Spargel vom Gendarmenmarkt - Peter Heinze - E-Book

Spargel vom Gendarmenmarkt E-Book

Peter Heinze

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Beschreibung

Zu den Erfolgsgeschichten im deutschen Einigungsprozess gehört die Entwicklung der ostdeutschen Land- und Ernährungswirtschaft. Diese kann mit Marktqualität und regionaler Frische im Wettbewerb mit der nationalen und europäischen Konkurrenz standhalten. Nach grundlegend veränderten Produktions- und Anbaustrukturen wie bei der Bodenbearbeitung, der artgerechten Viehhaltung und mit Hightech vom Feld bis zum Schweinestall hatte nur noch wenig aus DDR-Zeiten Bestand. So erwirtschaften heute weniger Mitarbeiter höhere Erträge. Große Maschinen, die sich durch Mobilität und Wendigkeit auszeichnen, verkörpern den Trend zur leistungs- und kostenorientierten Mechanisierung der Landwirtschaft. Immer öfter werden Bio-Produkte aus der Region auf Wochenmärkten oder im Hofladen gekauft. Mit Biogas, Wind- und Solarkraft wurden Landwirte außerdem zu Energiewirten - alles im Einklang mit der Natur und mit diesen Ressourcen ein Job-Motor. Obwohl Familienbetrieben mehr Überlebenschancen als den Nachfolgern der 3 844 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) eingeräumt wurden, setzte sich übereinstimmend mit der EU-Agrarordnung die Produktion nach industriellem Vorbild durch. Die heute etwa 500 Agrargenossenschaften sind nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum, sie erbringen auch gemeinnützige Leistungen für das Leben in den Dörfern und ihre soziale Funktionsfähigkeit. In der kalorienreichen Ernährung und bei den Essgewohnheiten vollzog sich der Wandel zu frischem Obst und Gemüse. Dem „Sattwerden“, oft mit Broiler oder Jägerschnitzel, folgte eine neue Erlebniswelt beim Essen und Trinken dank hochwertiger Produkte. Trotz kulinarischer Reise-Erinnerungen kommen meist Speisen von hier auf den Tisch. So bleibt viel Wertschöpfung vor Ort. Viele bekannte Ostprodukte haben nun einen Bonus im gesamtdeutschen Konsumverhalten. Diese Umwandlung im Osten, hier auch Beispiele aus der Fischwirtschaft, dem Gartenbau und der Jagd, sorgte mit Pioniergeist und Innovationen für aufblühende Landschaften sowie Vorzeigebranchen, schlussfolgert der Autor. Hohes Ansehen besitzt die Forschung zur Agrarlandschaft oder zum Pflanzenschutz, zur Nutztierbiologie oder zu Tierseuchen an Wirkungsstätten mit Weltruhm. Wer sich also für die Produktivitätsfortschritte in diesen Bundesländern dank technischer und agrarwissenschaftlicher Entwicklungen, auch durch Digitalisierung und Biotechnologie, interessiert, findet eine bemerkenswerte Lektüre über dieses beeindruckende Kapitel deutscher Agrargeschichte.

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Zu den Erfolgsgeschichten im deutschen Einigungsprozess gehört die Entwicklung der ostdeutschen Land- und Ernährungswirtschaft. Diese kann mit Marktqualität und regionaler Frische im Wettbewerb mit der nationalen und europäischen Konkurrenz standhalten. Nach grundlegend veränderten Produktions- und Anbaustrukturen wie bei der Bodenbearbeitung, der artgerechten Viehhaltung und mit Hightech vom Feld bis zum Schweinestall hatte nur noch wenig aus DDR-Zeiten Bestand. So erwirtschaften heute weniger Mitarbeiter höhere Erträge. Große Maschinen in der Ernte, die sich durch Mobilität und Wendigkeit auszeichnen, verkörpern nun im Osten den Trend zur leistungs- und kostenorientierten Mechanisierung der Landwirtschaft. Immer öfter werden Bio-Produkte aus der Region auf Wochenmärkten oder im Hofladen gekauft.

Die Ostdeutschen spüren nach Planwirtschaft und SED-Dirigismus, dass sie mit Selbstorganisation bei Agrar & Genuss ein hohes Niveau in der Marktwirtschaft erreicht haben. Auch in der Arbeitsproduktivität. Im Beitrittsgebiet wirken sich die großen Flächen mit Umwelt schonender Bewirtschaftung positiv für nachwachsende Rohstoffe mit Energie- und Industriepflanzen oder ökologisch erzeugte Lebensmittel aus. Mit Biogas, Wind- und Solarkraft wurden Landwirte außerdem zu Energiewirten. Alles im Einklang mit der Natur und mit diesen Ressourcen ein Job-Motor.

Obwohl bäuerlichen Familienbetrieben von der Bonner Politik mehr Überlebenschancen als den Nachfolgern der 3 844 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eingeräumt wurden, setzte sich hier übereinstimmend mit der EU-Agrarordnung die Produktion nach industriellem Vorbild durch. Dafür wandelten die meisten LPG-Mitglieder ihr Eigentum an Grund und Boden in neue Unternehmensformen mit ökonomischen Kernaufgaben. Die heute etwa 500 Agrargenossenschaften sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum, erbringen zudem gemeinnützige Leistungen für das Leben in den Dörfern und ihre soziale Funktionsfähigkeit.

Bei der umweltgerechten, naturgemäßen Landwirtschaft geht es um ausreichende Erträge, etwa zwei Drittel des Produktionswertes kommen aus dem Stall. Neben Fleisch hat die Milchwirtschaft besondere Erfolge mit Erzeugnissen wie Joghurt und Käse. Die Landschaftspflege als Dienstleistung für die Gesellschaft steht bei Schafen neben dem Qualitätslammfleisch im Vordergrund. Durch den Strukturwandel entdeckten ostdeutsche Züchter alte, seltene Rassen neu - so Gehörnte Heidschnucken, Coburger Füchse, Skudden oder die Thüringer Wald Ziege. Die ständig steigende Zahl an Pferden, Pferdezüchtern und Reiterhöfen in den neuen Bundesländern unterstreicht die Bedeutung des Pferdes als Wirtschaftsfaktor in ländlich strukturierten Gebieten. Die Qualität von Pferdezucht und Pferdesport ist heute Ausdruck für ein neu gewachsenes Lebensgefühl.

In der kalorienreichen Ernährung und bei den Essgewohnheiten vollzog sich der Wandel zu frischem Obst und Gemüse. Dem „Sattwerden“, oft mit Broiler oder Jägerschnitzel, folgte eine neue Erlebniswelt beim Essen und Trinken dank hochwertiger Produkte. Das „Ham-Wa-Nich!“ ist Geschichte. „Lecker!“ verdrängte „Es schmeckt!“ Trotz kulinarischer Reise-Erinnerungen kommen Speisen von hier, oft aus Omas Küche, auf den Tisch. So bleibt viel Wertschöpfung vor Ort. Kleine bäuerliche Strukturen werden gefördert, Jungunternehmer erhalten für ihre Vorhaben eine Chance.

Diese Umwandlung im Osten, hier auch Beispiele aus der Fischwirtschaft, dem Gartenbau und der Jagd, sorgte mit Pioniergeist und Innovationen für aufblühende Landschaften sowie Vorzeigebranchen, schlussfolgert der Autor. Viele Ostprodukte haben nun einen Bonus im gesamtdeutschen Konsumverhalten. Hohes Ansehen besitzt die Forschung zur Agrarlandschaft oder zum Pflanzenschutz, zur Nutztierbiologie oder zu Tierseuchen an Wirkungsstätten mit Weltruhm um Namen wie Thaer, Liebig, Kühn und Stubbe, die zu den modernsten Einrichtungen Europas gehören. Wer sich also für die enormen Produktivitätsfortschritte seit 1990 dank technischer und agrarwissenschaftlicher Entwicklungen, auch durch Digitalisierung und Biotechnologie, im Osten interessiert, findet eine bemerkenswerte Lektüre über dieses Kapitel deutscher Agrargeschichte.

ISBN 978-3-00-073753-4

Peter Heinze

Spargel vom Gendarmenmarkt

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im

Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Gestaltung: Heiko Freitag

1. Auflage: 2022

Fotonachweis im Anhang

ISBN 978-3-00-073753-4

Alle Rechte vorbehalten

Goedele Matthyssen, Geschäftsführerin der Confiserie Felicitas GmbH, die mit ihrer handgemachten belgischen Schokolade aus der Brandenburger Lausitz und vollendet guten Pralinen in den ersten Jahren beim Aufschwung im Osten „kaum etwas verkauft“ hat und - wie viele junge Unternehmerinnen und Unternehmer in den neuen Bundesländern - „fast pleite“ war. „Keine Bank war bereit, uns einen Kredit zu geben, weil sie vermutlich keinen Bedarf für handgemachte Schokolade gesehen hat.“

Damals:

„Und wenn Du glaubst,

es geht nicht mehr,

kommt von irgendwo

ein Kunde her.“

Und heute:

„Ich sage meinen Kunden immer:

Schauen Sie mich an,

na klar macht Schokolade glücklich!!“

Heute werden von der „Unternehmerin des Jahres 2005“ im Land Brandenburg weit über 500 Geschäfte in ganz Deutschland beliefert. In Dresden an der Frauenkirche wurde eine Filiale, in Potsdams Gutenbergstraße zum Zuschauen eine Bio-Schokoladen-Manufaktur eingeweiht. Auch die Schauwerkstatt im Hornower Werksverkauf bietet laut Chefin „einen spannenden Einblick in dieses Handwerk mit feinster Schokolade. Zu jedem Anlass und für jeden Geschmack gestalten wir kleine Kunstwerke aus bester belgischer Rohschokolade.“ Jährlich kommen etwa 50 000 Genießerinnen und Genießer - Jung und Alt - zum Besucherzentrum SchokoLadenLand. An Spitzentagen bis zu acht Busse.

Ehrenamtlich ist Frau Matthysen Botschafterin der Brandenburger Stiftung „Hilfe für Familie in Not“.

INHALTSVERZEICHNIS

Cover

Titel

Impressum

EINLEITUNG

Schwerer Anfang für ostdeutsche Bauern

Das Beitrittsgebiet holt auf

Grüne Berufe sind voller Leben

Bauern-Hilfe für neue unabhängige Staaten

Hightech vom Feld bis zum Schweinestall

Klima: Risiken und Chancen für die Landwirtschaft

Raiffeisenverband unterstützt Agrargenossenschaften

Merkel: Genossenschaftsidee überzeugt weltweit

Agrarwissenschaftler Thaer zum 250. Geburtstag

Rosenkranz: Wegbereiter moderner Landwirtschaft

1. LANDWIRTSCHAFT

1.1. AGRARPRODUKTION

Boden - ein schützenswertes Gut und kein „Stiefkind“

Wissenschaftler „sehen“ jeden Wurzelgang

Positive Aufbruchstimmung in Agrarwirtschaft

Immer mehr Erzeugergemeinschaften im Osten

Spargel, Eisbergsalat & Co. im Ernährungstrend

Öko-Landbau tritt aus der Nische

Wie die Saat, so die Ernte

Vertrauen in Landwirte wächst

Mit Qualitätsstrategien zum Markterfolg

Weniger Wasser für mehr Feld

1.2. PFLANZEN

Mehr Qualitätsweizen aus Sachsen-Anhalt

Raps - der Nutzpflanzen-„Knüller“

Pionierpflanze Lupine in der Landwirtschaft

EU-Projekt: Hülsenfrüchte für Nahrung und Futter

Gemüsebau mit hohem Produktionswert

Vom „einfachen“ Broccoli zum „Gesundheitsgemüse“

Norddeutsches Klima für Hokkaido-Kürbis

1.2.1. PFLANZENSCHUTZ

Von der Anti-Reblaus-Aktion zur Bundesanstalt

Biologischer Pflanzenschutz weltweit ein Erfolg

Pflanzenschutz: Wespe gegen Maiszünsler

1.3. NACHWACHSENDE ROHSTOFFE

Boom von Energie- und Industriepflanzen

Zuckerrübe als nachwachsender Rohstoff

Biogas steigt in eine neue „Liga“ auf

Kostengünstige und umweltfreundliche Biotreibstoffe

Hanf-Fasergewinnung auf dem Feld

Patent revolutioniert Verarbeitung der Naturfasern

Roggen, ein Rohstoff mit Zukunft

2. TIERZUCHT

Produktionsverfahren - tiergerecht und wirtschaftlich

Tierseuchenforschung in neuer Dimension

2.1. RINDER

Computer bestellt Tierarzt für Kuh „Elsa“

Jede Rasse hat unterschiedliche Stärken

Kuh „Hilde“ als Genreserve bei Alten Schwarzbunten

„Lester“, der Stolz Thüringer Rinderzüchter

„Uckermärker“-Drillinge in der Schorfheide

Weniger Methan aus Rinderställen möglich

2.2. SCHWEINE

Schweinefleischproduktion vor der Trendwende?

