Später Spagat - Robert Gernhardt - E-Book

Später Spagat E-Book

Robert Gernhardt

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Beschreibung

»›Später Spagat‹ versucht noch einmal jene Verbindung von Standbein und Spielbein, Ernstbein und Spaßbein, Verschlüsselbein und Entschlüsselbein, die bereits das Ziel meiner vorherigen Gedichtbände gewesen ist. Nur daß ich diesmal die Aufsatzpunkte des Spagats so reinlich als es ging geschieden habe, wohl wissend, daß auch dieser Spagat eine Mischung wird überbrücken müssen oder doch zumindest können: Jedes noch so ernst gedachte Gedicht kann beim Leser eine untergründige Freude daran erwecken, daß es dem Autor gelungen ist, Worte für das Schwersagbare zu finden. Zugleich vermag der gleiche Leser die Ernsthaftigkeit wahrzunehmen, mit welcher der Autor versucht hat, seinen heiteren Gebilden eine gewisse Dauer zu verleihen.« Robert Gernhardt

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Robert Gernhardt

Später Spagat

Gedichte

Fischer e-books

Für L.

I Standbein

Povera Toscana 1998

Du kommst an, und dein Blick empört sich:

Bella Toscana?

Die Bäume fast blattlos

Die Trauben saftlos

Die Hänge farblos

Und das im September!

Doch es fiel ja seit Juni

kein Tropfen Regen:

Warum nicht gleich morgen wieder abreisen?

Du wachst auf, und dein Blick erbarmt sich:

Verbrannte Toscana

Wie warst du vor Jahr und Tag

blätter- und früchtevoll

makel- und fehlerlos

War das ein September!

Nun dieser verhärmte

kummer- und jammervoll:

Schwer, dich gerade jetzt im Stich zu lassen!

Du bleibst da, und dein Blick verklärt sich:

Tapfre Toscana!

Hier hats ja noch Blätter

Da schwelln ja noch Trauben

Dort grünt ja ein Hang noch

Wie er wohl endet,

der Monat? Nicht glanz-

aber stilvoll?

Das wenigstens sollte man ja wohl noch abwarten können!

Du reist ab, und dein Blick umflort sich:

Cara Toscana!

Die Bäume so blattlos

Die Trauben so saftlos

Die Hänge so farblos

Und das im September!

Doch alte Liebe

rostet nicht!

Oder liebt da ein rostender Alter?

Toscana, 2002

Zypressen muß ich nicht haben.

Nicht welche, die sichtbar vergehen.

Was stehen die in der Landschaft rum?

Das Vergehen muß ich nicht sehen.

Das zieht sich ganz schön, dieses Sterben.

Das ist eine Sache von Jahren.

Weshalb die so langsam den Bach runtergehn?

So genau muß ich das nicht erfahren.

Zypressen muß ich nicht sehen.

Was nicht da ist, kann keiner vermissen.

Warum mich das alles so total nervt?

All das muß ich wirklich nicht wissen.

Grosses Montaiesermittags- verweigerungsgedicht vom 30. Mai 2002

Wenn ich mich aufsetzte,

was ich nicht tue -

Alter Mann ist kein D-Zug,

er braucht seine Ruhe – :

Wenn ich mich aufrichtete,

was ich nicht mache -

Warum nicht? Das tut hier

bei Gott nichts zur Sache – :

Wenn ich jetzt aufstände,

was ich schön lasse -

Mir ist, als ob Aufstehn

nicht recht zu mir passe – :

Wenn ich das täte, wovon ich gesprochen:

Ich sähe die schönste Toscana seit Wochen.

Wiedersehn und Abschied am 27. Juni 2004

Es tut mir in der Seele weh,

wenn ich dich seh, Badía See.

Einst warst du rings von Wald umsäumt,

im Schilf versteckt, im Grün verträumt.

Heut liegt dein Ufer bloß und nackt.

Da haben Menschen zugepackt.

Einst warst du voll Gesumm, Gesang,

Getier, Gefrosch, Gelurch, Geschlang.

Heut summt nichts mehr, heut fliegt nichts mehr.

Dank Menschen bist du tiereleer.

Einst sprang ich nackt in dich hinein:

Hier war ich Mensch, hier durft ichs sein.

Heut lohnts nicht mehr, sich auszuziehn.

Wo Menschen wüten, muß Mensch fliehn.

Einst schlug mein Herz, wenn ich dich sah.

Heut geht mir deine Nacktheit nah.

Grad, daß mich keine Träne näßt.

