Spanisch für Neugierige - José Antonio Salinas - E-Book

Spanisch für Neugierige E-Book

José Antonio Salinas

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Beschreibung

Warum ist das "h" im Spanischen stumm und woher kommt der Buchstabe "ñ"? Wo wird das beste Spanisch der Welt gesprochen und wie ist es überhaupt entstanden? Antworten auf diese und viele weitere spannende Fragen rund um die spanische Sprache erwarten dich in diesem kleinen Band - einfach und unterhaltsam erklärt von Professor Linguini.

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José Antonio Salinas wurde 1977 in Monterrey geboren und lebt in Bonn. Er absolvierte ein Magisterstudium der Psychologie und der Spanien- und Lateinamerikastudien an der Universität Bielefeld, ist Co-Autor des Hörbuchs Eine Reise durch Mexiko (Yucatán) und arbeitet als Übersetzer, Pädagoge und Spanisch-Dozent.

Waldo Matus studierte Kommunikationswissenschaften und Journalismus an der UNAM. Er ist seit 25 Jahren als Illustrator und Cartoonist für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften weltweit tätig. Website und Soziale Medien: www.waldomatus.com.mx / @waldomatus

Für Lucia, Sara und Inga

José Antonio Salinas

Spanisch für Neugierige

Was du schon immer über die spanische Sprache wissen wolltest - erklärt von Professor Linguini

© 2021 José Antonio Salinas

Umschlagbild und Innenillustrationen: Waldo Matus

Übersetzung: Sven Kirschlager und Inga Opitz

Lektorat: Wolfgang Opitz und Inga Opitz

Layout: José Antonio Salinas

Karten: in Anlehnung an iStock.com

Originaltitel des Buches: Español para curiosos. Lo que siempre quisiste saber sobre el español, explicado por el profesor Lingüini

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-347-17107-7

Hardcover

978-3-347-17108-4

e-Book

978-3-347-17109-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigving, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Die Anfänge

1. Wie heißt es richtig: Spanisch oder Kastilisch?

2. Sind die deutsche und die englische Sprache mit dem Spanischen verwandt?

3. Wann ist die spanische Sprache entstanden?

4. Wo finden sich die ersten Spuren des kastilischen Dialekts und wer hat ihn als Erstes niedergeschrieben?

5. Wann sind die ersten literarischen Werke in kastilischem Dialekt erschienen?

6. Wie sind die verschiedenen romanischen Dialekte auf der Iberischen Halbinsel entstanden?

7. Warum war das Kastilische so erfolgreich in seiner Verbreitung auf der Iberischen Halbinsel?

8. Werden Asturleonesisch, Navarro-Aragonesisch und Galicisch-Portugiesisch noch immer auf der Iberischen Halbinsel gesprochen?

