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Was hat die Stimmung mit dem Essen zu tun? Ist man wirklich, was man isst? Gibt es bestimmte Lebensmittel, die Stimmungsschwankungen auslösen oder diese verhindern? Das Buch gibt Antworten, erläutert Zusammenhänge und zeigt aus der Sicht einer bipolar Betroffenen, was man selbst tun kann, um stimmungsstabil zu werden oder zu bleiben. Wissen Sie, woraus die Moleküle der Gefühle bestehen; warum die Beschaffenheit der Zellmembran für Bipolare wichtig ist; wie sich das Zusammenspiel aus Omega-3 und Vitamin-D auf das Verhalten auswirkt? Wenn nicht, dann sollten Sie dieses Buch lesen. Zur Stabilität gehört auch Wissen über die Wirkung der Bewegung, der biologischen Rhythmen und des Schlafes auf Stimmung und Antrieb. So entsteht für den Leser ein Bild aus vielen Bausteinen, die Menschen mit der Disposition für Stimmungsschwankungen helfen können, psychische Ausgeglichenheit und Balance wiederzufinden. Das Buch ist für Menschen geschrieben, die mehr für sich tun wollen, als nur passiv den Anweisungen und dem Rezeptblock des Arztes zu folgen; für Menschen, die selbst wieder die Zügel ihrer Behandlung und ihres Lebens in die Hand nehmen wollen und für Menschen, die bereit sind, sich dafür auf etwas Neues und Ungewohntes einzulassen. Deshalb ist das Buch vor allem eine Zusammenstellung, wie und was man als Betroffener selbst tun kann. Ein Buch, das Mut macht, sich mit seinen Ernährungsgewohnheiten auseinanderzusetzen und diese viel stärker in den Fokus zu rücken.
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Seitenzahl: 525
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Kümmere dich um deinen Körper, dann kümmert er sich um deine Psyche.
Hinweis: Alle Informationen und Hinweise, die dieses Buch enthält, wurden von der Autorin nach besten Wissen und Gewissen erarbeitet und mit größtmöglicher Sorgfalt überprüft. Unter Berücksichtigung des Produkthaftungsrechts weist die Autorin darauf hin, dass inhaltliche Fehler und Auslassungen nicht völlig auszuschließen sind. Für etwaige fehlerhafte Angaben kann die Autorin, der Verlag oder Verlagsmitarbeiter keinerlei Verpflichtung und Haftung übernehmen. Korrekturhinweise sind jederzeit willkommen und werden gern berücksichtigt.
Des Weiteren dient dieses Buch nur Informationszwecken und der Aufklärung über Zusammenhänge. Empfehlungen basieren auf eigenen Erfahrungen und sind weder eine medizinische noch therapeutische Beratung.
Die Autorin übernimmt keine Haftung oder Verantwortung für entstandene Schäden durch angewandte Methoden und haftet folglich auch nicht. Es wird dringend allen Lesern, die diese Methoden anwenden möchten, empfohlen, sich an einen Arzt oder Heilpraktiker des Vertrauens zu wenden.
Dieses Buch ist vor allem ein Erfahrungsbericht. Nachahmungen liegen in der Verantwortung des Lesers. Die Autorin kann dafür keine Haftung übernehmen.
Die Autorin erklärt, dass sie für namentlich genannte Produkte keinerlei Werbeprovisionen oder Ähnliches erhält und dass es sich bei den Vorschlägen lediglich um Beispiele handelt. Ebenso kann die Autorin keine Garantie für die Qualität der Produkte übernehmen.
Vorwort von Frau Prof Stephanie Krüger
Einige Worte der Autorin vorweg
MEIN WEG DURCH DIE PSYCHIATRIE
Im Labyrinth Psychiatrie
Psychopharmaka – es geht nicht ohne?.
Psychiatrie behandelt Symptome, aber keine Ursachen.
Meine Erwartungen an eine psychiatrische Behandlung.
Psychiatrische Märchen.
Mögliche Alternative: tagesklinische Behandlung.
Zum Experten seiner Erkrankung werden.
Manie und Depression heißen die Pole der bipolaren Störung.
Manie ist grenzenlose Energie.
Depression ist die Abwesenheit von Energie
Phasen der Auseinandersetzung
Warum hat mir das keiner gesagt?
Kooperation auf Augenhöhe
So sollte behandelt werden
(MEINE) BAUSTEINE DER STABILITÄT
Kann man Stabilität essen?
Es geht nicht ohne die „47
“
Macht falsches Essen schlechte Stimmung?
Von Makro- und Mikronährstoffen
Von Zellen mit schwarzen Punkten.
Messen statt raten – Es geht nicht ohne Blutmessung
Meine Ärzte-Odyssee
Laborwerte und Kosten
Mineralstoffprofil.
Laborwerte interpretieren.
Wie Referenzwerte entstehen
Moleküle der Gefühle oder Eiweiß und seine Bedeutung für die Stimmung und den Antrieb?
Eiweiß ist mehr als das Weiße vom Ei
Aminosäuren sind die Bausteine des Lebens.
Eiweißspiegel und Aminosäuren kann man messen.
Aminosäuren vorgestellt.
Proteine beeinflussen Stimmung und Antrieb.
Die Moleküle der Gefühle beeinflussen das Verhalten.
Neurotransmitter als Genschalter heben die Stimmung.
Eiweißreiche Lebensmittel
Fakten über Eiweiß
Eiweiß – Mythen, was ist dran?.
Für den Antrieb: Tyrosin
Für die Stimmung: Serotonin, das Glückhormon.
Gehirn-Öl Omega 3 oder haben die Fette für die Stimmung und den Antrieb Bedeutung?
Depression durch Omega-3-Mangel.
„Omega-3 bei bipolarer Störung“
steht sogar schon bei Wikipedia
Die Omega-3 und Vitamin-D Sensation.
Ohne Fett könnten wir nicht existieren.
Was ist Fett?.
Was ist das Besondere an den Omega-3-Fettsäuren?.
Was die Zellmembran mit der Stimmung zu tun hat
Welche Lebensmittel enthalten Omega-3?
Stimmungskiller Kohlenhydrate
Zucker triggert die Stimmungsachterbahn
Kohlenhydrate wirken unterschiedlich.
Warum wir Süßes lieben.
Das Dilemma des Überflusses.
Das Übermaß an Kohlenhydraten ist das Problem
Braucht das Gehirn Zucker?.
Energieproduktion geht auch in Ketose
Leere Kohlenhydrate in Fertigprodukten.
Welche Hürden muss man bei der Ernährungsumstellung
überwinden?
Nie wieder Kohlenhydrate?
Sonderthema: Brot
Was machen wir bloß falsch?
Vitamin-Alphabet gegen Depressionen
Psychopharmaka als Mikronährstoffräuber.
Vitamin bedeutet Leben.
Freie Radikale – Fluch und Segen
Vitamine sind Radikalfänger.
Abwechslungsreich und ausgewogen – was bedeutet das?
Der Mythos von der ausreichenden Vitaminversorgung
Vitamine sind sicher und preiswert
Wie viel darf‘s denn sein?.
Die Familie der Nervenvitamine – die B-Vitamine
Die Bedeutung der einzelnen B-Vitamine aus der Sicht der Stimmung und des Antriebs
Homocystein – ein Marker für die Vitamin B-Versorgung
Beispiele für Lebensmittel, die B-Vitamine enthalten
Das Sonnenhormon hilft gegen Depressionen
Vitamin D kann noch viel mehr
Vitamin mit Hormonwirkung
Das Sonnenvitamin braucht ausreichend Sonne
Vitamin D-Mangel und Depression
Medikamente sind Vitamin D – Räuber
Vitamin D Spiegel messen lassen
Vitamin-D-haltige Lebensmittel
Substitution
Magnesium – das Salz der inneren Ruhe
Magnesium – dreihundertfach nötig
Magnesium und Vitamin D
Magnesium-Blutwerte – füllen Sie Ihre Depots wieder auf
Sonderfall Migräne
Kleine Stoffe mit großer Wirkung
Enzyme ermöglichen geordneten Stoffwechsel
Ohne Coenzym Q
10
keine Energie
Ohne Zink keine gute Stimmung.
Selen – Der Stimmungsaufheller
Das zweite Gehirn redet mit.
Entzündungen und Depression.
Was GABA und Glutamin mit der Stimmung zu tun haben.
Magensäure und Stimmung.
Was kann man für seine Darmflora tun?.
Streitfall Nahrungsergänzungsmittel
Johann Peter Hebel (1811): Der Zahnarzt
Einige Vorschläge für NEM.
Haben die Körperhaltung und Bewegung Einfluss auf die Stimmung und den Antrieb?
Embodiment – Körperzustände beeinflussen die Psyche
Jede Aufwärtsbewegung macht glücklich
Fast jeder Bipolare hat weitere Krankheiten
Risiko durch Bewegung reduzieren.
Wie biologische Rhythmen, Licht und Schlaf unsere Stimmung beeinflussen
Unsere biologischen Rhythmen
Gute und schlechte Zeiten für Arbeit und Freizeit
Ist es wirklich egal, wann man etwas macht?
Unsere inneren Uhren
Schlaf ist keine vertane Zeit
Warum brauchen wir Schlaf?
Zu wenig Licht am Tag stört unseren Schlaf
Zu viel Licht in der Nacht stört unseren Schlaf
Essen zur falschen Zeit stört unseren Schlaf.
Das Schlafhormon Melatonin.
Melatonin und die Stimmung.
Melatonin zur Schlafverbesserung.
GABA bringt Entspannung und Müdigkeit.
Prioritätenliste aller Bausteine oder Wie soll ich das bloß alles umsetzen?
Szenario 1: Sie sind relativ stabil.
Szenario 2: Sie sind zurzeit manisch.
Szenario 3: Sie sind zurzeit depressiv.