Wir Menschen sind schon eine Pest.

Von zweierlei Schweinen

Stachelschweine fräßen seine Ernten,

seien jede Nacht gewaltig tätig,

dennoch sehe er sich außerstande,

diese Räuber einfach zu erschlagen,

seit er einmal eines dieser Tiere

angefahren aufgefunden habe,

bereits tot, mit ausgestreckten Ärmchen,

die in kleinen Händchen ausgelaufen seien,

regelrechten Kinderhändchen, Babyhändchen,

derart menschlich, daß schon der Gedanke,

solch ein zartes, handbegabtes Wesen

zu erschlagen, ihm wie Frevel schiene…

Seinen Blick auf seine Hände senkend,

achtzigjährig, doch auch die warn einmal

Kinderhändchen, schwieg Danilo lange,

um dann unversöhnlich fortzufahren:

Anders läg der Fall bei wilden Schweinen,

die sich gleich den Stachelschweinen unterständen,

Nacht für Nacht auf seinem Feld zu wildern.

Kinderhändchenlos, dafür voll Hufen,

hätten sie's sich selber zuzuschreiben,

wenn der Mensch sie ohne Gnade tilge…

Seine Hände wie zu Hufen ballend

hielt Danilo ein, worauf ein Grunzen,

schweinemäßig, das in Greisenlachen

überging, die Morgenstille sprengte.

Rückblick, Einsicht, Ausblick

Durch die Landschaft meiner Niederlagen

gehe ich in meinen alten Tagen:

Abends ist es am schlimmsten. Das Streiflicht

der nur langsam untergehenden Sonne

modelliert die fernen gefalteten Berge,

die nahen gespaltenen Steine, kurz alles,

was sich ihm in den Weg stellt.

Abends war es am schönsten. Den Lichtstreif

der untergehenden Junisonne

für immer festzuhalten, verbrachte

ich Stunden um Stunden vor Leinwand und Landschaft,

ein Weg ohne Ende.

Abends war er am stärksten, der Eindruck,

diesmal den treffendsten Ausdruck zu finden

fürs glorreiche Ineinander der Lichter,

der Schatten, der Dinge, der Farben: Du bist

auf dem richtigen Wege!

Abends ist sie am stärksten, die Einsicht:

Du warst deiner Aufgabe niemals gewachsen.

Immer noch flüchtig das Licht. Nur ein Schatten

davon auf deiner Leinwand zu ahnen,

kein Weg, eine Sackgasse.

Abends ist es am schönsten. Der Streifzug

rund um den Hügel von Montaio

berückt und verzückt und beglückt wie damals.

Verrückter Gedanke, das halten zu wollen,

was nur Schein und dann weg ist:

Durch die Landschaft meiner Niederlagen

geh ich wie in alten Tagen.

Krebsfahrerlied ODER Auf dem Weg zur Chemotherapie im Klinikum Valdarno ODER Die Hoffnung stirbt zuletzt

Durch die Auen,

durch die Triften

reise ich, mich zu vergiften.

Winde säuseln,

Strahlen blitzen,

bald werd ich am Gifttropf sitzen.

Hügel locken,

Berge blauen,

schon kann ich das Gifthaus schauen.

Durch die Flure,

durch die Weiten

sieht man mich zum Giftraum schreiten,

Um dort über

viele Stunden

an dem Gifte zu gesunden.

Oder auch nicht.

Aus dem Lieder- und Hader- büchlein des Robert G.

Schuldchoral I

O Robert hoch in Schulden

vor Gott und vor der Welt!

Was mußt du noch erdulden,

bevor dein – nein, nicht Gulden–,

bevor dein Groschen fällt?

Dein Groschen war einst golden,

nun ist er eitel Blei.

Und mit dem Kind, dem holden,

dem Frühling und den Dolden

ist es schon lang vorbei.

Spiel also nicht den Helden,

der noch auf Unschuld hält.

Schuld muß der Mensch vergelden.

Wann dürfen wir vermelden,

daß auch dein Groschen fällt?

Geh aus mein Herz oder Robert Gernhardt liest Paul Gerhardt während der Chemotherapie

Geh aus mein Herz und suche Leid

in dieser lieben Sommerszeit

an deines Gottes Gaben.

Schau an der schönen Gifte Zier

und siehe, wie sie hier und mir

sich aufgereihet haben.

Die Bäume stehen voller Laub.

Noch bin ich Fleisch, wann werd ich Staub?

Ein Bett ist meine Bleibe.

Oxaliplatin, Navoban,

die schauen mich erwartend an: