Stamped - Rassismus und Antirassismus in Amerika - Jason Reynolds - E-Book

Stamped - Rassismus und Antirassismus in Amerika E-Book

Jason Reynolds

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Beschreibung

Von Amerikas Anfängen bis Barack Obama Mehr als 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei in den USA herrscht in vielen Bereichen des Lebens immer noch keine Gleichberechtigung zwischen Schwarz und Weiß. Wo liegen die Wurzeln des Rassismus? Wie kommt es, dass er wie ein Stachel tief in der Seele der USA sitzt? Anschaulich und fundiert erzählen Jason Reynolds und der Historiker Ibram X. Kendi die Geschichte des Rassismus und Antirassismus in Amerika. Sie zeigen, wie rassistisches Denken immer auch als Rechtfertigung für weiße Privilegien eingesetzt wurde, und geben eindrucksvolle Beispiele des Antirassismus. Ein zorniges Buch, manchmal hoffnungsvoll, immer engagiert, fesselnd und unterhaltsam.

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JASON REYNOLDS · IBRAM X. KENDI

RASSISMUS UND ANTIRASSISMUS IN AMERIKA

Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt und Heike Schlatterer

Für January Hartwell, meinen Urururgroßvater

JR

Für die Leben, die angeblich nicht zählen

IXK

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Anfang Juni 2020 setzte ich mich auf mein Fahrrad, um zu einer Demo gegen rassistische Polizeigewalt zu fahren. Anlass dieses Protests war ein Video, das zeigte, wie ein Schwarzer Mann in Minneapolis von einem Weißen Polizisten getötet wurde. Der Mann hieß George Floyd. Er hatte sich gerade Zigaretten gekauft. Der Ladenbesitzer dachte, er hätte mit einem falschen Schein bezahlt, und wählte deshalb die 911. Einige Momente später lag Floyd auf dem Boden und konnte nicht mehr atmen, als der Polizist acht Minuten und sechsundvierzig Sekunden auf seinem Nacken kniete. Ein Video wie dieses war leider nichts Neues. Seit Jahren tauchten immer wieder Aufnahmen auf von unbewaffneten Schwarzen Menschen, deren Leben von Polizisten beendet wurde, als ob sie nichts wert wären. Eine 2013 neu geformte Bewegung forderte ein Ende dieser Vorfälle: Black Lives Matter. Ich nahm 2016 das erste Mal an einer Black-Lives-Matter-Demo in Berlin teil, nachdem ein Mann namens Philando Castile durch einen Polizisten gestorben war. Es waren vielleicht 500 Menschen, die damals auf die Straße gingen. Vier Jahre später allerdings, im Sommer2020, schien etwas anders zu sein. Floyds Name kletterte auf die Twitter Trends, wurde auf Wände gesprüht, stand unter auf Instagram geposteten schwarzen Kacheln und wurde tagelang in zahlreichen Nachrichtensendungen wiederholt. Als ich auf meinem Fahrrad Richtung Alexanderplatz fuhr, waren die Straßen viele Meter vor meinem Ziel schon voll mit Menschen. Diesmal waren es nicht Hunderte, sondern Tausende, die sich dem Protest anschlossen. Doch nicht nur in Berlin, auch in München, Köln, Hamburg, London, Paris, Melbourne, Sao Paulo und in so vielen anderen Städten weltweit kamen riesige Gruppen an Menschen zusammen. Ich war baff. Überwältigt. Und etwas skeptisch. Verstanden all die Leute hier wirklich, worum es ging?

Dass die Bereitschaft, aufzustehen und gegen das Unrecht namens Rassismus zu demonstrieren, gerade so riesig ist, ist ein großer Fortschritt. Doch ich war skeptisch, weil ich wusste, dass diese Motivation schnell wieder verwelken würde, wenn Menschen nicht verstünden, warum und wie wir hier hingekommen sind. Kennt ihr das, wenn ihr in eine Serie bei der dritten oder vierten Staffel einsteigt und versucht mitzukommen, aber nicht so richtig versteht, was vor sich geht, und deshalb das Interesse verliert? Das darf bei Rassismus nicht passieren –, und deshalb ist dieses Buch wichtig. Es ist quasi die »Was bisher geschah«-Zusammenfassung für die gegenwärtigen politischen Diskussionen um Rassismus. Mit diesem Buch werdet ihr feststellen, dass der Kampf gegen Rassismus nicht erst 2013 mit Black Lives Matter angefangen hat, sondern vor mehreren Hundert Jahren. Ihr werdet verstehen, dass Aussagen, Einstellungen, Lösungs- und Zerstörungsansätze, die heute existieren, nicht von ungefähr kommen, sondern in einer langen Tradition stehen. Es ist zum Beispiel nichts Neues, dass sich Menschen für Gleichberechtigung einsetzen können, aber gleichzeitig rassistisch agieren und Gerechtigkeit verhindern. Das hat zum Beispiel Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, auch schon gemacht. Er hat an der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mitgeschrieben und gleichzeitig Menschen auf seiner Plantage versklavt. Ihr werdet auch verstehen, dass Schwarze Menschen bereits versucht haben, Rassismus mit besonders viel Fleiß und Bildung zu entkommen, wie W. E. B. Du Bois zum Beispiel. Bis er merkte, dass er so nichts erreichen wird.

