Sozialmedizinische Therapie bei psychischen Erkrankungen - Michael Linden - E-Book

Sozialmedizinische Therapie bei psychischen Erkrankungen E-Book

Michael Linden

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Beschreibung

Die Behandlung von psychischen Störungen erschöpft sich nicht nur in der Besserung von Krankheitssymptomen oder -verläufen, sondern muss auch die sozialen Folgen und Einschränkungen der Teilhabe im privaten wie beruflichen Leben berücksichtigen. Dieses Werk bietet eine systematische, kompakte und zugleich fundierte Übersicht über das breite Spektrum an im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen zur Verfügung stehenden sozialmedizinischen Interventionen. Alle Hilfen werden zunächst definiert, um darauf aufbauend die jeweilige Indikation und das praktische Vorgehen anhand von Kasuistiken zu erläutern. Dabei wird verdeutlicht, wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten, Beratungsstellen, Behörden usw. im Interesse der Patienten optimal gelingen kann.

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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort

Geleitwort

Geleitwort

Vorwort

Danksagung

1 Einleitung

1.1 Bio-psycho-soziale Behandlungserfordernisse bei psychischen Störungen

1.2 Sozialmedizin in der Grundversorgung

1.3 Sozialmedizin in der Psychotherapie

1.4 Spektrum sozialmedizinischer Interventionen

1.5 Gemeinwesenarbeit

2 Abstimmung mit Kostenträgern

2.1 Krankenkassen-Fallmanager

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

2.2 Medizinischer Dienst (MD)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

2.3 Rehaberatung und Servicestellen der Renten-‍, Kranken- und Arbeitsversicherung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

2.4 Kommunale Beratungsstellen und Fallmanager

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3 Ko-Therapeuten und interdisziplinäre Behandlungskoordinierung

3.1 Ambulante Komplexbehandlung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.2 Sozialpsychiatrischer Dienst (SpDi)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.3 Soziotherapie

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.4 Psychiatrische häusliche Krankenpflege

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.5 Drogen- und Suchtberatungsstellen

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.6 Ergotherapie

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.7 Physiotherapie

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.8 Selbsthilfegruppen

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.9 Psychoedukative Kurse

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.10 Kooperation und Koordinierung mit Fachärzten und Spezialisten

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.11 Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.12 Soziale Gruppenarbeit

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

3.13 Gruppenpsychotherapie

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

4 Stationäre und einrichtungsbezogene Hilfen

4.1 Krankenhauseinweisung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

4.2 Stationäre medizinische/psychosomatische Rehabilitation

Rehabilitation zu Lasten der Krankenversicherung

Rehabilitation zu Lasten der Rentenversicherung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

4.3 Reha-Nachsorge

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

4.4 Entwöhnungsbehandlung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5 Hilfen zur Teilhabe am Alltagsleben

5.1 Kontakt zu Angehörigen und sonstigen Sozialpartnern

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.2 Lebensberatungsstellen

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.3 Erziehungs- und Familienberatung (EFB)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.4 Familienhilfe, Jugendhilfe, Jugendämter

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.5 Opferhilfe

Traumaambulanz

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.6 Rechtliche Betreuer

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.7 Eingliederungshilfe, Einzelfallhilfe

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.8 Tagesstätten

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.9 Betreutes Wohnen

Therapeutisches Einzelwohnen (TEW)

Therapeutische Wohngemeinschaft (TWG)

Verbundwohnen

Pflegehilfen

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

5.10 Sportverein

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6 Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben

6.1 Grad der Behinderung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.2 Arbeitsunfähigkeits-Atteste

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.3 Stufenweise Wiedereingliederung

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.4 Betriebsarzt/Arbeitgeber

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.5 Betriebsinterne juristische Hilfen

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.6 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.7 Arbeitsagentur

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.8 Integrationsamt

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.9 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) und Integrationsfachdienste

Rehabilitationskliniken und Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR)

Rehabilitationseinrichtungen für psychisch Kranke (RPK)

Berufsförderungswerke (BfW)

Berufsbildungswerke (BBW)

Berufliche Trainingszentren (BTZ)

Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

6.10 Erwerbsminderungsrente (EMR)

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

7 Allgemeine Maßnahmen

7.1 Krankenfahrten und Krankentransporte

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

7.2 Hausbesuche

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

7.3 Gutachterliche Stellungnahmen

7.4 Behandlungskoordinierung und Kontakte zwischen Therapeuten

Für wen/wann indiziert?

