Spurlos verschwunden... - Toni Waidacher - E-Book

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Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer Sebastian Trenker hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. »Wenn S' mit dem Hochwürden und dem Doktor Kaltenecker zur Klamm aufsteigen möchten, Annette«, sagte Sophie Tappert, »dann brauchen S' vernünftige Kleidung, vor allem gescheites Schuhwerk, denn der Weg da hinauf ist steinig, und wenn Ihre Füß' keinen festen Halt haben, kann leicht was passieren.« »Na ja, vernünftige Outdoor-Kleidung hab' ich schon dabei«, erklärte Annette Hambacher. »Mit den Schuhen dürft's ein Problem geben. Ich hab' nur einfache Sportschuh' eingepackt.« »Wir finden schon was Geeignetes«, versicherte die Haushälterin lächelnd. »Im Pfarrhaus gibt's nämlich einen Fundus mit Kleidung und Schuhen. Alles Sachen, die die Touristen entweder in ihren Pensionen oder im Hotel vergessen haben, und nicht teuer nachgeschickt bekommen wollten. Das landet zum größten Teil bei uns hier, damit wir die Leut', die für eine Bergtour gar net oder nur schlecht ausgerüstet sind, bergtauglich machen können. Kommen S', Annette, schauen wir gleich, ob wir was Passendes für Sie finden.« Die Frauen stiegen die Treppe empor bis zum Dachboden. Da stand der große Kleiderschrank, und in ihm fanden sie alles, was Annette benötigte, um für die Bergwanderung gut ausgestattet zu sein. Annette wirkte ausgesprochen bedrückt. Immer wieder musterte Sophie die Cousine des Pfarrers, forschte in ihrem blassen Gesicht. »Sie machen sich große Sorgen wegen dem Marcel, gell?«, fragte die Pfarrhaushälterin. »Das ist schwach ausgedrückt«, erwiderte Annette mit brüchiger Stimme.

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Der Bergpfarrer Extra – 9 –

Spurlos verschwunden...

Ist ihre Liebe unerschütterlich?

Toni Waidacher

»Wenn S’ mit dem Hochwürden und dem Doktor Kaltenecker zur Klamm aufsteigen möchten, Annette«, sagte Sophie Tappert, »dann brauchen S’ vernünftige Kleidung, vor allem gescheites Schuhwerk, denn der Weg da hinauf ist steinig, und wenn Ihre Füß’ keinen festen Halt haben, kann leicht was passieren.«

»Na ja, vernünftige Outdoor-Kleidung hab’ ich schon dabei«, erklärte Annette Hambacher. »Mit den Schuhen dürft’s ein Problem geben. Ich hab’ nur einfache Sportschuh’ eingepackt.«

»Wir finden schon was Geeignetes«, versicherte die Haushälterin lächelnd. »Im Pfarrhaus gibt’s nämlich einen Fundus mit Kleidung und Schuhen. Alles Sachen, die die Touristen entweder in ihren Pensionen oder im Hotel vergessen haben, und nicht teuer nachgeschickt bekommen wollten. Das landet zum größten Teil bei uns hier, damit wir die Leut’, die für eine Bergtour gar net oder nur schlecht ausgerüstet sind, bergtauglich machen können. Kommen S’, Annette, schauen wir gleich, ob wir was Passendes für Sie finden.«

Die Frauen stiegen die Treppe empor bis zum Dachboden. Da stand der große Kleiderschrank, und in ihm fanden sie alles, was Annette benötigte, um für die Bergwanderung gut ausgestattet zu sein.

Annette wirkte ausgesprochen bedrückt. Immer wieder musterte Sophie die Cousine des Pfarrers, forschte in ihrem blassen Gesicht. »Sie machen sich große Sorgen wegen dem Marcel, gell?«, fragte die Pfarrhaushälterin.

»Das ist schwach ausgedrückt«, erwiderte Annette mit brüchiger Stimme. »Die Sorg’ um den Bub zerfrisst mich regelrecht. Er kann doch net ständig davonlaufen. Allerdings weiß ich langsam selber nimmer, was richtig oder falsch ist. Stellt er sich, verurteilen s’ ihn vielleicht für etwas, was er net getan hat. Für die Kripo in Wien besteht nämlich net der geringste Zweifel, dass er der Täter ist.«

»Er hat aber auch nix getan, um den Verdacht gegen sich zu entkräften«, gab Sophie zu bedenken.