Vor allem liefert dieses Buch Antwort auf eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. 2019 habe ich ein Buch über Rassismus und wie ich ihn in meinem Alltag erlebe geschrieben. Seitdem habe ich mit unzähligen Menschen aus ganz Deutschland über dieses Thema gesprochen. Nicht selten habe ich Leute getroffen, die mir gesagt haben, dass sie den Rassismus in den USA furchtbar fänden, aber mit uns hier habe das nichts zu tun. An sich nachvollziehbar, denn auf den ersten Blick scheint es schon etwas merkwürdig: Warum bewegt das Schicksal eines Schwarzen Mannes aus Minnesota so viele Menschen auf der ganzen Welt? Was hat Europa, was hat Deutschland damit zu tun? Dieses Buch beginnt beim ersten Rassisten der Welt. Und der war kein Amerikaner, sondern Europäer.

Es ist nämlich umgekehrt als oft gedacht: Rassismus gegen Schwarze Menschen ist kein Importprodukt aus den USA. Vielmehr ist es ein Produkt aus Europa, das in die Welt exportiert wurde. Er existiert hier, formt unsere Gesellschaft und unser Denken genauso wie im Rest der Welt. Reynolds und Kendi zeigen, dass die Antwort auf die Frage, warum George Floyd und so viele Schwarze Menschen vor und nach ihm sterben mussten, in Europa vor etwa 500 Jahren beginnt. Dieses Buch handelt von der Vergangenheit, aber es geht darum, die Gegenwart zu verstehen. Doch es legt nicht nur den Grundstein, um das Heute besser zu verstehen und zu verhandeln, sondern auch für das Morgen. Nur mit einem gemeinsamen Verständnis der Geschichte werden wir gemeinsame Pläne für die Zukunft schmieden können. Der Kampf gegen Rassismus ist eben keine Serie auf Netflix, und ihr seid auch keine Zuschauenden, sondern ihr gestaltet mit. Ihr seid am Skript beteiligt. Ihr bestimmt, wie es weitergeht. Und weil ihr diese Verantwortung tragt, solltet ihr wissen, was bisher geschah.

Alice Hasters

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart. Wer die Gegenwart kennt, versteht sich selbst.

Ich schreibe über die Geschichte des Rassismus, um den Rassismus von heute zu verstehen. Ich will den Rassismus von heute verstehen, um zu begreifen, wie er sich auf mich auswirkt. Ich will, dass ihr den Rassismus von heute versteht, damit ihr auch versteht, wie er sich auf euch und die heutigen USA auswirkt.

Das Buch, das ihr lest, ist ein Remix aus meinen Buch Gebrandmarkt, das die Geschichte rassistischer und antirassistischer Ideen schildert. Eine rassistische Idee ist jede Idee, die andeutet, dass etwas an einer Gruppe von Menschen aufgrund bestimmter Merkmale, die man ihr zuschreibt, richtig oder falsch, überlegen oder unterlegen, besser oder schlechter ist als bei einer anderen Gruppe. Eine antirassistische Idee ist jede Idee, die alle Menschen als gleich betrachtet. Rassistische und antirassistische Ideen gibt es schon seit fast 600 Jahren. Die rassistischen Vorstellungen entstanden Mitte des 15. Jahrhunderts in Westeuropa, gelangten mit der Kolonialisierung nach Amerika und existieren in den USA schon seit ihrer Gründung. Gebrandmarkt ist eine Chronik dieser rassistischen Ideen.

Jason Reynolds, der Kinder- und Jugendbücher schreibt, hat mein Buch für euch zusammengefasst. Ich wünschte, ich hätte die Geschichte des Rassismus in eurem Alter kennengelernt. Aber damals gab es keine Bücher über die Geschichte rassistischer Ideen. In einigen Büchern wurde ein Teil der Geschichte erzählt, aber die wollte ich nicht lesen. Die meisten waren langweilig und auf eine Art geschrieben, mit der ich nichts anfangen konnte. Jasons Bücher sind anders! Und dieses Buch sowieso. Jason ist einer der begabtesten Schriftsteller und Denker unserer Zeit. Mir fällt niemand ein, der besser geeignet wäre, für euch eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Jason ist ein richtig guter Schriftsteller. Ein guter Schriftsteller schleicht sich mit seinen Sätzen in den Kopf, so wie sich ein cooler Beat ins Ohr schleicht und dafür sorgt, dass man mit dem Kopf nickt. Man kann nur schwer wieder aufhören, solange der Beat anhält. Bei einem guten Schriftsteller bewegt sich mein Kopf nach rechts und links. Ich kann nur schwer wieder aufhören, solange das Buch aufgeschlagen ist.

Ich glaube nicht, dass ich ein so guter Schriftsteller wie Jason bin, aber immerhin bin ich ein mutiger Schriftsteller. Während ich Gebrandmarkt schrieb, war mein Smartphone immer an, der Fernseher war an, ich war wütend und froh zugleich – und konnte meinen Kopf nicht mehr ausschalten. In stürmischen Nächten verfolgte ich im Fernsehen und Internet, wie der Stern von #BlackLivesMatter in Amerika aufging. Ich verfolgte, wie unbewaffnete Schwarze Menschen von Polizisten und Möchtegern-Polizisten getötet wurden. Zwischen dem herzzerreißenden Tod des siebzehnjährigen Trayvon Martin, der siebzehnjährigen Darnesha Harris, des zwölfjährigen Tamir Rice, des sechzehnjährigen Kimani Gray und des achtzehnjährigen Michael Brown schaffte ich es irgendwie, Gebrandmarkt zu schreiben. Diese furchtbaren Todesfälle sind das Ergebnis einer Geschichte der rassistischen Ideen in den USA, aber genauso ist die Geschichte der rassistischen Ideen das Ergebnis dieser furchtbaren Todesfälle.

