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Der Band versammelt die Beiträge des Symposiums «Spuren» für und mit Jörg Widmann unter der Leitung von Hans-Klaus Jungheinrich im Rahmen von «Auftakt 2012» der Alten Oper Frankfurt/Main. Beiträge von Norbert Abels, Jörn Peter Hiekel, Hans-Klaus Jungheinrich, Gerhard R. Koch, Siegfried Mauser, Éva Pintér und Wolfgang Sandner. Jörg Widmann, geboren 1973 in München, studierte Klarinette und Komposition (bei Wilfried Hiller, Hans Werner Henz, Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm). Als Klarinettist musiziert er regelmäßig mit Partnern wie Tabea Zimmermann, Heinz Holliger, András Schiff, Kim Kashkashian und Hélène Grimaud. Aber auch als Solist in Orchesterkonzerten feiert er im In- und Ausland regelmäßig Erfolge. Seit 2001 ist Jörg Widmann Professor für Klarinette an der Freiburger Hochschule für Musik, 2009 erhielt er hier eine zusätzliche Professur für Komposition.
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Seitenzahl: 145
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Hans-Klaus Jungheinrich (Hg.): Spuren. Der Komponist Jörg Widmann
edition neue zeitschrift für musik
Herausgegeben von Rolf W. Stoll
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 94
ISBN 978-3-7957-8642-7
© 2015 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Alle Rechte vorbehalten
Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer NZ 5035
© 2013 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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Mit alleiniger Unterstützung der FAZIT-Stiftung
(Frankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter
Societäts-Druckerei) Frankfurt am Main
Umschlag: HJ Kropp unter Verwendung
zweier Fotos von Charlotte Oswald
© 2013 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Printed in Germany
NZ 5035
ISBN 978-3-7957-0847-4
Spuren
Der Komponist Jörg Widmann
Symposion, 15. September 2012, Alte Oper Frankfurt am Main
Herausgegeben von Hans-Klaus Jungheinrich
Vorwort
Es waren aufregende Wochen für Jörg Widmann im Herbst 2012. Die septemberlichen «Auftakt»-Tage in der Alten Oper, an denen er als Composer in residence und auch als Interpret teilnahm, waren für ihn in der Tat der breite Auftakt oder die Ouvertüre zum biografisch noch einschneidenderen Ereignis der Uraufführung seiner zweiten, großformatigen Oper Babylon am 27. Oktober in München (einem Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper). Am ihm gewidmeten Frankfurter Symposium, auf das er sich lange gefreut hatte, nahm Widmann gleichwohl mit der ihm eigenen Hingabe und seiner ungewöhnlich warmherzigen intellektuellen Präsenz von Anfang bis Ende teil. Er gab allen Referenten zu verstehen, dass sie ihre Sache gut gemacht hätten – verbreitete eine unerschütterliche Aura von Freundlichkeit um sich, die auch beim Publikum unweigerlich den Eindruck hinterließ, einer äußerst gelungenen Veranstaltung beigewohnt zu haben.
Wer ihn vorher nicht kannte, mochte dabei staunen über die Gelassenheit eines Künstlers, dessen Verhalten nichts von dem Stress, der Mehrfachbelastung erkennen lässt, denen er ständig (oder doch den Großteil seiner Zeit über) ausgesetzt ist. Viele der von der Alten Oper herangeholten und mit einem Symposium bedachten «Auftakt»-Komponisten waren (und sind) zugleich als Interpreten, zumeist als Dirigenten, eingebunden in den Musikbetrieb und signalisierten volle Terminkalender – wobei nicht selten die Klage darüber auftauchte, dass die Zeit der (ihrer vielleicht nicht immer zuverlässigen Empfindung nach eher lästigen oder gar lausigen) Konzertauftritte diejenige auffresse, die dringend zum Komponieren benötigt werde. (Pierre Boulez vermittelte stets besonders schmerzhaft, wie das Leben mit Pultaktivitäten davongleite, und räsonierte über die immer wieder über ihn hereinbrechenden «Mahlerz-Zyklen»-Verpflichtungen, denen er sich dann aber doch nicht entzog.) Bei Jörg Widmann merkt man nichts von einem knirschenden Nebeneinander oder gar einem schroffen, ruckenden Aufeinanderprallen der so schwer miteinander zu harmonisierenden Arbeitszonen in der Öffentlichkeit und den kontemplativen Stunden, Tagen, Monaten im stillen Kämmerlein und vor dem weißen Notenpapier. Oder ist es vielleicht doch keine so große Kunst, den Interpreten (also vor allem den Klarinettensolisten) Jörg Widmann mit dem Komponisten Jörg Widmann auszutarieren? Die beiden kommen sich nicht zornig oder schmerzhaft ins Gehege. Dem Anschein nach. Wie es denn bei Widmann keine merklichen Facetten eines Künstler-Martyriums gibt. Dem Anschein nach. Wer sich seiner bisherigen Lebensleistung nach auch als hechelnder Workaholic und weidwunder Schmerzensmann darstellen könnte, erscheint in diesem Falle eher als seraphische Gestalt, an der alle Lebensmühen abperlen. Dass Widmann das alles (eine eminente Künstlerkarriere in jungen Jahren) mit nichts anderem schafft als mit einer hoch perfektionierten Organisationstechnik, ist kaum zu glauben. Es bleibt der geheimnisvolle Rest einer zauberhaften Persönlichkeit.