Sachsen will Schweineproduktion erhöhen

Nur noch selten grunzen Wollschweine

2.3. SCHAFE

Rauhwoller und Heidschnucken für Landschaftspflege

Märkisches Qualitätslammfleisch für Berlin

Rauhwolliges Pommersches Landschaf als „Deichpfleger“

2.4. ZIEGEN

Thüringer Wald Ziege mit erhöhten Bestandszahlen

2.5. PFERDE

Pferdezucht seit Jahrtausenden Mecklenburger Tradition

Gestüt Neustadt/Dosse - ein Pferde-Mekka

Von der „Hengstreiterei“ zur Beschälanstalt

Europas größtes Haflinger-Gestüt in Meura

Pferde - ein Wirtschaftsfaktor in Deutschland

Treff des Pferdesports in Berlin

Islandpferd immer populärer

2.6. GEFLÜGEL

Berliner züchten Tümmler-Tauben

Über 372 000 Puten in Ställen und auf Höfen

Brandenburgs Hennen so fleißig wie noch nie

2.7. KANINCHEN

Artgerechte Kaninchenmast mit Zukunft

Chemnitzer gründeten 1880 Rassekaninchen-Verein

2.8. BIENEN

Bienenvölker helfen Landwirten und Gärtnern

Mit 500 Tonnen ein erfolgreiches „Honigjahr“

3. FISCHWIRTSCHAFT

Weltmeere - größter Lebensraum der Erde

Alaska-Seelachs vor Hering

Baltischer Stör: 15 000 Jungtiere in die Oder entlassen

Der Elblachs ist zurück

Fischreichstes Bundesland mit hochwertigen Erzeugnissen

Rügen Fisch - Marktführer bei Fischkonserven

Umstrittene Fischerei mit Grundschleppnetzen

Angelfischerei im Visier der Wissenschaft

Vom Fischstäbchen zum „Stäbchenfisch“

Ehrung des weltberühmten Fisch-Kundlers Bloch

4. GARTENBAU

Bundeskanzlerin empfing Apfelköniginnen

Berlins Gartenfreunde litten unter der Teilung

Gartenträume in historischen Parks

Umweltschutz als Betriebsalltag im Gartenbau

Bessere Haltbarkeit bei Blumen

Sonderausstellung für „Gartenphilosoph von Bornim“

Erfurt bietet „Die ganze Welt im Garten“

Apfelsorten aus sechs Jahrhunderten

Schöner von Herrnhut heißt heute Golden Delicious

Thymian - Arzneipflanze des Jahres 2006

Wirtschaftsfaktor Gartenbau in Brandenburg

Schulgärten als „Klassenzimmer im Grünen“

Museum der Kleingärtnerbewegung in Leipzig

Sanddorn, die „Zitrone des Nordens“

Grillvergnügen mit Fleisch, Gemüse und Fisch

„Wüterich“ neben „Nackende Huren“

Spinat - kein Kinderschreck, sondern beliebt

ÖKOLAUBE: Artenvielfalt eine bedeutende Ressource

„Watergy“ spart Energie in Gewächshäusern

BUGA 95 in Nachbarschaft des Fürsten Pückler

BUGA 99 veränderte Magdeburgs „Gesicht“

5. ERNÄHRUNG

Corona-Krise beeinflusste Essverhalten

Offensive für ostdeutsche Nahrungsmittel

Ost-Produkte wieder in heimischen Regalen

Mehr Qualität und Sicherheit

Bio-Siegel löst Öko-Prüfzeichen ab

Naturkost-Läden steigern Umsatz

Pro-Kopf-Fleischverzehr stieg um 400 Gramm

Wernesgrüner Bier für Ungarn

„Durchschnittsbürger“ verspeisen 218 Eier im Jahr

Viele Ostdeutsche verzichten auf gemeinsames Essen

Flexitarier - die flexiblen Vegetarier

Qualitätsmehl aus gesundem Getreide

Ostdeutsche Spitzenprodukte auf der Köln Messe

Bäckerhandwerk mit Qualitätsoffensive

Algenfarm für Lebensmittel der Zukunft

Suppen sind mehr als ein Arme-Leute-Essen

Olympiade der Köche in Berlin

Fernsehzeit - „Knabberzeit“

Kontrolleure überwachen Lebensmittel und Hygiene

5.1. SPEISEN

Von Rügen-Läden bis zu Thüringer Bauernmärkten

Rückbesinnung auf „Leipziger Allerlei“

Qualität bleibt der alles bestimmende Faktor

Käse bald ein „Selbstläufer“

DDR-Bückware lockte 80 000 zur „Weihnachts-Ostpro“

Essen mit Genuss ohne Einschränkung möglich

Pilzsaison 2000: Schmackhaftes zum Nulltarif

Du bist, was Du isst - Umdenken nach BSE-Krise

Bio-Gemeinde wächst und wächst

5.2. GETRÄNKE

Mineralwasser: Vom Verzichts- zum Ganzjahresgetränk

Trinkwasser ist auch ein Durstlöscher

Ostdeutsche Milchwirtschaft in Europa Spitze

Obstler von hier gern getrunken

Nordhausen mit 500 Jahren Brenntradition

Das „kühle Blonde“ des Sachsen liebstes Getränk

Rückkehr klassischer Weinsorten

„Weinschule“ von der Ahr bis zur Saale

Vita Cola - beliebt, wie eh und je

5.3. GASTRONOMIE

Betriebsküchen mit neuen Produkten

Lieber ein „Stadttuch“, als eine Gute-Nacht-Praline

Zum guten Wein das richtige Glas

6. JAGD UND WILD

Naturschutz als Jägerpassion

Hegeziel im Wald: Verträgliche Wildbestände

Thüringer Rotwildring „Rennsteig-Vorderröhn“

Nach 100 Jahren etwa 20 000 Mufflons in Deutschland

Brandenburg mit wachsenden Wildbeständen

7. AUCH AUS DIESER ZEIT

Landurlaub - Erwerbszweig mit Perspektive

8. BERLIN

Italienische Bio-Mozzarella aus Berlin nach Rom

BIO COMPANY in der Region verwurzelt

Märkische Kiste mit Öko-Produkten im Abo

„Rixdorfer Weinmeister“ ein rarer Qualitätstropfen

Grüne Woche: Weltmarkt der Ernährungsindustrie

Erste europäische Pizza-Fachmesse 1997 in Berlin

Kochbücher für „ordinaire Speisen“ und „feine Küchen“

„Jeder gibt, was er kann“

Berliner Fakultät fördert Auslandprojekte

Beelitzer Spargelpyramide auf dem Gendarmenmarkt

Europas „grüne Universitäten“ mit Zukunft

Brandenburg hilft Berliner Landwirten

Wo sich Fuchs und Wildschwein „Gute Nacht!“ sagen

9. BRANDENBURG

Künstliche Intelligenz für nachhaltige Landwirtschaft

Von der Getreideforschung zum Algen-Treibstoff

Neue Öko-Spitzenwerte in Brandenburg

30 Jahre Ökodorf Brodowin - Geschäft boomt

Spreewälder Gurken - „grünes Gold“ der Lausitz

Ostdeutscher Spargelanbau mit West-Management

Hochsaison für Chicorée

Modellregion für Hülsenfrüchte

Renaissance für Mispeln, Holunder und Co

Die Lausitz hat auch eine „Schokoladenseite“

Moderne Champignonzucht im Havelland

Alte Kulturpflanzen in Brandenburg neu entdeckt

Vom Bienenquiz bis zur Honigbeurteilung

Honig-Restaurant „Immenstube“ in Chorin

Mit Qualität und „Pfiff“ die Eigenversorgung erhöhen

Scheunenwindmühle Saalow - schützenswertes Kulturgut

Agrarmuseum Wandlitz einst Heimatstube

Rebenlese am „Polarkreis des Weinbaus“

Klimawandel: Neuer Wein an alten Hängen

Vom Berliner Kolloquium bis zur Vietnam-Studienreise

Deutsche Landmaschinen in aller Welt geschätzt

„Fischleitern“ fördern natürlichen Wandertrieb

Tabakpflanzer bewahrten Hugenotten-Tradition

Briefmarken: Vom Getreidekorn zum Brot

Biogasenergie wärmt Blankenfelder Wohnhäuser

Biologischer Pflanzenschutz mit Nützlingen

Ökologischer Landbau mit neuer Gatterwildhaltung

10. MECKLENBURG-VORPOMMERN

Stierkopf und Pommerscher Greif mit Qualität

Mecklenburger Markttage in Berlin und Hamburg

AgroBalt im Zeichen europäischer Integration

7000-Liter-Kuh für Züchter im Nordosten

Bundesland auf „Geflügel-Kurs“

Gute Noten für Boxen, Tränken und Stallklima

Vom Ackerveilchen bis zur Melisse

Schlachtewurst-Wettbewerb: Blutwurst vor Mettwurst

Kartoffel-Tage auf dem Schweriner Markt

Rosenkohl von der Ostseeküste

Kleinstadt-Strom aus Maissilage und Schweinegülle

Neue Qualität in der Absatzförderung

Einzigartiger Rhododendronpark an der Küste

11. SACHSEN

Leipziger „agra“ gestern und heute

Neue Wege in der Agrar-Umweltpolitik

„Sachsenleinen“: Flachsanbau bis zur Verwertung

Geigenkasten aus Flachs und Hanf

„Elektronenwind“ contra „chemisches Beizen“

Vom Modelldorf bis zur Freizeit mit Pferden

Adretta: First Lady unter Sachsens „Ärdäbbln“

Sächsische Herkunft und geprüfte Qualität

Rindfleisch - garantiert aus heimischer Aufzucht

Büffel für Marktnischen und Landschaftspflege

Dresdner Apfeltage festigen Vertrauen

Öko-Verpackung aus Getreidekleie

„Altenborger Zeegenkase“ voller Qualität

Dresdner Stollen à la DDR: Grüne Tomate als Zitronat

Aktion „Blühendes Sachsen“ in Städten und Gemeinden

Gesteigerte Nahrungs- und Genussmittelproduktion

12. SACHSEN-ANHALT

Sachsen-Anhalt mit Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit

Magdeburger Börde wie Corn Belt in USA

Pfluglose Bestellung spart Aufwand

Landwirtschafts-Betriebe mit „hoher Dynamik“

Start-up auch in der Landwirtschaft

Hallenser Agrar-Institut eine Brücke nach Osteuropa

Positiver Trend im Gemüseanbau

Bohnenkraut-Extrakte mit neuen Eigenschaften

Rhabarber wird umweltfreundlicher Gerbstoff

Stielmus - Spargel oder Spinat?