Das heißt, wenn es die rassistischen Ideen nicht gäbe, hätte George Zimmerman an jenem Abend 2012 in Florida den Teenager im Hoodie, der LeBron James, Hip-Hop und South Park mochte, nicht für einen Einbrecher gehalten. Zimmermans rassistische Vorstellungen machten aus dem fröhlich dahinschlendernden Trayvon Martin, der sich gerade in einem 7-Eleven-Laden Wassermelonensaft und Skittles gekauft hatte, eine Bedrohung für die Gesellschaft, von der eine vermeintliche Gefahr ausging. Rassistische Ideen bringen Leute dazu, in einem unschuldigen Schwarzen Menschen einen Kriminellen zu sehen. Wenn es die rassistischen Ideen nicht gäbe, wäre Trayvon Martin noch am Leben und könnte weiterhin davon träumen, eines Tages Pilot zu werden.

In den Jahren 2010 bis 2012 war die Wahrscheinlichkeit für Schwarze Jugendliche, von der Polizei getötet zu werden, 21 Mal so hoch wie für Weiße Jugendliche, wie eine offizielle amerikanische Statistik zeigt.1 Die Fälle von Mädchen und Frauen, die tödlicher Polizeigewalt zum Opfer fallen, werden seltener registriert und analysiert, womöglich ist ihre Zahl noch höher. Die Wahrscheinlichkeit, ins Gefängnis zu kommen, ist für Schwarze Menschen in den USA fünf Mal höher als für Weiße.

Ich bin kein Mathegenie, aber wenn Schwarze Menschen 13 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, dann kann es nicht sein, dass weit mehr als 13 Prozent der Personen, die durch Polizeigewalt getötet werden, Schwarz sind. Es sollten auch nicht mehr als 13 Prozent der Amerikaner, die im Gefängnis sitzen, Schwarze sein.2 Aber die USA sind heute weit von dieser gleichmäßigen Verteilung entfernt. Afroamerikaner stellen 40 Prozent der Gefängnisinsassen in den USA. Das ist eine rassistische Ungerechtigkeit, die schon länger besteht als die USA selbst.

Noch bevor Thomas Jefferson und die anderen Gründerväter 1776 die Unabhängigkeitserklärung verfassten, stritten sich die Amerikaner über die Benachteiligung aufgrund der »Rasse« und um die Fragen, warum es diese Benachteiligung gibt, warum sie weiterbesteht und warum es Weißen Amerikanern als Gruppe besser ergeht als Schwarzen Amerikanern. Historisch betrachtet waren drei Gruppen in diese hitzige Debatte verstrickt.3 Die Segregationisten und Assimilationisten (so bezeichne ich die Anhänger dieser rassistischen Positionen in Gebrandmarkt) sind der Ansicht, dass die Schwarzen Amerikaner selbst schuld sind an dieser Ungleichheit. Segregationisten wie Assimilationisten glauben, mit Schwarzen Menschen stimme etwas nicht, deshalb befänden sie sich am unteren Ende der Hierarchie. Die Assimilationisten denken, Schwarze Menschen als Gruppe ließen sich »zum Besseren« verändern, wenn sie sich anpassen. Die Segregationisten denken das nicht, deshalb wollen sie Schwarze und Weiße voneinander trennen. Die Haltung der Segregationisten und Assimilationisten wird von Antirassisten infrage gestellt. Antirassisten sagen, an Schwarzen Menschen gebe es nichts Falsches oder Richtiges, dafür sei aber am Rassismus alles falsch. Antirassisten sagen, der Rassismus sei das Problem, den müsse man ändern, nicht die Schwarzen Menschen. Die Antirassisten versuchen, den Rassismus zu ändern. Assimilationisten versuchen, Schwarze Menschen zu ändern. Segregationisten versuchen, sich von Schwarzen Menschen fernzuhalten. Um diese drei Positionen geht es in diesem Buch – Segregationisten, Assimilationisten und Antirassisten – und darum, wie sie die Ungleichheit zwischen Weißen und Schwarzen Amerikanern begründen.

* *

Als ich Gebrandmarkt schrieb, wollte ich nicht nur über rassistische Ideen schreiben. Ich wollte den Ursprung rassistischer Ideen in Erfahrung bringen. Als wir uns in der Schule zum ersten Mal so richtig mit Rassismus beschäftigten, bekam ich die übliche Erklärung zu seiner Entstehung zu hören. Mir wurde gesagt, dass unwissende und hasserfüllte Menschen rassistische Ideen hervorbringen und dass diese rassistischen Menschen eine rassistische Politik institutionalisiert haben. Aber als ich den Motiven für die Entstehung rassistischer Ideen auf den Grund ging, wurde mir klar, dass diese weit verbreitete Geschichte zwar einleuchtend klingt, aber nicht wahr ist. Ich fand heraus, dass mächtige Menschen zur Verteidigung ihrer rassistischen Politik (von der sie profitieren) rassistische Ideen in die Welt setzten, und nichts ahnende Menschen, die diese rassistischen Ideen in sich aufnahmen, dadurch unwissend und hasserfüllt wurden.

