Stabilität kann man leben - Annett Oehlschläger - E-Book

Stabilität kann man leben E-Book

Annett Oehlschläger

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Beschreibung

Mit "Stabilität kann man leben - Psychische Gesundheit erlangen und behalten" setzt Annett Oehlschläger ihr erstes, bereits im Jahr 2017 erschienenes Buch "Stabilität kann man essen?!" fort. Nun, sechs Jahre und eine Fortbildung in Orthomolekularer Medizin später ist sie inzwischen Präventologin und berät Betroffene, ihren eigenen Weg aus der Krankheit zu finden. Was bedeutet es, plötzlich psychisch krank zu sein? Was haben Patienten in einer psychiatrischen Klinik zu erwarten und wo stößt das System an seine Grenzen? Was sollte man zum Umgang mit Psychopharmaka wissen? Annett Oehlschläger bietet im ersten Teil ihres neuen Buches einen eindrucksvollen und bewegenden Erlebnisbericht, der es sich auch erlaubt, Kritik an der gängigen Praxis der Psychiatrie zu üben - fair und konstruktiv, aber deutlich in der Sache. Stets aus Sicht einer Betroffenen, die all dies am eigenen Leib erfahren hat. Doch die eigentliche Stärke des Buches ist eine andere: Wer es konzentriert durcharbeitet, lernt schnell die Fülle eigener Handlungsoptionen im Falle einer psychischen Erkrankung kennen. Die Tatsache, dass diese - aufgrund der eigenen Lebenserfahrung der Autorin - entlang des Krankheitsbildes der Bipolaren Störung durchdekliniert werden, ist dabei keine Einschränkung. Betroffene von Depressionen und anderen affektiven Störungen profitieren gleichermaßen von Annett Oehlschlägers Wissen und Erfahrungsschatz. Denn der Schwerpunkt des Buches beschäftigt sich mit der Frage: Was benötigt unser Gehirn eigentlich, um richtig zu funktionieren? Wie kann ein psychisch stabiles Leben gelingen? "Stabilität kann man leben" ist eine Anleitung zur psychischen Selbstheilung. Klar verständlich und mit leicht umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten.

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Gute Selbstfürsorge bedeutet, erst einmal gut für sich selber zu sorgen. Erst dann kann man für andere sorgen.

Hinweis: Alle Informationen und Hinweise, die dieses Buch enthält, wurden von der Autorin nach besten Wissen und Gewissen erarbeitet und mit größtmöglicher Sorgfalt überprüft. Unter Berücksichtigung des Produkthaftungsrechts weist die Autorin darauf hin, dass inhaltliche Fehler und Auslassungen nicht völlig auszuschließen sind. Für etwaige fehlerhafte Angaben kann die Autorin, der Verlag oder Verlagsmitarbeiter keinerlei Verpflichtung und Haftung übernehmen. Korrekturhinweise sind jederzeit willkommen und werden gern berücksichtigt.

Des Weiteren dient dieses Buch nur Informationszwecken und der Aufklärung über Zusammenhänge. Empfehlungen basieren auf eigenen Erfahrungen und sind weder eine medizinische noch therapeutische Beratung.

Die Autorin übernimmt keine Haftung oder Verantwortung für entstandene Schäden durch angewandte Methoden und haftet folglich auch nicht. Es wird dringend allen Lesern, die diese Methoden anwenden möchten, empfohlen, sich an einen Arzt oder Heilpraktiker des Vertrauens zu wenden.

Dieses Buch ist vor allem ein Erfahrungsbericht. Nachahmungen liegen in der Verantwortung des Lesers. Die Autorin kann dafür keine Haftung übernehmen.

Die Autorin erklärt, dass sie für namentlich genannte Produkte keinerlei Werbeprovisionen oder Ähnliches erhält und dass es sich bei den Vorschlägen lediglich um Beispiele handelt. Ebenso kann die Autorin keine Garantie für die Qualität der Produkte übernehmen.

Inhaltsverzeichnis

STABILITÄT KANN MAN LEBEN –

Psychische Gesundheit erlangen und behalten

Vorwort von Prof. Jörg Spitz

Einleitung

A

Stabilität kann verloren gehen

Die vielen Gesichter der Bipolaren Störung

Psychiatrie für Anfänger

Die Psychiatrie

Die Geschlossene

Stationsäquivalente Behandlung

Diagnose

Psychiater

Psychologe bzw. Psychotherapeut

Tagesklinik

Musik- und Ergotherapie

Ambulante Betreuung

Selbsthilfegruppe

Psychiatrie behandelt „Psyche“ – nicht „Mensch“

Ärzteodyssee

Hippokrates

Die dunkle Zeit des Mittelalters

Körper als Maschine

Der Dualismus in der Medizin

Pioniere der Psychiatrie

Der Kranke als Gegenstand der Behandlung

Biologische Psychiatrie

Reformen in der Behandlung

Orthomolekulare Psychiatrie

Psychosomatische Medizin

Psycho-Neuro-Immunologie (PNI)

Ernährungspsychiatrie

Was wissen Psychiater über Ernährung?

Zum Umgang mit Psychopharmaka

Es geht nicht ohne!?

Erwartungen werden nicht erfüllt

Verhindern Psychopharmaka akute Phasen?

Die Gretchenfrage im Umgang mit Psychopharmaka

Einmal Tablette – immer Tablette?

Es geht auch anders

Auch unerwünschte Wirkungen sind individuell

Appetitsteigerung

Ob Nebenwirkungen erträglich sind, kann nur der Betroffeneentscheiden

Zur Notwendigkeit begleitender Untersuchungen

Psychopharmaka sind Mikronährstoffräuber

Wechselwirkungen zwischen Psychopharmaka und Lebensmitteln

Und wenn alles nicht hilft

B

Stabilität kann man wieder erlangen

Salutogenese und psychische Gesundheit

Salutogenese

Kohärenzgefühl

Über Gefühle und Emotionen

Barometer der Stimmung – der Stimmungskalender

Woher Gefühle kommen

Gefühle sind Hybride

Katastrophisieren

Gefühle kontrollieren

Die Strategie des Gegensteuerns

Das Modell vom „Inneren Team“

Wenn Kommunikation misslingt

Über Gefühle reden

Gedanken über (m)ein krankes Gehirn

Meine Erklärung für mein Krankwerden

25 Jahre Abwärtsspirale

Glaubenssätze sind änderbar

Gute Selbstfürsorge

Fremde Glaubenssätze

Sich auf den Weg machen

Was nun?

Die ersten Schritte der Genesung

Mangel an Neurotransmittern hat viele Ursachen

Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe

Die wichtigsten Neurotransmitter

Gründe für ein Ungleichgewicht

Neurotransmitter bestehen aus Aminosäuren

Wir essen Proteine wegen der Aminosäuren

Wichtige Aminosäuren für die Stimmung

Neurotransmitter brauchen funktionierende Enzyme

Neurotransmitter müssen wieder abgebaut werden

Die lange Reise des Tryptophans

Intakte Zellmembranen und funktionierende Mitochondrien

Unser Gehirn braucht Omega-3 Fettsäuren

Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren regulieren Entzündungen

Ohne leistungsfähige Mitochondrien gibt es keine stabile Psyche

Falsche Ernährung, Alkohol und Rauchen

schädigen Mitochondrien

Mitochondrien entscheiden über Vorlieben

Auch Mitochondrien brauchen eine feste Tagesstruktur

Neuromodulatoren wirken als Cotransmitter

Die höchsten Vitamin C Konzentrationen befinden sich im Gehirn

Vitamin D ist ein natürlicher Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer

Lithium als Spurenelement

Was genau ist Lithium?

Unser Gehirn braucht Nahrung, die es nährt

Der menschliche Stoffwechsel ist ein Ergebnis der Evolution

Nahrung tierischen Ursprungs ist essenziell

Nahrung pflanzlichen Ursprungs ist essenziell

Gut gekaut ist halb verdaut

Das Gehirn braucht 47 verschiedene Stoffe

Stadien eines Mikronährstoffmangels

Naturgesetze gelten auch für eine gesunde Psyche

Die Ursachen für psychische Störungen sind vielfältig

Komorbiditäten Schilddrüse und Migräne

Die Schilddrüse – das Thermostat des Körpers

Migräne ganzheitlich behandeln

Weitere Erkenntnisse aus der Wissenschaft

Depression – Schwelbrand im Gehirn

Aminosäuren, Vitamine und Mineralstoffe gegen Stress undfür eine ausgeglichene Stimmung

Chronischer Stress und Entzündungen

Oxidativer Stress und mitochondriale Dysfunktion

Manie mit Aktivkohle behandeln?

Zusammensetzung der Darmbakterien bei Bipolaren verändert

Undichte Blut-Darm-Schranke macht undichte Blut-Hirn-Schranke

Störung der zirkadianen Rhythmen

Höheres Risiko für Diabetes, metabolisches Syndrom,Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose

Hyperkalorische Lebensmittel und Bipolare Störung

Verursacht Nitrat im Essen Manien?

Haben Lebensmittel und Ernährung einen therapeutischen Wertbei Stimmungs- und Empfindungsstörungen?