Anstelle eines Schlusswortes
Johann Peter Hebel: Der geheilte Patient (1810)
Danksagung
Literaturverzeichnis
Bildquellenverzeichnis.
Das alte Sprichwort – Man ist, was man isst – enthält viel Wahrheit. Wir alle wissen, dass Schlaf, Bewegung und Stress wichtige Einflussgrößen für die psychische Stabilität darstellen, aber dass die Zusammensetzung unserer Nahrung ebenfalls eine große Rolle dabei spielt, wie wir uns seelisch fühlen, wurde lange vernachlässigt. Dabei weiß man doch, dass die richtige Ernährung Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck oder Herzinfarkte verhindern kann. Warum also nicht auch psychische Erkrankungen? Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an seriösen wissenschaftlichen Studien, die den Einfluss der Nahrungsbestandteile auf die psychische Gesundheit genau untersucht haben. Sie konnten zeigen, dass Nahrungsbestandteile, bestimmte Vitamine, Spurenelemente und Enzyme, einen positiven Effekt auf die seelische Stabilität haben und dass umgekehrt, der übermäßige Konsum zum Beispiel von sogenannten einfachen Kohlenhydraten, aber auch bestimmten ungesunden Fetten das seelische Gleichgewicht stören können.
Man muss deswegen nicht gleich zum Ernährungsexperten werden und man muss auch nicht auf alles verzichten, was einem schmeckt, aber laut Wissenschaft nicht gut für die Psyche ist. Was man aber versuchen sollte ist, seine Ernährungsgewohnheiten zu hinterfragen.
Das bedeutet eine ganze Menge Selbstverantwortung. Anders als bei Medikamenten, die einem der Arzt/die Ärztin verordnet, entscheidet man bei der Nahrungsaufnahme selbst, was man zu sich nimmt. Aktiv an seiner eigenen Stabilität arbeiten – geht das? Oder ist das zu anstrengend?
Der vorliegende Ratgeber soll dabei helfen, den wichtigen Baustein ‚Ernährung‘ in die Therapie der bipolaren Erkrankung zu integrieren. Damit wird einer der grundlegenden, aber auch am schwierigsten umzusetzenden Aspekte der ganzheitlichen Therapie seelischer Erkrankungen angesprochen. Es lohnt sich aber, sich damit zu befassen, denn: nur in einem gesunden Körper kann auch ein gesunder Geist wohnen.
Prof. Dr. Stephanie Krüger
Chefärztin
Zentrum für Seelische Frauengesundheit
Gendermedizin (DGGM)
Psychoonkologie (DKG)
Wenn man – so wie ich – eine bipolare Störung hat, fühlt man sich oft der Krankheit hilflos ausgeliefert. Die Stimmungsschwankungen kommen und gehen, wie sie wollen, und scheinbar nichts kann sie aufhalten. Man fühlt sich durch die eigene Krankheit fremdbestimmt. Der zuständige Arzt aus der Fachrichtung der Psychiatrie hat darauf oft nur ein Behandlungsangebot: Psychopharmaka. Wenn man Glück hat, bekommt man auch Psychotherapie verordnet. Und wenn man viel Glück hat, findet man eine Klinik, in der auch Psychoedukation und weitere Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden. Dann kann man lernen, mit der Störung zu leben und sie zu kontrollieren. Das gelingt mal besser und mal weniger gut.
Eine Heilung ist aber nach gängiger Lehrmeinung so gut wie ausgeschlossen, da es sich um eine chronische Erkrankung handelt. Das bedeutet für viele Betroffene meist: lebenslange Medikamenteneinnahme, Frühverrentung und ein von der Krankheit dominiertes Leben!
Dieses Buch ist entstanden, weil ich (m)einen Weg aus der bipolaren Störung gefunden habe. Ich bin symptomfrei und brauche keine Medikamente mehr.
Ich möchte Ihnen davon berichten und meinen Weg beschreiben, um Ihnen Mut zu machen, ebenfalls selbst tätig zu werden.
Ich habe mich nicht mehr auf nur auf die Empfehlungen und Verordnungen der Ärzte und Therapeuten verlassen, sondern habe mich getraut, mich selbstbestimmt mit einem Teil meines Lebens auseinanderzusetzen, der in den Therapien nicht angesprochen wurde: meiner Ernährung Ich habe mich getraut, meine Ernährung umzustellen, nachdem ich davon gelesen hatte, dass diese Einfluss auf die Stimmung und den Antrieb haben soll. Also habe ich auf Zucker, Brot, Kartoffeln, Reis und Nudeln verzichtet, angefangen selbst zu kochen und zu backen, Fertiggerichte aus meiner Ernährung gestrichen, Defizite in meiner Körperchemie beseitigt und angefangen mich regelmäßig zu bewegen.
Davon handelt dieses Buch.
Dieses Buch ist auch deshalb entstanden, weil mich meine Freunde aus der Selbsthilfegruppe darum gebeten haben. Sie sahen sich nicht in der Lage, die vielen Bücher, die ich zu diesem Thema durchgearbeitet habe, selbst zu lesen und wünschten sich eine Zusammenfassung und Zusammenstellung meiner Erkenntnisse aus der Betroffenenperspektive. Deshalb enthält insbesondere der zweite Teil viele Zitate aus diversen Büchern.
Es ist mir ein großes Anliegen, dass andere Betroffene davon erfahren, dass es neben der etablierten Leitlinien-Behandlung Möglichkeiten gibt, durch Änderungen der Lebensführung und des Essverhaltens mehr Stabilität zu erlangen. Unter Umständen können dadurch Psychopharmaka überflüssig werden, aber das muss nicht bei jedem so sein. Jeder ist individuell, jeder Betroffene hat seine ganz eigene Ausprägung der bipolaren Störung. Es gibt nicht die eine Lösung für alle, jeder Betroffene muss seinen eignen Weg finden. Ich bin aber überzeugt, dass diese Maßnahmen jedem eine Verbesserung der Lebensqualität bringen, insbesondere auch dann, wenn man Psychopharmaka nehmen muss.
Die Suche danach lohnt: das Ziel ist Stabilität und eine höhere Lebensqualität.
Eines ist dieses Buch aber nicht: Das Buch ist keine „Ärzteschelte“, kein „Anti-Psychiatrie“-Buch und auch kein „Anti-Psychopharmaka“-Buch, auch wenn ich mich an einigen Stellen kritisch mit dem System Psychiatrie auseinander setze. Ich habe überwiegend engagierte Ärzte und Therapeuten kennengelernt, die sich ehrlich und intensiv bemüht haben, mir zu helfen.
Hätte ich Herrn Professor Peter Bräunig nicht getroffen, wer weiß, ob ich dann nicht schon längst aus Verzweiflung meinem Leben ein Ende bereitet hätte.
Hätte ich Frau Professor Stephanie Krüger nicht getroffen, wer weiß, ob ich dann jemals so stabil geworden wäre und nicht bis heute Medikamente nehmen müsste.
Hätte ich Frau Dr. Katja Salkow nicht getroffen, wer weiß, ob ich dann jemals gelernt hätte, mit der Krankheit umzugehen und mich getraut hätte, meinen ganz eigenen Weg zu suchen.
Nach meiner Erfahrung wird von der etablierten Psychiatrie, wie von der gesamten Schulmedizin insgesamt, zu oft der Eindruck erweckt, dass gesundheitliche Probleme vor allem mit Medikamenten behandelbar seien. Das ist ein Teil der Behandlung, auch bei mir ging es eine Zeit lang nicht ohne, aber eben nicht alles. Zu wenig klärt der Arzt oder Therapeut in der Regel über die Möglichkeiten auf, die der Betroffene außerdem noch hat und zu wenig wird er darin angeleitet, die eigene Verantwortung für sein Tun und Lassen (wieder) wahrzunehmen. Das sagt einem aber niemand. Diese Erfahrung macht, glaube ich, jeder Betroffene irgendwann selbst.
Deshalb ist das Buch vor allem eine Zusammenstellung, wie und was man als Betroffener selbst tun kann, unabhängig davon, ob man von einem Arzt oder Therapeuten begleitet und unterstützt wird, ob man gerade in einer ärztlichen oder therapeutischen Behandlung ist oder ob man Tabletten nimmt, nehmen soll oder nicht nehmen will.
Das Buch ist für Menschen geschrieben, die mehr für sich tun wollen, als nur passiv den Anweisungen und dem Rezeptblock des Arztes zu folgen; für Menschen, die selbst wieder die Zügel ihrer Behandlung und ihres Lebens in die Hand nehmen wollen und für Menschen, die bereit sind, sich dafür auf etwas Neues und Ungewohntes einzulassen.
Bitte beachten: Das Buch ist keine „Anleitung zur Wunderheilung“. Diese habe ich bisher auch nicht gefunden. Die Hinweise und Ratschläge in diesem Buch habe ich vielen unterschiedlichen Büchern entnommen. Ich habe mich bemüht, die Quellen so anzugeben, dass sie für den Leser ohne großen Aufwand auffindbar sind.
Auch bin ich weder Arzt noch Heilpraktiker – ich bin Betroffene und inzwischen wohl auch „Expertin aus Erfahrung“, wie man das jetzt nennt, und lese einfach gern. Was ich beschreibe, habe ich selbst ausprobiert und kann deshalb sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe und worauf man bei der Umsetzung achten sollte.
Die Anwendung der Ratschläge geschieht auf eigene Verantwortung
Suchen Sie sich einen aufgeschlossenen Arzt oder Heilpraktiker, der bereit ist, Sie dabei zu unterstützen. Solche Professionellen nennen sich meist Molekularmediziner oder Orthomolekularmediziner, ggf. findet man auch die Begriffe „Mitochondrien-Therapie“.
In diesem Sinne verstehe ich mich als Lotse, als Wegweiser und vielleicht auch als Türöffner. Den Weg kann ich Ihnen weisen, gehen können Sie ihn nur selbst.
