14,99 €
Wenn der erste Schnee fällt und die Nächte stiller werden, erwacht die Magie: Eine Hexe und der Teufel stellen sich einem Dämon, während eine Zeitreisende erkennt, dass wahre Liebe manchmal näher ist, als sie glaubt. Währenddessen kämpfen in den verschneiten Straßen New Yorks Zauberanwärter nicht nur um die Ehre ihrer Gilde, sondern auch um ihre Gefühle füreinander. Und wer hätte gedacht, dass eine Fae und ein Werwolf eine Nacht voller Geheimnisse teilen, während ein Vampir eine Verführung verspricht, die ewig währt?
Ob in magischen Städten, verzauberten Wäldern oder glitzernden Parallelwelten – diese 5 romantischen Young Adult Fantasy Kurzgeschichten lassen Herzen höherschlagen und die Magie von Weihnachten lebendig werden.
Trope-Highlights:
Folgende Geschichten sind enthalten:
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Lass dich von diesen Kurzgeschichten verzaubern:
Kira Licht – A Winter’s dark EmbraceAuf dem Ball der mächtigsten Vampir-Coven begegnet Elouise Winterson ihrem alten Schwarm Asher van Hoyd wieder. Eine kühne Wette stellt ihre Welt auf den Kopf: Wenn er es schafft, sie vor Weihnachten erneut zu küssen, muss sie zugeben, dass sie ihn nie vergessen hat. Doch bald schon verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit, und ihr Herz gerät ins Wanken.
Asuka Lionera – Under the frozen MoonlightOdessa, eine junge Fairy und Praktikantin bei einer magischen Partnervermittlung, reist in eine abgelegene Berghütte, um ihr allererstes Event zu organisieren. Zu allem Unglück hält ein Schneesturm sämtliche Gäste fern – außer den mürrischen Besitzer Viktor. Zwischen bissigen Wortgefechten und knisternden Blicken ahnt Odessa bald, dass hinter seiner rauen Fassade mehr als nur ein Geheimnis steckt.
Magdalena Gammel – Juniper NightsIn der Hexenstadt Arcanum bereitet Hexenkönigin June mit ihrem Zirkel das Julfest vor – bis ein rachsüchtiger Dämon das Schloss heimsucht und Chaos verbreitet. Gemeinsam mit dem unverschämt charmanten Azazel, dem Teufel höchstpersönlich, muss sie nicht nur das Fest retten, sondern auch herausfinden, wer hinter dem Angriff steckt – bevor die Bedrohung alles zerstört, was sie lieben.
Regina Meissner – The golden MistletoeBillie führt ein Doppelleben: In der Gegenwart kümmert sie sich um ihre kranke Großmutter, in der Vergangenheit taucht sie ein in die glanzvolle Regency-Ära. Doch als ihr Verlobter sie vor dem Altar stehen lässt, ist sie drauf und dran, den Glauben an die Liebe zu verlieren. Oder hält das Schicksal womöglich eine zweite Chance in der Gegenwart für sie bereit?
Fam Schaper – Midnight MagicEvie hat nur ein Ziel: eine große Magierin zu werden. Als sie und ihr Rivale Silas aber das Wappentier ihrer Gilde, einen magischen Raben, verlieren, stehen ihre Plätze in der Akademie auf dem Spiel. Um alles wiedergutzumachen, bleibt ihnen nur eine Nacht – und ein riskanter Plan, der sie unter die Straßen von New York führt und ihr gegenseitiges Vertrauen fordert.
Kira Licht ist in Japan und Deutschland aufgewachsen. In Japan besuchte sie eine internationale Schule, überlebte ein Erdbeben und machte ein deutsches Abitur. Danach studierte sie Biologie und Humanmedizin. Sie lebt, liebt und schreibt in Bochum, reist aber gerne um die Welt und besucht Freunde.
Hinter dem Pseudonym Asuka Lionera verbirgt sich eine im Jahr 1987 geborene Träumerin, die schon als Kind fasziniert von Geschichten und Comics war. Bereits als Jugendliche begann sie, Fan-Fictions zu ihren Lieblingsserien zu schreiben und kleine RPG-Spiele für den PC zu entwickeln, wodurch sie ihre Fantasie ausleben konnte. Ihre Leidenschaft machte sie nach einigen Umwegen und Einbahnstraßen zu ihrem Beruf. Heute ist sie eine erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Mann und ihrem Fellnasenkind in einem kleinen Dorf in Hessen wohnt, das mehr Kühe als Einwohner hat.
Magdalena Gammel wurde 1997 in München geboren. Literatur und Film waren schon immer ihre Leidenschaft. Ein paar Ausflüge in die Schauspielerei machten ihr aber klar, dass sie die Geschichten lieber erzählt, als sie darzustellen. Auf das Kunst-Abitur folgte eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton. Wenn sie nicht gerade in Südafrika bei ihrer Familie nach neuen Abenteuern sucht, lebt und schreibt Magdalena in ihrer Heimatstadt München.
Regina Meißner wurde 1993 in einer Kleinstadt in Hessen geboren. Durch lesebegeisterte Eltern entdeckte sie die Liebe zur Literatur früh und versuchte sich am Schreiben eigener Geschichten. Regina hat Lehramt auf Deutsch und Englisch studiert und arbeitet als Social-Media-Managerin in einem Medienunternehmen. Neben dem Schreiben liebt sie das Lesen, das Reisen, Disney und alles, was mit Schweden zu tun hat.
Fam Schaper wurde 1997 in der Nähe von Frankfurt am Main geboren, lebt aber seit einigen Jahren in Berlin. Sie hat schon New Adult-Romane veröffentlicht, doch seit ihrer Kindheit schlägt ihr Herz für Fantasy-Geschichten. Ihre Zeit verbringt sie am liebsten mit Freunden im Park, in Secondhand- und natürlich Buchläden. Neben ihrer Arbeit als Autorin ist sie auch als Lektorin tätig – sie beschäftigt sich also den ganzen Tag mit Geschichten und möchte damit auf keinen Fall wieder aufhören.
Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!
Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.
Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.
Mehr über unsere Bücher und Autor:innen auf: www.thienemann.de
Loomlight auf Instagram: https://www.instagram.com/loomlightverlag
Loomlight auf TikTok: https://www.tiktok.com/@thienemannverlage
Und hier kommst du direkt zu unseren Events und Lesungen: www.thienemann.de/events-lesungen
Viel Spaß beim Lesen!
Kira Licht Asuka Lionera Magdalena Gammel Regina Meissner Fam Schaper
5 ROMANTASY WINTER STORIES
LOOMLIGHT
Kira Licht
A Winter’s dark Embrace
Ernsthaft. Wer dachte sich so etwas aus?
Sie nannten es einen »vorweihnachtlichen Ball«. Ich nannte es »fünf Stunden geballte Zeitverschwendung«. Meine Erzeuger hatten sich mächtig in Schale geworfen und glitten durch die Menge, beide ein entrücktes Grinsen ins Gesicht betoniert. Mutter verteilte Küsschen rechts, Küsschen links, mein Vater klopfte Freunden und Geschäftspartnern auf die Schulter, und beide warfen mit den üblichen Floskeln um sich, an die sich nach den Feiertagen niemand mehr erinnerte. »Ja, Darling, wir müssen uns kommendes Jahr unbedingt öfter sehen.« »Nein, hast du das gehört? Ich war so schockiert!« »Das sollten wir mal bei einem Abendessen besprechen. Ich lasse meine Sekretärin einen Termin ausmachen.« Blablabla. Der pseudo-harmonische Nonsens, den alle vor Weihnachten von sich gaben, und nicht mal wir Vampire waren davor gefeit.
Ich unterdrückte ein Gähnen und war froh, einen Eckplatz gefunden zu haben, von dem aus ich das Treiben überblicken konnte, ohne dass mich jemand groß bemerkte. Seit dem Beginn meines Studiums arbeitete ich nebenher in der Unternehmensberatung meiner Familie mit und im Kopf ging ich nun all die geschäftlichen Dinge durch, die ich erledigen könnte, wenn es die Tradition nicht verlangte, dass ich mich diesem Abend voller Langeweile hingab. Das Addendum für Longwell Healthcare wollte ich ein letztes Mal checken, bevor ich es meinem Vater am Montag zur Prüfung vorlegte. Der Vertrag zwischen Sweet Tooth Inc und Modern Chems war aufgesetzt, doch die Verschwiegenheitsklausel bedurfte noch einer Überarbeitung, um sie wasserdicht zu machen. Außerdem musste ich gleich noch kurz ins Büro, um zwei Akten zu holen, weil ein Termin in Brüssel vorgezogen worden war und ich die Notizen für meinen Vater und seine Kollegen ordnen wollte.
Mutter hatte mir das Versprechen abgenommen, dieses Jahr nicht wieder nach einer Stunde zu verschwinden, aber es gab noch so verdammt viel zu tun … Ich spielte mit der Zunge an der Spitze meines rechten Fangzahns herum, so wie ich es häufig tat, wenn ich nachdachte.
