Spuk in Österreich - Gabriele Hasmann - E-Book

Spuk in Österreich E-Book

Gabriele Hasmann

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Beschreibung

Im Wiener Prater erschreckt ein mysteriöser Mann Besucher des Spiegelkabinetts. Im ehemaligen Römerlager Carnuntum kann man nachts manchmal das Klirren von Waffen und Kampfgeschrei hören und in der Innsbrucker Wirtschaftsuniversität streift eine Ohrfeigen verteilende Geisternonne durch die Gänge ... Gabriele Hasmann und Ursula Hepp präsentieren die gruseligen Facetten bekannter und neu zu entdeckender Orte und Sehenswürdigkeiten in ganz Österreich. Die Autorinnen sprachen mit Augenzeugen und sichteten jahrhundertealte und brandneue schriftliche Quellen. Entstanden ist so ein abwechslungsreiches Potpourri von Begegnungen mit dem Übernatürlichen. Mal tragisch, mal schaurig, mal amüsant - aber nie erfunden!

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Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.

Johann Wolfgang von Goethe

(Faust, der Tragödie zweiter Teil, 5. Akt)

Inhalt

Vorwort

Wien

Der Wurstelprater

Ein betrunkener Zauberer im Spiegel / Der Onkel aus Amerika

Der Haydnpark

Zwei Tote ohne Kopf am Hundsturmer Friedhof

Die Bundespolizeidirektion Wien

Das Ringtheater – Der Pechvogel Anton Bruckner und wimmernde Leichen im Nebel

Weißgerberviertel und Hoher Markt

Hetztheater, Gänseweide und manifestiertes Leid

Das Otto-Wagner-Spital

Kinderklinik »Am Spiegelgrund« – Tote Kinder und ein kleiner Junge

Der Cobenzl

Reichenbachs immer noch leuchtende Od und eine Sothen-Schwade

Die Michaelergruft

Die »Weiße Frau« in der Nische

Niederösterreich

Carnuntum

Das Tor in die Vergangenheit / »Abstechen!«

Pestfriedhof beim Badener Pfarrplatz

Der spukende Türke auf der Suche nach seinem Schmuck

Seegrotte Hinterbrühl

Zwangsarbeiter, blinde Pferde und fünf Wasserleichen

Am Wachberg

Ein lautes Wimmern im Stollen

Sanatorium Wienerwald

Die weiße Gestalt im Park: »Ich habe Kafka geheißen.«

Kartause Mauerbach

Ein Kloster, ein Siechenheim und lästige Bettler

Oberösterreich

Linzer Schloss

Fluchende Geister beim »Trutzbauern«

Steiermark

Kirche Bad Radkersburg

Der Blutrichter Johann Wendtseisen, die »Hexe« Veronika … und Arthur

Maria Silbert

Das Medium und sein Hausgeist Nell

Burgenland

Altenwohn- und Pflegeheim Gols

Zwei Krankenschwestern und ihre geisterhaften Besucher

Neusiedler See

Elf junge Leute im Boot und eine jährlich wiederkehrende Wasserlache

Kärnten

Ladinger Gmoan

Gendarmeriebeamte auf den Spuren der Geister

Salzburg

Festung Hohenwerfen

Jenseitige Botschaften aus dem Verlies und im Fürstenzimmer

Burgruine Plain

Das Kinderskelett im Torturm und der »Wunderberg«

Tirol

Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck

Die ohrfeigende Geisternonne

Quellen

Dank

Bildnachweis

Vorwort

Nach erfolgreicher Zusammenarbeit für die Bücher »Geisterjäger – Auf den Spuren des Übersinnlichen« und »Hexen, Heiler und Dämonen – Geheimnisvolle Orte und magische Menschen in Österreich« (beide Verlag Ueberreuter) sind Uschi Hepp und ich ein weiteres Mal herumgereist, haben seltsame Begebenheiten aufgespürt, Orte mit tragischen Geschichten besucht und mit »Augenzeugen« gesprochen, denen die Geister der Vergangenheit begegnet sind …

Und wieder sind wir dabei auf Mysteriöses, Unerklärliches und Unfassbares gestoßen.

Ob ein Tor in die Vergangenheit, eine jährlich wiederkehrende Wasserlache oder eine ohrfeigende Geisternonne – in Österreich gibt es »mehr zwischen Himmel und Erde«, als man zu denken wagt.

Auch dieses Mal funktionierte die Arbeitsaufteilung zwischen Uschi und mir wieder wunderbar: Gemeinsam haben wir aus allen Spukorten die interessantesten ausgewählt. Uschi hat die Befragung der Augenzeugen übernommen und fotografiert. Ich selber habe Hintergründe recherchiert, ebenfalls Interviews geführt, die Puzzleteile zusammengefügt und alles niedergeschrieben.

Und als waschechtes Schwefelkind freue ich mich besonders, dass es auch in meiner Heimatstadt Baden spukt und ich die dazugehörige Geschichte zu diesem Buch beitragen konnte.

Wer an Geister glaubt, dem begegnen sie auch! In diesem Sinne …

Ihre Gabi Hasmann

[email protected], www.wunschtext.at

Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich nun schon mit paranormalen Phänomenen und untersuche die berüchtigtesten Spukorte in Europa. Bei der Arbeit an dem vorliegenden Buch wollte ich die Gelegenheit nützen, einmal nur zuzuhören, wie verschiedenste Spukphänomene von den einzelnen Menschen wahrgenommen und erzählt werden. Ich empfand es als angenehm, diesmal nicht selber die Phänomene aufzeigen und schildern, hinterfragen und recherchieren zu müssen.