Liste von antidepressiven Lebensmittelnmit höchster Nährstoffdichte

Supplementierung und Ernährungsinterventionenbei Stimmungsstörungen

Ketogene Ernährung bei Bipolarer Störung

Körperliche Aktivität und Bipolare Störung

Jeder Schritt zählt

Neue Leitlinien für die Behandlung psychiatrischer Störungenmit Nutrazeutika und Phytozeutika

C

Stabilität kann man leben – Psychiatrie der Zukunft

Meine Vision von klinischer Behandlung

Meine Vision von langfristiger ambulanter Betreuung

Meine Vision von personenbezogener Diagnostik

Aminogramm und Gesamt-Eiweiß

Fettsäuren-Analyse

Homocystein

Das kleine und das große Blutbild

Schilddrüse

Weitere Co-Faktoren für das Gehirn

Eisen bzw. Ferritin

Mögliche Strategie

Meine Vorgehensweise

Was ein gesundes Gehirn und eine gesunde Psyche brauchen

Das Gehirn braucht Nahrung, die es nährt

Das Gehirn braucht Sauerstoff

Das Gehirn braucht Bewegung

Das Gehirn braucht ausreichend Flüssigkeit

Das Gehirn braucht ausreichend Schlaf

Das Gehirn braucht Anregung und Beschäftigung

An Verhaltensmustern und Glaubenssätzen arbeiten

Trennen Sie sich von falschen Erwartungen

Stabilität – was ist das? – Schlusswort

Quellenverzeichnis

Vorwort

Stellen Sie sich vor, Sie leiden an einer Krankheit und suchen fast ein Jahrzehnt lang bei zuständigen Fachärzten und Experten nach Heilung. Doch die erhoffte Genesung tritt nicht ein. Zwar gelingt es, die Symptome zu lindern, doch Ihr Leben ist weiterhin im hohen Maße von der Erkrankung bestimmt. Es ist Ihnen nicht möglich, einen unbeschwerten Alltag zu leben, Ihre Aufgaben zu erfüllen, sich einfach gesund zu fühlen.

Wie viele Menschen würden da einfach die Flinte ins Korn schmeißen? Annett Oehlschläger hat sich für einen anderen Weg entschieden. Als bei der früheren Lehrerin im Jahre 2007 eine Bipolare Störung diagnostiziert wurde, folgte zunächst eine Odyssee durch Psychiatrien und Arztpraxen. Insgesamt 24 Klini-kaufenthalte und unzählige Arztbesuche sowie das gesamte Repertoire der pharmazeutischen Medizin waren Teil dieser Behandlung. Auch davon werden Sie in diesem Buch ausführlich lesen. Doch am Ende dieses Weges stand eben keine Heilung, sondern die Aussage der Ärzte, dass mehr als das Erreichte nicht zu erwarten sei. Gesund fühlte sich Annett Oehlschläger jedoch lange nicht.

Um dies einordnen zu können, ist es wichtig, sich das Krankheitsbild der Bipolaren Störung, unter dem in Deutschland ca. 1 Millionen Menschen leiden, kurz zu vergegenwärtigen: Das Leben der Betroffenen ist von unkontrollierten Schwankungen in Stimmung und Antrieb geprägt. Wie der Name der Krankheit schon sagt, hat diese zwei Pole: Schwere Depressionen, mit der Gefahr bis hin zum Suizid, und ebenso heftige euphorische Manien, welche sich nicht selten in psychotische Zustände steigern können. Weder ist es so möglich, einem geregelten Alltag nachzugehen, noch bleibt dies für das Arbeits- und Sozialleben folgenlos. Viele Betroffene fühlen sich wie eine Geisel ihrer Krankheit, der sie scheinbar hilflos ausgeliefert sind. Das Ziel: endlich wieder Stabilität erlangen.

Die Bipolare Störung reiht sich in eine ganze Liste von sogenannten Nichtübertragbaren Krankheiten (NüK) ein, welche im Volksmund auch als „Zivilisationskrankheiten“ bezeichnet werden. Zu diesen Erkrankungen gehören unter anderem auch Krebs, Demenz, Diabetes und die Herzkreislauf-Erkrankungen. Wenn wir uns die Mortalitätsstatistik anschauen, sterben in Deutschland 90 % der Menschen an und mit solchen Krankheiten. Da bleibt kaum noch ein anderes nennenswertes Krankheitsbild übrig. Was haben all diese Krankheiten miteinander zu tun, werden Sie sich vielleicht fragen. Sind dies nicht alles völlig unterschiedliche Krankheitsbilder mit jeweils individuellen Ursachen?

Als emeritierter Professor für Nuklearmedizin habe ich den ersten Teil meines Berufslebens streng nach schulmedizinischen Prinzipien gearbeitet. Doch gegen Ende meiner universitären Laufbahn wurde mir klar: Die Epidemie der Zivilisationskrankheiten, welcher heute weltweit rund 40 Millionen Menschen jährlich zum Opfer fallen, hat klar benennbare Ursachen: Es sind vielfältige Faktoren unseres modernen Lebensstil, die oft nicht den evolutionären Bedürfnissen unseres Organismus gerecht werden. Und auch die Lösung liegt damit auf der Hand: Gezielte Veränderungen dieser Faktoren des Lebensstisl, vor allem wenn sie multimodal angewendet werden, sind in der Lage, schwere Erkrankungen zu heilen, bei denen selbst Fachärzte und die mit Milliarden Euro ausgestattete Pharmaindustrie die Segel streichen.

Annett Oehlschläger beweist genau das anhand ihrer eigenen Krankheits- und Genesungsgeschichte in Bezug auf ihre Bipolare Störung. Schon in ihrem ersten Buch „Stabilität kann man essen?!“ zeigte die Expertin aus Erfahrung ein besonders hohes Maß an Kompetenz. Schwerpunkt dieses Werkes ist die Frage: Wie beeinflusst die Ernährung die Psyche und was können Betroffene von psychischen Erkrankungen durch eine bewusste Ernährungsumstellung erreichen? Längst ist dieses ausführliche Fachwissen nicht nur für Betroffene einer Bipolaren Störung interessant und hilfreich. Gemeinsam mit Annett Oehlschläger führte ich dazu ein ausführliches Gespräch, welches bereits fast 100.000 Menschen erreicht hat. Dieses Gespräch finden Sie zusammen mit einer Vielzahl weiterer Videos auf dem YouTube-Kanal der Akademie für menschliche Medizin.

Nun also der zweite Band: „Stabilität kann man leben“. Zwischen beiden Arbeiten liegt eine Weiterbildung der Autorin in Orthomolekularmedizin. Dieser Teilbereich der Medizin beschäftigt sich vor allem mit der Frage, welche Auswirkung Mikronährstoffe wie Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe, aber auch Aminosäuren und Fette, auf unseren Körper, unseren Geist und unsere Gesundheit haben. Was benötigt ein gesunder Organismus und wie stellen wir die richtige Versorgung sicher?

Es ist von besonderem und unschätzbarem Wert für die Medizin, wenn Betroffene dieses Heilwissen mit ihren eigenen Erfahrungen abgleichen. Diese Arbeit können „wir“ als sogenannte Experten selbst nicht leisten. Denn auch, wenn alles, was Sie in diesem Buch lesen werden, lückenlos durch wissenschaftliche Studien belegt und dokumentiert ist: Es ist eben doch ein Unterschied, ob im Labor oder im wissenschaftlichen Journal ein Ergebnis beobachtet wird, oder ob ein Mensch aus eigener Erfahrung berichtet.

Annett Oehlschläger formuliert im vorliegenden Buch – ebenfalls gespeist aus ihrer eigenen Lebenserfahrung – auch eine deutliche, aber faire Kritik am bestehenden System der Psychiatrie und unserem medizinischen Umgang mit psychischen Erkrankungen. Wie könnte die Behandlung der Bipolaren Störung und anderer psychischer Krankheiten idealerweise aussehen und wie müsste sich die bestehende Medizin verändern?

Ich kann nur allen Fachmedizinern empfehlen, sich diese konstruktive, wertvolle Kritik zu Herzen zu nehmen. Denn nicht nur der Einzelne leidet heute unter zahlreichen Krankheiten, das System selbst ist erkrankt. Wir alle sollten uns deshalb fragen, was wir für eine neue Gesundheitskultur tun können, um im harten Alltag bewährte Behandlungsprinzipien früher als bisher zum Standard zu erheben. Hierzu gehörten auch Ansätze wie die Salutogenese, worüber Sie ebenfalls einiges in diesem Buch erfahren werden. Es kann eben auch den entscheidenden Unterschied machen, gemeinsam mit dem Patienten Genesung und Gesundheit ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, anstatt die Krankheit, über die sich viele Betroffene schlechterdings definieren.

In Australien macht die Leiterin des Mood and Food Centre an der Deakin University, Prof. Felice Jacka, bereits vor, wie eine solche neue Medizin in Bezug auf Ernährung und Psyche aussehen kann. Auch im deutschsprachigen Raum kennen wir mit Dr. Sabrina Mörkl an der Medizinischen Universität Graz Vertreter dieses Ansatzes im universitären Bereich.

Annett Oehlschläger gelingt es, mit ihrem Buch „Stabilität kann man leben“ sowohl angehende und praktizierende Ärzte sowie andere Vertreter in den Heilberufen anzusprechen als auch Betroffene dazu zu bewegen, das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sie alle werden von der Lektüre dieses Buches stark profitieren! Zur Unterstützung dieser Ambitionen wird meine Akademie in Kürze ein virtuelles „Haus der hellen Köpfe“ zur Verfügung stellen, sozusagen als Katalysator für die fällige neue Gesundheitskultur.

Prof. Dr. med. Jörg Spitz

Gründer und Leiter der Akademie für menschliche Medizin

Stabilität kann man leben

Psychische Gesundheit erlangen und behalten

Einleitung

Stabil zu werden ist für Menschen mit Stimmungsschwankungen ein großes Ziel. Stabil zu bleiben, ein noch größeres. Wenn diese Schwankungen krankheitswertig werden und sich für die Probleme keine andere Erklärung finden lässt, hat man „Psyche“, ist also psychisch krank. Und wenn diese Probleme auch noch als Bipolare Störung diagnostiziert wurden, dann scheint dauerhafte Stabilität unerreichbar.

Dabei kennt doch jeder Stimmungsschwankungen. Das Leben hält viele Herausforderungen bereit, denen wir nicht immer gleich gut gewachsen sind. Mal gelingt es uns besser, mal weniger gut, sie zu bewältigen.

Manche Menschen reagieren auf solche Herausforderungen mit besonders heftigen Stimmungsschwankungen. Meist ist es nicht der Betroffene selbst, sondern sein Umfeld, das als erstes bemerkt, dass er sich anders verhält als bekannt oder gewohnt. Er wirkt dann wie ausgewechselt, die Stimmung ist entweder ungewöhnlich gehoben und der Antrieb deutlich erhöht oder vermindert. Die jeweilige Stimmungslage bestimmt das Verhalten, das unerklärlich anders und merkwürdig wird oder sogar auf zunehmend befremdliche Weise das Umfeld verstört.