Spargeltest mit Schnüffelanalyse

Europa-Rosarium mit Schönheiten aus Goethes Garten

Zwei Millionen Mark für „Rotkäppchen“-Sekt

Etablierte Weine aus Sachsen-Anhalt

13. THÜRINGEN

Thüringer Wurst aus Arnstadt in Europa bekannt

Wettbewerbsfähigkeit - A und O der Agrarpolitik

Deutschlands größte Nudelfabrik in Erfurt

Seit 200 Jahren BORN-Senf für Feinschmecker

Kartoffel-Partnerschaft mit Sachsen

Milch als tragende Einkommenssäule

Ziegenhof Peter mit Thüringer Wald Ziegenherde

Verfahren für Kuba-Zigarren wie im Eichsfeld

Braugerste von hier

Spitze bei Nachwachsenden Rohstoffen

Pflanze Waid vor neuer Blüte?

Geheimnis der Kamelie „gelüftet“

Europas älteste Kakteenzucht in Erfurt

Buckelapotheker: Für alles ist ein Kraut gewachsen!

Goethe: „Da kam ein Bienchen und naschte fein“

Modernste Keks-Fabrik Europas im Osten

Blumenstadt Erfurt einst mit Partnern in aller Welt

Bitterling und Nase in Thüringer Gewässern

„Armenhaus“ Rhön nun UNESCO-Biosphärenreservat

Thüringens Weinbau immer attraktiver

14. NATUR UND UMWELT

UNESCO: Streuobstwiesen sind Kulturerbe

FAZIT

FOTOS

PERSONEN

ANHANG

AUTORENPORTRÄT

EINLEITUNG

Schwerer Anfang für ostdeutsche Bauern

Das war im Juni 1990 am Eingang zur Volkskammer vor dem Palast der Republik in Berlin ein ungewöhnlicher Anblick: Mehr als eintausend Bauern demonstrierten nach einem Aufruf des hiesigen Bauernverbandes mit einigen schlachtreifen Rindern für einen geregelten Absatz ihrer Agrarprodukte. Und für die Sicherung des privaten und genossenschaftlichen Eigentums an Grund und Boden.

Auch für mich als ADN-Reporter über das Hohe Haus mit einer erstmals frei gewählten Volksvertretung ein völlig neues Bild im Herzen der DDR-Hauptstadt. Etwas abseits und nur aus oberen Fenstern zu sehen, hatte die Volkspolizei an der Seite vom Lustgarten zwei schwere Räumfahrzeuge aufgefahren. Diese waren schon am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, in der Schönhauser Allee gegen friedliche Demonstranten nach den offiziellen Feierlichkeiten der SED-Führung eingesetzt worden. Noch heute erinnern mich die Fotos meiner Kollegen von ADN-Zentralbild an beide Ereignisse.

Doch alles verlief diesmal ohne Polizeieinsatz. Der Anlass für den Ärger unter den Bauern aus Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und von Beschäftigten aus Milch verarbeitenden Betrieben: Bereits im Frühjahr 1990, nach der Volkskammer-Wahl am 18. März, wurden trotz innerdeutscher Zollgrenze bis zur Währungsreform am 1. Juli massenweise Produkte aus der Bundesrepublik in die DDR eingeführt. Obwohl mit 32 Milliarden Mark im Jahr staatlich subventionierte Landwirtschafts-Erzeugnisse von hier, das waren 12 Prozent vom Staatshaushalt, im Preis günstiger waren, ging deren Umsatz von einem Tag auf den anderen stark zurück. Waren wie Fleisch mit 100 Kilogramm oder Butter mit neun Kilogramm pro Person Jahresverbrauch 1988 bei 100-prozentiger Selbstversorgung von Grundnahrungsmitteln in diesem Staat wurden nicht mehr so oft wie früher in den Läden verkauft. Sie stapelten sich in Kühlhäusern und Lagern.

Allein in der Perleberger Region im Bezirk Schwerin sammelten sich Bestände von 11,3 Millionen Eiern. Auch die Großbäckerei in Neubrandenburg konnte ihre Produkte nicht mehr absetzen. Deshalb wurden im Juni große Mengen an Brot und Backwaren in der benachbarten LPG an Schweine verfüttert. In Werder an der Havel hat man Süßkirschen untergepflügt. In Leipzig kochten Anfang Juli die Emotionen von Bürgern hoch, als aus einem Tankwagen rund 100 Liter Milch vor der Rathaustür abgelassen wurden. „Ein Verbrechen!“, bekam LPG-Vorsitzender Ernst Liebers aus Greifenhain zu hören, wie er drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) berichtete. Motto der Aktion: "Das Maß ist voll, die Milch läuft über!“ Die LPG konnte keine Milch mehr an die Molkerei liefern, keine Löhne auszahlen, keine Kredite bedienen.

Zur Wende-Zeit hatte die Landwirtschaft im Osten noch 4 308 Betriebe. Davon 3 844 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, auf Pflanzenbau (1 159) und Tierwirtschaft (2 685) spezialisiert und in Kooperationen verbunden, und 464 Volkseigene Güter (VEG), die insgesamt 95 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 6,171 Millionen Hektar bewirtschafteten. Große Betriebe bearbeiteten im Durchschnitt 4 500 Hektar. Je 100 Hektar waren 13 Arbeitskräfte in der Produktion, Verwaltung, den Werkstätten und sozialen Einrichtungen oft in bis zu vier Dörfern tätig. Nur ein Beispiel für die Vollbeschäftigung in der DDR. Viele Beschäftigte im Agrarsektor wiesen einen hohen Ausbildungsgrad auf. Der Frauenanteil betrug 38 Prozent.

In den LPG bearbeitete man seit 1952 die Ackerflächen gemeinschaftlich. Trotz verordneter Kollektivierung der Familienbetriebe in den 1960er Jahren für die industrielle Landwirtschaft blieben die Produktionsmittel „Grund und Boden“ im Besitz der Personen, die sie eingebracht hatten, also Privateigentum. Verfügungsgewalt und individuelles Nutzungsrecht übernahm aber die LPG. Zum Eigentum der LPG gehörten 1986 ein Anlagevermögen von 45 Milliarden Mark für den Geschäftsbetrieb und ein Umlaufvermögen von 25 Milliarden Mark. Über die Hälfte der LPG war mit Bankkrediten von insgesamt 15,2 Milliarden DDR-Mark (7,6 Milliarden DM) belastet.

Diese dramatische Lage für die Erzeuger - auf Plakaten war „Ohne Bauern keine Zukunft!“ zu lesen - bot sich Landwirtschaftsminister Peter Pollack (parteilos) in der Regierung von Lothar de Maizière (CDU) und spitzte sich weiter zu. (Auch mit Eier- und Tomatenwürfen an verschiedenen Orten auf ihn.) Mit dem Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf dem Weg zur Deutschen Einheit deutete sich weiter an, was auf die Beschäftigten des Agrarsektors und der Ernährung von Rostock bis Suhl mit der Marktwirtschaft unter enormen Zeitdruck in einer Zeit großer Unsicherheit zukommt: Um rentabel zu produzieren und sich dem Wettbewerb zu stellen, müssen die LPG wichtige Strukturveränderungen vornehmen. Also eine „Grüne Wende“ vollziehen. Zu den neuen Kompetenzfeldern gehörten steuerlich-finanzielle Aspekte.

Ein radikaler Umbau der gesamten Landwirtschaft mit einer vielfältigen Agrarstruktur wurde notwendig. Bisher hatte der Staat die Produktionsmengen vorgegeben und den Erzeugern die Abnahme ihrer Produkte zu festgeschriebenen Preisen garantiert. Dazu kam, wie schon beim Bau von Rinderoffenställen nach sowjetischem Vorbild, der allgemeine SED-Dirigismus. Oft fern jeder Realität!

Und auf die neue Situation hatten sich diese Bürger nicht vorbereitet. Bedroht waren viele Arbeitsplätze der damals etwa 825 000 Beschäftigten auf dem Land, fast zehn Prozent aller Erwerbstätigen der DDR. Am Ende behielten nur 23 Prozent ihren Arbeitsplatz. Andere mussten in Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit, den Vorruhestand oder wechselten den Beruf. Auch die stark reduzierten arbeitsintensiven Bestände von 5,773 Millionen Großvieheinheiten, darunter etwa zwei Millionen Kühe, im Jahr 1989 trugen zu Verlusten an Arbeitsplätzen bei.

Ebenso führte der Marktschock der Währungsunion - das Marktordnungssystem - mit der Preisbildung ohne staatliche Regelung zu Unmut und Verunsicherung, mit dem Absatzstau zur Torschlusspanik, da der Handel die Produkte nach dem bisher verbindlichen Planungs- und Kontrollsystem der Wirtschaftsergebnisse vom Land nicht mehr aufkaufte. Stattdessen wurden Kaufhallen und Warenhäuser der staatlichen Handelsorganisation HO und große Teile der Konsum-Genossenschaften mit einer Lieferoffensive von westdeutschen Großanbietern und Handelsketten übernommen. Diese brachten Waren, die der Fernsehzuschauer im Osten aus der Werbung von ARD und ZDF kannte. Und so „wanderten“ bedeutende Teile der Ost-Kaufkraft in den Westen.

„Der Zusammenbruch der ostdeutschen Verarbeitungsindustrie, der von Westprodukten überschwemmte Lebensmittelmarkt, der Wegfall der osteuropäischen Märkte (vor allem wegen der EU-Außenhandelsregelungen) und Qualitätsmängel führten zu Absatzproblemen, die aber seit 1993 abnahmen. Inzwischen blicken die ostdeutschen Agrarunternehmen der Zukunft eher optimistisch entgegen. Sie haben wegen der Größe der gelieferten Partien mit einheitlicher Qualität heute gute Absatzchancen und können teilweise höhere Preise erlösen als ihre westdeutschen Konkurrenten.“ (Rainer Land (2000): Von der LPG zur Agrar-Fabrik, Berliner Debatte INITIAL 11 5/6)

Die ostdeutschen Läden waren damals der Konkurrenz nicht gewachsen. Sie verfügten auch nicht über ein solches Warenangebot. Es fehlten Lieferketten und die Kenntnis über deren Aufbau. Es ging wie bei Obst und Gemüse aber nicht nur um die begehrten Südfrüchte „von drüben“. Neu war für die Erzeuger: Sie mussten sich in der Marktwirtschaft nach Jahrzehnten der Planwirtschaft und Engpässe selbst um den Absatz ihrer Erzeugnisse kümmern.

Das habe ich später auf Pressekonferenzen mit Klaus von Dohnanyi, Beauftragter der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, im Berliner Hauptsitz der Treuhandanstalt, dann Detlev-Rohwedder-Haus, oft erlebt. Auch namhafte ostdeutsche Produzenten haben sich immer wieder mit günstigen Angeboten für eine Listung bei großen westdeutschen Händlern beworben. Deren „Argument“: Wir benötigen große Lieferungen und Qualitätserzeugnisse für unsere Ketten. Sie stützten sich deshalb auf ihre Stammlieferanten aus den alten Bundesländern, machten in dieser Zeit mit der gesamten Produktpalette im Osten ungewöhnlich hohe Umsätze und Gewinne, trugen zum vereinigungsbedingten „Aufschwung West“ in der Ernährungswirtschaft bei. Für mich eine Demonstration der Marktmacht der Branchenriesen in Deutschland. Jahre später die selbstkritische Erkenntnis von Dohnanyi im Rückblick: „Markt ist eine unsichtbare Investition, ist Kapital, ist Firmenwert, Besitz und Macht. Markt ist, was den Ostfirmen am schmerzhaftesten fehlt.“ (Symposium „Zwischenbilanz Aufbau Ost“ am 19.9.1996 in Berlin)

Die Lage von Landwirtschaft, Verarbeitungsindustrie und Handel, deren Zusammenwirken der Staat gelenkt hat, spitzte sich nach dem 1. Juli mit der Einführung der D-Mark und dem offiziellen Wegfall der innerdeutschen Zollgrenze weiter zu. Die DDR-Mark, im Volksmund „Spielgeld“, hatte ausgedient. Wirtschaftlich spielten nun Ost und West in einer Liga. Wer in diesem Wettbewerb die Nase vorn hatte, konnte man sich eigentlich schon denken. Zumal die ostdeutschen Erzeuger in dieser Branche nicht ausreichend über bundesdeutsches Recht und Gesetz mit einer völlig anderen Agrarstruktur oder die EG-Agrarrichtlinien, Methoden der Bewirtschaftung und Marktentwicklungen, um produktiv zu bleiben, informiert waren.