Annette seufzte nur.

Sie packten alles zusammen, was sie an Ausrüstung ausgesucht hatten, und trugen es in der ersten Etage in das Gästezimmer, das Annette Hambacher seit ihrer Ankunft bewohnte.

»Wann marschieren S’ denn los?«, fragte Sophie.

»Nach dem Mittagessen, hat der Sebastian gemeint.«

Sophie nickte. »Das ist bis zum Abend zu schaffen. Aber ich hoff’, Sie haben eine gute Kondition. Der Pfarrer und der Herr Kaltenecker machen öfter mal so eine Tour. Bei Ihnen aber bin ich mir das net so sicher. Der Weg ist steil und beschwerlich.«

»Je mehr er mich fordert, umso weniger werd’ ich an Marcel und sein Problem denken müssen. Kennen Sie eigentlich diese Luisa Kerscher gut, Sophie? Sebastian hat sie als schönes, liebenswertes und herzensgutes Madel beschrieben.«

»Besser kann man die Luisa net beschreiben«, antwortete Sophie.

»Und was halten S’ vom Severin Kaltenecker?«, erkundigte sich Annette.

»Er ist ein gestandenes Mannsbild; gebildet, ehrlich und sehr hilfsbereit. Er hat sich damals sofort bereit erklärt, als ihr Cousin ihm vorschlug, bei der alten Hohenegger-Traudl einzuziehen, um sich ein bissel um sie zu kümmern. Es war ja auch beiden damit geholfen: er hat eine schöne Wohnung und sie sind beide nicht völlig allein.«

»Ist er über den Tod seiner Frau schon hinweg?«

»Ich denk’ schon. Vergessen hat er sie sicher net, aber er hat’s gewiss akzeptiert, dass sie nimmer ist. Der Severin ist Arzt, und als solcher geht er mit dem Tod anders um als unsereiner. Denk’ ich zumindest.« Jetzt lächelte Sophie. »Sie interessieren sich wohl sehr für den Severin, Annette?«

Jetzt errötete Annette. »Ich … Nun ja … Der Severin ist schließlich ein interessanter Mensch. Er ist sympathisch, und wenn er spricht, hört man ihm gern zu. Ich weiß net, wie ich’s beschreiben soll. Es ist wohl tatsächlich so, dass er mein Interesse geweckt hat.«

»Nur ihr Interesse?«, fragte Sophie lächelnd.

Annettes Verlegenheit steigerte sich ein wenig. »Er ist mir jedenfalls sehr sympathisch«, murmelte sie. »In meiner Situation sollt’ ich aber so etwas net mal in Erwägung ziehen, Sophie. Mein Bub ist dabei, sein Leben zu zerstören, und ich bin der Meinung, dass es unangebracht wär’, jetzt an mich zu denken.«

»Wie die Sach’ mit dem Marcel auch ausgeht, Annette«, sagte Sophie Tappert eindringlich, »für Sie wird das Leben weitergehen, und da Sie nur das eine haben, müssen Sie es sich so einrichten, dass Sie Glück und Zufriedenheit finden. Ihr Bub hat nix davon, wenn Sie sich seinetwegen aufgeben. Unabhängig davon bin ich der Meinung, dass sich seine Unschuld bald herausstellen wird und alles wieder gut ist.«

»Das wünsch’ ich mir so sehr, Sophie«, seufzte Annette. »Im Moment schaut’s allerdings net danach aus.«

»Sie dürfen nur net die Hoffnung verlieren«, sagte Sophie und schaute auf die Uhr. »Oh, ich muss zusehen, dass ich was zum Essen auf den Tisch bring’. Um zwölfe kommt der Max, der wär’ ziemlich enttäuscht, wenn er in die Röhre schauen müsst’. Bis später, Annette. Und denken S’ net nur an den Marcel, denken S’ auch ein bissel an sich selber.«