»Hier versteckst du dich, alter Junge.« Carson boxte mir freundschaftlich gegen die Schulter. Wir waren beide Harvard-Studenten und deshalb verzieh ich ihm, dass er sich – aus was für Gründen auch immer – für meinen Kumpel hielt. Er war einen Kopf kleiner als ich, besaß die treu blickenden Augen eines Cockerspaniels und die omnipräsent roten Flecken auf seinen Wangen schimmerten heute lila. Vermutlich, weil er der Blutbowle, die mit einem großzügigen Anteil Cognac aufgepeppt war, ausgiebig zugesprochen hatte. Wie immer war er gekleidet wie ein ältlicher Sonntagsschullehrer: ockerfarbene Tweedhose, olivgrünes Oberhemd, braune Cordweste mit Uhrenkette.
»Alles klar?«, brummte ich und sah schnell wieder weg. Ich war komplett in nachtschwarzes Armani gehüllt und meine Augen wurden durch Carsons abenteuerliche Farbzusammenstellung leicht traumatisiert.
»Prächtig, prächtig.« Carson kicherte. »Mir geht es prächtig.«
Oh, ganz vergessen. Er sprach auch wie ein ältlicher Sonntagsschullehrer.
»Bist du schon lange hier?« Ich war zwar nicht begeistert von seinem Auftauchen, aber zu gut erzogen, um ihn zu ignorieren.
Schon wieder ein Kichern. »Seit sie die Pforten geöffnet haben.«
Es juckte mich so sehr, irgendetwas wie »Wohlan, so gebe er sich weiter dem munteren Treiben hin« zu erwidern, aber ich verkniff es mir. Ich nickte also nur, da stupste er mich erneut an.
»Und du? Und hast du die Bowle probiert? Sie ist so viel besser als im letzten Jahr.«
Mir war beim Eintreffen ein Glas gereicht worden, aber ich hatte nur einmal daran genippt, als ich mit meinen Eltern angestoßen hatte. Ich mochte kein gepantschtes Blut. »Ist ganz okay«, erwiderte ich, weil ich keine Lust hatte, mit ihm über Pro und Kontra von Alkohol in Blut zu diskutieren, denn dass er ein Fan war, war unübersehbar. »Ich bin erst seit ʼner halben Stunde da, aber vermutlich haue ich gleich ab. Ist nicht so meine Party.« Und sie war nicht da. Normalerweise warf ich wenigstens einen kurzen Blick auf sie, bevor ich verschwand.
Carson sprach noch immer über die Bowle, als ein paar Nachzügler eintrafen. Die Menge wich zur Seite, es erklangen »Hallos« und die Ober eilten herbei, die Tabletts voller langstieliger Gläser mit … richtig, der Bowle.
Mein kaltes Herz regte sich.
Auftritt die kleine Eiskönigin.
Ich reckte mich, straffte unwillkürlich die Schultern und erschrak, als ich bemerkte, wie sehr ich plötzlich gesehen werden wollte.
Aber nur von ihr. Wie immer, wenn ich sie ansah, erwachte etwas in mir. Etwas Dunkles, etwas Knurrendes, etwas Forderndes, das an seinen Ketten zerrte.
Sie schüttelte Hände, gab Küsschen und verteilte Umarmungen. Jeder wollte von ihr bemerkt und begrüßt werden. Der Ballsaal war groß, doch zum Glück überragte ich die meisten hier und sie spürte vermutlich, dass ich sie über die Menge hinweg anstarrte wie ein hungriger Wolf. Unsere Blicke trafen sich, verknoteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie die Nase rümpfte und dann wegsah.
Ich grinste. Wäre ich ihr scheißegal, würde sie diese Show nicht abziehen – das wussten wir beide.
Ich betrachtete sie im warmen Schein der Kerzen, der einen goldenen Schimmer auf ihr helles Haar warf. Elouise Mirabelle Winterson. Angehende Linguistin, Wohltäterin, Papis kleiner Augenstern.
Das Kleid, das sie trug, war elegant, geschmackvoll, ganz Understatement. Es stand ihr hervorragend. Und dennoch explodierten Bilder in meinem Kopf, wie sie wohl aussah, wenn sie nichts als Mondlicht auf der Haut trug.
Entschieden riss ich mich von ihrem Anblick los. Wo wohl ihr Angetrauter steckte? Er ließ sie an so einem Abend garantiert nicht allein auftauchen. Was für ein Skandal. Keuch! Nochmals sah ich mich um. Wo steckst du, Lucas Pappenheimer Bellum? Das war nicht wirklich sein zweiter Vorname. Er lautete Arthur? Alistaire? Egal. Ich hatte ihm den Spitznamen verpasst, weil er so viel Rückgrat besaß wie ein wirbelloses Kriechtier – nämlich gar keins.
»Da ist Elouise.« Carsons Stimme war eine Oktave höher gewandert. »Begrüßen wir sie.«
»Ich gehe jetzt.« Schon wieder glitt mein Blick zu ihr.
»Wie bitte?« Enttäuschung schwang in Carsons Stimme mit. »Na, wenn du meinst. Aber dann komm wenigstens mit, wenn ich kurz mit ihr spreche. Wir sollten ihr zeigen, dass wir uns freuen, dass sie wieder an gesellschaftlichen Terminen teilnimmt. Es ist sicherlich nicht einfach für sie nach dem Drama mit Lucas hier aufzutauchen.«
Was. Zur. Hölle? Mein Blick schnellte zu Carson. »Was?«
Er wirkte irritiert. »Die geplatzte Verlobung? Klingelt es da bei dir?«
Was. Zur. Fucking. Hölle?
Carson schnaufte. »Wo lebst du? Unter einem Stein?«
»Hey …«, knurrte ich. Ich gab nichts auf den aktuellen Tratsch der Vampir High Society, auch wenn ich dank meiner Familie unfreiwillig selbst ein Teil davon war.
»Puh. Hast du eine Laune. Gut, dann bekommst du die Kurzfassung.« Carson riss seine Spaniel-Augen auf, um seiner Erzählung mehr Dramatik zu verleihen. »Im Januar hat Lucas die Verlobung gelöst. Er hat sich einer spirituellen Gemeinschaft angeschlossen, die auf Bali lebt. Er ist jetzt hauptberuflich Perlentaucher und mit einer Schamanin liiert.«
Ich musste Carson so entgeistert angesehen haben, dass die Betroffenheit in seinem Blick noch mal zunahm. »Unglaublich, oder?«
Ich nickte. In meinem Kopf ratterten alle Zahnräder. Pappenheimer Bellum hatte das Feld geräumt. Das war interessant. Die Wut, die in mir aufbrandete, überraschte mich. Er hatte ihr wehgetan. Ich wollte ihm wehtun. Wie lange dauerte wohl ein Flug nach Bali?
Carson seufzte. »Dann los. Sprechen wir mit ihr. Nur ein paar Minuten, gib dir einen Ruck. Es wäre nett.«
»Ich bin nicht nett.«
Carson wollte etwas erwidern, dann winkte er ab und ließ mich stehen, um die mittlerweile in der Menge abgetauchte Elouise zu suchen.
Ich machte meine Mutter sehr glücklich. Es war bereits kurz vor Mitternacht und ich hatte die Veranstaltung immer noch nicht verlassen. Drei ganze Stunden waren vergangen. Mutter hatte mir schon viermal über die Menge hinweg zugewunken, mein Vater mir anerkennend zugenickt. Es war herzig, dass es Mutter so viel bedeutete, ohne sie wäre ich schon längst auf dem Weg ins Büro. Im Moment war Elouise mal wieder in der Menge verschwunden. Sie hatte sich unterhalten, an der Bowle genippt, getanzt, gelacht … und betont nicht mehr in meine Richtung geblickt.
Wo bist du? Ich will dich ansehen …
»Da steckt ja unsere Partygranate.« Gelächter bekannter Stimmen erklang.
»Erwischt.« Ich grinste. Jackson, Fleur, Ju-Lin, Greta, Santal, Brenson, Alexander und Elouise. Wir kannten uns alle schon seit unserer Kindheit. Sommer auf Marthaʼs Vineyard, Winter in Aspen, exklusive Internate in Vermont und einen Studienplatz an einer der Ivy-League-Universitäten. Wir entstammten den ältesten Vampir-Coven der USA und besaßen so viel Geld, das wir nie darüber sprachen. Sie lächelten mich alle an, nur Elouise drehte den Stiel ihres Glases zwischen den Fingern und sah etwas zu bemüht zur Tanzfläche.
»Du bist noch da?« Ju-Lin legte fragend den Kopf schief. »Bist du krank?«
Schon wieder lachten die anderen. Ich wusste, dass sie sich regelmäßig trafen. Ich hingegen war ein Einzelgänger.
Einen Moment lang hing Schweigen zwischen uns. Dann sagte ich »Ich wollte jetzt los« in dem Moment, in dem Elouise sich zu uns drehte und »Ich glaube, ich gehe jetzt« murmelte.
Santal lächelte breit und schlug mir auf die Schulter. »Dann macht doch zusammen den Abflug.« Anders als die Mädels der Gruppe schien der gute Santal nicht eingeweiht in unsere Vorgeschichte. Während Elouise erstarrte, warfen Fleur, Greta und Ju-Lin einander eindeutige Blicke zu.
»Es wäre mir eine Freude, dich zu deinem Wagen zu bringen.« Ich wollte lächeln, doch vermutlich glich es eher einem Zähneblecken.