Hart betroffen - besonders die Fleisch- und Milchindustrie. Außerdem verloren mit den verbindlichen EU-Richtlinien die tierischen Produkte in der Noch-DDR 70 Prozent ihres ursprünglichen Wertes, bei Feldfrüchten waren es 50 Prozent. Für einen Liter Rohmilch standen den Erzeugern von Staats wegen 1,70 DDR-Mark zu, nach der Währungsunion und dem Wegfall der Subventionen waren es noch 0,55 DM. Zum Preisverfall sagte Moderator Axel Kaspar im kritischen DDR-Fernsehmagazin „Prisma“: „Genossenschaften haben keine Einnahmen, müssen Kredite aufnehmen, um laufende Kosten zu schultern. Abnahmeverträge werden gebrochen oder erst gar nicht abgeschlossen.“

Neben dem verminderten Absatz sorgten auch geringere Erlöse durch den Preissturz für Liquidationsprobleme in Betrieben, waren vielfach Existenz bedrohend, erfährt man heute von Beteiligten. Und das begann schon bei den durchschnittlichen Erzeugerpreisen. Für eine Tonne Schlachtschwein erhielt im Juli eine Tierzucht-LPG 2 000 DM, der Bauer in der Bundesrepublik 2 785 DM. Und so standen 1990 noch etwa 150 000 Schweine in den DDR-Ställen. Ähnliche Unterschiede gab es beim Verkauf von Schlachtrind (2 768 DM/3 307 DM), Rohmilch (545 DM/605 DM) oder Getreide (300 DM/324 DM). Auch bei Kartoffeln, Gemüse und Obst traten Absatzstörungen auf.

Mit weiteren spektakulären Protestaktionen reagierten dann ostdeutsche Landwirte auf solche Preisunterschiede, die für sie nicht nachvollziehbar waren, und forderten ein Intervenieren der Regierung. So demonstrierten am 15. August etwa 50 000 Vertreter vieler Betriebe auf dem Berliner Alexanderplatz gegen die aktuelle Agrarpolitik und den „Ausverkauf der Bauern“. Sie verlangten den Schutz des Binnenmarktes sowie die Anpassung der Erzeuger- und Verbraucherpreise für Fleisch, Milch und pflanzliche Erzeugnisse an das Niveau der Bundesrepublik. Auch durch Absatzstörungen und Preisminderungen entstanden im Juli 1990 in der DDR-Landwirtschaft Erlösausfälle von 1,4 Milliarden DM - über 50 Prozent der geplanten Summe. Das belegt ein Regierungsdokument von damals.

Gegen den Preisverfall stellte das Landwirtschaftsministerium Hilfen in Höhe von 500 Millionen DM als Kredite für die Umstrukturierung der Betriebe bereit. Dafür war ein tragfähiges Anpassungs- und Sanierungskonzept notwendig. Es folgten weitere staatliche Kredite für die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft über 300 und 400 Millionen DM, alle mit Zinsen. Wegen allgemeiner Unsicherheiten in den Betrieben wurden diese kaum in Anspruch genommen. Ziel der Regierung war vor dem eiligen Beitritt zur BRD die Anpassung an marktwirtschaftliche Erfordernisse, dann auch mit verstärktem Export von Schlachtvieh und zentral organisierten Aufkäufen bei Getreide, Butter und Magermilchpulver.

Und überhaupt setzten die Menschen in den Dörfern große Hoffnungen in die friedliche Revolution. „Sie erwarteten sowohl die Anerkennung ihres Eigentums als auch eine Steigerung des Wohlstandes auf der Basis einer Modernisierung der Landwirtschaft und die Verbesserung der Infrastruktur bei Beseitigung von Umweltschäden.“ So Dr. Gerald Thalheim, Diplom-Landwirt und SPD-Mitbegründer in Sachsen sowie Parlamentarischer Staatssekretär a.D. In Erinnerung hatten die Ostdeutschen auf dem Land solche Parolen vom SED-Chef Walter Ulbricht wie „Ohne Gott und Sonnenschein, bringen wir die Ernte ein“ oder seine Worte von der „Befreiung der Bauern“ am 25. April 1960 vor der Volkskammer zum Abschluss der landesweiten Zwangskollektivierung.

Nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober mussten die Bauern im Osten beim Übergang von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft weiter um ihre Existenz kämpfen. Ebenso darum, dass die Landwirtschaft als Teil des deutschen Kulturverständnisses nicht aus politischen Gründen wie die ostdeutsche Industrie mit Volkseigenen Betrieben zerschlagen wird. Als wirtschaftliche Grundlage für die Menschen in den Dörfern mit einer LPG inmitten der Dorfgemeinschaft und der örtlichen Verbundenheit über Generationen, auch angesichts der wachsenden Landflucht der Jugend, sollten die Betriebe erhalten werden. Ein gleicher Stellenwert von Landwirtschaft und Umweltschutz - wie später - fand aber noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit für den Umbruch als Chance.

Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz, am 29. Juni 1990 von der Volkskammer der DDR verabschiedet und vom Bundestag am 25. April 1991 novelliert, sollte zwischen den LPG und ihren Mitgliedern die Vermögensauseinandersetzungen regeln. Die bisherige Genossenschaft musste ihr Vermögen einzelnen Mitgliedern zuordnen, also personifizieren. Ausgeschiedenen Mitgliedern konnten per Gesetz umgewandelte Vermögensanteile gegen eine angemessene Barabfindung angeboten werden. Die Bewertung des Vermögens der Genossenschaften, die bis zum 31. Dezember 1991 aufgelöst oder in Gesellschaften bürgerlichen Rechts überführt werden mussten, war meist umstritten. Beim Rückblick auf die LPG sollte man aber nicht vergessen, dass an ihrer Spitze mit seinem Wissen und langer Berufserfahrung sehr oft ein „Großbauer“ stand, der noch 1954 über 20 Hektar Landwirtschaftsfläche bewirtschaftet hat. Oder ein diplomierter Absolvent von einer der sechs Landwirtschafts-Fakultäten im Osten.

In den neuen Bundesländern folgte zudem die Umstrukturierung in neue Rechtsformen, wie durch Handelsgesetzbuch und Genossenschaftsgesetz vorgeschrieben. In dieser Umwandlung favorisierten die ostdeutschen Bauern in freier Selbstbestimmung die gemeinschaftliche Zusammenarbeit, auch - wie gewohnt - mit geregelten Arbeitszeiten, freien Wochenenden, Urlaubsanspruch. Viele wollten keinen Überlebenskampf als Familienbetrieb mit „Wachsen oder Weichen“ und dem „Höfesterben“ auf sich nehmen. So war „das westdeutsche Pendant des ostdeutschen Agrarsektors kein attraktives Leitbild“, meint Ralf Clasen in „Die Transformation der Landwirtschaft in Ostdeutschland und ihre Folgen für die Agrarpolitik und die berufständische Interessenvertretung“.

Auch fehlte oft die überlebensfähige Betriebsgröße. Nun existierten hier etwa 10 000 landwirtschaftliche Einzelunternehmen und GbR, 1 000 Genossenschaften als Mehrfamilienbetriebe und 3 200 Gesellschaften wie GmbH, KG oder AG. Das bedeutete in der Betriebsstruktur, dass mehr als die Hälfte der juristischen Personen bei Zahl und Anteil an der bewirtschafteten Fläche auf Agrargenossenschaften entfällt, urteilte im Jahr 2000 der Fachautor Hans Luft.

Ihre Strukturen waren größer als im Westen, wo 29 Hektar bei 320 000 Vollerwerbsbetrieben das Mittel bildeten. Genossenschaften bewirtschafteten im Durchschnitt 1 500, GmbH 600 und Familienbetriebe 160 Hektar. Im Mittelpunkt vieler Bemühungen auf dem Land standen die Privatisierung und das Rückgängigmachen von Enteignungen. Auch die Bodennutzung, die Wirtschaftsweisen und die Tätigkeitsfelder veränderten sich. Davon wurden Erträge, Einkommen und Biodiversität beeinflusst. Regionale Unterschiede blieben bestehen. Enorme Altschulden, oft auf nicht-landwirtschaftlichen Krediten beruhend, erwiesen sich bis zum Jahr 2004 mit dem Landwirtschaftsaltschuldengesetz als Bremsen von Investitionen und der Betriebsentwicklung.

Viele Jahre nach der Deutschen Einheit waren im Vergleich auf europäischer Ebene die Betriebsflächen in Ostdeutschland am größten, der Anteil individuell bewirtschafteter Größe am niedrigsten. Die oft in den alten Bundesländern vorgebrachte Erwartung nach mehr individueller Bauernschaft im Osten kam nicht zum Tragen. Manche Bauernhöfe boten aber, wie ich in Brandenburg erlebt habe, mit Bio-Hofverkauf, Streichelzoo oder Lukullischem aus der Hofkäserei attraktive Anziehungspunkte, vor allem für Bewohner aus der Stadt. Oder sie luden Familien zu Ferien auf dem Land ein.

Starke Beachtung fanden in den ostdeutschen Betrieben die Anlagen für die Bioenergieerzeugung mit Einkommenskombinationen als das häufigste zweite Standbein. Windkraft, Biogas und Photovoltaik oder nachwachsende Rohstoffe für Wärme und Strom dienten nicht nur dem Eigenverbrauch, sie trugen ebenso zur Stabilität der Unternehmen bei.

Trotz aller Widersprüche beim Agrar hat sich das Wirtschaften in Großeinheiten, was ja nicht in der DDR erfunden wurde, bewährt. Jeder Bauer konnte bei rechtlicher Gleichstellung aller Eigentumsformen auch einzelbäuerlich wirtschaften, wovon „zum Erstaunen der Westdeutschen“ (Lothar de Maizière: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag, 2010, S. 149f.) nur wenige Landwirte Gebrauch machten. Obwohl die Bundesrepublik in vielen anderen Wirtschaftsbereichen ihre Überlegenheit im Wettstreit der Systeme bewiesen hatte, stellte der westdeutsche Agrarsektor kein Vorbild für die ostdeutschen Bundesländer dar. Ganz sicher trug dazu auch „die Scheu vor einem Neubeginn in eine ungewisse Zukunft“ bei, wie ein Agrarexperte 30 Jahre später sagte.

Große Einheiten landwirtschaftlich zu bearbeiten gab es beispielsweise wegen der Bodenfruchtbarkeit in Mecklenburg - dem Land jenseits der Elbe, einst mit großen Gütern, an die noch heute eindrucksvolle Gutshäuser und Schlösser erinnern. Zu DDR-Zeiten wurden Kartoffeln von hier exportiert. 2019 bei einer Anbaufläche von 13 000 Hektar - im Vergleich: Niedersachsen 119 700, Bayern 41 100 und Nordrhein-Westfalen 40 500 Hektar - trotz einer geringeren Bevölkerungszahl eingeführt. Die Erntemenge 2019 betrug hier 417 100 Tonnen Kartoffeln, in Niedersachen war diese um ein Zehnfaches (4 670 100 Tonnen) höher.