Es war für mich eine neue Erfahrung, mitzubekommen, wie sehr Wahrheit und Täuschung miteinander verschwimmen können, und genau das hat den Reiz ausgemacht.

Ob Schatten oder Gestalten im Spiegel oder Berührungen oder Stimmen – die Phänomene werden von jedem anders wahrgenommen, denn unser Gehirn setzt das um, was es kennt, und gibt dem dann wiederum eine Form. Haben die interviewten »Augenzeugen« also wirklich Erfahrung mit dem Übersinnlichen gemacht oder wurden sie Opfer einer Illusion?

Es ging uns jedenfalls nicht darum, die Geschichten wissenschaftlich zu erklären, sondern zum Nachdenken, Gruseln oder Schmunzeln anzuregen.

Die Tatsache, dass wir uns augenscheinlich »zwischen den Welten« befinden, möge unsere LeserInnen einen Schritt näher an das Unerklärliche heranführen – denn es befindet sich stets unter uns.

Spannendes Gruseln wünscht

Uschi Hepp

[email protected], www.api.co.at

Wien

Der Wurstelprater

Ein betrunkener Zauberer im Spiegel / Der Onkel aus Amerika

Der etwa sechs Quadratkilometer große Prater in Wien ist eine in den Donauauen gelegene öffentliche Parkanlage in der Leopoldstadt, im 2. Bezirk, dessen Name erstmalig Ende des 12. Jahrhunderts auftauchte. Damals schenkte der Babenberger Herzog Friedrich I. von Österreich einen Teil der Aulandschaft einem adeligen Geschlecht namens »de Prato« (ital. »Flussaue«), deren Familienmitglieder sich später »Prater« nannten. Der jeweilige Landesfürst, die Stadt Wien und einige geistliche Institute besaßen ebenfalls Gründe auf dem weitläufigen Areal.

Das Riesenrad im Wiener Prater, in Betrieb seit dem Jahr 1897

Ab dem Jahr 1564 wollte Kaiser Maximilian II. den Prater zur Jagd nutzen und umzäunte den gesamten Bezirk, wodurch der kaiserliche Forst entstand. Die heutige Praterstraße war damals die sogenannte Jägerzeile, auf der Maximilian 1569 für seine Jäger mehrere Häuschen »in einer Zeil« bauen ließ.

Kaiser Rudolf II. ließ 1592 verlautbaren: »Niemand soll in unserer Au, dem Prater, zur Sommer- oder Winterzeit gehen, fahren, reiten, hetzen, jagen oder fischen, ohne Willen des kaiserlichen Forstknechtes Hanns Bengel.« Und besagter Bengel nahm seinen Job wirklich ernst, er vertrieb sogar harmlose Naturfreunde, die ohne ausdrückliche Erlaubnis im Prater lustwandelten, und ging dabei nicht gerade zimperlich vor.

Unter Kaiser Karl VI. wurde das Verbot zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein wenig gelockert. Nun durften zumindest Adelige Ausflüge in den grünen Prater unternehmen – allerdings war ihnen nur erlaubt, ihn per Kutsche zu durchfahren, das Aussteigen wurde ihnen strengstens untersagt.

Der zu dieser Zeit mit der Aufsicht betreute Forstmeister Johann Franz Bernrieder, ein höflicher, zuvorkommender Mann, musste einmal das Hündchen der Erzherzogin und späteren Kaiserin Maria Theresia einfangen, als dieses aus der Kutsche gesprungen war. Er reichte das Tier in den Wagen hinauf und meinte: »Euer Gnaden sollten halt künftig vorsichtiger sein!« Maria Theresia war über diese Szene derart belustigt, dass sie noch viele Jahre später im vertrauten Kreis gern scherzhaft diesen Ausspruch zitierte.

Als Mitte des 18. Jahrhunderts ein Großteil des Kaiserlichen Jagdparks von Kaiser Joseph II. dem allgemeinen Volk »zur Belustigung« übergeben wurde, womit damals der Spaziergang gemeint war, stand in der Verlautbarung, dass

die allzu abgelegenen Ort und dicke Waldung, wegen sonst etwa zu besorgenden Unfugs und Missbrauch

von der Schenkung ausgenommen waren. Außerdem wurde verfügt,

daß niemanden bey solcher zu mehrerer Ergötzlichkeit des Publici allergnädigst verstattenden Freyheit sich gelusten lassen werde, eine Unfüglichkeit, oder sonstig unerlaubte Ausschweifungen zu unternehmen, und damit zu einem allerhöchsten Mißfallen Anlaß zu geben.

Am Tag der feierlichen Öffnung des Parks, am 7. April 1766, sind jedoch sogleich 102 Pärchen bei unzüchtigen Handlungen erwischt und daraufhin festgenommen worden, mehr als 2.000 Prostituierte boten in Seitenalleen ihre Dienste an. Es ist anzunehmen, dass dies auch in der Folgezeit immer wieder geschah – allerdings nur tagsüber, denn die Ausflügler durften nur bis Sonnenuntergang, und das auch nur im Sommer, durch den Prater spazieren. Danach wurde ein Eisengitter um die Grünanlage aufgezogen. Die spätabendliche Schließung des Parks wurde den Flanierenden durch drei Böllerschüsse angekündigt.

An diesem 7. April 1766 soll der Kaiser gebeten worden sein, sich unters »gemeine« Volk zu mischen, worauf er angeblich seufzend gesagt habe: »Wenn ich stets unter meinesgleichen herumwandeln wollte, dürfte ich nur in der kaiserlichen Gruft spazieren gehen.«

Im Jahr 1775 wurde das Gitter niedergerissen, Joseph II. erlaubte damit den Zugang zum Prater zu jeder Jahres-, Tages- und Nachtzeit.

1809 war der Prater Schauplatz des Koalitionskrieges mit dem Ziel der Beseitigung von Napoleons Vorherrschaft.

Gemeinhin und insbesondere von Wien-Touristen wird mit »Prater« meist nur das vergleichsweise kleine Areal des Vergnügungsparks gemeint, auch »Wurstelprater« genannt, das an der westlichen Spitze des Naturschutzgebietes liegt.

Seine Entstehung verdankt der Vergnügungspark angeblich dem Taffern-Micherl, dessen früher Vorfahre Änother, ein gebürtiger Schweizer, am Hof des ersten deutschen Kaisers Karl des Großen lebte. Aufgrund seiner riesenhaften Gestalt auch »Einheer« genannt, der, so sagte man, mit nur einem Blick aus luftiger Höhe ein ganzes Heer in die Flucht schlagen konnte, stand der Hüne dem Kaiser unter anderem in den Kriegen gegen die Böhmen und Hunnen zur Seite.

Im Jahr 791, als Kaiser Karl gegen die Awaren zog, beschloss Änother, sesshaft zu werden, und zwar in Wien. Er pflanzte sich fort und langsam wurden aus Änother unter anderem die Familiennamen Ainöder und Ainöther.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts befand sich in der Wollzeile im Haus mit der Nummer 778 (heute Nummer 17) die Stadt-Tafferne, also die erste Weinschenke am Platz. Dort arbeitete ein 20-jähriger Schankbursche namens Michael Ainöther, ein Nachfahre des Riesen, der allerdings nur etwa 1,25 Meter maß, krumme Beine und einen Buckel hatte. Michael erfreute sich bei den Gästen großer Beliebtheit, da er seinen Dienst mit viel Freude und Aufmerksamkeit versah. Eines Tages kam dem Taffern-Micherl, wie der junge Mann genannt wurde, eine Idee, indem er eins und eins zusammenzählte: In ganz Wien gab es keinen öffentlichen Vergnügungsort, und die Menschen, so hatte er es beobachtet und aus Erzählungen erfahren, liebten es, in den Praterauen zu flanieren. Michael teilte diese Einschätzung mit den Gästen der Tafferne und äußerte den Wunsch, auf dem Platz am Ende der Jägerzeile ein Wirtshaus zu errichten. Einige der angesehensten Bürger Wiens, die sich oft in besagter Weinschenke aufhielten, beschlossen, dem jungen Burschen Geld zu leihen, damit er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Durch rege Fürsprache der reichen Herren erhielt Michael vom Magistrat die Bewilligung und eröffnete sein Wirtshaus, eine einfache Holzhütte, am 1. Mai 1603. Über dem Eingang prangten folgende Verse:

Gott behuet dies Haus so lang, Bis ein Schneck die Welt umgang, Und ein Ameis dürst so sehr, Daß’s austrinkt’s ganze Meer.

Bereits im Sommer desselben Jahres musste Michael das Lokal vergrößern, es wurde sogar eine Kegelbahn darin errichtet sowie eine Bühne, auf der arbeitslose Schauspieler Marionettentheater spielten. 1608 wich die Holzhütte einem schönen, steinernen Haus, in dem nach wie vor Bier, Wein, Cervelatwürste und Käse, aber auch bereits feinere Speisen für die angesehenen Bürgerfamilien serviert wurden. Der ehemalige Schankbursche wurde reich, heiratete und führte den Betrieb bis zu seinem Tod 1651. Das Praterwirtshaus fiel in andere Hände und daneben eröffneten schon bald diverse Unternehmer weitere Imbissstände und Buden mit Schaukeln, Karussellen, Schießbuden, Puppentheatern und anderen Belustigungen. Die Wiener liebten es besonders, auf bunt lackierten Pferdchen auf und ab und dabei im Kreis zu fahren und in luftiger Höhe mit Stangen in Ringe zu stechen – daher die Bezeichnung »Ringelspiel«.

Der Taffern-Micherl hat also den Wurstelprater entstehen lassen, seinen Namen verdankt der Vergnügungspark allerdings dem Hanswurst, einer Figur des Alt-Wiener Volkstheaters, geschaffen von dem Schauspieler, Puppenspieler und Theaterleiter Josef Anton Stranitzky (1676–1726), der auch als Zahnarzt praktizierte und daneben den Beruf des Weinhändlers ausübte. Stranitzkys Hanswurst war eine derb-komische Gestalt des Stegreiftheaters, Vorläufer dieser Figur finden sich bereits 1519 in Sebastian Brants »Narrenschiff«, wo der Hanswurst noch »hans myst« hieß, und ebenso bei Martin Luther, der 1541 die Schmähschrift »Wider Hans Worst« verfasste.

Der Hanswurst wurde, ebenso wie seine Kollegen, in der Zeit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts von den Brettern, die die Welt bedeuten, aus der Inneren Stadt vertrieben und fand im Prater ein neues Zuhause.

Bis heute haben sich im Wurstelprater zahlreiche Schaustell- und Unterhaltungsbetriebe angesiedelt, die jährlich Millionen von Menschen anlocken.

Ab 1896, kurz nach der ersten öffentlichen Aufführung von »lebenden Bildern«, entwickelte sich im Prater eine rege Kinoszene. Schon bald gab es fünf Schaubuden, vor denen Ausrufer standen, die die Laufkundschaft in die Vorführungen lockten.

