du, wie viele Schuhe ich jetzt schon probiert habe? Fünf Paar!«

»Mir hat das erste Paar am besten gefallen«, gab Denise ungerührt zurück, »aber diese Schuhe wolltest du ja nicht.«

»Mutti, das waren doch Mädchenschuhe.« Empört blies Henrik die Backen auf. Mit seinen neun Jahren wußte er schon ganz genau, was er wollte. Er betrachtete die Sandalen, die er eben anprobiert hatte. Vorsichtshalber hatte er auch gleich beide Schuhe angezogen. Besonders gefielen sie ihm zwar nicht, aber er hatte die Nase voll vom Probieren.

»Das nächste Mal gehen wir in ein richtiges Schuhgeschäft«, verkündete er laut. »Hier gibt es nichts Rechtes.«

»Es tut mir leid«, meldete sich jetzt die junge Verkäuferin zu Wort, »im Moment sind wir ziemlich ausverkauft. Morgen oder übermorgen bekommen wir aber sicher eine neue Lieferung.«

Henrik bekam einen roten Kopf. So hatte er es nicht gemeint. Er haßte nur die Herumlatscherei in einem Kaufhaus, und bisher hatte er seiner Mutter von einer Abteilung in die andere folgen müssen. Nur in der Spielzeugabteilung waren sie noch nicht gewesen.

»Für mich genügen diese Schuhe völlig«, sagte er daher rasch. »Mutti, darf ich sie gleich anlassen?«

Denise, die nicht ganz davon überzeugt war, das Richtige zu kaufen, gab nach. Sie konnte verstehen, daß ihr Jüngster genug hatte. Bisher war er wirklich geduldig hinter ihr hergetrabt. Immer, wenn sie nach Maibach fuhr, hatte sie eine große Einkaufsliste bei sich.

Denise bezahlte die Sandalen. Zufrieden sah Henrik zu, als seine alten Schuhe eingepackt wurden. Das war also endlich geschafft.

»So, Mutti, wir können gehen.«

Strahlend nahm Henrik das Paket in Empfang.

»Natürlich, Henrik, ich bin fertig. Wir können gehen. Willst du gleich nach Sophienlust zurückfahren?«

»Aber Mutti!« Empört sah Henrik seine Mutter an. »Hast du es vergessen?«

Denise überlegte. Im ersten Moment wußte sie nicht, was ihr Sohn meinte.

Henrik zögerte nicht, sie aufzuklären.

»Mutti, du hast doch gesagt, ich darf Klaus ein Geburtstagsgeschenk aussuchen. Nur deswegen bin ich mitgefahren. Es ist nicht besonders lustig für mich, durch das Kaufhaus zu latschen. Ich war doch brav, Mutti?«

»Das warst du«, gab Denise lächelnd zu. Sie strich ihrem Jüngsten durch seinen stets etwas wilden Haarschopf. »Ich habe mich gefreut, daß du mich begleitet hast.«

»Wirklich, Mutti?« Henrik strahlte. So etwas konnte er nicht oft genug hören. Er mochte zwar seinen um sieben Jahre älteren Bruder, aber er war auch oft eifersüchtig auf Nick.

»Natürlich. Du hast mir doch beim Einkaufen geholfen.«

»Hm«, machte Henrik. Er fand, seine Mutter übertrieb. Plötzlich hob er den Kopf. »Jetzt, Mutti, werde ich dir helfen«, verkündete er. »Ich kann dich beraten. Den Geschmack von Klaus kenne ich.«

Henrik verriet nicht, daß er mit Klaus, der nur vorübergehend in Sophienlust lebte, bereits gesprochen hatte. So wußte er ganz genau, was dieser sich zu seinem Geburtstag wünschte. Klaus hatte ihm dafür drei Stücke von seinem Geburtstagskuchen versprochen.

»Gut, laß uns in die Spielzeugabteilung gehen. Ich werde mir deine Vorschläge anhören.«

»Das Warenhaus ist doch groß, Mutti?« fragte Henrik, während er neben seiner Mutter herging. »Es ist das größte von Maibach – oder?«

»Ja, das weißt du doch«, entgegnete Denise.

»Ich hab’ es mir gedacht.« Henrik war zufrieden. Ein großes Kaufhaus müßte auch das, was Klaus sich wünschte, haben.

In der Spielzeugabteilung wollte Henrik sofort auf ein Regal zustürmen, hielt dann aber inne. Interessiert sah er zu einer Gruppe von Menschen hin, die sich um ein Mädchen versammelt hatten. Das Mädchen, es war nur wenig jünger als er, starrte trotzig vor sich hin.