9. Hat sich das Judenspanisch aus dem Lateinischen entwickelt?

10. Ist Mallorquinisch aus dem Spanischen hervorgegangen?

Die Reise um die Welt

1. Wann begann die Expansion des Spanischen nach Amerika?

2. Wird auch in Afrika Spanisch gesprochen?

3. Spricht man auch in Asien und Ozeanien Spanisch?

Die Vielfalt

1. Warum verwenden einige Länder Hispanoamerikas das Pronomen vos anstelle von tú!

2. Stimmt es, dass man in Hispanoamerika das Pronomen vosotros gar nicht benutzt?

3. Spricht man das c und das z in Hispanoamerika genauso aus wie in Spanien?

4. Wann und warum kam der Seseo auf?

5. Werden II und y im Spanischen gleich ausgesprochen?

6. Wie spricht man das ll und das y in Argentinien und Uruguay aus?

7. Spricht man das b und das v im Spanischen gleich aus?

8. Wird das s in allen spanischsprachigen Ländern gleich ausgesprochen?

9. Spricht man in Puerto Rico das r wirklich wie ein l aus?

10. Gibt es weitere phonetische Abweichungen vom Standardspanischen?

11. Warum gibt es im Spanischen den Buchstaben h, wenn er doch gar nicht ausgesprochen wird?

12. Warum wird das x im Wort México wie ein Ach-Laut ausgesprochen?

13. Wann und warum ist das ñ entstanden?

14. Sind die Vergangenheitsformen des Spanischen schwer zu erlernen?

15. Werden die Vergangenheitsformen in den verschiedenen spanischsprachigen Ländern unterschiedlich benutzt?

16. Wird in Spanien das bessere Spanisch gesprochen?

17. Können sich spanischsprachige Menschen verschiedener Länder problemlos verständigen?

18. Werden die Unterschiede zwischen den spanischen Sprach Varietäten mit der Zeit größer?

Die Einflüsse

1. Wie stark war der Einfluss der indigenen Sprachen auf das Spanische?

2. Hatten die indigenen Sprachen auch einen Einfluss auf die Phonetik, Grammatik und Syntax des Spanischen?

3. Wann sind afrikanische Sprachen südlich der Sahara mit dem Spanischen in Kontakt getreten?

4. Wie groß war der Einfluss afrikanischer Sprachen auf das Spanische?

5. Haben auch europäische Sprachen das amerikanische Spanisch beeinflusst?

Die Zweit- und Fremdsprache und das Gehirn

1. Steigert das Erlernen einer Zweit- oder Fremdsprache unsere geistigen Fähigkeiten?

2. Trägt Zweisprachigkeit zur Gesundheit unseres Gehirns bei?

Nachwort

Bibliografie

Vorwort

Wer dieses Buch zum ersten Mal in den Händen hält, wird sich vermutlich fragen, wer denn eigentlich Professor Linguini ist? Nun, Professor Linguini ist ein - wenn auch erfundener - so doch sehr gebildeter Gelehrter mit einer außergewöhnlichen Leidenschaft für die spanische Sprache. Eine Sprache, die er seit so vielen Jahren lehrt, dass er selbst nicht mehr so recht weiß, wann er damit eigentlich angefangen hat.

Angetrieben durch die vielen spannenden Fragen seiner Studierenden, die über das pure Erlernen der spanischen Sprache hinausgehen und daher in den üblichen Lehrwerken meist übergangen werden, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die interessantesten und wichtigsten dieser Fragen in dem vorliegenden kleinen Band zu beantworten.

Professor Linguini taucht dabei mit uns ein in die Tiefen dieser faszinierenden, über tausend Jahre alten Sprache, um ihrer Entstehungsgeschichte, Entwicklung und Verbreitung in der Welt auf den Grund zu gehen und die phonetischen, grammatikalischen und lexikalischen Besonderheiten verschiedener spanischsprachiger Länder ans Licht zu bringen. Daneben thematisiert er aber auch den Einfluss, den das Spanische durch andere Sprachen erfahren hat, unternimmt kleine Exkurse zur spannenden Geschichte einzelner Buchstaben und erklärt aus neurolinguistischer Sicht, welche Vorteile das Erlernen weiterer Sprachen für unser Gehirn haben kann. Dabei legt der Professor trotz seiner großen Gelehrsamkeit und Fachkenntnisse stets Wert darauf, alles verständlich und mit einfachen Worten zu beschreiben.

Dieser Band richtet sich nicht an Expertinnen, sondern an all jene, die ein wenig mehr über die spannenden Entwicklungen und Besonderheiten einer Sprache erfahren möchten, die heute von über 500 Millionen Menschen weltweit gesprochen wird und Amtssprache in derzeit zwanzig Ländern rund um den Globus ist. Es bleibt zu hoffen, dass die folgenden Seiten dazu beitragen, mit interessanten Fakten über die spanische Sprache zu überraschen und das Interesse an dieser wunderbaren Sprache noch zu verstärken.

Nun ist es aber an der Zeit, die Bühne freizugeben für Professor Linguini, der sich bemühen wird, mit kurzen und eloquenten Antworten auf die Fragen seiner wissbegierigen Studentinnen einzugehen.

Die Anfänge

–1–

Wie heißt es richtig: Spanisch oder Kastilisch?