Viele neue und hilfreiche Erkenntnisse wünscht Annett Oehlschläger
Wustermark, im Herbst 2017
Als ich die Diagnose „bipolare Störung“ bekam, konnte ich anfangs überhaupt nichts damit anfangen. Den Begriff hatte ich noch nie gehört. Das sollte die Ursache für meine Probleme sein? Ich sollte eine psychische Erkrankung haben? Ich doch nicht! Erst allmählich erfasste ich das Ausmaß dieser Diagnose. Da befand ich mich aber schon auf der geschlossenen psychiatrischen Station der Charité.
Seitdem sind zehn Jahre vergangen, in sieben davon war ich fast nur mit der Krankheit beschäftigt. Rückblickend möchte ich Ihnen im ersten Teil des Buches berichten, wie mein Weg durch die Psychiatrie verlief und im zweiten Teil, wie es mir gelang, wieder aus diesem Labyrinth hinaus zu finden.
Meine bipolare Störung wurde in meinem 47. Lebensjahr diagnostiziert. Anhand einer umfangreichen Diagnostik, einer sogenannte Life-Chart-Analyse, habe ich in der Rückschau herausgefunden, dass ich eine erste ausgeprägte depressive Phase bereits im 22. Lebensjahr nach einer Ehescheidung hatte. Ich kannte zwar Stimmungsschwankungen seit dem Ende der Pubertät, die sich bei mir meist in den manischen Bereich auslenkten, aber ich bewertete diese immer als eine besondere Ausprägung meiner Persönlichkeit.
Ich war eben gelegentlich besonders kreativ und leistungsfähig, hatte teils skurrile Ideen und Lösungen, musste immer alles perfekt machen, war in Vielem sehr schnell und verstand nicht, warum andere meinem Tempo nicht folgen konnten. Immer mal wieder wurde ich als „Workaholic“ bezeichnet, ich fand daran nichts Schlechtes. Auch parallel eine Berufsausbildung mit Abitur zur Wirtschaftskauffrau und am Wochenende ein Studium an der Kulturakademie zur Tanzpädagogin zu machen und dann auch noch ein Kind zu bekommen, schien mir nicht ungewöhnlich. Das setzte sich im Studium fort. Im ersten Studienjahr war ich Beststudentin und erhielt dafür ein Stipendium, im zweiten Studienjahr bekam ich ein zweites Kind. Nach einem Jahr Unterbrechung konnte ich das Studium trotzdem planmäßig abschließen.
Bis zur Krankheits-Diagnose hatte ich mehrere akute Phasen, die nicht erkannt wurden und unbehandelt blieben. Eine Manie, die ich während eines Kuraufenthaltes entwickelte, wurde trotz täglicher Kontakte zu einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie nicht als solche erkannt. Es ist eben auch für Ärzte nicht einfach, die bipolare Störung zu diagnostizieren.
Andererseits erlebte ich auch, wie schnell Diagnosen geändert werden können. Ein Chefarzt verwarf nach einem nur 50-minütigen Gespräch die bisherige, von anderen Kliniken gestellte Diagnose „bipolar“, weil er der Meinung war, ich hätte „nur“ eine histrionische und anankastische Persönlichkeitsstörung. Da man eine solche nicht mit Tabletten behandeln könne, wurde alles sofort abgesetzt, was mir letztendlich ein Rapid Cycling, fünf Klinikaufenthalte innerhalb eines halben Jahres und immer wieder suizidale Phasen bescherte.
Zwischen dem 47. Lebensjahr und dem 54. Lebensjahr war ich insgesamt vierundzwanzig Mal in sechs verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Das waren 571 Krankenhaustage. Wer schon mal auf einer psychiatrischen Station war, wird wissen, dass ein Tag in der Psychiatrie manchmal die Länge von drei Tagen draußen haben kann.
Im ersten Behandlungsjahr versuchte ich zweimal mir das Leben zu nehmen. Ich war so verzweifelt, dass ich zu der Überzeugung gelangte, dass es für alle das Beste sei, wenn ich nicht mehr da wäre. Es war vor allem meine Tochter, die mir diesen Druck nahm. Sie sagte einmal zu mir: „Mutti, wir lieben dich so, wie du bist.“ Suizidal zu sein gilt als ein psychiatrischer Notfall und führt zur Aufnahme auf geschlossene Stationen. Dort erlebte ich, was es bedeutet, wenn andere über einen bestimmen. Das waren einschneidende Erfahrungen, die ich lieber nicht gemacht hätte. Auf einer solchen geschlossenen Station wurde ich sogar fixiert, also mit Haltegurten am Bett festgeschnallt. Diese Erlebnisse haben mich geprägt und mein Bestreben nach Autonomie und Selbstbestimmung befördert. Mein Wunsch, möglichst schnell die Kontrolle über mein Leben zurückzuerlangen, war ein starkes Motiv bei der Suche nach einer guten Klinik.
Innerhalb der ersten zwei Krankheitsjahre durchlief ich fünf Kliniken, immer auf der Suche nach einer wirksamen Behandlung. Erst in der sechsten Klinik, dem Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin-Reinickendorf, fand ich ein Behandlungsangebot, das auf mich passte. Aber auch dort brauchte ich weitere zwölf Aufenthalte, um mich zu stabilisieren.
In diesen sieben Jahren wurde ich mit folgenden Psychopharmaka behandelt: Valproat, Lithium, Carbamazepin, Oxcarbazepin, Quetiapin, Levetiracetam, Asenapin, Sertralin, Pregabalin, Venlafaxin, Bupropion, Lorazepam, Diazepam – meist zwei oder drei verschiedene Medikamente zur gleichen Zeit.
Unter Betroffenen wird das Thema Medikation immer heiß diskutiert. Soll man oder soll man nicht, wenn ja, wie viel, von welchem? Anfangs haben mich diese teils kontrovers, teils hitzig geführten Diskussionen verwundert, weil ich nicht verstand, warum die anderen ihre Medikamente nicht einfach wie verordnet einnahmen. Ich kannte Psychopharmaka noch nicht und hatte bei Menschen mit anderen Erkrankungen, die z. B. Blutdruck- oder Diabetesmittel nehmen müssen, solche Diskussionen noch nicht erlebt.
Deshalb hatte ich auch keine Vorbehalte, Psychopharmaka einzunehmen. Es dauerte aber nicht lange, bis auch ich merkte, was diese Psychopharmaka mit mir machten: Sie veränderten mein bewusstes Sein, bremsten mich stark aus, erzeugten Nebel im Kopf und eine ständige Müdigkeit, ließen mich traumlos schlafen und nahmen mir jegliche Lust, irgendetwas zu tun. Langfristig kam es außerdem zu einer erheblichen Gewichtszunahme von ca. 15 kg.
Auf Nachfrage wurde mir von den Pflegekräften erklärt, dass diese Erscheinungen gar nicht von den Medikamenten kämen, sondern Zeichen der Erkrankung selbst seien. Die Ärzte erklärten mir das anders: diese unangenehmen Nebenwirkungen seien leider nicht vermeidbar, denn um die Krankheit zu behandeln und zukünftigen Phasen vorzubeugen, gäbe es keine andere Alternative. Ich vertraute diesen Argumenten und so habe ich die Psychopharmaka sieben Jahre lang regelmäßig genommen.
Während meiner vielen Klinikaufenthalte stand die schnelle Symptomminderung im Vordergrund. Das bedeutete immer: Psychopharmaka. Auf meine Frage nach den Ursachen meiner bipolaren Störung erhielt ich von den Ärzten meist ausweichende oder gar keine Antworten. Dafür sei jetzt keine Zeit, erst einmal müsse ich wieder stabil werden.
Sicherlich ist die Symptomminderung nötig, damit eine Therapie überhaupt erst möglich ist. Leider habe ich zu oft erlebt, dass mit der Gabe von Tabletten die Therapie allerdings auch schon wieder zu Ende war, dass es außer Medikamenten und etwas Ergotherapie keine weiteren Behandlungsangebote gab. Das half mir langfristig nicht.
Eine Ursachenforschung fand nur dahingehend statt, dass andere Erkrankungen als Verursacher für meine psychischen Probleme ausgeschlossen werden sollten. Als diese Untersuchungen ergebnislos blieben, stand fest, es kann nur die Psyche sein. Dass auf dem Gebiet der Körperchemie ein Ungleichgewicht und sogar Mängel bestehen könnten, wurde nie in Erwägung gezogen.
Es ist richtig, dass eine psychische Erkrankung multikausale Ursachen hat und eng mit der Biografie des Patienten verknüpft ist. Die Seele lebt aber nicht im luftleeren Raum, sondern in einem Körper, der ernährt werden muss und dieser in einer ganz bestimmten Umwelt. Ich hatte den Eindruck, dass das aber niemanden interessierte, dass sich niemand aus der Psychiatrie dafür zuständig fühlte.
Je länger ich mich mit meinen Phasen herumschlug und versuchte Methoden und Strategien zu erlernen, um diese Phasen möglichst zu verhindern, umso mehr wuchs bei mir die Erkenntnis, dass die angebotene Hilfe des psychiatrischen Systems nur ein Anstoß für mich sein kann, an mir selbst zu arbeiten.