1897 wurde in Vorbereitung zur Feier des 50. Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. 1898 das Riesenrad, damals das größte der Welt, heute neben dem Stephansdom das bekannteste Wahrzeichen Wiens, in Gang gesetzt, 1898 entstand die erste Märchen-Grottenbahn Europas im Prater und 1933 öffnete auf Parzelle 96 die erste Geisterbahn auf Erden ihre Pforten.

Nur selten erwähnt wird in der Geschichte des Praters das »Venedig in Wien«, die Illusionswelt der nachgebauten Lagunenstadt mit venezianischen Palazzi und Gondelfahrten, die sich zur Zeit der Jahrhundertwende auf dem Gelände der heutigen Kaiserwiese befand. Dort amüsierten sich damals nicht nur Damen und Herren der High Society, sondern auch böhmische Dienstmägde und Soldaten des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates. Auf der Wiese konnte man zu jener Zeit außerdem Stierkämpfen, Damenboxen oder japanischen Ringkämpfen beiwohnen.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts traten im Prater häufig Berühmtheiten auf wie die Dirigenten Strauß, Lanner und Zierer, die Sopranistin Maria Jeritza oder der Volksschauspieler Hans Moser, der eigentlich Johann Julier hieß.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Wurstelprater beinahe zur Gänze zerstört, nach dem Krieg jedoch relativ rasch wieder aufgebaut.

Der Vergnügungspark in den Donauauen von Wien war und ist eines der beliebtesten Ausflugsziele für Familien und Touristen.

1911 wurde dem Wurstelprater ein kleines Büchlein gewidmet, verfasst von Felix Salten und Emil Mayer. Darin heißt es:

Die Dienstmägde schieben ihre Kinderwagen, zu ihnen gesellen sich die Soldaten; die Müßiggänger schlendern, die Dirnen eilen; im langen Zug wandert der kleine Mann mit Weib und Kind und Kegel, tänzelt der Kommis, stampft der Student; zwischendurch schlüpfen die kleinen Buben, welche die Schule schwänzen … Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters, und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, das Heulen der Werkel, schmetternde Fanfaren, dröhnende Paukenschläge.

Doch der Prater kann nicht nur mit einer interessanten Historie aufwarten, er strotzt auch vor skurrilen wie gleichermaßen unheimlichen Geschichten.

Einem Trend aus dem fernen Ausland folgend wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Abnormitäten-Shows veranstaltet und den schaulustigen Besuchern »Freaks« wie Haarmenschen, Fettleibige, siamesische Zwillinge und Menschen mit körperlichen Behinderungen – wie beispielsweise der Russe Nikolai Kobelkoff, dem bis auf kurze Stümpfe die Gliedmaßen fehlten – präsentiert.

Um die Szenerie noch bizarrer zu gestalten, eröffnete der Raubtierbändiger Hermann Präuscher (1839–1896, beerdigt am evangelischen Friedhof Matzleinsdorf, Sohn eines Schaustellerehepaares, der 1864 mit dem Zirkus Suhr-Hüttemann nach Wien kam) 1871 im Wurstelprater ein Panoptikum und Menschenmuseum.

»Nur für Erwachsene«, hieß es in »Präuschers Panopticum«, in dem der Dompteur menschliche Präparate wie krankhaft veränderte Körper- und Geschlechtsorgane oder abgetrennte Gliedmaßen präsentierte. Dieses Kuriositätenkabinett, dessen Ausstellung als volksbildnerisch galt, wurde nach Präuschers Tod von seinen Erben weitergeführt, brannte 1945 jedoch vollständig aus.

Eine ähnliche Ausstellung existiert seit 1971 wieder im »Narrenturm«, dem Pathologisch-Anatomischen Bundesmuseum der Stadt Wien, in einem ehemaligen »Irrenhaus« auf dem Gelände des alten AKH (mehr darüber in unserem Buch »Hexen, Heiler und Dämonen – Geheimnisvolle Orte und magische Menschen in Österreich« von Gabriele Hasmann und Ursula Hepp, Verlag Ueberreuter, Wien 2010).

Neben den über 2.000 menschlichen Exponaten zeigte Präuscher auch Wachsfiguren, mittelalterliche Foltergeräte sowie tierische Präparate. Des Dompteurs ganzer Stolz war unter anderem der Koffer des Raubmörders Johann Szimitz, in dem sich die Leiche seines Opfers befunden und neben dem der Verbrecher sechs Wochen lang geschlafen hatte – inklusive zweier »Beglaubigungsschreiben« der Budapester Staatsanwaltschaft, die dafür bürgten, dass es sich bei dem Koffer um das Original handelte. Das Prunkstück seiner Sammlung und die Sensation im Jahr 1884 war jedoch die ausgestopfte Bartdame Julia Pastrana. Die haarige Russin, schon zu Lebzeiten weltberühmt, war bei der Geburt ihres Kindes gestorben, was ihren Göttergatten allerdings nicht davon abhielt, weiterhin Geld mit ihr zu verdienen. Der Russe veranlasste die Einbalsamierung »seines Haarweibes« und präsentierte sie in seinem Museum. Doch als die Leiche zu verfaulen begann, ließ er Julia ausstopfen und vermietete sie für 320 Taler im Jahr an Hermann Präuscher. Doch auch andere ausgestopfte Menschen stellte der Tierbändiger aus – die Häute hatte er ihnen angeblich noch zu Lebzeiten abgekauft.

Präuscher rechtfertigte die eigene Faszination an den teilweise doch sehr skurrilen Objekten und die Zurschaustellung derselben zur Befriedigung der Schaulust anderer mit der »Erkenntnis«, die der damals noch pubertierende Sigmund Freud (1856–1939) erst viele Jahre später haben sollte: Die Auseinandersetzung mit dem Andersartigen bestätigt einerseits die eigene Normalität und fördert gleichzeitig die Wiederbegegnung mit dem eigenen Verdrängten.