Als Sophie die Treppe hinunter stieg, sah sie Max Trenker aus dem Arbeitszimmer des Bergpfarrers kommen und das Haus verlassen. Schließlich war sie unten, ging zur Tür des Büros, klopfte und öffnete sie. »Ich hab’ Ihre Cousine eingekleidet«, berichtete sie. »Gibt’s was Neues vom Marcel, weil der Max schon da war?«

»Kommen S’ rein, Frau Tappert, und machen S’ die Tür zu«, forderte der Bergpfarrer seine Haushälterin auf. »Die Kripo in Wien hat einen anonymen Hinweis erhalten, dass Marcel sich in St. Johann versteckt hält. Jetzt sind zwei Ermittler aus Wien auf dem Weg hierher.«

»Das wird die Annette noch zusätzlich beunruhigen, Hochwürden«, sorgte sich Sophie.

»Mir raubt es selber die Ruh’«, gab Sebastian Trenker zu. »Der Annette werd’ ich’s erst sagen, wenn wir von der Klamm zurück sind.«

»Hoffentlich findet das Drama bald ein End’«, murmelte Sophie. »Wenn wenigstens der Marcel Vernunft annehmen tät.«

»Die Hoffnung stirbt zuletzt, Frau Tappert.«

*

Das Mittagessen nahmen Sebastian, Annette und Max gemeinsam ein. Die Stimmung war etwas gedrückt, und ein richtiges Gespräch wollte nicht aufkommen. Es bereitete sowohl Sebastian als auch Max großes Unbehagen, Annette zu verschweigen, dass zwei Kriminalbeamte aus Wien nach St. Johann unterwegs waren, um ihren Sohn hier aufzuspüren und zu ergreifen.

Sie vermieden es beide, das Gespräch auf Marcel zu lenken. So redeten sie über den Aufstieg zur Klamm und über die Wetteraussichten. Sogar die gewaltige Biogasanlage, die im Wachnertal errichtet werden sollte, was sich aber zerschlagen hatte, wurde thematisiert. Jedoch jedes Gespräch, das sie führten, wirkte jedoch etwas gezwungen und schlief schnell wieder ein.

Sophie hatte aus Kartoffeln, Hackfleisch und Käse einen würzigen Auflauf zubereitet, zu dem sie einen Salat servierte. Während Sebastian und Max mit gesundem Appetit aßen, stocherte Annette in der kleinen Portion, die sie auf dem Teller hatte, nur lustlos herum.

Sebastian und Max war natürlich klar, dass Annette die ausweglos erscheinende Situation ihres Sohnes auf den Magen schlug. Um so wichtiger, dass sie mal rauskam.

Nach dem Essen verabschiedete sich Max, wünschte Sebastian und Annette Hals- und Beinbruch auf ihrer Wanderung und einen schönen Nachmittag.

Nach einem Blick auf die Uhr sagte der Bergpfarrer: »Ziehen wir uns an, Annette. In einer Viertelstund’ erscheint der Severin. Dann sollten wir aufbruchsbereit sein, ich möcht’ nämlich, eh’s dunkel wird, wieder herunten sein.«

Als sie nach fünfzehn Minuten fix und fertig angezogen im Flur des Pfarrhauses von Sophie die gepackten Rucksäcke in Empfang nahmen, kam Severin Kaltenecker.

Er gab Annette die Hand, drückte sie fest und sagte lächelnd: »Hat’ mich echt gefreut, Frau Hambacher, als mich der Sebastian gefragt hat, ob­ ich mit hinaufsteigen mag, zur Klamm.«

»Und ich hab’ mich gefreut, als mir der Sebastian gesagt hat, dass Sie mit uns die Tour machen, Herr Doktor«, versetzte Annette lächelnd, indes Severin ihre Hand festhielt und sie auch gar nicht versuchte, sie ihm zu entziehen.