Praktisches Vorgehen

8 Sozialmedizinisch relevante Skalen

Global Assessment of Functioning (GAF)-Skala

Persönliche und Soziale Leistungs‍(fähigkeits)-Skala (PSL-Skala)

Instrumental Activities of Daily Living (IADL)-Skala

IMET und IMEP

IMET – Patientenrating: Fragen zu Beeinträchtigungen im Alltag

IMEP – Fremdrating zu Partizipationsstörungen und Beeinträchtigungen im Alltag

Differentieller Lebensbelastungs-Fragebogen (DLB)

DLB – Differentieller Lebensbelastungs-Fragebogen

SIMBO

SIMBO

Mini-ICF-APP

Fremdrating Mini-ICF-APP – Ratingbogen

Selbstrating Mini-ICF-APP-S

Mini-ICF-APP-W zur Beurteilung von Fähigkeitsanforderungen am Arbeitsplatz

Teilhabeplan

Reha-Checkliste

Literatur

Sachwortverzeichnis

Die Autoren

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Linden ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen sowie Psychologischer Psychotherapeut. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie ärztlicher Leiter am Institut für Verhaltenstherapie Berlin (IVB).

Dr. rer. medic. David Schymainski ist Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie), niedergelassen in eigener Praxis in Berlin, und Dozent am Institut für Verhaltenstherapie Berlin (IVB) sowie Selbsterfahrungsleiter.

Michael LindenDavid Schymainski

Sozialmedizinische Therapie bei psychischen Erkrankungen

Ein Leitfaden für die Psychotherapie und psychosomatische Grundversorgung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Heßbrühlstr. 69, 70565 [email protected]

Print:ISBN 978-3-17-045405-7

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-045406-4epub: ISBN 978-3-17-045407-1

Geleitwort

von Tom Bschor

Das deutsche Gesundheitswesen ist einzigartig in Breite und Spezialisierung seiner Hilfsangebote, die zudem der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen. Die umfassende Ausdifferenzierung der Therapie- und Unterstützungsangebote, wie sie im vorliegenden Buch in ihrer Vielfältigkeit umfassend dargestellt wird, führt unweigerlich zu Schwierigkeiten, einen Überblick zu behalten und passgenaue Differenzialindikationen zu stellen.

Mehr noch, die hochgradige Spezialisierung der vielfältigen Akteure birgt immanent die Gefahr, die Auswahl der Hilfsangebote zu wenig nach den spezifischen Bedürfnissen der Betroffenen und zu sehr nach persönlich bekannten oder beherrschten Maßnahmen auszuwählen. Ziel aber muss es sein, dass Behandlungs- und Hilfsempfehlungen von Betroffenen und ihrer individuellen Situation abhängen und nicht von der Person oder Institution, an die sie sich wenden. Es sollte eben nicht jedes Problem wie ein Nagel aussehen, nur weil man lediglich einen Hammer besitzt.

Hier ist das Buch, das Sie in den Händen halten, von unschätzbarem Wert, gibt es doch einen hervorragend strukturierten, umfassenden und verständlichen Überblick über die äußerst vielfältige sozialmedizinische Landschaft. Das Praxishandbuch ermöglicht exzellent, wie aus einem Helikopter zunächst einen gesamthaften Überblick über diese Landschaft zu gewinnen, um dann im Sinkflug sich den verschiedenen Regionen zu nähern und schließlich eine Nahbetrachtung der interessierenden Strukturen vorzunehmen.

Die hochgradige Differenzierung des deutschen Gesundheitswesens hat ihren Preis. Kein europäisches Land gibt gemessen am Bruttoinlandsprodukt so viel für die Gesundheit aus wie Deutschland. Im Jahr 2022 waren dies 12,7 %, während der OECD-Durchschnitt bei 9,2 % liegt. In dieser Größenordnung lag der Anteil in Deutschland bereits im Jahr 1992; seither ist der Prozentanteil kontinuierlich gestiegen und damit stärker als Wirtschaftswachstum und Inflation. Aus vielfältigen Gründen ist ein weiterer überproportionaler Anstieg nicht länger durchzuhalten. Eine entscheidende Strategie hierbei ist, Therapie- und Hilfsmaßnahmen möglichst passgenau nach ihren Erfolgsaussichten auszuwählen und kostenintensive, aber prognostisch wenig aussichtsreiche Verordnungen zu unterlassen. Auch hierfür leistet das Werk von Linden und Schymainski einen äußerst wertvollen Beitrag.

