Sophienlust Die nächste Generation 5 + Sophienlust Wie alles begann 5 - Marietta Brem - E-Book

Sophienlust Die nächste Generation 5 + Sophienlust Wie alles begann 5 E-Book

Marietta Brem

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Beschreibung

Das "Sophienlust-Duo" nimmt Sie mit "Sophienlust – wie alles begann" und "Sophienlust – Die nächste Generation" in die Welt der großen Gefühle und der dramatischen Familienschicksale von den Anfängen bis zum neusten Stand. "Sophienlust – Wie alles begann" entführt Sie zu den Anfängen der Sophienlust-Romane. Wir lernen die Geschichte kennen, die einmal dazu führen wird, dass es, viele Jahre später, zur Gründung von 'Sophienlust' kommen wird. Der Weg dahin schildert eine ergreifende, spannende Familiengeschichte, die sich immer wieder, wenn keiner damit rechnet, dramatisch zuspitzt und dann wieder die schönste Harmonie der Welt ausstrahlt. Das Elternhaus Montand ist markant – hier liegen die Wurzeln für das spätere Kinderheim, aber das kann zu diesem frühen Zeitpunkt noch keiner ahnen. "Sophienlust – Die nächste Generation" bildet die Fortsetzung der berühmten Sophienlust-Serie und wird exklusiv für alle begeisterte Leserinnen und Leser von Sophienlust völlig neu geschrieben! Nick ist volljährig geworden und tritt sein Erbe an – ihm gehört nun, wie es testamentarisch festgelegt war, das Kinderheim Sophienlust. Natürlich ist seine Mutter Denise von Schoenecker, die das Haus der glücklichen Kinder über so viele Jahre mit wahrer Herzenswärme geleitet hat, mit Rat und Tat an Nicks Seite. E-Book 1: Das Kind aus erster Ehe E-Book 2: Schwanger - und sehr verzweifelt!

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Seitenzahl: 248

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Inhalt

Sophienlust Die nächste Generation 5 + Sophienlust Wie alles begann 5

Das Kind aus erster Ehe

Schwanger - und sehr verzweifelt!

Sophienlust-Duo – 5 –

Sophienlust Die nächste Generation 5 + Sophienlust Wie alles begann 5

Marietta Brem Karina Kaiser

Das Kind aus erster Ehe

Wie Moni eine neue Familie fand …

Roman von Kaiser, Karina

Es war Sommer. Auf Gut Schoeneich, das mit Sophienlust durch eine Straße verbunden war, herrschte Hochbetrieb. Doch für den Gutsherrn Alexander von Schoenecker war es kein so schöner Tag.

Ein Mähdrescher musste repariert werden, einige Kühe waren ausgebrochen und konnten erst nach längerer Suchaktion ausfindig gemacht und auf die Weide zurückgetrieben werden, und schließlich hatte es auch noch eine Auseinandersetzung mit einem der Saisonarbeiter gegeben, der der Meinung gewesen war, um fünf Uhr nachmittags sei sein Dienst zu Ende, obwohl es noch ein ganzes Feld abzuernten gegeben hatte.

Inzwischen war es Abend geworden. Verschwitzt, hungrig und durstig fuhr der Herr von Gut Schoeneich mit seinem Geländewagen nach Hause, darauf hoffend, dass er nach Dusche und einem reichhaltigen Abendessen den Tag mit seiner geliebten Frau Denise angenehm ausklingen lassen konnte.

Zu seinem Verdruss war Denise jedoch gar nicht da. Sein Abendbrot bekam er natürlich dennoch. Dafür sorgte die Wirtschafterin. Doch gerade heute hätte Alexander so gern mit seiner Frau beim Essen geplaudert und sich dabei entspannt. Nun, das wurde also wieder einmal nichts. Und so saß Alexander später in der Bibliothek bei der Tageszeitung und einem Glas Rotwein und ärgerte sich – was eigentlich ganz gegen sein sonst immer so ausgeglichenes Naturell war. Und dieser Ärger traf Denise, als sie gegen zwanzig Uhr den Lieblingsraum ihres Mannes betrat.

»Es ist ja schön, dass meine Frau endlich nach Hause kommt«, knurrte er. »Ich habe schon angenommen, du übernachtest in Sophienlust und denkst nicht mehr daran, dass du hier einen Mann hast, der dich sehnsüchtig erwartet.«

»Aber Alex, nun sei doch nicht gleich so ungehalten«, erwiderte sie beschwichtigend und setzte sich zu ihm. »Drüben gab es einfach viel zu tun. Die Kinder haben Schulferien bekommen. Da habe ich kaum auf die Uhr geschaut.«

»Wozu hast du eigentlich einen erwachsenen Sohn und durchaus fähige Mitarbeiter? Frau Rennert zum Beispiel, die du doch sonst immer über den grünen Klee lobst.«