»Mutti!« Henrik eilte zu seiner Mutter zurück. »Kannst du dem Mädchen nicht helfen? Sieh nur, jetzt wird es von dem Mann sogar festgehalten.«

»Henrik, das geht uns doch nichts an.« Denise ergriff die Hand ihres Sohnes, wollte ihn fortziehen.

Aber Henrik wollte nicht. »Du hilfst doch sonst allen Kindern. Sieh sie dir nur an! Sie sieht doch lieb aus.«

Ehe Denise etwas erwidern konnte, schob sich eine junge Frau durch die Menge. Sie packte das Mädchen an den Schultern. »Bist du verrückt geworden!« Sie schüttelte die Kleine heftig. »Stimmt es, daß du das Püppchen einfach eingesteckt hast?«

Das Mädchen rührte sich nicht. Es hielt den Kopf gesenkt, ließ sich einfach schütteln.

»Mutti, hat sie wirklich geklaut?« flüsterte Henrik. Er konnte seinen Blick nicht von dem Mädchen abwenden. Er empfand Mitleid mit der Kleinen. »Sie sieht nicht wie eine Diebin aus.«

Was sollte Denise dazu sagen? Da sie das Kinderheim Sophienlust verwaltete, beschäftigte sie sich sehr viel mit Kindern. Nie zögerte sie, wenn es darum ging, einem Kind zu helfen. Dieses Kind bedurfte jedoch offensichtlich nicht ihrer Hilfe. Wie es schien, war die junge Frau die Mutter des Mädchens.

»Komm, Henrik«, drängte Denise. »Du wolltest mir doch helfen. Womit, glaubst du, können wir Klaus eine besondere Freude machen?«

Henrik interessierte der Geburtstag von Klaus nicht mehr. Er riß sich von der Hand seiner Mutter los. »Ich muß wissen, was mit dem Mädchen geschieht«, sagte er. Ehe Denise ihn festhalten konnte, schlüpfte er schon zwischen zwei Frauen durch.

Unwillig verzog sich Denises Gesicht, aber sie konnte ihren Sohn nicht mehr zurückhalten. So blieb sie ebenfalls stehen und hörte die Mutter des Mädchens schimpfen: »Was ist dir da nur eingefallen? Ich wollte dir doch das Püppchen kaufen.« Sie wandte sich an den Mann, der ihre Tochter eben festgehalten hatte. »Ich weiß wirklich nicht, was in das Kind gefahren ist. So etwas hat Elke noch nie getan. Sie müssen mir glauben. Ich kann mich ausweisen.« Nervös öffnete sie die Handtasche und holte ihren Ausweis hervor. Während der Abteilungsleiter das Dokument prüfte, wandte sie sich wieder an ihre Tochter.

»Ich schäme mich für dich. Was ist, wenn Onkel Hannes das erfährt? Los, sag’ doch etwas!«

Da die Menge sich zu zerstreuen begann, konnte Denise nun auch einen Blick auf das Mädchen werfen. Mit gesenktem Kopf stand es da. Es dachte nicht daran, der Mutter zu gehorchen und zu antworten.

»Was sollen wir Onkel Hannes sagen?« hörte Denise die elegant gekleidete Frau wieder fragen. »Mein Gott! Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Kommen Sie bitte mit«, sagte der Abteilungsleiter und gab der Frau den Ausweis zurück.

»Ja, selbstverständlich. Elke, wann sagst du endlich etwas?« fuhr die Frau ihre Tochter an. »Entschuldige dich wenigstens.«

Das Mädchen blieb weiterhin stumm. Noch immer fixierte es seine Schuhspitzen.

Da wandte sich die Frau wieder an den Abteilungsleiter.

»Ich versichere Ihnen, daß meine Tochter noch nie gestohlen hat. Sie kann genau zwischen dein und mein unterscheiden. Auch hat sie es nicht nötig zu stehlen. Ich habe in Offenbach ein Fotogeschäft. Ich verstehe das alles einfach nicht.« Streng sah die Frau nun ihre Tochter an. »Sie hat eine gute Erziehung genossen. Ich war trotz des Ladens immer für sie da. Ich hatte ja meine Angestellten. Nein, was ist nur in dich gefahren? Onkel Hannes darf das unter keinen Umständen erfahren.«

Die Stimme der Frau war schrill geworden. Da wieder einige Leute stehenblieben, konnte Denise nichts mehr sehen.