Als ein Hauptgrund für Ineffizienzen des deutschen Gesundheitswesens wird seine ausgeprägte und mit starren Grenzen versehene Zersplitterung in zahlreiche Sektoren angesehen, wie sie sich rechtlich zum Beispiel in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern manifestiert. Wichtige abgegrenzte Sektoren sind der stationäre Krankenhaussektor, der ambulante vertragsärztliche Sektor einschließlich Psychotherapeuten, die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung, der öffentliche Gesundheitsdienst, die ambulante und die stationäre Rehabilitation, die Unfallversicherung und die soziale Pflegeversicherung, um nur einige zu nennen. Ineffizienzen entstehen unter anderem durch hierdurch bedingte Bürokratie, unzureichende Kenntnis voneinander, Informationsverlust beim Übergang vom einen in den anderen Sektor, Doppelstrukturen, ökonomische Fehlanreize und gegenläufige Therapieziele. Die von mir geleitete Regierungskommission hat dieses zentrale Problem in ihrer 10. Stellungnahme und Empfehlung (Überwindung der Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitssystems) adressiert, und es ist ein Glücksfall, dass nahezu zeitgleich das hier vorliegende Werk wertvolle Orientierung und Hilfestellung liefert.

Auch die verschiedenen therapeutischen Berufsgruppen sind in Deutschland zu stark voneinander getrennt, auch in ihrer rechtlichen Verankerung oder ihrer Finanzierung, mit ungünstigen Auswirkungen auf die Zusammenarbeit. Der strikt interdisziplinäre Ansatz des vorliegenden Buches, der sich im ärztlich-psychologischen Autorenteam, vor allem aber in der Breite der behandelten Komplextherapien und in der Breite der Adressaten – die die vielfältigen Heilberufe, die Profession der Sozialen Arbeit, Mitarbeitende in der Verwaltung und weitere Akteure des Gesundheitssystems umfasst – widerspiegelt, ist sehr zu begrüßen.

Letztlich ist die Intention des Buches auch dahingehend zu interpretieren, dass das bio-psycho-soziale Modell, das für die Genese psychischer und psychosomatischer Erkrankungen weithin akzeptiert ist, nun auch im Behandlungsalltag breite Akzeptanz findet. Dem vorliegenden Werk ist eine große Verbreitung zu wünschen und den Autoren zu danken.

Berlin, im Frühjahr 2025

Prof. Dr. med. Tom BschorFacharzt für Psychiatrie und PsychotherapieLeiter der Regierungskommission Krankenhäuseram Bundeministerium für Gesundheit der Bundesrepublik Deutschland

Geleitwort

von Beate Muschalla

Psychotherapie ist im Wesentlichen sozialmedizinische Behandlung: Keine andere Therapieform kann gleichermaßen im bio-psycho-sozialen Sinne der ICF (WHO, 2001) auf Funktionsebene (Symptombehandlung, z. B. Angstreduktion), Fähigkeitsebene (z. B. Soziales Kompetenztraining) und Kontextebene (z. B. Arbeitsplatzanpassung) wirken. Da psychische Erkrankungen ihrer Natur nach in vielen Fällen chronisch verlaufen, geht es in der Psychotherapie dementsprechend auch nicht nur darum, die Symptome bspw. einer einzelnen depressiven Episode zu beseitigen. Ebenso wichtig ist, mit Patienten und ggf ihren Bezugspersonen zu erarbeiten, wie sie mit ihrer Erkrankung über die nächsten Lebensjahrzehnte kommen und wer ihre Ansprechpartner für die Behandlungsoptionen im Verlauf sind. Psychotherapie ist demnach in einem erweiterten Sinn als Lebensspannen-Behandlung zu verstehen. Dies erfordert ein Denken über die kurze Dauer einer Richtlinienpsychotherapie hinaus. Erforderlich ist dabei auch eine Koordination mit zahlreichen Mitbehandlern, Institutionen und dem Arbeitsplatz.

Dem täglichen Engagement vieler Therapeuten in Psychotherapiepraxen oder in Rehakliniken sowie in den Psychotherapeutenkammern und Fachgesellschaften ist es zu verdanken, dass seit 2022 auch für Psychologische Psychotherapeuten die formale Erlangung der Zusatzbezeichnung Sozialmedizin möglich ist und inzwischen auch erste Weiterbildungscurricula »Sozialmedizin für Psychotherapeuten« etabliert wurden, wie z. B. in Niedersachsen. Eine sozialmedizinische Sicht auf Psychotherapie wird bspw. auch von der Deutschen Rentenversicherung gefördert, mit Fachfortbildungen zu sozialmedizinisch relevanten Themen oder neuen Behandlungskonzepten für die Verknüpfung von stationären und ambulanten Rehabilitationsbehandlungen.

Ich freue mich über das Sozialmedizinglossar, das die beiden Kollegen hier vorlegen, da ich selbst bereits in meiner Ausbildung zur Psychotherapeutin sozialmedizinisches Denken kennengelernt habe und dies nun in unserem Institut ein wichtiges Forschungsthema geworden ist und wir den Studenten wie angehenden Psychotherapeuten die sozialmedizinische Perspektive bei Patientenbehandlungen, Befundberichten wie auch Supervisionstätigkeiten vermitteln. Das Sozialmedizinglossar wird im Rahmen der Psychotherapieausbildung vom Masterstudium bis hin zur vertiefenden Fachweiterbildung ein wichtiges Nachschlagewerk sein. Seiner Nutzung und Verbreitung wünsche ich viel Erfolg!

