Sophienlust - Viola Maybach - E-Book

Sophienlust E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. E-Book 1: Sie schenkte Susi Mutterliebe E-Book 2: Nur Liebe macht Kinder glücklich E-Book 1: Sie schenkte Susi Mutterliebe E-Book 2: Nur Liebe macht Kinder glücklich

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Inhalt

Sie schenkte Susi Mutterliebe

Nur Liebe macht Kinder glücklich

Leseprobe

Sophienlust – Doppelband 2 –

Sophienlust

Viola Maybach

Sie schenkte Susi Mutterliebe

Für ein kleines Mädchen verändert sich die Welt

Auf Gut Sophienlust herrschte Sonntagsfrieden. Denise von Wellentin war mit den Kindern zur Kirche gefahren. Das Erntedankfest wurde gefeiert. Beladen mit Blumen und Früchten, hatten selbst die Kleinen Gefallen an diesem Kirchenbesuch gefunden, der sonst ihre Ungeduld manchmal auf eine so harte Probe stellte.

Nur Justus war im Hause.

Mit einem Besuch war heute nicht zu rechnen, denn nach der Kirche fanden sich alle im »Grünen Baum« zum Festtagsschmaus zusammen, an dem auch die Schoeneckers teilnahmen.

So wunderte sich Justus sehr, als ein Wagen vorfuhr, dem ein Herr und eine Dame entstiegen. Aber ein freundliches Lächeln ging über sein Gesicht, als er Dr. Günther Berkin erkannte.

»Hier ist es aber ruhig«, meinte Günther Berkin verwundert.

Justus erstattete Bericht. Dr. Berkin hatte seinen Besuch nicht angekündigt. Er hatte seine kleine Tochter Susanne überraschen wollen.

Da er geschäftlich in Deutschland zu tun hatte, wollte er die Gelegenheit wahrnehmen, Ines Jakobus, die nicht mehr nur seine Sekretärin war, mit Susanne bekannt zu machen.

Ines, die sich während der letzten Wochen sehr zu ihrem Vorteil verändert hatte und sehr weiblich und anmutig wirkte, sah dieser ersten Begegnung mit dem Kind allerdings recht besorgt entgegen.

»Sie werden sich schon zum ›Grünen Baum‹ begeben müssen«, meinte Justus höflich. »Sie werden erst nachmittags zurückkommen und abends ist dann Erntetanz. Da werden Sie auch Ihren Spaß haben.«

Nach solchem Spaß war es den beiden nicht so recht zumute. Sie hatten den weiten Flug von Johannesburg hinter sich, und morgen musste Günther Berkin schon zu seinen geschäftlichen Besprechungen weiterreisen. Es blieb ihnen nicht viel Zeit, Susanne darauf vorzubereiten, was sich auch in ihrem Leben ändern würde, denn Günther und Ines hatten den Entschluss gefasst, zu heiraten und Susanne zu sich zu nehmen.

Aber Ines sank das Herz jetzt ganz tief, wenn sie dieses wunderschöne Haus sah, die wundervolle Umgebung, in die dieses große Gut eingebettet war.

Würde sich die kleine Susanne, die so sehr an ihrem Freund Nick hing, von hier trennen wollen, fragte sie sich. Mit mütterlicher Güte hatte Denise von Wellentin das mutterlose Kind zu sich genommen und es behutsam mit ihrem Vater zusammengeführt.

Ines liebte Günther Berkin, aber sie machte sich keine Illusionen, dass für ihn vorerst das Wohl seines Töchterchens über allem stand, dessen Liebe er sich hatte erringen müssen.

»Es hat sich allerlei getan bei uns«, erzählte Justus weiter, aber das Meiste wusste Günther Berkin schon aus den Briefen, die sein Töchterchen Claudia oder Denise von Wellentin diktiert hatte. Günther Berkin war auch bereits informiert, dass Irene von Wellentin, Dominiks Großmutter, den Weg zum Herzen ihres Enkels gefunden hatte, während ihr Mann, von dem sie seit einigen Wochen getrennt lebte, noch immer hochmütig darauf beharrte, dass Denise, die frühere Tänzerin, nicht als eine Wellentin anerkannt werden dürfe.

»Sie wollen doch Susi nicht jetzt schon holen«, meinte Justus erschrocken. »Das wird uns aber hart ankommen.«

Günter Berkin und Ines Jakobus blickten sich an. Sie wussten nicht, wie sich das Kind entscheiden würde.

»Die Kinder fühlen sich ja so wohl hier«, fuhr Justus fort. »Neulich hat Frau von Wellentin, die Großmama, noch die kleine Marlies gebracht, und nächste Woche kommen wieder zwei Kinder. Das Haus wird langsam voll, aber schön ist es und zufrieden sind alle, die Kleinen und die Großen. Und die neue Schule müssen Sie sich ansehen, Herr Doktor. Das alles haben wir unserer verehrten jungen gnädigen Frau zu verdanken.«

*

Fast die gleichen Worte musste Denise von Wellentin eben aus dem Mund des Pfarrers vernehmen. Es war ihr gar nicht recht, so in den Blickpunkt gerückt zu werden, aber der Erntedanktag bot einen willkommenen Anlass, ihre Verdienste zu würdigen.

