Harte Zeiten - Marietta Brem - E-Book

Harte Zeiten E-Book

Marietta Brem

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Beschreibung

Wir lernen die Geschichte kennen, die einmal dazu führen wird, dass es, viele Jahre später, zur Gründung von 'Sophienlust' kommen wird. Der Weg dahin schildert eine ergreifende, spannende Familiengeschichte, die sich immer wieder, wenn keiner damit rechnet, dramatisch zuspitzt und dann wieder die schönste Harmonie der Welt ausstrahlt. Das Elternhaus Montand ist markant – hier liegen die Wurzeln für das spätere Kinderheim, aber das kann zu diesem frühen Zeitpunkt noch keiner ahnen. Eine wundervolle Vorgeschichte, die die Herzen aller Sophienlust-Fans höherschlagen lässt. »Wie stellst du dir das eigentlich vor, Stefanie? Willst du tanzen, bis du dich wegen deines dicken Bauches nicht mehr bewegen kannst?« Denise reichte der Freundin nach dem Unterricht die Tasche. Eigentlich wollte sie sich in Stefanies Leben nicht über Gebühr einmischen, doch jetzt sah sie ihr an, dass es ihr nicht gut ging. Sie, Denise, durfte nicht länger schweigen und so tun, als sei alles in Ordnung. Immer wieder war Stefanie während des Unterrichts nach draußen gelaufen, weil sie sich übergeben musste, und ihr Gesicht war so blass, dass es einem der Lehrer mit Sicherheit ohnehin bald auffallen würde. »Kommst du noch mit auf einen Kaffee?« Stefanie machte ein unglückliches Gesicht. »Ich mag hier nicht reden. Noch sieht man es ja nicht.« »Das wird sich bald ändern«, meinte Denise trocken und griff nun nach ihrer eigenen Tasche. »Geht klar, lass uns nach draußen gehen. Für einen Kaffee reicht die Zeit sicher nicht mehr, denn Marcel will mich heute mal wieder abholen. Doch wir können uns auf die Mauer setzen und dort eine Weile reden.« Sie legte der Freundin die Hand auf den Arm. »Stef, du weißt ja auch, dass du bei uns jederzeit willkommen bist. Da hätten wir genügend Zeit, alles zu besprechen. Und die nötige Ruhe gibt es da auch, damit du dich ein bisschen erholen kannst. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn du dich dazu entschließen könntest, ein paar Tage bei uns zu verbringen.

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Sophienlust, wie alles begann – 7 –

Harte Zeiten

In der Familie Montand ist allerhand los!

Marietta Brem

»Wie stellst du dir das eigentlich vor, Stefanie? Willst du tanzen, bis du dich wegen deines dicken Bauches nicht mehr bewegen kannst?« Denise reichte der Freundin nach dem Unterricht die Tasche. Eigentlich wollte sie sich in Stefanies Leben nicht über Gebühr einmischen, doch jetzt sah sie ihr an, dass es ihr nicht gut ging. Sie, Denise, durfte nicht länger schweigen und so tun, als sei alles in Ordnung.

Immer wieder war Stefanie während des Unterrichts nach draußen gelaufen, weil sie sich übergeben musste, und ihr Gesicht war so blass, dass es einem der Lehrer mit Sicherheit ohnehin bald auffallen würde.

»Kommst du noch mit auf einen Kaffee?« Stefanie machte ein unglückliches Gesicht. »Ich mag hier nicht reden. Noch sieht man es ja nicht.«

»Das wird sich bald ändern«, meinte Denise trocken und griff nun nach ihrer eigenen Tasche. »Geht klar, lass uns nach draußen gehen. Für einen Kaffee reicht die Zeit sicher nicht mehr, denn Marcel will mich heute mal wieder abholen. Doch wir können uns auf die Mauer setzen und dort eine Weile reden.« Sie legte der Freundin die Hand auf den Arm. »Stef, du weißt ja auch, dass du bei uns jederzeit willkommen bist. Da hätten wir genügend Zeit, alles zu besprechen. Und die nötige Ruhe gibt es da auch, damit du dich ein bisschen erholen kannst. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn du dich dazu entschließen könntest, ein paar Tage bei uns zu verbringen. Dein Jens wird schon nichts dagegen haben.«