»Bitte, lassen S’ den Herrn Doktor weg, Frau Hambacher. Ich bin der Severin. Wenn S’ nix dagegen haben, nenn’ ich Sie auch beim Vornamen. Wir sind doch jetzt bald Bergkameraden.«

»Danke, sehr gern, Severin. Dass ich Annette heiß’, wissen S’ ja.«

Sebastian stand dabei, beobachtete die beiden und ein Lächeln spielte um seine Lippen. ›Sollte nicht nur Marcel sein Herz hier in St. Johann verloren haben?‹ Beim Gedanken an ihn huschte ein Schatten über das Gesicht des Pfarrers. ›Er hat sich mit seiner erneuten Flucht wieder ein Stück tiefer in den Schlamassel hineingeritten‹, dachte er. ›Und die Luisa hat er mit hineingezogen. Hoffentlich müssen s’ net beide Federn lassen.‹

Jetzt erst ließ Severin Annettes Hand los, warf Sebastian einen prüfenden Blick zu, und reichte ihm schließlich die Hand. »Sebastian. Alles klar?«

Sebastian nickte und dachte: ›Nix ist klar. Aber ich will Annette den Nachmittag net verderben.‹ Laut sagte er: »Servus, Severin. Ich hoff’, Sie sind gut in Form heut’. Den Weg zur Klamm hinauf kennen S’ ja. Man braucht schon ein bissel Kondition.«

»Meinetwegen brauchen S’ sich keine Gedanken machen, Sebastian«, grinste der pensionierte Arzt. »Und wenn ich mir die Annette so anschau’, ihretwegen auch net. Sie hat eine Figur wie eine Leichtathletin. Wer dermaßen kernig ausschaut, der hat auch Kraft und Kondition. Als Arzt hab’ ich einen Blick dafür.«

»Danke für das Kompliment«, lächelte Annette und ihre Augen leuchteten erfreut. »Dass ich eine Figur wie eine Sportlerin hab’, hat mir noch niemand gesagt. Na ja, völlig unsportlich bin ich ja net. Ich hoff’, dass ich meiner – hm, Sportlerinnenfigur – heut’ gerecht werd’.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Severin lächelnd.

»Schauen wir, dass wir weiterkommen«, drängte Sebastian und wunderte sich über Severin. So kannte er den sonst so sachlichen und nüchternen pensionierten Arzt gar nicht. ›Mir scheint‹, dachte er, ›das Interesse, das Annette dem Severin entgegenbringt, hat ein positives Echo erzeugt …‹

»Viel Spaß«, rief ihnen Sophie hinterher, als sie das Pfarrhaus verließen. »Und kommt gesund zurück.«

Sie fuhren mit Sebastians Auto und erreichten bald den großen Wanderparkplatz, ein ganzes Stück außerhalb von St. Johann. Sie holten ihre Rucksäcke aus dem Kofferraum und schwangen sie sich auf den Rücken.

Sie verloren keine Zeit mehr und marschierten los. Die Sonne stand hoch im Zenit und brannte heiß auf sie hernieder.

Am Rand des Parkplatzes kamen sie zu einer Stelle, an der sich die verschiedenen Wanderwege verzweigten. »Wir müssen diesen Weg nehmen«, sagte Sebastian und wies auf einen entsprechenden Wegweiser.

Zwischen frisch bestellten Äckern und blühenden Wiesen gingen sie auf einen kräftig ansteigenden Kiesweg. Schnell rückte der Wald näher. Vögel zwitscherten und unter den Schuhsohlen der drei Wanderer knirschte der Kies. Im Wald fanden sie endlich etwas Schatten. Hier und dort fand ein Lichtstrahl den Weg durch das dichte Geäst der alten Nadelbäume und malte gelbe Kringel auf den Waldboden.

Eine ganze Weile wanderten sie, ohne ein Wort zu sprechen, dahin. Schließlich stieg das Terrain an, der Weg wurde steiniger. Sie mussten aufpassen, wohin sie traten. Die Ruhe ringsherum ergriff schnell von den drei Menschen Besitz und vor allem Annette fand mit jedem Schritt, den sie zurücklegte, mehr und mehr zu ihrem inneren Gleichgewicht zurück. Ihre Sorgen um ihren Sohn rückten etwas in den Hintergrund und waren plötzlich nicht mehr so erdrückend.