In diesem Umwandlungsprozess setzte sich der Deutsche Bauernverband schon vor der Wiedervereinigung für die gemeinsamen Interessen aller in der Landwirtschaft Tätigen „als legitime Mitglieder der Agrarfamilie“ ein. Konflikte blieben außen vor. So war eine einheitliche berufsständige Interessenvertretung das Ziel des DBV. Vor diesem Hintergrund organisierte der Verband am 14. und 15. Juli 1990 auf Burg Warberg ein Treffen mit bedeutenden Interessenvertretungen des ostdeutschen Agrarsektors: Bauernverband der DDR, Genossenschaftsverband der LPG und GPG, Verband Deutscher Landwirte, Landvolkverband Sachsen-Anhalt, Mecklenburgischer Bauernverband und Raiffeisenverband der DDR.

Nach kontroverser Diskussion wurde die Warberger Erklärung verabschiedet. Darin betonten sie, dass in einem vereinigten Deutschland eine einheitliche Interessenvertretung für die Menschen in der Landwirtschaft unabdingbar sei. Und dass sich die Verbände aus Ost und West zur freien Verfügbarkeit des Einzelnen über sein Eigentum bekannten. In der Erklärung wurde jedem Bauer die freie Entscheidung über die künftige Bewirtschaftungsform seines Betriebes - ob als Wiedereinrichter oder juristische Person - freigestellt.

Die meisten ostdeutschen Landwirte sahen in der Aufnahme ihrer Landesverbände in den DBV eine wichtige Integration in das nationale und europäische Entscheidungsnetzwerk. Also den Übergang in die Marktwirtschaft sowie die 1992 begonnene Reform zur schrittweisen Einführung der Weltmarktpreise für Erzeugerprodukte in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU und der Neuorientierung ab 1995 auf Betriebs- und Produktprämien. Für Verbandspräsident Joachim Rukwied hatte sich die Landwirtschaft in den jüngeren Bundesländern „seit der Wiedervereinigung zu einem stabilen Wirtschaftsfaktor entwickelt“.

Zum späteren Erfolg der ostdeutschen Agrarunternehmen trug auch die Übereinstimmung wichtiger Produktionsmodelle der ehemaligen DDR-Betriebe mit den Rahmenbedingungen der EU-Agrarreform bei. In das Programm für regionale Entwicklung hat man alle neuen Bundesländer integriert. Dafür stellte die Europäische Gemeinschaft über den Zeitraum von sechs Jahren 7,3 Milliarden DM zur Verfügung, 20 Prozent davon für den Agrarsektor. Und überhaupt dienten spezielle EU-Bestimmungen dem ostdeutschen Agrarbereich, so mit Quoten für Milch und Prämien für Rindfleisch und Schafe. Weiterhin wurden zwischen 1990 und 1993 bei Anpassungsproblemen im Landwirtschaftsbereich Ost aus dem Etat der Bundesrepublik 14 Milliarden DM gewährt. In diesem Zeitraum gab es hier solche Rückgänge: Bei Rindern auf 49, bei Milchkühen auf 52,6, bei Schweinen auf 32,9 und bei Schafen auf 24,4 Prozent.

„Zu Beginn der Transformationsprozesse wurde die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit mit Blick auf die vorhandene Produktionstechnik und erzielbare Erträge noch recht kritisch beurteilt, insbesondere, da die Erträge in der Getreide- und Milchproduktion 1989 mit 45,1 dt/ha Winterweizen und 4 120 kg/Kuh nur 72 Prozent beziehungsweise 84 Prozent des westdeutschen Niveaus betrugen." (BMELF 1991) Das urteilten Franziska Schaft, Christoph Sahrbacher und Alfons Balmann 2011 in ihrem Diskussionspapier „Möglichkeiten und Restriktionen von ostdeutschen Agrarbetrieben“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Im Zuge betrieblicher Konsolidierung setzte die kontinuierliche Produktivitätssteigerung im Osten ein, heißt es weiter. Sowohl der Abbau von Arbeitskräften als auch die Verringerung der kapitalintensiven Tierproduktion sowie die gewachsene Flächenintensität trugen zum „Produktivitätssprung ostdeutscher Agrarunternehmen“ bei. Diese Produktivität lag 2009 bei rund 21 000 € je Erwerbstätigen, war etwa dreimal höher als 1991 und überstieg westdeutsche Ergebnisse. (Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ 2009/10) Die Erfolgsformel lautete: Modernisierung des Pflanzenbaus, bessere Bodenbearbeitung, bedarfsgerechte Düngung.

Nach den Veränderungen in der Übergangsphase und der Arbeitsproduktivität auf westeuropäischem Niveau wurden im Osten andere Preise für Pflanzenprodukte erreicht. Das Konsumverhalten im eigenen Land veränderte sich positiv: Es gab wieder eine starke Nachfrage nach heimischen Produkten. Alte Namen und Erzeugnisse aus DDR-Zeiten, nun mit Frische und Qualität, waren wieder „in“. Ähnlich wie in den Landwirtschaftsbetrieben mussten aber die Unternehmen der Nahrungsgüterwirtschaft, mit alten Maschinen meist nicht konkurrenzfähig, Milliarden DM in moderne Anlagen investieren. Diese stammten vorwiegend von führenden westdeutschen Anlagenbauern für die Lebensmittelindustrie. Das habe ich vielerorts erlebt. Arbeitsplätze wurden mit der hochproduktiven Technik eingespart.

Ebenfalls eine Erfolgsgeschichte kennzeichnete die Entwicklung der Öko-Branche in Ostdeutschland. Das schätzten 2005 Prof. Dr. Benjamin Nölting und Dr. Tina Böckmann in einem discussion paper der Technischen Universität Berlin ein. So entwickelte sich die ökologische Land- und Ernährungswirtschaft, also die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung, seit 1990 vom Nullpunkt aus sehr rasch. „Ein sehr dynamisches Wachstum erlebte der Ökolandbau, während die Verarbeitungs- und Vermarktungskapazitäten sowie der Konsum von Öko-Lebensmitteln im gesamtdeutschen Vergleich bisher unterdurchschnittlich sind. Insgesamt ist die Entwicklung der Öko-Branche in Ostdeutschland eine Erfolgsgeschichte, aber die unausgewogene Branchenstruktur hemmt ihre weitere Entfaltung.“

So waren in den ostdeutschen Ökobetrieben die unterschiedlichsten Rechts- und Betriebsformen vertreten, erhielten Förderungen für bessere Umweltverträglichkeit der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren. Im Mittel der Betriebe bewirtschafteten sie mehr Grünland als Landwirtschaftsbetriebe allgemein, beteiligten sich überdurchschnittlich an naturschutzorientierten Pflegemaßnahmen. Auf Ackerflächen dominierte Getreide mit mehr Dinkel, Roggen und Hafer. Der hohe Grünlandanteil begünstigte die Produktionsrichtungen mit Rindern, Ziegen und Schafen.

Nach der Wiedervereinigung ging es auch um die Verwertung und Verwaltung der ehemals volkseigenen landwirtschaftlichen Flächen, von denen nur rund 20 Prozent „der staatlichen Privatisierungspolitik zur Verfügung standen“ (Ralf Clasen: Die Transformation der Landwirtschaft in Ostdeutschland und ihre Folgen für die Agrarpolitik und die berufsständische Interessenvertretung). Im Auftrag der Treuhandanstalt als deren Eigentümerin sorgte ab Juli 1992 die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) für die Verpachtung und den Verkauf von 1,5 Millionen Hektar Acker- und Grünland. In Sachsen war das weit weniger als ein Zehntel der landwirtschaftlichen Nutzfläche (83 000 von 917 000 Hektar), in Thüringen ein Achtel (100 000 von 787 000), in Sachsen-Anhalt ein Fünftel (203 000 von 1,14 Millionen), in Brandenburg ein Viertel (290 000 von 1,3 Millionen) und in Mecklenburg-Vorpommern über ein Drittel (464 000 von 1,3 Millionen).

Ob „Märkische Streusandbüchse“ oder überaus fruchtbarer Magdeburger Bördeboden - die BVVG verpachtete bis zum 31. Dezember 1994 rund 1,1 Millionen Hektar Acker- und Grünland. Davon 881 239 Hektar lang- und 215 000 Hektar kurzfristig. Dafür wurden fast 14 000 Pachtverträge abgeschlossen - 80 Prozent für einen Zeitraum bis zu zwölf Jahren. Anders als bei kurzfristigen Verträgen konnten die Landwirte, erfuhr ich bei der BVVG, damit „Fördermittel der Länder und Kredite von Banken erhalten“. Einen Pachtantrag konnte jeder stellen. Großes Gewicht hatten Betriebskonzepte, berufliche Qualifikation, geplante Investitionen und Arbeitsplätze.

Bei annähernd gleicher Beurteilung der Anträge vergab die BVVG den Zuschlag so: Zuerst an ortsansässige Wiedereinrichter (ehemalige LPG-Mitglieder mit Eigentum an Grund und Boden) sowie Alteigentümer ohne Restitutionsanspruch und ortsansässige Neueinrichter. Dann folgten juristische Personen als LPG-Nachfolger wie Agrargenossenschaften. Letztlich Neueinrichter, die ortsansässig werden wollten wie Landwirte aus alten Ländern. Am Entscheidungsprozess waren die Länder-Fachbehörden mit Stellungnahmen, auch zur Flächenverteilung, beteiligt. Die BVVG entschied dann.

„Wir sind von Anfang an angetreten, jedem Antragsteller eine Chance zu geben und niemanden auszugrenzen“, erläuterte mir BVVG-Sprecher Reinhard Bauerschmidt. In enger Zusammenarbeit mit Länderbehörden und „Pachtkommissionen“ in den Kreisen sei „eine gute Leistung vollbracht worden“. Alteigentümer, die wieder ortsansässig werden wollten, habe man berücksichtigt, „wenn die Einrichtung mit dem dazu notwendigen Flächenentzug aus bestehenden Betrieben nicht zu deren Existenzgefährdung führt“. Alles in allem wurden 90 Prozent der Flächen an Ortsansässige, zehn Prozent an Alteigentümer und Neueinrichter aus alten Ländern verpachtet.

„Die BVVG arbeitete zunächst nach Richtlinien einer von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Gerster geleiteten Kommission, welche die LPG-Nachfolgeeinrichtungen gezielt diskriminierten, sei es beim Verkauf oder bei der Verpachtung von Flächen.“ (Gerhard Lehmbruch und Jörg Mayer (1998): Kollektivwirtschaften im Ampassungsprozess, Der Agrarsektor, S. 354)

Es gab auch ernsthafte Streitfälle. Beispielsweise im Land Brandenburg, wo etwa 1 700 bäuerliche Familienbetriebe und rund 800 juristische Personen, vorwiegend Agrargenossenschaften, tätig sind. So trat Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) für die „chancengleiche Behandlung“ der aus der Umstrukturierung der DDR-Landwirtschaft hervorgegangenen Agrarunternehmensformen ein. Er kritisierte die veränderte Bonner Fördermittel-Strategie, weil sie juristische Personen destabilisiere und einzelbäuerliche Wirtschaften sowie die Personengesellschaften bevorzuge. „Ich liebe den alten, märkischen Adel. Aber er möge sich bei der Vergabe des von der BVVG zu privatisierenden Bodenreformlandes in die Reihe stellen.“

Neben der Umwandlung fast aller Seiten in der ostdeutschen Landwirtschaft - „ein Wandel in weit stärkerem Maße durch Selbstorganisation“ als in der Industrie (Ralf Clasen) - kam auf die Bewohner wie auch andernorts die Umstülpung auf vielen Gebieten hinzu. Neu waren Rechtssystem, Verwaltungssystem, Wirtschaftsordnung, Finanzwesen, Kultursystem, Bildungswesen. Und alle Veränderungen in einer sehr kurzen Frist. Heute nimmt die Zuständigkeit für Fördermittel und Beihilfen auf die Entwicklung der Landwirtschaft, in den neuen Ländern etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Gesamtdeutschlands, durch die Europäische Kommission in Brüssel ständig zu. Der Einfluss der Bundesregierung geht zurück.