Sie hatte Liebe und Güte gesät, und nun konnte auch sie erstmals reiche Ernte halten. Von überall wurden ihre Beweise der Dankbarkeit, Verehrung, Bewunderung und Liebe zuteil.

Sie saß zwischen Dominik und Susanne Berkin, auf dem Platz der verstorbenen Sophie von Wellentin, deren Vermächtnis sie verwaltete. Hinter ihnen saßen Claudia und ihr Verlobter Dr. Lutz Brachmann mit den Kindern Mario und Roli, mit Frau Trenk und ihrem Sohn Robby. Auf der hintersten Bank des Seitenflügels hatten Irene von Wellentin mit Edith Gerlach und der kleinen Petra Platz genommen. Sie zeigte sich heute zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit, ohne ihren Mann, aber an der Seite ihres Schützlings.

Denise gegenüber saßen Alexander von Schoenecker und seine Kinder Sascha und Andrea. Immer wieder trafen sich ihre Blicke, als der Pfarrer von der großen Aufgabe sprach, die Denise auf sich genommen hatte, zum Wohle heimatloser Kinder, zum Wohle eines ganzen Dorfes, das sich glücklich schätzte, sie in ihrer Mitte zu wissen.

»Schön hat er gesprochen, Mami«, stellte Nick fest.

Was Denise verlegen machte, erfreute ihn. Er hatte es gern, wenn seine Mami bewundert wurde, denn sie verdiente es. Dominik konnte das schon ganz genau beurteilen, denn er hatte ja alles von Anfang an mitgemacht. Sie hatte das Baby Petra aufgenommen und nun auch Edith Gerlach, die es in tiefster Not vor die Tür gelegt hatte. Seine Mami hatte Robby mitgebracht und dafür gesorgt, dass seine Mutter wieder gesund wurde und nun auch bei ihnen bleiben konnte. Susanne und Mario gehörten sowieso schon zur Familie und Roli hatte sogar das Lachen wieder gelernt. Von der Großmama und Onkel Alexander ganz zu schweigen. Man musste seine Mami lieb haben, fand Dominik, und er verstand es auch, dass Sascha und Andrea viel lieber hier waren als bei ihrer Großmutter.

Bald gingen sie gemeinsam zum »Grünen Baum«, wo die Festtafel gedeckt war.

Vorerst galt das Interesse der Kinder jedoch den Karussells, die auf der Wiese vor dem Gasthof aufgebaut worden waren.

»Komm, Susi, wir fahren mit dem roten Auto«, schlug Dominik seiner kleinen Freundin vor, als diese sich plötzlich umdrehte, weil jemand ihren Namen gerufen hatte.

»Papi!«, rief sie atemlos. Mit einem Jubelruf stürzte sie dem schlanken sonnengebräunten Mann in die Arme.

Er fing sie auf und drückte sie an sich, während Ines schnell ein paar Schritte zurückgewichen war, um diese Wiedersehensfreude nicht zu stören.

»Du hast gar nicht geschrieben, dass du kommst«, meinte Susanne vorwurfsvoll. »Jetzt muss ich Tante Isi erst einmal fragen, ob es für dich auch etwas zu essen gibt.«

»Das Essen ist mir nicht so wichtig, Susi«, erwiderte er zärtlich. »Da ist noch jemand, der dir guten Tag sagen möchte. Tante Ines.«

Der Name Ines war Susanne mittlerweile schon vertraut. Er kam in allen Briefen vor, die ihr Papi ihr geschrieben hatte.

Schüchtern lächelnd streckte sie ihr die Hand entgegen. »Fein, dass ich dich auch kennenlerne«, meinte sie zutraulich. »Ich dachte, du würdest erst nächstes Jahr Urlaub bekommen, Papi«, wandte sie sich an ihren Vater.

»Ich bin geschäftlich hier, und da mussten wir dich doch besuchen«, meinte er.

»Das will ich meinen«, rief Susanne. »Bis zum nächsten Jahr ist es sowieso noch so lange. Jetzt muss Tante Isi aber Ines auch kennenlernen.«

Denise brauchte nur einen langen Blick auf Ines Jakobus zu werfen, um zu wissen, dass Dr. Berkin eine gute Wahl getroffen hatte. Allerdings fürchtete sie gleich, dass sie Susanne mitnehmen wollten. Daran schien das Kind jedoch nicht zu denken.

»Dann werde ich euch jetzt gleich mit den anderen Kindern bekannt machen«, schlug Susanne vor. »Jetzt sind wir schon sieben und wenn wir Sascha und Andrea dazurechnen, neun. Wir sind froh, dass wir Frau Trenk und Edith haben. Wie lange bleibt ihr?«, sprudelte es über ihre Lippen.

»Darüber sprechen wir später«, meinte Günther Berkin ausweichend.

Das Auto war Dominik nicht mehr wichtig. Er ging zu seiner Mutter.