Otti Neumeier-Hager aus Wien, die … etwa sechs Jahre alt war, erzählt:

Es stand auf dem freien Platz gegenüber dem Riesenrad, in der Nähe des Kinos, und es war ein ewig unerfülltes Ziel meiner Sehnsüchte, denn Kinder durften nicht hinein. Ein wenig konnte man beim Eingang hineinlugen und sah vielleicht ein Stück von ich weiß nicht was, aber draußen an den Wänden gab es Reklame in Form von Plakaten für die »Frau ohne Unterleib«. Ach, hätte ich die gerne gesehen! Es war ja so unvorstellbar, eine Frau ohne Unterleib, wie sollte das gehen? Außerdem gab es Bilder über Sensationen wie »Lionel, der Löwenmann«, »Resi, die Riesenfrau« oder sonstige »Abnormitäten«. Es handelte sich um Menschen mit körperlichen Missbildungen, die sich zum Zweck des Lebensunterhalts zur Schau stellten: wie der berühmte Rumpfmensch Nikolai Kobelkoff, der trotz fehlender Arme und Beine Kunststücke zeigte und es zu einer Familie mit zahlreichen Nachkommen und zum Ringelspielbesitzer brachte; siamesische Zwillinge, Kleinwüchsige, Riesenwüchsige, Bartfrauen und vieles mehr. Das alles ging 1945 in Flammen auf, ohne dass ich es jemals gesehen hätte.

1890 hatten die Wiener allerdings auch noch etwas anderes zu bestaunen: Sie konnten nämlich im Wurstelprater »Indianer schauen«.

Die bis in die heutige Zeit berühmteste und auch spektakulärste Wild West Show, unter der Leitung von »Buffalo Bill« William Frederick Cody, gastierte während ihrer zweiten Europareise in Wien. Der Trupp des amerikanischen Abenteurers, Bisonjägers und Büffelschlächters hielt mit 80 Wagen, 225 Cowboys und Indianern, 252 Pferden, 22 Bisons und einem Stier Einzug am Pratergelände und begeisterte das Publikum mit gespielten Kampfszenen und Tierjagden, wie sie zu dieser Zeit in den Indianerreservaten in Nordamerika tatsächlich stattfanden. Cody war Jahre zuvor allerdings mehrmals in kriegerische Handlungen gegen Indianer verwickelt gewesen, so 1876, als er sich der US-Armee ein weiteres Mal als Kundschafter für einen Rachefeldzug zur Verfügung stellte und im Zuge eines Kampfes den Häuptling Yellow Hair tötete mit den Worten: »Der erste Skalp für Custer«, also für den damaligen Oberstleutnant der US-Armee.

Auf seiner letzten Tournee 1906 brachte Cody ein lebendes Kuriositätenkabinett mit nach Wien: eine Schlangenbändigerin, einen afrikanischen Riesen und einen Mann mit blauer Haut.

Ein weiteres Highlight am Gelände des Wurstelpraters war die Liliputstadt. Die erste entstand bereits 1911, weit mehr Bedeutung jedoch erlangte die zweite, die sich von 1934 bis 1937 nahe dem Praterstern am Beginn der Hauptallee befand:

Besuchet die Liliputstadt im Prater mit dem weltberühmten Gnidley’s Liliputaner Zirkus. Geöffnet ab 2 Uhr nachm. Sonn- und Feiertag ab 10 Uhr vormittags.

(Annonce aus dem Archiv des Museums für Unterhaltungskunst, Wiener Zaubertheater)

Das »Neuigkeits-Welt-Blatt« Nr. 122 vom 30. Mai 1937 berichtete begeistert von der Miniaturstadt im Prater, in der die Kleinwüchsigen tatsächlich lebten:

Beim »Ponywirt« in der Liliputstadt sitzen alle »dienstfreien« Liliputaner in kleinen Sesseln bei ganz niedrigen Tischerln und erledigen entweder ihre Korrespondenz, natürlich sind es vor allem Briefe in die Heimat, die sie oft jahrelang nicht sehen, oder sie spielen Karten, lesen Wiener Zeitungen oder tauschen Briefmarken.

Gabriele Edelmann schrieb eine Diplomarbeit mit dem Titel »Zurschaustellungen von ›Abnormitäten‹ und ›Freaks‹ in Wien. Eine Untersuchung der Aufführungspraxis von Prodigien«. Dort heißt es:

Im Prater wurde ein Kondensat des »richtigen« Stadtlebens vermischt mit Nostalgie und Romantik geboten. Auf dem pompösen Eingangstor mit zwei Kassen prangten die Worte »Liliput – Die kleinste Stadt der Welt!« Die durchwanderbare Kulisse bot verwinkelte Gassen, Wohnhäuser, ein Postamt, einen Heurigen, einen Gemeinde-Kotter, ein Stadttheater, eine Feuerwache, ein Rathaus samt »Rathauskeller« sowie verschiedene Geschäfte. Die Gassen – alle mit Straßenschildern und Namen wie »Hauptstraße«, »Theaterplatz« oder »Piccolostraße« versehen – und die Miniaturgebäude, jedes mit einer vollständigen Adresse samt Hausnummer, wurden von Bewohnern, Polizisten, Feuerwehrleuten und einem Bürgermeister bevölkert. Die Handwerker stellten verschiedene Dinge her und verkauften diese dann auch an das Publikum. Ein Graveur führte »für wenig Geld allerhand künstlerische Arbeiten« aus. Eine Wahrsagerin konnte ebenso gegen ein kleines Entgelt aufgesucht werden. Sogar eine Parfümerie bot Gelegenheit zum Einkauf. Auf dem Postamt stempelte ein Postmeister Souvenir-Stampiglien auf die dort zu erwerbenden Postkarten mit seinem Namen – »Robertsen Postmeister der Stadt Liliput« – und dem Datum. … Es gab natürlich Liebesbeziehungen – untereinander sowie mit normal großen Partnern. Paul Walker, der Wirt vom »Weißen Pony« in der zweiten »Liliputanerstadt« im Prater, war mit einer groß gewachsenen Frau verheiratet, sie lebten gemeinsam mit ihrer kleinwüchsigen Tochter Hedy in der Stadt. Noch deutlicher sichtbar wurde die Vermischung der Realitäten im Falle der Silberhochzeit des Ehepaares Blase aus der »Liliputstadt«, welche im Stephansdom gefeiert wurde und ein großes Medienereignis darstellte. Otti Neumeier-Hager erzählt:

Ein Zaun umrahmte kleine Häuser, vor denen wie auf einem Campingplatz kleine Tische und Bänke standen, und Menschen, die kaum größer waren als ich, saßen oder gingen darin herum. Es war faszinierend. Sie waren ganz normal angezogen, die Frauen hatten hübsche Beine, und alle waren wohlproportioniert, nicht so deformiert, wie man es von Zwergen oft kennt. Es war, wie wenn man in einen Puppenladen hineinschaute, nur waren es lebende erwachsene Menschen. Nur dieses eine Mal hatte ich Gelegenheit, in dieses »Wunderland« zu schauen. Als wir das nächste Mal in den Prater kamen, gab es dieses Dorf nicht mehr.

Ab 1940 wurde es verboten, die »Liliputaner« – wie sie selbst genannt werden wollten – auszustellen. Otti Neumeier-Hager sagt: »Wer weiß, wohin sie unter dem Hitlerregime gekommen sind, man sah nie wieder einen von ihnen.«

Doch spuken im Prater weder Hermann Präuscher noch die Bartdame Julia Pastrana noch der Rumpfrusse Nikolai Kobelkoff, sondern vielmehr der Geist des Zauberers und Initiators des Gespenstertheaters Anton Kratky-Baschik.

Schon das Geburtsdatum des aus Prag stammenden Künstlers gibt Rätsel auf: Auf seinem Grabstein am Zentralfriedhof (Gruppe 11, Reihe 1, Nr. 52) ist »Anton Kratky-Baschik, 1822–1889, Ein Meister seiner Kunst« zu lesen. Die Friedhofsverwaltung legt sich jedoch auf 1820 als Geburtsjahr fest, Felix Czeikes Historisches Wien Lexikon von 1992 bis 1996 gibt das Jahr 1821 an, Wikipedia wiederum macht den Herrn gleich um rund zehn Jahre älter und behauptet, er sei bereits 1810 zu Welt gekommen.

Anton Kratky-Baschik stand jedenfalls schon im Alter von 16 Jahren auf der Bühne, damals allerdings noch als Mundharmonikaspieler. In Berlin trat er erstmals als Zauberer auf, unter den Fittichen von Samuel Bellachini, dem populärsten Illusionisten seiner Zeit. Einmal Blut geleckt, begann Kratky-Baschik sich zuerst mit physikalischen Experimenten, danach mit Imaginationskunststücken zu beschäftigen und beschloss um 1850, Zauberer zu werden. Auf seinen Tourneen durch England und Amerika spezialisierte er sich auf Gespenstervorführungen, bei denen ihm tote Berühmtheiten erschienen. 1862 ließ er sich in Wien nieder und eröffnete 1864 im Wurstelprater sein erstes Zaubertheater auf der Feuerwerkswiese. Dieses musste er jedoch bald wieder schließen, da er weiterhin durch die Lande tourte.

1868 unternahm er einen zweiten Versuch, die Wiener zu verzaubern und baute sein zweites »Theater für Zauberei« in der Ausstellungsstraße 161, das er bis zu seinem Tod bespielte. Im Winter hielt sich der Künstler mit Veranstaltungen seiner Zaubersoireen in der Innenstadt oder im Dianasaal in der Leopoldstadt über Wasser, doch auch im Sommer war sein Theater nicht besonders gut besucht. Aber die Einnahmen schienen zum Leben zu reichen, und die vorhandene freie Zeit nützte Kratky-Baschik, um es sich in seinen beiden Stammlokalen, »Goldener Kegel« und »Goldenes Kreuz« – wovon sich Letzteres direkt gegenüber, Ersteres schräg vis-à-vis von seinem Theater befand –, gut gehen zu lassen.

Noch heute kursieren im Prater allerlei Gerüchte über den Zauberer, so etwa, dass er darauf bestand, nur frisch angeschlagenes Bier zu trinken. Daher soll der Wirt Adam vom »Goldenen Kreuz« jedes Mal, wenn er seinen Stammgast kommen sah, mit dem Schlägel auf das Fass geschlagen haben, um die Frage des Künstlers, ob das Bier auch frisch angeschlagen sei, mit der Gegenfrage »Ja habns ned grad den Lärm vom Anschlagn ghört?« zu beantworten. Einmal, so erzählt man sich, fuhr Kratky-Baschik mit seinem Helfershelfer Matthias zum Heurigen nach Döbling. Auf der Rückfahrt streifte der angeheiterte Bursche mit dem Wagen einen Schotterhaufen, woraufhin das Gefährt umkippte. Der Zauberer soll erbost gerufen haben: »Fallot, ölendiger! I hab dir doch gsagt, du derfst ned saufen, wenn i an Rausch hab!« und bekam zur Antwort: »Jo Herr Professor, do kummat i jo nie dran.«

Zuletzt erblindete der alte Magier und starb am 27. August 1889. Das Zaubertheater wurde bis 1911 weitergeführt, danach schloss es für immer seine Pforten.