Ihr müsst euch das so vorstellen: Es gibt nur zwei einleuchtende Erklärungen für rassistische Ungleichheit, also dafür, dass Weiße Menschen in den USA frei waren und Schwarze Menschen versklavt wurden. Entweder wurden die Schwarzen Menschen aufgrund einer rassistischen Politik in die Sklaverei gezwungen, oder sie wurden Tieren gleichgesetzt und galten deshalb als Sklaven. Wenn man viel Geld mit der Versklavung von Menschen verdient, dann will man, dass die Leute glauben, die Sklaven seien für die Sklaverei vorgesehen, weil man dann sein Geschäft weiterbetreiben kann. Man setzt diese rassistische Idee in die Welt und verbreitet sie, um Abolitionisten (die die Sklaverei komplett abschaffen wollen) davon abzuhalten, die Sklaverei infrage zu stellen und alle Sklaven freizulassen, weil man sonst eine Einnahmequelle verlieren würde. Das heißt also, dass die rassistische Politik der Sklaverei zuerst da war und erst dann rassistische Ideen in die Welt gesetzt wurden, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Und diese rassistischen Ideen schüren Hass und sorgen dafür, dass die Leute nichts über Rassismus wissen.

Ich muss gestehen, als ich anfing, Gebrandmarkt zu schreiben, hatte ich auch so einige rassistische Vorstellungen. Ja genau, ich. Ich bin Afroamerikaner. Ich bin Historiker, der sich mit der Geschichte der Afroamerikaner beschäftigt. Aber man sollte nie vergessen, dass rassistische Ideen eben Ideen sind. Jeder kann solche Ideen haben oder sie von anderen übernehmen, wie dieses Buch zeigt. Ich dachte, mit Schwarzen Menschen (und anderen ethnischen Gruppen) würde etwas nicht stimmen. Ich ließ mich von rassistischen Ideen täuschen, daher war mir nicht richtig klar, dass das Einzige, was mit Schwarzen Menschen nicht stimmt, der Gedanke ist, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Mir war auch nicht richtig klar, dass das Einzige, was an Weißen Menschen außergewöhnlich ist, die Vorstellung ist, sie wären tatsächlich außergewöhnlich. Es gibt faule, fleißige, kluge, unkluge, furchtsame und furchtbare Individuen, egal welcher Gruppe oder Ethnie sie angehören, aber keine Gruppe ist in irgendeiner Form besser oder schlechter als eine andere.

Ich hatte mich also der antirassistischen Idee verschrieben, dass alle Gruppen gleich sind. Dadurch konnte ich die rassistischen Ideen, die sich im Laufe meines Lebens in mir angesammelt hatten, aufspüren, unter die Lupe nehmen und widerlegen – und gleichzeitig die rassistischen Ideen entdecken und offenlegen, die andere im Laufe der amerikanischen Geschichte in die Welt gesetzt haben. Der erste Schritt, ein antirassistisches Amerika aufzubauen, besteht darin, die rassistische Vergangenheit der USA zu erkennen. Wenn wir die rassistische Vergangenheit der USA erkennen, können wir darauf hinarbeiten, ein antirassistisches Amerika aufzubauen, in dem keine ethnische Gruppe mehr oder weniger besitzt oder mehr oder weniger anerkannt ist. Ein antirassistisches Amerika, in dem die Menschen Angehörige anderer Gruppen nicht mehr länger hassen oder versuchen, sie zu ändern, nur weil diese sich von ihnen irgendwie unterscheiden. Ein antirassistisches Amerika, in dem die Hautfarbe so unwichtig ist wie die Farbe der Kleidung, die wir auf unserer Haut tragen.

Und dieses antirassistische Amerika wird ganz gewiss kommen. Keine Macht währt ewig. Es wird eine Zeit geben, in der die Amerikaner erkennen, dass das Einzige, was an Schwarzen Menschen nicht stimmt, der Gedanke ist, dass etwas mit Schwarzen Menschen nicht stimmen könnte. Es wird eine Zeit kommen, in der rassistische Ideen uns nicht länger daran hindern werden zu erkennen, dass Ungleichheit aufgrund des Konstrukts »Rasse« völlig absurd ist. Es wird eine Zeit kommen, in der wir alle Menschen als Menschen lieben, in der wir den Mut aufbringen, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der alle Menschen tatsächlich gleich sind und in der wir intelligenterweise wissen, dass wir, wenn wir für eine menschlichere Gesellschaft kämpfen, für uns selbst kämpfen. Es wird eine Zeit kommen. Und vielleicht, nur vielleicht, ist diese Zeit jetzt gekommen.