Das Rätsel Jörg Widmann: In Teilmomenten mochte es sich doch auflösen in einigen charakterisierenden Symposiumssequenzen. Etwa mit Siegfried Mausers scharf systematisierender Beobachtung, dass Widmann, der das Radikale und Extreme nicht scheut, dennoch eine auffällige Idiosynkrasie vor «zu viel» und «zu wenig» Metier entwickele, also vor Akademismus und dezidierter Metier-Distanz (John Cage) zugleich. Oder mit Widmanns Selbstbekenntnis, er sei, wenn er sich musikologisch «eingeordnet» sehe, «immer schon woanders», und der Selbsterkenntnis, sich gerade dadurch treu zu bleiben. Sehr einverstanden zeigte sich Widmann mit der Beobachtung von Wolfgang Sandner, der ihm «Mehrsprachigkeit» attestierte. Widmanns Musik lässt vielleicht nicht auf Anhieb einen bestimmten «Personalstil» erkennen, weil jedes Werk sich wieder eine neue Aufgabe setzt und idiomatisch gleichsam vom Nullpunkt ausgeht. Auch als Kompositionslehrer geht es Widmann nicht darum, einen etablierten eigenen Kompositionsstil weiterzuvermitteln oder so etwas wie eine «Schule» zu begründen.
Es war klar, dass im Vorfeld ihrer Uraufführung die Oper Babylon eine prominente Rolle beim Symposium einnehmen würde – auf sie richtete sich wohl auch in besonderem Maße die Neugierde des Publikums. Das in diesem Band abgedruckte Gespräch mit Widmann und seinem Librettisten Peter Sloterdijk – es eröffnete den Symposiumstag – gab erste Hinweise auf ein außerordentliches Unternehmen. Peter Sloterdijk (zum ersten Mal, von Siegfried Mauser mit Jörg Widmann zusammengebracht, mit einem Libretto befasst) umriss den kultur- und operngeschichtlichen Hintergrund des Projekts, das nicht nur eine ferne, noch immer unterschätzte Hochkultur in ein neues Licht stellt, sondern auch eine Fülle theatralischer Archetypen (Naturkatastrophe, Karneval, Menschenopfer, Rettung aus der Unterwelt, erotische Dreieckskonstellation) neu miteinander kombiniert und in einen originelleklektizistischen Zusammenhang rückt. Es war dann Norbert Abels, der nochmals in der Schlussdiskussion eindringlich auf die von Sloterdijk und Widmann mit voller Absicht avisierte «Rehabilitierung» Babylons, auf die gegen-alttestamentarische Sicht auf die «Hure» Babylon, hinwies. Dementsprechend sind im Libretto Turmbau und Sprachverwirrung, die gewöhnlichen babylonischen Paradigmata, kaum von Gewicht. Viel von der Dynamik einer «Sprachverwirrung» erstreckt sich dafür aber auf die Musik, die in einer Weise «pluralistisch» und rabiat polystilistisch ist, wie es bisher bei Widmann nicht vorkam. Bei der Münchner Premiere wurden der Komponist und die (überaus opulente) Inszene der legendären katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus lebhaft gefeiert, während Sloterdijk beim Schlussbeifall auch Buhs einstecken musste. Vielleicht hatte es nicht nur mit diesem Libretto zu tun, dass ein umtriebiger, eingreifender Philosoph, der als introvertierter Dichter in Erscheinung tritt, einigermaßen polarisiert. Das von etlichen Rezensenten wohl allzu kurzsichtig als «überladen» oder «wirr» gescholtene Libretto gehört wohl doch zu den ambitioniertesten, perspektivisch reichsten der letzten Jahrzehnte, wenn nicht der gesamten Operngeschichte.