Doch plötzlich lichtete sich die Menge. Sie ließ den Abteilungsleiter durch. Ihm auf dem Fuße folgte die Frau, ihren Kopf hoch aufgerichtet. Fest hielt sie die Hand ihrer Tochter umklammert.

Denise schüttelte den Kopf, dann wandte sie sich ab. Wo war nur Henrik?

Denise mußte nicht lange nach ihm suchen. Er kam schon auf sie zugerannt. »Mutti, Mutti«, rief er aufgeregt.

»Ich bin doch hier«, sagte Denise und legte ihren Arm um seine Schultern.

Henrik war jedoch viel zu erregt, um stillzuhalten.«

»Mutti, hast du das kleine Mädchen gesehen?« sprudelte er aufgeregt hervor.

»Sie ist nicht klein. Sie wird etwa so alt sein wie du oder etwas jünger.«

»Egal! Sie ist ganz arm.«

»Arm?« wunderte sich Denise. Sie war über die Äußerung ihres Sohnes erstaunt.

»Ja, hast du nicht gemerkt, wie traurig sie war?«

»Henrik, sie hat doch gestohlen.«

»Nein… ja.« Einen Moment wußte der Junge nicht weiter, dann sagte er jedoch entschlossen: »Sie hat es höchstens genommen. Sie ist keine Diebin.«

Verblüfft sah Denise ihren Sohn an.

»Hast du das nicht selbst bemerkt? Kein einziges Mal hat sie hochgesehen. Auch das Püppchen hat sie nicht angesehen. Ich bin sicher, daß sie es gar nicht stehlen wollte. Man klaut doch nur etwas, was man gern haben möchte.«

Denise nickte. Sie fand, im Grunde hatte Henrik recht.

»Mutti, ich möchte wissen, was mit dem Mädchen geschieht«, drängte Henrik.

»Nichts, mein Sohn«, antwortete Denise. »Es war doch die Mutter dabei. Sie wird schon alles regeln.«

»Du könntest dem Mädchen sicher viel besser helfen«, äußerte Henrik voll Überzeugung.

»Nein, Henrik, dies geht mich nichts an. Die Mutter muß klären, aus welchem Grund das Mädchen diese Puppe haben wollte.«

»Mutti!« Bittend sah Henrik zu seiner Mutter empor.»Du verstehst doch sicher viel mehr von Kindern als diese Frau. Sie hat doch gar nicht gefragt, warum das Mädchen das getan hat. Sie hat sich deswegen nur geschämt.«

»Henrik, das alles geht uns wirklich nichts an«, erklärte Denise nochmals, diesmal strenger. »Das Mädchen ist nicht allein.«

»Aber es würde deine Hilfe brauchen«, beharrte Henrik.

»Schluß damit! Hilfst du mir jetzt, etwas für Klaus auszusuchen, oder muß ich das allein tun?«

»Er wünscht sich ein Rennauto mit Schwungrad«, maulte Henrik. Er wollte nicht einsehen, daß seine Mutter wirklich nichts für das Mädchen tun wollte. »Mutti, können wir nicht wenigstens…«

Diesmal ließ Denise ihren Sohn gar nicht erst ausreden. »Wir gehen zu den Rennautos, komm!«

Henrik ging hinter seiner Mutter her, aber das Geburtstagsgeschenk interessierte ihn jetzt nicht mehr. Er stand dabei, als seine Mutter es auswählte, und nickte nur gleichgültig. Nicht einmal in die Hand nahm er es. Dabei hatte er es genau testen wollen. Immer wieder drehte er sich um, hielt Ausschau nach dem Mädchen. Er konnte es aber nirgends sehen.

*

»Wo bleibt Henrik nur?« fragte Denise von Schoenecker ihren Sohn Dominik von Wellentin-Schoenecker, der von allen nur Nick gerufen wurde.

»Er kommt sofort«, gab Nick Auskunft. »Er sucht nur noch etwas.« Dabei huschte ein verschmitztes Lächeln um seinen Mund.

»Hast du ihm gesagt, daß das Essen fertig ist?« fragte Alexander von Schoenecker.

Er saß mit seiner Frau bereits am Tisch.

»Das weiß er. Er hat auch Hunger. Er hat bereits herausbekommen, daß es Pilzomeletts gibt.« Nick setzte sich neben seine Mutter.

Gleichzeitig mit dem Hausmäd­chen Gusti erschien Henrik. Er schlüpfte an Gusti vorbei und huschte auf seinen Platz. Das geschah so lautlos, daß Denise sich vorbeugte, um auf seine Füße zu sehen. Henrik versuchte sie unter dem Stuhl zu verstecken, aber Denise hatte bereits bemerkt, daß er keine Schuhe trug.