Braunschweig, im Frühjahr 2025

Prof. Dr. phil. Beate MuschallaPsychologische Psychotherapeutin, Zusatzbezeichnung SozialmedizinLeiterin der Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik sowie der Psychotherapieambulanz an der Technischen Universität Braunschweig

Geleitwort

von Jan Podschus

Das gegliederte deutsche Gesundheitssystem bietet kranken Menschen viele Hilfsmöglichkeiten, stellt zugleich aber auch für alle Akteure eine enorme Herausforderung dar. Menschen sollen die Gesundheitsleistungen der präventiven, kurativen und rehabilitativen Medizin erhalten, die ihrem Wohl dienen können. Basierend auf dem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell müssen die Hilfen vernetzt werden, damit eine umfassende und ganzheitliche Unterstützung erfolgen kann. Hierzu ist es notwendig, über den Tellerrand der eigenen Tätigkeit hinauszuschauen und sich eine Übersicht über das Angebot an Gesundheitsleistungen zu verschaffen. Das vorliegende Buch ist dafür bestens geeignet. Ratsuchende brauchen konkrete Hinweise, um die passende Hilfe zu finden.

Forschungsergebnisse zeigen, wie schwierig eine richtige Allokation von gesundheitlichen Hilfen sein kann. Behandler jeder Profession haben eine Pflicht, insbesondere Menschen mit psychischen und psychosomatischen Problemen einen Weg zu weisen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist auch, die konkreten Verwaltungsabläufe zu kennen. Hier sind die auf langjähriger Erfahrung beruhenden Praxisbeispiele im vorliegenden Buch und die Hinweise auf das praktische Vorgehen eine wahre Schatztruhe. Die verwaltenden Kostenträger sind trotz komplexer Bürokratie und diversifizierten Hilfsangeboten kein gefährlicher Minotaurus, den es zu bekämpfen gilt, sondern Hilfe gebende wichtige Kooperationspartner. Mit diesem Glossar liegt ein Leitfaden vor, der im scheinbaren Labyrinth der Verwaltungen ein roter Ariadnefaden sein kann. Oft benötigen Betroffene nur wenige Hinweise, um ihren Weg zu finden. Manchmal ist aber auch ein Case-Manager oder eine gesetzliche Betreuung notwendig, um psychosoziale Not lindern zu können. Selten werden Stellen wie der Sozialpsychiatrische Dienst benötigt, um Gefahren abzuwenden. Seitens der Betroffenen erlebt man dann vielfach Erleichterung, neue Hoffnung und Dank. Auch das Vertrauen in den Sozialstaat, der in der Gesetzgebung festgeschrieben hat, Wünsche, Bedürfnisse und Bedarfe der Notleidenden zu beachten, kann so gestärkt werden. Dies scheint an vielen Stellen zu fehlen und kann vielleicht auch mit Hilfe dieses Sozialmedizin-Glossars gefördert werden.

Ich wünsche mir eine weite Verbreitung sozialmedizinischen Wissens, gerade im Sektor der psychosozialen Medizin. Dieses Buch wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten können.

Berlin, im Frühjahr 2025

Dr. med. Jan PodschusArzt für Psychiatrie und Psychotherapie – SozialmedizinLeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Gesundheitsamt Köpenick/Berlin

Vorwort

Das deutsche Gesundheitswesen kann als eines der besten der Welt angesehen werden. Alle Menschen können ohne finanzielle Einschränkungen medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Es gibt ein breit gefächertes und tief gestaffeltes Angebot der ärztlichen Versorgung, von wohnortnahen Hausärzten und Ärzten1 der Grundversorgung bis hin zu medizinischen Hochleistungszentren. Jeder Patient hat auch direkten Zugang zu Fachärzten und Spezialisten. Zusätzlich gibt es eine im internationalen Vergleich große Anzahl an Psychotherapeuten, die ebenfalls von den Krankenversicherungen mit vielen Behandlungseinheiten bezahlt werden. Zusätzlich arbeiten Zahnärzte, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter und andere Berufsgruppen an der Gesundheitsversorgung der Menschen mit. Schließlich gibt es auch eine große Fülle pflegerischer, beruflicher, finanzieller, beratender und unterstützender Hilfsangebote für körperlich wie psychisch kranke Menschen. Diese werden unter dem Stichwort der »sozialmedizinischen Hilfen« bzw. der »Komplextherapie« oder der bio-psycho-sozialen Therapie zusammengefasst.