In großer Solidarität

Ibram X. Kendi

TEIL 1

1415–1728

1

DER ERSTE RASSIST DER WELT

Bevor wir anfangen, sollten wir etwas klären: Das ist kein Geschichtsbuch. Ich wiederhole, das ist kein Geschichtsbuch. Zumindest nicht so eins, wie ihr es aus der Schule kennt. Bücher, die eher wie eine Auflistung von Jahreszahlen wirken (wir werden ein paar Zahlen nennen), mit einem gelegentlichen Krieg hier und da, einem Vertrag (kein Geschichtsbuch ohne Vertrag), einer Verfassung (ganz wichtig), einer oder zwei Gerichtsverhandlungen und natürlich mit dem Abschnitt, der in den USA in Schulen gelesen wird, wenn man auf die Geschichte der Afroamerikaner aufmerksam machen möchte (Rosa Parks! Martin Luther King!). So ein Buch ist das nicht. Es ist kein Geschichtsbuch. Oder zumindest kein typisches Geschichtsbuch. Aber es ist ein Buch, das sich mit Geschichte beschäftigt. Einer Geschichte, die direkt mit unserem Leben zusammenhängt, das wir genau in dieser Minute leben. Ein Buch über die Gegenwart. Ein Buch über das Hier und Jetzt. Ein Buch, mit dem wir hoffentlich besser verstehen, warum wir uns als Amerikaner dort befinden, wo wir gerade stehen, vor allem, wenn unsere Identität über »Rasse« definiert wird.

Ups. Das böse R-Wort. Das für viele absolut gar nicht geht. Oder das man nur mit einem anderen R-Wort kombinieren kann – rennen, und zwar im Sinn von »Renn so schnell, wie du kannst«. Aber halt. Holen wir erst einmal tief Luft. Einatmen. Atem halten. Ausatmen und dabei laut sagen:

RASSE

Seht ihr? War gar nicht so schlimm. Wenn man davon absieht, dass der Begriff »Rasse« völlig falsch ist, weil es gar keine unterschiedlichen »Rassen« gibt. Und dass Rassismus ein seltsames Gift ist, das in der amerikanischen Geschichte schon sehr lange sein Unheil treibt. Vermutlich seid ihr ihm auch schon begegnet. Ich bin mir sicher, je nachdem, wo ihr lebt und wo ihr aufgewachsen seid, fallen eure Erfahrungen damit ganz unterschiedlich aus – auch wenn manchen von euch das gerade erst klar wird. Manche denken vielleicht, »Rasse« sei gar kein Thema mehr, der Begriff gehört in die Vergangenheit, zu den alten Geschichten über schlimme Zeiten. Andere sind überzeugt, dass »Rasse« eher so eine Art Alligator ist, ein Dinosaurier, der nie ganz ausgestorben ist, sondern sich weiterentwickelt hat. Dieses Ungeheuer versteckt sich vielleicht in schlammigen braunen Sümpfen, doch von ihm geht immer noch eine tödliche Gefahr aus. Und dann gibt es noch diejenigen unter euch, die wissen, dass »Rasse« und, noch wichtiger, Rassismus überall lauern. Diejenigen unter euch, die regelmäßig erleben, wie Rassismus einem Menschen die Freiheit nimmt, ob mit Gewalt oder ganz leise und heimlich. Dieses Buch, das wie gesagt kein Geschichtsbuch ist, also dieses Buch über die Gegenwart soll euch auf eine Reise mitnehmen, vom »Damals« zum »Heute«, um euch zu zeigen, warum wir uns so fühlen, wie wir uns fühlen, warum wir so leben, wie wir leben, und warum dieses Gift immer noch wirkt, in aller Offenheit oder im Verborgenen, ob als Schrei oder als Flüstern.

Das ist kein Buch, das alles weiß und für alles eine Lösung parat hat. Es ist auch keine komplette Mahlzeit. Es ist mehr so ein Appetithappen. Zur Vorbereitung auf das kommende Festmahl. Damit man voller Vorfreude seinen Platz – den richtigen Platz – am Tisch einnimmt.

Oh Moment! Da wären noch drei Wörter, die ihr im Hinterkopf behalten solltet. Drei Wörter, mit denen die Leute beschrieben werden, die wir uns näher ansehen wollen:

Segregationisten. Assimilationisten. Antirassisten.

Es gibt komplizierte Definitionen dafür, aber … Ich würde sagen, wir nehmen einfach meine.

Segregationisten sind voller Hass. Also richtige Hater. Leute, die andere hassen, weil sie nicht so sind wie sie. Assimilationisten sind Leute, die einen mögen, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Das heißt, dass sie dich nur »mögen«, wenn du so bist wie sie. Und dann gibt es noch die Antirassisten. Sie lieben dich, weil du so bist, wie du bist. Wir sollten hier aber nicht vergessen, dass sich das Leben nicht so leicht in bestimmte Kategorien einteilen lässt. Es lässt sich nicht in feste Formen pressen. Daher können Menschen im Laufe eines Lebens (oder sogar eines Tages) Ideen übernehmen und danach handeln, die zu mehr als einer dieser drei Identitäten passen. Sie können sowohl als auch sein. Daran solltet ihr denken, wenn wir uns mit diesen Leuten befassen.

Tatsächlich sind das nicht nur Begriffe, die wir für die Beschreibung der Leute in diesem Buch benutzen. Wir benutzen diese Begriffe auch, um euch zu beschreiben. Und mich. Uns alle.