Viele Beispiele zeigen auch: Vom Deutschen Raiffeisenverband wurden die Interessen der Agrargenossenschaften mit ihren demokratischen Strukturen gegenüber der Politik vertreten und die Mehrfamilienbetriebe nach Kräften unterstützt, als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform für die Allgemeinheit zu wirtschaften. Davon zeugen hier besonders die Artikel „Raiffeisenverband unterstützt die Agrargenossenschaften“ zum 20. Jubiläum 2010, „Merkel: Genossenschaftsidee überzeugt weltweit“ mit Blick auf den UNESCO-Beschluss von 2016 und „Bundeskanzlerin empfing die Apfelköniginnen“ 2019 zu einem vitaminreichen Auftakt der Regierungsgeschäfte.

Wie Wissenschaftler und Praktiker nach drei Jahrzehnten deutscher Einheit einschätzten, hat sich die ostdeutsche Landwirtschaft zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Das war 1990 angesichts des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen der Bundesrepublik und der DDR keineswegs abzusehen.

An die Berliner Bauern-Demonstrationen von 1990 erinnerten mich in jüngster Zeit auch die Traktorkolonnen zum Bundeskanzleramt und zum Brandenburger Tor. Eine dieser Protestaktionen - jetzt mit ost- und westdeutschen Landwirten - stand unter dem Motto „Wir haben es satt!“ Gefordert wurde ein Ende der bauern-, tier- und umweltfeindlichen Agrarpolitik, der Erhalt der Höfe, artgerechte Tierhaltung und konsequenter Klimaschutz. So ändern sich die Zeiten seit Deutschlands Wiedervereinigung.

Das Beitrittsgebiet holt auf

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hatte zuerst 1990 und dann 1991 in den nächsten drei bis fünf Jahren den neuen Bundesländern „blühende Landschaften“ vorhergesagt. Er wurde vielerorts belächelt. Oft verspottet, weil das länger als vorgesehen gedauert hat. Und immer teurer wurde. Mit seiner Botschaft ging es ihm fast so wie einst den DDR-Agitatoren mit ihren tollen Sprüchen „Stadt und Land - Hand in Hand“ oder „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Im Osten Deutschlands empfand man seine Worte, obwohl viel Neues zu sehen war, vielerorts jedenfalls so. Schon bald war ich nach vielen Fahrten quer durch das Beitrittsgebiet der Meinung: „Und sie blühen doch…“

So wurden die ersten Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, die für mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte mit dem Ende der DDR auch das Ende der eigenen Karriere bedeuteten, von umfassenden Nachhol- und Sanierungsinvestitionen geprägt. Es folgte die Förderung von Industrie und Dienstleistungen, um eigenständige und wettbewerbsstarke wirtschaftliche Grundlagen zu entwickeln. Ein paar Jahre später, es war Anfang 1994, wagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Hans Günter Merk, die Prognose: „Rein rechnerisch“ sei in vier bis fünf Jahren „eine Angleichung der gesamtdeutschen Lebensverhältnisse“ möglich. Also bis etwa 2010. Allerdings - bei weiteren Zahlungen und Investitionen „in der bisherigen Größenordnung“.

Und diese sahen so aus: Zwischen Anfang 1991 und Ende 1993 wurden rund 342 Milliarden DM im Ostteil Deutschlands investiert. Davon 288 Milliarden Mark auf Unternehmen, um die private Investitions- und Gründertätigkeit anzuregen, und 54 Milliarden Mark auf den Staat. Die Nettoinvestitionen je Einwohner lagen um 140 Prozent höher als in Westdeutschland. Laut Merk verringerte sich „der Abstand bei der Kapitalausstattung“ zwischen Ost und West. Für mich ein Aufschwung statt Milliardengrab.

Wie Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) in Berlin bei der Vorlage einer Leistungsbilanz der Bundesregierung für die neuen Länder erklärte, sei der erwartete „große Aufschwung“ in Gang gekommen. Nach seinen Worten werden 1994 rund 175 Milliarden Mark von West- nach Ostdeutschland fließen. Die Höhe dieses Transfers entspreche „etwa den Geldleistungen des vorigen Jahres“. Und die Bundesregierung rechne in den neuen Ländern „mit einem Wirtschaftswachstum von sieben Prozent im laufenden Jahr“.

So entstehe laut Kanzleramtsminister „in vergleichsweise kurzer Zeit eine der weltweit modernsten Infrastrukturen“. Die Posttochter Telekom richtete zwischen Rügen und dem Erzgebirge eine Million Telefonanschlüsse pro Jahr ein. Das Ziel: Bis 1997 etwa 95 Prozent aller ostdeutschen Haushalte mit einem Telefonanschluss zu versorgen. Vor der Deutschen Einheit, auch das sollte man nicht vergessen, betrug die Wartezeit auf einen eigenen Fernsprecher bis zu zehn Jahre, oft noch länger. Zur Instandsetzung des Erbes der Deutschen Reichsbahn - das 14 000 Kilometer lange DDR-Schienennetz war für die TU Dresden „eines der dichtesten der Welt“ - und zum weiteren Ausbau würden Bohl zufolge bis zum Jahr 2002 rund 33 Milliarden Mark investiert. Ebenfalls aus dem Bundeshaushalt wurden 4,2 Milliarden Mark 1994 für die Fernstraßen im Osten reserviert. Das war die Hälfte aller Mittel für den Fernstraßenbau in Deutschland. 1990 verfügten die neuen Länder über 1 850 Kilometer Autobahn, auf denen unendlich viele Kilometer mit Schlaglöchern und Rissen an Nachkriegszeiten erinnerten, und 11 300 Kilometer Bundesstraße.

Nach dem tiefen Einbruch durch die Umstellung auf die soziale Marktwirtschaft zu Beginn des Einigungsprozesses nahm das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt schon 1992 real um 9,7 und 1993 um 7,1 Prozent zu. Der Einkommensrückstand zu Westdeutschland verringerte sich deutlich. So stieg in diesen Jahren die wirtschaftliche Leistung in den neuen Bundesländern spürbar. Insbesondere das Baugewerbe entwickelte sich positiv.

Die Zahl neu gegründeter Unternehmen bei der Überführung in die Marktwirtschaft, was ja nicht leicht und nicht geradlinig verlief, verdeutlichte die Entwicklungsmöglichkeiten im Osten: Von Anfang 1990 bis Ende 1993 gab es 978 000 Gewerbeanmeldungen. Dem standen in diesem Zeitraum 368 000 Abmeldungen gegenüber. „Vor allem im Handwerk, im Handel und bei den freien Berufen kommt in beachtlichem Ausmaß ein Mittelstand auf die Beine“, urteilte das Statistische Bundesamt.

Aus 1 300 Unternehmen bei der Gründung der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin im Februar 1990 wurden in 25 Jahren mehr als 25 000. Auch ihr Verdienst: Mecklenburg-Vorpommern entwickelte sich zum zukunftsorientierten Wirtschaftsstandort. Viele Unternehmer bewiesen „in turbulenten Zeiten großen Mut und scheuten nicht das unternehmerische Risiko“, schätzte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) ein.

In der ostdeutschen Industrie setzte insgesamt eine deutliche Aufwärtsentwicklung ein. Im zweiten Halbjahr 1993 lagen 25 der 32 wichtigsten Branchen auf Expansionskurs. Der Aufschwung wurde nicht nur von den bau- und konsumnahen Branchen getragen. Fast vergessen waren all die Dinge aus jüngster Vergangenheit. Ich möchte nur an die Versorgung in den Läden erinnern. Da ich nach Kriegsende in einer Gastwirtschaft mit Rossschlächterei aufgewachsen bin, kannte ich viele wirtschaftliche Herausforderungen bis in die sechziger Jahre aus erster Hand von meinen Eltern. Heute sind es andere Probleme im Osten. Meist die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz.

Anfang der 1970er Jahre wurden auf einem Hektar Weizenacker etwa fünf Tonnen Getreide geerntet. Mittlerweile liegen die durchschnittlichen Erträge bei neun Tonnen. Die Fortschritte bei Düngung, Pflanzenzucht und Anbautechnik haben die mittleren Erträge in den letzten Jahrzehnten damit fast verdoppelt. „Die Kehrseite dieser Entwicklung ist ein dramatischer Verlust der Biodiversität in unseren landwirtschaftlich geprägten Regionen“, so der Falkner Verband.

Nicht vergessen sollte man die kulturelle Entwicklung auf dem Land. Mit großen Aufwendungen und Spenden wurden Kirchen renoviert, das gesellige und Sportleben nahm weiteren Aufschwung. Ein Beispiel dafür ist unsere Gemeinde Alkersleben im thüringischen Ilm-Kreis mit ihren 320 Seelen. Zum Blickfang wurde die romanische Saalkirche St. Gregorius mit einer kleinen Kapelle aus dem 12. Jahrhundert und farbenprächtigen Malereien aus der Zeit des Barock. Verzierte Emporen und Decken zeigen auch den Lebensweg Christi.

Auf der Südseite des Friedhofs, wo ein großer Teil unter Denkmalschutz steht, beeindruckt ein gewaltiger Riesenlebensbaum (Thuja plicata). Nicht nur an „Tagen des Denkmals“ kommen Besucher von weither zu diesem Gotteshaus, einem Bau über Jahrhunderte, um dessen Erhaltung und Erneuerung sich seit 1998 ein rühriger Förderverein kümmert. „Viele Leute wundern sich, dass das kleine Alkersleben so eine große Kirche hat. Das kommt daher, dass hier einmal 53 Dekanate, also Kirchenkreise, vereint waren. Diese erstreckten sich bis Paulinzella“, berichtete Vereinsvorsitzender Helmut Schiel. „Und Untersuchungen sowie die Jahresringe im verbauten Holz zeigen zweifelsfrei, dass das verwendete Material schon im Winter 1340/41 gefällt worden sein muss.“

Grüne Berufe sind voller Leben

Das Interesse unter der Jugend der neuen Bundesländer für Tiere, Pflanzen und Landschaft sowie an der Umwelt wächst. Das widerspiegelt sich in gestiegenen Schülerzahlen bei den grünen Berufen. Sicherlich ist das in erster Linie das Ergebnis der allgemein verbesserten wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaftsbetriebe, wo nach dem erforderlichen Personalabbau nunmehr zunehmend über den künftigen Fachkräftebedarf nachgedacht wird. Viele junge Städter wie im Land Brandenburg entdeckten ihr Interesse für diese Arbeiten in Schulgärten.

In Mecklenburg-Vorpommern setzt sich beim Berufsnachwuchs die positive Entwicklung seit 1994 fort. Besonders bei Gärtnern mit den Schwerpunkten Garten- und Landschaftsbau hat sich die Anzahl der Auszubildenden erhöht. Bei der neuen Ausbildungsordnung für den Landwirt mit Tätigkeiten nicht nur im Acker- und Pflanzenbau, sondern auch zur Abwicklung von Geschäftsvorgängen wird eine höhere Selbständigkeit der Azubis verlangt. Möglich ist eine Spezialisierung. Auch das Weiterbildungsangebot der Fachschulen wird gut genutzt, so in den Melker-Kursen.

An den land- und hauswirtschaftlichen Fachschulen in Sachsen wurden im vergangenen Jahr 230 Bewerber neu aufgenommen. 1994 waren es 166, 1995 schon 199. Für das Dresdner Agrarministerium ist dieser Trend Ausdruck „stärkerer inhaltlicher Anpassung der Ausbildung an die landwirtschaftliche und gärtnerische Praxis“. Voll auf die Bedürfnisse der Bewerber ist das Fortbildungsangebot der bereits im Beruf stehenden Landwirte und landwirtschaftlichen Unternehmer zugeschnitten. Sieben Schulstandorte gewähren kurze Fahrwege beispielsweise nach Döbeln, Löbau, Mittweida und Zwickau.