Die Breite an Hilfsangeboten kann dazu führen, dass Behandler wie Patienten Schwierigkeiten haben, die vielen Angebote zu überblicken, im Detail zu kennen, bei Bedarf abzurufen und eine sektorenübergreifende Vernetzung sicherzustellen. Dies gilt in besonderer Weise für sozialmedizinische Hilfen und Therapieformen. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, sei es im privaten, beruflichen oder öffentlichen Raum, ist für Betroffene ebenso wichtig wie die Reduktion von Krankheitsprozessen oder -beschwerden im engeren Sinne. Patienten haben ein Recht auf eine ganzheitliche Versorgung, wozu auch diese erweiterten Hilfsmöglichkeiten gehören. Behandler sind verpflichtet, Patienten auf entsprechende Hilfsmöglichkeiten hinzuweisen, sie darüber aufzuklären und ggf. gebotene Schritte einzuleiten. Diesbezüglich werden in Fachkreisen eine Reihe von Stichworten diskutiert, die zum Teil noch in Entwicklung sind, wie beispielsweise: Behandlungskoordination (Absprache zwischen verschiedenen Behandlern), Disease-Management-Programme (strukturierte interdisziplinäre Behandlungsprogramme), Social Prescribing (Verweisung von Patienten an Link Worker, die dann weitere Maßnahmen einleiten), praxisinterne Sozialberatung (Sozialarbeiter kommen in die Praxis), Gesundheitskiosk (niederschwellige Beratungsstellen für Patienten), integrierte Primärversorgungszentren (gemeindebezogene Zentren, die nichtmedizinische Maßnahmen anbieten bzw. vermitteln), Entlassmanagement von Krankenhäusern (Einleitung psychosozialer Hilfen bei Krankenhauspatienten) (Herrmann und Napierala, 2024).

Das vorliegende Buch will eine Informationsquelle und ein Ratgeber sein. Es soll einen Überblick über wichtige sozialmedizinische Interventions- und Hilfsmöglichkeiten geben als Wegweiser durch die vielfältigen therapeutischen Optionen. Es ist ein Nachschlagewerk und Praxishandbuch, in dem die Details der einzelnen Maßnahmen nachzulesen sind, mit Hinweisen, wann welche Intervention bei wem indiziert ist und wie im konkreten Fall vorzugehen ist. Es ist in diesem Sinne auch ein Ideengeber für Therapeuten. Nicht zuletzt ist es ein Lehrbuch für Studenten und vor allem für Ärzte und Psychotherapeuten, die eine sozialmedizinische Fortbildung anstreben.

Das Buch ist entstanden auf dem Hintergrund mehrerer empirischer Studien zur sozialmedizinischen Therapie durch Hausärzte oder Psychotherapeuten (Linden, 2016; Muschalla et al., 2013; Schymainski et al., 2021, 2022). Eingeflossen sind langjährige Erfahrungen in der medizinischen Rehabilitation. Dennoch kann bei der Komplexität der Materie und den sich ständig im Wandel befindlichen Angeboten nicht sichergestellt werden, dass jedes Detail korrekt ist. Von daher wären wir jedem Leser dankbar, der uns auf Punkte hinweist, die zu ergänzen, zu präzisieren oder richtigzustellen sind.

Dennoch hoffen wir, dass das vorliegende Buch eine wichtige Lücke schließt, für die Behandler eine Unterstützung darstellt und den Patienten von Nutzen ist.

Berlin, im Frühjahr 2025

Michael Linden und David Schymainski

Endnoten

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet, das für alle Geschlechter gilt.

Danksagung

Wir möchten uns bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich die Mühe gemacht haben, Entwurfsfassungen des vorliegenden Buchs durchzusehen und wichtige Rückmeldungen zu geben:

Prof. Dr. sc. hum. Maren Bösel, Fakultät für Sozial- und Rechtswissenschaften an der SRH Hochschule, Campus Heidelberg

Dr. med. Ulrich Eggens, Abteilung Rehabilitation und Gesundheitsförderung, Deutsche Rentenversicherung, Berlin-Brandenburg

Prof. Dr. phil. Axel Kobelt-Pönicke, Referent für Rehastrategie und Rehamanagement – Psychosomatik, Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover

Dr. med. Jan Podschus, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes beim Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin

Dr. phil. Ulrike Worringen, Leiterin des Bereichs Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Abteilung Prävention und Rehabilitation, Deutsche Rentenversicherung Bund