So ging es auch mir. Meist bemerkte ich diese Veränderungen nicht und reagierte erstaunt, wenn ich auf sie angesprochen oder auf diese aufmerksam gemacht wurde.

Solange der Betroffene noch in der Lage ist, seinen Alltag zu bewältigen, keine sich selbst oder andere schädigenden Entscheidungen trifft und niemanden stört, behindert oder belästigt, werden diese Stimmungsschwankungen von der Umwelt, den Angehörigen oder den Arbeitskollegen im besten Falle als Persönlichkeitsmerkmal interpretiert und toleriert.

Wenn diese Schwelle überschritten wird, braucht der Betroffene jedoch Hilfe. Der erste Kontakt ins Hilfesystem ist meist der Hausarzt, später ein Psychiater. Der Übergang zur Krankheit ist fließend. Erst wenn das normale Leben nicht mehr gelingt, sich die Probleme mit der Umwelt häufen und der Betroffene selbst einen Leidensdruck entwickelt, spricht man von einer psychischen Störung mit Krankheitswert. Je nachdem, welches Symptom im Vordergrund steht, bekommt diese Krankheit verschiedene Bezeichnungen: z.B. Depression oder Angststörung. Wenn die Stimmungsschwankungen das ganze Leben bestimmen und entgegengesetzte Pole bilden, werden sie als „manisch-depressiv“ bezeichnet. Um dieses Muster von körperlichen Erkrankungen abzugrenzen, spricht man heute nicht mehr von „Krankheit“, sondern von „Bipolarer Störung“.

Was ist eine Bipolare Störung?

Wissenschaftler beschreiben die Bipolare Störung als eine multifaktorielle, komplexe psychische Störung, zu deren Entstehung genetische und umweltbedingte Faktoren beitragen. Sie ist durch wiederkehrende Episoden von Manien und Depression gekennzeichnet. Dazu gehören extreme Stimmungsschwankungen, eine hohe Suizidrate, Schlafstörungen und Störungen des Selbstwertgefühls. Menschen mit Bipolaren Störungen haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein 2-fach höheres Sterblichkeitsrisiko und ein 6-fach erhöhtes Risiko eines nicht natürlichen Todes zu sterben, weil sie zu einem riskanten bis selbstzerstörerischen Verhalten neigen. Besonders tückisch: neben den extremen Hoch- und Tiefphasen können Betroffene auch längere Etappen psychischer Ausgeglichenheit erleben. Dies macht es oft schwierig, eine Bipolare Störung frühzeitig zu diagnostizieren.

Psychiater sind sich weitestgehend einig: Eine Bipolare Störung ist nicht heilbar, man kann nur lernen, mit ihr zu leben, wozu auch die lebenslange Einnahme von Medikamenten gehört.

Mein Weg aus der Bipolaren Störung

Als ich vor mehr als 15 Jahren erkrankte und die Diagnose „Bipolare Störung“ bekam, vertraute ich mich dem psychiatrischen Hilfesystem an und wurde 8 Jahre leitliniengerecht mit Psychopharmaka und Psychotherapie behandelt. Die Stimmungsschwankungen wurden geringer, aber stabil, wie ich es mir wünschte, wurde ich nicht. So suchte ich in diversen Büchern und später auch in wissenschaftlichen Studien nach anderen Möglichkeiten, nachhaltige psychische Stabilität zu erreichen.

Was ich dort las, konnte ich anfangs gar nicht glauben: Stimmungsschwankungen und Antriebsprobleme sollen etwas mit unserem modernen westlichen Lebensstil zu tun haben, mit Stress, mit Schlafstörungen, mit ungesunden Ernährungsgewohnheiten, mit Alkoholmissbrauch und mit Entzündungen?

Wie soll das gehen? Und vor allem, warum habe ich davon nichts von meinen behandelnden Ärzten gehört? Die Themen Stress und Schlaf waren immer sehr präsent während der Psychotherapie, aber dass auch Essgewohnheiten oder sogar der Lebensstil eine Rolle spielen, wurde nicht thematisiert.

Was hat das aber mit den Stimmungsschwankungen zu tun, die mein Leben so sehr beeinträchtigen? Wie können sich „schwache Entzündungen“ auf meine Stimmung und mein Verhalten so stark auswirken, dass ich Manien und Depressionen entwickelte? Wie soll eine Behandlung, die sich auf die Verringerung von Stress, Stressempfindlichkeit und Entzündungen durch Änderungen des Lebensstils konzentriert, mir helfen können?

Letztendlich fand ich für all diese Fragen Antworten. Davon handelt dieses Buch. Ich bin der Überzeugung, dass diese Antworten auch Menschen helfen können, die zwar keine Bipolare Störung, sondern eine andere psychische Erkrankung haben oder unter stetiger Unruhe und Unausgeglichenheit leiden.

Ein Großteil meines heutigen Wissens habe ich mir selbst angeeignet, mühsam erarbeitet und im „Selbstversuch“ ausprobiert, weil ich niemanden kannte, der diesen Weg schon gegangen war und mir hätte behilflich sein können. Denn von der schulmedizinischen Psychiatrie erfuhr ich davon nicht.

Ich stellte meine Ernährung um, fand einen Arzt, der sich mit orthomolekularer Medizin auskannte und ließ durch Blutmessungen feststellen, ob ich solche „stillen Entzündungen“ hatte, füllte meine leeren Vitalstoff-Speicher auf, schaffte mir einen Hund und ein Fahrrad an, um regelmäßig in die Bewegung zu kommen und machte meinen Frieden damit, meinen stressigen Beruf nicht mehr ausüben zu können. Ich fand einen anderen, der besser zu meinem neuen Leben passte. Seitdem bin ich stabil, brauche keine Psychopharmaka, keinen Psychiater und keine Psychotherapie mehr. Ich kann wieder so arbeiten und so leben, wie ich es möchte.

Von den eigenen Erfahrungen zur Aufklärungsarbeit

Über meine Kranken- und Genesungsgeschichte können Sie in meinem Buch: „Stabilität kann man essen?!“ mehr lesen oder Sie tun es bislang knapp 100.000 anderen Menschen gleich und schauen sich das „Spitzengespräch“ an, das Prof. Jörg Spitz mit mir geführt und auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht hat.

Niemand muss das sprichwörtliche Rad neu erfinden. Aber dazu muss man als Betroffener erst einmal von dem „Rad/t“ erfahren, also hören und lesen, wie man über Lebensstilveränderungen und ein anderes Essverhalten seine Stimmungsschwankungen in den Griff bekommen kann. Ich konnte ein solches Buch nirgends finden, also schrieb ich es selbst. Da ich keinen Verlag fand, der mich dabei unterstützen und meine Arbeit veröffentlichen wollte, brachte ich das Buch selbst heraus. Es hat mittlerweile mehr als sechstausend Leser in aller Welt gefunden. Inzwischen gibt es sogar eine englische Übersetzung.

In der Coronazeit konnte ich keine Vorträge vor Betroffenen halten. Also begann ich mein Wissen digital aufzubereiten und zu einem Online-Seminar zusammenzustellen. Es trägt den den Titel „Stabilität kann man leben?!“ In diesem umfangreichen Kurs können Sie mich sehen und hören. Auf meiner Webseite www.bipolar-lotse.de finden Sie die Bezugsquelle.

In diesem, meinem zweiten Buch erweitere ich den Blickwinkel. Ich möchte beschreiben, wie Stabilität verloren gehen, wie man sie wiedererlangen und wie man sie leben kann.

Im ersten Teil beschreibe ich, wie sich die Bipolare Störung bei mir und anderen Betroffenen zeigt. Menschen, die noch ganz am Anfang des Weges stehen, möchte ich erklären, was einen in der Psychiatrie erwartet und mit wem man es zu tun bekommt. Das Thema Psychopharmaka wird immer kontrovers diskutiert. Ich möchte darauf näher eingehen, weil man als Patient nicht viele Hintergrundaspekte dieses Themas erklärt bekommt.

Wie auch schon mein erstes Buch, ist auch dieses keine „Abrechnung“ mit den Ärzten. Ich habe wohlwollende, bemühte, zugewandte und kompetente Ärzte, Psychologen, Therapeuten und vor allem auch pflegerisches Fachpersonal erlebt. Trotzdem ist die Behandlung, die Erkrankte heutzutage erhalten, nicht der Weisheit letzter Schluss. Es gibt Gründe dafür, dass die Therapietreue geringer ist, als Ärzte es sich wünschen und dass die leitliniengerechte Therapie weniger Erfolg hat, als erhofft und versprochen. Das liegt aber nicht nur am einzelnen Akteur, es ist auch nicht die Schuld des Betroffenen, sondern es liegt am System, wie Psychiatrie heute verstanden und betrieben wird. Deshalb möchte ich in diesem Buch auch beschreiben, wie es in der Medizin zu der Trennung von Körper und Psyche kam, die noch heute praktiziert wird und zeigen, welche anderen Ansätze es gab und gibt.

Im zweiten Teil bespreche ich, wie psychische Gesundheit im Sinne der Salutogenese wieder entstehen kann. Ich bespreche, was das Gehirn braucht, um eine gesunde Psyche zu bauen und wie man seine Moleküle der Gefühle päppeln kann. Es würde mich freuen, wenn Professionelle des psychiatrischen Systems sich von meinem Buch inspirieren lassen, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse für ihre Arbeit zu nutzen. Speziell dafür gibt es ein eigenes Kapitel, in dem ich einige dieser wissenschaftlichen Studien genauer vorstelle. Als Betroffener können Sie diese Studien nutzen, um Ihre Behandler darauf aufmerksam zu machen. Weil ich diesen Wissenstransfer für enorm wichtig erachte, habe ich auf meiner Webseite eine eigene Rubrik zu diesen Studien eingerichtet. Da diese auf der textbasierten Meta-Datenbank „Pubmed“ zwar frei und kostenlos zugänglich sind, aber nur in Englisch veröffentlicht werden, habe ich diese Studien übersetzt. Auf meiner Webseite finden Sie sowohl eine Zusammenfassung wie auch den kompletten Text.

