Spätsommerliebe - Petra Durst-Benning - E-Book

Spätsommerliebe E-Book

Petra Durst-Benning

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Beschreibung

Wer im Spätsommer die Liebe sät, erntet das Glück.

Im Genießerdorf blühte im letzten Sommer nicht nur das Geschäft, sondern auch die Liebe. Magdalena und Christine sind glücklich, doch der Alltag holt sie schnell ein. Der Gastwirt Apostoles bringt Feuer in Magdalenas Leben, aber sie ist von den neuen chaotischen griechischen Verhältnissen überfordert. Auch Christine kann sich nur schwer auf Reinhards Fürsorge einlassen und ihre alten Muster aufgeben. Als sich dann eine Autorin von Liebesromanen in ihre Pension einmietet, knistert regelrecht die Luft in Maierhofen. Sich zu verlieben ist einfach – aber wird es den Maierhofen-Frauen gelingen, ihre Gefühle in den Spätsommer hinüberzuretten?

Die »Maierhofen«-Reihe:

Band 1: Kräuter der Provinz
Band 2: Das Weihnachtsdorf
Band 3: Die Blütensammlerin
Band 4: Spätsommerliebe

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Seitenzahl: 343

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Buch

Im kleinen Allgäuer Ort Maierhofen scheint nach den Ereignissen des letzten Sommers der Alltag eingekehrt zu sein – vor allem in der Liebe. Magdalena und Apostoles leben nun zusammen, und obwohl die Bäckersfrau ihren Griechen heiß und innig liebt, ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Denn die strukturierte Magdalena gewöhnt sich nur schwer an Apostoles’ Unordentlichkeit und seine verrückten spontanen Ideen. Auch Christine und Reinhard müssen erkennen, dass eine neue Liebe auch ihre Tücken haben kann. Denn nach ihrer Scheidung fällt es Christine zunehmend schwer, sich bei Reinhard fallen zu lassen und seine Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Als B&B-Wirtin ist sie es außerdem gewöhnt, für andere da zu sein, genau wie sie es ein Leben lang für ihre Familie gewesen ist, und so zieht sie sich mehr und mehr zurück. Und auch Werbefrau Greta steht vor einer großen Herausforderung, die alles verändern wird.

Mit der Ankunft einer Autorin von Liebesromanen fragen sich die Maierhofener plötzlich, wieso in diesem Spätsommer alles so anders scheint. Alle sind sich einig: Sie haben einfach zu wenig Zeit für sich und ihre Liebe! Und so beschließen sie, einmal etwas nur für sich zu tun …

Autorin

Petra Durst-Benning wurde 1965 in Baden-Württemberg geboren. Seit über zwanzig Jahren schreibt sie historische und zeitgenössische Romane. Fast all ihre Bücher sind SPIEGEL-Bestseller und wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. In Amerika ist Petra Durst-Benning ebenfalls eine gefeierte Bestsellerautorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden südlich von Stuttgart auf dem Land.

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Petra Durst-Benning

Spätsommerliebe

Band 4 der Maierhofen-Reihe

Roman

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Copyright © 2018 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Subbotina Anna; harmpeti; Antonova Ganna; panna-yulka; baibaz; Morozov Maxim) JF · Herstellung: sam Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen ISBN 978-3-641-22635-0 V004

www.blanvalet.de

»Wo Herz, da auch Glück!«

(Polnisches Sprichwort)

Brief an meine Leser

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde und Maierhofen-Urlauber,

herzlich willkommen zurück im Genießerdorf des Württembergischen Allgäus! Glauben Sie mir, es hat sich viel getan seit Ihrem letzten Besuch.

Ach, Sie waren noch nie in Maierhofen, kennen dort keine Menschenseele? Das ist zwar schade, aber nicht schlimm. Obwohl die »Spätsommerliebe« schon der vierte Band meiner Maierhofen-Reihe ist, können Sie auch diesen Roman wie jedes meiner Bücher für sich lesen. Es sind keine Vorkenntnisse nötig, ich verspreche Ihnen, dass Sie nach ein paar Seiten mitten im Geschehen sind!

Wie sehr man in meine Geschichten eintaucht, davon können die eingefleischten Maierhofen-Fans ein Lied singen. Denn was Therese, Greta, Christine, Rosi und all die andern erleben, sind Erfahrungen, wie auch wir sie aus unserem Leben, unserem eigenen Umfeld kennen und deshalb umso lieber nachlesen.

Erinnern Sie sich, wie sich Magdalena und Apostoles im letzten Roman Hals über Kopf in ihre neue Liebe gestürzt haben? Und wissen Sie noch, was für eine wunderschöne Liebeserklärung Reinhard am Ende vom dritten Band seiner Christine gemacht hat? Einen ganzen Blütenstrauß an Liebe hat er ihr geschenkt …

Sich zu verlieben ist einfach, die Liebe am Leben zu erhalten ist dagegen sehr viel schwerer. Ganz gleich, ob man in jungen Jahren zueinander gefunden hat und seit Ewigkeiten zusammen ist, so wie mein Mann und ich, oder ob man sich erst später im Leben getroffen hat wie einige Paare in Maierhofen. Irgendwann kommt der Moment, an dem die Schmetterlinge verflogen sind und die Arbeit beginnt. Arbeit?

Es hat schon seine Gründe, dass die meisten Liebesromane genau an der Stelle enden, wo Miss Right nach einigen Hürden ihren Mister Perfect gefunden hat und sie sich selig in die Arme schließen. Was für ein Happyend! Was für ein perfekter Schluss! Als Leserinnen seufzen wir an dieser Stelle zufrieden auf. Klar stellt man sich manchmal die Frage, wie es wohl mit den beiden weitergeht. Ob die Romanheldin immer noch so happy ist, wenn ihr Schatz zum dritten Mal vergessen hat, aus dem Supermarkt eine Kiste Mineralwasser mitzubringen. Oder wenn sich herausstellt, dass er in Bezug auf die Finanzen kleinlich ist. Oder wenn es ihn plötzlich stört, dass sie jeden Abend mit ihrer besten Freundin telefoniert.