»Susis Vater ist gekommen«, stellte er sinnend fest, »und eine Frau hat er auch mitgebracht. Wollen sie Susi etwa holen?«

»Du bist doch ein vernünftiger Junge, Nick«, begann sie, aber er fiel ihr gleich ins Wort: »Immer wenn du so anfängst, willst du, dass ich etwas einsehe, was ich gar nicht gern möchte, Mami.«

»Aber Susi hat jetzt ihren Vati, und sie hat ihn doch auch lieb. Es wäre doch zu verstehen, wenn er sie mit sich nehmen will.«

Dominik schob die Unterlippe vor. »Ich will nicht, dass wir Kinder aufnehmen, die wir dann wieder hergeben müssen«, brummte er. »Wir haben uns dann alle schon lieb und sollen wieder auseinandergerissen werden. Daran kann ich mich nicht gewöhnen.«

Zum Glück kamen jetzt Sascha und Andrea herbei und brachten Dominik auf andere Gedanken.

»Wo steckt ihr denn? Wir haben euch schon so lange gesucht«, riefen sie. »Papi verdreht schon die Augen, weil die Frau Bürgermeister so auf ihn einredet. Hilf ihm doch mal ein bisschen, Tante Isi.«

Man passt sowieso schon viel zu sehr auf uns auf, dachte Denise. So gern sie auch mit Alexander von Schoenecker beisammen war, inmitten der Dorfbevölkerung vermied sie es doch lieber.

Aber beim Essen saßen sie dann doch nebeneinander, und Alexander stieß einen erleichterten Seufzer aus.

»Ich dachte schon, ich würde dich heute gar nicht mehr zu Gesicht bekommen«, raunte er ihr zu. Unauffällig streifte er ihre Hand, aber schon diese flüchtige Berührung ließ das Blut schneller durch ihre Adern fließen.

Die Kinder hatten einen Tisch für sich. Da ging es lebhaft zu. Nur Susanne war heute stiller als sonst. Immer wieder blickte sie zu ihrem Papi und Ines hinüber.

Sie war nett, sie gefiel ihr, es kam ihr nur ein bisschen komisch vor, dass ihr Papi sie mitgebracht hatte.

»Ob er sie heiraten will?«, raunte sie Dominik zu. Der war durch das Essen abgelenkt und fragte:

»Wer? Wen?«

»Papi – die Ines«, erwiderte sie. »Wie gefällt sie dir?«

»Wenn sie dich mitnehmen wollen, gefällt sie mir nicht«, erwiderte Dominik ziemlich laut. Seine Mutter drehte sich zu ihm um und warf ihm einen mahnenden Blick zu.

Aber auch Ines hatte seine Bemerkung vernommen und wusste, dass diese sie betraf, denn Susanne blickte zu ihr hinüber.

Susanne senkte den Blick. »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Mir gefällt sie eigentlich, auch wenn sie mich mitnehmen wollen.«

»Sie haben uns den ganzen schönen Tag verdorben«, erklärte Dominik mürrisch.

»Nein, das haben sie nicht«, protestierte Susanne. »Du würdest dich auch freuen, wenn dein Papi dich besucht.«

»Ich habe keinen und will keinen haben«, trumpfte Dominik auf. »Ich habe Onkel Alexander, und das genügt mir.«

Denise hatte Dominiks heftige Bemerkung vernommen, aber auch Alexander hatte sie gehört. Er schüttelte verneinend den Kopf, als sie zu den Kindern gehen wollte, und schon hatte er sich erhoben und ging zu ihnen.

»Na, worum geht es denn, ihr beiden?«, fragte er beiläufig.

»Um den Papi«, erwiderte Susanne rasch. »Ich freue mich, dass er gekommen ist, und Nick freut sich nicht.«

»Das verstehst du sicher falsch, bestimmt freut er sich auch.«

»Nein, ich freue mich nicht«, sagte Dominik trotzig.

»Er will keinen Papi haben«, erklärte Susanne aggressiv. »Ihm genügt es, dass er dich hat.«

Alexander wusste nicht recht, ob es ihn freuen oder traurig stimmen sollte. Ein Problem warf sich auf jeden Fall für die Zukunft auf. Ein Problem, das bewältigt werden musste, wenn er und Denise an ein gemeinsames Leben denken wollten.

Dominik äußerte sich nicht. Er lief einfach weg, und Susanne sah ihm verdutzt nach.

»Sonst ist er doch so gescheit, Onkel Alexander«, stellte sie fest. »Was soll ich nur tun, dass er wieder lieb ist?«

»Gar nichts einstweilen«, meinte er. »Er wird schon einsehen, dass er diesmal nicht im Recht ist. Geh nur zu deinem Papi. Er ist doch zu dir gekommen.«

»Tante Isi versteht das doch auch?«, fragte sie ängstlich.

»Natürlich versteht sie dich, Susi.«

*

Indessen hatten sich Sascha und Andrea zu Dominik gestellt. »Hast du dich mit Susi gestritten?«, erkundigte sich Andrea teilnahmsvoll.