Im dritten Teil stelle ich meine Vision von einer optimalen, personalisierten und langfristigen Behandlung von Menschen mit Bipolarer Störung vor und erläutere ganz konkret, was man davon heute bereits tun kann, auch als Betroffener. Ich möchte damit auch Ärzten und Therapeuten Anregungen geben, wie eine Behandlung aussehen könnte, die sich Betroffene wünschen. Weil nicht jeder Betroffene einen Arzt findet, der ihn dabei unterstützt, gehe ich genauer auf die Diagnostik ein, die ich für notwendig halte.

Ich wünsche Ihnen viele Aha-Momente beim Lesen, Inspiration und Mut, um Veränderungen anzugehen, damit Ihre Störung Sie bald nicht mehr stört.

Ihre

Annett Oehlschläger

Wustermark, im Herbst 2023

A Stabilität kann verloren gehen

Wissenschaftler beschreiben die Bipolare Störung heute so (Die Texte stammen aus internationalen Fachzeitschriften und sind zwischen 2020 und 2023 erschienen):

■ Die Bipolare Störung ist eine komplexe psychische Erkrankung, die durch wiederkehrende Episoden von (Hypo-)Manie und Depression gekennzeichnet ist. Dazu gehören extreme Stimmungsschwankungen, eine hohe Suizidrate, Schlafstörungen und Störungen des Selbstwertgefühls (Minderwertigkeitsgefühle bei Depression und Überlegenheitsgefühle bei Manie)1 Es handelt sich um eine häufige Erkrankung, von der schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Etwa 1% der Bevölkerung erkrankt im Laufe des Lebens daran, so auch in Deutschland.

■ Familien- und molekulargenetische Studien liefern überzeugende Beweise dafür, dass es sich bei der Bipolaren Störung um eine multifaktorielle Störung handelt, bei der genetische und umweltbedingte Faktoren zu ihrer Entstehung beitragen. Erst kürzlich, im Mai 2021, erschienen die Ergebnisse einer genomweiten Assoziationsstudie mit mehr als 40 000 Fällen von Bipolarer Störung.2 Es wurden 64 Gen-Orte identifiziert, die mit der Störung zusammenhängen. Das bedeutet, dass bei der Bipolaren Störung die Genetik bzw. die Vererbung dieser Gene eine Rolle spielt.

■ Bipolare Störungen sind in Bevölkerungsgruppen, die den heutigen westlichen Lebensstil nicht übernommen haben, selten, was die Hypothese stützt, dass die Bipolare Störung auf eine Fehlanpassung zwischen der evolutionären und der heutigen Umwelt des Homo sapiens zurückzuführen ist.3

■ I n einem Artikel eines Forscherteams aus Finnland, Neuseeland, Estland und Lettland, der 2021 unter dem Titel: „Bipolare Störung: Ein evolutionärer psychoneuroimmunologischer Ansatz“ veröffentlich wurde, heißt es sogar: „Jüngste Studien haben die Bipolare Störung mit geringgradigen Entzündungen, der Fehlfunktion der inneren Uhr und den daraus resultierenden Schlafstörungen in Verbindung gebracht. Stress ist häufig ein auslösender Faktor für Manie und Schlafprobleme, aber Stress verursacht auch eine schwache Entzündung. Da Entzündungen die innere Uhr desynchronisieren, sind chronischer Stress und Entzündungen die primären biologischen Mechanismen der Bipolaren Störung. Chronischer Stress und Entzündungen werden durch den modernen westlichen Lebensstil, einschließlich eines stressigen sozialen Umfelds, ungesunder Ernährungsgewohnheiten, eingeschränkter körperlicher Aktivität und Fettleibigkeit, gefördert. Die Behandlung der Bipolaren Störung sollte sich auf die Verringerung von Stress, Stressempfindlichkeit und Entzündungen durch Änderungen des Lebensstils konzentrieren, anstatt nur vorübergehend die Symptome mit psychopharmakologischen Maßnahmen zu lindern.“4

■ I hre extremen Stimmungsschwankungen verleiten Patienten mit Bipolaren Störungen häufig zu einem riskanten bis selbstzerstörerischen Verhalten. Die Folge ist ein 6-fach erhöhtes Risiko, eines unnatürlichen Todes zu sterben, wie eine Analyse aus Finnland, die im Fachjournal für psychische Gesundheit (BMJ Mental Health 2023)5 erschienen ist, ergab. Es ist bekannt, dass Menschen mit einer Bipolaren Störung ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung etwa 2-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko (Sterberisiko) haben. Dies wird häufig auf eine ungesunde Lebensweise, wie etwa einen hohen Alkoholkonsum zurückgeführt, der das Risiko für chronische Erkrankungen steigert. Die Analyse ergab, dass 58 % der nichtnatürlichen Todesfälle Suizide waren, wovon fast die Hälfte mit Medikamenten begangen wurde, welche die Ärzte für andere Erkrankungen aber auch zur Behandlung der Bipolaren Störung verschrieben hatten. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass der derzeitige therapeutische Ansatz, der auf der Prävention von somatischen Erkrankungen liegt, nicht ausreicht, um die hohe Sterblichkeit von Menschen mit Bipolarer Störung zu senken. Notwendig seien gezielte präventive Interventionen zum Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie eine bessere Suizidprävention.6

Weiter heißt es in der Analyse: „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass der Beitrag externer Todesursachen unterschätzt wurde, da die meisten früheren Studien die altersspezifische Übersterblichkeit nicht berücksichtigt haben. Todesfälle aufgrund externer Ursachen sind eine wichtige Ursache für die Übersterblichkeit in der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen. Dies erfordert eine Neubewertung des derzeitigen Schwerpunkts auf der Prävention der somatischen Sterblichkeit, um die Sterblichkeitslücke zwischen Bipolaren und der allgemeinen Bevölkerung zu verringern. Eine ausgewogene Abwägung zwischen therapeutischem Ansprechen, potenziellen schweren somatischen Langzeitnebenwirkungen der verschiedenen Medikamente und dem Risiko einer ursachenspezifischen vorzeitigen Sterblichkeit ist erforderlich, insbesondere bei jüngeren Menschen.“7

Das ist die professionelle Sicht auf die Krankheit.

Soweit an dieser Stelle die wissenschaftliche Sicht. Doch zu Beginn dieses Buches soll auch näher darauf eingegangen werden, wie sich die Bipolare Störung aus Betroffenensicht anfühlt und darstellt, denn es macht einen Unterschied, ob Ärzte und Forscher über die Störung reden, oder Betroffene von der Störung sprechen:

Die vielen Gesichter der Bipolaren Störung

Hier einige ihrer Gesichter:

Da Bilder mehr als tausend Worte sagen, lassen Sie auch die folgenden Cartoons, die von Peter Ruge gezeichnet wurden, auf sich wirken. Dadurch erkennen Sie intuitiv, was es bedeutet, bipolar zu sein. Ich habe zum besseren Verständnis die Zeichnungen außerdem kommentiert.

Extreme Stimmungsschwankungen fühlen sich an, als ob man abwechselnd eine rosarote oder eine schwarze Brille aufhat. Die eine Seite wird verabsolutiert, die jeweils andere Seite wird völlig ausgeblendet.

Hat man gerade die rosarote Brille auf, gibt es kein „Schwarz“ mehr. Es gibt keine Probleme, keine Sorgen, kein Wenn und Aber, sondern nur eitel Sonnenschein. Manchmal fühlte ich mich als „die Größte“, die endlich die Weltformel gefunden hat, ein anderes Mal zu „Höherem berufen“ und glaubte, ich könne jedes Problem lösen, wenn die anderen doch nur auf mich hören würden.

Das mag für manche Menschen auch verlockend klingen, nennt sich jedoch Manie und führt in der Regel zu schwerwiegenden negativen Konsequenzen:

Ein unaufhörlicher Drang nach Bewegung, Erleben und Taten bestimmt in der Manie das Denken. Ruhe und Alleinsein sind keine willkommenen Zustände. Aktivität wird zum Muss. Ein Gefühl von Getrieben-sein macht sich breit. Läuft dann etwas nicht nach den eigenen Vorstellungen, wird der Maniker schnell ungehalten und verbal aggressiv gegenüber Anderen.

Einer Manie geht oft eine sogenannte Hypomanie voraus. In diesen Phasen hatte ich das Gefühl, noch immer die volle Kontrolle zu haben und war oft sehr produktiv. Auch die Hypomanie zeichnet sich durch gesteigerte Aktivität aus und sollte von Betroffenen unbedingt als ernstes Warnsignal verstanden werden. Es mag verlockend sein, hypomane Phasen zu nutzen, um endlich lang geschmiedete Pläne in die Tat umzusetzen, doch gerade in diesen Etappen ist es wichtig, das Ziel der inneren Stabilität zu fokussieren und damit möglichst das Wegdriften in die Manie zu verhindern.

Hat man die schwarze Brille auf, nimmt man die Sonne nicht mehr wahr, selbst wenn sie scheint. Alles ist grau in grau. Selbst die kleinsten Alltagsprobleme, wie zum Beispiel die Frage, was man heute anzieht, wird zur unlösbaren Aufgabe. Grübelschleifen verhindern das Einschlafen, Schuldgefühle plagen und man ist überzeugt ein schlechter Mensch und Versager zu sein, der zu rein gar nichts fähig ist. Kein gegenteiliges Argument dringt durch diese Sichtweise durch. Gespräche fallen schwer, weil es an Konzentration fehlt. Man sieht in Konversationen zwar, dass jemand spricht, aber die gesagten Worte wollen einfach nicht bis ins eigene Gehirn vordringen. Nicht nur die Gefühle erstarren, auch der eigene Blick und die eigene Mimik werden ausdruckslos, der Körper fühlt sich an wie Blei. Alles ist anstrengend.

Das nennt man Depression.