* *

Also, wo fangen wir an? Wir können eigentlich gleich loslegen und mit dem ersten Rassisten der Welt anfangen. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Ihr denkt: Hey, wie kann irgendjemand wissen, wer der erste Rassist der Welt war? Oder ihr denkt: Na los, sag es uns, dann finden wir heraus, wo er wohnt, und sagen ihm mal gründlich die Meinung. Tja, er ist tot. Und das schon seit 600 Jahren. Zum Glück. Und bevor ich euch von ihm erzähle, muss ich noch ein paar Hintergrundinformationen liefern.

Europa. Dort fangen wir an. Dort hat er gelebt. Wie ihr bestimmt wisst, eroberten die Europäer (Italiener, Portugiesen, Spanier, Holländer, Franzosen, Briten) alles, was ihnen unter die Füße kam, denn wenn es etwas gibt, was in sämtlichen Geschichtsbüchern steht, dann die Tatsache, dass die Europäer den Großteil der Welt eroberten. Uns geht es um das Jahr 1415, denn in dem Jahr überzeugte Prinz Heinrich (es gibt immer einen Prinz Heinrich) seinen Vater, den portugiesischen König Johann, einen Raubzug durchzuführen und den wichtigsten muslimischen Handelsstützpunkt an der Nordostspitze von Marokko zu erobern. Warum? Ganz einfach. Prinz Heinrich war neidisch. Die dortigen Muslime waren reich, und wenn Prinz Heinrich die Muslime aus dem Weg räumen konnte, dann war der Zugang zu ihren Reichtümern und Ressourcen frei. Diebstahl. Lange Finger machen. Ein Raubüberfall. Schlicht und einfach. Die Beute? Ein hübscher Goldvorrat. Und Afrikaner. Richtig, die Portugiesen nahmen die dort lebenden Mauren als Beute und machten sie zu Kriegsgefangenen in einem Krieg, den die Mauren gar nicht führen wollten, in dem sie nun aber kämpfen mussten, um ihr Leben zu retten. Und wenn ich von Gefangenen spreche, meine ich, dass sie sie als ihr Eigentum betrachteten. Menschliches Eigentum.

Aber weder Prinz Heinrich noch König Johann von Portugal erhielt dafür den Titel erster Rassist der Welt, denn ehrlich gesagt war es damals nicht ungewöhnlich, Menschen gefangen zu nehmen und als Eigentum zu betrachten. Das war einfach so. Der illustre Spitzname geht an einen Mann, der weder Heinrich noch Johann hieß, sondern einen viel beeindruckenderen Namen hatte (obwohl das, was er machte, absolut gar nicht beeindruckend war) – Gomes Eanes de Azurara. Azurara, das klingt wie ein Cheerleader, und genau das war er auch. Er cheerleaderte. Cheerleadete? Wie auch immer. Er war ein Cheerleader. Oder so etwas Ähnliches. Kein Cheerleader, der eine Mannschaft anfeuert und die Zuschauer aufpeitscht, aber ein Mann, der dafür sorgte, dass die Mannschaft, für die er antrat, als großartig wahrgenommen und berühmt wurde. Er sorgte dafür, dass Prinz Heinrich als brillanter Verteidiger mit genialen Spielzügen gesehen wurde und dass jedes Tor als Meisterleistung seiner überlegenen Taktik galt. Und wie hat Azurara das gemacht? Über die Literatur. Indem er Geschichten erzählte.

Er schrieb die Geschichte von Prinz Heinrich auf, eine Biografie über sein Leben und den Sklavenhandel. Azurara war Heinrich treu ergeben, er diente in seinem portugiesischen Christusorden und schrieb ein Buch, das zur ersten Verteidigungsschrift des afrikanischen Sklavenhandels wurde. Es hatte den Titel Chronik der Entdeckung und Eroberung von Guinea.1Darin prahlte Azurara damit, dass die Portugiesen schon früh versklavte Afrikaner von der nordafrikanischen Westküste nach Europa gebracht hätten, und schrieb über den Besitz von Menschen, als ob sie teure Turnschuhe wären. Aber auch das war damals üblich. Doch er setzte seiner Prahlerei noch eins drauf und erklärte, worin sich die Portugiesen von ihren europäischen Nachbarn beim Sklavenhandel unterschieden. Die Portugiesen betrachteten das Versklaven von Menschen nämlich als Missionsarbeit. Als einen Auftrag Gottes, die afrikanischen »Wilden« zu zivilisieren und zum christlichen Glauben zu bekehren. Zumindest behauptete Azurara das. Damit konnte er die Portugiesen als besser und moralischer darstellen als beispielsweise die Spanier und Italiener, die auch Weiße Osteuropäer versklavten (die man damals nicht als »weiß« betrachtete, weil es diese Unterscheidung noch gar nicht gab). Azuraras Ass im Ärmel, sein Trickshot, bestand darin, dass die Portugiesen Afrikaner (übrigens in sämtlichen Hauttönen) versklavten, weil sie angeblich deren verlorene Seelen retten wollten.