In einer der ersten Kliniken wurde mir dringend geraten, ich möge doch die Hilfen endlich annehmen und mich darauf einlassen. Ich konnte das gar nicht verstehen. Ich war doch bereit, mir helfen zu lassen. Ich konnte aber nicht erkennen, worin diese angekündigte Hilfe bestand. Ich fühlte mich körperlich gesund und hatte den Tag über so gut wie nichts zu tun. Auf der Station gab es keine Psychologen und das tägliche Arztgespräch dauerte nur wenige Minuten. Ich langweilte mich. Ich sollte „zur Ruhe kommen“, aber niemand sagte mir, wie ich das machen sollte. Es brodelte in mir, mein innerer Vulkan stand kurz vor dem Ausbruch und so mussten so einige Teller und eine Blumenvase daran glauben. Bloß auf dem Bett liegen war keine Option. Ich verstand diese Aufforderung damals eher als Disziplinierungsversuch,
ich sollte mich an den Klinikalltag anpassen, mich einordnen und mich „anständig“ verhalten und nicht stören. Ich hatte das Gefühl, dass niemand meine Wutausbrüche und exzentrischen Verhaltensweisen verstehen, geschweige denn behandeln konnte und fühle mich wie ein Exot zwischen den anderen Patienten. Es kam mir vor, als ob keiner – weder die Ärzte noch die Schwestern und auch nicht die Mitpatienten – verstand, was in mir vorging.
Ich erwartete, dass ein Arzt mir sagt, was mit mir los ist, warum ich mich so verhalte, was man genau tun muss, damit das aufhört. Diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Das war frustrierend, sehr frustrierend. Es hat sehr lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass das psychiatrische System dazu gar nicht die Macht hat.
Bis zu dieser Erkenntnis hatte ich nämlich den Begriff „ärztliche Hilfe“ eher so verstanden, dass mir jemand etwas abnimmt. Bei einer somatischen Krankheit wissen die Ärzte in der Regel ziemlich genau, wie diese zu behandeln ist.
Das hatte ich doch von Kindheit an so erlebt. Es tut etwas weh oder man fühlt sich schlecht. Dann geht man zum Arzt und der verschreibt ein Medikament und sagt, was man tun muss, und kurze Zeit später geht es einem wieder gut. Ich, als Patient, begebe mich vertrauensvoll in die Hände des Arztes und der wird schon machen.
Bei einer psychischen Erkrankung scheint mir das nach meinen Erfahrungen nicht so einfach zu sein. Der Behandlungserfolg ist nicht vorhersehbar. Die angebotenen Hilfen bestehen in erster Linie in der Symptomminderung (fast ausschließlich durch eine Medikation), und dann, wenn man Glück hat und eine solche angeboten bekommt – im Rahmen der Psychotherapie – im Aufzeigen und Erlernen von Möglichkeiten und Strategien mit der Erkrankung zu leben.
Meine Erwartungen auf eine vollständige Heilung, also eine Wiederherstellung wie vor der Erkrankung, wurden sehr schnell zunichte gemacht. Von Ärzten wurde mir gesagt und auch in Büchern las ich, dass die bipolare Störung eine chronische Erkrankung und deshalb nicht heilbar sei. Im besten Falle könne man symptomfrei werden, das wahrscheinlich aber auch nur phasenweise. Man müsse immer mit einer neuen Phase rechnen.
Wahrscheinlich als Trost gedacht, wurden mir Erklärungen angeboten, die ich aus heutiger Sicht nur als „Märchen“ bezeichnen kann. Meine Erkrankung, die bipolare Störung, wurde zum Beispiel mit Diabetes verglichen. Das sei auch eine chronische Erkrankung und ebenfalls nicht heilbar. Diabetiker müssten auch lebenslang ihr Medikament nehmen, um ihren Blutzuckerspiegel stabil zu halten, so ähnlich sei das bei der bipolaren Störung auch.
Tatsache ist, wenn ein Diabetiker sein Insulin nicht nimmt, kann er schnell in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten. Er muss Insulin zuführen, wenn sein Körper es nicht mehr oder nicht mehr ausreichend produziert. Der direkte Vergleich von Diabetes mit der bipolaren Störung erweckte bei mir den Eindruck, als ob auch hier die Medikamente zwingend erforderlich seien, es ohne Medikamente nicht ginge, weil ebenfalls etwas fehle oder nicht mehr ausreichend produziert werde.
So solle ich doch auch einsichtig sein und nicht damit hadern. Leider stimmt der Vergleich an einer entscheidenden Stelle nicht: Bipolare können auch ohne Medikamente leben, ein Diabetiker aber in der Regel nicht. (Kürzlich habe ich allerdings gelesen, dass Diabetes II durch das Weglassen von Kohlenhydraten rückgängig gemacht werden kann.)
Ich habe dieses Märchen aber trotzdem lange Zeit geglaubt, es schien mir plausibel. Auch hatte ich den Eindruck, dass die Krankenschwester, die so einfühlend mit mir sprach, selbst von der Richtigkeit überzeugt war. Aus heutiger Sicht scheint es mir, dass diese Erklärung vor allem dazu diente, mich „complient“ zu machen, also krankheitseinsichtig, damit ich bereitwillig die verordneten Psychopharmaka einnahm.
Ist es nicht seltsam, dass solche „Geschichten“ nötig sind, um den psychiatrischen Patienten davon zu überzeugen, seine Medikamente regelmäßig zu nehmen? Vielleicht liegt es ja daran, dass deren Wirkung eben nicht messbar eintritt, wie zum Beispiel bei einem Blutdruckmittel.
Das nächste Märchen, das immer wieder erzählt wird, ist das vom Serotonin„Mangel” im Gehirn. Ich las davon in einer kleine Patientenbroschüre eines Pharmaherstellers, die mir eine Schwester auf Station in die Hand drückte, als ich um Informationen zur bipolaren Störung bat. Dort wurde erklärt, dass die Depression von einem Mangel an Serotonin käme und dass das Medikament diesen Mangel ausgleiche. Aha, dachte ich, wenn das so ist, dann lässt sich ein solcher Mangel sicherlich irgendwie feststellen und beheben.
Bei der nächsten Gelegenheit bat ich einen Oberarzt eine solche Messung des Serotonins in meinem Gehirn vorzunehmen, damit ich erführe, wie viel ich denn ausgleichen müsse. Er lehnte das mit der Begründung ab, man könne das Serotonin nicht messen. Ich war verblüfft und traute mich nicht mehr weiter zu fragen, obwohl ich nicht verstand, wie der Arzt sonst festlegen könne, wie viel ich von diesem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer brauche.
Heute bin ich mir sicher, dass das eine Ausrede war, denn man kann Serotonin sehr wohl messen. Die Frage ist aber, ob eine solche Messung Sinn macht, denn die konkrete Menge an Serotonin sagt nichts über die Ursache der Erkrankung oder deren Behandlung aus. Im Gehirn wechselwirken unzählige Botenstoffe, so ähnlich wie in einem großen Orchester. Jeder Stoff ist wichtig und hat seine ganz konkrete Aufgabe, aber eben nur im Zusammenspiel mit den anderen Botenstoffen. Die Aussage des Arztes hatte also durchaus ihre Berechtigung, seine schroffe Antwort kam bei mir aber ganz anders an. Diese Botschaft aus der Patientenbroschüre des Pharmaherstellers war schlicht eine sehr stark vereinfachende Werbebotschaft.
Peter und Sabine Ansari, die Autoren des Buches „Unglück auf Rezept“ setzen sich detailliert mit der Serotonin-Lüge auseinander. Aus meiner Sicht wird schlüssig bewiesen, dass bis heute niemand beweisen konnte, dass das Serotonin bzw. ein Serotoninmangel die Ursache für Depressionen ist. Messungen hätten ergeben, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Menge an diesem Botenstoff und der Wirkung auf die Stimmung gäbe.
Prof. Müller-Oerlinghausen, Psychiater und viele Jahre Vorsitzender der Arzneimittelkommission, hat in seinem Vortrag auf der DGBS-Tagung 2016 in Chemnitz darauf hingewiesen, dass (Zitat) „mit der Vermarktung der Antidepressiva … den Ärzten und der Öffentlichkeit das Märchen von der Serotonin-Mangel Hypothese ins Gehirn gewaschen“ wurde.
Mit dieser Behauptung wurden die neueren Antidepressiva beworben, die aber im Vergleich mit Placebo schwach in der Wirkung seien. Das Märchen vom Serotoninmangel sei eine Erfindung der Pharmaindustrie zur besseren Vermarktung ihrer Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Die Wirkung dieser Mittel seien zu 50,97 % auf den Placeboeffekt zurückzuführen, zu 23,87 % auf eine Spontanremission und nur zu 25,16 % auf den Wirkstoff selbst, so Prof. Müller-Oerlinghausen in seinem Vortrag.
Ich will damit auch nicht behaupten, dass Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer keine Wirkung hätten. Ich kenne eine ganze Reihe von Betroffenen, deren damit geholfen werden konnte bzw. die glaubten, dass die Besserung ihrer Symptome auf diese Medikamente zurückzuführen sei. Es ist auch richtig, dass die Verträglichkeit sich verbessert hat und die geringeren Nebenwirkungen zu einer besseren „Therapietreue“ der Patienten führten.
Was mich ärgert, ist die mit solchen Behauptungen geschürte Erwartungshaltung, man bräuchte nur eine Pille einwerfen und schon sei das Problem gelöst. Diese „Wunderpillengläubigkeit“ führt nämlich dazu, dass sich die Patienten auf diese versprochene Wirkung verlassen und einerseits nichts weiter mehr tun oder für notwendig halten. Andererseits gibt es eben auch eine ganze Reihe von Betroffenen, bei denen diese Antidepressiva nicht die versprochene Wirkung haben. Meist wird dann ein weiteres Mittel dazu gegeben oder ein drittes und ein viertes. Andere Therapiemöglichkeiten stehen überhaupt nicht im Fokus.