»Nick ist am Nachmittag von Freunden abgeholt worden, mit denen er übers Wochenende zelten will, und Frau Rennert ist mit ihrer Familie für ein paar Tage in Urlaub gefahren. Allerdings hat auch unsere neue Erzieherin, Rosita Wellner, um Urlaub gebeten.«

»Den hättest du dann eben nicht bewilligen dürfen. In dieser Zeit ist das unklug.«

»Da irrst du dich«, versetzte sie entschieden. »Es sind Ferien. Da sind einige Kinder bei ihren Verwandten und müssen somit nicht betreut und beaufsichtigt werden. Und letzten Endes ist der Urlaubsplan verbindlich.«

Alexander blieb grämlich: »Wenn es so ist, dann hättest du ja pünktlich Feierabend machen können.«

»Es war außerdem noch viel Büroarbeit liegen geblieben. Aber morgen, mein lieber Brummbär, komme ich pünktlich nach Hause und werde es meinem gestressten Landwirt sehr gemütlich machen.«

Denise stand auf, ging zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß und gab ihm einen Kuss.

Danach sagte er nur noch: »Du könntest es mir auch heute schon sehr gemütlich machen. Es ist ohnehin sehr günstig. Nick ist zelten und Henrik übernachtet heute bei Freunden im Dorf.«

»Wo du recht hast, hast du recht«, antwortete Denise lächelnd. »Hast du dich denn schon genügend von den heutigen Strapazen erholt?«

»Aber ja doch. Deine Nähe muntert mich immer auf.« Er schob sie sanft von seinen Knien, stand auf, nahm ihre Hand fest in die seine und ging mit ihr zum Schlafzimmer.

An defekte Mähdrescher, widerspenstige Kühe und aufmüpfige Mitarbeiter dachte Alexander von Schoenecker in den nächsten Stunden nicht mehr.

*

Endlich Urlaub! Rosita Wellner hatte an diesem Samstagmorgen eine Stunde länger geschlafen, ­hatte ausgiebig gefrühstückt und packte nun die Mitbringsel für ihre Eltern in einen Korb – zwei Flaschen Rotwein, eine Schachtel Pralinen und eine neue CD, auf der ein berühmter Tenor Arien von Mozart sang. Für ihren Vater würden diese Klänge allerdings das Signal sein, umgehend in den Garten oder in den Keller zu gehen und sich dort zu beschäftigen.

So, nun war alles für den Wochenendausflug fertig. Die 28-Jährige sah noch einmal in den Spiegel, fand sich hübsch und schick und verließ anschließend mit Tasche und Korb ihre Wohnung.

Zum Auto hatten ihre Eltern ein paar Tausender spendiert, damit sie recht oft zu Besuch zu ihnen kommen konnte. Sie war immerhin die einzige Tochter. Natürlich hofften Gerda und Horst Wellner auch schon seit Jahren auf ein Enkelkind und ließen es nicht an Ermahnungen fehlen.

Rosita seufzte dann stets und ging schnell zu einem anderen Thema über. Sie hätte gern ein Kind, lebte nach großer Enttäuschung aber zurzeit allein.

Ronald Keller, mit dem sie mehr als vier Jahre in Berlin zusammengelebt hatte, hatte von ihrem Kinderwunsch gar nichts gehalten.

Er könne mit diesen ständig plärrenden Rotznasen absolut nichts anfangen, hatte er oft gesagt. Sie würden seine Lebensqualität erheblich verschlechtern und eigentlich nur Geld und Nerven kosten. Außerdem verstand er ohnehin nicht, dass sie unbedingt ein eigenes Kind haben wollte. Als Erzieherin in einer Kindertagesstätte hätte sie doch fast jeden Tag genug Gören um sich.

Nein, er verstand sie nicht. Er wollte sie auch nicht verstehen. Aber er brauchte sie – vor allem für den Haushalt und seine Bequemlichkeit. Und wenn er mal eine kleine Freundin hatte, war das seiner Meinung nach nur ein Ausrutscher, den sie geflissentlich zu übersehen hatte.

Die betrogene und ausgenutzte Lebensgefährtin zu spielen, dazu hatte Rosita jedoch keine Lust. Sie wollte auch schon lange aus der Hektik und dem Lärm der Großstadt heraus. Und so hatte sie Ronald eines Tages verlassen und hatte die Stellung im Kinderheim Sophienlust als Erzieherin angenommen. In dieser ländlichen Idylle fand sie bald ihre innere Ruhe wieder, und die Arbeit mit den Kindern bereitete ihr große Freude, und auch die Kleinen, allen voran Heidi und der kleine Kim mochten »die neue Tante« sehr.

Ronald hatte sie seitdem nicht mehr wiedergesehen. Und das war auch gut so.

Mit diesen Gedanken lenkte sie ihren Kleinwagen in Richtung Nordosten und kam gegen Mittag vor dem geräumigen Landhaus an, das ihre Eltern am Rande von Potsdam bewohnten.

Vater und Mutter hatten selbstverständlich schon nach ihr Ausschau gehalten und standen samt Dackel Hugo auf der gepflasterten Einfahrt.

»Ach, mein Kind. Wie schön, dass du da bist!« Mutter Gerda umarmte gleich darauf ihre Einzige, ihr Mann tat das Gleiche und erklärte dabei: »Dir zu Ehren gibt es heute Kohlrouladen und zum Kaffee Heidelbeertorte.«

Rosita lächelte verständnisvoll. Ihr Papa aß nun mal gern die kalorienhaltigen Sachen und war trotzdem dünn wie eine Bohnenstange.

Er verdrückte dann auch zum Mittagessen eine gehörige Portion, anschließend ging er zu seinem Lieblingsplatz im Garten, um unter einem großen Apfelbaum im Liegestuhl das reichhaltige Mahl zu verdauen. Der Dackel folgte ihm, schlief aber nicht. Es war ja schließlich seine Pflicht, Haus und Hof zu bewachen und eventuelle Besucher lautstark anzumelden.

Rosita und ihre Mutter bewältigten indessen den Abwasch und räumten die Küche auf. Danach setzten sie sich im Wohnzimmer auf die Couch und lauschten dem Operntenor auf der mitgebrachten CD, plötzlich begann der Hund laut zu kläffen. Offenbar ärgerte er sich.

Die Hausfrau eilte zum Fenster, schaute hinaus und seufzte dann genervt: »Na, die fehlen mir gerade noch.«

›Die‹ waren Rositas Cousine Kathleen, ihr zweiter Mann, Robert, sowie die Kinder Simone und Ludovic.

Auch Horst Wellner war aus seinem wohlverdienten Mittagsschlaf hochgeschreckt und stand schon bei den Überraschungsgästen.

Der kleine Ludovic hatte anscheinend Angst vor dem Hundevieh und klammerte sich schluchzend an seine Mutter, seine ältere Schwester stand wie unbeteiligt da, und Robert Richter, der neue Ehemann, sagte leise ein unfeines Wort. Er mochte den Hund offenbar auch nicht.

Nur wenig später hatte sich die Szene etwas entschärft, Kathleen und ihr Mann saßen auf der Couch und nippten an kühlen Getränken, die Gerda eilig auf den Tisch gestellt hatte. Der dreijährige Sohnemann hatte indessen sein Spielzeugköfferchen auf dem Teppich ausgekippt, während seine große Schwester Simone, genannt Moni, ziemlich lustlos in einem Buch blätterte.

Man sprach nun über das Wetter und andere Belanglosigkeiten. Rosita hatte aber den Eindruck, als wenn es einen ganz bestimmten Grund für den plötzlichen Besuch gab. Kathleen wirkte nervös und fahrig, und ihrem Mann schien überhaupt alles zu viel zu sein.

Rosita irrte sich nicht, denn gleich nach dem Kaffeetrinken, als die beiden Männer mit den Kindern und dem Dackel zum nahegelegenen Spielplatz gingen, begann Kathleen mit einem flehenden Blick auf ihre Tante:

»Bei euch ist alles so friedlich und harmonisch. So hätten wir es auch gern, aber Moni macht uns das Leben mehr und mehr zur Hölle.«

»Nanu, warum denn das?«, wunderte sich Gerda. »Sie hat hier doch ganz brav gesessen und kaum ein Wort gesagt.«

»Sie macht nicht, was sie soll, und kann sich mit Vico … Ludovic nicht vertragen. Ständig gibt es Streit. Der Kleine ist dann immer völlig fertig und weint manchmal stundenlang. Das ist kaum noch auszuhalten.«

»Ja, der Altersunterschied ist ja auch beträchtlich. Moni ist immerhin schon neun.«

»Du sagst es, Tante Gerda. Eigentlich müsste sie schon sehr vernünftig sein, sie ist es aber nicht.«

»Warum denn nicht? Lernt sie schlecht?« Das kam von Rosita, die bis jetzt nur zugehört hatte.

»Nein, sie ist recht gut in der Schule. Da dürfte es ihr doch nicht schwer fallen, auf ihren Bruder zu achten und mit ihm zu spielen. Ich habe so viel um die Ohren, und Robert kommt oft spät nach Hause. Wir haben eben nicht immer Zeit, uns mit Vico zu beschäftigen. Und von einer großen Schwester kann man doch schon erwarten, dass sie die Eltern unterstützt. Aber sie will einfach nicht und ist unzufrieden. Dabei bekommt sie doch alles.«

»Tatsächlich?«, warf Rosita spöttisch ein.

»Einen Goldhamster oder ein anderes ekliges Vieh natürlich nicht«, erwiderte Kathleen aufgebracht. »Tiere machen alles schmutzig. Die sind auch gar nicht gut für Kinder, vor allem für unseren Sohn nicht. Er ist ein so empfindliches Kind.«

»Wenn die Kinder älter sind, werden sie sich bestimmt besser vertragen«, meinte Gerda, nur um etwas zu sagen.