Azurara stellte Prinz Heinrich als eine Art Wanderprediger dar, der von Land zu Land zog, um seine Schäfchen zu betreuen, obwohl Heinrich in Wirklichkeit ein Gangster war. Ein Erpresser und Entführer, der die Erlaubnis bekommen hatte, Gefangene für den König zu machen. Prinz Heinrichs Bilanz, sozusagen sein Finderlohn: 185 Sklaven. Und das bedeutete Geld, Geld, Geld, auch wenn das Ganze dank Azurara stets als gute Sache dargestellt wurde.2 Aber Azurara wurde ja auch für seine Lobeshymnen bezahlt. Also war Azurara einfach ein Lügner? Ein Märchenerzähler? Aber was macht ihn dann zum ersten Rassisten der Welt? Tja, Azurara war der Erste, der über den Besitz Schwarzer Menschen schrieb und ihn verteidigte, und mit diesem einen Dokument begann die Aufzeichnung rassistischer Ideen, die sich gegen Schwarze Menschen richteten. Ihr wisst, dass Könige immer mit dem Reich in Verbindung gebracht werden, über das sie herrschen? Wie zum Beispiel König Johann von Portugal. Tja, wenn Gomes Eanes Azurara König von irgendwas war (was er ja nicht war), dann wäre er König Gomes von Rassismus gewesen.

Azuraras Buch Chronik der Entdeckung und Eroberung von Guinea war ein Hit. Und wie das bei Hits so geht, verbreiten sie sich. Wie ein Popsong, von dem alle behaupten, sie würden ihn hassen, aber trotzdem kann jeder den Text mitsingen, und dann hasst plötzlich niemand mehr den Song, und der Song wird zur Hymne. Azuraras Buch wurde zur Hymne. Ein Song, der in ganz Europa gesungen wurde und der für die portugiesischen Sklavenhändler und Sklavenhalter, aber auch für ihre Kollegen in Spanien, Holland, Frankreich und England zur wichtigsten Informationsquelle über das unbekannte Afrika und die afrikanischen Völker wurde.3

Azurara schilderte die Afrikaner als wilde Tiere, die gezähmt werden müssten. Im Lauf der Zeit überzeugte diese Darstellung sogar einige Afrikaner, die sich nun ebenfalls für unterlegen hielten. Dazu gehörte auch ein gewisser al-Ḥasan Ibn Muhammad al-Wazzān al-Fāsī, ein gebildeter marokkanischer Diplomat, der auf einer Reise im Mittelmeer gefangen genommen und versklavt wurde. Papst Leo X. bekehrte ihn schließlich zum Christentum und schenkte ihm die Freiheit. Er gab ihm auch den neuen Namen Johannes Leo (später wurde er als Leo Africanus oder Leo der Afrikaner bekannt) und erteilte ihm vermutlich den Auftrag, ein Buch über Afrika zu schreiben. Und in diesem Buch wiederholte Africanus Azuraras Meinung über die Afrikaner, seine eigenen Leute.4 Er behauptete, sie seien hypersexuelle Wilde, womit er der erste bekannte afrikanische Rassist ist. In meiner Jugend sagten wir über solche Leute, sie würden sich »selbst ins Knie schießen«, also einer Ideologie anhängen, mit der sie sich selbst schadeten, oder wir nannten sie schlicht Verräter. Wie auch immer, Azuraras schriftlich festgehaltene rassistische Idee, dass Afrikaner die Sklaverei bräuchten, weil sie sich nicht selbst ernähren und zu Jesus finden könnten, und dass das alles von Gott so vorgesehen sei, sickerte nach und nach ins Denken der Europäer ein und setzte sich dort fest. Und ein paar Hundert Jahre später erreichte diese Idee schließlich auch Amerika.

2

PURITANISCHE MACHT

Okay, mittlerweile sagt ihr euch hoffentlich: Wow, das ist tatsächlich ganz anders als die Geschichtsbücher, die ich kenne. Und wenn ihr das nicht sagt, tja … dann lügt ihr. Und stellt euch vor, ihr seid damit nicht allein.

Nach Gomes Eanes de Azuraras lächerlicher, von Geldgier getriebener Lüge gab es noch weitere europäische »Rassentheoretiker«, die seinem Beispiel folgten und seinen Text als Grundlage für ihre eigenen Konzepte und rassistischen Ideen nahmen, um die Versklavung der Afrikaner zu rechtfertigen. Denn wenn es eine Sache gibt, die wir über Menschen wissen, dann die, dass die meisten von uns gerne mit der Herde rennen und Teil einer Bewegung sein wollen, weil uns das ein besseres Gefühl gibt und wir uns nicht so selbstsüchtig vorkommen. Oder geht das nur mir so? (Und schon rede ich wieder von mir … schon klar.) Jedenfalls, seine Anhänger machten sich ein bisschen schlau und bastelten sich ihren eigenen unglaubwürdigen Humbug zusammen (bestes Wort überhaupt, sogar noch besser als Azurara, obwohl beide vermutlich für dasselbe stehen). Zwei dieser Theorien ebneten den Weg für eine jahrhundertelange Debatte über Rassismus.