Wir Autoren machen es uns in dieser Beziehung ein wenig einfach, indem wir sagen: »Sie haben sich gekriegt! Was wollt ihr mehr? Unser Job ist an dieser Stelle erledigt!«

Das kann man natürlich so sehen. Da ich selbst auch gern und viel lese, spreche ich hier einfach mal für uns alle: Wir, die Frauen von heute, wollen beim Lesen erleben, wie Menschen sich entwickeln, als Person, aber auch in einer Beziehung. Wir wollen herausfinden, ob die liebgewonnenen Romanfiguren von den Stürmen des Lebens gebeugt werden oder daran wachsen. Immer nur eitel Sonnenschein? Das gibt es im wahren Leben auch nicht, wer weiß das besser als wir? Was jahrelang gut funktioniert hat, kann auf einmal zum Störfaktor werden. Unsere Bedürfnisse verändern sich, plötzlich spüren wir, dass wir etwas anderes benötigen als in all den Jahren zuvor. Oder dass uns Dinge, die uns früher immens wichtig waren, plötzlich nichtig erscheinen. Menschen kommen in unser Leben und gehen wieder, wir lassen uns von neuen Begegnungen inspirieren, wachsen im besten Fall daran. Kurz gesagt: Wir entwickeln uns weiter. Meinen Romanfiguren geht es nicht anders.

Wie ist das nun mit der »Spätsommerliebe«? Gibt es Geheimtipps für immerwährendes Liebesglück? Was gehört dazu, damit eine Beziehung lange währt? So intensiv wie beim Schreiben dieses Romans habe ich schon lange nicht darüber nachgedacht. Eine allgemeingültige Antwort habe ich nicht gefunden, dafür aber ein Mosaik aus vielen kleinen Steinchen, die – vielleicht – für den einen oder andern ein großes Ganzes ergeben. Für mich persönlich war am Ende eine Erkenntnis, die Magdalena hatte, ganz wichtig. Aber lesen Sie bitte selbst …

Mit viel Liebe,

Ihre Petra Durst-Benning

Prolog

Kreta, im Spätsommer

Der steinige Weg, der sich vom Dorf nach unten in Richtung Meer schlängelte, war schmal. Links und rechts davon wuchsen wilde Kräuter, deren würziger Duft die Luft erfüllte und noch intensiver wurde, wenn man auf eines der Kräuter trat oder es mit dem Knie streifte.

Magdalena musste dem Impuls widerstehen, immer wieder anzuhalten, in die Hocke zu gehen und ein paar der Stängel zu pflücken. Wilder Thymian, Eukalyptus und Fenchel. Salbei, wildes Bohnenkraut und die Zistrose. Überall die Zistrose mit ihren pinkfarbenen Blütenblättern und orangegelben Augen! Was für ein Augenschmaus! Was für eine Duftorgie! Und dazu der Wind, der von der Sonne erwärmt ihre nackten Arme streichelte. Magdalenas Sinne waren so wach gekitzelt, dass ihr manchmal ganz schwindlig davon wurde.

Apostoles, der vor ihr lief, hielt an und drehte sich zu ihr um. Sein Gesicht war verschwitzt, doch seine Augen leuchteten. »Geht es noch? Sollen wir eine Pause machen?« Er stellte den Picknickkorb ab und schaute über Magdalena hinweg zu den andern, die gemütlich plaudernd immer weiter zurückfielen. Zeit gab es hier auf Kreta genauso reichlich wie die duftenden Kräuter.

»Lass uns kurz verweilen, die Aussicht ist so schön«, sagte Magdalena.

Aneinandergeschmiegt standen sie da und schauten schweigend auf das blaue Meer, das sich irgendwo weit draußen mit dem Horizont vermählte. Vor den Touristenorten entlang der Küste tüpfelten unzählige Segelboote und Katamarane das Meer, ihre weißen Segel im Einklang mit den kleinen Schaumkronen der Wellen.

Genau so hatte sie sich Kreta vorgestellt, dachte Magdalena glücklich.

Apostoles jüngere Schwester Ismene und der Rest ihrer Gruppe gingen schweigend an ihnen vorüber, mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Frischverliebte durfte man nicht stören, das wusste jeder.

Vor einer Stunde hatten sie gemütlich auf dem Balkon ihrer kleinen Pension gesessen, als Ismene bei ihnen vorbeigekommen war. Sie war die Mutter von Elena, die sich in Ludwigshafen um Apostoles’ Restaurant kümmerte. Ihr Mann Jannis würde heute früher von der Arbeit heimkehren, hatte Ismene verkündet. Und dass sie spontan beschlossen habe, das Abendessen als Picknick am Meer einzunehmen – ob sie beide sich anschließen wollten? Filosofena und ihr Mann Philipos würden ebenfalls mitkommen.

Schon wieder Filosofena!, hatte Magdalena genervt gedacht. Dass Apostoles Exfrau bei so vielen Unternehmungen mit von der Partie war und die beiden Geschiedenen sich bestens verstanden, passte ihr nicht. Wollte diese Filosofena etwa doch noch was von Apostoles? Die Blicke, die seine Ex ihr ständig zuwarf, waren jedenfalls alles andere als freundlich. Kritisch, skeptisch, mürrisch. Dabei war sie es doch gewesen, die sich einst von Apostoles getrennt hatte! Da konnte es ihr doch egal sein, wenn er nun mit einer Neuen auftauchte, oder? Auf einen weiteren Ausflug mit Filosofena konnte sie, Magdalena, gut verzichten! Dafür hätte ihr ein bisschen mehr Zweisamkeit umso besser gefallen.

Doch bevor sie sich zu Wort hatte melden können, hatte Apostoles schon zugesagt. Apostoles liebte die Geselligkeit, das wusste sie inzwischen.

»Wie soll ich in der Kürze der Zeit zu diesem Picknick etwas beitragen? So etwas muss man doch organisieren!«, hatte Magdalena ihn gefragt, als sie wieder allein waren. Derart spontane Unternehmungen waren ihr fremd. In Maierhofen wurde alles meist von langer Hand geplant, ganz gleich, ob es eine einfache Festivität war oder das berühmte Kräuter-der-Provinz-Festival. Doch Apostoles hatte nur gelacht, seinen Geldbeutel geschnappt und gemeint, im kleinen Laden von Evgenias Tochter würde sich schon etwas finden.

Mit Melone, eingelegten Oliven und einem knusprigen Weißbrot waren sie kurz darauf aufgebrochen. Georgios, einer von Apostoles’ alten Schulkameraden, den sie auf dem Marktplatz getroffen hatten, schloss sich ihnen spontan an.

Magdalena gab sich kopfschüttelnd geschlagen. Ganz gleich, ob diese Filosofena dabei war oder nicht – allein war sie mit Apostoles hier sowieso nie. Gestern, im kleinen Hafen, hatten sie zwei andere Schulfreunde von Apostoles getroffen, spontan hatten die beiden sich ihrem Bootsausflug angeschlossen. Vorgestern hatten Apostoles’ ehemalige Nachbarn sie beide eingeladen, zum Abendessen, ebenfalls ganz spontan. Morgen war ein weiteres Fest mit der weitläufigen Verwandtschaft geplant, alle wollten Zeit mit Apostoles verbringen.