Auch in Thüringen suchen die Unternehmen der Agrarwirtschaft wieder verstärkt Nachwuchs, war im Erfurter Fachministerium zu erfahren. Das werde an der deutlich gewachsenen Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze sichtbar. Zwischen Altenburg und Bad Salzungen sind die Berufsbilder vielgestaltig. Sie umfassen die Produktion gesunder Nahrungsmittel, die Gewinnung von Naturprodukten, deren Verarbeitung und Vermarktung sowie die Gestaltung der Landschaft. Die Ausbildung von Fach- und Führungskräften in der Hauswirtschaft für Groß- und Familienhaushalte hat sich ebenfalls etabliert.

In Sachsen-Anhalt hofft man nach den Bundesentscheiden der Landjugend im Leistungspflügen und im Hauswirtschaftlichen Wettbewerb 1996 auch für dieses Jahr auf neue Impulse bei Mädchen und Jungen. Unter dem Motto „Grüne Berufe sind voller Leben - Ohne uns läuft nix“ war hier an der Fachschule für Agrar- und Hauswirtschaft Biendorf der 23. Berufswettbewerb der deutschen Landjugend eröffnet worden. Dies in den Sparten Landwirtschaft, ländliche Hauswirtschaft und Forstwirtschaft. Beim Bundesentscheid können sich die jungen Gäste mit der Landwirtschaft des neuen Bundeslandes und ihren Traditionen vertraut machen.

„Die Agrarwirtschaft braucht mehr denn je qualifizierten und engagierten Nachwuchs.“ So Heidrun Heidecke (Bündnis 90/Die Grünen), Sachsen-Anhalts Agrar- und Umweltministerin. Das Verhalten der Einzelnen gegenüber Natur und Umwelt finde im persönlichen Handeln nur dann genügend Beachtung, wenn es durch emotionale Beziehungen und unmittelbare Erlebnisse gekennzeichnet sei. „Daneben gilt es, auch die landwirtschaftliche und soziale Funktionsfähigkeit der ländlichen Räume zu erhalten und stärker auszuprägen.“ (1997)

Bauern-Hilfe für neue unabhängige Staaten

Die Landwirtschaft der ostdeutschen Bundesländer, seit 1990 in einem beispiellosen Strukturwandel, erzielt nun mit weniger als einem Viertel der ehemals Beschäftigten nicht nur erste Gewinne. Sie ist mit wachsender Wirtschaftlichkeit, vielfältigen Erfahrungen, günstigen Betriebsgrößen seit dem Eintritt in die Marktwirtschaft für die neuen unabhängigen Staaten Mittel- und Osteuropas zu einer Art „Vorbild“ geworden. Auch weil sie mit ihnen eine Reihe geschichtlicher Gemeinsamkeiten haben, übernahmen die Ostdeutschen mit ihren Erfahrungen aus der Transformation vielerorts eine Mittlerfunktion.

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht Abordnungen, besonders aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, zwischen Ostsee und Erzgebirge das Gespräch suchen. Man informiert sich in den Agrarministerien ebenso wie in landwirtschaftlichen Betrieben und den Dörfern. Das Interesse reicht von der Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung über bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im ländlichen Raum bis zum Umweltschutz.

Mit der Privatisierung und Neustrukturierung sowie der Verarbeitungsindustrie in Sachsen-Anhalt will sich künftig Litauen näher vertraut machen. Dazu finden regelmäßig Beratungen und Schulungen durch Experten des Bundeslandes im größten der drei baltischen Staaten statt. Umgekehrt wird alljährlich ein Informationsprogramm für die Litauer gestaltet.

Wie die Landwirtschaftsminister beider Länder, Helmut Rehhahn (SPD) und Vytautas Einoris, vereinbarten, sollen auch Erfahrungen beim Aufbau effektiver Agrarverwaltungen, der Agrargesetzgebung und von Förderprogrammen beraten werden. Die Zusammenarbeit umfasst Aus- und Weiterbildung, Veterinär- und Lebensmittelüberwachung, die Unterstützung von Kontakten zwischen Landwirtschaftsunternehmen aller Rechtsformen sowie von Betrieben der Verarbeitungsindustrie.

Eine ähnliche Entwicklung und etwa die gleichen Erfordernisse der Landwirtschaft haben das Land Brandenburg und die Republik Weißrussland zusammengeführt. Bei einem Treffen nahmen Rechtsformen und Organisationsstrukturen der Landwirtschaftsbetriebe, aber auch Steuerungs- und Unterstützungsmöglichkeiten des Staates für diesen Prozess einen breiten Raum ein. In einem neuen Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb in Frankenförde entstand der beiderseitige Wunsch, diese Erfahrungen in die Bildung gemeinsamer Unternehmen einzubringen. Bei weiteren Begegnungen sollen Verfahren der Getreidetrocknung, Biogas, agrarstrukturelle Regionalplanung und der Raps-Öl-Produktion erörtert werden.

Unter dem Leitsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ unterstützt der Freistaat Sachsen Projekte in den Reformländern des Ostens. Allein 1994 wurden dafür rund drei Millionen Mark eingesetzt. Schwerpunkte lagen in der Tschechischen Republik, Ungarn, Südkasachstan, der Südukraine und im Gebiet Kaliningrad, früher Königsberg. Außerdem förderte das Agrarministerium Seminare zur Vermittlung sächsischer Erfahrungen mit Maschinengemeinschaften sowie zu Fragen des Betriebsmanagements unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Bei relativ geringen Mitteln sind die Projekte so angelegt, „dass sie einem großen Personenkreis zugute kommen“, hieß es in Dresden.

Als besonders wirkungsvoll erwies sich die technische Unterstützung beim Aufbau von Maschinengemeinschaften mit sächsischer Hilfe bei Liberec, in Ungarn und in Salesje (Liebenfelde) bei Kaliningrad. Landmaschinen werden so besser genutzt. Viele Betriebsgründer kamen über die Ausleihe überhaupt erst in die Lage, ihre Nutzflächen maschinell zu bearbeiten. Bereits 1991 hatte die Landesregierung die Bereitschaft zur Aufbauhilfe für die Landwirtschaft früherer Diktaturen Osteuropas erklärt. Dabei werden Standortvorteile und ehemalige Kontakte genutzt, zumal Sachsen mit dem Volkseigenen Kombinat Fortschritt ein bedeutender Landmaschinenproduzent von Traktoren bis zu selbstfahrenden Erntemaschinen mit Verbreitung in östlichen Nachbarstaaten und GUS-Ländern war. „Wir haben einst den modernsten Mähdrescher der Welt, den E 512, präsentiert“, mit dem er selber noch gefahren ist, erinnerte sich Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus gegenüber dem Deutschlandfunk. (1995)

Hightech vom Feld bis zum Schweinestall

In der Landwirtschaft vollziehen sich weltweit gravierende Veränderungen: Hatten die Bauern bislang vor allem mit Futter und Mist, Milch und Fleisch zu tun, so werden künftig Routinearbeiten auf dem Feld und im Stall immer mehr von der Technik übernommen. Die Zauberworte für die Zukunftstechnologien heißen Präzisionslandwirtschaft und -tierhaltung. In Berlin präsentierten internationale Experten neue Verfahren für eine solch nachhaltige Agrarwirtschaft.

Im traditionellen Pflanzenbau ist es üblich, den gesamten Schlag bei der Bodenbearbeitung, Aussaat, Düngung und Pflege einheitlich zu behandeln. Die Folge: Ein Teil der Fläche wird überdüngt, ein anderer bleibt unterversorgt. Künftig steuern Navigationstechnik und Sensoren - satellitengestützt - vor dem Traktor die Unkrautspritze. Diese „wachsamen“ Augen können heute schon Kulturpflanzen von Unkraut unterscheiden. So werden die Nährstoffe präzise verteilt, Stoffeinträge in Boden und Grundwasser vermieden. Digitale Karten erlauben es dem Landwirt, all diese Arbeiten genau zu dokumentieren. Er kann so jederzeit Auskunft geben, was er wo und wann in welcher Menge ausgebracht hat.

Diese Möglichkeit, die Informationstechnologie mit agrar- und naturwissenschaftlichen Disziplinen zu verknüpfen, macht man sich in der Tierhaltung bereits zu Nutze. Beim Füttern oder zum Erkennen von Krankheiten und Fruchtbarkeitszyklen können Rinder mit dem elektronischen „Halsband“ individuell betreut werden. Neu ist bei Schweinen ein System zur optoelektronischen Gewichtsermittlung. Es wird im Stall installiert und „dirigiert“ jedes Masttier zum entsprechenden Trog. Selbst Futterrezeptur und -rationen werden gesteuert.

„Diese Systeme bieten völlig neue Ansätze zur Verbesserung der Tiergesundheit, der Prozess- und Produktqualität.“ So Dr. Jens-Peter Ratschow von der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe. Laut Professor Jürgen Zaske, Direktor des Instituts für Agrartechnik Bornim bei Potsdam, können „landwirtschaftliche Produktionsprozesse umweltfreundlicher und tiergerechter, auch profitabler gestaltet werden“. Andere Experten sehen darin ebenfalls große Chancen für Erzeuger und Verbraucher, da die Daten dieser „gläsernen“ Pflanzen- und Tierproduktion zur Nahrungsmittelsicherheit beitragen.

Was für eine Entwicklung auf dem Land in den letzten 100 Jahren: 1937 kam mit dem Deutz F1M 414 der erste „Bauernschlepper“ mit einer Leistung von 11 PS aus einem Zylinder und mit den neuen „Ackerluftreifen“ von den Continental-Werken auf den Markt. Und heute entscheidet sich nicht mehr auf dem Feld oder im Stall, ob Landwirte künftig erfolgreich sind. Dank Digitalisierung fahren auch schon Landmaschinen mit hundert PS autonom. (2003)

Klima: Risiken und Chancen für die Landwirtschaft

Schon jetzt beeinflussen spürbare Witterungs- und Klimabedingungen die deutsche Landwirtschaft. So wird es immer wichtiger, sich mit den Folgen des Klimawandels auseinanderzusetzen, die je nach Zeitraum, Standort und Produktionsbereich unterschiedlich ausfallen. Denn die Auswirkungen von zunehmenden Extremwetterereignissen wie bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal sowie Veränderungen der Jahresdurchschnittstemperatur - 2022 war der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen - werden in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich noch zunehmen: Auch die erhöhte CO2-Konzentration verändert die Umweltbedingungen für Pflanzen, Böden und Nutztiere. All das kann sich direkt auf Ertrag und Qualität von landwirtschaftlichen Produkten auswirken.

Über diese und andere Herausforderungen, für die stellvertretend Ertragseinbußen mancher Fruchtarten stehen, diskutierten im November 2017 etwa 30 Teilnehmer unter dem Motto „Von Starkregen bis Trockenheit - Anpassungsstrategien für die deutsche Landwirtschaft“. Am Dialog, den das Umweltbundesamt mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin veranstaltete, nahmen Entscheidungsträger aus Landwirtschaftskammern, Verbänden, Verwaltungen, der Wissenschaft und der Versicherungswirtschaft teil. Neben dem fachlichen Austausch ging es um die Vernetzung der Akteure.

Im Mittelpunkt standen deshalb solche Fragen unter dem besonderen Einfluss und mit den Risiken von häufigeren und intensiveren Extremwetterverhältnissen wie Starkregen, Spätfröste oder lange Hitzeperioden: Welche Klimarisiken gibt es für die deutsche Landwirtschaft? Welche Maßnahmen braucht es für eine klimaresiliente - also robuste und lernfähige - Landwirtschaft? Welche Handlungsstrategien gibt es und welche Beispiele sind nachahmenswerte Vorbilder?