Greta sprang ein. »Wir wollten noch über diese Sache sprechen. Jetzt wäre der …«
Elouise reckte die Schultern und zum dritten Mal an diesem Abend sah sie mich direkt an. Ihr Blick war herausfordernd. »Danke, Greta. Ich gehe mit Asher.«
Die kleine Eiskönigin hatte wohl ihre mutigen fünf Minuten. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Dann reichte ich ihr meinen Arm. »Wollen wir?«
Sie zögerte. Wieder verkniff ich mir ein Grinsen.
Elouise gab nach und ließ es zu, dass ich ihren Arm unter meinen hakte. Ich spürte, wie sie kurz erschauerte, als unsere Hände sich berührten, auch wenn sie sich Mühe gab, es zu verbergen. Ich legte meine Hand auf ihre, absichtlich natürlich, um sie aus der Reserve zu locken.
Zeig mir, was für ein Feuer in dir lodert, kleine Eiskönigin …
Ich fühlte den stechenden Blick meiner Mutter im Rücken, als ich den Ballsaal mit Asher verließ. Im Kopf hörte ich schon die Gardinenpredigt, die sie mir morgen halten würde. Ich verstehe, dass du dich trösten möchtest, aber muss es ausgerechnet er sein? Natürlich hatte sie nicht unrecht. Einerseits benutzte ich Asher, damit die gesamte Vampirgesellschaft sah, dass ich den Ball mit einem Mann verließ. Einem attraktiven Mann, der den Ruf hatte, nichts anbrennen zu lassen. Andererseits hatte ich nicht vor, Asher in mein Bett zu lassen. Mit ihm hatte ich abgeschlossen, auch wenn es mir in seiner Gegenwart immer schwerfiel, mich so zu verhalten. Denn ja, ich musste es zugeben, er sah so gut aus, dass er jede Frau nervös machen würde.
Der Eingangsbereich mit der Garderobe war ebenso weihnachtlich geschmückt wie der Saal an sich. Überall kleine Lichter und jede Menge glitzernde Deko. Ranken aus Tannengrün verbreiteten einen angenehmen Duft. Asher gab meinen Arm frei und ging zur Garderobe, um unsere Mäntel zu holen. Ich beobachtete ihn dabei. Das Selbstbewusstsein, das er verströmte, hatte er schon zu Schulzeiten besessen. Er gab einem immer das Gefühl, alles im Griff zu haben, egal ob bei einem Projekt im Biologieunterricht oder wenn er dich durch einen vollen Club geleitete und dabei mühelos sicherstellte, dass dich niemand anrempelte. Sein Benehmen hatte etwas Altmodisches an sich, aber er war schon immer zu cool und zu beliebt gewesen, als dass das jemals jemand kommentiert hätte. Asher war unantastbar. Nicht, weil er sich darum bemühte, sondern weil es sein geborenes Recht zu sein schien. Überflüssig zu erwähnen, was das für eine Wirkung auf Frauen, mich eingeschlossen, hatte. Die ältere Vampirin an der Garderobe kicherte wie ein Schulmädchen, als er ein paar Worte mit ihr wechselte. Ich schüttelte leicht den Kopf. Ja, genauso war Asher van Hoyd. Er wickelte jeden mühelos um den Finger. Man wollte von ihm gesehen, beachtet werden, und dass er als Einzelgänger galt, machte ihn noch reizvoller. Asher kam zurück, und die Art, wie sein Blick auf mir ruhte, sandte ein Prickeln durch den gesamten Körper. Oder vielleicht war es auch nur die Wirkung der Blutbowle, die ich in meinen Adern spürte? Ich trank nicht oft Alkohol und dementsprechend machte sich dieser sofort bemerkbar. Vermutlich war auch er verantwortlich für meine Gedanken, die mir prompt durch den Kopf schossen. Nicht jugendfreie Gedanken. Enthemmt Alkohol nicht? War es das? »Darf ich?« Seine tiefe Stimme ging mir durch und durch, als er den Mantel hielt, sodass ich hineinschlüpfen konnte.
»Danke.« Ich klang ein bisschen atemlos, was mich ärgerte. Asher ließ den Mantel nicht sofort los. Stattdessen ruhten seine Hände einen Moment zu lang auf meinen Schultern. Ich hatte das Gefühl, dass er etwas sagen wollte, doch er schwieg. Stattdessen reichte er mir wieder seinen Arm. Wir traten hinaus in die Kälte. Hier in Boston war die Weihnachtszeit eine Garantie für Schnee. Natürlich war der Parkplatz geräumt worden, aber vereinzelte Flocken fielen vom Himmel und die dichten Wolken verrieten, dass uns in den frühen Morgenstunden ein Schneetreiben bevorstand. Ich ging zielstrebig auf mein weißes Elektroauto zu. In der Stadt konnte man alles mühelos mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen und bei gutem Wetter nutzte ich auch gerne mein Fahrrad. In den Ferien war ich jedoch dankbar für das Auto, weil ich in der Stiftung meiner Eltern jobbte und oft den Tag über viele verschiedene Termine an unterschiedlichsten Orten innerhalb und außerhalb der Stadt wahrnahm. Ich löste mich von Asher, um meinen Schlüssel aus meiner kleinen Abendhandtasche zu holen. »Danke dir.« Mein Herz klopfte schnell. Er machte mich nervös, das konnte ich nicht verheimlichen. Aber er hatte mir auch wehgetan, und da mir der Charakter eines Mannes wichtiger war als sein blendendes Aussehen, würde ich mich nicht davon beeindrucken lassen. Ich lächelte ihn kurz an. »Gute Nacht, Asher.« Ich hatte ihm gerade den Rücken zugedreht und die Lampen im Innenraum meines Wagens sprangen an, als er entriegelte, da erklang seine dunkle Stimme hinter mir. »Geh mit mir aus, Elouise.«
Ich erstarrte. Mit der Hand schon an der Türklinke wollte ich einmal tief Luft holen. Langsam drehte ich mich wieder zu ihm um. »Wie bitte?«
Der Blick aus seinen dunklen Augen war eindringlich. »Geh mit mir aus.«
»Nein.« Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Bitte.«
Er kam nicht näher, er berührte mich nicht, er sah mich einfach nur an und da war etwas in seinen Augen, das mich nicht losließ.
»Warum?« Ein Wort, fast geflüstert. Die Schneeflocken begannen schneller zu fallen, waren dichter geworden, und eine von ihnen verfing sich in seinem dunklen Haar. Warum? Das Wort hallte in meinem Kopf nach.
»Weil das mit uns noch nicht vorbei ist.« Asher war bekannt für seine Direktheit. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Niemals. Ganz besonders dann nicht, wenn es darum ging, seine Interessen durchzusetzen. Oder jemandem die Meinung zu sagen.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte mich an meinen Wagen. Ich brauchte eine Stütze in meinem Rücken. Es fiel mir nicht leicht, darüber zu sprechen. »Doch, das ist es. Es endete, als du mich am Abend des Abschlussballs hast sitzen lassen. Ohne ein Wort. Du warst mein Date. Du bist nicht aufgetaucht. Mein Vater hat mich zur Schule gefahren. Wo ich dann allein aufkreuzen musste.« Meine Sätze klangen spröde und abgehackt. »Wo ich dann allein ein Foto von mir machen lassen musste. Ein Erinnerungsfoto, das man noch seinen Enkeln zeigen soll. Der Platz neben mir am Tisch blieb leer. Der erste Tanz und ich saß als Einzige auf meinem Stuhl. Allein, unter den Blicken aller, gedemütigt. Zum Glück habe ich Freunde, die sich dann deine Rolle als mein Begleiter geteilt haben. Deren Dates freundlicherweise gestattet haben, dass sie sich auch um mich kümmern.« Ich sah ihn fest an. »Ganz ehrlich? An diesem Abend war es nicht nur einmal vorbei mit uns, es war so oft vorbei mit uns, dass es für mehrere Leben reichen wird und …« Ich brach ab, als ich den rohen Schmerz in seinem Gesicht sah, wie eine offene Wunde, aus der Emotionen strömten, die zu unterschiedlich waren, um sie alle zu benennen: Angst, Schmerz, Schuld, Reue. Meine Worte versiegten, gebannt von seiner Reaktion, mit der ich nicht gerechnet hatte. Sein Gesicht, sonst so verschlossen, so eine perfekte Maske von Arroganz und Überlegenheit, war jetzt wie ein offenes Buch. Und das, was ich darin las, schnürte mir die Brust zu. Dann war der Moment vorbei. Asher blinzelte und hatte sich prompt wieder im Griff. Er kam einen Schritt näher. Nicht so nah, dass er meinen persönlichen Distanzbereich verletzt hätte, aber nah genug, dass ich das Funkeln in seinen Augen sah. Er war wieder zurück, der Asher, den er der Welt zeigte. »Gib mir eine zweite Chance.«
Ich schüttelte den Kopf. Was glaubt er eigentlich? Dass ich nur auf ihn gewartet hatte? Er dachte nach, ich erkannte es an der Art, wie er die Brauen runzelte. Verflixt, das sollte so nicht sein. Ich kannte ihn zu gut. Hatte ihn zu viele Jahre lang zu genau studiert. Genauer gesagt, hatte ich mich mit 13 Jahren in ihn verliebt. Seitdem hatte ich ihn aus der Ferne angeschmachtet. Aber ich war ein kleiner Bücherwurm und er die Sportskanone. Er hatte Mädchen gedatet, die wussten, wie man flirtete. Oft sogar ältere, die raffiniertes Make-up trugen und in Parfümwolken gehüllt waren. Er hatte in der zwölften Klasse eine Freundin gehabt, die bereits aufs College ging. All das hatte mich eingeschüchtert. Als er mich dann gefragt hatte, ob ich mit ihm auf den Abschlussball gehen wollte, hatte ich es nicht glauben können. Und der Rest war Geschichte …
»Gib mir bis Weihnachten Zeit. Das sind vier Wochenenden, inklusive diesem hier. Wir unternehmen etwas. Treffen uns. Verbringen Zeit zusammen.«
Ich schnaubte. »Und du glaubst, dass ich mich dann in dich verliebe?«
Er erwiderte nichts, sah mich nur an, aber ich wusste, was er dachte. Denn so war er nun mal. Er glaubte ans Gewinnen, nicht ans Verlieren.