Nun, spätestens nach ihrer Rückkehr nach Deutschland würden sie wieder genügend Zeit für Zweisamkeit haben, tröstete Magdalena sich. Und irgendwie gefielen ihr die Gastfreundschaft und das große Interesse, das die Menschen ihnen gegenüber zeigten, auch.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Apostoles einen Kuss auf die vollen Lippen. »Und jetzt ab ans Meer! Das Wasser sieht so einladend aus, ich kann es kaum erwarten, schwimmen zu gehen. Ich dachte immer, solche Blautöne gäbe es nur auf retuschierten Fotografien!«

Apostoles lächelte stolz. »Siehst du, dort unten hinter dem Felsen? Da liegt die Bucht, von der ich dir schon so viel erzählt habe. Ich hoffe so sehr, dass alles noch so ist, wie ich es in Erinnerung habe …«

Wie bang er sich anhörte. Niemand konnte den Lauf der Dinge aufhalten, alles war dem Wandel unterlegen, jeder Ort und jeder Mensch, das wusste niemand besser als Magdalena. Trotzdem hoffte sie um Apostoles’ willen aus ganzem Herzen, dass sich sein Sehnsuchtsort nicht zu einer weiteren touristischen Hochburg mit Wasserski und Kitesurfen verändert hatte.

»Lassen wir uns überraschen«, sagte sie in leichtem Ton.

Apostoles nahm den Picknickkorb wieder auf und ging weiter.

Was für breite Schultern er hatte. Und wie groß er war!, dachte Magdalena, die ihm folgte, nicht zum ersten Mal.

Ihr Apostoles … Ein Bild von einem Mann!

Wie aus dem Nichts war er im Juni dieses Jahres dahergekommen. Ein großer Grieche, der aussah wie Alexis Sorbas im gleichnamigen Film. Mit buschigen Augenbrauen, einem ausgeprägten Kinn und einer Ausstrahlung, die für drei Männer gereicht hätte! Als der Gastwirt aus Ludwigshafen an einem renommierten Kochwettbewerb in ihrem Heimatdorf Maierhofen teilnahm, hatte sie gleich gewusst, dass er jemand ganz Besonderes war. Aber dass sie ein Paar werden würden, dass sie mit ihm den schönsten Urlaub aller Zeiten verbringen würde, dass er danach sogar zu ihr nach Maierhofen ziehen würde – all das hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt.

Liebe auf den ersten Blick. Ja, die gab es.

Mit einem Lächeln, das aus ihrem tiefsten Innern kam, atmete Magdalena tief ein und aus. Was hatte sie nur getan, dass das Leben sie so reich beschenkte?

Eine Reise nach Griechenland. So viele Jahre hatte sie davon geträumt. Daran, dass sie das noch einmal in diesem Leben würde erleben dürfen, hatte sie nicht geglaubt, zu sehr fraßen die Bäckerei und ihr Alltag sie auf. Doch manchmal geschah ein Wunder. Und da war sie nun, Magdalena Stoll, Bäckersfrau aus dem kleinen Allgäuer Dorf Maierhofen, und besuchte mit ihrer neuen Liebe Apostoles dessen Heimatdorf in den Hügeln Kretas. Sie, die geglaubt hatte, dass es nach dem Tod ihres Mannes Gottfried mit der Liebe aus und vorbei war. Sie, die sich eingebildet hatte, ohne sie würde die Bäckerei binnen weniger Tage vor die Hunde gehen.

Manchmal schlug das Leben Purzelbäume wie ein junger Hund. Und man tat gut daran, einfach mitzumachen!

Magdalena staunte, wie gut ihr das gelang.

Lange war sie die einsame Wölfin gewesen, nach Gottfrieds Tod hatte sie außer ihren Freundinnen niemanden zum Reden gehabt. Sie hatte sich so verloren gefühlt! Und niemand im Dorf hatte es gemerkt. Fast war es ihr so vorgekommen, als wären ihre Kunden froh gewesen, dass sie, die Bäckersfrau und Beichtmutter, allein lebte. So konnte sie abends niemandem erzählen, was man ihr tagsüber zwischen Brot und Kuchentheke anvertraute. »Du, der Kurt und seine Elfriede haben sich mal wieder gezankt. Elfriede sagt …«

Abend für Abend war sie in ihre viel zu große Wohnung über der Bäckerei gegangen, hatte den Fernseher angemacht, um zu erfahren, was draußen in der Welt alles geschah. Denn in ihrer Welt geschah weiß Gott nicht viel.

Und jetzt?

Magdalena lachte auf. Jetzt geschah so viel auf einmal, dass sie Mühe hatte, Schritt zu halten mit allem, was das Leben ihr bot.

Sie waren gerade einmal zwanzig Minuten vom Dorf bergab gegangen, als sie am Meer ankamen. »Da wären wir!«, sagte Apostoles und stellte mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung den Picknickkorb im Sand ab.

Magdalena schaute sich ergriffen um. Der Strand der kleinen Bucht war einsam und wild. Es gab weder Liegen noch Sonnenschirme, so wie in den touristischen Hochburgen rund um Chania, Bali oder Plakias. Dafür wuchsen die Olivenbäume bis an den Strand heran. Sattgrün hingen die Früchte an den Bäumen.

»Alles ist noch wie früher«, sagte Apostoles erleichtert. Er legte einen Arm um Magdalena. »Hier in dieser Bucht habe ich meine halbe Kindheit verbracht …«

»Es ist wunderschön«, flüsterte Magdalena andächtig.

Er nickte. »Niki hat mir erzählt, dass die Jugend des Dorfes noch immer hierherkommt. Sie spielen Gitarre, machen Lagerfeuer, grillen Fische – genau wie einst wir. Und das im Zeitalter von Smartphones und Internet!«

Niki war Apostoles’ Neffe und sah umwerfend aus. Wie sein Onkel, dachte Magdalena verträumt.

»Wenn du später schwimmen gehst, dann achte darauf, nah genug am Ufer zu bleiben, alles andere ist zu gefährlich«, sagte Apostoles.

Ihren Schwimmkünsten traute Apostoles anscheinend nicht, dachte Magdalena. Das Wasser war doch so still wie das in einer Badewanne!

Einen Moment lang standen sie nur da, umhüllt vom Rauschen der sanften Wellen, die in ihrem ureigenen Rhythmus ans Ufer schwappten.