Diese beiden Theorien waren:

1. Die Klimatheorie

Sie stammt ursprünglich von Aristoteles (auf ihn kommen wir später noch zu sprechen), der sich fragte, ob Afrikaner »in dieser Art« geboren worden seien oder ob sie die Hitze des afrikanischen Kontinents zu unterlegenen Menschen mache. Viele Philosophen waren der Ansicht, es müsse am Klima liegen, wenn die afrikanische Bevölkerung in kühleren Verhältnissen leben würde, könnte sie tatsächlich weiß werden.1

Und

2. Die Fluchtheorie

1577 fiel dem englischen Reiseschriftsteller George Best bei einem Aufenthalt im (eiskalten!) Nordosten Kanadas auf, dass die Inuit dunkler als die Bewohner des wärmeren Südens waren, weshalb er zu dem Schluss kam, dass die vermeintliche Unterlegenheit dunklerer Menschen nicht am Klima liegen könne – eine überaus praktische Schlussfolgerung für alle Sklavenhalter.2Best behauptete nämlich stattdessen, Afrikaner seien verflucht. (Also wirklich: Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand in einer Reisedoku den Leuten vor Ort erklärt, sie seien verflucht? Im Ernst?) Und wie bewies Best seine Theorie? Mit einem Buch, das man damals unmöglich widerlegen konnte: mit der Bibel. In Bests skurriler Interpretation des 1. Buchs Mose befiehlt Noah seinen Weißen Söhnen, auf der Arche keinen Sex mit ihren Frauen zu haben, und sagt ihnen dann, das erste Kind, das nach der Sintflut geboren werde, würde die Erde erben. Als der böse, tyrannische, hypersexuelle Ham (HAM wiehardasamotherfucker) auf der Arche Sex hat, verfügt Gott, dass Hams Nachfahren dunkel und abstoßend sein sollen und dass die ganze Welt bei ihrem Anblick sofort erkennt, dass sie nur Ärger machen. Oder einfacher formuliert, Hams Kinder würden Schwarz und böse sein, wodurch Schwarz … gleich böse war. Die Fluchtheorie lieferte später die Argumente, mit denen die amerikanische Sklaverei gerechtfertigt wurde.

Aus dieser Theorie sollte noch eine weitere lächerliche Idee hervorgehen: Weil Afrikaner angeblich verflucht waren und sie deshalb von den Europäern versklavt werden mussten, um gerettet und zivilisiert zu werden, hatten Sklaven und ihre Herren ein liebevolles Verhältnis. Mehr so wie zwischen Kindern und Eltern.3 Oder zwischen Pfarrer und Gemeinde. Zwischen einem Mentor und seinen Schützlingen. Eine furchtbare Erfahrung wurde als barmherzige Tat dargestellt, obwohl Menschen gewaltsam in die Sklaverei gezwungen wurden und daraus nie und nimmer eine glückliche Familie entstehen kann.

Aber in der Literatur wurde das behauptet. Ja, es wurden noch weitere Bücher zum Thema geschrieben, etwa das Buch Ordering a Familie von einem gewissen William Perkins, das 1590 erschien und in dem er argumentierte, der Sklave sei Teil einer liebevollen Familie mit einer besonderen Ordnung. Die Seelen und das Potenzial der Seelen seien gleich, ihr Äußeres aber nicht.4 Ähnlich, wie wenn man sagt: »Mein Hund ist für mich wie mein eigenes Kind, auch wenn ich ihm beigebracht habe, mir die Zeitung zu bringen, indem ich ihn geschlagen und an seiner Leine gezogen habe.« Aber mit dieser Idee waren die Sklavenhalter emotional aus dem Schneider und wurden als Wohltäter dargestellt, die bei den Afrikanern »für Ordnung sorgten«.

Eine Generation später landete die Sklaverei im frisch kolonialisierten Amerika. Und diejenigen, die die Sklaverei dort einführten und dazu nutzten, das neue Land aufzubauen, waren zwei Männer, die sich ebenfalls als Wohltäter betrachteten. Ihr Namen lauteten John Cotton und Richard Mather.

Zu Cotton und Mather: Sie waren Puritaner.

Zu den Puritanern: Puritaner waren englische Protestanten, die glaubten, dass die Reformation der Church of England, also der Mutterkirche der Anglikaner, den christlichen Glauben verwässerte. Sie wollten eine strengere, diszipliniertere Religion, deshalb versuchten sie, den Glauben zu regulieren. Die beiden Männer reisten zu unterschiedlichen Zeiten über den Atlantik auf der Suche nach einem neuen Land (am Ende landeten sie beide in Boston), um der Verfolgung in England zu entkommen und in der Neuen Welt ihre Version – eine »pure« Version – des christlichen Glaubens zu predigen. Nach einer schwierigen Überfahrt – Richard Mathers Schiff geriet 1635 in einen schweren Sturm und hätte fast einen gewaltigen Felsen im Meer gerammt – erreichten sie schließlich Amerika.5Mather betrachtete sein Überleben natürlich als Wunder und wurde noch eifriger in seinem Glauben.

Beide Männer waren Pfarrer. Sie bauten Kirchen in Massachusetts, aber vor allem bauten sie ein System auf. Die Kirche war nicht nur ein Ort der Gottesverehrung. Die Kirche war ein Ort der Macht und Einflussnahme, und in diesem neuen Land hatten John Cotton und Richard Mather sehr viel Macht und Einfluss. Und das Erste, was sie taten, um den puritanischen Glauben zu verbreiten, war, sich Gleichgesinnte zu suchen. Und mit diesen Gleichgesinnten richteten sie Schulen ein, damit die höhere Bildung ihrer Denkhaltung entsprach.6

Was meint ihr, welche Schule erhielt als erste diese puritanische Ausrichtung? Das ist eine Fangfrage. Denn die Antwort ist: die allererste Universität in Amerika überhaupt (die Gesellschaft und alles sind ja brandneu!). Und die allererste Universität in Amerika überhaupt war die Harvard University. Allerdings hatte die Gründung von