Als Betroffener einer Bipolaren Störung kann man diese Schwankungen nicht steuern oder beeinflussen. Sie kommen, ohne dass man selbst noch die Kontrolle über die eigenen Gefühlszustände hat. Hinzu kommt, dass diese Phasen schnell wechseln können.

Manche Betroffene kennen ihre Mitte nicht, sie wissen also nicht, wie es sich anfühlt, ausgeglichen und stabil zu sein. Sie erleben sich, als ob sie auf einem Drahtseil balancieren, von dem sie jederzeit sowohl in die eine als auch in die andere Richtung herunterkippen können.

Deshalb ist stabil zu werden für Menschen mit Stimmungsschwankungen ein großes Ziel. Stabil zu bleiben, ein noch größeres.

Ich habe mich acht Jahre mit dieser Erkrankung herumgeplagt. Erst, als ich erkannt hatte, dass ich durch selbstfürsorgliches Verhalten und rechtzeitige Vorsorge auf diese Stimmungsschwankungen Einfluss nehmen kann, gewann ich allmählich die Kontrolle über mein Leben zurück. Im Folgenden gehe ich auf die Hürden ein, die ich dafür aus dem Weg räumen musste.

Ein Merkmal der Bipolaren Störung ist die Wahrnehmungsverzerrung.

Je nachdem, in welcher Stimmungslage ich war, bewertete ich die Begegnung mit einer anderen Person unterschiedlich.

Wenn ich manisch war, fand ich alle Menschen nett und freundlich. Ich war dann besonders vertrauensselig und gesellig, schloss mich gern anderen an und war sehr gesprächig.

In den gereizten Phasen kam es vor, dass ich mich von jedem angegriffen fühlte, auch wenn sich das Gegenüber völlig neutral verhielt.

Wenn ich depressiv war, empfand ich andere Menschen als bedrohlich und hielt mich lieber von ihnen fern. Ich konnte den Gesprächen nicht folgen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten einfach die Worte. Es hat sehr lange gedauert, bis ich akzeptiert habe, dass meine Stimmungsschwan-kungen auch meine Wahrnehmung beeinflussten.

Wir interpretieren die Welt alle immer zuerst aus unserer eigenen Perspektive und finden unser eigenes Verhalten grundsätzlich richtig. Das ist so ähnlich wie bei dem Geisterfahrer auf der Autobahn. Er hört im Radio die Warnmeldung, dass ein Geisterfahrer unterwegs sei. Er wundert sich darüber, dass nur von einem Geisterfahrer die Rede ist, ihm doch aber ganz viele Autos entgegenkommen. Er sieht alles nur aus seiner Perspektive und glaubt sich im Recht. Die Fähigkeit zum Reflektieren ermöglicht uns grundsätzlich, unser Verhalten anzupassen. Das ist für Menschen, die sich in einer akuten Phase Krankheitsphase der Bipolaren Störung befinden, allerdings schwer bis unmöglich.

Diese Wahrnehmungsverzerrungen lassen den Betroffenen als uneinsichtig, rechthaberisch und unberechenbar wirken. Er kann sogar wie vollkommen ausgewechselt wirken, sodass Angehörige sich verunsichert fragen, wen sie da gerade vor sich haben.

Verlässlichkeit ist ein wichtiger Bestandteil von sozialen Beziehungen und diese kann ein bipolar Betroffener in akuten Phasen nicht garantieren. Das führt dazu, dass zwischenmenschliche Beziehungen dauerhaft beschädigt werden können und Freundschaften oder Lebensgemeinschaften zerbrechen. Ich habe das große Glück, dass meine Ehe diese Belastungen überstanden hat. Selbstverständlich ist dies nicht.

Diese Verzerrung in der Wahrnehmung bezieht sich auch auf Bereiche des menschlichen Zusammenlebens, in denen es auf die Einhaltung von Regeln ankommt, wie zum Beispiel im Straßenverkehr. Ich kann mich noch gut an Autofahrten erinnern, bei denen ich mich gewundert habe, dass die anderen alle so langsam fahren und der Verkehr so zäh ist. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, dass mein Empfinden verzerrt war, dass es mir nur so vorkam, als ginge es langsam. So kann es dann leicht zu tollkühnem und rücksichtslosem Verhalten kommen, das schon so manchen Bipolaren den Führerschein gekostet hat.

Weitere Erscheinungsformen der Manie sind rastlose Aktivität, Unruhe und erhöhte Schaffenskraft.

Ich hatte manchmal das Gefühl, die sprichwörtlichen „Bäume“ ausreißen zu können. Die überschießende, scheinbar unerschöpfliche Energie ließ mich Vieles gleichzeitig anfangen, aber selten etwas beenden.

Diese rastlose Aktivität und Unruhe arteten oft in hektische Betriebsamkeit aus, bei der aber meist nur wenig wirklich Produktives zustande kam. Im Nachhinein musste ich leider manchmal feststellen, dass das Arbeitsergebnis unvollständig oder fehlerhaft war. Dafür hatte ich meine ganze Umwelt enerviert. Problematisch war vor allem, wenn ich Termine oder Fristen versäumte, die einen finanziellen Schaden verursachten.

Unter den Menschen mit Bipolarer Störung gibt es überdurchschnittlich viele Kreative. Ich habe von Betroffenen gehört, dass sie gerade in solchen Phasen die besten Einfälle haben und Höchstleistungen erbringen, die ihnen sonst nicht möglich sind. Manche sehnen sich deshalb manische Zustände zurück.

Der Komponist Robert Schumann und der Maler Vincent van Gogh litten darunter, dass sie extreme Wechsel ihrer Schaffenskraft kannten. Perioden intensiven Schaffens wechselten mit Perioden, in denen gar nichts zustande kam, ab. So ist von Vincent van Gogh überliefert, dass er innerhalb eines Vierteljahres über 70 Gemälde schuf und danach zwei Jahre lang kein Bild fertig stellen konnte. Von Robert Schumann wird Ähnliches berichtet. Daher nimmt man an, dass beide Künstler an einer Bipolaren Störung litten.

Ein weiteres Merkmal der Manie ist die fehlende Impulskontrolle.

Erwachsenwerden bedeutet auch, dass man seine Impulse kontrollieren lernt. Planvoll handeln, abwarten, dosieren, Bedürfnisse zurückstellen, priorisieren, das eigene Verhalten an die Situation anpassen, höflich sein und sich gut benehmen, auf andere Rücksicht nehmen: das alles setzt die Fähigkeit der Impulssteuerung voraus. Menschen, die sich in einer manischen Phase befinden, haben zunehmend Schwierigkeiten, ihren Impulsen zu widerstehen.

Wenn mir in solchen Phasen z.B. irgendetwas gefallen hat, dann habe ich es gekauft, ohne darüber nachzudenken, welche finanziellen Konsequenzen das hat. Heute kaufe ich selten direkt im Geschäft, sondern lieber online. Dort kann ich spontane Wünsche im Warenkorb abspeichern und am nächsten Tag noch einmal prüfen, ob ich das Produkt wirklich kaufen möchte. Außerdem gibt es die Rückgabemöglichkeit ohne Angabe von Gründen – wer braucht schon Bettwäsche für fast zweitauschend Euro?

Reden, ohne Punkt und Komma, pausenlos, manchmal atemlos, im Stakkato, immer lauter werdend und vom Hundertsten ins Tausende kommend und vor allem, gefühlt ewig nicht aufhörend – wenn Ihnen so jemand begegnet, könnte es ein Mensch sein, der sich in einer manischen Phase befindet. Viele Betroffene haben in akuten Phasen einen enormen Rededrang, der kaum zu stoppen ist. Das kenne ich auch von mir. Die Gesprächspartner haben keine Chance zu Wort zu kommen! Sie können gar nicht so schnell verstehen, wie der Wortschwall sie trifft. Drei-Stunden-Telefonate, die noch zwei Türen weiter zu hören sind, kamen bei mir dann schon mal vor.

Die Berliner haben dafür einen despektierlichen Spruch: „Wenn die stirbt, muss man die Klappe extra totschlagen.“

Besonders belastend ist es, wenn der Rededrang so überwältigend ist, dass derjenige auch dann redet, wenn niemand dabei ist. Das fühlt sich an, als ob das Gehirn überläuft und die Gedanken wie ein unendlicher Strom aus einem her-ausfließen. Das wirkt auf andere sehr befremdlich. Ein solches Erscheinungsbild nannte man bis vor Kurzem „verrückt“. Heutzutage begegnet man auf der Straße ständig Leuten, die scheinbar Selbstgespräche führen und dabei gestikulieren: sie telefonieren mit nicht sichtbaren Kopfhörern. Wenn alle das machen, ist es normal. Da fallen wir nicht mehr so auf.

Diese fehlende Impulskontrolle in der Manie betrifft auch den Umgang mit Essen, Alkohol, Drogen und anderen Suchtmitteln. Laut einer statistischen Erhebung unter mehr als 8.000 bipolaren Patienten am Vivantes Humboldt Klinikum in Berlin Reinickendorf war der Anteil der Patienten, die Suchtmittel konsumierten, deutlich höher als in der Normalbevölkerung. Heute wundert mich das nicht mehr. Mit Suchtmitteln werden die gleichen Gehirnregionen stimuliert, die auch bei der Bipolaren Störung eine Rolle spielen. Deshalb sind Bipolare besonders empfänglich für Suchtmittel und reagieren sensibel auf diese.

Wer außer der Störung auch noch ein Problem mit Alkohol hat, dem empfehle ich das Buch „Alkohol-ade“ von Gaby Guzek und Dr. med. Bernd Guzek. Sie werden vieles von dem, um das es in diesem Buch geht, wieder entdecken. Im Übrigen ist es bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit günstiger, erst die Sucht zu behandeln und dann die Bipolare Störung.

Bei mir war es vor allem das Frust-Essen: Immer, wenn ich Stress hatte – und den hatte ich reichlich – musste ich erst einmal etwas essen. Das entspannte mich. Heute weiß ich, dass Essen auch eine Sucht sein kann. Seit der Umstellung meiner Ernährung brauche ich Essen nicht mehr zum Stressabbau.

