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Ohne Sprache jedoch, ohne unsere Möglichkeit, sprachliche Kategorien wie Gender, Nationalität, Aufenthaltsrecht, Behinderung zu schaffen, wie selbstverständlich zu benutzen und mit einzelnen Gruppenzuschreibungen wie Frau trans*, Mann, deutsch, syrisch, somalisch, schweizerisch oder staatenlos zu bedenken, gäbe es auch die entsprechenden strukturellen Diskriminierungen nicht. Sie können nur existieren, wenn die sozialen Zuordnungen von Menschen in diese Kategorien weiterbestehen.
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Seitenzahl: 23
Lann Hornscheidt
Sprachgewalt
erkennen und sprachhandelnd verändern
SUKULTUR
Lann Hornscheidt
Sprachgewalt
erkennen und sprachhandelnd verändern
SUKULTUR2018
Aufklärung und Kritik wurde 1996 gegründet. Seit der Nummer 512 wird die Reihe von Sofie Lichtenstein und Moritz Müller-Schwefe herausgegeben.
Aufklärung & Kritik Nummer 524
ein SUKULTUR-Produkt
1. Auflage September 2018
Alle Rechte vorbehalten
Text: Lann Hornscheidt
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
SuKuLTuR, Wachsmuthstr. 9, 13467 Berlin
[email protected] · www.sukultur.de
@sukultur sukultur
ISBN 978-3-95566-086-4
Keine Person wird diskriminiert, weil sie trans* oder weiblich, Schwarz, geflüchtet und/oder behindert ist. Die Diskrimi - nierung von Individuen ist ein Effekt gewaltvoller Strukturen. Menschen werden diskriminiert, weil die Gesellschaft, ihre Strukturen und Normen genderistisch, rassistisch und behindernd sind. Menschen werden diskriminiert, weil sie sowohl von Individuen und sich selbst als auch von der Gesellschaft und ihren Organen als anders kategorisiert, wahrgenommen und abgewertet werden. Dies nenne ich strukturelle Diskriminierung oder strukturelle Gewalt. Auch wenn die Gewalt eine Struktur ist, wird sie durch das konkrete individuelle Handeln getragen, aufrecht erhalten, immer wieder neu bestätigt – oder sie kann auch transformiert werden. Individuelles sprachliches Handeln bekräftigt strukturelle Gewalt; oder fordert sie heraus und leistet in dieser Weise Widerstand. So ist es eine grundlegende und zentrale Strate - gie, Menschen sprachlich zu klassifizieren, zu sortieren, einzuordnen und mithin zu hierarchisieren: als Frauen, trans*, Schwarze und People of Color, Geflüchtete, Behinderte. Paradoxerweise stellen diese Kategorien, bezeichnen sie Diskriminierte, zugleich auch die sprachlichen Räume widerständiger Selbstermächtigung dar, indem sie positiv und empowernd belegt werden.
Ohne Sprache jedoch, ohne unsere Möglichkeit, sprachliche Kategorien wie Gender, Nationalität, Aufenthaltsrecht, Behinderung zu schaffen, wie selbstverständlich zu benutzen und mit einzelnen Gruppenzuschreibungen wie Frau, trans*, Mann, deutsch, syrisch, somalisch, schweizerisch oder staatenlos zu bedenken, gäbe es auch die entsprechenden strukturellen Diskriminierungen nicht. Sie können nur existieren, wenn die sozialen Zuordnungen von Menschen in diese Kategorien weiterbestehen. Dies lese ich auch aus einer Szene in der Autobiografie von Deborah Feldman (Überbitten, 2017) als Erzählung der Auffassung ihrer Großmutter zu jüdischer Identität:
„Während sie am Tisch sitzt und unter einer Leuchtstofflampe einzelne Kohlblätter nach Raupen absucht, die sie treife, nicht-koscher, werden lassen würden, sagt Bubby geistesabwesend, dass Gott die anderen Völker nur auf diesen Planeten gestellt habe, damit sie das jüdische Volk hassen und verfolgen. Es sei letztendlich diese gegnerische Kraft, die uns definiere, so wie Gott auch Nacht und Tag erschaffen habe, Dunkelheit und Licht. Das eine sei nötig, um das andere zu definieren. Unser Jüdischsein bestehe exakt im Rahmen der Versuche es auszurotten.“