Stefanie nickte. »Ich weiß«, gab sie bedrückt zu. »Doch das wird mir auch nicht viel weiterhelfen. Ich freu mich ja auf mein Kind, doch meine ganze Lebensplanung ist damit futsch.« Offensichtlich war sie, wie in der letzten Zeit häufiger, den Tränen nahe. »Ich würde ja gern zu dir kommen, doch im Moment habe ich die innere Ruhe nicht dazu, einfach abzutauchen und alles hinter mir zu lassen.«

»Ich verstehe dich ja, Stef«, versuchte Denise, die Freundin zu beruhigen. »Wenn ein Ereignis unverhofft eintritt, stehen wir vor einer Mauer und wissen nicht, wie wir drüberkommen sollen. Am liebsten würden wir einfach weitergehen und hindurchlaufen. Oben drüber geht meist nicht, weil die Mauer einfach zu hoch ist.« Sie versuchte ein kleines Lachen. »Du musst ja auch nicht. Ich will dir nur sagen, dass ich für dich da bin, ohne Wenn und Aber, ohne Wertung und auch ohne Schulmeisterei.«

Stefanie umarmte die Freundin kurz. »Ich weiß das, Denise«, sagte sie leise und war schon wieder den Tränen nahe. »Versteh mich bitte nicht falsch. Du bist meine einzige Zuflucht, dennoch bin ich im Augenblick nicht in der Lage, mit dir über alles zu sprechen. Solange ich nicht selbst zumindest den Ansatz einer Lösung habe, muss ich es mit mir allein abmachen.«

»Möchtest du trotzdem noch einen Kaffee trinken?« Denise tat auf einmal ihre Ablehnung von vorhin leid. Stefanie brauchte jetzt wirklich einen Menschen an ihrer Seite, der alles so akzeptierte, wie sie es für sich brauchte, ohne lange zu fragen, ohne zu werten. »Marcel muss dann halt kurz warten. Er wird es überstehen«, fügte sie lächelnd hinzu.

Stefanie schüttelte traurig den Kopf. »Ich hab es mir überlegt. Zurzeit habe ich für nichts einen Kopf. Ständig kämpfe ich mit der Frage, was ich tun soll. Deine Nähe ist beruhigend für mich, und mir graut jetzt schon vor den nächsten Tagen, wenn wir uns nicht sehen können. Doch helfen kannst auch du mir nicht. Ich muss einen Weg finden, den ich gehen kann, nicht nur für den Augenblick, sondern auf lange Sicht, bei dem ich auch meinem Kind gerecht werden kann.«

Erschrocken blieb Denise stehen. »Meinst du, du denkst über eine mögliche Adoption nach? Könntest du dir vorstellen, dieses kleine Wesen, das in dir wächst, einfach fremden Leuten zu überlassen?«

Stefanie schüttelte heftig den Kopf. »Das ist ja das Problem. Natürlich würde ich nie mein Kind hergeben. Ich trage es seit zwei Monaten unter dem Herzen, und inzwischen ist es bereits ein Teil von mir geworden. Mich bewegt mehr die Frage, ob ich mein Kind allein aufziehen oder mit Jens auf Dauer zusammenbleiben möchte, soweit das mit ihm überhaupt möglich ist.«

Denise seufzte hörbar. Jetzt war ihr doch ein schwerer Stein vom Herzen gefallen. »Wir finden eine Lösung«, stimmte sie ihr zu und umarmte sie innig. In der Ferne sah sie Marcels Wagen herankommen. Eigentlich hatte sie gar keine Lust auf den Heimweg mit ihm, wäre lieber mit dem Zug gefahren, um noch etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Doch er hatte sich einfach nicht davon abbringen lassen, sie abzuholen. Ihm würde zu Hause die Decke auf den Kopf fallen, hatte er behauptet, was sie gut verstehen konnte. Seit Marcel arbeitslos war, machte er öfter einen ziemlich deprimierten Eindruck, obwohl er sich sehr bemühte, es ihr nicht zu zeigen.