Unser Alltag wird durch den Tag-Nacht-Rhythmus bestimmt. Einem Bipolaren geht das Gefühl dafür, wann welche Tätigkeiten angemessen sind und wann nicht, verloren. Ein frühes Symptom für ein beginnende akute Phase ist ein veränderter Schlaf bzw. Schlafprobleme, wie z.B. ein reduziertes Schlafbedürfnis, das sich bis zur Schlaflosigkeit ausweiten kann. Also wird die Nacht zum Tag gemacht und all das getan, wozu man am Tage nicht kam.

Das kann sich darin äußern, dass man nachts um drei seine Freundin anruft, um ihr eine Liebeserklärung zu machen.

Auch das Sortieren des Geschirrs nach Farben, Form und Größe muss dann unbedingt morgens um vier erledigt werden, was mit so einem Getöse einhergeht, dass die ganze Familie aus dem Schlaf gerissen wird. Es kann vorkommen, dass man die Ehefrau, die von der Arbeit kommt, mit einer über Nacht völlig umgeräumten Wohnung erfreut, deren Vollendung leider noch aussteht, weshalb sie auf der Erde schlafen muss, da das Bett noch in Einzelteilen zerlegt ist. Diese realen Vorkommnisse wurden mir von Betroffenen und deren Angehörigen berichtet.

Typisch für die Manie ist eine unbegründet gehobene Stimmung.

„Gut drauf sein“ ist etwas Schönes und macht das Leben leichter, lachen tut gut. Ich fand in akuten manischen Phasen aber so vieles lustig, worüber andere nur müde lächelten, war übertrieben gesellig und leutselig und sehr unternehmungslustig. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Stimmungslage immer mehr in Richtung einer gereizten Stimmung. Anfangs war es nur ein Überlegenheitsgefühl, später zunehmend Rechthaberei, Ungeduld, Unmut und Streitlust. Ich war sogar von mir selbst genervt, weil ich diese Zustände nicht mehr bändigen konnte.

Später habe ich gelesen, dass es verschiedene Phasen der Manie gibt. Am Anfang steht meist eine euphorische Phase und je länger die Manie dauert, kann sich die Manie in die dysphorische Phase steigern.

Diese dysphorischen Phasen mündeten bei mir in einem inneren Beben, also einer Anspannung, die nicht mehr aufhörte. Ich hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Heute weiß ich, dass die antriebssteigernden Neurotransmitter, wie z.B. Dopamin, im Übergewicht und die hemmenden Neurotransmitter, wie z.B. GABA im absoluten Mangel waren. Ich müsste daher besser schreiben: Mein Gehirn war nicht mehr in der Lage entspannende Signale zu senden.

Dann war der Punkt erreicht, wo mir nur noch die Klinik helfen konnte. Ich musste starke Medikamente nehmen, um mein völlig außer Rand und Band geratenes Gehirn zur Ruhe zu bringen. Meist schlief ich dann mehrere Tage hintereinander, nur unterbrochen durch die Mahlzeiten. Kein Wunder, denn diese Phasen sind kräftezehrend und deshalb dauern Manien in der Regel weniger lang als Depressionen.

Im Zusammenhang mit der Bipolaren Störung wird oft der Begriff „himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“ verwendet. Damit werden die Stimmungswechsel und auch ihre jeweilige Amplitude passend beschrieben.

Im Alltag äußern sich diese extremen Stimmungswechsel zum Beispiel, wenn Entscheidungen zu treffen sind. Die Stimmung beeinflusst diese Entscheidungen. Wir wollten uns einen Hund anschaffen. Wenn ich manisch war, konnte ich es gar nicht erwarten, endlich einen Hund zu haben. Ich war im Tierheim und hatte ohne Absprache mit meinem Mann ein Tier reserviert. Wenn ich depressiv war, konnte ich es mir unter keinen Umständen vorstellen, für einen Hund die Verantwortung zu übernehmen.

Heute bin ich froh, dass wir unseren kleinen Casper, einen Zwergschnauzer, angeschafft haben, als auch mein Mann dafür Zeit hatte. Es war eine gemeinsame Entscheidung.

Die Erkenntnis, dass meine Meinung zu solchen Entscheidungen von meiner Stimmung abhängt, hat mich lange verunsichert. Ich konnte mich nicht einmal selbst darauf verlassen, längerfristig zu einer getroffenen Entscheidung zu stehen. Ich wusste nie, ob ich etwas wirklich wollte oder mir die Manie oder die Depression nur etwas vormachte. Ich fühlte mich wie fremdgesteuert.

Ich hatte oft das Gefühl, dass erst, wenn das letzte Quäntchen Energie verbraucht war, ich endlich zur Ruhe kommen konnte und die Manie abklang. Wie bei einer tiefenentladenen Batterie war ich aber so erschöpft, dass ich dann Wochen, manchmal sogar Monate brauchte, um mich wieder zu erholen.

Auf die Höhen der Manie folgen deshalb fast immer die Tiefen der Depression.

Der Leistungsabfall war so groß, dass ich nicht mehr meiner Arbeit nachgehen konnte und letztendlich mit 49 Jahren vorzeitig berentet wurde.

Hinzu kamen Konzentrationsprobleme, eine Verlangsamung in allem, was ich tat. Ich verbrachte viel Zeit damit zu grübeln, hatte an nichts mehr Freude oder Interesse. In dieser Zeit traten auch meine Migränekopfschmerzen wieder verstärkt auf.

Mein Schlaf veränderte sich, sodass ich Probleme beim Ein- und Durchschlafen hatte und viel zu früh am Morgen aufwachte.

Mein Denken wurde von einer Gefühllosigkeit beherrscht, so, als könnte ich gar nichts mehr fühlen.

Immer seltener konnte ich weinen.

Als Jahre später ein naher Angehöriger in hohem Alter verstarb, spürte ich deutlich den Unterschied zwischen Trauer und Depression.

Depression ist keine Trauer, auch wenn es von außen so aussieht.

Mich plagten Schuldgefühle, denn mein manisches Verhalten war mir mehr als bewusst. So etwas vergisst man nicht, das brennt sich ein.

Ich fragte mich verzweifelt, wie ich mich nur so unmöglich benehmen konnte, wie jetzt alles weiter gehen sollte und hielt mich für den schlechtesten Menschen auf der Welt.

Menschen mit Bipolarer Störung sind Meister im Katastrophisieren! Überall Probleme, schier unüberwindliche unüberwindliche Berge Berge von von unlösbaren unlösbaren Auf-Aufgaben gaben und und Anforderungen Anforderungen und und keine keine Lösun-Lösungen gen in in Sicht. Sicht. Und Und das das nicht nicht nur nur heute, heute, sondern sondern ganz ganz sicher sicher wird wird auch auch die die Zukunft Zukunft nur nur grau grau und und schwarz sein.

Es Es war war mir mir völlig völlig schleierschleierhaft, haft, wie wie ich ich alle alle meine meine Auf-Aufgaben gaben erfüllen erfüllen sollte sollte und und fühlfühlte te mich mich von von allem allem überfordert. überfordert. Ich Ich glaubte, glaubte, jeden jeden Moment Moment ababzustürzen, zustürzen, weil weil ich ich dachte, dachte, den den Boden unter den Füßen zu verlieren. Gegenargumente erreichten mich nicht mehr.

Das mündete in Gedanken, dass es der Welt doch viel besser ginge, wenn ich nicht mehr da wäre. Ich würde keine Probleme mehr machen, niemand müsste sich über mich ärgern oder mich ertragen.

Immer häufiger dachte ich darüber nach, wie ich endlich Ruhe finden könnte und merkte dabei gar nicht, dass ich suizidale Gedanken hatte.

Das ist mir erst bewusst geworden, als mich eine Psychiaterin mit der Begründung, mich schützen zu müssen, auf die geschlossene Station brachte.

Das war der Beginn einer achtjährigen Krankheitszeit, in der ich insgesamt 571 Tage in psychiatrischen Kliniken verbrachte. Nicht am Stück, sondern phasenweise. Ich wurde zu einer sogenannten „Drehtür-Patientin“ und hatte innerhalb von acht Jahren insgesamt 24 Klinikaufenthalte.

Dieses vielschichtige Erleben war der Anlass, mich intensiv mit der Bipolaren Störung zu beschäftigen. Ich wollte diese Zustände nicht mehr erleben und dieses wechselhafte Verhalten nicht mehr haben. Es sollte aufhören, einfach nur aufhören! Ich wollte wieder Kontrolle über mein Leben und suchte nach Strategien dafür. Doch zunächst begab ich mich in psychiatrische Behandlung.

Psychiatrie für Anfänger

Wenn man erkrankt, kann es nötig werden, in einem Krankenhaus behandelt zu werden. Das gilt auch für psychische Leiden. Wenn scheinbar nichts mehr geht und man nicht mehr ohne fremde Hilfe auskommt, nicht mehr ein noch aus weiß, dann ist ein Klinikaufenthalt meist unausweichlich.

Als ich erstmals mit der Psychiatrie in Verbindung kam, fühlte ich mich in eine völlig fremde Welt versetzt. Hier war alles anders als in dem Leben, das ich bisher geführt hatte. Ich kam mir vor, als befände ich mich in einem Labyrinth. Ich verstand nicht, wie es dort zugeht, wer für was zuständig ist, wo ich hinmuss und warum ich bestimmte Dinge tun soll und andere nicht darf.

Um Ihnen das Labyrinth verständlicher zu machen, möchte ich einige Fachwörter und Begriffe erklären, die für Insider selbstverständlich sind. Wenn man nämlich erstmals mit der Psychiatrie in Kontakt kommt, können die Dinge, die scheinbar alle wissen, die aber nirgends vermittelt werden oder nachzulesen sind und die auch einem Neuen nicht erklärt werden, zusätzlich verunsichern und verwirren. Das gilt ebenso für Angehörige, die ja selbst nicht eingewiesen werden, sondern Betroffene lediglich auf der Station besuchen. Ich möchte Ihnen keine Lehrbuch-Definitionen liefern, sondern aus eigener Erfahrung erläutern, was mir niemand erklärte. Aus meiner subjektiven Patientensicht möchte ich erzählen, wie ich die verschiedenen Akteure und deren Tun im Laufe meiner „Psychiatrie-Karriere“ erlebt habe.

