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Souvenirs Souvenirs – das transmediale "Wunderkammer"-Projekt; Eine Vitrine voller kleiner Götter, Fundstücke und Kuriosa: Heinz W. Lotz sammelt, was ihm auf Reisen begegnet – vom Bazar-Souvenir bis zum Straßenfund, vom Devotionalienobjekt bis zum Plastikspielzeug. Jedes Stück erzählt eine eigene Geschichte, jedes birgt Erinnerung und Magie. Der Maler Arthur Kunz antwortet darauf mit vielschichtigen Bildern, in denen sich Ernst und Heiterkeit, Block und Gespinst, Farbe und Form begegnen. Der Autor Roland Held verwandelt die Sammlung in literarische Miniaturen – poetisch, assoziativ, überraschend. So entsteht ein vielstimmiges Projekt zwischen Kunst, Literatur und Leben. Eine Wunderkammer, die den Blick auf das Banale wie auf das Bedeutsame neu schärft – und zeigt, wie Dinge zu beseelten Artefakten werden.
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Seitenzahl: 46
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1: Neun Knochen, drei Religionen, ein Tourist
Kapitel 2: (Ohne Titel)
Kapitel 3: Auszug aus dem Silbernen Sutra
Kapitel 4: Krokodilleder und Leberwurstbrot
Kapitel 5: Ohne Titel („Ein Fetisch“)
Kapitel 6: Warum Herr Weh nicht stempeln gehen muss
Kapitel 7: Geboren an Neujahr
Kapitel 8: Wenn die Herzfaser diktiert
Kapitel 9: Auf Laughing Sams Spuren
Kapitel 10: Traum des vom Hitzschlag Darniedergestreckten auf dem Hotelbett in Acapulco
Kapitel 11: Der Holzwurm als Schriftgelehrter
Kapitel 12: Wie man mit 20 Euro einen 453 Jahre alten Bann aufhebt
Kapitel 14: Auf Grenzgang zwischen den Welten
Nachwort: Große Welt und kleine Götter, Geschichtetes und Geschichten - Das transmediale „Wunderkammer“-Projekt dreier Freunde
Impressum
„Hallo Arthur, Das letzte Objekt aus der Wunderkammer ist vielleicht das Erste, das ich erworben habe. Es stammt aus Mombasa, Kenia. Es war ein heißer Tag, schwül, wohl auch dicke Regenwolken am Himmel. Afrika ganz ursprünglich. Die Luft angefüllt mit süßsaurer Zersetzung ... Bananenduft, Hortensien - Fischbrodem (?) und Gerüche nach allerlei Zersetzung. Wir waren unterwegs in der Altstadt am Hafen - Salz und Algenatem, eine Windbrise. Schweiß auf der Haut, Mücken und Moskitogesurr … Dann das angenehme Dunkel einer Ladenbude. Reis, Bohnen und Hirse, sackweise. Palmöl und Kobra. Kanisterweise. Das träge Schwirren eines Deckenventilators. Brumsum. Fermentierter Tee. Tabakblätter. Klebrige Bonbons und Süßigkeiten im Glas. … Wer will nochmal, wer hat noch nicht. Und zwischen all dem: Gruppen von Figuren und Figürchen meist aus Horn und Knochen geschnitzt. Kleine Götter und Göttinen. Herzzerreißend und einfach schön. Vielleicht das Allerschönste: diese kleine Knochenfigur. Grüße Dein Heinz“
Höchst unwahrscheinlich, dass es sich um einen Schweineknochen handelt. Schließlich hat Herr Weh ihn aus einem Land mitgebracht, das einem islamischen Herrscherhaus untersteht. Jordanien – ein lohnendes Urlaubsziel nicht nur wegen des römischen Amphitheaters und des Palasts der Umayyaden-Dynastie, wegen der aus dem roten Fels gehauen Stadt Petra oder, noch weiter südlich, wegen des Rifftauchens vor Aqqaba. Das Tote Meer, tiefster Punkt der Erdoberfläche, verbindet die Erfahrung einer herb-grandiosen Landschaft mit der Gelegenheit zum Heilbaden in einem Element, vom Salzgehalt zehn mal so hoch wie der Ozean und daher physikalisch so dicht, dass auch der Nichtschwimmer darin nicht untergeht.