Sebastian schien es zu spüren, er fragte: »Wie geht’s dir, Annette? Hilft dir die Wanderung ein bissel dabei, abzuschalten?«

»Ich fühl’ mich leicht und frei«, erwiderte Annette mit leisem Lächeln. »Dieser Ausflug war eine gute Idee, Sebastian.«

*

Annette spürte, wie sich bei ihr der Herzschlag beschleunigte. Waren ihre Schritte anfangs noch leicht und weit ausholend gewesen, wurden sie jetzt immer schwerfälliger, und ihr brach der Schweiß aus, obwohl es im Bergwald noch kühl war. Sie war jedoch zu stolz, um ihre beiden Begleiter zu bitten, mehr auf sie Rücksicht zu nehmen, und so kämpfte sie sich, Schritt für Schritt, den Berg hinauf.

Vor einem besonders steilen und steinigen Stück Weg hielt sie an und versuchte, zu Atem zu kommen.

»Geht’s wohl nimmer?«, fragte Severin und musterte sie sorgenvoll. Er bemerkte, wie sich ihre Brust unter keuchenden Atemzügen hob und senkte. Ohne Annettes Antwort abzuwarten fuhr er fort: »Lassen S’ sich ruhig Zeit. Uns rennt nix davon. Wir warten, bis Sie wieder bei Atem sind.«

Auch Sebastian hatte angehalten. »Du musst es mir sagen, Annette, wenn’s dir zu anstrengend wird. Du brauchst niemand etwas beweisen, und dir selber auch net.«

»Ein bissel durchatmen, wär’ net verkehrt«, stieß Annette zwischen keuchenden Atemzügen hervor.

Severin schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um und erspähte, etwa zehn Meter abseits vom Weg, einen umgestürzten Baum. »Setzen wir uns dort nieder«, schlug er vor. »Da können wir verschnaufen und auch einen Schluck trinken.« Fragend schaute er Sebastian an.

Der Bergpfarrer nickte. »Komm, Annette.«

Sie mussten, um zu dem Baum zu gelangen, zu ihrer Rechten eine etwa einen Meter hohe, steile Böschung mit losem Erdreich und porösem Gestein hinauf. Regen und Schmelzwasser hatten die dicken Wurzeln der Bäume, die dicht bei der Böschung standen, frei gespült.

Sebastian und Severin überwanden den Abbruch ohne Problem. Als er oben war, bückte sich Severin über den Rand der Böschung und streckte Annette die Hand hin. »Halten S’ sich fest, Annette, ich zieh’ Sie herauf.«

Sie ergriff seine Hand und Severin zog kraftvoll, Annette stemmte das linke Bein gegen die Böschung und stieß sich mit dem rechten ab. Der Schwung und Severins Unterstützung beförderten sie nach oben und sie stand schließlich unmittelbar vor Severin. Er ließ ihre Hand nicht los. »Vielen Dank«, murmelte Annette und schaute ihm in die Augen. Für einen kurzen Moment tauchten ihre Blicke ineinander.

»Keine Ursache«, erwiderte Severin und wies mit der linken Hand auf den Baumstamm. »Gehen wir und setzen wir uns, Annette. Eine kleine Pause wird uns allen gut tun.« Er warf Sebastian einen schnellen Blick zu, der Pfarrer aber hatte sich schon dem Baum zugewandt und in Bewegung gesetzt.

Severin ließ Annettes Hand los und sie folgten Sebastian.

In Severins Bewusstsein begann sich etwas zu regen, das er nicht so recht zu deuten wusste, das ihn aber nicht mehr losließ. Je länger er darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass er für Annette Hambacher Gefühle zu entwickeln begann, die er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr verspürt hatte. Beim Baum angelangt half er ihr galant, den Rucksack abzunehmen.

Annette lächelte müde und bedankte sich, dann ließ sie sich nieder. Sie packte ihre Getränkeflaschen aus und trank. Nach und nach regulierten sich Herzschlag und Atmung.

Severin saß neben ihr. Zwischen den Ästen war der Platz recht eng und so saßen sie ziemlich dicht beieinander, sodass sie gegenseitig die Wärme ihrer Körper spürten.

»Geht’s wieder?«, fragte Sebastian, nach einem Blick auf die Uhr. »Wenn wir bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder unten sein wollen, müssen wir langsam aufbrechen.«

»Ich glaub’, ich hab’ mich recht gut erholt«, antwortete Annette.

Sie erhoben sich. Severin schwang sich seinen Rucksack auf den Rücken und half dann Annette, sich den ihren umzuhängen, dann setzten ihren Weg fort.