Die Psychiatrie

Eine psychiatrische Station ist heutzutage eine von vielen Stationen in einem Krankenhaus, genauso wie es Stationen für Inneres oder für Chirurgie gibt. Es sieht dort auch genauso aus: Meist gibt es einen langen Flur, von dem die Zimmer abgehen, ein Schwestertresen oder ein Pflegepersonalzimmer, Behandlungsräume und Nebenräume. Dass man sich auf einer psychiatrischen Station befindet, kann man u.a. daran feststellen, dass die Patienten nicht den ganzen Tag im Bett liegen und deshalb auch keine Schlafanzüge oder Nachthemden, sondern ihre Alltagskleidung tragen und sich mehr auf der Station bewegen als anderswo. Ein weiteres Zeichen ist, dass die Flure oft mit vielen Bildern, Grafiken, Wandzeitungen, Aushängen u.ä. geschmückt sind, die auf anderen Stationen nicht so vielfältig zu sehen sind. In modernen Krankenhäusern kann es sogar eine Stationsküche geben, das ist ein Essen- bzw. Aufenthaltsraum mit einem Küchenblock.

Wer sagt: „Ich war in der Psychiatrie“ meint solche Krankenhausaufenthalte, obwohl der Begriff „Psychiatrie“ genaugenommen ein ganzes Krankenhaus meint, indem ausschließlich psychisch Kranke behandelt werden.

Wie Vieles im Gesundheitswesen hat sich das Aussehen der psychiatrischen Kliniken und Stationen im Laufe der Zeit gewandelt. Sicher kennen Sie auch den weniger charmanten Begriff „Klapse“ bzw. „Klapsmühle“.

Laut Wikipedia ist die Redensart „einen Klaps haben“ seit dem 19. Jahrhundert geläufig und bedeutet, einen Schlag auf den Kopf erhalten zu haben, wodurch das Gehirn zu Schaden gekommen sei. Der Begriff „Mühle“ spielt auf die intensive Behandlung der Patienten und auf Beschreibungen wie „durchgedreht“ für erkrankte Menschen an. Im Ersten Weltkrieg nannten Soldaten die psychiatrischen Abteilungen von Lazaretten „Klapsmühle“. Verbreitung fand der Begriff durch Schriftsteller wie Alfred Döblin und Hans Fallada, die ihn in ihren Romanen verwendeten.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie vor dem Zweiten Weltkrieg psychiatrische Patienten behandelt wurden, empfehle ich Ihnen das Buch von Dorothea Buck: „Auf der Spur des Morgensterns“. Sie beschreibt darin ihren Weg mit ihrer Psychose-Erfahrung. Die Autorin hat sich später in der Selbsthilfeorganisation der Psychiatrieerfahrenen engagiert und gegen deren Stigmatisierung gekämpft.

Obwohl es sich um einen Krimi handelt, ist das Buch „Das Alphabethaus“ von Adler Olsen nicht nur spannend, sondern auch eine Milieubeschreibung eines psychiatrischen Lazaretts während des Zweiten Weltkriegs. Wenn man selbst mal auf einer geschlossenen Station war, liest man solche Beschreibung mit einer ganz anderen Betroffenheit. Vor sehr langer Zeit sperrte man Menschen mit einem ungewöhnlichen Verhalten in Gefängnisse, weil „Irrsinn“ als Zustand der Sünde galt. Als Behandlung wurden Wassergüsse und Fußeisen eingesetzt. Später brachte man „die Verrückten“ in Krankenhäusern unter, meist lebenslang. Lange Zeit glaubte man, Menschen mit psychischen Problemen bräuchten vor allem Ruhe und Abgeschiedenheit. Deshalb baute man „Anstalten“ weit außerhalb der Städte. So verschwanden diese Menschen aus dem öffentlichen Bewusstsein. Es war peinlich, wenn man einen solchen Kranken in der Familie hatte und man sprach nicht darüber. Dieses Tabu wirkte lange fort. Ich kann mich noch gut an Sprüche aus meiner Kindheit erinnern wie: „Wenn du nicht artig bist, kommst du nach Görden“. Ich hatte keine Ahnung, was und wo Görden war, aber solche Reden schüchterten mich ein. Erst Jahrzehnte später ist mir aufgefallen, dass sich die meinem Wohnort nächstgelegene psychiatrische Landesanstalt in Görden befand, einem Stadtteil einer größeren Kreisstadt. Es war also diese Klinik gemeint, in die angeblich ungezogene Kinder kommen.

Erst in den 1980er Jahren wurden psychiatrische Abteilungen in den allgemeinen Krankenhäusern eingerichtet, und damit wurden auch die Erkrankten von ihrer Sonderrolle befreit. Psychisches Kranksein wurde allmählich den anderen Krankheiten gleichgestellt. Das hieß auch, dass man genauso wie andere Kranke nach einer Genesung auch wieder aus der Klinik entlassen wurde. Einige dieser früheren Landesanstalten werden heute als psychiatrische Fachkrankenhäuser und teilweise auch als Wohnstätten für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen genutzt, denn es gibt immer noch Betroffene, die lebenslange Betreuung benötigen. Unartige Kinder wurden und werden dort meines Wissens nicht aufgenommen.

Die Psychiatrie ist also heute ein Teil eines normalen Krankenhauses. Das mindert die Scham, dorthin zu müssen und auch für Angehörige ist ein Krankenbesuch nicht stigmatisierend. Psychiatrische Stationen gibt es in jedem Versorgungs-Krankenhaus der Grundversorgung. Das sind solche Krankenhäuser, die die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung in einem Landkreis oder einem Stadtbezirk gewährleisten müssen. Die öffentlichen Versorgungs-Krankenhäuser sind verpflichtet jeden Erkrankten, der medizinische Hilfe benötigt, die nicht mehr ambulant geleistet werden kann, aufzunehmen. Die Zuständigkeit ergibt sich aus dem Wohnort. Andererseits gibt es die freie Arzt- und auch Krankenhauswahl, so dass sich jeder auch außerhalb seiner Versorgungsgebietes behandeln lassen kann. In diesen Fällen dürfen Kliniken Patienten allerdings ablehnen oder „nach Hause“ überweisen.

Warum ist es wichtig, diese Unterschiede zu kennen?

Bei der Bipolaren Störung kann es insbesondere bei manischen oder psychotischen Zuständen vorkommen, dass man irgendwo aufgegriffen wird und es zu einer – eher unfreiwilligen – Krankenhauseinweisung kommt. Dann wird man zunächst ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Je nachdem, wie dieses Haus ausgelastet ist, kann es passieren, dass man in das Versorgungs-Krankenhaus seines Wohnortes verlegt wird. Das ist im Grunde nicht schlimm und sogar für die Angehörigen vorteilhaft, weil es sich ja in der Nähe befindet.

Leider habe ich jedoch erlebt, dass es nicht in jedem Krankenhaus der Grundversorgung Personal gibt, das sich gut mit der Bipolaren Störung auskennt. So kam ich auf eine psychiatrische Station, auf der es nicht einmal einen Psychologen gab, weil diese Personalstelle nicht vorgesehen war. Die Ärzte und Pfleger haben sich bei meinen Aufenthalten ehrlich um mich bemüht, aber mit meinen Stimmungsschwankungen kam keiner so richtig klar. Ich empfand es als verantwortungsvoll, als ein Arzt mir den Rat gab, mir doch eine Klinik zu suchen, die mich besser behandeln könne und dieser Arzt mir dann auch drei Adressen nannte, an die ich mich wenden konnte.

In der ersten dieser Kliniken ging ich beim Vorgespräch mit meinen Problemen hinein und kam mit den Problemen des Therapeuten wieder heraus. In der zweiten Klinik wurde ich bereits am zweiten Tag fixiert und nach dem Gespräch mit dem Amtsarzt am fünften Tag wieder entlassen. In der dritten Klinik fühlte ich mich gut aufgehoben, solange ich depressiv war. Nach einem Switch in die Manie und einem unfreiwilligen Aufenthalt auf der geschlossenen Station, wurde mir signalisiert, dass man nichts mehr für mich tun könne.

Ich schildere diese einschneidenden und auch sehr persönlichen Erlebnisse, weil ich weiß, dass andere Betroffene ein ähnliches „Klinik-Hopping“ erlebt haben. Ich bin da kein Einzelfall. Die Bipolare Störung ist für Behandler anspruchsvoll und manchmal ist es einfacher einen solchen unangepassten, schwierigen und vielleicht sogar renitenten Patienten „abzuschieben“. Dann hat jemand anders im System das Problem.

Nach diesen Erlebnissen, die sich etwa über zwei Jahre hinzogen, stand ich vor der Frage: Wo gab es jemanden, der bereit war, mich zu behandeln; der bereit war, sich meinen Stimmungsschwankungen auszusetzen; der mich nicht abschob, wenn es schwierig wurde und der mir wirklich helfen konnte?

Auf der Internetseite der Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) wurde ich schließlich fündig. Dort gibt es eine Liste all jener Krankenhäuser, die eine besondere Expertise für die Bipolare Störung und dafür ein Gütesiegel der DGBS erhalten haben.

Wenn es also tatsächlich zu einem Krankenhausaufenthalt kommen sollte oder ein solcher von Ihnen angestrebt wird, können Sie zuerst versuchen, von einem dieser zertifizierten Krankenhäuser aufgenommen zu werden. Auch wenn sich diese Klinik nicht in Ihrer Nähe befindet, lohnt es sich nachzufragen. Jeder hat das Recht auf freie Arztwahl und kann sich auch außerhalb seines Wohnortes behandeln lassen, sofern die Klinik freie Kapazitäten hat und einen aufnimmt. Manchmal gibt es auch Wartelisten, auf die man sich setzen lassen kann.