1 Einleitung

1.1 Bio-psycho-soziale Behandlungserfordernisse bei psychischen Störungen

Psychische Störungen sind ihrer Natur nach zu einem wesentlichen Teil Langzeiterkrankungen. Dies gilt für hirnorganische Störungen, Suchterkrankungen, schizophrene Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, aber auch viele depressive, somatoforme und Angsterkrankungen. Sie beeinträchtigen daher auch in vielen Fällen die Fähigkeit zur Lebensbewältigung. So sind psychische Erkrankungen laut Sachverständigenrat der Bundesregierung (2015) der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Diese Patienten leiden gleichzeitig auch unter Problemen mit der Teilhabe am sonstigen sozialen Leben im Sinne von Beziehungsproblemen, Schwierigkeiten im Umgang mit Kollegen oder einem eingeschränkten sozialen Netz (Muschalla & Linden, 2011a, 2011b). Sie sind daher klinisch wie auch juristisch als »Behinderung« zu verstehen (Heberlein, 2017). So ist nach § 2 Absatz 1 SGB IX (Sozialgesetzbuch 9) und Bundesteilhabegesetz (BTHG) (2016) von einer Behinderung zu sprechen, wenn Menschen durch ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit in Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Dies entspricht einer ganzheitlichen bio-psycho-sozialen Perspektive in Anlehnung an die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) (WHO, 2001). Diese unterscheidet als Krankheitsmanifestationen bzw. -folgen zwischen Funktionsstörungen (Symptomatik), Fähigkeitseinschränkungen, Kontextbarrieren und Teilhabebeeinträchtigungen.

Fähigkeitseinschränkungen beschreiben transdiagnostisch Probleme in der Ausübung von Aktivitäten, sei es im Privat- oder Arbeitsbereich. Psychische Störungen führen zu Fähigkeitseinschränkungen, die als »soft-skills« bezeichnet werden können und die gerade in der modernen Lebenswelt von besonderer Bedeutung sind. Hierzu zählen die Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen, die Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, die Umstellungsfähigkeit und Flexibilität, die Fähigkeit zur Kompetenz- und Wissensanwendung, die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, die Proaktivität, die Widerstands- und Durchhaltefähigkeit, die Selbstbehauptungsfähigkeit, die Konversations- und Kontaktfähigkeit zu Dritten, die Gruppenfähigkeit, die Fähigkeit zu engen dyadischen Beziehungen, die Fähigkeit zur Selbstpflege und Selbstversorgung, die Verkehrsfähigkeit und Mobilität (Forstmeier et al., 2010; Linden et al., 2022). Personen mit Einschränkungen in derartigen Fähigkeiten haben vielfältige Probleme im Alltag.

Kontextbarrieren umfassen zum einen »Personenfaktoren«. Dazu gehören individuelle Charakteristika wie z. B. das Geschlecht, der Bildungsstand oder das Alter. Diese Parameter werden in der ICF angesprochen, jedoch nicht im Detail ausgeführt. Zum Zweiten gehören zu den »Kontextfaktoren« Charakteristika der Lebensumwelt. Beispiele sind die Wohnverhältnisse, der Arbeitsplatz, die finanziellen Mittel, die Verfügbarkeit von Fortbewegungs- oder Kommunikationsmitteln oder die Gesundheitsversorgung.

Fähigkeiten und Kontext treten nun in Wechselwirkung miteinander. Jede Umwelt stellt eine Reihe unabdingbarer Anforderungen. Eine Wohnung verlangt eine Mindestproaktivität, da ansonsten der Müll nicht entsorgt wird, oder eine Mindestfähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen, da ansonsten Probleme mit Mietzahlungen oder der Hausordnung zu erwarten sind. Am Arbeitsplatz kann Flexibilität gefordert sein, wobei sich das benötigte Mindestmaß je nach Arbeitsstätte unterscheiden kann. Eine Krankenschwester auf einer Station benötigt viel Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, eine Krankenschwester im Blutspendedienst deutlich weniger.

Partizipationsbeeinträchtigungen (Teilhabebeeinträchtigungen) ergeben sich nun aus Problemen in der Person-Umweltpassung. Das Fähigkeitsprofil passt nicht zu den unabdingbaren Umweltanforderungen, so dass eine Person nicht in der Lage ist, ihren Rollen im Privaten, im Beruf oder im sonstigen sozialen Leben zu entsprechen. Eine besondere Herausforderung besteht bei den Patienten, die aus bio-psycho-sozialer Perspektive multiproblembelastet sind, verbunden mit existenziellen Notlagen. Durch eine unzureichende soziale An- und Einbindung fehlt oftmals der Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem (»Hard to reach-Klientel«) (Bösel et al., 2020).

Dies hat unmittelbare therapeutische Konsequenzen. Teilhabebeeinträchtigungen sind für Patienten in vielen Fällen von größerer Relevanz als Befindlichkeitsstörungen. In der Behandlung von Patienten genügt es daher nicht, sich nur mit der Krankheitssymptomatik im engeren Sinne zu befassen. Es bedarf ebenso Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe in allen Lebensbereichen, um den Patienten dabei zu unterstützen, über die Jahre und Jahrzehnte zu kommen, wozu fähigkeits-‍, kontext- und teilhabeorientierte Interventionen gleichermaßen gehören.