»Oh mein Gott, da ist ja gar niemand!«, »Hast du auch grad den komischen Mann gesehen? Er stand direkt hinter mir … wo ist der hin?«, »Bitte, wie schaut denn der aus? Welches Irrenhaus hat den denn freigelassen?« So und ähnlich reagieren die Menschen, wenn ihnen im Prater Anton Kratky-Baschik im Lach- und Spiegelkabinett »Calypso« (Parzelle 45, auf dem Weg vom Calafatiplatz zum Rondeau) begegnet. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um ein Double des Zauberers, sondern um seinen Geist, den man dort offensichtlich manchmal in den Spiegeln sehen kann.

Das Kabinett gibt es bereits seit 1953. Im Eingangsbereich steht der älteste, original handgemachte Watschenmann Wiens, eine mannsgroße, eher dunkelhäutige Holzfigur, die früher einmal außerhalb des Gebäudes stand und sich von jedem, der dafür bezahlte, abwatschen lassen musste. Die Stärke des Schlages wurde dabei mit einem Zeigerinstrument gemessen. Ansonsten befinden sich heute im »Calypso« neben diversen Verzerrspiegeln Irrgärten, bewegliche Hindernisse und so manche Illusion.

Kasperlfigur im Lachkabinett »Calypso« im Wiener Prater

Keine Illusion jedoch war die Erscheinung, die Michael H., ein 36-jähriger »echter Wiener« und »g’standenes Mannsbild«, im Frühjahr 1983 im »Calypso« hatte:

»Meine Kinder haben mich damals im Sommer an einem Samstag so lang sekkiert, bis ich mit ihnen in den Prater gegangen bin. Autodrom, Eis essen, Autodrom, Cola trinken, Autodrom, Pizza essen … und zuletzt ins ›Calypso‹. Ich finde dieses Spiegelkabinett ja nicht wirklich lustig, wer schaut sich seinen Bierbauch schon gern in einem Spiegel an, der einen noch fetter macht? Aber die Kinder hatten ihren Spaß, und das war die Hauptsache – auch wenn sich mein Kleiner vor lauter Lachen ein wenig übergeben und mir eine braune Sauce mit Tomatenstückchen aufs Hemd gespuckt hat. Doch plötzlich, ich steh grad vor einem Spiegel, in dem ich ausschaue wie Michael Jordan, nicht so gut gebaut, aber so groß, seh ich einen Mann hinter mir stehen. Er hatte einen ungepflegten Vollbart, streng zur Seite frisiertes Haar und trug einen offensichtlich uralten, abgewetzten Frack. Seine dunklen Augen haben mir regelrecht Löcher in den Rücken gebrannt, das war echt unangenehm. Mit einem Mal taumelt der Mann grinsend zur Seite aus meinem Blickfeld. Ich dreh mich um … und weg war er. Meine Tochter schaut mich an und fragt, warum ich so erschrocken schaue. Ich überlege kurz, ob ich tatsächlich nur ein Krügerl getrunken hatte, weiß aber sowieso, dass ich niemals mehr Alkohol zu mir nehme, wenn ich mit den Kids unterwegs bin. Sicherheitshalber frage ich meine Kinder, ob da ein Mann gewesen ist, was beide verneinen. Beide standen aber nur knapp zwei Meter von mir entfernt, und sie sagten, dass da niemand gewesen wäre außer uns dreien. Also beschließe ich, einen Sonnenstich zu haben. Ein paar Tage später erzähle ich, ein wenig peinlich berührt, meinem Freund Alex die Geschichte, und der berichtet mir, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass seine Mutter ›den Kratky‹ auch schon in einem Spiegel im ›Calypso‹ gesehen hat.«

(Übersetzt aus dem »echt Wienerischen« ins Hochdeutsche GH)

Weniger lustig liest sich die Geschichte der 72-jährigen Herta W., die sich im Herbst 1989 im »Calypso« zugetragen hat:

»Es war im Oktober, den Tag weiß ich nicht mehr … aber unter der Woche. Ich bin ein wenig übermütig gewesen: Meine Freundinnen, Annemarie und Luise, haben mich zu einem Praterspaziergang eingeladen und meinten, dass wir zum Abschluss unseres Ausflugs ins ›Calypso‹ gehen sollten. Wie gesagt, ich war ein wenig übermütig und habe zugestimmt. Vor allem die Spiegel sind ja wirklich lustig gewesen und wir drei mussten die ganze Zeit kichern. Annemarie stand mit mir vor dem Spiegel, in dem wir ganz dünn waren, so dünn wie vor 40 Jahren, als ich plötzlich einen Mann hinter uns erblickte, der aussah, als wäre er gerade einem alten Stummfilm entsprungen. Ich schrie leise auf und bemerkte im Augenwinkel, dass Annemarie weiß wie eine Wand geworden war. Luise stürzte auf uns zu und griff nach dem Arm meiner Freundin, die zu Boden sank. Panisch sah ich mich um, doch der Mann hatte sichin Luft aufgelöst. Gott sei Dank war Annemarie nichts passiert, der kleine Schwächeanfall ging rasch vorüber. Eine nette junge Dame vom Personal hat uns ein Glas Wasser gebracht, und als ich ihr zögernd erzählte, was meine Freundin so erschreckt hatte, meinte sie: ›Das war der Zauberer, der Kratky-Baschik, der durch das ›Calypso‹ spukt und sich hin und wieder den Besuchern im Spiegel zeigt. Wir haben ihn eh schon ins Gasthaus geschickt, damit er dort weitergeistert, aber offensichtlich mag er nicht weg von da. Ich hab ihn allerdings noch nie gesehen, leider.‹ Humor hatte sie ja, die junge Dame. Uns allerdings war das Lachen vergangen. Eine Herrenbekanntschaft von mir hat sich einige Wochen später erkundigt, ob im alten Spiegelkabinett vielleicht Scherze getrieben werden, da er gar nicht an übernatürliche Geschehnisse glaubt und bereit war, einen Anwalt einzuschalten, wenn dort Menschen fast zu Tode erschreckt werden. Doch man hat ihm offensichtlich glaubhaft versichern können, dass es nicht im Interesse der Betreiber wäre, Kunden derart zu verängstigen. Also ist es doch der Geist des Zauberers gewesen … eine andere Erklärung gibt es nicht.«