Und auch Angehörige glauben oft an die Allmacht der Psychopharmaka und verstärken – im guten Glauben, den Betroffenen zu unterstützen – die ärztliche Verordnung. Wenn es dann trotzdem zu Phasen kommt, wird oft als erstes unterstellt, der Patient habe seine Tabletten nicht oder nicht regelmäßig genommen, hätte also durch sein Verhalten die neue Krise provoziert. Unter anderem auch deshalb wird bei der Klinikeinweisung der Medikamentenspiegel im Blut gemessen. Als zweites wird dann oft die Wirksamkeit des bisherigen Präparates angezweifelt und ein neues ausprobiert. So bin ich u. a. zu meiner langen Liste von Medikamenten gekommen. Das Aus- und Einschleichen dauert meist Tage oder Wochen und verlangt viel Geduld. Schnell gerät man als Betroffener in die Situation sich verteidigen und rechtfertigen zu müssen, so, als sei man selbst schuld an der Krise. Ich weiß nicht, ob mit somatisch Kranken auch so umgegangen wird.
Wenn ich als Betroffene solche Aussagen eines Professors und Vorsitzenden der Arzneimittelkommission höre, dann frage ich mich, wozu ich solche Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer überhaupt nehmen soll, wenn ein Placebo, ein Schein-Medikament, also eine wirkstoffleere weiße Pille, die Mehl oder Zucker enthält, genauso gut hilft.
Über den Placebo-Effekt, der ja tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesen ist, gibt es übrigens ein interessantes Buch von Joe Dispenza: „Du bist das Placebo“. Es ist erstaunlich, wie Dinge, an die wir glauben, auf uns rückwirken. Dr. Eckart von Hirschhausen schreibt in seinem Buch „Wunder wirken Wunder“ ausführlich über den Placebo-Effekt. Man hat durch Studien u. a. herausgefunden, dass Placebos sogar dann wirken, wenn man weiß, dass es welche sind, und dass nur etwa 20 % der konventionellen Medizin nachgewiesener Maßen wirksamer als Placebos sind. (Vgl. Hirschhausen: Wunder wirken Wunder, S. 54)
Außerdem hätten Placebos neben der Tatsache, dass sie garantiert viel billiger sind, sogar den Vorteil, keinerlei Nebenwirkungen zu machen.
Besonders für die Betroffenen, die solche Antidepressiva nehmen, waren diese Informationen auf der DGBS-Tagung in Chemnitz 2016 sehr ernüchternd und haben zu Empörung unter den Betroffenen geführt. Man fühlte sich benutzt und hinters Licht geführt. So offen und klar habe ich bis dahin noch niemanden über die Serotonin-Lüge sprechen hören. Im Buch von Peter und Sabine Ansari kann man ausführlich darüber lesen.
Antidepressiva werden nicht so häufig als Monotherapie an Bipolare verordnet, da diese ein Switchrisiko haben. Das bedeutet, dass die aktivierende und stimmungsaufhellende Wirkung einiger Antidepressiva dazu führen kann, dass der Betroffene aus der Depression sofort in eine Manie durchstartet. Das kenne ich aus eigenem Erleben. Innerhalb nur eines Tages switchte ich in eine ausgewachsene Manie, die damit endete, dass mich zwei Polizisten zurück in die Klinik und auf die geschlossene Station brachten. Betroffene, bei denen die Depression im Vordergrund steht, haben oft Antidepressiva als Co-Medikament zu ihrem Stimmungsstabilisierer.
Die Kritik an der Serotonin-Mangel-Hypothese soll nicht bedeuten, dass Serotonin unwichtig ist. Auch wenn die Menge des Serotonins nicht die Ursache für Depressionen ist, haben Serotonin und die anderen Botenstoffe im Gehirn eine große Bedeutung für das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen. Deshalb ist das Thema „Botenstoffe“ für Menschen, die unter Manien und Depressionen leiden, enorm wichtig. Es ist aber vor allem das Zusammenspiel aller Botenstoffe und deren Wechselwirkungen mit inneren und äußeren Reizen, die auf die Stimmung und den Antrieb Wirkung haben.
Psychopharmaka können im Akutfall sehr nützlich sein, denn sie blockieren zum Beispiel Dopamin, besetzen Rezeptoren oder blocken Calzium-Kanäle und bringen so die Symptome der Manie oder der Depression zum Abklingen. In diesen akuten Phasen habe ich sie als helfendes Medikament dringend benötigt und von deren Wirkung profitiert. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was mit mir passiert wäre, wenn es diese Psychopharmaka nicht gegeben hätte! Aber dass deshalb eine dauerhafte Blockierung von Prozessen im Gehirn nötig ist, um Manien und Depressionen prophylaktisch zu verhindern, daran zweifele ich inzwischen.
Das ist nämlich eine weitere Aussage, mit der Betroffene immer wieder konfrontiert werden: eine Medikation zur Vorbeugung neuer Phasen sei alternativlos. Das bedeutet für die Betroffenen oft monatelange, manchmal jahrelange Tabletteneinnahme mit allen Folgen und Nebenwirkungen, die Psychopharmaka haben. Als Begründung wird behauptet, dass sonst die Krankheitssymptome wieder auftreten würden und dass es zu neuen Phasen kommen könnte.
Es ist richtig, dass beim Absetzen Symptome auftreten können. Auch ich hatte welche und habe auch von anderen Betroffenen gehört, dass sie etwas „gemerkt“ haben. Aber sind das nicht vielleicht Anzeichen, dass sich das Gehirn nach langer Blockierung wieder zurückbaut, dass sich Rezeptoren, die dem Gehirn geholfen haben mit dem anflutenden Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder dem Dopamin-Blocker fertig zu werden, nun wieder zurückbilden? Die Autoren des Buches „Unglück auf Rezept“ erläutern, dass weder der Betroffene noch der Psychiater oder Neurologe genau unterscheiden können, ob es sich um Absetzsymptome oder um Zeichen einer erneuten Erkrankung handelt. Die Symptome seien sich zu ähnlich. Meist wird Letzteres angenommen und als Beweis gesehen, dass es ohne Psychopharmaka nicht geht.
Ich habe sehr vorsichtig und mit ärztlicher Begleitung die Psychopharmaka reduziert und letztendlich abgesetzt, da ich um die Gefahren wusste. Außerdem konnte ich mich bei meiner Ärztin immer wieder rückversichern. Meine Erfahrung war, dass die Absetz-Symptome, wie zum Beispiel Schlafschwierigkeiten oder Unruhe, von Tag zu Tag nachließen, so als ob sich das Gehirn allmählich an das Fehlen der bisherigen Blockade gewöhnt und sich selbst nun wieder reguliert. Im Gegensatz dazu nahmen die Symptome bei einer aufflammenden neuen Phase eher zu. Tritt das ein, kann man immer noch entscheiden, ob man wieder etwas nimmt. Wenn aber jeglicher Versuch von vorn herein negiert wird, braucht man sich über selbsterfüllende Prophezeiungen nicht wundern.
Aus meiner Sicht verhindert dieses nur auf Medikamente ausgerichtete Denken jeden Absetzversuch. Aus Angst eventuell eine neue Phase zu bekommen, nehmen Betroffene zum Teil jahrzehntelang Psychopharmaka. So habe ich mehrere Betroffene kennengelernt, die über 20 Jahre Lithium eingenommen hatten. Sie mussten es absetzen, weil die Niere zu stark geschädigt war. Ein neues Medikament zu finden war sehr aufwändig und die Umstellung machte sogar Klinikaufenthalte nötig.
Die Ängste vor neuen Phasen werden leider von einigen Ärzten eher geschürt als gemildert. Mir wurde erzählt, dass es sogar Psychiater gäbe, die ihre Patienten regelrecht unter Druck setzen und mit Behandlungsabbruch drohen, wenn man seine Tabletten nicht nähme. Es gibt auch Psychotherapeuten, die Bipolare nur unter der Bedingung behandeln, dass diese medikamentös eingestellt sind.
Ich kenne Betroffene, die trauen sich nicht mal ihre Medikation versuchsweise zu reduzieren und schon gar nicht, den Arzt darum zu bitten, aus Angst, eine neue Krise auszulösen. So erzählte mir eine Betroffene von ihrem Schlafzwang, der sie 16 Stunden im Bett festhält. Trotz ihrer Befürchtung, ihr Leben zu verpassen, weil sie dafür täglich nur acht Stunden Zeit habe, will sie auf keinen Fall etwas an ihrer Medikation ändern.
Mir geht es nicht darum, die Psychopharmaka zu verteufeln, sondern um eine differenzierte Betrachtung. Ja, es gibt Menschen, die kommen nicht ohne aus. Leider wird aber von ärztlicher Seite oft nicht mal der Versuch unternommen, die Dosis zu reduzieren oder ein Absetzen ärztlich zu begleiten. Denn einfach so die Medikamente weglassen, kann wirklich nach hinten losgehen, man braucht schon ein gutes Sicherheitsnetz und Strategien für Krisen, denn der Ausgang des Versuches ist ungewiss. Die Probleme mit den Nebenwirkungen und das viele Herumprobieren mit Psychopharmaka kenne ich aus eigenem Erleben. Sie haben bereits gelesen, wie viele verschiedene Medikamente ich in den Jahren meiner Behandlung genommen habe.
Ich lehne Psychopharmaka nicht grundsätzlich ab. In meinen Krisen ging es nicht ohne und ich würde wieder welche nehmen, wenn ich das Gefühl hätte, sie zu brauchen. Ich halte aber den Dauereinsatz für nicht hilfreich. Wenn man die Berichte der Menschen, die in die Selbsthilfegruppen kommen, hört, entsteht der Eindruck, dass insbesondere niedergelassene Psychiater sich zu wenig Zeit für eine Beratung und ein Angebot von Alternativen nehmen. Diese gibt es aber durchaus! Gäbe es eine ausreichende Aufklärung und Schulung der Betroffenen, eine engmaschige Betreuung durch geschultes Personal sowie eine wohlwollende Begleitung durch den behandelnden Arzt, dann kann aus meiner Sicht ein solcher Absetzversuch durchaus gelingen. Lesenswert ist das Buch von Peter Lehmann „Psychopharmaka absetzen“, welches aus meiner Sicht sehr differenziert diese schwierige Thematik beschreibt.