Schon war der Wagen vorgefahren.

»Marcel ist da«, flüsterte sie Stefanie zu, die sich sofort aus ihren Armen löste. »Bitte mach keinen Unsinn, Stefanie«, sagte sie der Freundin zum Abschied und schaute sie liebevoll an. »Du weißt …«

»Ich weiß, ich darf immer zu euch kommen, wenn ich es nicht mehr aushalte.« Stefanie lächelte und nickte. »Jetzt ab zu Marcel, ehe er ungnädig wird. Er scheint es eilig zu haben. Er schaut schon auf seine Armbanduhr«, fuhr sie lächelnd fort. Sie mochte Denises Freund zwar nicht sonderlich, kannte ihn eigentlich auch gar nicht, von einigen ganz kurzen Begegnungen abgesehen. Seit Denise ihr versichert hatte, dass sie nicht vorhatte, ihn oder sonst einen Mann in den nächsten Jahren zu heiraten, war sie allerdings beruhigt.

»Pass auf dich auf, Liebes«, rief Denise ihr noch zu, dann lief sie eilig zu Marcels Auto, das er im Halteverbot geparkt hatte. Jetzt kam er lächelnd auf sie zu und breitete die Arme aus.

Denise blieb erschrocken stehen. So überschwänglich hatte sie ihn noch nie erlebt. »Hast du endlich eine Arbeit gefunden?«, fragte sie und spürte bereits, wie sie sich innerlich über die Möglichkeit freute, dass er in Zukunft nicht mehr ganz so viel Zeit für sie haben würde.

Marcel ließ überrascht die Arme sinken. »Wie kommst du denn da drauf?«, fragte er statt einer Begrüßung. »Sehe ich so aus?«

»Ich dachte nur, du wirkst so fröhlich und entspannt, als hättest du eine gute Nachricht zu verkünden.«

»Könnte dafür nicht der Grund sein, dass ich mich sehr freue, dich zu sehen?«

»Na ja, ich weiß es nicht«, antwortete Denise irritiert und ließ es zu, dass er sie heftig umarmte und in der Luft herumschwenkte. »Lass mich runter«, wehrte sie sich nach einem kuren Moment und trommelte mit beiden Händen auf seine Oberarme. »Was sollen denn meine Freundinnen denken? Und die Lehrer …«, fügte sie verlegen hinzu und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu lösen. Schneller als sie gedacht hatte, stand sie wieder auf festem Boden. »Ich möchte nach Hause.«

Marcel kaute auf seiner Unterlippe, als wollte er etwas sagen, ohne zu wissen, wie er am besten anfangen sollte. Er öffnete Denise die Tür und ließ sie einsteigen, dann schwang er sich selbst hinters Steuer. »Bist du sehr müde?«, fragte er mitfühlend, ehe er startete.

»Müde und irgendwie frustriert.«

»Was ist denn passiert?«

»Eigentlich nichts. Es hat mit Stefanie zu tun, sie hat Probleme, und ich weiß keine Lösung.«

»Warum denkst du, dass du die Probleme anderer Leute lösen musst? Liebe Denise, du bist für dein eigenes Leben verantwortlich, das du so gut wie möglich hinkriegen solltest. Dann kommen deine Eltern, dein Bruder, und unter ferner liefen hoffentlich auch noch ein bisschen ich. Deine Freundin ist alt genug, für sich selbst zu sorgen, sie hat Eltern und einen wohlhabenden Verlobten.«

»Das ist es ja gerade«, murmelte Denise.