Angeblich erschreckt Anton Kratky-Barisch auch heute noch hin und wieder g’standene Männer, alte Damen und andere Besucher des »Calypso« – man sollte dort also immer darauf gefasst sein, dass einem der alte Zauberer im Spiegel über die Schulter schaut.

Doch im Prater treibt sich nicht nur eine Spukgestalt herum – offensichtlich befinden sich dort mehrere Geister, zumeist unbemerkt, unter den Besuchern. Wie auch zum Beispiel der Onkel aus Amerika, der sich im Riesenrad sein geliebtes Wien von oben ansah.

Das Wiener Riesenrad wurde von 1896 bis 1897 von den englischen Ingenieuren Harry Hitchins und Walter B. Basset – der gleichzeitig auch der Eigentümer seines Meisterwerks war – geplant und von Ingenieur Hubert Cecil Booth konstruiert. Es war damals mit 30 Gondeln und einem Gesamtdurchmesser von fast 61 Metern das größte Riesenrad der Welt. Die Einweihung erfolgte am 3. Juli 1897, ein Jahr vor der Feier des 50. Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph I.

An diesem heißen Sommertag strömten die Menschen neugierig in den Prater, um das große Rad zu begutachten. Eine Fahrt darin konnte sich jedoch kaum jemand leisten, da der Preis stolze acht Gulden betrug – Mittelklasseverdiener hatten damals etwa 30 Gulden im Monat zur Verfügung.

Bereits ein Jahr später, am 3. Juli, hätte sich beinahe ein großes Unglück am Riesenrad ereignet: »Am Riesenrad hängt ein Frauenzimmer!«, schallten aufgeregte Rufe durch den Prater. Die Wienerin Marie Kindl, ganz in Weiß gekleidet, hing in luftiger Höhe an einem Seil aus dem Fenster eines Waggons. Das Riesenrad wurde sofort gestoppt, doch die Frau weigerte sich, in die Gondel zurückzukehren. So nahm man wieder Fahrt auf und erst am Boden angekommen kletterte Marie in den Waggon zurück. Mit dieser Aktion hatte die arbeitslose Frau auf ihre soziale Not und die ihres arbeitslosen Mannes aufmerksam machen wollen. Nach dem Bezahlen einer Ordnungsstrafe durfte sie nach Hause gehen. Ob Marie durch ihren Ausflug über den Dächern von Wien zu einem Job gekommen ist, ist nicht bekannt.

1914 wurde das Riesenrad gesperrt, da man es im Ersten Weltkrieg als Aussichtsposten benötigte. 1915 wurde Walter B. Basset enteignet. Der neue Besitzer wollte die Attraktion abreißen lassen, hatte auch bereits die Genehmigung dafür in der Tasche, doch ihm fehlte das Geld für sein Vorhaben. Somit wurde das Riesenrad gepfändet und danach zur Versteigerung ausgeschrieben. Der neue Eigentümer, der Prager Kaufmann Eduard Steiner, wollte das Rad 1918 ebenfalls abreißen lassen, doch auch er konnte diese Arbeit nicht bezahlen, also beschloss er, die Attraktion zu verpachten.

Ab 1920 kamen zunehmend US-amerikanische Filmproduzenten angereist, die das Riesenrad als Filmkulisse nutzen wollten.

1938 »arisierten« die Nationalsozialisten das Riesenrad und erwarben es für ein Viertel der Verkaufssumme von Eduard Steiner. Ein Jahr später wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Zuvor bereits zerbombt, brannte das Rad 1944 komplett aus. Im selben Jahr wurde Eduard Steiner im KZ Auschwitz ermordet. Die Verkaufssumme hat er nie erhalten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann man mit dem Wiederaufbau der Konstruktion, nahm aber an, dass das Rad nicht mehr so stabil sei – daher wurden nur noch 15 Gondeln eingehängt, und dabei ist es bis heute geblieben.

Von 1947 an drehte das Riesenrad wieder seine Runden und 1953 erhielten drei Erbinnen Eduard Steiners, des letzten Besitzers vor der »Arisierung«, das Riesenrad zurück.

Das Riesenrad scheint kein offensichtliches »Spukpotenzial« zu besitzen: Niemand kam dort zu Tode – weder ist jemand jemals aus einer Gondel gestürzt noch war der Platz, an dem es steht, ein Ort nennenswerter Gräueltaten. Und doch hat sich ein ganz bestimmter Geist einen Waggon des Riesenrads zum Spuken ausgesucht.