»Nein, wir haben nur nicht die gleiche Meinung«, erwiderte Dominik. »Soll sie doch mit ihrem Papi gehen, wenn sie meint, dass es in Johannesburg schöner ist als hier.«

»Das meint sie bestimmt nicht«, versicherte Andrea, »aber jedes Kind will doch dort sein, wo es einen Papi oder eine Mami hat.«

Sie hatte mehr Verständnis dafür, denn bis vor Kurzem hatten sie auch nicht so recht gewusst, wohin sie gehörten.

»Ich glaube, sie hat noch nicht mal was dagegen, wenn ihr Papi die Ines heiratet«, sagte Dominik ungehalten.

»Bist du etwa böse, dass Dr. Berkin nicht deine Mami heiraten will?«, fragte nun Sascha.

Dominik sah ihn entgeistert an. »Nein, natürlich nicht«, erwiderte er aufgeregt.

»Na, siehst du. Dann brauchst du doch auch nicht böse zu sein, wenn er eine andere Frau heiraten will. Und dann ist es doch ganz klar, dass sie Susi mitnehmen wollen.«

»Ich bin ja nicht mehr böse«, gestand Dominik kleinlaut, »ich bin froh, dass ich euch habe.«

»Und wir bleiben ja immer hier«, versicherte Andrea. »Wenn wir auch in Schoeneich wohnen, wir können uns doch jeden Tag sehen. Du darfst es Susi nicht so schwer machen, sonst geht sie traurig fort.«

Für sie stand nun schon fast fest, dass Susi sie verlassen würde, und darüber sprach eben Günther Berkin mit seiner kleinen Tochter.

*

»So recht zu freuen scheinst du dich gar nicht, Susi, dass wir gekommen sind«, hatte Günther Berkin das Gespräch eröffnet.

»Doch, schon, ich freue mich sehr. Es ist etwas anderes, was mich traurig macht«, hatte sie darauf erwidert.

»Was macht dich traurig?«

»Dass Nick nicht versteht, wie sehr ich mich freue«, erwiderte sie. »Ich kann doch nichts dafür. Ich habe dich sehr vermisst, Papi, wenn es auch schön ist in Sophienlust. Ich habe dich doch nur so ganz kurze Zeit gehabt bisher.«

Es war seine Schuld gewesen, aber es rührte ihn unsagbar, dass sie es ihm nicht nachtrug und ihm ihr kleines Herz schenkte.

»Ich hatte auch große Sehnsucht nach dir, Susikind. Und ich möchte so gern, dass wir uns nicht mehr trennen müssen. Ich habe ein hübsches Haus in Johannesburg gefunden. Ines hat mir dabei geholfen, und sie würde auch sehr gern«, er unterbrach sich, weil er nicht wusste, wie er es ihr sagen sollte.

»Was möchte sie sehr gern?«, fragte Susanne sinnend.

»Ich möchte Ines heiraten, damit du eine Mami hast«, entgegnete er.

»Nur damit ich eine Mami habe?«, fragte sie beklommen. »Nicht auch, weil du sie lieb hast?«

Von dem Kind vor eine solche Gewissensfrage gestellt, sah sich Günther Berkin arg in Bedrängnis gebracht. Ines war ein feiner Mensch. Er wusste, dass sie ihn niemals enttäuschen würde. Aber so tiefe Gefühle, wie ein Mann wohl empfinden sollte in einer solchen Situation, wollte er gar nicht mehr empfinden. Alle Liebe wollte er Susanne geben, seinem Kind, das diese Liebe fünf Jahre hatte entbehren müssen. Sein Schuldbewusstsein gegenüber seinem Kind war stärker als seine eigenen Erwartungen von einer Ehe.

»Du musst sie doch lieb haben, wenn sie meine Mami werden soll«, drängte Susanne. »Wir müssen uns dann alle lieb haben. Tante Claudia hat neulich zu Tante Isi gesagt, dass man eine Ehe gar nicht erst beginnen sollte, wenn man nicht genau weiß, dass man sich sehr liebt.«

Günther Berkin starrte seine kleine Tochter an. Ein fünfjähriges Kind erteilte ihm eine Lektion in Sachen Liebe und Ehe.

»Natürlich werde ich Ines lieb haben«, erwiderte er gedankenverloren. »Sie ist ein Mensch, der es verdient. Würdest du mitkommen, mein Kleines?«, fragte er beklommen.

»Wenn du ein Haus hast und eine Frau und ich eine Mami – o ja, ich würde schon ganz gern mitkommen, wenn Nick und Tante Isi mir nicht böse sind. Sie waren alle schrecklich lieb zu mir, Papi, du musst das verstehen.«

»Ich verstehe es ja«, erwiderte er leise und streichelte behutsam ihre Wange. »Ich wollte dir nur die Entscheidung überlassen, mein Kleines. Wenn du lieber doch bis zum nächsten Jahr bleiben willst, werde ich es akzeptieren.«

Sie dachte nach. »Nein, ich glaube, ich würde dann doch lieber gleich mitkommen, Papi.«

»Dann ist ja alles gut«, erwiderte er erleichtert. »Jetzt sagen wir es Ines – oder was meinst du?«

»Ich möchte gern mal allein mit ihr reden«, erklärte Susanne zu seiner Überraschung.

*

Nun stand es fest. Susanne würde sie schon in ein paar Tagen verlassen, wenn Dr. Berkin seine geschäftlichen Angelegenheiten erledigt hatte.

Dominik bemühte sich, eine gleichmütige Miene zu zeigen. Leicht wurde es ihm nicht, denn er dachte an die Jahre, die er mit Susanne im Haus Bernadette verbracht hatte.

Roli war es, die ihm das nötige Verständnis beibrachte. »Was meinst du, wie sehr wir dich alle beneidet haben, wenn deine Mami kam und dich besuchte«, sagte sie. »Du hast immer davon geredet, dass sie dich eines Tages holen würde. Das konnten wir anderen nie. Und mich haben sie dann auch noch in ein Waisenhaus gesteckt. Das war schrecklich. Du glaubst gar nicht, wie oft ich gedacht habe: Der Nick wird eines Tages von seiner Mami abgeholt und kann bei ihr bleiben. Aber ich wusste doch nicht, dass Susi einen Vater hat, der sie auch gern bei sich haben möchte. Es ist das Schönste, Nick, wenn man wenigstens einen Menschen ganz für sich allein hat.«

Nick dachte nach, und er kam zu der Überlegung, dass Roli, Mario und Marlies eigentlich ganz traurig dran waren, weil sie überhaupt keine Angehörigen mehr hatten. Keine Mami, keinen Papi und auch keine Großeltern.

Sascha und Andrea hatten ihren Vater. Sie hatten auch eine Großmutter, wenngleich diese Dominik nicht so ganz geheuer war. Robby und Petra hatten eine liebe Mutter. Und er selbst? Er hatte Mami, Tante Claudia und Onkel Lutz, eine liebe Omi und nicht zuletzt Onkel Alexander, Sascha und Andrea. Dazu noch Justus, Urban, Lena und Magda und wen man alles sonst noch einbeziehen wollte. Die Ponies und Sentas junge Hunde. Die schönen Pferde und Kühe und ganz Sophienlust, das ihm gehörte, wie Mami ihm immer wieder versicherte.

Wenn er einmal groß war, würde er noch viel reicher sein als Hubert von Wellentin, dieser eigenartige Großvater! Das hatte ihm Omi gestern erst gesagt.

Ungerecht durfte man nie sein, man musste Verständnis für den anderen haben. Und nun sah er den Zeitpunkt für gekommen, sich ganz mit Susanne auszusöhnen.

Er ging in ihr Zimmer, es war ganz dunkel.

»Schläfst du schon, Susi?«, raunte er.

»Nein, ich kann nicht schlafen«, kam die Antwort. »Du warst böse mit mir, Nick. Das tut mir weh.«

»Du darfst nicht böse sein. Ich habe über alles nachgedacht«, wisperte er. »Wenn wir uns lieb behalten, können keine Grenzen trennen. Weißt du, wie Mami uns das mal gesagt hat?«

»Ich weiß es noch ganz genau. Ich kann doch nichts dafür, dass Johannesburg so schrecklich weit weg liegt, Nick. Aber dort hat Papi eine so gute Stellung, und ein Haus hat er auch schon für uns. Und Ines ist doch wirklich lieb. Du hattest deine Mami immer, Nick. Ines hat gesagt, dass das für ein Kind viel wichtiger ist als alles andere. Sie weiß es, weil sie auch keine Mutter gehabt hat. Ich werde dich schon sehr vermissen, Nick, aber wir können uns ja schreiben.«

Täppisch streichelte Nick ihre Hände, und so nahmen sie eigentlich schon in dieser Stunde voneinander Abschied.

Tränen flossen erst, als Dr. Berkin und Ines eine Woche später kamen, um Susanne zu holen.

Ob sie Freunde fürs Leben bleiben würden? Es stand wohl außer Frage, denn Dr. Berkin würde es Denise niemals vergessen, was sie für sein Kind und auch für ihn getan hatte.

*

Irene von Wellentin schickte sich an, ihren täglichen Besuch in Sophienlust zu machen, als der Wagen ihres Mannes vorfuhr.

Von Scheidung wurde einstweilen nicht mehr gesprochen, obgleich sie fest entschlossen dazu gewesen war. Er nahm das in seiner Selbstüberheblichkeit jedoch als Zeichen ihrer Nachgiebigkeit und wollte sie wieder ganz auf seine Seite bringen.

Sein Ansehen hatte unter der Trennung gelitten. Er hatte erkennen müssen, dass man sich auf die Seite seiner Frau geschlagen hatte, und das wurmte ihn maßlos.

»Ich hoffe, du wirst eine Stunde Zeit für mich haben«, erklärte er unwillig, als sie keine Anstalten machte, sich in ein Gespräch mit ihm einzulassen.

»Meine Zeit ist kostbar geworden«, erwiderte sie kühl.

»Ja, ja, ich weiß, du musst sie mit der Betreuung von diesen Kindern in Sophienlust verbringen«, meinte er sarkastisch. »Mach dich doch nicht lächerlich, Irene. Damit polierst du unseren angeknacksten Ruf auch nicht mehr auf.«

»Ich tue es, weil es mir Freude macht und weil ich endlich zu etwas nützlich bin.«

Er runzelte unwillig die Stirn. »So kann es doch nicht weitergehen«, brummte er. »Du lebst hier, ich in der Stadt. Ich bin gekommen, um mit dir über eine vernünftigte Lösung zu diskutieren.«

»Was verstehst du schon unter einer vernünftigen Lösung. Du wirst mir Bedingungen auferlegen, die ich nicht erfüllen kann und will. Ich fühle mich ganz wohl so.«

Er sah sie irritiert an. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie mit fliegenden Fahnen zu ihm zurückkehren würde, wenn er den ersten Schritt tat.

»Ich muss schon sagen, du hast dich sehr verändert«, fuhr er fort. »Musste es sein, dass du dich sogar eines Arbeiterkindes annimmst? Die Sorge, welche Kinder nach Sophienlust kommen, könntest du doch zumindest der Initiatorin dieses seltsamen Unternehmens überlassen.«

»Du vergisst wohl, dass die eigentliche Initiatorin deine Mutter war, Hubert«, erklärte sie gelassen. »Denise führt nur aus, was sie gewollt hat.«

»Aber sie scheut sich nicht, schon wenige Monate nach dem Tode dieser großherzigen Frau, der sie alles zu verdanken hat, auf dem Erntefest mit Schoenecker zu tanzen. Ich muss schon sagen, dass ich das recht eigenartig finde.«

Nun geriet er doch wieder in sein altes Fahrwasser, und Irene von Wellentin setzte eine abweisende Miene auf.

»Du hast den wenigsten Grund, Denise anzugreifen«, erklärte sie eisig. »Wenn sie mir nicht zugeredet hätte, wäre die Scheidung längst eingereicht. Ich dulde nicht, dass du sie beleidigst. Ich habe sie kennengelernt und bereue tief, dass ich ihr nicht sofort die Hand geboten habe. Ich bin durch sie und Dominik auf dem Wege, ein glücklicher Mensch zu werden. Das lasse ich mir nicht zerstören. Und nun möchte ich fahren. Dr. Baumgarten kommt heute und untersucht die Kinder.«

»Irene, noch auf ein Wort, bitte. Glaubst du, dass du dem Ruf des Heimes einen Gefallen tust, wenn du ein Kind aus asozialen Verhältnissen, wie es Marlies Nickel ist, dort unterbringst?«

Sie wich seinem Blick nicht aus. »Was meinst du mit asozialen Verhältnissen? Dass Nickel nicht genug verdient hat, um seine Familie anständig zu ernähren, ist doch auch deine Schuld. Die Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern ihnen nicht mehr bieten können.«

»Jeder wird nach Leistung bezahlt«, knurrte er. »Mich wundert, dass ihr nicht gleich die ganze Familie in Sophienlust eingenistet habt«, höhnte er.

»Denise hat gewisse Richtlinien, außerdem kommen die anderen Nickel-Kinder schon altersmäßig nicht mehr infrage.«

Er zuckte mit den Schultern. Das Thema Nickel war ihm nicht sympathisch. Er hatte schon von anderer Seite deswegen Vorwürfe vernehmen müssen.

»Ich wollte dir vorschlagen, Irene, dass wir ein paar Wochen gemeinsam verreisen«, lenkte er ab.

»Ich war lange genug verreist. Du solltest dich lieber mehr um die Fabrik kümmern. Ich bin daran interessiert, dass mein Vermögen erhalten bleibt, wenn ich es schon in der Firma lasse.«

»Damit du es eines Tages auch dem Kinderheim Sophienlust hinterlassen kannst?«, fragte er anzüglich.

»Dort wäre es besser angelegt«, erwiderte sie unberührt. »Ich will dir nicht den Stuhl vor die Tür setzen. Du kannst wiederkommen, wenn du anderen Sinnes geworden bist. Aber nur dann!«

Und damit sah er sich verabschiedet.

*

Der ärztlichen Untersuchung, die mit einer Grippeschutzimpfung verbunden war, sahen die Kinder mit gemischten Gefühlen entgegen. Aber Dr. Baumgarten brachte seine Frau und seine beiden Söhne Friedel und Axel mit, die sich langsam mit dem Kinderheim Sophienlust vertraut machen sollten, denn auch sie sollten hier bald für einige Wochen sein, wenn Barbara Baumgarten ihr drittes Kind zur Welt brachte.

Dr. Werner Baumgarten verstand es, mit Kindern umzugehen. Er war ein guter Arzt, ein Universalgenie, wie Alexander von Schoenecker den Mann seiner Cousine Barbara bezeichnete. Wald- und Wiesendoktor wurde er von Hubert von Wellentin allerdings genannt.

Ihm machte das nichts aus, wenn es ihm zu Ohren kam. Er hatte Humor, und von Hubert von Wellentin hielt er ohnehin nichts. Er wunderte sich nur über Irene von Wellentin, die sich so energisch gegen ihren Mann gestellt hatte.