»Wo sind eigentlich die andern?«, fragte Magdalena schließlich.

Statt zu antworten, grinste Apostoles nur. Er nahm den Picknickkorb in die eine, Magdalenas rechte Hand in die andere Hand, und wandte sich nach rechts.

»Ich dachte, wir wollen hier picknicken?«, sagte Magdalena verwundert. Nach ein paar Metern wurde ihr Erstaunen noch größer, denn vor ihnen erschien wie aus dem Nichts ein verlassenes Gebäude, wie sie noch keines gesehen hatte.

»Da seid ihr ja endlich!«, rief Filosofena, Apostoles’ Exfrau, ihnen zu.

»Was um alles in der Welt ist das? Habe ich gerade eine Fata Morgana? Oder hat hier einst Zeus gelebt?«, sagte Magdalena, der Filosofena ausnahmsweise einmal egal war. Verwirrt lachend zeigte sie auf das Gebäude, das von den Olivenbäumen regelrecht versteckt wurde. Es war genauso weiß gekälkt wie die meisten Häuser auf Kreta. Doch damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Denn der breit angelegte Bau bestand lediglich aus drei Wänden und war auf der Vorderseite, also zum Meer hin, völlig offen. Türen oder Fenster gab es nicht. Vor den seitlichen, schmalen Wänden befand sich je eine steinerne Säule. Auf der linken stand eine Statue, die aussah wie Neptun. Rechts stand eine Frauenstatue. Ihre rechte Hand fehlte, und vielleicht fehlte auch noch mehr. Hatte die Figur einst einen Korb mit Früchten getragen? Der Innenraum des Gebäudes wurde fast völlig von einem riesigen Tisch aus Stein eingenommen, der von zwei ebenfalls steinernen Sitzbänken flankiert war.

»Das hier sind die Überreste eines ehemals viel größeren Anwesens. Hier hat sich um 1900 herum ein reicher Athener Adelsmann einen Sommersitz erbauen lassen. Ich glaube, das Gebäude war eine Art Sommerküche«, sagte Apostoles und stellte den Picknickkorb auf dem Tisch ab. »Warum die Besitzer ihr Anwesen haben so verfallen lassen, weiß allerdings niemand.«

Magdalena trat an die Frauenstatue heran und ließ ihre Hand über den schwärzlich verfärbten Stein gleiten. Er war warm und weich und fühlte sich fast lebendig an. Das war bestimmt echter Marmor …

»Und – gefällt dir unser Picknickplatz?«, fragte Ismene, die schon dabei war, den Tisch zu decken. Apostoles’ Schwester zeigte auf das Dach, dessen vorderes Ende tief nach unten geneigt war. »Hier ist es schön schattig, auch dann noch, wenn die Sonne später ins Meer fällt. Und sollte eine zu kühle Brise aufkommen, sitzen wir hier ebenfalls geschützt.«

Magdalena nickte. »Irgendwie habe ich das Gefühl, in einer Zauberwelt gelandet zu sein. Das alles hier …« Sie zuckte mit den Schultern, um Worte verlegen.

Apostoles’ Schwester legte freundschaftlich einen Arm um ihre Schultern. »Warum schaust du dich nicht ein wenig um, während wir das Abendessen vorbereiten? Oder wie wäre es mit einem Bad im Meer?«

»Nichts da, ich helfe euch natürlich!«, wehrte Magdalena, die so viel Gastfreundschaft nicht gewöhnt war, ab. Als sie Ismenes enttäuschte Miene sah, sagte sie: »Du bist so lieb zu mir! Wenn es nach dir ginge, würde ich von früh bis spät nur die Beine hochlegen und den lieben Gott einen braven Mann sein lassen.«

Apostoles’ Schwester nickte eifrig.

»Aber das bin ich nicht gewohnt, verstehst du? Zu Hause bin ich von früh bis spät auf den Beinen, die Arbeit nimmt kein Ende. Da fällt es mir schwer, auf einmal das süße Nichtstun zu genießen.«

Ismene schob Magdalena sanft, aber bestimmt zur Seite und sagte: »Umso wichtiger ist es, dass du das süße Nichtstun endlich lernst!«

Bevor Magdalena wusste, wie ihr geschah, wurde sie von Apostoles in einen eilig aufgestellten Klappliegestuhl gesetzt. Ismene reichte ihr ein Glas Zitronenlimonade und die Sonnenbrille, die Magdalena zuvor auf dem Marmortisch abgelegt hatte.

Magdalena schüttelte den Kopf. »Das ist ja wie im Urlaub!«

Die andern lachten.

Kurze Zeit später war alles angerichtet. Oliven mit Zitronenstückchen. Kleine ovale Tomaten, so saftig, dass einem das Wasser beim ersten Bissen die Mundwinkel hinablief. Kapern, größer als Magdalena je welche gesehen hatte, salzig eingelegt. Ihr festes Fruchtfleisch erinnerte von Geschmack und Konsistenz her an die Austern, die sie vor langer Zeit einmal in Brüssel gegessen hatte. Ein Salat aus weißen Bohnen, Tomaten, viel Thymian und Olivenöl. Auberginenpüree, grau und unscheinbar und doch so ein Gaumenschmaus! Knusprig gebratene panierte Zucchinischeiben, die tausend Mal besser schmeckten als jedes Zucchinigericht, das Magdalena bisher gegessen hatte. Daran änderte auch der unaussprechliche Name des Gerichtes nichts: »Kolokithakia Tiganita«.

Und dazu ein Rotwein, der duftete wie die Insel. Nach Kräutern und Sonne und nach den kleinen Feigen, die es hier gab.

»Kali Orexi!«, sagte Apostoles und hob sein Glas.

»Kali Orexi!«, erwiderten die andern.

»Kali Orexi!«, sagte auch Magdalena und zwickte sich unauffällig in den Unterarm. Doch, sie war wach.

Sie aßen und sie unterhielten sich, die Stimmung war gelöst und fröhlich. Magdalena war gerade dabei, ein Brot mit Tomatenscheiben für Apostoles zu belegen, als Filosofena, die neben ihr saß, an sie heranrückte und ihr zuflüsterte: »Ich gebe es ganz ehrlich zu – am Anfang, als Apostoles mit dir angekommen ist, war ich skeptisch. Aber jetzt, nach ein paar Tagen, kann ich nur sagen: Du bist ein Engel! Ein Segen! Ich bin so froh, dass Apostoles endlich wieder glücklich ist.« Und damit drückte sie ihr einen Kuss auf die Wange.