»Was oder wer? Der Verlobte? Ich dachte, die beiden lieben sich. Oder gibt es da etwas, das ich noch nicht weiß?«

»Könnte schon sein, aber ich darf es dir nicht sagen. Es ist eine Sache zwischen Stefanie und mir. Und jetzt lass uns von etwas anderem reden, oder besser, eine Weile schweigen.«

Plötzlich lag Marcels Hand auf ihrer Linken, die sie in das Sitzpolster gekrallt hatte. Die Berührung war weich und warm und eigentlich nicht unangenehm. Dennoch fehlte etwas, das sie im Moment jedoch noch nicht benennen konnte. Fast war sie versucht, sich ihm zu entziehen, doch das hätte er ihr mit Sicherheit und auch mit Recht übelgenommen. Also holte sie tief Luft und versuchte, an etwas anderes zu denken.

»Ich dachte, wir könnten nach Straßburg fahren und dort eine Nacht bleiben«, begann er leise. »Du weißt, dass ich da eine kleine Wohnung von meiner Patentante geerbt habe. Ich wollte dort ohnehin mal wieder nach dem Rechten sehen. Bei deinen Eltern habe ich bereits angedeutet, dass wir vielleicht erst morgen zurückkommen.«

»Sie hatten nichts dagegen?« Denises Frage klang wie ein Aufschrei. »Meine Mutter hat dem zugestimmt?« Sie konnte es nicht fassen.

»Sie hat jedenfalls nichts dagegen gesagt«, versicherte Marcel und lächelte in sich hinein. »Ich dachte, wir machen uns einen gemütlichen Abend, bummeln durch die Straßen und träumen ein bisschen.« Offensichtlich hatte Marcel die feste Absicht, den Tag romantisch ausklingen zu lassen.

In Denise schrillten sämtliche Alarmglocken. Sie sah sich plötzlich in derselben Situation wie ihre Freundin Stefanie, in Erwartung eines Kindes von einem Mann, mit dem sie bestimmt nicht ihr ganzes Leben verbringen wollte. Sie spürte, wie sie innerlich erstarrte. Es war nicht mehr weit bis zur Abfahrt der Schnellstraße, die nach Hause führte. Wenn sie nicht gleich ein Veto einlegte, wären sie in einer halben Stunde in Straßburg …

»Das … das geht nicht«, stammelte sie. »Ich hab nichts für eine Übernachtung dabei, und …«

»Und?«, fragte Marcel gedehnt. »Das ist das kleinste Problem. Wir können in Straßburg etwas Hübsches für dich kaufen«, fügte er mit leiser Stimme hinzu, die alles sagte, was er mit Worten nicht aussprechen wollte.

»Ich will nicht.« Endlich hatte sie die Worte gesagt, die ihr die ganze Zeit im Hals steckten. »Ich will nach Hause, bin müde und …«

»Und?«, fragte er erneut und steuerte den Waldparkplatz an, der sich parallel zur Straße befand. Bedächtig schaltete er dort den Motor aus. »Was ist los?«, fuhr er fort, als Denise nicht antwortete. »Du musst doch gespürt haben, dass zwischen uns mehr ist als das, was bis jetzt war.«

»Ich hab nichts gespürt.« Plötzlich kam sich Denise vor wie ein kleines Kind. Natürlich hatte sie geahnt, dass es so harmlos, wie ihre Freundschaft bis jetzt verlaufen war, nicht auf Dauer weitergehen konnte. Doch sie hatte es immer ganz gut geschafft, den Kopf in den Sand zu stecken und sich zu sagen, dass alles ganz anders als normalerweise war. Jetzt jedoch war der Moment gekommen, in die Realität zurückzukehren.

»Wen oder was siehst du in mir, Denise? Einen Kumpel, einen Bekannten … einen väterlichen Freund?« Bei Letzterem wurde Marcel richtig übel. Sich vorzustellen, er sei der väterliche Freund dieses bezaubernden Wesens bereitete ihm fast körperliche Schmerzen.

Denise holte tief Luft, dann begann sie zu kichern. »Väterlicher Freund«, prustete sie los. »So alt bist du nun auch wieder nicht. Kumpel passt da schon wesentlich besser. Ich mag dich, bin gern mit dir zusammen, und wenn ich dich brauche, bist du meistens da.«

»Genau das meine ich. Ich bin für dich lediglich ein Gebrauchsgegenstand, nicht mal ein enger Freund.« Er wusste, dass es nicht ganz so war, wie er behauptete, doch er wollte sie herausfordern, ihm endlich ihr wahres Gesicht zu zeigen, ihr Herz zu öffnen.

»Bitte, Marcel, so ist das doch nicht.« Denises Lachen war ihr im Hals stecken geblieben. »Ich weiß, was du von mir erwartest, und ich hab dir bereits einmal gesagt, dass ich dafür noch nicht bereit bin. Selbst für die Zukunft kann ich dir nichts versprechen. Ich hab dich sehr gern, und ich kann mir nicht vorstellen, dass du aus meinem Leben verschwindest, doch mein Leben beginnt gerade erst, während du bereits zwei Beziehungen hinter dir hast.«

»Ach, das ist es.« Er ließ sich diese Worte auf der Zunge zergehen. »Du bist eifersüchtig auf die Frauen vor dir. Das musst du nicht. Es gehört nicht zu meinen Eigenschaften, die Frauen miteinander zu vergleichen, die in mein Leben treten. Alles hat seine Zeit, und ich habe mich in dich verliebt, kleine Denise.« Jetzt wurde seine Stimme wieder sanft und zärtlich. »Willst du es dir nicht noch mal überlegen? Wir müssen ja nicht …« Er schwieg verlegen. Seltsamerweise waren in seiner Brust zwei verschiedene Gefühle für das junge Mädchen, das jetzt etwas verschüchtert neben ihm im Auto saß. »Ich wollte nur einfach ein paar Stunden am Stück mit dir verbringen, mit einem Stadtbummel, einem schönen Abendessen und …«

»… und einer gemeinsamen Nacht«, vollendete sie den angefangenen Satz. »Bitte, lass uns nach Hause fahren.« Ihre Stimme zitterte, sie war den Tränen nahe. Immer wieder sah sie die blasse, unglückliche Stefanie vor sich, und auf einmal war sie selbst in dieser Situation, verzweifelt und ohne eine Idee, wie es weitergehen sollte. »Du kannst nichts dafür, Marcel. Du bist ein erwachsener Mann, und dass du Bedürfnisse hast, weiß ich. Aber … aber ich bin nicht die, die sie dir erfüllen kann. Bitte, sei nicht sauer auf mich.«

Marcel gestand sich zähneknirschend ein, dass weitere Überredungsversuche zwecklos waren. Ohne ein weiteres Wort startete er das Auto und trat etwas zu heftig aufs Gas. Empört heulte der Motor auf. »Mist«, zischte er, blinkte und fuhr auf die Schnellstraße. Ohne mit der Wimper zu zucken ignorierte er die Abfahrt, die nach Straßburg führte, und folgte der alten Route, die sie immer nahmen, wenn er sie abgeholt hatte. Ob das noch oft geschehen würde wusste er im Augenblick allerdings nicht, so verbittert, wie er war.

Kaum eine halbe Stunde später fuhr er in ihre Straße ein. »So, gleich sind wir da«, knurrte er. »Ich wünsche dir einen schönen Abend. Erhol dich gut.« Er schaute sie nicht an.

»Kommst du noch einen Augenblick mit hinein?« Sie hoffte, er würde ablehnen, denn sie hielt es im Moment kaum mehr aus in seiner Nähe.

Marcel schüttelte den Kopf. »Wozu?«, fragte er desinteressiert. »Ich hab zu Hause noch einiges zu erledigen. Bewerbungen schreiben sich nicht von selbst. Ich muss sehen, dass ich endlich wieder eine Arbeit kriege, sonst werde ich noch wahnsinnig in dieser Situation. Alles, was ich anfasse, rieselt mir wie Sand zwischen den Fingern hindurch.« Für einen kurzen Augenblick verlor er die Kontrolle, riss sich aber gleich wieder zusammen.

»Marcel, ich …«

»Ist schon in Ordnung. Du bist wirklich noch sehr jung und unerfahren. Deine Entscheidung war die richtige, das bescheinige ich dir hier und jetzt. Und nun ab mit dir, sonst überlege ich es mir noch.« Endlich wandte er ihr das Gesicht zu, wieder sein undurchsichtiges, freundliches Lächeln präsentierend.

Eilig sprang Denise aus dem Auto, holte vom Rücksitz ihre Tasche, warf ihm eine flüchtige Kusshand zu und rannte ins Haus, als sei der Teufel hinter ihr her.

»Bin wieder da«, rief sie, als sie die Diele betrat.

Miauend kam Blümchen, ihre geliebte Katze, die Treppe herunter. Alles ganz normal, alles wie immer. Und doch empfand Denise plötzlich so eine Freude, dass sie in Tränen ausbrach.

»Was ist denn passiert, Liebes?« Eva kam aus der Küche und trocknete ihre Hände an der bunten Schürze ab. »Ich dachte, ihr wolltet über Nacht in Straßburg bleiben.« Es kostete sie sehr viel Kraft, Denise nicht zu zeigen, wie erleichtert sie war, dass sie ihr Kind wieder zu Hause und unter Aufsicht hatte.

»Nicht wir wollten, Marcel wollte«, konterte Denise und gab sich verärgert. »Hättest du es nicht verbieten können? Immerhin bin ich deine Tochter und du meine Mutter. Du hast mich in eine echt schwierige Situation gebracht.« Hastig bückte sie sich und nahm Blümchen auf den Arm.

»Ich dachte, du wolltest das auch«, murmelte Eva geknickt. »Du bist jetzt in dem Alter, in dem …«

»Bin ich nicht, und das weißt du, Mam«, fuhr Denise sie zornig an. »Ich mag Marcel, aber er ist nicht der Mann meiner Träume und schon gar nicht der Richtige für das erste Mal. Ich will mich aufsparen für den, der nicht nur Gast in meinem Leben ist, sondern mit dem ich jeden Augenblick zusammen sein will, bis dass der Tod uns scheidet.«

»Große Worte«, murmelte Eva bedrückt, war dann aber gleich wieder fröhlich. Diese Illusion hatte sie auch einmal gehabt, doch es hatte nicht funktioniert. Dieser Teil ihres Lebens war ihr Geheimnis, nur Pierre kannte Teile davon, aber eben auch nicht alles.

»Wir hatten eine sehr unangenehme, peinliche Unterhaltung. Danach sind wir regelrecht heimgeflogen. Ich hatte den Eindruck, Marcel hätte am liebsten die Abkürzung quer über die Bäume genommen, nur um mich schnell los zu werden.« Sie versuchte zu lachen, doch es blieb ihr im Hals stecken.

Jetzt konnte Eva sich nicht mehr halten. Sie begann zu kichern. Ja, das war Denise, ihre geliebte Tochter, die immer allen alles recht machen wollte und litt, wenn sie es nicht konnte. Nur in ganz besonderen Fällen konnte sie auch stur sein und ihren eigenen Kopf durchsetzen. So wie heute …

»Seid ihr jetzt auseinander?«, fragte Eva nach einer Weile vorsichtig.

»Wir waren nie zusammen«, widersprach Denise heftig. »Ich hab es geahnt, dass dieses Thema irgendwann für ihn wichtig werden würde, doch irgendwie konnte ich diese Vorstellung immer von mir schieben, ohne ausführlich drüber nachzudenken. Dieses Mal aber blieb mir nichts anderes übrig, als ihm meinen Standpunkt klarzumachen, obwohl es mir nicht leicht gefallen ist. Dennoch war es gut. Endlich ist die Situation geklärt. Ob Marcel mir jetzt die sogenannte Freundschaft aufkündigen wird, weiß ich nicht. Doch ehe ich mit ihm ins Bett gehe, verzichte ich lieber auf ihn.« Sie nickte heftig, um ihre Aussage zu bestätigen.

»Du hast dir das gut überlegt?«