»Ja, vielleicht. Aber wir haben jetzt schon ein Problem.«

Ich habe es geahnt, dachte Rosita. Deshalb sind sie gekommen. Mein Muttchen ist ja auch so eine gute Seele, die Verständnis für alles Mögliche hat. Das muss man ausnutzen.

Gerda fragte auch sofort: »Was für ein Problem habt ihr denn?«

»Wir wollen nächste Woche nach Gran Canaria fliegen, schön Urlaub machen und so, aber Moni will absolut nicht mit.«

»Warum nicht?«

Kathleen sah ihre Cousine erbost an und fauchte: »Weil sie uns ärgern will. Ist doch klar.«

Rosita versuchte es im Guten und fragte: »Könnt ihr sie nicht bei deinen Eltern lassen?«

»Die sind zur Kur gefahren, und Robert hat nur noch einen Vater. Und der ist furchtbar unbeholfen und kann die Kleine ganz gewiss nicht nehmen. Es ist zum Verzweifeln.«

Kathleen begann zu schluchzen und flüsterte schließlich: »Was sollen wir bloß machen? Wir haben uns doch so auf die Reise gefreut. Kann sie nicht bei euch bleiben? Es sind doch nur zwei Wochen.«

Gerda Wellner war sekundenlang sprachlos, Rosita war es jedoch nicht. Sie antwortete entschieden: »Mutti und Papa müssen doch arbeiten.«

Dieses Argument leuchtete Kathleen nicht ein, sie erwiderte schmeichelnd: »Deine Mutter würde doch bestimmt kurzfristig Urlaub bekommen, nicht wahr, Tante Gerda?«

Die Hausfrau kam zu keiner Antwort, weil in diesem Augenblick die Tür aufgerissen wurde. Robert Richter kam herein und hatte seinen laut heulenden Sohn auf dem Arm.

»Mama …« Der Kleine streckte die Arme nach der Mutter aus, wurde sofort genommen und liebevoll getröstet, während der arg strapazierte Vater sich völlig geschafft in einen Sessel sinken ließ.

Rosita und ihre Mutter schauten sich bedeutungsvoll an, so, als wenn eine der anderen sagen wollte: Für diese Eltern gibt es nur ein Kind – Ludovic. Das Mädchen zählt nicht.

»Wo ist eigentlich Moni?«, erkundigte sich Kathleen, als das Brüderchen nach einigen Minuten endlich mit seinem Heulkonzert aufhörte.

»Keine Ahnung.« Robert zuckte mit den Schultern. »Auf einmal war sie weg. Ich konnte nicht auch noch auf sie achten. Vico ist ja so temperamentvoll.«

Kathleen wandte sich indessen an Tante und Cousine und keifte: »Da seht ihr es. Sie macht, was sie will.«

Und dann sagte sie noch: »Robert, du musst sie suchen.«

Ihr Ehemann schien diese fünf Worte nicht gehört zu haben. Er blieb jedenfalls sitzen und nahm sich ein paar Erdnussflips.

»Ich werde sie suchen.«

Rosita stand auf und verließ das Wohnzimmer.

*

Der Onkel Horst war bald wieder gegangen, und Robert hatte ihren Bruder in den Sandkasten gesetzt, wo der Kleine mit einer Schaufel den Sand nur so um sich warf. Einige dieser Geschosse trafen sie, seine große Schwester. Robert sagte natürlich nichts dazu. Das tat er ja nie. Da hatte sich Moni heimlich verdrückt, war zum Haus von Tante Gerda und Onkel Horst gelaufen und hatte sich hinter der Hecke versteckt. Dort wollte sie warten, bis die Mama und Onkel Robert wieder nach Hause fahren wollten.

Das konnte zwar noch dauern, aber vermissen würde sie garantiert niemand. Hier würde auch niemand sehen, dass sie weinte.

Rosita hatte unterdessen in den Geräteschuppen geschaut und war anschließend zum Obstgarten gegangen. Vielleicht war die Kleine auf einen Baum geklettert. Doch auch hier Fehlanzeige.

»Moni!«, rief sie.

Es antwortete natürlich niemand.

Sich an ihre eigene Kinderzeit erinnernd, ging sie weiter und schaute hinter die Hecke, die die Grenze zum Nachbargrundstück darstellte. Und dort entdeckte sie das Kind.

»Warum hast du dich denn da verkrochen?« Rosita strich der Kleinen behutsam über die Wange.

»Ich will allein sein«, kam es leise zurück.

»Dein kleiner Bruder ist sicher manchmal ein bisschen ungezogen und nervt dich.«

»Der ist immer ungezogen. Der darf auch alles.«

Rosita kommentierte diese Aussage nicht, sondern fragte nur: »Wollen wir uns auf die Bank da hinten setzen? Da kannst du mir dann erzählen, warum du lieber allein sein möchtest.«

»Und dann sagst du alles meiner Mama.«

»Ich werde ihr nichts sagen. Versprochen. Ich gehe nur kurz zu ihr und sage, dass ich dich gefunden habe und wir noch ein Weilchen im Garten bleiben wollen. Einverstanden?«

Moni zögerte erneut einige Sekunden, dann nickte sie zustimmend, nahm Rositas Hand und ging mit ihr zu der Gartenbank, die in einer Art Laube stand. Dort setzte sie sich, befürchtete aber gleichzeitig, die Mama würde kommen und sie ausschimpfen. Doch sie irrte sich. Es kam nur die Tante wieder, deren Namen sie nicht wusste.

»Ich habe deiner Mama gesagt, dass ich dir den Garten zeige.« Rosita setzte sich zu der verschüchterten Kleinen. »Wir haben also Zeit. Und du kannst mir erzählen, was dich bedrückt, das heißt, wenn du magst.«

»Sie haben mich nicht lieb«, flüsterte Moni. »Sie mögen nur Vico. Und auf den soll ich immer aufpassen und mit ihm spielen. Aber ich will nicht. Ich will lieber lernen und allein spielen. Und ich möchte ein Haustier haben, einen Goldhamster oder einen Vogel. Doch das geht nicht, weil Onkel Robert eine Al-Allergie oder so was hat.«

»Und weil deine Eltern dich nicht so recht lieb haben, willst du nicht mit in Urlaub fliegen.«

»Nein, die können mir gestohlen bleiben.«

»Du kannst aber noch nicht allein bleiben.«

»Doch, das kann ich«, beteuerte Moni. »Ich war schon einmal einen ganzen Tag allein. Sie können für mich was einkaufen, Milch, Brot und eine Tüte Gummibären. Das reicht. Ich fürchte mich nicht.«

Armes kleines Ding, dachte ­Rosita.

Sie verstand ihre Cousine nicht. Warum konnte sie ihre Tochter nicht lieben? Warum zog sie ihren Sohn so offensichtlich vor?

»Möchtest du vielleicht zu mir kommen?«, erkundigte sie sich mitfühlend. »Ich habe Urlaub und eine schöne Wohnung. Außerdem ist ganz in der Nähe ein Kinderheim, wo du mit anderen Kindern spielen kannst, wenn du willst. Und Tiere gibt es dort auch, Pferde, Hunde und einen Papagei. Der heißt Habakuk. Wir können auch ins Kino fahren oder zum Schwimmbad. Kannst du schon schwimmen?«

»Hm, schon ganz gut.« Das Kind nickte eifrig und lächelte sogar.

»Ich werde mit deinen Eltern reden«, versprach Rosita. »Na, was meinst du?«

»Ja, Tante, ich komme mit. Wie heißt du eigentlich?«

»Ich bin die Tante Rosita und arbeite als Erzieherin in dem Kinderheim.«

»Dort ist es bestimmt schön.« Die Kleine schmiegte sich vertrauensvoll an sie und streichelte ihre Hand.

Das Vertrauen der Kleinen erschütterte Rosita so sehr, dass sie das Mädchen in die Arme nahm und dabei leise sagte: »Hab keine Angst, du wirst es gut bei mir haben.«

Kathleen und Robert hatten unterdessen versucht, Tante und Onkel doch davon zu überzeugen, sich des angeblich vertrotzten und störrischen Kindes anzunehmen, damit sie und der liebe kleine Ludovic ihre wohlverdiente Reise nach Gran Canaria antreten konnten.

»Ich bekomme so schnell keinen Urlaub«, wehrte sich Gerda.

Und ihr Mann fügte nachdrücklich hinzu: »Wir sind nicht dazu da, in unserer Freizeit anderer Leute Kinder zu betreuen. Wenn ihr mit eurem Kind nicht klarkommt, solltet ihr euch professionelle Hilfe suchen.«

In diesem Augenblick kamen Rosita und Moni zur Tür herein.

»Moni will mit zu mir kommen«, erklärte Rosita geradeheraus. »Wenn ihr damit einverstanden seid, dann könnt ihr ihre Sachen hierherbringen, damit ich sie am Montag mitnehmen kann. Und wenn ihr wieder daheim seid, könnt ihr sie bei mir abholen.«

»Mir fällt ein Stein vom Herzen.« Kathleen sprang auf und umarmte ihre Cousine so stürmisch, dass diese beinahe das Gleichgewicht verlor.

Ihrem Mann gelang nun auch ein Lächeln, während er sichtlich erleichtert erklärte: »Dann ist ja alles in Ordnung. Einer ausgebildeten Erzieherin vertrauen wir unser Kind sehr gern an.«

Rosita nickte nur. Sie mochte den Mann nicht, obwohl er gut aussah und sich auch um seinen Sohn kümmerte. Kathleens Tochter aus erster Ehe war ihm wohl nur im Weg, was die Kleine auch genau spürte.

»Was ist eigentlich mit Monis Vater?«, fragte Rosita, als sie später für eine Weile mit ihrer Cousine allein war. »Der könnte sein Kind doch auch mal nehmen?«

»Ach der«, winkte Kathleen nachlässig ab. »Der zahlt nur und wohnt und arbeitet in einem Nest in der Nähe von Erfurt. Moni hat der schon lange nicht mehr gesehen. Und ich bin froh, dass ich den los bin, der hat sich doch sowieso nur für Wald und Wild interessiert und immer nur gemeckert.«

»Deine Tochter ist zu bedauern«, entgegnete Rosita leise. »Mir scheint, als wenn sie keiner so recht haben will, du auch nicht und dein Mann schon gar nicht.«

»Rosi!«

»Was regst du dich so auf? Es ist offensichtlich, dass der Junge euer kleiner Liebling ist.«

»Na ja, Robert hat mit Moni noch nicht viel im Sinn«, gab Kathleen kleinlaut zu. »Er muss sich noch an sie gewöhnen. Das geht nun einmal nicht so schnell.«

»Du bist schon mehr als drei Jahre mit ihm verheiratet. Da müsstet ihr längst eine harmonische Familie sein. Doch so ist es offenbar nicht. Und du selbst fühlst dich in dieser Situation auch nicht wohl. Das merkt man sofort.«

»Ja, es ist manchmal sehr schwierig. Deshalb bin ich so froh, dass du Moni zu dir nehmen willst. So können wir uns alle ein bisschen von ihr erholen.«

Eine Mutter wollte sich von ihrem Kind erholen!?

Das passte zu Kathleen, der es schon immer schwergefallen war, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Die überließ sie gern anderen, vor allem ihrem Mann.

Und da dieser jetzt bessere Laune hatte und durchaus charmant sein konnte, verlebte man im Hause Wellner noch einen recht vergnügten Nachmittag. Gegen zwanzig Uhr fuhr die Familie Richter wieder ab, Vico nörgelte nämlich schon und warf mit seinen Lego-Bausteinen um sich.

Moni lächelte nun zum ersten Mal. Sie durfte dableiben und hatte sich spontan an Rosita angeschlossen.

*

»Wohnst du in diesem Schloss?« Moni schaute die Tante aufgeregt und ein wenig ängstlich an, während sie die Freitreppe von Sophienlust hinaufstiegen.

»Nein, ich wohne in einem Haus in Wildmoos, ganz in der Nähe«, antwortete Rosita. »Hier wohnen die Kinder, mit denen du bald spielen wirst. Komm, wir gehen jetzt zu Frau von Schoenecker, damit sie dich kennen lernt. Die Kinder nennen sie Tante Isi. Das darfst du bestimmt auch zu ihr sagen.«

»Vielleicht sagt sie, dass ich gleich wieder verschwinden soll.«

»Das sagt sie bestimmt nicht. Sie ist eine sehr nette Frau. Du brauchst keine Angst zu haben.«

Moni hatte aber Angst, denn ihre Schritte wurden immer kürzer und langsamer. Und als sie endlich vor der Tür zum Biedermeierzimmer standen, griff sie Halt suchend nach Rositas Hand.

»Kleiner Angsthase«, sagte die­se­ leise und klopfte anschließend an die Tür zum Büro der Heimleiterin.

»Vielen Dank, dass ich mit meiner kleinen Verwandten herkommen durfte«, begann Rosita, nachdem man sich begrüßt hatte. »Sie möchte sich so gern die Tiere und die Spielplätze ansehen.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Denise lächelte Moni aufmunternd zu. »Möchtest du dir vielleicht jetzt schon mit Pünktchen unsere Pferde und die anderen Tiere anschauen?«

»Ja, gern. Wer ist Pünktchen?«, piepste Moni.

»Pünktchen heißt eigentlich Angelina. Sie ist hier so etwas wie unsere Pferdeexpertin. Gut, dann gehen wir jetzt zu ihr und bitten sie, dass sie mit dir einen kleinen Ausflug macht. Die Tante Rosita wird hier auf dich warten.«

Nur kurze Zeit später hatte die fünfzehnjährige Angelina das ängstliche kleine Mädchen an die Hand genommen und ging mit ihm in Richtung Park.

Die beiden Frauen sahen ihnen einige Augenblicke nach, dann meinte Denise: »Die Kleine ist ein sehr verschüchtertes Seelchen. Hat sie keine Eltern mehr?«

»Doch, meine Cousine hat sich aber von Monis Vater, ihrem ersten Mann, scheiden lassen«, entgegnete Rosita. »Da war die Kleine zwei oder drei. So genau weiß ich das nicht. Meine Cousine hat sich bald wieder verheiratet und hat einen Sohn bekommen. Und der ist nun der Allerbeste bei der Mutter und beim Stiefvater. Moni wird nur wenig beachtet und irgendwie abgeschoben, soll aber andererseits auf den Kleinen aufpassen. Da kommt es natürlich zu Reibereien. Und jetzt wollte sie absolut nicht mit den Eltern in Urlaub fahren.«

»Wahrscheinlich, weil sie dann wieder das Kindermädchen spielen müsste«, ergänzte Denise und setzte dann noch missbilligend hinzu: »Nette Eltern sind das.«

»Ich glaube, meine Cousine kann das Kind nicht so richtig lieben, weil dessen Vater sie verlassen hat«, erklärte Rosita. »Das ist zwar nicht richtig, aber für mich die einzige plausible Erklärung.«

»Kennen Sie den Vater?«

»Nur flüchtig. So eng ist unser verwandtschaftliches Verhältnis nicht. Ich glaube, er hat mit sich selbst genug zu tun.«

»Ja, so etwas gibt es«, antwortete Denise und ging dann zu einem anderen Thema über. Die Gestaltung der Sommerferien hatte es in sich. Bei dieser Diskussion tranken die Frauen Kaffee, den Denise bestellt hatte.