Leider kann niemand sein Leben ein zweites Mal leben. Es wäre schön, wenn es einen „Zurück auf Start“Knopf wie in manchen Spielen gäbe und man sein Leben auf die Zeit vor dem Ausbruch der Erkrankung zurückdrehen könnte. Dann könnte man das gleiche Leben unter den gleichen Umständen ein zweites Mal ohne Medikamente leben und ausprobieren, welches besser gelingt, das Leben mit Psychopharmaka oder das Leben ohne.
Heute weiß ich, dass man sein Denken, Fühlen und Handeln tatsächlich beeinflussen kann:
durch eine artgerechte Ernährung, die alles enthält, was der Körper braucht, um alle Botenstoffe überhaupt bilden zu können;
durch den Ausgleich von Vitamin- und Mineralstoffmängeln, die zuvor durch Messungen festgestellt wurden;
durch gute Selbstfürsorge, zu der auch regelmäßige Bewegung gehört;
und durch ein gutes Selbst- und Stressmanagement, das man erlernen kann.
Ich hatte das große Glück, im Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin-Reinickendorf Aufnahme zu finden. Dort gibt es einen bipolaren Schwerpunkt, ein Bipolar-Spezialsprechstunde und eine Bipolar-Tagesklinik, die von Prof. Bräunig und Frau Dr. Salkow aufgebaut worden sind. Zwischenzeitlich werden dort über vierhundert Menschen mit bipolaren Störungen stationär, teilstationär oder ambulant betreut. Das ist, bezogen auf die Patientengruppe der Bipolaren eine beachtliche Anzahl. Das hat den Vorteil, dass sich dort ein großer Erfahrungsschatz angesammelt hat, der den Betroffenen zugutekommt.
Eine Tagesklinik ist Teil eines Krankenhauses, aber die Behandlung erfolgt nur am Tage – daher der Name. Man muss nicht über Nacht und am Wochenende in der Klinik bleiben, sondern kann seinen häuslichen Alltag wie gewohnt leben. Es ist so, als ginge man morgens zur Arbeit und käme abends von dort zurück.
Um in die Tagesklinik aufgenommen zu werden, muss man auch nicht, wie z. B. bei einer Reha, einen Antrag stellen und auf eine Kostenzusage warten. Es reicht eine Krankenhauseinweisung eines Arztes, das kann auch der Hausarzt sein.
Ich konnte an einem multimodalen Therapieprogramm teilnehmen, das dem Patienten vielfältige Angebote macht. Anfangs war meine Überraschung groß, in der Therapiegruppe auf Gleichbetroffene zu treffen. So viele Bipolare auf einmal hatte ich noch nicht kennengelernt. Auf den Stationen der vorherigen Kliniken kam ich mir immer als Exot vor. Ich habe viel von den anderen Betroffenen gelernt, unter anderem auch meine in mir tobenden Gewitter und Vulkane mit Worten zu beschreiben. Erstaunt war ich, dass es andere Menschen gibt, die Ähnliches erlebt haben. Das war sehr entlastend, schließlich zweifelte ich nach zwei Jahren vergeblichen Therapieversuchen allmählich an meinem Verstand.
Für mich besonders wertvoll war die Psychoedukation, damit ist die Patientenschulung gemeint. Ich lernte zum ersten Mal Genaueres darüber, was die bipolare Störung eigentlich ist, welche Ursachen und Symptome sie hat und wie man sie umfassend behandeln kann. Dabei ging es auch viel um das Selbstmanagement, zu dem das Führen eines Stimmungstagebuchs, ein Krisenplan und das Identifizieren der individuellen Frühwarnzeichen gehören. Einige Beispiele davon werde ich Ihnen noch zeigen. Das war schon deshalb für mich neu, weil ich mich bisher eher in der Rolle des passiven Patienten sah, der von der ärztlichen Entscheidung abhängig war.
Die Musik- und die Bewegungstherapie, deren therapeutischen Hintergrund ich anfangs gar nicht verstand, wurden zum Schlüssel, wieder einen Zugang zu meinen Gefühlen zu finden und meine emotionale Erstarrung zu überwinden.
Hier lernte ich, wie ich mich durch Bewegung entweder energetisch aufladen, aber auch beruhigen, also selbst auf beginnende manische oder depressive Zustände durch mein motorisches Verhalten Einfluss nehmen kann. Ich konnte austesten, wie viel Nähe und wie viel Distanz ich für mein Wohlbefinden brauchte. Das war eine besondere Erfahrung, die ich wohl nie vergessen werde.
In der Musiktherapie erlebte ich wieder Freude am Spiel; am nicht auf ein Ergebnis gerichtetes Tun; am Spaß, um des Spaßes willen; an Freude, an Lebensfreude. Und ich konnte mich in einem wertfreien Raum ausprobieren: Testen, wie sich Abgrenzung anfühlt; wie schön es sein kann, sich mitreißen zu lassen und vor allem, wie ich gegensteuern kann, wenn ich das eine oder das andere nicht möchte. Hier habe ich gelernt, dass Nein-Sagen legitim sein kann und dass darauf nicht zwingend Ablehnung folgt – und das ohne Worte!
Dieser tagesklinische Aufenthalt war der Behandlungsdurchbruch und die Wende in meinem Krankheitsverlauf
Ich halte diese Therapieform für so erfolgreich, dass ich sie jedem empfehle, der mich nach der optimalen Behandlung der bipolaren Störung fragt. In meiner Selbsthilfegruppe waren fast alle Teilnehmer schon in der Tagesklinik. Es ist für mich immer wieder höchst erstaunlich, wenn Betroffene, die erstmals in die Selbsthilfegruppe kommen und völlig verzweifelt und am Boden zerstört sind, nach sechs Wochen aus der Tagesklinik zurückkommen.
Die Menschen sind verändert! Sie haben jetzt ein ganz anderes Verständnis ihrer Erkrankung, haben einen Plan für das weitere Vorgehen und vor allem Hoffnung, dass sie mit der Störung leben können. Manche brauchen einen längeren Aufenthalt als sechs Wochen oder manchmal sogar nach einigem Abstand einen weiteren Kurs, aber hilfreich ist der Aufenthalt bisher für jeden, den ich kenne, gewesen.
Der Betroffene kann mit diesen Mitteln aus der passiven Rolle des Pillenschluckers zum aktiven Manager seiner Erkrankung werden. Das bringt Kontrolle und Selbstvertrauen zurück und das stärkt und stabilisiert mehr als jedes Medikament.
Eine meiner ersten Therapeutinnen, Frau Dr. Katja Salkow, sie ist promovierte psychologische Psychotherapeutin, hat mir anhand einer Metapher ein Ziel vorgeschlagen, das ich für mich akzeptieren und annehmen konnte:
Werden Sie vom Betroffenen zum Experten Ihrer Erkrankung! Um zu erklären, was sie damit meinte, erzählte sie mir von einer symbolischen Kutsche, in der ich säße und von den Zügeln meines Lebens, die ich selbst wieder selbst in die Hand nehmen solle.
Das Bild gefiel mir und ich stellte es mir im Geiste ungefähr so vor, wie auf folgender Seite dargestellt.
Die „Zügel“ des eigenen Lebens werden einem durch die Krankheit „aus den Händen genommen.“ Es lenkt jetzt jemand anderer: Manchmal der Arzt, manchmal ein Angehöriger oder „die Krankheit“. Der bipolar Betroffene hat kaum noch Einfluss darauf, was die Krankheit mit ihm macht. Man wird im Wagen der Kutsche hin- und hergeschüttelt, mal dahin und mal dorthin.
Gelingt es aber, auf den Kutschbock zurück zu klettern, kann man die Zügel wieder selbst in die Hand nehmen und man entscheidet selbst, wer einen begleitet und für wie lange. Das kann ein Arzt oder ein Therapeut sein und ich, als Betroffener, entscheide, wer wie lange mich begleiten darf oder wann ich jemanden einlade, mich zu begleiten. Dann habe ich es geschafft, dann bin ich zum Experten meiner Erkrankung geworden.
Mein Weg zur Stabilität war recht lang und beschwerlich und von vielen Rückschlägen geprägt, und um im Bild der Kutsche zu bleiben: Ich wurde immer wieder beim Versuch auf den Kutschbock zu klettern von heftigen Stößen zurückgeworfen, aber letztendlich habe ich mir diesen zurück erobert.
Die bipolare Störung zeigt sich vor allem in einem veränderten Verhalten. Sowohl die Stimmung als auch der Antrieb sind abnormal verändert, entweder extrem gesteigert, das nennt man dann Manie oder extrem gemindert, das nennt man dann Depression Ein Betroffener kämpft also an zwei völlig entgegengesetzten „Fronten“ und dann auch noch mit zwei Phänomenen: mit seiner Stimmung und mit seinem Antrieb. Manchmal treten diese Phasen sogar gleichzeitig auf, wie obiges Bild aus der Informationsbroschüre der DGBS zeigt. Diese grafische Darstellung stammt aus dem Ratgeber für Betroffene und Angehörige der DGBS, „Manie und Depression – die bipolare Störung“, Seite →.
Hier ein Schaubild über die wesentlichen Symptome von Manien und Depressionen
Quelle: http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-bild-15424-2012-12-19-20900.html
Haben Sie sich schon mal gefragt, was die Manie so verführerisch macht? Wie es kommt, dass manche Bipolare diesen Zustand sogar anstreben? Warum jemand, der gerade eine Manie erlebt, diesen Zustand so lange wie möglich halten will und deshalb alle gut gemeinten Ratschläge ignoriert, sogar empört zurückweist – mit allen Folgen, die das hat?