Magdalena war derart gerührt von Filosofenas Gefühlsausbruch, dass ihr die Worte fehlten. Ein wenig verlegen lächelte sie Apostoles’ erste Frau an.

Kurz darauf verfielen Apostoles und die andern ins Griechische, doch Magdalena machte das nichts aus. Sie genoss es, einfach nur dazusitzen. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen, hin und wieder wehte der Wind vom Meer eine salzige Brise zu ihnen herüber, in der Ferne rief ein Esel nach seiner Gefährtin.

»Dieser Ort ist geradezu magisch! Apostoles und Filosofena, wie konntet ihr überhaupt von hier weggehen?«, platzte Magdalena heraus.

Das ehemalige Paar tauschte einen langen Blick.

Oje, hatte sie mit dieser Bemerkung womöglich irgendwelche alte Wunden aufgerissen?, dachte Magdalena erschrocken. Schließlich war Filosofenas und Apostoles’ Sohn Alexis als junger Mann bei einem Motorradunfall in Deutschland ums Leben gekommen, an der Tragödie war letztlich auch die Ehe kaputtgegangen.

Apostoles zuckte mit den Schultern. »Damals, in den neunziger Jahren, gab es noch nicht so viel Tourismus hier auf der Insel. Die Jobs waren knapp, eigentlich blieb uns gar keine andere Wahl als zu gehen …«

Filosofena runzelte die Stirn. »Ganz so war es nicht. Wir wollten gehen! Wir waren jung und hatten das Gefühl, da draußen wartet die Welt auf uns, während hier auf der Insel alles immer im alten Trott verläuft.« Sie schaute Apostoles an. »Und es war eine gute Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, nicht wahr?«, sagte sie mit Nachdruck.

Es dauerte einen Moment, bis Apostoles antwortete. »Ja«, sagte er sanft. »Ja, es war eine gute Entscheidung.«

Magdalena atmete auf.

»Und ihr zwei wollt nach diesem Urlaub also zusammenziehen?«, fragte Ismene, wohl um den angespannten Moment zu beenden. »Im schönen Allgäu wohnst du, nicht wahr?«

»Ja«, sagten Apostoles und Magdalena wie aus einem Mund. Sie grinsten.

»Meine Sachen habe ich schon gepackt. Der Notartermin, bei dem ich das Akropolis Elena überschreibe, findet gleich nach unserer Rückkehr statt. Deine Tochter kann es kaum erwarten, endlich Chefin zu sein«, sagte Apostoles. »Sie hat schon tausend Ideen, was sie im Restaurant verändern will.«

Elena. Wann immer Magdalena an Apostoles’ Nichte dachte, schickte sie ein kleines Dankesgebet an den lieben Gott. Denn sie hatte ihren Onkel einst bei diesem Kochwettbewerb angemeldet, ohne sie wäre Apostoles nie in Maierhofen aufgetaucht …

Ismene nahm die Flasche Wein und schenkte jedem einen Schluck nach. »Ich freue mich sehr, dass sich alles so gut fügt«, sagte sie mit warmer Stimme. »Elena wird dein Restaurant würdig weiterführen. Und ihr zwei …« Ihre Augen glänzten. »Euch wünsche ich das größte Glück der Welt!«

Magdalena spürte, wie sie vor lauter Rührung schon wieder einen Kloß im Hals bekam.

Ismene seufzte. »Kann gut sein, dass wir euch mal besuchen kommen. Jetzt, wo unser Niki diese Zusatzausbildung in Deutschland machen will …«

Magdalena merkte auf. »Niki will nach Deutschland? Wenn wir helfen können bei der Wohnungssuche oder bei etwas anderem, sagt ihr Bescheid, nicht wahr?«

»Das soll er mal alles selbst regeln«, erwiderte Apostoles’ Schwester streng. »So ehrgeizig, wie er in seinem Job ist, wird es ein Leichtes für ihn sein, für die Zeit seiner Fortbildung eine Bleibe zu finden. Es ist ja nur für ein halbes Jahr. Danach wartet der Posten eines Hotelmanagers auf ihn!«, fügte sie stolz hinzu.

Apostoles war beeindruckt. »Wenn er tatsächlich auf Kreta bleibt! So, wie der Tourismus wieder boomt in Griechenland, wird er sich vor weiteren Angeboten nicht retten können. Einem Mann wie Niki steht heutzutage die ganze Welt offen!«

Ismene zuckte mürrisch mit den Schultern.

Magdalena konnte sie gut verstehen. Sie selbst war froh, ihre Tochter Jessy in der Nähe zu haben und nicht tausende von Kilometern entfernt. Es war schön, sich im Dorf über den Weg zu laufen oder einfach auf eine Tasse Kaffee beieinander hereinzuschneien.

»Niki ist jung! Und die Jungen muss man ziehen lassen«, sagte Filosofena. »Aber auch für uns Alten kann ein Neuanfang manchmal genau das Richtige sein. Nichts vermag alte Wunden besser zu schließen.« Filosofena warf ihrem Mann Philipos einen liebevollen Blick zu. »Meine Heimkehr hierher war die beste Entscheidung für mich. Und dabei heißt es doch immer, alte Bäume soll man nicht verpflanzen.«

Magdalena lachte. »Bei uns in Maierhofen wird ständig irgendjemand oder etwas verpflanzt. Wenn ich mir überlege, wie viel Wandel und Neuanfänge es bei uns gibt …«

Die andern warteten darauf, dass sie ihre Bemerkung weiter ausführte, doch Magdalena sagte nur leise zu Apostoles: »Ich kann es kaum erwarten, dich endlich jeden Tag um mich zu haben.«

»So geht es mir auch«, flüsterte Apostoles zurück, und sie sahen sich liebevoll an.

Während Magdalena ein Bad im Meer nahm und die andern sich auf ausgebreiteten Decken im Schatten der Olivenbäume niederließen, schenkte sich Apostoles vom Wein nach. Das Glas in der einen Hand, strich er mit der andern versonnen über den alten Marmortisch. Hier zu sitzen weckte so viele Erinnerungen …

An diesem Tisch hatten sie als Kinder gesessen und die mit einer hölzernen Angel gefangenen und auf einem Lagerfeuer gegrillten Fische gegessen. Einmal war bei einem ihrer heimlich entzündeten Feuer ein wertvoller alter Olivenbaum abgebrannt, da hatte es zu Hause ein Donnerwetter gegeben!