Ein Magnet für Touristen, die Zeit mitbringen, ebenso wie für die fliegenden Händler, die auf ein schnelles Geschäft aus sind. Sie meinen, Herr Weh als leichte Beute ausgemacht zu haben. Und merkwürdig – alle scheinen Spezialisten zu sein auf dem Gebiet von alten, angegilbten Knochen, jeder mit einer Geschichte aus dem Fundus der abrahamitischen Religionen aufgeladen und daher angepriesen wie eine kostbare Reliquie.
Die Stimmen überbieten, überschreien, überschlagen sich. „Hier ein Stück Unterkiefer des Löwen, dem Samson den Rachen aufriss und trotzdem den Kampf fast verloren hätte, weil er von dem üblen Atem, der ihm aus dem Magen des Raubtiers entgegenschlug, um ein Haar ohnmächtig geworden wäre.“
„Greif bei mir zu, Fremder, auf dass aus Dir auch ein Frommer wird! Dieser Knochen stammt von der Kuh, nach der die zweite und längste Sure des Heiligen Koran benannt ist. Darin erzählt wird, wie Allah, Ehre und Lob sei ihm, dem Einzigen und Größten!, den durch die Wüste wandernden Kinder Israel gebietet, aus der Herde allein ein Exemplar zum Schlachten auszuwählen, welches 'fehlerfrei und makellos' ist und 'weder zu alt noch zu jung'. Kein Knochen also könnte meinen an Ehrwürdigkeit übertreffen.“
„Die Kuh, na schön, sie gibt Milch. Wer aber bespringt die Kuh? Es ist der Stier. Nun wird aber bekanntlich der Stier angebetet nur von den götzendienerischen Heiden. Seinen Knochen als nächstes kommt, schau her, der da. Er gehörte einst dem Ochsen, der im Stall von Bethlehem Richtung Krippe starrte, etwas verständnislos, zugegeben, warum man um das winzige Kind so viel Aufhebens machte.“
„Schenk den anderen bloß keinen Glauben. Sie täuschen Respekt doch nur vor. Ich dagegen garantiere einen Knochen des Esels, des Reittiers, auf dem unser Herr Jesus, König der Könige auch ohne Schwert, Rüstung und Krone, seinen Einzug in Jerusalem hielt.“
„Papperlapapp! Es hätte Deinen Jesus gar nicht gegeben, und die ganze Abstammungsliste wäre abgerissen, hätte Stammvater Abraham damals nicht, statt seinen Sohn Isaak, den Widder geopfert, von dem ich Dir hiermit zu einem Original-Stück Schenkelknochen verhelfen kann.“
„Wenn dieser da meint, Dich mit einer alten Mär einwickeln zu können, dann vermag ich aufzutrumpfen mit einer Tatsache, die noch viel altehrwürdiger ist: was ich in Händen halte, ist ein Knochen aus dem Schädel einer der beiden Giraffen, für die Noah, um ihrem langen Hals, diesem Wunder der Natur, irgendwie gerecht zu werden, ein Loch durch mehrere Stockwerke seiner Arche sägen musste.“
„Was ist ein langes Tier schon gegen ein dickes? Ich rede selbstverständlich von dem Kampfelefanten, der – die 105. Sure des Heiligen Koran berichtet davon – so voller Weisheit war, dass er, als im Jahr der Geburt unseres Propheten, gepriesen sei sein Name!, der Gouverneur des Yemen mit seinem Heer nordwärts zog, sich standhaft weigerte, das Stadttor von Mekka einzudrücken.“
„Giraffen. Elefanten. Warum nicht gleich Sandflöhe und Stechfliegen?! Der Knochen, den ich Dir biete, ist freilich klein im Verhältnis zu dem Ungeheuer, aus dessen Skelett er gebrochen ist: der Wal, von dem der Prophet Noah erst verschlungen, dann wieder ausgespien wurde. Herüber an unser Salzmeer haben ihn vor langer Zeit ein Seebeben und eine Springflut geworfen. Wo mein Ururgroßvater eines Morgens seinen Kadaver fand – was nicht schwer war: einfach immer dem Geruch folgen. Zum Beweis, werter Abendländer, brauchst Du bloß Dein blasses Näschen dran halten.“