»Ich konnte meine Hausschuhe nicht finden«, sagte Henrik. »Gusti, ich möchte zwei Omeletts. Sind auch viel Pilze drin?«

Seine Mutter ließ sich jedoch nicht ablenken. »Und was ist mit deinen anderen Schuhen?«

»Die sind nicht geputzt.« Henrik starrte auf seinen Teller. Er versuchte eine möglichst gleichgültige Miene zu machen.

»Die neuen Schuhe?«

»Die, die…« Henrik fiel beim besten Willen keine Ausrede mehr ein. Sein Blick glitt zu Nick, der grinste. Da explodierte er: »Du bist ein Schuft, du hast mich verraten.«

»Kein Wort habe ich gesagt, Bruderherz, wirklich nicht.«

»Um was geht es eigentlich?« erkundigte sich Alexander von Schoenecker. »Ihr wollt doch keinen Streit beginnen? Wißt ihr eigentlich, daß dies der erste Abend in dieser Woche ist, den wir gemeinsam verbringen?« Liebevoll sah er von den zwei Buben auf seine Frau. Obwohl er nun schon viele Jahre mit Denise verheiratet war, liebte er sie noch genauso wie am ersten Tag.

»Ich weiß. Es war diese Woche in Sophienlust einiges los.« Denise lächelte ihrem Mann zu. Sie wußte, daß er immer in Sorge war, sie könnte sich bei ihrer großen Aufgabe in Sophienlust übernehmen.

Sophienlust, ein Kinderheim, war das Erbe ihres sechzehnjährigen Sohnes Nick. Denise verwaltete es nur bis zu dessen Großjährigkeit, aber sie nahm ihre Aufgabe sehr ernst. »So wie es jetzt aussieht, kann ich mir morgen nachmittag freinehmen. Ich kann dich also begleiten, wenn du zum Gestüt fährst.«

»Fein!« Alexander von Schoen­eckers sonnengebräuntes Gesicht erhellte sich. Er freute sich aufrichtig, da er das Familiengut Schoeneich selbst verwaltete. Zum Glück war Schoeneich nicht weit von dem Kinderheim Sophienlust entfernt. Über ein Straße, die durch einen Wald führte, konnte Denise jederzeit hin und her fahren. Auch Nick und Henrik hielten sich oft in Sophienlust auf und hatten dort viele Freunde.

»Mahlzeit«, rief Henrik laut, denn Gusti, das Hausmädchen, hatte ihm inzwischen zwei Omeletts auf den Teller gelegt. Mit Heißhunger stürzte er sich darauf.

»Guten Appetit«, sagte Denise. Sie griff nach der Salatschüssel und reichte sie ihrem Mann. »Es ist alles in Ordnung, Gusti. Wenn wir noch etwas brauchen, dann läute ich.«

»Martha hat noch Omeletts im Rohr«, berichtete das Hausmädchen. »Ich soll Sie fragen, ob es Ihnen schmeckt. Martha hat nämlich ein neues Rezept ausprobiert.«

Denise lächelte. Martha war die Schwester der Köchin Magda von Sophienlust. Beide kochten ausgezeichnet und jede beanspruchte für sich, die bessere Köchin zu sein.

Denise schob einen Bissen in den Mund. »Ausgezeichnet, nicht wahr?« Sie sah dabei ihren Mann an.

»Ich glaube, ich habe noch nie ein besseres Omelett gegessen«, versicherte Alexander. Auch er lächelte.

»Da wird sich Martha aber freuen«, meinte Gustl. »Ich werde es ihr gleich sagen.«

Sie nahm das leere Tablett und ging damit zur Tür.

»Mir schmeckt es auch prima«, rief Henrik hinter ihr her. »Du kannst Martha sagen, daß sie morgen gleich wieder diese Omeletts machen kann.« Er begann mit Begeisterung zu essen.

Denise schmunzelte. Man sah Henrik an, daß es ihm schmeckte.

Auch Nick schmeckte es. Schon nach kurzer Zeit mußte Denise nach Gustl läuten und um die restlichen Omeletts bitten.

»Das war gut. Mehr bekomme ich aber nicht mehr in mich hinein, sonst platze ich.« Mit einem Aufseufzen schob Henrik seinen Teller von sich.

»Und ich wollte abnehmen.« Nick tat es seinem Bruder gleich.

»Ich werde Pünktchen nicht verraten, daß du so viel gegessen hast«, neckte Henrik ihn.