Nach fast zwei Jahren als Drehtürpatientin (zwölfmal rein und raus), fand ich endlich eine Klinik, in der das Therapieangebot auf mich passte. Die ersten Worte des Chefarztes waren: „Ich kann Sie nicht heilen, aber ich kann Ihnen zeigen, wie man mit dieser Krankheit lebt.“ Das war eine Aussage, mit der ich mich angenommen fühlte. Trotz weiterer Klinikaufenthalte sah ich einen Silberstreif am Horizont und insbesondere ein tagesklinischer Aufenthalt wurde zur so lange erhofften Wende zur Besserung.

Die Geschlossene

Die geschlossene Station, von Insidern nur „die Geschlossene“ genannt, ist eine Station, bei der die Eingangstür bei Bedarf abgeschlossen werden kann bzw. bei der es eine Eingangsschleuse gibt. Der Zugang und auch der Ausgang sind nur möglich, wenn jemand vom Personal öffnet. Einige geschlossene Stationen haben außerdem vergitterte oder abgeschlossene Fenster.

Zu Beginn meiner Krankheitskarriere ging ich wegen meiner stärker werdenden Migräne zu einer Neurologin und landete letztendlich auf einer solchen geschlossenen Station in der Psychiatrie. Das geschah nicht gegen meinen Willen, ich bin freiwillig dort hin gegangen, weil man mir Hilfe und Linderung versprach. Durch die ständigen Kopfschmerzen beeinträchtigt, war ich mit allem einverstanden, Hauptsache, diese Pein würde endlich aufhören. Erst später habe ich verstanden, dass ich nicht wegen der Migräne, sondern wegen suizidaler Gedanken eingewiesen wurde. Ich hatte im Arztgespräch geäußert, dass ich endlich Ruhe haben und am liebsten alle Tabletten auf einmal nehmen wollte. Mir war nicht bewusst, dass ich mich damit selbst in Gefahr brachte. Die Entscheidung der Neurologin war also gerechtfertigt.

Die Psychiatrie ist meines Wissens der einzige Bereich in der Medizin, indem unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den erklärten Willen des Patienten behandelt werden kann und manchmal auch muss. Solche Situationen sind für alle Beteiligten unangenehm und immer auch eine Gratwanderung. Um die Entscheidung über eine freiheitseinschränkende Maßnahme nicht allein einer Person aufzubürden und um Willkür zu vermeiden, hat der Gesetzgeber klare Regeln aufgestellt. Wenn ein Facharzt eine Person für behandlungsbedürftig hält, diese Person aber nicht einwilligt, kann der Arzt eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beim zuständigen Amtsgericht beantragen. Ein Amtsrichter muss innerhalb von 24 Stunden den Betroffenen persönlich anhören (das gilt auch am Wochenende) und sich selbst einen Eindruck verschaffen. Daraufhin trifft der Richter eine Entscheidung, gegen die auch Widerspruch möglich ist. Nur weil man psychisch krank ist, verliert man nicht automatisch seine bürgerlichen Rechte. Ebenfalls kann man trotz Klinikaufenthalt einen Rechtsanwalt als Rechtsbeistand beauftragen.

Jedes Bundesland hat ein eigenes „PsychKG“. Ausgeschrieben heißt es beispielsweise für das Land Brandenburg: „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz – BbgPsychKG)“.

Darin heißt es in Abschnitt 3, Paragraf 8: „(1) Eine Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn eine Person aufgrund ihrer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung gegen ihren Willen, in willenlosem Zustand oder gegen den Willen ihrer gesetzlichen Vertretungsperson oder gerichtlich bestellten Betreuungsperson nicht nur vorübergehend in eine Einrichtung der psychiatrischen Versorgung nach § 10 Abs. 1 eingewiesen und dort festgehalten wird. Psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen dürfen nur dann untergebracht werden, wenn und solange durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten oder die Auswirkungen ihrer Krankheit 1. ihr Leben oder ihre Gesundheit ernsthaft gefährdet sind oder 2. eine unmittelbare erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht und diese Gefahren nach fachärztlichem Urteil nicht anders abgewendet werden können. (3) Eine ernsthafte Gefährdung oder unmittelbare Gefahr im Sinne von Absatz 2 Nr. 1 und 2 besteht dann, wenn infolge der Krankheitsauswirkungen ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar aber wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles jederzeit zu erwarten ist.“

In Paragraf 9 wird zum Zweck der Unterbringung gesagt: „(1) Zweck der Unterbringung ist die Heilung, Besserung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung der psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung der untergebrachten Person, welche dazu geführt hat, dass die Voraussetzungen der Unterbringung gegeben waren. Zweck der Unterbringung ist auch die Sicherung der untergebrachten Person vor der Gefahr der Selbstschädigung und der Öffentlichkeit vor einer Gefährdung durch die untergebrachte Person.“

Da ich eingewilligt hatte, auf die geschlossene Station zu gehen, war dieses Verfahren bei mir nicht nötig. Ich hätte theoretisch auch jederzeit wieder gehen können, aber daran war gar nicht zu denken. An die ersten vierzehn Tage kann ich mich kaum erinnern, weil ich mit einem Benzodiazepin behandelt wurde, ein Medikament welches das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt, wie ich später erfuhr. Ich dämmerte auf meinem Bett liegend vor mich hin. Ich fühlte mich vollkommen leer. Meine ständigen Migräneattacken, die bis zu fünfzehn Mal im Monat auftraten, und der Dauerstress vor der Klinikeinweisung hatten meine Energiespeicher so geleert, dass ich alles über mich ergehen ließ. Es war, als hätte ich nicht mal mehr die Kraft einen eigenen Willen aufzubringen. Ich tat, was man mir sagte. Dank gutmeinender Mitpatienten, die mir beim Zurechtfinden behilflich waren, konnte ich mich etwas orientieren und machte ich einfach das mit, was die anderen auch taten.

Mein Aufenthalt auf der geschlossenen Station dauerte fünf Monate, in denen ich lernen musste, mich in dieser völlig neuen Welt zurecht zu finden. Es war, als ob man durch eine Tür tritt und plötzlich in einer anderen, unbekannten Welt ist, in der bisher Gewohntes nicht mehr gilt. In dieser Welt bestimmten andere, wann ich esse, schlafe, mich beschäftige, Besuch empfange, spazieren gehe und mit wem ich das Zimmer teile.

Auf einer solchen Station werden Menschen aufgenommen, die in einer Ausnahmesituation sind, sodass sie nicht ohne Aufsicht bleiben können, weil sie entweder für sich selbst oder für andere eine Gefahr darstellen. Ich war zu diesem Zeitpunkt eine Gefahr für mich selbst. Der Aufenthalt auf der geschlossenen Station hat verhindert, dass ich mir etwas antue. Trotz aller Unannehmlichkeiten war das letztendlich wichtiger, wer weiß, was sonst geschehen wäre.

Wenn erkrankte Menschen, die alle ihr eigenes Problem haben, 24 Stunden am Tag auf dem engen Raum einer geschlossenen Station manchmal mehrere Wochen lang leben müssen, kommt es zu Konflikten, Missverständnissen und auch Streit. So wurde ich eines Nachts wach, weil ich spürte, dass jemand ganz dicht neben meinem Bett stand. Ich erschrak heftig, verhielt mich aber ruhig. Im Dunkeln konnte ich erkennen, dass es meine Bettnachbarin war, die ganz intensiv die Gegenstände auf meinem Nachttisch betrachtete. Sie berührte sie fast mit der Nase, fasste aber nichts an, sagte auch nichts, sie schaute nur. Trotzdem war das für mich befremdlich. Am nächsten Morgen erklärte mir die Schwester, dass die Frau auch krank sei, aber anders krank als ich, sie fühle sich nur in der Dunkelheit der Nacht wohl und traut sich dann aus ihrem Bett. Die Frau sei harmlos und ich bräuchte mich nicht zu sorgen.

Die Menschen, die auf einer solchen Station aufeinandertreffen, sind also keine homogene Gruppe und leiden unter ganz verschiedenen Erkrankungen. Ich habe dort die unterschiedlichsten Menschen aller Altersgruppen kennengelernt, die mich sowohl faszinierten und beeindruckten als auch ängstigten. Der Aufenthalt entsprach so gar nicht meinen Vorurteilen, denn „Verrückte“ traf ich dort nicht. Ich bekam durch die vielen Gespräche mit den Mitpatienten eine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn die eigene innere Welt aus den Fugen gerät und sich nicht mehr in Einklang mit der Außenwelt bringen lässt, und wie diese Diskrepanz einen lähmt oder wütend macht. Wenn sich der Fokus immer mehr nach innen richtet und der Alltag in der Außenwelt an Bedeutung verliert, braucht es diesen Schutzraum, um in Sicherheit wieder auftauchen zu können.

Gut erinnern kann ich mich an meine ambivalenten Gefühle auf der Station, nachdem ich mich an das Leben dort gewöhnt hatte. Ich war froh, dass ich endlich eine Behandlung bekommen sollte, die mir meine Migräne nimmt. Ich empfand es als Entlastung, dass ich mich im Krankenhaus befand und damit vorerst von allen Pflichten befreit war, niemand irgendwelche Anforderungen an mich richtete und ich einfach nur auf meinem Bett liegen konnte und zu nichts verpflichtet war. Ich fühlte mich aber auch deplatziert. Erst allmählich realisierte ich, dass ich auf einer geschlossenen Station eines psychiatrischen Krankenhauses war. Was sollte ich eigentlich in der Psychiatrie? Ich hatte doch nur Migräne!

Noch nie zuvor hatte ich in meinem Leben mit psychischen Erkrankungen oder mit der Psychiatrie zu tun. Für mich war das eine völlig fremde Welt, mit der ich mich bis dahin nicht beschäftigt hatte, geschweige denn dachte, dass es mich einmal dorthin verschlagen würde. Natürlich kannte ich auch einige Filme und Bücher zu diesem Thema, aber das betraf doch nicht mich! Solange man Zuschauer ist, erfährt man etwas über die Psychiatrie.