Hier stehen viele Spanischlemende vor einem Rätsel, denn mal hören sie diesen, mal jenen Ausdruck, wenn von der Sprache, die sie lernen, die Rede ist. Die Frage nach der richtigen Bezeichnung stellen sich vermutlich selbst einige Muttersprachler*innen. Schließlich wird in vielen Ländern Hispanoamerikas der Begriff castellano (also „Kastilisch“) verwendet, um die spanische Sprache zu bezeichnen, während in anderen Ländern von español (also „Spanisch“) die Rede ist. Ist etwa mit español die Sprache gemeint, die in Spanien gesprochen wird, und mit castellano das Spanisch, das man außerhalb Spaniens spricht?

Keineswegs, denn richtig ist: Beide Bezeichnungen sind korrekt und können synonym verwendet werden. Das bestätigt auch die Königlich Spanische Akademie, die Real Academia Española (RAE), die sich als offizielle Institution um die Regulierung der spanischen Grammatik, Lexik und Rechtschreibung kümmert. Die Tatsache, dass español als Sprachbezeichnung in vielen hispanoamerikanischen Ländern weniger beliebt ist, erklärt sich der Linguist Francisco Moreno Fernandez damit, dass sie aufgrund der klaren Assoziation mit Spanien (España) wenig Identifikationsmöglichkeiten für die anderen spanischsprachigen Länder bietet.

Trotz allem empfiehlt die Königlich Spanische Akademie, español als Sprachbezeichnung zu verwenden. Die Begründung: Obwohl es sich bei den beiden Begriffen um Synonyme handelt, sei español doch die eindeutigere Bezeichnung. Denn als castellano bezeichnet man neben der spanischen Sprache auch einen mittelalterlichen romanischen Dialekt aus Kastilien und eine spanische Sprachvarietät, die heute im Norden des ehemaligen kastilischen Königreichs gesprochen wird. Menschen aus Kastilien heißen ebenfalls castellanos (auf Deutsch „Kastilier“), und auch die mittelalterlichen

Burgvögte wurden als castellano (Kastellan) bezeichnet. Denn ursprünglich kommt der Begriff castellano aus dem Lateinischen (castellanus) und bedeutet „zu einer Burg gehörend“. Castilla (Kastilien), die geografische Wiege des Dialektes castellano, bedeutet wiederum „Land der Burgen“.

Interessant ist, dass in der nicht spanischsprachigen Welt der Begriff español als Sprachbezeichnung klar bevorzugt wird: neben Spanisch im Deutschen heißt es beispielsweise Spanish im Englischen, spagnolo im Italienischen, espagnol im Französischen, spanska im Schwedischen, ispanyolca im Türkischen oder spanyol im Ungarischen. Im Folgenden wird nun - um Verwirrungen zu vermeiden - der Begriff Spanisch verwendet, wenn es um die Sprache geht, und Kastilisch, wenn der mittelalterliche Dialekt gemeint ist.

-2-

Sind die deutsche und die englische Sprache mit dem Spanischen verwandt?

Auch wenn Deutsch und Englisch nicht wie das Spanische zur romanischen Sprachfamilie gehören, haben die drei Sprachen doch dieselben indoeuropäischen Wurzeln, denn sie alle sind aus derselben Sprache hervorgegangen: dem Proto-Indoeuropäischen. Das haben Linguist*innen im Laufe der Zeit durch das Studium und den Vergleich zahlreicher Sprachen herausgefunden. Textliche Spuren des Proto-Indoeuropäischen gibt es keine. Die erste aufgezeichnete Sprache, die sich aus dem Proto-Indoeuropäischen entwickelte, war das Hethitische, das im zweiten Jahrtausend v. Chr. in Zentralanatolien (der heutigen Türkei) gesprochen wurde. Beweis für seine Existenz sind Tontafeln mit Keilschrift, die um 1800 v. Chr. entstanden.