Hier an diesem Tisch hatten sie viele Familienfeiern abgehalten. Geburtstage. Hochzeitstage. Das Osterfest und den Tag der Arbeit – an diesem Tag hatten sie sich immer beeilen müssen, um den Platz zu ergattern, denn es war in vielen Familien üblich, am ersten Mai zu einem Picknick aufzubrechen. Oft waren sie so viele gewesen, dass die beiden Steinbänke nicht ausgereicht hatten. Dann hatten sie Klappstühle mitgebracht, auf denen dann die Alten hatten sitzen dürfen – mit Lehne saß es sich bequemer als ohne.

An diesem Tisch hatten sie gegessen, gesungen und gelacht. Tränen hatte es nur selten gegeben, warum auch? Ohrfeigen dagegen häufiger, vor allem er, Apostoles, hatte sich öfter eine gefangen. Wenn er in einem scheinbar unbeobachteten Moment mit einem Stecken unreife Oliven von den Bäumen geschlagen hatte. Wenn er nicht aus dem Wasser gekommen war, obwohl seine Mutter schon unzählige Male nach ihm gerufen hatte. Einmal hatte er sich am Tsoureki, dem griechischen Osterbrot, vergriffen, noch bevor seine Mutter die Tafel eröffnet hatte …

Apostoles lächelte. Er war ein richtiger Lümmel gewesen.

Hier an diesem Tisch hatte er auch um Filosofenas Hand angehalten. Eine billige Flasche Sekt hatte er besorgt und zwei dickwandige Gläser dazu. Aus den Blättern der wilden Rosen hatte er ein Herz gestreut und in dessen Mitte den Ring platziert. Silber mit einem Amethyst in der Mitte. Als hätte der liebe Gott ein Einsehen gehabt, war der Sonnenuntergang an diesem Abend besonders romantisch gewesen.

Genutzt hatte alles nichts. Die Ehe war gescheitert. Oder besser gesagt, er war gescheitert. Statt sich nach dem Tod ihres Sohnes Alexis tröstend um Filosofena zu kümmern, hatte er sein Leid im Alkohol ertränkt. Filosofena hatte um ihn und ihre Liebe gekämpft, jedoch vergebens. Zu gemeinsamer Trauer war er nicht fähig gewesen, und sein Herz war zu Stein geworden. Zwei Jahre später hatte sie um die Scheidung gebeten. Dann war sie gegangen, zurück nach Kreta, in den Schoß der Familie. Als er hörte, dass sie kurz darauf Philipos, einen alten Schulfreund von ihm, geheiratet hatte, hatte Apostoles nicht gewusst, ob er sich freuen oder traurig sein sollte.

Kreta … Die Sehnsucht nach der Insel war nie weniger geworden in all den Jahren, in denen er in Deutschland nun schon lebte. Er hatte ihr Einhalt geboten, indem er sich jeden Gedanken an sein Zuhause verbot. Denn hätte er angefangen, zurückzudenken an sein Dorf mit den weißen Häusern, an die kretischen Sommer, an die Würze der Luft und das Salz auf der Haut – hätte er sich in den nächsten Flieger gesetzt und wäre fort gewesen! Deine Heimat ist nun Deutschland, hier hast du Arbeit und Freunde – so hatte sein Mantra gelautet. Das Leben war erträglich gewesen. Und nach Alexis’ Tod war ihm sowieso alles egal.

Doch dann hatte er Magdalena kennengelernt. Einen Engel mit Mehl im Haar und einer Sehnsucht nach Griechenland, die noch größer war als seine.

Magdalena …

Nie hätte er geglaubt, dass nochmals ein Mensch ihn so erreichen würde, wie sie es tat.

Apostoles ließ seinen Blick schweifen. Wo war sie eigentlich? Er stand auf und suchte die kleine Bucht ab. Weder am Strand noch im Wasser war etwas von ihr zu sehen. Hatte sie nicht schwimmen gehen wollen? Vielleicht zog sie sich auch gerade um, versuchte er sich zu beruhigen.

»Weißt du, wo Magdalena ist?«, fragte er Ismene, die in Jannis’ Arm noch immer auf ihrer Decke vor sich hindöste.

»Sie wollte doch schwimmen gehen«, kam träg die Antwort.

Er runzelte die Stirn. »Ich sehe sie aber nicht.«

Abrupt setzte sich Ismene auf. »Du hast sie doch sicher vor den Strömungen hier gewarnt, oder?«, fragte sie nervös. »Letztes Jahr gab es allein im Bezirk Rethymno sieben Tote bei Badeunfällen.«

»Ja, weil die Leute die rote Flagge nicht ernst genommen haben«, sagte Jannis und rappelte sich auf. »Bei Bali ist auch einer ums Leben gekommen. Da war es aber ein Herzinfarkt.«

»Danke für das Gespräch«, sagte Apostoles bissig. »Soll mich das jetzt etwa beruhigen?« Er biss sich auf die Unterlippe, während sein Herz bis zum Halse schlug. Hektisch schaute er sich um.

»Magdalena!«, rief er. »Magdalena!«

»Die Strömungen! Bestimmt wurde sie aufs Meer hinausgetrieben«, sagte Ismene und schlug angstvoll eine Hand vor den Mund. »O Gott, es wird ihr doch nichts passiert sein.«

Filosofena, die an eine Palme gelehnt gehäkelt und den Wortwechsel mitgehört hatte, legte ihre Handarbeit beiseite und bekreuzigte sich. Sie rüttelte Philipos, der neben ihr auf der Decke schlief, an der Schulter. »Wach auf, Magdalena ist weg!«

So tief Philipos geschlafen hatte, so schnell war er auf den Beinen. Er rannte zu Apostoles nach vorn ans Wasser, schirmte seine Augen mit der rechten Hand ab. »Schaut mal, da ganz links, der kleine Fleck im Wasser. Das könnte sie sein!«

»Das ist doch fast schon vor Plaka!« Filosofena war kreidebleich.

»Ich renn in den Hafen und organisiere ein Boot!«, rief Philipos. Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Apostoles sich das T-Shirt vom Leib riss und ins Wasser ging. Lieber Gott, nimm mir nicht noch einmal das Liebste auf der Welt, betete er, während er mit kraftvollen Zügen hinaus aufs Meer schwamm. Die Strömung erfasste ihn, doch statt sich dagegen zu wehren, passte er seine Schwimmbewegungen ihr an. Schneller. Weiter. Ein Zug um den andern. Und wenn es das Letzte war, was er auf dieser Welt tat – dieses Mal würde er seine Liebe retten!