Sie war es jetzt auch, die die Kinder beschwichtigte und dem Arzt gemeinsam mit Claudia zur Hand ging.

Barbara nutzte die Gelegenheit, mit Denise zu sprechen.

»Wollte Xander nicht auch Sascha und Andrea bringen?«, fragte Barbara lächelnd. »Für ihn sind die Stunden in Sophienlust doch die schönsten seines Lebens.«

Glühende Röte schoss Denise in die Wangen. Sie sah sich bereits durchschaut, und dabei dachte sie doch, dass sie ihre Gefühle für Alexander von Schoenecker so gut zu verbergen verstünde.

»Wir brauchen uns doch nichts vorzumachen, Isi«, meinte Barbara. »Ich weiß längst, dass Xander Sie liebt. Und zum ersten Mal in seinem Leben ganz bewusst liebt. Sybille hat ihn betört, aber Sie haben alle die Gefühle in ihm geweckt, die er ihr nicht geben konnte. Er ist es wert, geliebt zu werden, Isi. Ich sehe keinen Grund, dass Sie sich und Ihre Gefühle vor der Welt verstecken sollten.«

»Grund?«, fragte Denise gedankenvoll. »Ist dies hier kein Grund? Ich habe doch erst begonnen und kann nicht alles hinwerfen. Und dann sind da auch die Kinder. Seine und Dominik. Und nicht zu vergessen die Baronin Klee.«

»Nun, die dürfen Sie ruhig Xander überlassen«, meinte Barbara gelassen. »Sie wird sich nicht mehr einmischen.«

Denise sah die junge hübsche Frau gedankenvoll an. »Ja, ich liebe Alexander«, gab sie zu. »Warum soll ich es leugnen, da Sie es doch ohnehin wissen, aber wir wissen auch, dass wir uns gedulden müssen.«

»Schön, zugegeben, aber wartet nicht gar zu lange. Denkt auch an eure Kinder. Für diese kleinen Trabanten hier wird sich dann schon jemand finden, der das Begonnene fortsetzt.«

Sie schob ihre Hand unter Denises Arm und ging mit ihr weiter in den Park hinein.

»Ja, es ist ein Paradies«, stellte sie fest. »Schoeneich kann damit nicht Schritt halten.«

»Oh, ich finde es dort auch sehr hübsch«, stellte Denise mit einem flüchtigen Lächeln fest.

»Das höre ich gern, und jetzt, nachdem es renoviert ist, ist auch Sybilles Geist aus seinen Räumen verbannt. Zugleich mit ihrem Bild. Das hat Sie doch belastet, Isi.«

Es war keine Frage, sondern eine ganz schlichte Feststellung. Denise blickte zu Boden. Buntes Laub bedeckte die Parkwege. Es raschelte unter jedem Schritt. Herbst war es geworden, und der Winter stand vor der Tür.

»Sie werden mich vielleicht nicht verstehen, Babs«, erklärte sie verhalten, »aber ich fühle mich Sophie von Wellentin so zu Dank verpflichtet, dass ich meine persönlichen Wünsche zurückstellen muss.«

Barbar blickte bekümmert drein. Da waren zwei Menschen, die wie füreinander geschaffen waren. Aber selbstlos auf ein Glück verzichten wollten, das ihnen doch die schönste Erfüllung bringen konnte. Aber sie spürte auch, dass sie jetzt nicht mehr dazu sagen durfte.

Denise wollte ihren Weg gehen, und Alexander respektierte dies. »Ich bin so beruhigt, meine beiden Rangen hier so gut untergebracht zu wissen, wenn sich unser Nesthäkchen anmeldet«, lenkte sie ab. »Aber da kommt ja Alexander.«

Er hatte sie bereits gesucht. Denise merkte sofort, dass er niedergeschlagen war, und auch Barbara entging es nicht.

»Ärger gehabt?«, fragte sie ihn.

»Reden wir nicht davon«, brummte er. »Wie geht es dir, Babs?«

»Blendend, wie du siehst. Ich wünschte, aus deinem Munde das Gleiche zu hören.«

»Und wie geht es Ihnen, Denise?«, fragte er dann leise.

»Sie hat Angst vor der Spritze«, lächelte Barbara, »aber tut euch keinen Zwang an. Vor mir braucht ihr euch nicht zu siezen.«

Da kam jedoch Andrea schon angesprungen. »Schon vorbei mit dem Impfen«, schmetterte sie. »Tag, Tante Baby, guten Tag, Tante Isi.«

»Wo steckt Sascha?«, fragte Barbara.

»Hat Papi es noch nicht gesagt? Großmama hat ihn von der Schule abgeholt. Nach Schoeneich kommt sie aber nicht. Sie bleibt in der Stadt. Na, erbaut war Sascha nicht, aber sie wollte mit ihm seinen Geburtstag noch nachfeiern, hat sie gesagt.«

Deswegen war Alexanders Miene also so düster.