Es ergab sich, dass die Beiträge des Symposiums (und dieses Bandes) mehr von den Werken als von allgemeineren Überlegungen ausgingen, wenngleich dann Begriffe wie «konstruktives Denken», «Freiheit» oder «Improvisation» doch des Öfteren wieder in der Diskussion auftauchten. Die Beschreibung der Werke und der in ihnen wahrnehmbaren Kompositionsstrategien erfasst sicher nicht das gesamte Spektrum dessen, was bedenkenswert und vom Komponisten je bedacht wäre. Und kaum abzuschätzen ist, was noch kommt. Bereits das zur Symposiumszeit noch ungehörte Babylon hätte die Koordinaten beträchtlich verschoben. Und überhaupt: Jörg Widmann ist ja längst schon woanders.
29. Dezember 2012
Hans-Klaus Jungheinrich
Inhalt
Vorwort
Babel – keine Bibel-Hure
Ein Podiumsgespräch mit Peter Sloterdijk, Jörg Widmann und Hans-Klaus Jungheinrich
«… von ferner Schönheit kündend …»
Komponieren im neuen Jahrtausend – Jörg Widmanns Implosion für Orchester
Wolfgang Sandner
Der Traum von einem anderen Singen
Zu Jörg Widmanns Das Gesicht im Spiegel
Norbert Abels
Ite Missa est
Eine theologische Spurensuche
Hans-Klaus Jungheinrich
Noch andere Gesichter im Spiegel
Jörg Widmanns Umgang mit Schubert und Schumann
Gerhard R. Koch
Mit Schubert (und Feldman) im Dialog
Anmerkungen zum Komponieren von Jörg Widmann und dessen Stellung im heutigen Musikleben
Jörn Peter Hiekel
«Das Orchester zum Singen zu bringen»
Zu Lied und Chor für Orchester von Jörg Widmann
Éva Pintér
Studien und Visionen
Notizen zu Jörg Widmanns Klaviermusik
Siegfried Mauser
Next Generation
Schlussdiskussion mit Jörg Widmann und den Referenten
AutorInnen
Babel – keine Bibel-Hure
Ein Podiumsgespräch mit Peter Sloterdijk, Jörg Widmann und Hans-Klaus Jungheinrich
Hans-Klaus Jungheinrich: In wenigen Wochen wird Jörg Widmanns neue große Oper Babylon in München uraufgeführt, ein Kompositionsauftrag der Bayerischen Staatsoper. Das Libretto zu , und das ist sicher eine Sensation, stammt von Peter Sloterdijk. Es entstand im Wesentlichen im Jahr 2010. Eine Oper namens weckt ja allerlei Assoziationen, und mir kam dabei auch ein Titel des späten Karl May in den Sinn: , seine einzige Schauspielarbeit, mit der er sich unendliche Mühe machte, die aber keinerlei Gegenliebe fand. Natürlich hat dieses vor gut hundert Jahren entstandene Projekt von May, in dem die ganz großen Menschheitsfragen abgehandelt werden, ein anderes Niveau der philologischen und archäologischen Informiertheit als dasjenige von Sloterdijk und Widmann. Aber gewiss gibt es auch Übereinstimmungen – die vorderasiatische Szenerie, ein imaginäres Kurdistan –, und es gibt, ganz schlicht gesagt, die gemeinsame Intention von Welttheater. Es ist also kein kleines Stück, sondern ein sehr großes Stück, was Peter Sloterdijk da für Jörg Widmann geschrieben hat. Um es vorweg zu sagen: In meinen Augen zeigt sich Sloterdijk, der aktuelle Philosoph, ein brillanter Schriftsteller sowieso, hier als ein wirklicher Dichter. Meine Frage an Peter Sloterdijk: Was hat Sie jetzt dazu bewogen, ein Libretto, ein Opernbüchel, zu schreiben – nach all dem, was Sie bisher geschrieben und veröffentlicht haben, und das ist ja sehr viel. Es ist ja kein Geheimnis, dass Sie 65 werden mussten, bis Ihr erster Operntext nun an die Öffentlichkeit tritt.
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