In Magdalenas Kopf schwirrte es. Schweiß lief über ihre Stirn, die wie Feuer brannte. Hätte sie nur eine Kappe aufgesetzt, dachte Magdalena, während sie mit hektischen Ruderbewegungen ihrer Arme und Beine versuchte, irgendwie ans Ufer zu kommen. Doch statt sich dem Strand zu nähern, wurde sie wie an unsichtbaren Fäden weiter durchs Wasser gezogen, immer die Küste entlang. Die kleine Bucht war nicht mehr zu sehen, der Felsen, der die linke Seite flankierte, wurde immer kleiner.

Du lieber Himmel, wo trieb sie hin? Angst überfiel Magdalena, sie hatte Mühe, nicht in Panik zu verfallen.

Unterwasserströmungen. Man las und hörte immer wieder davon. Und Apostoles hatte sie auch gewarnt, nicht aus der Bucht hinauszuschwimmen. Hätte sie ihn nur ernst genommen!

»Apostoles … Wo bist du?«, rief sie. »Hilfe …«

Gerade noch hatte sie so schön in der kleinen Bucht gepaddelt, hatte es genossen, wie das Salzwasser ihren Körper leicht und schwerelos machte. Sie hatte ihre Augen geschlossen. Das Gefühl, wie das Wasser durch ihre gespreizten Finger floss, war so schön! Der Sand unter ihren Füßen so fein, so zart. Und das Wissen, dass sie überall in der Bucht stehen konnte, hatte ebenfalls zu ihrem Wohlgefühl beigetragen.

Dass sie immer weiter von der Bucht wegtrieb, war ihr nicht bewusst gewesen. Und als sie es merkte, war es zu spät. Stehen konnte sie im Wasser schon lange nicht mehr.

Lieber Gott im Himmel, sie würde doch nicht ertrinken? Da machte sie einmal in vierzig Jahren eine Reise, und nun das!

»Hilfe!«, rief Magdalena, »Hilfe!« Doch ihre Rufe verhallten ungehört. So weit war das Ufer doch gar nicht entfernt! Dort vorn war ein Dorf, ein Hafen, Boote. Warum hörte sie niemand? Und warum gelang es ihr nicht, näher ans Ufer zu kommen? Vor Wut und Frustration schlug Magdalena mit der Faust aufs Wasser, als könne sie es dazu zwingen, sich ihr untertan zu machen. Doch der kleine Wutausbruch hielt nicht lange an, im nächsten Moment beherrschten sie wieder die unheilvollen Gedanken. Wie lange würde sie noch schwimmen können? Ihre Arme und Beine brannten schon jetzt wie Feuer. Bloß kein Krampf!, betete Magdalena, als es in ihrer rechten Wade unangenehm zu ziepen begann.

Eine kleine Welle schlug ihr ins Gesicht. Bevor sie es verhindern konnte, schluckte sie einen riesigen Schwall Wasser. Ein Gurgeln kroch aus Magdalenas Kehle, dann ein kleiner, verzweifelter Wehlaut. Sie würde untergehen, jämmerlich ertrinken, noch bevor jemand es bemerkte. Ihr geliebter Apostoles würde abermals einen Menschen verlieren.Lieber Gott im Himmel, tu ihm das nicht an!

Tränen schossen ihr in die Augen, ihr Salz vermischte sich mit dem des Meeres.

Sie durfte nicht aufgeben! Sie musste sich irgendwie über Wasser halten. Für Apostoles. Und für Jessy. Der Gedanke, dass sie ihre Tochter, mit der sie sich nach vielen Jahren gerade erst wieder versöhnt hatte, nie mehr sehen würde, raubte ihr fast den Verstand.

Die Arme vor. Und zurück. Vor. Und zurück. Es tat so weh … Magdalena leckte sich über die rissigen Lippen. Sie hatte solchen Durst! Und so viel Wasser um sie herum … Die Sonne … so grell … Vielleicht, wenn sie kurz die Augen schloss …

»Magdalena!«

Sie blinzelte. War das …? Konnte es sein? Oder hörte sie schon Stimmen? Ihre Schultern brannten wie Feuer, als sie sich umdrehte, um zu sehen, woher der Ruf gekommen war.

Und dann sah sie ihn.

Apostoles.

Mit kräftigen Bewegungen teilten seine Arme das Wasser. Er schwamm direkt auf sie zu.

Magdalena schluchzte vor Erleichterung auf. Danke, danke, lieber Gott!

Erschöpft lagen sie am Ufer. Apostoles schnaufte wie ein Walross, die Rettung hatte ihn sichtlich an seine Grenzen gebracht. Doch statt sich auszustrecken und wieder zu Atem zu kommen, hielt er seine Arme fest um Magdalena geschlungen.

Sie war froh darum. Alles drehte sich, das Gefühl, den Boden unter den Füßen verloren zu haben, hielt weiter in ihr an. O Gott! Um ein Haar wäre sie ertrunken!

Was wollte das Schicksal ihr damit sagen? Dass sie ihr Glück doch nicht verdient hatte? Dass die Gewässer, in denen sie zu schwimmen gewagt hatte, für sie zu tief waren – und das nicht nur im wortwörtlichen Sinn? Während sie gegen ihre unguten Gedanken und den Schwindel ankämpfte, spürte sie, wie Apostoles neben ihr auf einmal heftig zu zittern begann. O Gott, erlitt er jetzt noch einen Schock?

Ihr eigenes Unbehagen vergessend löste sich Magdalena aus seiner Umarmung. »Was ist los, mein Schatz?«, sagte sie erschrocken und erkannte zu ihrem Entsetzen, dass der Grieche weinte.

»Alles ist gut. Es ist doch nochmal gut gegangen …«, flüsterte sie und hauchte unzählige kleine Küsse auf sein Gesicht.