»Das schaffst du niemals.«
Wieder blitzte da etwas in seinen Augen auf, aber jetzt war es etwas Amüsiertes. »Wollen wir wetten?« Seine Stimme war eine Nuance dunkler geworden.
Ich sah immer noch zu ihm hoch und mir war erneut danach, zu schnauben. Etwas hatte in meiner Magengegend leicht zu flattern begonnen. Wie würde es sein, wenn er sich um mich bemühte? Wenn er alles dafür gab, diese Wette zu gewinnen? Und wie würde es sich anfühlen, wenn ich alles dafür tun würde, dass er sie verlor? Das Kribbeln in meinem Bauch verstärkte sich. »Worum wetten wir?«
Wieder kam er etwas näher. Er legte eine Hand neben mir auf dem Wagendach ab. »Sag du es mir.« Er lächelte, sein Blick unverwandt auf mein Gesicht geheftet.
Er hatte diese Art, einen anzusehen, dass man das Gefühl bekam, man sei mit ihm allein auf dieser Welt. Die Umgebung um mich herum verschwand. Mein Blick glitt zu seinem Mund. Mit 13 Jahren hatte ich mir zum ersten Mal vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, diese Lippen auf meinen zu spüren. Jetzt war ich 21 Jahre alt und hin und wieder träumte ich noch immer davon. Es war eine blasse Erinnerung an mein altes Ich; es war eine ungeliebte Erinnerung, während ich mit Lucas eine Zukunft geplant hatte. Er war ein Schatten aus der Vergangenheit, der immer noch die Macht besaß, mich mit einer Intensität zu packen, die mir Sorgen bereitete. Ich versuchte, klar zu denken, aber es war schwierig. Wenn wir wetten, dann brauchte ich etwas, das ihm gewaltig auf die Nerven gehen würde, sollte er verlieren. »Du wirst ein Jahr lang meinen persönlichen Assistenten spielen.« Die Worte entkamen aus meinem Mund, bevor ich weiter darüber nachdenken konnte. Doch wie gesagt, ich kannte ihn gut. Asher war ein Anführer, er sagte, wo es langging. Er war ehrgeizig, einer der Besten seines Jahrgangs, er vertraute auf seinen Verstand. Ich wusste von Jackson, dass er ganze Nächte in der Bibliothek verbrachte. Brenson hatte erzählt, dass er neben dem Studium fast so etwas wie einen Vollzeitjob in der Kanzlei seines Vaters hatte. Und von Alexander wusste ich, dass er jeden Morgen um fünf Uhr aufstand, um mindestens eine Stunde Sport zu machen und dieses Programm am Abend sogar wiederholte. Er wollte ganz an die Spitze. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn ich ihn per Textnachricht zum nächsten Starbucks schicken würde, um mir einen Matcha Latte zu holen? Eigentlich war ich niemand, der auf Machtspielchen stand. Aber bei Asher …? Es war einfach zu verlockend.
»Bitte was?« Er klang, als kämpfe er darum, ein Lachen zu unterdrücken. Ich hingegen war stolz auf mich, wie gnadenlos ich sein konnte.
Ich imitierte sein amüsiertes Gesicht. »Du hast richtig gehört. Ich werde dich losschicken, um mir einen Kaffee zu holen. Du wirst meine Sachen aus der Reinigung holen, Theaterkarten für mich buchen, mich zu meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten, wie dem Bingoabend im Altenheim, begleiten und natürlich zu meinem Häkel-Kränzchen einmal im Monat.«
Auf Ashers sonst so unbewegtem Gesicht zuckte ein Muskel.
»Das sind meine Bedingungen.« Ich lächelte zuckersüß. »Akzeptiere sie oder lass es bleiben.«
Er presste die Lippen aufeinander. Ich sah, wie er mit sich kämpfte, und oh, wie ich es genoss.
»Sprechen wir erst mal über meinen Teil«, gab er schließlich zurück. »Wenn du dich in mich verliebst, wirst du mit mir zusammen zum Neujahrsball gehen und dort der gesamten Vampirgesellschaft erzählen, dass du mit mir zusammen bist, weil du schon immer scharf auf mich warst und sich das nie geändert hat.«
Ich schnappte nach Luft. Das letzte Jahr war sowieso ein Spießrutenlauf gewesen. Als Lucas mich verlassen hatte, war ich durch ein Tal der Tränen gegangen, nicht nur allein im stillen Kämmerlein, sondern auch sehr öffentlich. Ich hatte die hämischen Blicke gespürt, das Getuschel, die Spekulationen. Ein weiterer Skandal würde die Leute nicht mehr so vom Hocker hauen. Vermutlich rechneten sie sogar damit. Außerdem würde ich zu verhindern wissen, dass er mir so nah kam und ich mich in ihn verliebte. Und wie wollte er das überhaupt messen? Er konnte mir schließlich keine Elektroden an die Brust heften, um meine Ausschläge zu überprüfen. Ich reckte das Kinn und kam ihm unbewusst etwas entgegen. »Wie willst du das feststellen? Man kann Verliebtheit nicht messen.«
Asher neigte leicht den Kopf, wobei sich unsere Lippen ganz nah kamen und ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte. »Ich will einen Kuss.« Er wisperte die Worte nur. »Ich will einen einzigen echten Kuss. Und danach werden wir beide spüren, was Sache ist.« Er wich etwas zurück. »Sex zählt nicht.«
Meine Wangen wurden sofort heiß. »Was hat Sex mit einem Kuss zu tun?«
Er legte den Kopf schief. »Du weißt aber schon, worüber wir reden? Sex ist das, was zwei Menschen tun, die sich attraktiv finden? Und dabei küsst man sich für gewöhnlich?«
Ich spürte, wie ich rot wurde, und ich hasste mich dafür. »Ich kann dir trotzdem nicht folgen.«
Asher sah mich wieder eindringlich an. »Sex hat nicht unbedingt etwas mit Gefühlen zu tun. Na ja, jedenfalls nicht mit den Gefühlen, bei denen es um Verliebtheit geht. Wir können gerne miteinander ins Bett gehen, aber das ist nicht das, was ich will.«
»Na, herzlichen Dank für deine Großzügigkeit«, erwiderte ich.
Er grinste.
»Also ein echter Kuss, ja?«
Asher nickte. »So richtig echt.« Für den Bruchteil einer Sekunde glitt sein Blick zu meinen Lippen.
Schon wieder hatte ich dieses Kribbeln im Bauch. Okay, das würde nicht einfach werden. Doch ich hatte die Zügel in der Hand. Und ich würde ihm beweisen, dass er nicht immer alles bekam, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Kein Sex und erst recht keine »echten Küsse«, was auch immer er sich darunter vorstellte. Es war verlockend, es war leicht, und ich hätte ein paar nette Verabredungen mit einem attraktiven Mann, der alles dafür geben würde, mich von sich zu überzeugen. Und ich hatte gedacht, die Vorweihnachtszeit würde langweilig werden …
»Nehmen wir mal an, ich stimme der Wette zu. Wie würden diese Verabredungen ablaufen?«
»Zwei Aktivitäten pro Wochenende, entweder aufgeteilt auf einen Tag oder zwei Tage. Jeder von uns sucht etwas aus, damit es fair bleibt.«
Das klang gut. Ich nickte. »Abgemacht.«
Ich konnte zusehen, wie sich ein charmantes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Die Spiele waren eröffnet und das gefiel ihm. »Abgemacht.«
Ich reichte ihm die Hand. Er umgriff sanft meine Finger, schüttelte sie einmal, dann hob er sie an seine Lippen und hauchte einen Kuss auf die Haut. Ein Schauer rieselte von meiner Wirbelsäule bis hinab in meine Zehen. Ich entzog ihm die Hand etwas ruppiger als gewollt. »Dann morgen?«
Wir hatten nur noch den Sonntag an diesem Wochenende.
Er nickte. »Dann morgen.«
Wir tauschten Handynummern.
Im Auto konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. Du hast schon verloren, Asher …
»Dot, wo steckst du denn? Wir sind spät dran.« Ich schlüpfte in meine dicken Wintersocken, während ich gleichzeitig mein Handy und die Hundeleine in der freien Hand jonglierte. Seit gestern Nacht glühte der Gruppenchat mit den Mädels. Sie konnten nicht glauben, was Asher vorgeschlagen hatte und dass ich darauf eingegangen war. Greta war sich sicher, er würde mir das Herz brechen. Zum zweiten Mal! Fleur war überzeugt, dass er noch ganz andere Absichten verfolgte. Was genau das war, wusste sie nicht, aber sie war sich sehr sicher mit ihrer Vermutung. Ju-Lin hielt an ihrer Theorie fest, dass er mich nur ins Bett bekommen wollte. Ich wusste heute Morgen überhaupt nicht, was ich denken sollte. Deshalb beschränkte ich mich auf die Fakten. Asher hatte darauf bestanden, mich abzuholen. Um zwölf Uhr sollte es losgehen. Eigentlich eine humane Zeit, aber da wir gestern bis nach Mitternacht auf dem Ball waren, hatte ich doch etwas länger geschlafen.
»Dot!«, rief ich erneut. So groß war meine Wohnung nicht. Wie schaffte es ein riesiger Hund, vermutlich eine Mischung aus einem Bernhardiner und einem Greyhound, sich hier zu verstecken? Oder war sie noch im Garten?
Ich hüpfte halb auf einem Bein den Korridor entlang, weil ich mit den dicken Socken nicht in meine Stiefel kam. Leise fluchend kriegte ich es schließlich hin und richtete mich auf. Dot stand in der Tür des Schlafzimmers und ihr Blick sagte: Warum schreist du hier so rum? Ich bin doch schon da. »Da bist du, Mäuschen.« Ich hakte die Leine an ihr Halsband. »Komm mit, wir haben eine Verabredung.« Dot drückte ihren Kopf gegen mein Bein und ich kraulte sie hinterm linken Ohr.
Ich hatte sie als Welpe in einem Tierheim entdeckt. Niemand wollte sie haben, weil sie vermutlich das hässlichste kleine Hundebaby auf diesem Planeten war. Unregelmäßig verteilte Fellbüschel am Körper, die undefinierbar grau waren. Ihr Schwanz war gänzlich unbehaart gewesen. Sie hatte riesige, wässrige Augen besessen und einen leichten Überbiss. Ich hatte mich sofort verliebt. Niemand hätte damit gerechnet, dass sie mal zu so einem hübschen Hund werden würde. Jetzt war sie für einen großen Hund schon alt, elf Jahre, trotzdem nahm ich sie noch überallhin mit, denn sie wollte mich gerne begleiten, das spürte ich. Normalerweise wartete sie an der Tür, wenn ich meine Schuhe anzog, es sei denn, sie verschlief diesen Moment, weil sie im letzten Jahr etwas schwerhörig geworden war.
Es klingelte und Dot spitzte die Ohren. Sie bellte einmal, ein tiefer und bedrohlich klingender Ton, der ihren Charakter so gar nicht widerspiegelte. Sie war sanftmütig und freundlich zu jedem.
»Auf gehtʼs.« Ich schnappte mir meine Handtasche und stiefelte aus der Wohnung, Dot im gemächlichen Tempo hinter mir her. Da ich ebenerdig wohnte, waren wir schnell an der Haustür.
Asher wirkte etwas überrascht, offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm die Tür persönlich öffnen würde. Wie immer war er gekleidet, als wäre er nebenberuflich ein Auftragskiller. Ganz in Schwarz mit streng zurückgekämmten Haaren und einer silbergerahmten Pilotenbrille auf der Nase, die seine messerscharf geschnittenen Wangenknochen betonte. Als er mich sah, nahm er die Brille ab und lächelte. »Guten Morgen.« Seine Augen weiteten sich ein wenig, als sein Blick auf Dot fiel. »Und wer ist das?« Er streckte nicht die Hand aus, um sie zu streicheln, wie viele Leute es taten. Aber er lächelte sie an und Dot wedelte mit dem Schwanz, als sie zu ihm hochsah.
Es verletzte mich, dass er nicht mal wusste, dass ich einen Hund hatte. Ich war zehn gewesen, als mein Vater mir erlaubt hatte, mir einen Hund aus dem Tierheim auszusuchen. Sie und ich waren ein eingespieltes Team, uns gab es praktisch nur im Doppelpack. Asher wusste so wenig über mich, dass er sie, mein Schatten, meine Begleiterin und Freundin, nicht auf dem Schirm hatte.
Ich schluckte die bitteren Gefühle hinunter und stellte sie einander vor. Dann ging Asher in die Hocke, um Dot zu streicheln. Sie stupste ihn mit ihrer großen Nase an und er lachte. Immerhin war er tierlieb. Das war eindeutig ein Punkt für ihn.
Wir verließen den Eingang und natürlich steuerte Asher auf den großen, schwarzen SUV zu, der am Straßenrand in zweiter Reihe geparkt war. Er öffnete die Tür und half uns beiden beim Einsteigen. Er wartete, bis Dot bequem im Fußraum Platz genommen hatte, bevor er sie vorsichtig schloss.
Während er um den Wagen herumging, sah ich schnell auf mein Handy. Schon wieder fünf neue Nachrichten in dem Gruppenchat. Die Mädels bestanden darauf, dass ich sofort Bescheid sagte, wenn ich wusste, wohin wir fuhren. Offenbar trauten sie ihm zu, mich direkt beim ersten Treffen zu verführen. Ich lächelte grimmig. Das würde nicht passieren. »Wohin geht es?«, fragte ich, sobald Asher hinter das Lenkrad glitt.
Er sah mich nicht an, sondern startete den Motor. »Ist eine Überraschung.«
Bei seinen Worten wurde mir etwas mulmig. Ich wusste, dass er nicht mein Kaliber war. Er war zwar nicht gefährlich, aber er war auf eine Art und Weise unberechenbar, die mein kleines Herz beunruhigte. Ich traute ihm zu, dass wir zu einem Space Shuttle fuhren und er einen kurzen Ausflug in die Atmosphäre geplant hatte. Umso erleichterter war ich, als wir Richtung Innenstadt fuhren, wo er an einer Seitenstraße anhielt. Sonntags mittags war hier nicht viel los, denn in dieser Gegend gab es nur wenige Restaurants.
Kaum, dass wir sicher in der Parklücke standen, war er erneut um das Auto herumgekommen, um mir die Tür zu öffnen. Er half zuerst Dot aus dem Auto, er war sogar stark genug, sie hochzuheben. Sie wirkte genauso überrascht wie ich. Dann hielt er mir in einer eleganten Geste die Hand hin. Ich fühlte mich, als würde ich aus einer Kutsche steigen. Lucas hatte zwar auch gutes Benehmen besessen, aber Asher war noch mal ganz anders. Er hielt meine Hand zuerst fest und die Art, wie er dann langsam meine Finger durch seine gleiten ließ, verriet, dass er wusste, was er tat. Und er hatte Erfolg damit. Schon wieder kribbelte es in meinem Bauch.
Wir gingen an drei oder vier Geschäften vorbei, bis er an einem Laden hielt, vor dem sich eine kleine Gruppe Menschen versammelt hatte. Überrascht musste ich feststellen, dass es sich um einen Buchladen handelte. Bevor ich etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgeschlossen.
Eine Frau mittleren Alters mit auffallend schönen kastanienbraunen Locken öffnete mit einem breiten Lächeln die Tür. »Kommen Sie herein. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Was für eine schöne Überraschung.«
Ich hatte immer noch keine Ahnung, was mich erwartete. Vielleicht eine Lesung? Wäre das nicht etwas früh? Der Buchladen war von innen wunderschön. Ich war schon ein paar Mal daran vorbeigefahren, allerdings hielt ich mich nicht oft in diesem Teil der Stand auf, deshalb war ich nie dazu gekommen, hineinzugehen. Große hölzerne Regale säumten die Wände. Sie waren bis oben hin vollgestellt mit Büchern jeglicher Art. Belletristik, Sachbücher, sogar antike Werke in Einbänden aus Stoff. Es roch nach kräftigem schwarzem Tee, Papier und jener guten Art von Staub, die Gemütlichkeit und Stille verhieß. Ich fühlte mich sofort wohl.
Wir folgten den anderen in den Laden und ich hielt kurz nach einem Schild Ausschau, das vielleicht offenbarte, dass hier keine Tiere gestattet waren. Doch ich fand nichts dazu und auch die zwei Angestellten im Laden lächelten uns freundlich an, als wir sie passierten.
Zu meiner Überraschung gingen wir in einen Bereich, der mit Tischen ausgestattet worden war. Ganz sicher fanden hier auch Lesungen statt, denn es gab eine kleine Bühne, aber die Tische? Es sah fast aus wie in der Schule.
Asher führte uns zu einem Tisch für zwei, wo er mir erst aus meiner Jacke half und mir dann den Stuhl zurückzog. Ich platzte mittlerweile vor Neugier. Die Frau hatte inzwischen ein Whiteboard vor die Bühne gerollt. Sie drehte sich zu uns und lächelte breit.
»Herzlich willkommen zu unserem offenen Kalligrafie-Workshop. Es ist schön, dass Sie heute bei uns sind.« Überrascht sah ich Asher an.
Er grinste schief. »Du bist doch angehende Linguistin. Ihr steht also total auf Sprache und die hat ja auch mit Schrift zu tun.«
Nicht unbedingt, wollte ich erwidern, aber das klang zu besserwisserisch. Außerdem freute ich mich über seine Idee. Sie war persönlich und gleichzeitig auch irgendwie besonders. Ein Kalligrafie-Workshop. Darauf musste man erst mal kommen. Ich bekam fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen, als ich an meinen Plan für heute Nachmittag dachte. Aber dann wurden wir abgelenkt, weil die Mitarbeiter des Buchladens Papier austeilten und wir jeweils ein Tintenfass und einen Becher mit verschiedenen Stiften darin bekamen. Einige waren sogar aus Glas!
Dot hatte es sich an meiner Seite auf dem Boden gemütlich gemacht und bekam einen Napf mit Wasser und einen Haferkeks. Große Becher wurden verteilt und Tee eingeschenkt. Im Hintergrund begann leise Musik zu spielen. Es war angenehm warm und als die Mitarbeiter begannen, mit großen Körben voller Kekse herumzugehen, war die Luft in kürzester Zeit erfüllt von dem Duft nach Zimt und anderen weihnachtlichen Gewürzen. Ich fand es einfach wunderbar.
Dass wir normale Speisen gut vertrugen, erleichterte es uns Vampiren, unerkannt unter den Menschen zu leben. Sie machten uns nur leider nicht satt. Ich biss in einen Keks mit Haferflocken und seufzte leise vor Genuss.
Die Frau, die sich als Angie vorstellte, besaß Marker mit einer extra breiten Spitze. So konnte sie uns zeigen, wie wir die Buchstaben schreiben sollten.
Ich textete den Mädels, wo wir waren und dass alles okay war.
Mir fiel es leicht, Angies Bewegungen nachzuahmen, aber Asher hatte so seine Schwierigkeiten. Der filigrane Stift aus Glas wirkte winzig in seiner großen Hand. Ich musste lächeln, als ich ihn von der Seite betrachtete und seine Zungenspitze ein kleines Stückchen hervorschnellte, weil er so konzentriert war. Er bemerkte es nicht, und als es mir selbst klar wurde, sah ich schnell weg. Ich würde mich nicht in ihn verlieben. Ich würde es nicht zulassen, dass mein Herz eine zweite Demütigung von ihm einstecken musste. Ich würde ihn auf Distanz halten.
Dot neben mir seufzte zufrieden und schmatzte, was mich zurück in die Realität katapultierte. Wir bekamen von Angie eine Übung und da es mir leichtfiel, beschloss ich, die Zeit für ein paar Fragen zu nutzen. Ich stellte mich absichtlich dumm. Nicht nur, weil es irgendwie immer noch wehtat, dass Asher so wenig über mich wusste, sondern auch, damit er kapierte, dass ich unsere Treffen betont oberflächlich hielt. »Du bist ein Einzelkind, oder?«
»Richtig.« Er war so konzentriert, dass er nicht von seinem Papier aufblickte. An seinem Zeigefinger prangte ein Tintenfleck. »Du hast Brüder, oder?«
Seine Gegenfrage überraschte mich. Eigentlich hatte ich vorgehabt, möglichst »wie nebenher« Small Talk zu machen, indem ich ihn mit Fragen bombardierte.
»Ja. Ich habe zwei ältere Brüder. Einmal zehn und einmal zwölf Jahre älter. Ich bin quasi der Nachzügler, mit dem keiner gerechnet hat. Angus ist im diplomatischen Dienst der Vampire tätig und lebt in England. Fred ist Arzt und arbeitet für eine wohltätige Organisation, die in Ländern mit unzureichender medizinischer Versorgung oder in Kriegsgebieten hilft. Ich sehe sie beide höchstens an den Feiertagen, wir haben kaum Kontakt.«
Asher stoppte in dem kläglichen Versuch, das Wort »Veranda« in möglichst elegantem Kursiv zu schreiben. »Ich glaube, ich hätte auch gerne Geschwister gehabt.« Er drehte sich zu mir, sah mich an und wirkte gleichzeitig nachdenklich. »Es wäre schön gewesen, einen Verbündeten in diesem übermächtigen Bollwerk mit Namen ›Eltern‹ zu haben.«
Ich lächelte. »Ja, dafür sind Geschwister gut.«
Sein Blick blieb ernst. »Du solltest mehr Kontakt zu deinen Brüdern haben. Lass es ihnen nicht durchgehen. Männer sind einfach anders, sie drehen sich um und fangen irgendwo ein neues Leben an. Aber die beiden haben eine jüngere Schwester. Sie sollten sich dafür interessieren, wie es dir geht, was dich beschäftigt und ob du etwas brauchst.« Die Art, wie er das sagte, verriet, dass es keine Floskel war. Er klang eindringlich und vielleicht sogar ein wenig verärgert.
Wieder kämpfte ich meine Faszination herunter. Verliebe. Dich. Nicht. In. Ihn. Lass es! Schütze dein Herz. Sei vernünftig. »Ich möchte ihnen nicht hinterherrennen«, erwiderte ich deshalb nur. »Und ich will ihnen auch kein schlechtes Gewissen machen, wenn es ihre Zeit nicht zulässt, den Kontakt mit mir zu halten.«
»Zeit hat man nicht für Familie, man nimmt sie sich.« Er hob den zierlichen Stift aus Glas hoch und drehte ihn grüblerisch in seinen Händen. »Du bist ihre kleine Schwester«, sagte er dann, fast mehr zu sich selbst als zu mir. »Es sollte ihnen wichtig sein, dass es dir gut geht.«
Ich musste mich abwenden. Ganz dringend, denn die Art, wie er sprach, so ruhig und eindringlich, nachdenklich, und das, was er sagte, es traf etwas in mir, denn tief in meinem Inneren dachte ich ähnlich. Ich brachte es fertig, nur unverbindlich zu lächeln.
Zum Glück bat Angie vorn vor der Bühne erneut um Aufmerksamkeit. Asher legte den Stift zur Seite, lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und legte dann wie selbstverständlich seinen Arm auf meiner Lehne ab. Ich wusste nicht recht, wie ich reagieren sollte. Und er roch so gut! Immer wenn er sich bewegte, schwebte ein Hauch seines Eau de Toilette zu mir herüber. Warm, dunkel und holzig, aber nicht auf die Art, die einem in der Nase kratzte, sondern eher gemütlich, wie ein lauschiger Abend am Kamin. Ich entspannte mich. Was sollte schon passieren? Und wenn es mich störte, könnte ich ihn darauf hinweisen, und er würde den Arm wegnehmen, dessen war ich mir sicher.
Ich durfte nicht vergessen, dass er bei diesem Treffen vermutlich daran arbeitete, mich für sich zu gewinnen. Denn warum sonst wären wir hier? Also versuchte er natürlich, mich auf irgendeine Art und Weise einzuwickeln. Und sei es nur mit dieser äußerst plakativen Methode.
Ich lehnte mich absichtlich noch etwas mehr zurück, rutschte in meinem Stuhl ein bisschen hin und her und konnte so weit zurückweichen, dass sein Arm meine Schulter berührte. Ich wollte wissen, wie er reagierte. Ich tat so, als würde ich an meinem Pullover eine Fluse abzupfen, in Wirklichkeit beobachtete ich ihn. Jetzt wirkten wir vertraut, so als wären wir ein Paar. Sein Arm berührte mich.
Er schluckte und für einen Moment wirkte er aus dem Konzept gebracht. Ich lächelte. Es war die Bestätigung, nach der ich gesucht hatte, und sie gab mir etwas Sicherheit zurück. Ich konnte das hier mit ihm machen. Er reagierte auf mich. Es war keine eiskalte Wette, um irgendjemandem etwas zu beweisen. Natürlich war es kein verlässliches Zeichen für tiefgehende Gefühle von seiner Seite aus. Aber immerhin … Ich hatte es geschafft, ihn kurz aus dem Konzept zu bringen. Und das sprach eine deutliche Sprache.
Leider hatte ich Asher unterschätzt – mal wieder. Vorne vor der Bühne dozierte Angie ausführlich über eine weitere Technik. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Und genau deshalb spürte ich es so deutlich, als sein Daumen plötzlich über meine Schulter strich. Die Berührung war zart, kaum spürbar. Sie war vorsichtig, kaum mehr als ein Tasten. Einmal, zweimal. Ganz sanft. Ich holte Luft, konnte mich nicht bewegen. Er wartete ab, das wusste ich. Würde ich zurückweichen, würde er es nicht noch mal versuchen. Aber ich rührte mich nicht. Noch einmal strich er ganz zart über meine Schulter, wieder nur mit dem Daumen.
Ich verharrte einen ewigen Moment lang in diesem Meer aus Gefühlen, dann besann ich mich auf meinen Plan. Ich würde es ihm nicht leicht machen. Und jetzt, da ich wusste, dass auch ich eine Wirkung auf ihn hatte, würde ich das ausnutzen.
Ich entschloss mich, aufs Ganze zu gehen. Auch ich legte meine Feder zur Seite. Dann hob ich die Hand und legte sie kurz über seine.
Ich hörte, wie er scharf Luft holte. Ein Lächeln spielte um meine Lippen. Du magst zwar ein Profi sein, lieber Asher, aber ich lerne sehr schnell, und was du kannst, kann ich schon lange.
»Es dauert nicht lange. Ich muss nur Dot etwas zu essen machen und mir eine Strumpfhose unter die Jeans anziehen, sonst kriege ich Frostbeulen.« Ich stand in dem winzigen Flur einer noch winzigeren Wohnung mit bunter Einrichtung. Elouise schien von den Farben Weiß oder Schwarz eindeutig nichts zu halten. Ich hatte während des Workshops darüber nachgegrübelt, wie ihr Zuhause wohl aussah. Aber mit so einer Farbexplosion hatte ich nicht gerechnet.
Dot, vermutlich der größte Hund auf diesem Planeten, baute sich vor ihr auf und wedelte mit dem Schwanz, weil sie sie anscheinend verstanden hatte. Sie ging Elouise fast bis zur Hüfte. Und wie konnte man so ein riesiges Tier Dot nennen? Pünktchen, ernsthaft?
Sie kickte sich die Stiefel von den Füßen, schlüpfte in ein paar rosa Schlappen aus Cord, die mit Blümchen bestickt waren. »Zieh deine Schuhe aus und mach es dir einen Moment bequem. Ich bin gleich fertig.«
»Wenn ich bis dahin nicht blind geworden bin, dann gerne.« Sie hielt mir ein paar hellblaue Schlappen mit Hasenohren hin. »Deine Gästepantoffeln.«
Ich schnaubte. »Das wird niemals passieren.«
Sie warf die Schuhe zurück in ein niedriges Regal. »Gut, dann hab kalte Füße. Die Wohnung ist ebenerdig, wie dir sicherlich schon aufgefallen ist, und der Holzboden besitzt keine Heizung darunter.«
Ich war eher besorgt um die Farbkombination und ihre Wirkung auf meine Augen, aber ich zuckte nur mit den Schultern, schob mir die Schuhe aus und folgte ihr. Wie zu erwarten war, war das Wohnzimmer samt Wohnküche nicht angenehmer für das Auge. Sie liebte Farben. Auf der Theke, in der auch ein Kochfeld integriert war, lagen stapelweise Bücher, sogar ein Tagebuch.
Elouise ging schnurstracks zum Kühlschrank. »Was gefiel dir an den Pantoffeln nicht?«
»Wie alt bist du? Zwölf?« Ich schob auf der Theke ein paar Bücher von rechts nach links und ließ den Blick zum Kühlschrank gleiten. In den obersten Fächern lagerten Dutzende Blutbeutel.
»Ach, jetzt halt aber mal den Mund.« Sie verschwand fast komplett in dem riesigen Kühlschrank. Ihre Stimme hallte dumpf daraus hervor. »Die sind witzig und süß.«
»Klar. Wie gesagt, für jemanden, der gerade zwölf geworden ist.« Ich warf einen schnellen Blick auf ihren Hintern, den sie mir immer noch entgegenreckte. Nice …
Elouise tauchte aus dem Kühlschrank hervor, schwang herum und trug jetzt eine riesige Dose Hundefutter. Sie knallte sie auf die Theke mir gegenüber und riss dann eine Schublade heraus, um sich einen Löffel zu nehmen. »Egal. Es liegt mir fern, dich von irgendetwas zu überzeugen, was mich angeht.«
Ich musterte sie interessiert. Das war eindeutig eine Spitze gewesen. Wenn ich sie für mich gewinnen wollte, sollte ich mir vielleicht etwas mehr Mühe geben. Ich war mir sicher, dass ich mit dem Kalligrafie-Workshop schon ziemlich gepunktet hatte. Aber jetzt? So wie sie mich ansah … Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Wo geht es denn gleich hin?«
»Ist eine Überraschung.« Sie imitierte meinen Tonfall von heute Morgen im Auto. Punkt für dich, kleine Eiskönigin. Ich mochte ihren wachen Verstand und ihre scharfe Zunge. Oder besser gesagt, es machte mich ziemlich an.
Wieder fiel mein Blick auf ihren Mund, bevor er unauffällig über ihr Gesicht wanderte, während sie Hundefutter in eine Schale schaufelte. Sie war schön und sie wusste es nicht mal. Gut, vielleicht wusste sie es schon irgendwie. Sie war auf eine Art und Weise attraktiv, die es heutzutage nur noch selten gab. Sie scherte sich nicht um aktuelle Schönheitsideale, um konturierte Wangenknochen, verführerische Katzenaugen und perfekt gezupfte Augenbrauen. Sie war schön auf eine unangestrengte Art, mühelos und trotzdem mit einer subtilen Eleganz, die andere auf den zweiten Platz verwies. Wenn überhaupt trug sie lediglich einen Hauch Puder und etwas Wimperntusche. Und trotzdem konnte ich kaum meinen Blick von ihr lösen.
Es war nicht das erste Mal, es waren Hunderte Male, dass ich mich selbst mental geohrfeigt hatte, die Sache damals nicht aufgeklärt zu haben. Ich hatte das Fenster verpasst, die Chance vertan und jetzt verhielt ich mich wie ein Trottel, um sie erneut für mich zu gewinnen. Eine Wette! Nicht sie war zwölf, ich war’s. Natürlich würde ich das vor ihr nicht zugeben, aber innerlich fühlte ich mich wie der letzte Vollidiot.
Dot fiel über ihr Futter her, während Elouise in ihr Schlafzimmer lief. Sie schloss die Tür nicht, sie lehnte sie nur an und ich hörte sie in einem Schrank wühlen. Minuten später war sie zurück. »Entschuldige, ich habe dir gar nichts zu trinken angeboten.«
»Ich brauche nichts«, erwiderte ich. »Sollen wir los?«
Sie nickte und ging voraus in den Flur.
Wir verabschiedeten uns von Dot, die uns zur Tür gefolgt war und dann saßen wir wieder in meinem Wagen. Elouise tippte die Adresse eines Parkhauses im Zentrum von Boston in mein Navi und ich hatte keine Ahnung, worauf das alles hier hinauslief. Dieses süffisante Grinsen um die Mundwinkel machte mir allerdings Sorgen.
»Nicht dein Ernst.« Ich blieb abrupt stehen, als mir klar wurde, was sie vorhatte.
Ihr unbekümmertes Lachen perlte wie Champagner. »Jetzt sei kein Frosch. Es macht Spaß.«
Ich rührte mich immer noch nicht. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Wie alt bist du? Zwölf?« Einerseits war ich echt genervt angesichts dessen, was mir bevorstand. Andererseits sah Elouise unglaublich niedlich aus mit dieser riesigen Pudelmütze, die nicht nur ihre komplette Stirn, sondern die Hälfte ihrer Augen bedeckte. Wie könnte ich ihr etwas abschlagen? Wie konnte ich nur darüber nachdenken? Und ganz sicher wollte ich kein ganzes Jahr lang ihren Laufburschen spielen. Sie sah zwar aus, als könne sie kein Wässerchen trüben, aber ich traute ihr so einiges zu. Häkelkränzchen? Bingo? Nein, danke.
»Du hast doch bloß schlechte Laune, weil du es nicht kannst.«
Meine Stimme klang wie ein Knurren. »Ich kann alles.«
»Das wirst du mir beweisen müssen.« Schon wieder hallte ein Lachen in ihrer Stimme mit, als sie sich umdrehte und weiterging. Sie ließ mich stehen.
Ich folgte ihr nicht. Wir befanden uns auf einem Platz im Zentrum von Boston. Hier hatte man einen kleinen Weihnachtsmarkt aufgebaut, mit hübsch dekorierten Buden aus Holz, Sitzgelegenheiten unter großen Wärmestrahlern und … und das würde mein Ende sein … in der Mitte eine große beleuchtete Eisbahn.
Menschen standen drum herum und beobachteten die Läufer. Kinder kreischten, als sie sich anrempelten. Verliebte Paare glitten Hand in Hand über das Eis. Und ich würde mich zum Volltrottel machen.
Natürlich hatte ich nur geblufft. Ich konnte nicht alles. Eislaufen gehörte definitiv nicht zu meinen Stärken. Ich hatte als 14-Jähriger mal ein Paar Schlittschuhe besessen. Hauptsächlich, um ein Mädchen zu beeindrucken, die ich zum Zweitwohnsitz meiner Familie einlud, um mit ihr gemeinsam auf einem der umgebenden Seen eiszulaufen und sie im besten Falle heldenhaft auffangen zu können, sollte sie stürzen. Und dabei ein wenig auf Tuchfühlung zu gehen … Sie hatte sich jedoch bei unserer Verabredung nicht auf das Eis getraut und so war ich danach ein paarmal allein gelaufen, inklusive ein paar heftiger Stürze und Blessuren, von denen ich natürlich niemandem erzählt hatte.
Und nun sollte ich das Ganze in der Öffentlichkeit wiederholen? Ich war so was von geliefert.
Ich gab mir einen Ruck und folgte Elouise. Sie stand bereits an der Bude, an der man sich Schuhe in der passenden Größe ausleihen konnte.
Ihr strahlendes Lächeln verrutschte nicht, als sie meine finstere Miene sah. »Welche Größe hast du?«
»46«, brummte ich.
Der Mitarbeiter hinter der Theke reichte mir ein Paar. Elouise bezahlte, bevor ich mein Portemonnaie zücken konnte und zog mich dann am Ärmel meines Wollmantels hinter sich her.
Wir fanden freie Plätze auf einer der vielen Bänke, die um die quadratische Eisbahn aufgebaut worden waren. Sie zog mich sogar auf meinen Platz, bis ich nicht anders konnte, als mich hinzusetzen. Jetzt war ich eindeutig der Zwölfjährige.
Die Art, wie sie die Schlittschuhe schnürte, verriet Übung. Damit sie nicht merkte, dass ich nur geblufft hatte, fragte ich nicht danach.
Elouise ging voran und öffnete den Zugang zur Eisbahn. Im nächsten Moment war sie schon gefühlte fünf Meter voraus. Sie glitt über das Eis mit einer mühelosen Eleganz, die mich schlucken ließ. Ich betrat auf wackligen Füßen die milchig glänzende Fläche.
Elouise drehte sich zu mir um und glitt dann wieder näher. »Wenn du doch nicht mehr so sicher auf dem Eis bist, können wir am Rand bleiben. Dann kannst du dich mit einer Hand an der Bande festhalten.«
Ganz sicher nicht. »Geht schon«, erwiderte ich deshalb möglichst unbeeindruckt. »Muss nur wieder ein Gefühl dafür bekommen. Ich bin früher ständig gelaufen. Drüben in Vermont auf einem unserer Seen.«
»Das hätte ich nie von dir gedacht.« Ihre Augen leuchteten. »Wie schön. Eigentlich hatte ich mich darauf vorbereitet, dir ein wenig übers Eislaufen beizubringen. Aber da du ja jetzt praktisch ein Profi bist, können wir zusammen ein paar Bahnen drehen. Ich glaube, man darf sich sogar etwas zu trinken holen. Hast du Lust?«
Vor meinem geistigen Auge beobachtete ich mich bereits, wie ich mir die Scherben eines zerbrochenen Bechers aus der Stirn puhlte.
»Sie sind extra aus Melamin«, fügte Elouise hinzu, als könne sie Gedanken lesen.
Erleichterung durchflutete mich. »Für mich erst mal nicht. Möchtest du was trinken? Dann hole ich es dir.«
Sie schüttelte den Kopf und wollte gerade etwas erwidern, da erwischte ich mit einer Kufe eine kleine Unebenheit. Ich blieb mit dem Fuß daran hängen und schwankte plötzlich gefährlich. Wir Vampire besaßen gute Reflexe, aber sie waren nicht überirdisch. Ich kämpfte mit dem Gleichgewicht, da war Elouise schon da.
»Ganz langsam, Casanova. Willst du dir den Hals brechen?« Wie automatisch hielt sie mir eine Hand hin, damit ich mich daran festhalten konnte. Ich fing mich, schneller und eleganter als erwartet, während meine Finger sich mit ihren verknoteten. Sie hatte sich mir so schnell genähert, dass sie nun nicht mehr gut bremsen konnte. Sie berührte mich nicht, aber sie kam nah vor mir zum Halt. Sehr nah.
Ich konnte die goldenen Sprenkel in ihren dunklen Augen erkennen.
In diesem Moment passierte etwas in mir. Etwas erwachte, das so lange verborgen gewesen war. Etwas, das mich an den Jungen erinnerte, der allein eislaufen ging auf einem See in Vermont und der unbedingt ein Mädchen hatte beeindrucken wollen.
Diese Aufregung, diese unschuldige Neugier, das Kribbeln bei so einer harmlosen Geste. Ich hatte es schon viel zu lange nicht mehr gespürt. Es war ein rohes, ehrliches Gefühl, das wie eine Splitterbombe in mir explodierte und jede Zelle meines Körpers zum Bersten brachte. Heilige Scheiße. Ich hatte verdammt noch mal Schmetterlinge im Bauch. Ich hatte verdammt noch mal Schmetterlinge im Bauch, einfach, weil ich ihre Hand hielt! Ich hatte …
Elouise lachte nervös auf. »Dafür ist es wohl noch etwas zu früh.« Sie wollte mir ihre Finger entziehen.
Reflexartig hielt ich sie fest. Ich hatte mich wieder im Griff. »Es könnte hilfreich sein.« Ich grinste sie süffisant an. »Ich glaube, ich bin doch etwas aus der Übung. Willst du etwa, dass ich hinfalle?«
Sie runzelte die Stirn. »Sag mir noch mal, wie groß du bist und wie viel du wiegst?«
»187 cm und zuletzt habe ich 86 Kilo auf die Waage gebracht.«
Sie nickte vielsagend. »Glaubst du wirklich, dass ich in der Lage bin, einen fallenden Baum von 86 Kilogramm aufzufangen?«
Schön, sie kam mir mit Logik. Zeit, die Taktik zu ändern. Ich schenkte ihr meinen treuherzigsten Blick. »Ich würde mich dann sicherer fühlen.«
Sie schüttelte erneut den Kopf. »Du bist einfach …«
»Unglaublich charmant und unwiderstehlich?«, soufflierte ich.
»Unmöglich«, flüsterte sie, aber sie versuchte nicht erneut, ihre Finger aus meinen zu lösen.
Wir glitten über das Eis, während ich immer mehr an Sicherheit gewann. Anscheinend verlernte man so etwas tatsächlich nicht. Hatte ich mir vorher Sorgen um einen Sturz gemacht, dachte ich jetzt daran, was die Berührung von Elouise in mir ausgelöst hatte. Dieses Kribbeln. Ob es echt gewesen war? Hatte ich es mir vielleicht nur eingebildet, weil ich nervös war? Ich bewegte meine Finger leicht, strich mit dem Daumen über ihre zarte Haut.
Prompt war sie wohl abgelenkt, denn wir beide bemerkten zu spät, dass sich uns von der Seite her ein Paar näherte, das nicht mehr bremsen konnte. Elouise gab eine Mischung aus überraschtem Geräusch und verlegenem Lachen von sich, als sie sich rasch zur Seite drehte, um keinen Zusammenstoß zu riskieren. Sie besaß genug Gleichgewichtssinn, um nicht zu schwanken, dabei drehte sie sich zweimal um sich selbst, während ich versuchte, sie zu stützen. Im nächsten Moment prallte sie gegen meine Brust. Ich löste unsere Finger, um sie mit beiden Armen aufrecht zu halten. Erst Sekunden später wurde mir klar, dass ich sie im Arm hielt. Sie an mich drückte. Ihr Körper sich gegen meinen presste.
»Entschuldige«, murmelte sie in den Stoff meines Wintermantels. Als sie zu mir hochsah, saß ihre Mütze schief auf ihrem Kopf. Sie sah so entzückend aus, dass ich einen Moment lang nach Worten suchte. »Die anderen sind die Idioten. Du hast alles richtig gemacht. Gut, dass du so sicher auf diesen Kufen stehst.« Ich hielt sie noch immer im Arm. Sie hatte sich auch nicht losgemacht. Als ich den Blick in ihren Augen sah, wusste ich, dass sie mit sich kämpfte.
Uns war beiden klar, dass wir uns gegenseitig attraktiv fanden. Ich kannte sie zu gut, um das falsch zu interpretieren. Und dass ich auf sie stand, hatte ich ihr nicht nur einmal gesagt. Vorsichtig richtete ich ihre Mütze, dann ließ ich meinen Zeigefinger von ihrer Schläfe ganz langsam ihre Wange hinab bis zu ihrem Kinn gleiten.
Wieder fand mein Blick ihren Mund.
Ich wollte sie küssen. Jetzt. Hier. Sofort. Ich wollte meine Lippen auf ihre legen, sie zärtlich teilen und mit meiner Zunge tief in ihren Mund gleiten. Ich wollte sie küssen, bis wir beide nicht mehr wussten, wie wir hießen. Bis uns schwindlig war vor Lust.
In diesem Moment drehte der dämliche DJ die Musik lauter und der Augenblick war vorbei. Mit einem verlegenen Lächeln löste sie sich von mir.
»Entschuldige«, sagte sie ein zweites Mal. Eine zarte Röte überzog ihre Wangen. Das Einzige, woran ich denken konnte, war, dass ich wieder ihre Hand halten wollte. Ich wollte das, was ich vorhin gespürt hatte, noch mal fühlen. Es war zu gut gewesen.
Elouise fuhr einen guten Meter voraus, dann drehte sie sich zu mir um. »Kommst du?« Ihre Stimme klang seltsam belegt, ihre Augen glänzten. Offensichtlich war ihr warm, denn sie riss sich in einer schnellen Geste den Schal herunter, nur um ihn sich dann locker um die Schultern zu legen. Der Wollstoff entblößte einen Blick auf ihren blanken Hals.
Meine Eckzähne regten sich. Eigentlich waren sie zur Futteraufnahme gedacht, dafür gemacht, Menschenblut zu trinken. Heutzutage lief das alles zivilisierter ab, es gab Blutbanken, Spender, die mit finanziellen Zuwendungen großzügig für ihre Dienste entlohnt wurden, Barcodes, Rechnungen, Bestellungen per App, das volle Programm.