1.2 Sozialmedizin in der Grundversorgung

Geht man nach einschlägigen epidemiologischen Studien davon aus, dass etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung unter psychischen Erkrankungen leidet, die zudem ihrer Natur nach in vielen Fällen einen chronischen Verlauf nehmen und regelhaft mit Teilhabebeeinträchtigungen einhergehen (Jacobi et al., 2014), dann stellt sich die Frage, wo und wie diese Kranken mit langzeitiger Perspektive betreut werden. Wegen der großen Zahl der Patienten und der langen Behandlungszeiträume kommt den Hausärzten hierbei eine besondere Bedeutung zu. Sie erbringen die Hälfte aller Leistungen in der Versorgung psychisch Kranker (Hannöver & Hannich, 2015). Sie sind dafür auch qualifiziert, da eine curriculare Weiterbildung in psychosomatischer Grundversorgung eine zwingende Voraussetzung für die Erlangung des Facharztes ist und da sie viele derartige Patienten sehen und über entsprechend viel klinische Erfahrung verfügen. Zudem steht ihnen prinzipiell ein breites Arsenal an somatomedizinischen, pharmakotherapeutischen, psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Interventionen zur Verfügung, die sie persönlich oder in Kooperation mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens durchführen können. Die Kontaktzeiten zu den Patienten sind auf Jahre hin angelegt mit hohen Zufriedenheitswerten auf Seiten der Patienten und klinischen Wirkungen, die mit einer Behandlung durch Spezialisten vergleichbar sind (Bower et al., 1996; Bundesvereinigung, 2006; Gensichen et al., 2013).

In Abgrenzung zur Behandlung durch Spezialisten und auch Psychotherapeuten geht es hierbei um die »Grundversorgung psychisch Kranker«. Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) listet eine ganze Reihe allgemeiner »verbaler therapeutischer Interventionen« auf, wie z. B. die allgemeine Patientenführung und -beratung, die eingehende Beratung, die Psychoedukation, die Behandlung durch ein eingehendes therapeutisches Gespräch oder die Notfallintervention. In der Psychotherapie-Richtlinie wird die Grundversorgung in Abgrenzung zur prozesshaften Psychotherapie definiert als eine möglichst frühzeitige differenzialdiagnostische Klärung psychischer und psychosomatischer Krankheitszustände in ihrer ätiologischen Verknüpfung und unter Gewichtung psychischer und somatischer Krankheitsfaktoren sowie auch als eine seelische Krankenbehandlung durch verbale Interventionen nicht nur bei akuten seelischen Krisen, sondern auch im Verlauf chronischer Krankheiten und Behinderungen, d. h. als eine verbale oder übende Basistherapie psychischer, funktioneller und psychosomatischer Erkrankungen durch den primär somatisch orientierten Arzt (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 1998).

In einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM, 2013) wird ausgeführt, dass sich die Grundversorgung auf alle Beratungsanlässe bezieht und daher unterschiedliche Ziele mit unterschiedlicher Reichweite verfolgt. Sie arbeitet mit einem erweiterten Spektrum von Interventionen einschließlich psychosozialer Interventionen und dient der Einleitung von Leitlinien-gerechten Behandlungspfaden.

Dass dazu auch umfangreiche sozialmedizinische Aktivitäten gehören, zeigte eine Untersuchung von Linden et al. (2016). Dabei zeigte sich, dass 77 % der chronisch psychisch kranken Patienten länger als ein Jahr bei ihrem Hausarzt in Behandlung waren, mit mehrfachen Praxisbesuchen in 92 % der Fälle. Zu den erweiterten sozialmedizinischen und komplementären Interventionen gehörten Arbeitsunfähigkeitsatteste (56 % der Patienten), die Verordnung von Physiotherapie (56 %), die Einleitung einer stationären Rehamaßnahme (41,4 %), Anträge auf Schwerbehinderung (27,4 %), die Verordnung von Stressmanagementkursen (23,1 %), Kontakte zur Arbeitsagentur (22,8 %), Beantragung einer Erwerbsminderungsrente (16,3 %), die Verordnung eines Kommunikationstrainings (12,7 %), Bewegungskurse (11,7 %) Konfliktmanagementkurse (11,7 %), die Förderung von Freizeitaktivitäten (11,7 %), Kontakte mit Fallmanagern der Krankenkassen (11,1 %), Schuldnerberatung (5,5 %), betreutes Wohnen (4,2 %) sowie Einzelfallhilfe (2,3 %). Sozialmedizinische Aspekte spielen in der Grundversorgung also eine große Rolle.