»Deshalb wollte ich nie mehr lieben. Genau diese Angst wollte ich nie mehr verspüren«, schluchzte Apostoles. »Dich zu verlieren würde ich nicht verkraften, es …«

»Psst!« Sanft legte Magdalena ihren rechten Zeigefinger auf seinen Mund, zwang ihn so zum Schweigen. »Mich wirst du nicht so schnell los, wir zwei haben schließlich noch viel vor. Zum Beispiel glücklich sein bis ans Ende unserer Tage …«

1. Kapitel

Maierhofen, Anfang Juni

Zärtlich strich Apostoles Magdalena eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Magdalena, Geliebte …«, flüsterte er. Wie immer, wenn ihre Körper zueinanderfanden, kam es Apostoles vor wie ein Bad im Meer an einem warmen Spätsommertag. Weiche Bewegungen in einem Meer aus Liebe und Geliebtwerden. Sanfte Wellen, auf und ab. Salz auf der Haut, und auf den Lippen der Name des anderen …

Er spürte, wie sich Magdalenas Beine fester um ihn schlangen, er hörte, wie sie leise aufseufzte. Küsse landeten auf seinen Wangen, hektisch, unkoordiniert. Seine Aphrodite. Keine lauten Schreie der Lust. Kein zerkratzter Rücken. Kein schneller Höhepunkt und eine Zigarette danach. Magdalenas Hingabe war so viel mehr! Jedes Mal, wenn sie ihn in sich aufnahm, hatte er das Gefühl, wiedergeboren zu werden. Er, der schon abgeschlossen hatte mit dem Leben und der Liebe. Nie hätte er gedacht, dass er nochmals solche Wonnen erleben würde! Mit einem seligen Lächeln drang er noch tiefer in sie ein. Gleich, gleich würden sie gemeinsam den Gipfel der Lust erreichen …

»Dann wollen wir mal.« Ächzend wälzte sich Magdalena eine halbe Stunde später aus dem Bett. Es war halb zwei Uhr in der Nacht. Magdalena dehnte sich, streckte die Arme nach oben und stöhnte. »O mein Gott, ich bin völlig zerschlagen.«

Wie eine schöne, träge Katze, dachte Apostoles liebevoll. Dabei war Magdalena alles andere als träge!

Seinen Blick auf sich spürend, wandte sie sich ihm zu. »Kommst du?«

Er nickte lächelnd.

Pünktlich um zwei standen sie in der hell erleuchteten Backstube. Wie jeden Tag zu Beginn des Backens holte Magdalena die schweren Brotteige hervor, die seit dem späten Nachmittag hatten ruhen dürfen. Apostoles machte als Erstes das Radio an, dann suchte er die Zutaten für den Brezelteig zusammen.

Sie beide – ein eingespieltes Team. Apostoles lächelte.

In seinem früheren Leben als Gastwirt hatte er um diese Zeit das »Akropolis« abgeschlossen. Normalerweise hätte immer um Mitternacht Schluss sein sollen, doch seine Stammgäste hatten geduldiges Sitzfleisch, und zu Hause wartete niemand auf sie. Wenn die übrigen Gäste gegangen waren, hatte sich Apostoles, auf den ebenfalls niemand wartete, dazugesetzt. Bei einer Flasche Ouzo hatten sie dann bis ein oder zwei Uhr schwadroniert. Dann erst war wirklich Feierabend gewesen. Apostoles hatte diesen Moment gehasst, in dem er sich seiner Einsamkeit stellen musste.

Heute, mit Magdalena an seiner Seite und dem Duft von Brotteig in der Nase, liebte er die frühen Morgenstunden. Wenn er beim Brezelnmachen aus dem Fenster schaute, kam es ihm vor, als wären sie die beiden einzigen Menschen auf der Welt. Rund um den Maierhofener Marktplatz war alles noch dunkel, nur in der Wohnung über der Wäscherei Mölling brannte Licht. Kurt Mölling war eine ausgesprochene Nachteule und schaute nächtelang alte amerikanische Serien. Am Morgen schlief er dann wohl gern aus, sehr zum Ärger seiner Frau Sabrina, die seine Hilfe in der Wäscherei gut hätte gebrauchen können.

Apostoles liebte es, mit Magdalena zusammenzuarbeiten! Er mochte den Umgang mit dem pudrig-feinen Mehl, das der Müller aus dem Nachbarsort zweimal wöchentlich lieferte. Er liebte es zu sehen, wie aus ein paar einfachen Zutaten ein geschmeidiger Teig entstand. Und noch mehr liebte er es, aus dem Teig Brötchen zu formen oder Seelen oder andere Gebäckstücke. Die Arbeit hatte etwas Geerdetes, fast Biblisches an sich. Und sie erinnerte ihn an sein Dorf auf Kreta, wo er als kleiner Junge jede Woche die Frauen ins Backhaus begleitet hatte. Dasselbe Wohlgefühl, das ihn inmitten des Dufts von Holzkohle, reifer Hefe und Zuckerkaramell überkommen hatte, überfiel ihn auch heute noch.

Leicht war die Arbeit in der Backstube jedoch nicht, das hatte er in den letzten Monaten gelernt. Manchen Arbeitsgang hätten die Maschinen noch übernehmen können, aber Magdalena legte großen Wert auf Handarbeit. Das gefiel Apostoles. Dennoch war es ihm rätselhaft, wie sie das all die Jahre allein hinbekommen hatte. Seine Magdalena. Eine Frau wie keine …

Das Leben ist ein Wunder, dachte er, während er mit leichter Hand Brezeln schlang. Ein großes, nicht berechenbares Wunder. So viel Elend und Leid es bereithielt, so viel Glück und Freude schenkte es. Er, Apostoles Karamidas, war jedenfalls mehr als reich beschenkt worden. Dennoch hatte er sehr viel Mut gebraucht, sich für Magdalena und Maierhofen zu entscheiden und das Akropolis aufzugeben. Zu wissen, dass seine Nichte Elena das Restaurant weiterführte, hatte ihm die Entscheidung allerdings ein wenig leichter gemacht. Das – und seine Liebe zu Magdalena.

Inzwischen war fast ein Dreivierteljahr vergangen, seit er mit ein paar Koffern hierhergezogen war. Und er war überzeugt davon, dass sein Mut belohnt worden war. Maierhofen hatte ihn mit offenen Armen empfangen! Ein paar Freunde – Reinhard und Christine – hatte er ja schon während der Kochwoche im vergangenen Jahr gefunden, doch bald waren mehr dazugekommen. Da war Edy, ein veganer Metzger und komischer Vogel, der sein Herz aber am rechten Platz hatte. Und Vincent, der Zimmermann des Ortes. Dann gab es Josef Scholz, dem das Elektrogeschäft gehörte. Auch Gustav Kleinschmied, der »Hoffotograf« von Maierhofen, war ihm zum Freund geworden, genau wie der alte Doktor Huss, der ihn so sehr an seinen Onkel Germanos auf Kreta erinnerte.

Gemeinsam hatten sie den Stammtisch in der Goldenen Rose wiederbelebt, sehr zum Ärger von Elsbeth Kleinschmied, die anfangs sogar ins Gasthaus gekommen war, demonstrativ auf die Uhr geschaut und ihren Gustav dann mitgenommen hatte. Man erzählte sich, dass im Hause Kleinschmied am Tag darauf die Stimmen laut geworden waren, aber seitdem blieb Gustav so lange am Stammtisch hocken, wie er mochte.