Ich habe schon mehrere Manien erlebt und versucht im Nachgang herauszufinden, warum es dazu gekommen ist. Es musste doch einen Grund dafür geben. Meine Erklärung aus heutiger Sicht lautet: Ich lebte in diesen Phasen Bedürfnisse aus, die ich im normalen Alltag nicht ausleben konnte. Daraus zog ich die Schlussfolgerung, dass ich „nur“ diese unerfüllten Bedürfnisse in meinen Alltag integrieren bräuchte und damit der Manie ihrer Grundlagen beraube. Die Manie hätte dann ihre Funktion verloren und meine Psyche müsste nicht mehr zu diesem Mittel greifen, um mir diese Bedürfnisse zu erfüllen.
Es mag sein, dass das sehr einfach klingt. Mir hat diese Argumentationskette geholfen, zu akzeptieren, dass nicht die euphorischen Stimmungen erstrebenswert sind, sondern die Balance, die Ausgeglichenheit. Erst als mein Fokus mehr auf der Balance als auf der „tollen“ Stimmung lag, konnte ich bewusst bei aufkeimenden manischen Erregungen, die sich bei mir leider recht schnell zur Manie auswuchsen, gegensteuern. Zuvor „wollte“ ich die Manie gar nicht verhindern, wer findet es nicht schön, wenn es einem – vermeintlich – „bestens“ geht? Dass das ein längerer Übungsprozess war und auch nicht immer gelang, zeigt die Häufigkeit meiner Klinikaufenthalte, von denen ich schon berichtete.
Was also macht die Manie so verführerisch? Manie fühlt sich richtig gut an. Der Zustand erinnert an das Erleben als Kind, als es keine Grenzen, Sorgen und Nöte gab, alles möglich schien, alles leicht und unendlich war. Man lebt in den Tag hinein, macht sich um nichts Gedanken und findet alles spannend, aufregend und lustig. Alles scheint perfekt und optimal. Morgens springt man putzmunter aus dem Bett und fällt spät abends wie ein Stein hinein oder man macht gleich die Nacht durch, weil Schlafen unnütze Zeitverschwendung ist.
Zu der Euphorie gesellt sich die Omnipotenz auf allen Ebenen. Man hat das Gefühl, allmächtig und allgewaltig zu sein, alles zu können und zu dürfen, und damit besser, klüger, erfolgreicher als alle anderen zu sein. Verantwortung haben nur die anderen, Konsequenzen müssen nur die anderen tragen, alles wird sich schon irgendwie einrenken und gut ausgehen. Auch ich kenne dieses extrem übersteigerte Selbstbewusstsein.
Was mich aber am meisten an den Manien faszinierte, war die grenzenlose Energie
Diese Energie machte jeden Tag zu einer neuen Herausforderung. Ich konnte schier endlos arbeiten, war stets wach und kreativ, für Probleme fielen mir schnell Lösungen ein, unangenehme Ereignisse beeindruckten mich wenig, ich übernahm die schwierigsten Aufgaben – kurz mein Motor lief permanent mit 150 % seiner Kraft.
Hier sehen Sie ein Bild, das ich während der Maltherapie angefertigt habe. Ich versuchte zu malen, wie ich die beiden Pole Manie und Depression erlebte.
Wenn ich von meiner Umwelt den Hinweis bekam, dass ich übertrieben fröhlich und erregt sei, dass ich andere gar nicht zu Wort kommen lasse und niemand mehr meinem Tempo folgen könne, tat ich das als „lästiges Neidgerede“ ab und unterstellte den Wohlmeinenden, sie wollten mich ja nur ausbremsen. Ich wollte mich aber nicht bremsen lassen.
Über kurz oder lang ging das nie lange gut. Irgendwann fing ich an, mich zu verzetteln, konnte nicht mehr zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden. Als die körperliche Erschöpfung einsetzte, kippte meine euphorische Stimmung in eine dysphorische (gereizte) Stimmung um. Ich wurde unleidlich, konnte mich selbst kaum ertragen und war von allem und allen nur noch genervt.
Die Anspannung ließ kaum noch nach, was sich u. a. in einem körperlichen Beben äußerte oder auch durch das Gefühl innerlich zu verbrennen. Bald darauf kam entweder der körperliche Zusammenbruch mit katatonen Zuständen oder der Absturz in die Depression.
Anfangs setzte ich alles daran, diesen Energieschub wieder zu erleben, was einen Teufelskreis in Gang setzte, der immer wieder einen Klinikaufenthalt nötig machte.
Für mich gab es Manien und Depressionen nicht ohne die jeweils andere Seite. Wenn die Stimmung zu sehr in die eine Richtung ausschlug, kam irgendwann die Schwankung in die andere Richtung.
Dieses Verbrennen in der Manie habe ich so dargestellt.
Die Depression ist keine Traurigkeit. Depression ist die Abwesenheit von Gefühlen und von Energie. Man hat für nichts mehr Kraft und Energie – nicht mal für die eigenen Gefühle. In den depressiven Zeiten fühlte ich mich leer, vielleicht vergleichbar mit einer entleerten Batterie. Nichts ging mehr.
Arbeit schon gar nicht, aber auch keine sonst angenehmen Tätigkeiten. Zu nichts Lust, für nichts Kraft – dafür Zeit, die sich endlos hinzog.
Ich kann mich an eine Situation in der Klinik erinnern, da saß ich vor einer Banane und überlegte, was ich damit tun solle und war froh, als irgendjemand mir die Banane aus der Hand nahm, zur Hälfte schälte und mir wieder in die Hand drückte, sodass ich sie essen konnte. Mir wollte einfach nicht einfallen, was ich mit diesem Ding tun sollte, so sehr war mein Denken verlangsamt.
Leider gab es in solchen depressiven Phasen auch demütigende Szenen: So saß ich vor meinem Mittagessen, starrte den Deckel des Thermogeschirrs an und überlegte, ob ich eigentlich Hunger hätte. Eine Schwesternschülerin kam herbei, nahm eilfertig den Deckel ab, sah genau wie ich, dass es Kartoffeln und ein Gemüse gab. Sie zerteilte die Kartoffeln in mundgerechte Stücke und drückte mir statt Messer und Gabel einen großen Löffel in die Hand. Ich fühlte mich wie eine Demenzkranke behandelt und war wütend über den entwürdigenden Umgang. Ob diese Gedankenlähmung und extreme Verlangsamung tatsächlich von der Depression kam oder eine Wirkung des Benzodiazepins war, kann ich nicht sagen – vielleicht beides.
Depression ist das andere Extrem der Stimmungsschwankungen. Was in der Manie zu viel ist, ist in der Depression zu wenig. Vor allem das Gefühl der Wert- und Aussichtslosigkeit kann Betroffenen sehr zu schaffen machen, deshalb ist es nicht selten, dass Depressive suizidal werden. In Deutschland nehmen sich jedes Jahr über 9.000 Menschen das Leben, viele davon litten an einer Depression.
Während und zwischen den Klinikaufenthalten hatte ich über einhundert Stunden Einzelpsychotherapie bei mehreren Psychologen. Ich wollte auf dem Erlernten aus der Tagesklinik aufbauen und herausfinden, warum und wie ich „ticke“ und wie ich die Zügel meines Lebens wieder selbst in die Hand nehmen kann. Rückblickend habe ich festgestellt, dass es in meiner Auseinandersetzung mit meiner Erkrankung verschiedene Entwicklungsschritte gab, die aufeinander folgten. Später erfuhr ich, dass diese Genese nicht untypisch für Menschen ist, die Erfahrungen mit schweren psychischen Krisen gemacht haben.
1. Phase der Verleugnung
Anfangs verleugnete ich, überhaupt krank zu sein. Ich konnte nicht akzeptieren, dass ich, die ich mich als mitten im Leben stehende Frau verstand, psychisch krank sein sollte. Ich hatte doch bisher allen Herausforderungen trotzen können und nun sollte das nicht mehr gehen, das konnte und wollte ich nicht akzeptieren. Ich hielt meine Symptome für ein kurzfristiges Burnout, ein bisschen Erholung und dann geht das schon wieder. Mehrere Kuraufenthalte brachten tatsächlich etwas Erholung, aber in der Tendenz verlor ich immer mehr Energie. Irgendwann war es dann mein Körper, besser gesagt, mein Kopf, der nicht mehr konnte. Immer häufigere Migräneanfälle bremsten mich immer stärker aus. Erst einmal im Monat, dann siebenmal und zum Schluss fünfzehnmal im Monat Migräne. Arbeiten ging einfach nicht mehr. Von der Kopfschmerzambulanz der Charité wurde ich direkt auf die geschlossene Station eingewiesen.
2. Phase: Schuldgefühle
In der Klinik überkamen mich heftige Schuldgefühle. Als ich realisierte, was ich in der Manie alles angestellt hatte, schämte ich mich furchtbar. Ich traute mich kaum, meinen Angehörigen in die Augen zu sehen und mied den Kontakt zu Kollegen und Bekannten, vielleicht hat der Aufenthalt dort auch deshalb mehrere Monate gedauert. Auch zweifelte ich heftig an meiner Rolle als Mutter und Ehefrau und an meinen Fähigkeiten überhaupt. Ich glaubte, alles in meinem Leben falsch gemacht zu haben. Mein Selbstwertgefühl lag am Boden.
Ziemlich lange beschäftigte mich die Frage: „Warum ich?“, warum bekomme ich eine solche Krankheit, die mich vor mir selbst erschrecken lässt, die mich derart verändert, dass ich mir selbst nicht mehr traue und selbst engste Angehörige an ihrem Vertrauen an mir zweifeln. Manchmal hätte ich dieses andere Ich am liebsten irgendwo eingesperrt, damit es nicht wieder so viel Unsinniges anstellt. Man wird sich selbst aber nicht los.
3. Phase: Wut
Recht schnell begann ich nach den Verursachern meiner Erkrankung zu fahnden. Anfangs machte ich alles und jeden aus meiner Umgebung dafür verantwortlich, dass ich krank geworden bin: Erst meine Arbeit, die Chefs, die Kollegen; dann meine Eltern, meine Erziehung, die Umstände, meine Ehe.