Aus dem Proto-Indoeuropäischen entstanden mehrere Sprachfamilien, die sich bis weit über Europa hinaus ausbreiteten. Dazu zählen etwa die keltischen, italischen, germanischen und slawischen Sprachfamilien. Aus dem Lateinischen, das zur italischen Sprachfamilie gehört, entwickelten sich das Spanische und andere romanische Sprachen wie etwa Italienisch, Portugiesisch, Französisch, Katalanisch und Rumänisch. Aus diesem Grund besteht eine große Ähnlichkeit zwischen den romanischen Sprachen, die im Italienischen treffenderweise auch als lingue neolatine (also „neulateinische Sprachen“) bezeichnet werden. Wenn wir die Wörter dieser Sprachen miteinander vergleichen, sehen wir sofort, wie ähnlich sich die meisten von ihnen sind. Nehmen wir beispielsweise das spanische Wort libertad (Freiheit): im Italienischen spricht man von libertà, im Portugiesischen von liberdade, liberté heißt es im Französischen, libertate im Rumänischen und llibertat im Katalanischen.

Englisch und Deutsch hingegen gehören zur germanischen Sprachfamilie. Aus diesem Grund unterscheidet sich das Spanische trotz des gemeinsamen sprachlichen Vorfahren ganz erheblich von diesen beiden Sprachen. Vergleicht man jeweils das Englische und das Deutsche mit dem Spanischen, wird jedoch schnell deutlich, dass das Englische dem Spanischen näher ist als das Deutsche. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das Angelsächsische stark vom Französischen beeinflusst wurde, das mit der Invasion Wilhelms des Eroberers im 11. Jahrhundert auf die Britischen Inseln gelangte und dort nicht weniger als drei Jahrhunderte lang die Sprache des Hofes war. Dieser langanhaltende Kontakt des Angelsächsischen mit dem Französischen brachte es dem Spanischen sehr viel näher. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass es bei reiner Betrachtung des Wortschatzes gar nicht so einfach wäre festzustellen, ob das moderne Englisch eher eine germanische oder eine romanische Sprache ist.

Die große sprachliche Distanz zwischen der spanischen und der deutschen Sprache hingegen spiegelt sich besonders gut in dem deutschen Ausdruck „das kommt mir spanisch vor“, wider, den wir gern verwenden, wenn wir etwas nicht verstehen. Sprecherinnen des Englischen ziehen dagegen das Griechische heran, um mit einem „it’s all Greek to me“ ihr Unverständnis auszudrücken. Interessanterweise ist der äquivalente Ausdruck für einen Spanisch sprechenden Menschen „eso me suena a chino“ (das kommt mir chinesisch vor) - wobei hier mit dem Chinesischen tatsächlich eine Sprache völlig ohne Bezug zum Spanischen genannt wird, da sie nicht einmal indoeuropäische Wurzeln aufweist.

–3–

Wann ist die spanische Sprache entstanden?

Die Suche nach den Anfängen der spanischen Sprache führt uns zurück ins Mittelalter und hin zu den Ursprüngen des kastilischen Dialekts. Das Kastilische trat natürlich nicht von einem Tag auf den anderen in Erscheinung. Es mussten vielmehr Jahrhunderte langsamer Transformation vergehen, in denen sich das gesprochene Latein (auch Vulgärlatein genannt) zunehmend vom geschriebenen Latein entfernte, bis es schließlich an den Punkt gelangte, an dem die Unterschiede so groß geworden waren, dass sich dieses Vulgärlatein in den kastilischen Dialekt verwandelt hatte. Das gesprochene Kastilisch begann also zu entstehen, als es Merkmale erworben hatte, die sich von der Aussprache, der Syntax und dem Wortschatz des ursprünglich gesprochenen Lateins unterschieden. Das geschriebene Kastilisch wiederum entstand, als schließlich auch eine abweichende Orthografie verwendet wurde, um die unterschiedliche Aussprache widerzuspiegeln.

Für die Bestimmung der Geburt eines neuen Dialekts oder einer neuen Sprache ist es wichtig belegen zu können, dass sich auch die Sprecherinnen selbst dieses neuen Dialekts oder der neuen Sprache bewusst waren. Für einige Philolog*innen wie Ramón Menéndez Pidal stellt etwa die Tatsache, dass Mönche im 10. Jahrhundert Erläuterungen oder Kommentare in romanischem Dialekt an den Rand lateinischer religiöser Texte schrieben, einen solchen Beleg dar. Aus ihrer Sicht lässt sich daraus ableiten, dass die Mönche sich über die grundlegenden Unterschiede zwischen ihren Erläuterungen und der lateinischen Vorlage im Klaren waren. Für andere Wissenschaftler*innen wie Roger Wright existierte ein solches Bewusstsein zu dieser Zeit noch nicht. Erst als die Ideen der karolingischen Bildungsreform im 11. Jahrhundert auch in Kastilien Verbreitung fanden, sei es möglich gewesen, zwischen Latein und den neuen romanischen Dialekten klar zu unterscheiden.