Die steigende Durchschnittstemperatur in Deutschland beeinflusst das Pflanzenwachstum im Jahresverlauf, führt zu längeren und zeitlich verschobenen Vegetationsphasen. Zwar können dadurch neue Pflanzenarten wie Soja oder Hartweizen angebaut werden. Aber es bestehen Risiken - auch die Kornfüllung von Getreide kann sich verringern. Eine mildere Witterung würde die Lebensbedingungen von Schadorganismen wie der Kirschessigfliege begünstigen und die Pflanzengesundheit bedrohen. Wärme liebende Unkräuter, darunter Melde und Unkrauthirsen, seien die Folge von verstärktem Unkrautdruck durch Temperaturanstieg, hieß es.

Betroffen sei ebenso die klimatische Wasserbilanz beim veränderten Niederschlagsmuster mit feuchteren Wintern und teils trockeneren Sommern. Das hängt dann von der lokalspezifischen Wasserspeicherkapazität ab, besonders in Hanglagen. Regionen in Nordostdeutschland mit Standorten sandiger Böden müssten in Zukunft mit weniger Niederschlag auskommen. Hingegen sei positiv, wenn sich die steigende atmosphärische CO2-Konzentration auf das Pflanzenwachstum und ihre Fähigkeit zur Wassernutzung auswirkt.

Weiter war während des Berliner Dialogs zu erfahren, dass Nutztiere beim Klimawandel durch erhöhten Hitzestress und neue Krankheiten betroffen sein könnten. Für alle Tierarten steige das Übertragungsrisiko von besonderen Krankheitserregern wie Salmonellen. Denn bei Hitzestress baut das tierische Immunsystem ab. Angesichts der zu erwartenden veränderten Pflanzenproduktion mit einem Positivum für die Futtermittelwirtschaft sei auch mit mehr Grünlandwachstum zu rechnen.

Bei all den Risiken und Chancen erarbeiteten die Teilnehmer Handlungsansätze für die eigene Landwirtschaft, auch Anpassungsmaßnahmen auf Betriebsebene. Heute schon setzten einige Betriebe auf wassereffiziente, schonende Bodenbearbeitung, wurde betont. Bei den meisten Unternehmen gebe es aber „noch großes Potenzial, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen“. Denkbar sei in Zukunft eine standortangepasste Sorten- und Artenwahl. Ebenso der Anbau neuer, Wärme liebender und trockenheitsresistenter Arten wie Sorghumhirsen.

Erörtert wurde ferner der Einsatz von Untersaaten und der Anbau von Zwischenfrüchten, wie bereits vielfach in der Bio-Landwirtschaft und in der konventionellen Landwirtschaft praktiziert. Dadurch können eine verbesserte Bodenbedeckung gewährleistet, die Erosionsgefahr und der Stickstoffaustrag besonders von leichten Böden verringert werden.

Eine höherer Bodenschutz durch Mulchsaat und stärkere Bodenbedeckung werde das Aufnahmevermögen von Wasser, Erosion, Nährstoffaustrag und Verdunstung vermindern. So könnte die Landwirtschaft veränderten Niederschlägen und Extremwetter wie Starkregen aktiv „begegnen“. Gleichzeitig werde der Gewässerschutz stärker berücksichtigt, da die Stickstoffbelastung von Gewässern gemindert werden kann.

Benötigt wird also eine Vielfalt von Anpassungsmaßnahmen wie veränderte Fruchtfolgen, standortbezogene Sortenwahl, angepasste Anbau- und Bewässerungsverfahren und innovative Kühlsysteme für Ställe, um den Herausforderungen im Pflanzenbau und der Tierhaltung zu begegnen und die Klimaresilienz der Landwirtschaft zu stärken.

Das erfordert ebenso Anpassungsmaßnahmen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So kann die Politik auf EU-, Bundes- und Länderebene die Bemühungen der Landwirtschaft unterstützen, wenn sie langfristige Konzepte, die die Anpassung an den Klimawandel als eine wesentliche Aufgabe behandeln und in die Breite tragen, entwickelt und fördert. Besonders relevant sind laut Teilnehmern langfristige Fördermaßnahmen.

Raiffeisenverband unterstützt Agrargenossenschaften

Von den ehemals rund 4 500 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Osten Deutschlands haben sich nach der Wiedervereinigung 1990 mehr als 3 000 für eine Umwandlung entschieden. In vielen Unternehmen fassten die Mitglieder freiwillig den Beschluss, Landwirtschaft auch weiterhin kooperativ in der Rechtsform eingetragener Genossenschaften eG zu betreiben. Seither haben die Agrargenossenschaften in den vergangenen 20 Jahren eine beeindruckende Entwicklung genommen, wurden zu einem erfolgreichen Modell landwirtschaftlicher Kooperationen.

Das betonte der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes e.V., Manfred Nüssel, auf einer Festveranstaltung des DRV und der Humboldt-Universität 2010 zu diesem Anlass in Berlin. „Wir als DRV haben gemeinsam mit unseren Regionalverbänden die Agrargenossenschaften gerne bei den teilweise schwierigen Umwandlungen nach Kräften unterstützt und ihre Interessen gegenüber der Politik, wie auch heute noch, vertreten.“ Daher bedeuteten 20 Jahre Wiedervereinigung auch 20 Jahre Agrargenossenschaften.

Und diese betreiben erfolgreich Landwirtschaft. „Dieser Erfolg ist aber - wie auf allen landwirtschaftlichen Betrieben - nicht ausschließlich von den unternehmerischen Fähigkeiten der Betriebsleiter abhängig, sondern bedarf auch konstruktiver Begleitung durch die Politik und die Unterstützung durch die neuesten Erkenntnisse der Forschung“, führte er aus. Der Blick zurück in ihre 20-jährige Geschichte zeige, dass die Agrargenossenschaften „vielen Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen und dem Marktgeschehen erfolgreich begegnet sind“.

Die ursprüngliche Anzahl von 1 500 Agrargenossenschaften, die ein Beispiel für die Weiterentwicklung der bäuerlichen Landwirtschaft darstellen können, habe sich dann vornehmlich durch Fusionen auf rund 1 000 reduziert, 2011 waren es 844 Unternehmen mit einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro. Heute sind es 698. „Diese Unternehmen betreiben trotz anfänglicher großer Skepsis - wie zahllose andere Betriebe - erfolgreich Landwirtschaft in Ostdeutschland. Sie bewirtschaften im Durchschnitt 1 800 Hektar - in der Summe rund 27 Prozent landwirtschaftliche Nutzfläche in Ostdeutschland.“

Agrargenossenschaften seien jedoch keine abstrakten, Kapital getragenen Unternehmen, sondern ein Zusammenschluss von bäuerlichen Familien mit dem Ziel, die Landwirtschaft gemeinsam zu betreiben. Im Durchschnitt stehen hinter jeder Agrargenossenschaft 44 bäuerliche Familien. „Wir bezeichnen die Agrargenossenschaften daher auch immer als Mehrfamilienbetriebe.“ Wenn man jetzt die durchschnittliche Betriebsgröße nehme, entfallen rund 41 Hektar auf jede Familie. Das sei ungefähr die gleiche Landfläche wie bei einem durchschnittlichen Familienbetrieb in Westdeutschland. Agrargenossenschaften seien aber mehr als nur Landwirtschaftsbetriebe. „Sie übernehmen eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe im oftmals strukturschwachen Raum von Ostdeutschland und sind dort gleichzeitig Wachstumsmotor“, sagte der DRV-Chef. So erhalten und pflegen diese Betriebe durch ihre Tätigkeit die Natur und Landschaft. Das tun letztendlich alle Landwirte unabhängig von der Rechtsform.

Zudem schaffen und erhalten die Agrargenossenschaften eine große Anzahl an Arbeits- und Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland, sorgen für gleichwertige Lebensverhältnisse im ländlichen Raum gegenüber den Ballungsgebieten. Pro Unternehmen werden im Durchschnitt 32 Personen beschäftigt, das sind 32 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Davon hängen 12 000 unmittelbar mit der arbeitsintensiven Tierwirtschaft zusammen. Im Durchschnitt würden drei Ausbildungsplätze pro Betrieb zur Verfügung gestellt, insgesamt 3 000. Das sind etwa 27 Prozent aller Ausbildungsplätze für Land- und Tierwirte in der Bundesrepublik. Darüber hinaus bieten die Unternehmen Schulabgängern die Möglichkeit beruflicher Orientierung. Studenten können theoretisch erworbene Fähigkeiten durch praktische Erfahrungen vervollkommnen.

Auch verbessern diese Betriebe als in der Regel größte Steuerzahler im Ort die Wirtschaftskraft im ländlichen Raum. Betrieben werden ebenso nichtlandwirtschaftliche „Nebenbetriebe“ wie Tankstellen, Autowerkstätten und Hofläden. Das sichert in den Dörfern eine Grundversorgung, die andere aus ökonomischen Gründen nicht aufrechterhalten würden. Dadurch entstehen weitere Arbeitsplätze, die Wertschöpfung in der ländlichen Region wird verbessert. Ferner seien diese Betriebe ein wichtiger Auftraggeber für andere örtliche Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen.

Nüssel verwies weiterhin auf die von Agrargenossenschaften erbrachten zahlreichen gemeinnützigen Leistungen für den ländlichen Raum. So seien diese für das gesamte gemeinschaftliche Leben auf den Dörfern unverzichtbar, aufgrund der breit gestreuten Eigentumsstruktur fest in der örtlichen Gemeinschaft verankert. „Sie unterstützen kommunale und soziale Einrichtungen sowie Vereine durch Spenden, Personal, Räumlichkeiten und technisches Gerät. Sie pflegen Spielplätze und sonstige kommunale Flächen. Ihre Betriebskantinen versorgen Schulen und Kindergärten mit Mahlzeiten.“ Auch Hoffeste bereichern das Dorfleben und fördern den Zusammenhalt in der Gemeinschaft.

Die gemeinsame Landbewirtschaftung in Form einer Agrargenossenschaft sollte als gleichberechtigte Rechtsform neben anderen Rechtsformen für Kooperationen in der Landwirtschaft angesehen werden. Das gilt umso mehr, als in der Folge der immer noch nicht vollständig überwundenen Wirtschaftskrise die Rechtsform der Genossenschaft sich erneut als stabilisierendes Element erwiesen hat und daher derzeit eine Renaissance erlebt.

„Es würde mich sehr freuen, wenn sich Landwirte auch in Westdeutschland in der Zukunft dazu entscheiden würden, gemeinsam in einer Agrargenossenschaft Landwirtschaft zu betreiben“, erklärte der Präsident des 1948 gegründeten Dachverbandes genossenschaftlich organisierter Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft.

Unvergessen: Das deutsche Genossenschaftswesen war von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) nach den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstinitiative und Selbstverwaltung initiiert worden. Im Jahr 2021 kritisierte der Deutsche Raiffeisenverband die vom Bundeskartellamt vorgelegten Leitlinien für die Vereinbarkeit des Genossenschaftswesens mit dem Kartellrecht. Der DRV lehnt „lenkende Eingriffe in die gesellschaftsrechtlichen Innenstrukturen der Genossenschaften“ ab. „Genossenschaften leisten einen wichtigen Beitrag, um die Marktposition ihrer Eigentümer, der landwirtschaftlichen Erzeuger, erheblich zu verbessern. Dies sollte unterstützt und nicht erschwert werden.“

Merkel: Genossenschaftsidee überzeugt weltweit

„Die genossenschaftliche Idee überzeugt nicht nur hierzulande, sondern auch weltweit.“ Das betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2017 zur Verabschiedung des langjährigen Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes, Manfred Nüssel. Sie verwies auf die rund 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder in mehr als 100 Ländern. Die Genossenschaftsidee, so die Kanzlerin, überzeugte auch die UNESCO, die sie Ende 2016 in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufnahm. An diesem Erfolg hätten die Genossenschaften des Deutschen Raiffeisenverbands großen Anteil. Sie setzen auf vertrauensvolle Zusammenarbeit und Offenheit für Neues. „Die Genossenschaftsidee hat Geschichte und - davon bin ich überzeugt - sie hat Zukunft.“