Nick wurde rot.

»Mit Pünktchen hat dies überhaupt nichts zu tun«, versicherte er rasch. »Ich spiele doch Fußball in der Schülermannschaft. Da will ich in Form bleiben.«

Ganz stimmte das nicht. Pünktchen lebte schon viele Jahre in Sophienlust. Jeder wußte, daß Nick besonders eng mit ihr befreundet war. Und Pünktchen hatte erst kürzlich erwähnt, daß er zugenommen hatte.

Henrik hatte das zufällig gehört. Deshalb grinste er. Aber das Grinsen verging ihm, als seine Mutter fragte: »Was ist nun mit deinen neuen Schuhen?«

»Die«, Henrik schluckte, »die stehen in meinem Zimmer.«

»Aha!« Denise sah ihren Sohn streng an. »Kannst du mir sagen, warum sie dort stehen?«

Henrik senkte den Blick. »Weil sie neu sind. Ich will sie schonen.«

»Komm her zu mir und zeige mir deine Füße.«

»Nicht nötig, Mutti.« Henrik gab sich geschlagen. »Die Schuhe drücken etwas. Aber nur an den Zehen.« Er warf seinem Bruder einen hilfesuchenden Blick zu.

Nick äußerte sich auch sofort. »Es ist nicht weiter schlimm. Ich habe mir die Schuhe bereits angesehen. Sie müssen nur ein bißchen gedehnt werden.«

»Oder man hätte sie eine Nummer größer kaufen müssen«, meinte Alexander von Schoenecker und zwinkerte seinem Sohn zu. Er war stets ein Freund und Kamerad seiner Kinder.

»Da hast du recht, Vati«, gab Henrik sofort zu. »Ich dachte aber wirklich, daß sie mir passen. Sie saßen wie angegossen. Das nächste Mal gehen wir in ein Schuhgeschäft. Mutti hat mir das schon versprochen.«

»Versprochen habe ich zwar noch nichts, aber ich hatte heute wirklich eine Menge einzukaufen. Der Schuhkauf kam zuletzt dran. Kein Wunder, daß Henriks Geduld nicht mehr allzu groß war.«

»Heißt das, daß du nicht böse bist?« Henrik rutschte vom Stuhl und eilte zu seiner Mutter hin. »Du bist prima«, versicherte er. Er schmiegte sich kurz an sie, dann meinte er: »Der letzte Kauf war es aber nicht. Wir haben ja noch das Geburtstagsgeschenk für Klaus erstanden.« Er hielt inne, denn ihm war das Mädchen, das beim Klauen erwischt worden war, eingefallen.

»Mutti, hat sie auch etwas zu essen bekommen?« fragte er übergangslos.

Denise verstand zunächst nicht. Deshalb schwieg sie.

»So gut wie ich hat sie sicher nicht gegessen«, überlegte Henrik laut weiter. »Aber hungern wird ihre Mutter sie auch nicht lassen. So böse hat sie nicht ausgeschaut. Wo war ihr Vater? Die Frau hat doch nur von einem Onkel Hannes gesprochen.«

Jetzt wußte Denise, wen Henrik meinte. Ihre Miene wurde nachdenklich. Sie fand, ihr Sohn hatte recht. Diese Frau hatte Angst gehabt, daß der Onkel Hannes etwas erfahren könnte.

»Was ist los?« Alexander sah von Henrik auf seine Frau.

»Ich will es Vati erzählen.« Henrik löste sich von seiner Mutter. Er ließ sich von seinem Vater auf den Schoß ziehen und begann zu erzählen.

Bald unterbrach sein Bruder ihn interessiert. »Die Kleine hat richtig geklaut? Aber warum? Wollte ihr die Mutter nichts kaufen?«

»Sie hat gesagt, sie hätte ihr das Püppchen gekauft«, berichtete Henrik weiter. »Ich glaube auch, daß das Mädchen bisher noch nie etwas gestohlen hat.«

»Vielleicht irrst du dich.« Nick liebte Kinder und Tiere und versuchte schon selbständig zu handeln, wenn es darum ging, einem Kind zu helfen. Er war sehr stolz auf das Kinderheim. »Es könnte ja sein, daß die Mutter deshalb so entsetzt war, weil ihre Tochter es schon wieder getan hat. Was hat denn das Mädchen gesagt?«

»Nichts. Nicht wahr, Mutti, das Mädchen hat kein Wort gesprochen?«

Denise nickte bestätigend.

»Es war nur sehr traurig«, fuhr Henrik fort.