Eines der Ziele der karolingischen Bildungsreform, die Karl der Große bereits Ende des 8. Jahrhunderts im Fränkischen Reich umzusetzen begonnen hatte, bestand darin, das klassische und bildungssprachliche Latein zu stärken, es von unerwünschten Einflüssen des gesprochenen Latein zu bereinigen und zur Standard-Schriftsprache zu machen. Das führte dazu, dass sich das Schriftlatein immer mehr von den entstehenden romanischen Dialekten entfernte und diese allmählich ihre eigenen Merkmale in Aussprache, Syntax und Wortschatz ausbildeten.

Letztendlich können wir die Frage, ob die Menschen im 10. Jahrhundert bereits ein Bewusstsein dafür hatten, dass das, was sie sprachen, kein Latein mehr war, nicht mit Sicherheit beantworten. Was man aber sagen kann, ist, dass die Ideen der karolingischen Bildungsreform ein Jahrhundert später dazu beitrugen, das Kastilische sowohl im kirchlichen Bereich wie auch in der bürgerlichen Gesellschaft zu festigen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich um einen neuen Dialekt handelte, der sich vom Lateinischen deutlich unterschied.

Obwohl die ersten kastilischen Wörter auf Texte aus dem 9. Jahrhundert zurückgehen, wurde das Kastilische in lateinischen Schriften erst im 12. Jahrhundert als erkennbare Sprachvarietät erwähnt. Im 13. Jahrhundert begann man dann unter Alfons X. den Begriff Kastilisch regelmäßig zu verwenden. Oft wurden die aus dem Lateinischen hervorgegangenen Dialekte jedoch weiterhin einfach als vulgar, Römisch oder Romanisch bezeichnet, und ihre Varianten waren beispielsweise als kastilisches Romanisch oder aragonesisches Romanisch bekannt.

In seinen Anfängen galt das Kastilische nicht als besonders prestigeträchtig: Es handelte sich vielmehr um den Dialekt, der von Bauern und Hirten gesprochen wurde, also um die Sprache der einfachen und ungebildeten Bevölkerung. Der Dialekt zeichnete sich durch seine sprachliche Instabilität aus - nicht nur auf schriftlicher Ebene, sondern sehr viel mehr noch im mündlichen Ausdruck. Beispiele für diese Flexibilität sind etwa zeitgleich existierende Formen von Wörtern mit der gleichen Bedeutung wie mulier und muller für Frau (im heutigen Spanisch mujer), celo und cilo für Himmel (heute cielo), Castella und Castiella für Kastilien (heute Castilla) oder puode und puede für die Verbform kann (heute puede). Erst im 13. Jahrhundert verschwand diese Instabilität weitestgehend, und das Kastilische festigte sich als Sprache. Dazu trugen besonders die beide Könige Ferdinand III. (auch bekannt als Ferdinand der Heilige) und sein Sohn Alfons X. (genannt Alfons der Weise) bei.

Ferdinand III. war nicht nur König von Kastilien, sondern auch König von León - und er war es auch, der diese beiden Königreiche vereinte. König Ferdinand III. hat damals eine für das Kastilische weitreichende Entscheidung getroffen: Er machte es zur offiziellen Sprache der Gesetze und öffentlichen Bekanntmachungen. Damit nahm Kastilisch den Platz ein, den zuvor das Latein innehatte. Man vermutet, dass Ferdinand III. sich für das Kastilische - und damit gegen die leonesische Sprache, die in León gesprochen wurde - entschied, weil Kastilien sowohl ökonomisch als auch demografisch wichtiger und flächenmäßig größer war als León.