Das ging so lange, bis ich irgendwann erkannte, dass es niemanden gibt, der an meiner Erkrankung Schuld ist. Letztendlich war ich wütend auf die Krankheit und erkannte, dass mich diese Wut nicht viel weiter brachte, sondern eher kontraproduktiv war. Trotzdem war diese Phase wichtig, so konnte ich in allen Lebensbereichen prüfen, welche Auslöser meine Bipolarität eher triggerten und welche Dinge mir eher gut taten.
4. Phase: Trauer
Irgendwann wurde mir klar, dass ich meine Arbeit nicht mehr ausüben kann. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, den arbeitsbedingten Stress auszuhalten. Diese Erkenntnis löste seltsamerweise Erleichterung und gleichzeitig Trauer in mir aus. Dank einer guten Therapeutin konnte ich um meinen verloren gegangenen Beruf und um mein verloren gegangenes Leben trauern und analysieren, was das Gute am Schlechten war, das ich in mein zweites Leben mitnehmen könne. Erstaunt stellte ich fest, dass ich noch immer eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten hatte, die zwar etwas verschüttet, aber nicht verloren waren.
So fing ich wieder an, meine vielfältigen feinmotorischen Fertigkeiten neu zu entdecken: Schönschreiben, Stricken mit dem Nadelspiel, nähen, Körbe flechten, malen – zum Teil Fertigkeiten, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr ausgeübt hatte. Das gab mir neues Selbstvertrauen, es war also doch noch nicht alles verloren. Auch entdeckte ich meine anderen Berufe neu und prüfte, inwieweit diese sich für mein neues Leben eigneten.
5. Phase: Neuorientierung
Aufregend war die Phase der Neuorientierung. Es war die Zeit des Ausprobierens. Ich konnte testen, ob meine in der Therapie neu erworbenen Fähigkeiten alltagstauglich waren und mich auch trugen. In dieser Zeit entdeckte ich die Selbsthilfe und den Verein bipolaris, die Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Manien und Depression in Berlin und Brandenburg, und stürzte mich in die ehrenamtliche Arbeit.
Einerseits war diese Tätigkeit sehr sinnstiftend, andererseits verlangte diese auch ein gutes Selbstmanagement, um sich eben nicht zu übernehmen. Im Eifer ist es mir mehrmals passiert, dass ich mir zu viel zugemutet habe.
Das Gute daran war, dass ich inzwischen Strategien hatte, um aufkeimenden Phasen relativ schnell Wirksames entgegen zu setzen. Trotzdem gab es auch in dieser Zeit Klinikaufenthalte und akute Phasen, aber innerhalb der Selbsthilfeorganisation konnten meine Krankheitsausfälle mehr oder minder gut aufgefangen werden und hatten nicht so dramatische Folgen wie auf der Arbeit.
Diese ehrenamtliche Tätigkeit war für mich eine gute Möglichkeit, auf einem völlig anderen Gebiet neues Selbstvertrauen zu erlernen und trotz der Erkrankung eine sinnvolle Arbeit zu leisten. Ich finde es gut, dass die Krankenkassen verpflichtet sind, die Selbsthilfe finanziell zu unterstützen, allerdings ist auch hier die Bürokratie recht groß. Ein Großteil meiner Arbeit bei bipolaris bestand in der Beantragung, Verwaltung und Abrechnung solcher Fördermittel.
Außerdem lernte ich unzählige Menschen kennen, die die gleiche Störung hatten und konnte viel von deren Erfahrungen lernen. Das hat mich sehr bereichert und ermöglichte mir einen neuen, anderen Blick auf meine eigene Erkrankung. Vor allem durch diesen Austausch lernte ich, dass wir zwar die gleiche Erkrankung haben, letztendlich aber jeder seinen eigenen Weg finden kann und muss. Noch heute sind mir die Tätigkeit in der Selbsthilfegruppe und der Austausch mit den anderen Betroffenen sehr wichtig.
Diese Phase war auch die Zeit, in der ich mein Stimmungstagebuch perfektionierte. Ein Beispiel dafür sehen Sie hier. Ich wollte herausfinden, ob es möglich wäre, meine aufkeimenden Krisen rechtzeitig selbst zu erkennen. Es ärgert mich nämlich, dass ich mir sehr oft von Anderen sagen lassen musste, dass ich schon wieder auf dem besten Weg sei, manisch zu werden.
Deshalb kombinierte ich die Stimmungskurve, deren Skala von minus 5 bis plus 5 reichte, mit der Skala für den Antrieb, die von null bis hundert reichte. Fast zwei Jahre führte ich akribisch das Stimmungstagebuch.
Das Erhoffte trat zwar nicht ein, denn meine Stimmung und mein Antrieb veränderten sich meist parallel zu einander, und somit gab es keine Vorwarnzeit, aber für meine Ärzte und Therapeuten waren meine Aufzeichnungen wertvoll. Da mich die Ärztin immer nur in zeitlichen Abständen von mehreren Wochen sah und dann nur wenige Minuten Zeit hatte, um sich einen Eindruck von meiner Stimmungs- und Antriebslage zu machen, konnte sie anhand meiner Aufzeichnungen den Verlauf seit der letzten Konsultation sehen.
Die schon fast zum Ritual gewordene Frage meiner Ärztin zu Beginn jedes Gespräches: „Haben Sie Ihr Stimmungstagebuch dabei?“ spornte mich an, weiter fleißig tagtäglich meine Eintragungen vorzunehmen. Ich hörte erst damit auf, als ich nur noch eine Nulllinie eintragen konnte. Nulllinie bedeutet hier nicht etwas Negatives, wie beim Herzschlag, sondern etwas sehr Positives für einen Bipolaren: keine Schwankungen!
Auch lernte ich, mich allmählich von meinen alten, nicht hilfreichen Mustern zu lösen. Insbesondere in depressiven Phasen quälten mich Grübeleien über Vergangenes. Hier waren es zwei unscheinbare, kurze Sätze, die fast zu einem Mantra wurden:
„Es ist, wie es ist “ und „Ich lebe im Hier und Jetzt“
Als ich mich Jahre später mit den Techniken des Zeitmanagements beschäftigte, stellte ich erstaunt fest, dass das Akzeptieren dessen, was gerade ist, und man nicht selbst ändern kann; das aktive Ändern von Umständen, die man selbst ändern kann; der planvolle Wechsel von Anspannung und Entspannung sowie die bewusste Gestaltung von Pausen Teile des Stressmanagements sind.
Dank vieler Therapiegespräche im Rahmen einer Verhaltenstherapie wurden Begriffe wie „Gleichgewicht“, „Balance“ oder „Ausgeglichenheit“ zu beherrschenden Themen. Es schien mir immer wichtiger, diese Mitte zu erlangen. Ich versprach mir davon, ein anderes, ein besseres Leben als während der Krankheit führen zu können. Erst als ich lernte, mit meiner Energie zu haushalten, sie maßvoll einzusetzen, gut für mich zu sorgen, um durch einen gesunden Wechsel von Anspannung und Entspannung in die Balance zu kommen, konnte ich diesem Teufelskreis Manie – Depression – Manie – Depression allmählich entkommen. Dass das keine „Einbahnstraße“ war, sondern auch mit Rückschlägen verbunden war, hatte ich bereits berichtet.
Während der Psychotherapien, die sich über mehr als zwei Jahre hinzogen, habe ich hart daran gearbeitet, das Erlernte in den Alltag umzusetzen. Meine nicht hilfreichen Muster haben mich intensiv beschäftigt, das waren oft schmerzvolle Therapiestunden.
In einem Buch von Friedemann Schulz von Thun habe ich über Kommunikationspsychologie und das „Vier-Ohren-Modell“ gelesen und war fasziniert. Ich entdeckte viele Parallelen zu meinem beruflichen und privaten Alltag und verstand erst jetzt, dass ich mir oft unnötig das Leben schwer gemacht hatte. So kann ich heute viel besser meine Bedürfnisse artikulieren oder meine Interessen vertreten, ohne andere damit zu verletzen oder mich schlecht dabei zu fühlen.
Ebenso kann ich viel besser unterscheiden, ob und wann ich für die Gefühle oder das Verhalten einer anderen Person verantwortlich bin und mich abgrenzen. Das hat auch meiner Beziehung zu meinem Ehemann gut getan.
Im Band 3 seiner „Miteinander reden“ – Triologie entdeckte ich seine Theorie vom „Inneren Team“. Genau zur richtigen Zeit stieß ich auf dieses Modell. Es hat mir sehr geholfen, zu verstehen, wie ich „ticke“ und wie ich unangenehme Situationen schnell für mich klären kann, damit gar nicht erst schlechte Gefühle entstehen. Dort habe ich auch entdeckt, warum meine bipolare Störung erst in der Mitte meines Lebens so massiv zum Vorschein kam: Ich habe Bedürfnisse zu lange unterdrückt, sie brachen sich dann in den Manien gewaltsam Bahn. Irgendwann konnte ich den Deckel nicht mehr draufhalten.
Im Bild sehen Sie meine Frühwarnzeichen und meine Strategien zum Gegensteuern. Das Bild hängt noch immer in meinem Büro, sodass ich es immer vor Augen habe.
Die Technik der Selbstklärung hat mich fasziniert. Ich habe diese Methode inzwischen so verinnerlicht, dass ich gar nicht mehr groß darüber nachdenke. Ich weiß ziemlich genau, was ich will und warum ich es will. Menschen, die mich kennen, sagen mir, dass sie mich gelegentlich wegen dieser Klarheit beneiden. Mit Hilfe dieser Technik hat das ständige Grübeln um Vergangenes und die damit verbundene schlechte Stimmung fast völlig aufgehört. Kommt eine schlechte Stimmung doch hoch, kann ich mein inneres Team aufstellen und brauche keine fremde Hilfe mehr beim Analysieren.