1.3 Sozialmedizin in der Psychotherapie

Psychotherapie ist eine Behandlungsform, die sich vorrangig mit längerdauernden, wenn nicht chronischen Erkrankungen befasst. Es kommen vorrangig Patienten mit Langzeiterkrankungen zur Behandlung aufgrund der bereits angesprochenen Natur psychischer Störungen, aber auch vielfach aufgrund der organisatorischen Rahmenbedingungen (Dizdar, 2019; Linden, 2015; Schymainski et al., 2021). So kann es bis zur Kontaktaufnahme mit einem Therapeuten dauern, in der Regel gefolgt von mitunter zeitraubenden Antragsverfahren. Danach bedeutet »Psychotherapie« im Gegensatz zur Akuttherapie eine längerdauernde Sequenz von aufeinander aufbauenden Sitzungen über viele Monate, wenn nicht Jahre. Die Stundensätze sind gemäß Bewilligungsvorgaben zumeist begrenzt, so dass die Therapie beendet werden muss, unabhängig davon, wie es dem Patienten geht. Dies ist nur bei chronischen Störungen vertretbar. Entsprechend sind auch die Therapieziele in der Psychotherapie meist nicht eine Remission, sondern Symptomlinderung und bessere Krankheitsverarbeitung. Folglich kann Psychotherapie zu einem wesentlichen Teil als Rehabilitationsmaßnahme verstanden werden, unabhängig davon, wer der Kostenträger ist (LindeN, 2008, 2009, 2016). Im § 42, Abs. 2 S. 5 SGB IX wird unter den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die Psychotherapie auch explizit als Behandlungsoption aufgeführt.

Die Bedeutung der Psychotherapie in der Behandlung teilhabebeeinträchtigender chronischer Erkrankungen wird auch zunehmend in der Organisation und Ausbildung von Psychotherapeuten anerkannt. So gibt die Weiterbildungsordnung für den Beruf des Psychotherapeuten die Möglichkeit, eine Schwerpunktqualifikation »Sozialmedizin« erwerben und führen zu können (Worringen et al., 2023). Die Rentenversicherungen erkennen auch von Psychotherapeuten abgefasste Befundberichte für Anträge zur medizinischen Rehabilitation an. In den vergangenen Jahren wurden die Befugnisse von Psychotherapeuten durch Verordnungsmöglichkeiten von z. B. Krankenhausbehandlung, Krankentransport, psychosomatische Rehabilitation und der Soziotherapie erweitert (Gemeinsamer-Bundesausschuss, 2017). Zusätzlich besteht die Möglichkeit zur Verordnung von Ergotherapie und der häuslichen und psychiatrischen Pflege. In den Psychotherapie-Ausbildungsinstituten gibt es entsprechend dieser Entwicklung zunehmend häufiger Seminare zum Thema Sozialmedizin.

Unabhängig von diesen formalen oder juristischen Gegebenheiten kommt der Psychotherapie auch aus fachlichen Überlegungen eine spezielle Rolle in der Sozialmedizin zu. Sie ist die einzige Therapieform, die eine »multiaxial« bzw. »bio-psycho-sozial« orientierte Therapie umfassend ermöglicht. Behandlungsansätze für Funktionsstörungen bzw. Symptomlinderungen sind z. B. eine Angstexposition oder die Modifikation dysfunktionaler Kognitionen. Es gibt eine Reihe fähigkeitsorientierter Therapiemethoden wie z. B. ein Training sozialer, kommunikativer oder lebenspraktischer Fähigkeiten. Kontextorientierte Therapieansätze sind z. B. Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwicklung einerseits, wie Familientherapie oder berufliche Hilfen andererseits.

In der psychotherapeutischen Fallbeschreibung kann beispielsweise die in der Verhaltenstherapie durchgeführte Verhaltensanalyse als Operationalisierung eines mehrdimensionalen bio-psycho-sozialen Krankheitskonzepts verstanden werden (Bördlein, 2016). Es werden intrapsychische Prozesse, Fähigkeiten und Kontextbedingungen in Wechselwirkung miteinander erfasst, um ein Störungsverständnis zu erarbeiten, das dann auf allen angesprochenen Ebenen auch Therapieansätze bietet.

Trotz der Bedeutung des bio-psycho-sozialen Therapieansatzes bei Psychotherapiepatienten gehören derartige Behandlungsmethoden nicht zum engeren Kanon der verfahrensspezifischen therapeutischen Interventionen. Der primäre Fokus liegt typischerweise auf intrapsychischen Prozessen. Vorherrschende Psychotherapiethemen sind in der psychodynamischen Psychotherapie in 29 % interaktionelle Probleme, in 18 % die Symptomatik und in 9 % Verhaltensänderungen bzw. entsprechend in ca. 12 – 16 %, 28 – 39 % und 29 – 62 % in der kognitiven Verhaltenstherapie (Philips, 2009).