Nach einer knappen Stunde brachte Pünktchen Moni zurück, und man verabschiedete sich für heute voneinander.

»Na, Kleine, das war aber ein langer und anstrengender Tag«, meinte Rosita lächelnd, als sie zu ihrer Wohnung gingen, die sie in Wildmoos bewohnte. »Dann wirst du sicher gut schlafen.«

»Ja, Tante«, versicherte Moni treuherzig. »Ich bin auch schon sehr müde.«

Rosita ging auch bald zu Bett, aber sie konnte lange nicht einschlafen. Sie hatte Mitleid mit dem kleinen Mädchen und hätte ihm gern geholfen. Sie wusste bloß nicht, wie das geschehen sollte.

*

»Deine Tochter ist patzig und aufsässig und ein schwer erziehbares Kind«, hatte Kathleen ihm gestern am Telefon gesagt. »Dabei tun wir alles für sie. Doch sie ignoriert uns und will nicht einmal mit uns Urlaub machen. Andere Kinder freuen sich, doch sie sitzt nur in ihrem Zimmer und mault. Und ihren kleinen Bruder kann sie nicht leiden.«

Stefan Siebrandt hatte einen Seufzer unterdrückt, schließlich kannte er seine Ex-Frau gut genug, um zu wissen, dass sie oft und gern übertrieb. Andererseits war es doch bedenklich, dass ein Kind so ab­lehnend auf die Eltern reagierte. Gleichzeitig warf er sich beschämt vor, dass er sich schon lange nicht mehr um seine Tochter gekümmert hatte. Er hatte die Erziehung vollkommen der Mutter überlassen und war bis jetzt der Ansicht gewesen, damit das Beste für die Kleine getan zu haben. Aber war es wirklich so?

»Moni ist in den nächsten Wochen bei meiner Cousine in Wildmoos«, hatte Kathleen noch gesagt und dann hörbar erleichtert hinzugefügt: »Was meinst du, wie froh ich war, als Rosita gesagt hat, sie nimmt das Gör mit. Nun können wir doch noch in Ruhe Urlaub machen. Bei Rosita wird Moni es gut haben. Sie ist ja Erzieherin in einem Kinderheim und hat viel Ahnung.«

Über dieses Gespräch dachte Stefan nun schon seit drei Tagen nach und kam schließlich zu der Erkenntnis, dass es seine Pflicht war, umgehend nach dem Rechten zu sehen, auch wenn Kathleen inzwischen auf Gran Canaria weilte. Er würde nach Wildmoos fahren, wo sich seine Tochter jetzt aufhielt. So weit war es bis dahin nun auch wieder nicht. Natürlich würde er sich nicht anmelden. Das wäre unklug gewesen. Er wollte schließlich genau sehen und wissen, wie sein Kind von einer fremden Frau aufgenommen worden war. Das heißt, so ganz fremd war sie ihm natürlich nicht. Er hatte Rosita, als er noch mit Kathleen verheiratet gewesen war, bei zwei oder drei Familienfeiern gesehen und erinnerte sich jetzt an eine durchaus attraktive Frau mit einer angenehmen Stimme. Diese Tatsache besagte allerdings noch gar nichts.

Stefan Siebrandt fuhr also mit einem schnellen Auto und einem ziemlich schlechten Gewissen am nächsten Samstag in Richtung Wildmoos, kam gegen elf Uhr dort an und hörte sich um. Schnell erfuhr er, dass Rosita zwar hier im Dorf wohnte, jedoch meistens im Kinderheim Sophienlust anzutreffen war, das nur wenig außerhalb des Dorfes lag.

Stefan fuhr also weiter, folgte den bunten Hinweisschildern und fuhr alsbald durch das schmiedeeiserne Tor und die Auffahrt nach Sophienlust hinauf. Hier traf er auf Else Rennert, die er fragte. Sie wies mit der Hand in eine Richtung:

»Ich glaube, sie ist vorhin mit ein paar Kindern zur Pferdekoppel gegangen. Folgen Sie nur diesem Weg durch den Park, dann werden Sie die beiden schon finden.«

Stefan bedankte sich, eilte anschließend mit langen Schritten durch den Park und sah schon bald eine Gruppe von Kindern, aus der die Gestalt einer jungen Frau emporragte, in der Nähe einer großen Wiese stehen. Eines von diesen Kindern musste seine Tochter sein.