»Einfach so ohne Ankündigung?«, brummte Barbara. »Das finde ich aber schon ein bisschen komisch.«

»Ich sollte natürlich auch in der Stadt bleiben«, erzählte Andrea unbekümmert weiter, »aber ich habe gleich gesagt, dass ich keine Lust habe. Sascha hat doch sonst so eine große Klappe. Aber vor Großmama hat er scheinbar richtig Angst.«

»Er will sie nur nicht verletzen«, lenkte Denise ein. Sie erträgt es nicht, dass er sich bei seinem Vater wohlfühlt, dachte sie.

»Nun bist du an der Reihe, Mami«, kam Dominik angestürmt. »Wir hatten gar keine Angst, nicht wahr, Andrea? Nur Marlies hat ein bisschen geweint.«

Denise durfte den Kindern unmöglich zeigen, dass sie ängstlich war. Aber nach ihrem schweren Sturz hatte sie so viele schmerzhafte Spritzen bekommen, dass sie einfach Furcht hatte.

Doch dann war alles so schnell vorüber, dass sie nur staunen konnte.

»Papi ist eben doch der beste Doktor«, schrie Frieder.

»Eine Stimme hat der Bengel, furchtbar«, stöhnte Barbara. »Nimm dich zusammen, Frieder, sonst darfst du nicht nach Sophienlust.«

»Ich möchte aber hin«, säuselte er. »Ich schreie ja nicht immer. Kann ich nicht gleich hierbleiben, Mami?«

»Da siehst du es«, sagte Barbara zu ihrem Mann. »Denise muss einen Zauber an sich haben, dass kein Kind mehr weg mag.«

Sie sah dabei Alexander an. Ihn hatte sie jedenfalls restlos verzaubert.

*

»Du darfst dir wünschen, was du willst, Sascha«, sagte Baronin Klees immer wieder zu dem Jungen.

»Ich wünsche mir eigentlich gar nichts«, erwiderte Sascha scheu. »Ich habe doch alles.«

»Hast du denn so viele Geschenke bekommen?«, fragte sie im beleidigten Ton.

»Nein, viel eigentlich nicht, aber schöne Sachen. Von Papi einen Sattel …«

»So ein großer Junge sagt doch nicht mehr Papi«, fiel sie ihm ins Wort. »Früher hast du es doch auch nicht gesagt«, meinte sie vorwurfsvoll.

»Früher haben wir uns auch lange nicht so gut verstanden«, erwiderte er. »Da war ich ja immer bei dir oder im Internat.«

»Aber als deine liebe Mutti noch lebte, warst du daheim. War es da nicht schöner?«

»Warum musst du mich immer wieder daran erinnern, Großmama?«, fragte er. »Ich wüsste es doch gar nicht mehr, wenn du nicht dauernd von ihr gesprochen hättest.«

»Einer muss doch die Erinnerung an eure Mutter aufrechterhalten, die euch so sehr geliebt hat«, sagte die Baronin gereizt. »Euer Vater tut das ja nicht.«

»Und Marie sagt, dass sich unsere Mutter gar nicht um uns gekümmert hat«, erwiderte er trotzig. »Marie muss es ja wissen. Sie war immer da und hat auf uns aufgepasst.«

»Es wird also alles getan, um die Erinnerung an eure Mutter in euch zu töten«, stieß sie heftig hervor.

»So ist es doch auch nicht«, meinte Sascha. »Es wird nur nicht dauernd über sie gesprochen. Tante Isi erzählt Nick ja auch nicht dauernd was von seinem Vater.«

»Tante Isi«, fauchte die Baronin wütend. »Ich finde es ungeheuerlich, dass euer Vater von euch verlangt, dass ihr sie so nennt, diese billige kleine Tänzerin.«

Sascha starrte sie bestürzt an. »Das darfst du nicht sagen«, begehrte er auf. »Tante Isi ist eine wunderbare Frau. Der Pfarrer hat es sogar am Erntedanktag von der Kanzel gesagt, und alle anderen Leute sagen es auch. Ich will nicht, dass du so über sie redest, Großmama. Sie hat so viel Gutes getan. Du bist ungerecht. Ich will gar nichts mehr von dir geschenkt haben. Ich möchte nach Hause.«

»Wie du willst«, rief sie zornig. »Ich habe ja geahnt, dass es so kommen würde. Eines Tages wird dein Vater sie noch heiraten.«

Beinahe hätte Sascha gesagt, dass ihn das nur freuen würde, aber im letzten Augenblick wurde ihm bewusst, dass er damit alles nur noch schlimmer machte, und er schwieg.

Die Baronin Klees aber überlegte krampfhaft, was sie unternehmen könnte, um Alexander zu treffen. Es gärte und brodelte in ihr. Sie ertrug den Gedanken einfach nicht, dass die Kinder glücklich und zufrieden waren. Sie hatte immer gehofft, dass sie von sich aus den Wunsch äußern würden, wieder zu ihr zu kommen. Und nun sah sie sich enttäuscht und fühlte sich gedemütigt.

»Ich weiß gar nicht, was du willst, Großmama. Papi hat dir doch Muttis Bild geschickt. Das wolltest du doch haben. Er hat dir doch jeden Gefallen getan.«