Er erkannte sie jedoch zunächst nicht. Als Kathleen und er sich getrennt hatten, war Moni noch ein kleines Mädchen gewesen, das weder Vater noch Mutter besonders ähnlich sah. Jetzt war sie ein Schulkind und würde sich verändert haben. Langsam näherte er sich der Gruppe, die auf ihn noch gar nicht aufmerksam geworden war.

Eines der Kinder bemerkte ihn aber schließlich doch, blickte ihn erstaunt und rief: »Tante Rosita, da ist ein Mann.«

Die junge Frau wandte sich ihm zu, musterte ihn einige Sekunden nachdenklich und sagte dann ruhig: »Guten Tag, Stefan. Willst du Moni besuchen?«

»Ja, das möchte ich.« Er reichte ihr die Hand und begrüßte auch die Kinder, wusste aber immer noch nicht genau, welches von ihnen seine Tochter war.

Rosita half ihm aus der Verlegenheit, indem sie ein zierliches blondes Mädchen an die Hand nahm und mit diesem zu ihm ging.

»Dieser Mann ist dein Vater«, flüsterte sie der Kleinen zu, worauf die leise und ängstlich fragte:

»Will der mich mitnehmen?«

Stefan Siebrandt hatte die Frage vernommen und erwiderte in beruhigendem Tonfall: »Nein, ich will dich nicht mitnehmen. Ich möchte nur ein paar Stunden mit dir und Tante Rosita verbringen. Geht das?«

Die letzten beiden Worte waren vor allem an Rosita gerichtet, die dann auch zustimmend nickte und anschließend zu den übrigen Kindern sagte: »Wir gehen jetzt zurück. Es ist ohnehin fast Mittagszeit.«

Mit Moni an der Hand und neben dem Besucher strebte Rosita gemächlich dem Gutshaus zu. Heidi und ihre Freunde folgten ihnen.

*

Sie hatten gemeinsam in Sophienlust zu Mittag gegessen und waren anschließend nach Wildmoos und zu Rositas Wohnung ­gegangen. Nervös wie sie war, brauchte Moni noch ihren Mittagsschlaf.

»Meine Tochter sieht recht mitgenommen aus«, begann Stefan gerade heraus, als er mit Rosita bei einer Tasse Kaffee saß. »Kannst du dir das erklären?«

»Ich kann es nur vermuten, klären musst du das mit Kathleen.«

»Das habe ich bereits telefonisch versucht, kann mit den Auskünften meiner Ex-Frau aber nicht viel anfangen. Sie meint, Moni wäre schwer erziehbar, und sie hätten nur Ärger mit ihr. Und ihren kleinen Bruder könne sie auch nicht leiden.«

»Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, warum das so ist?«

»Vielleicht ist sie so zickig wie ihre Mutter und sowieso falsch erzogen«, gab er verärgert zurück.

»Dazu kann ich nichts sagen, ich kenne deine Tochter ja viel zu wenig.«

»Du hast sie aber ohne Weiteres bei dir aufgenommen«, warf er ­aufgebracht ein. »Warum eigentlich?«

»Weil mir das Kind leid getan hat. Außerdem wollte Kathleen meine Eltern überreden, Moni aufzunehmen, damit sie ungestört in den Urlaub fahren konnte. Meine Eltern sind aber noch berufstätig, und eigentlich wäre es auch deine Aufgabe, für deine Tochter in dieser Hinsicht zu sorgen.«

Er bedachte sie mit einem wütenden Blick und erwiderte: »Ich sorge für sie.«

»Ja, ich weiß, du zahlst, aber du liebst dein Kind offenbar nicht. Kathleen liebt es übrigens auch nicht, vom Stiefvater ganz zu schweigen. Die haben ja ihren kleinen Vico, den sie verhätscheln und verziehen und der sich alles erlauben darf. Er ist ja angeblich so ein empfindsames Kind. Für mich ist er ein Frechdachs.«

»Das hast du innerhalb kurzer Zeit herausbekommen«, entgegnete er ironisch.

»Dazu gehört nicht viel«, konterte Rosita mit mühsamer Beherrschung. »Ich habe Augen im Kopf und Ohren zum Hören. Und es ist beschämend, was ihr euch als Elternpaar da geleistet habt. Ihr denkt an euch selbst – zuerst. Euer Kind scheint euch nicht wichtig zu sein.«

Das saß! Stefan Siebrandt schaute betreten auf seine eleganten Schuhe und gab innerlich zu, es sich viel zu leicht gemacht zu haben. Er kannte Kathleen doch zur Genüge, wusste, wie oberflächlich sie war, dass sie von Arbeit und Verantwortung nicht viel hielt. Mit der Erziehung eines Kindes war sie vermutlich überfordert.

»Was soll ich denn tun?«, würgte er schließlich kleinlaut hervor. »Ich kann sie doch nicht zu mir nehmen. Das lässt mein Beruf gar nicht zu.«