Standart Skill – Verfluxt noch mal! - Standart Skill - E-Book

Standart Skill – Verfluxt noch mal! E-Book

Standart Skill

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Beschreibung

Endlich geht es weiter. Der Bestseller-Erfolg von Standart Skill geht in die zweite Runde! Ein groß angekündigtes Live-Event in Stannis Liebslingsspiel geht schief. Das gesamte Game muss daraufhin in seinen ursprünglichen Zustand zurückgesetzt werden. Alle Map-Updates, die erspielten Skins uns Emotes sind verschwunden. Stanni will sich schon enttäuscht ausloggen, da entdeckt er an einer Hauswand im virtuellen Stadtzentrum eine Botschaft. Erst sind es nur wirre Buchstaben, doch dann erkennt Stanni das Muster: Dort steht sein Name! Dahinter können nur seine Freunde aus Los Lamas stecken – und offensichtlich brauchen sie seine Hilfe! Stanni ist sofort klar, was er zu tun hat. Er muss sich wieder ins Spiel glitchen. Was ihn in der geheimem Stadt Los Lamas erwartet, übersteigt jedoch seine schlimmsten Befürchtungen. Nicht nur das Zuhause seiner Freunde ist in Gefahr – sondern das gesamte Tal Royal.

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Seitenzahl: 320

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STANDART SKILL

Verfluxt noch mal!

STANDART SKILL

Verfluxt noch mal!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

2. Auflage 2021

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Texte: Standart Skill, Fionna Frank

Redaktion: Mirka Uhrmacher

Umschlaggestaltung und Illustration: Marek Bláha

Layout und Satz: Achim Münster, Overath

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-96775-038-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96775-039-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96775-040-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Ja, hallo, Standart Skill am Start! Leute, es ist an der Zeit, nach Los Lamas zurückzukehren. Denn es gibt schon wieder jede Menge Probleme im Tal, die nur ein ganz besonderer Held lösen kann: ich natürlich, Stanni! Die erste Herausforderung hat es aber schon in sich. Wie kommt man zurück in ein Videospiel? Das, meine lieben Freunde, müssen wir jetzt zusammen herausfinden.

Let’s go, Abfahrt, Tschö mit ö und ganz viel Spaß!

Euer Stanni

INHALT

DAS EVENT

DER HILFERUF

ZURÜCK IN LOS LAMAS

ENERGIEFLAUTE

HAUSBESUCH

RETTUNGSAKTION

VORBEREITUNGEN

ZURÜCK IN TRIPPY TOWN

DIE GEHEIMAGENTEN

TAUCHFAHRT

UNTER DEM MEER

RUTSCHPARTIE

ENDGEGNER

LEAK

AM NULLPUNKT

HEIMWEG

UNTER HOCHDRUCK NACH LOS LAMAS

ZURÜCK IM ECHTEN LEBEN

DAS EVENT

Die Sonne stand hoch am Himmel, vor Stanni rauschte das Meer. Eine lange Jacht lag kurz vor einem Anlegesteg vor Anker, Wellen schwappten immer wieder träge gegen die Kaimauer des Hafens. Im Hintergrund schmiegte sich ein Fischerdorf in die Dünen. Unter den Sohlen seiner Schuhe knirschte Sand. Eine Möwe schrie. Man konnte fast vergessen, dass man in einem Videospiel war.

»Guck mal Stanni, ein Krebs!«, rief Max, den Stanni durch das Headset unter seiner VR-Brille hören konnte, und durchbrach damit den friedlichen Moment.

Stanni seufzte und schaute zu Max’ Spielfigur, die gerade am Strand im Sand hockte und ein Konfetti-Gewehr auf einen kleinen roten Krebs gerichtet hatte. Das Tier hob erstaunt die Scheren.

Stanni und Max waren ein eingespieltes Team im Videospiel »Tal Royal« und hatten schon unzählige epische Runden gemeinsam gewonnen. Max’ taktisches Geschick und Stannis unvergleichlicher Aim waren einfach eine tödliche Kombination! Normalerweise war es undenkbar, dass sie mitten in einer Runde entspannt am Strand hockten, um die digitale Tierwelt zu bewundern. Immerhin musste man ständig damit rechnen, dass andere Spieler auftauchten und einem an den Kragen wollten.

Doch an diesem Tag war das anders. Stanni und Max standen am Hafen von Bouncy Beach im Freien, für alle sichtbar. Und um sie herum tauchten immer mehr Spieler auf. Aber anstatt das Feuer aufeinander zu eröffnen, wie es in einer gewöhnlichen Runde üblich gewesen wäre, hüpften sie nur aufgeregt umeinander, lieferten sich Tanzduelle oder starrten wie Stanni erwartungsvoll hinauf in den Himmel Richtung Sonne. Denn heute war es endlich so weit.

Heute war der Tag des lang erwarteten Nullpunkt-Events. Ein Ereignis, das sich kein Spieler entgehen lassen wollte.

Hinweise auf dieses Event waren seit Wochen im Spiel gestreut worden. Wie bei einer Schnitzeljagd hatten die Spieler Teile von Nachrichten auf der Map finden müssen, hinter vermeintlich verschlossenen Türen in Trippy Town, in hohlen Baumstümpfen im Funky Forest oder in Strandkörben hier am Bouncy Beach. Legte man die Nachrichten zusammen, ergab sich eine wahnwitzige Story über einen geheimnisvollen »Nullpunkt«, der am tiefsten Ort der Map liegen sollte und der um jeden Preis geschützt werden musste. Auch von einem Bösewicht erzählten die Nachrichten, der nicht eher ruhen würde, bis er den Nullpunkt zerstört hatte.

Schnell hatte die Community kapiert, dass man ihn nur gemeinsam würde aufhalten können. Und heute war es so weit, heute sollte dieser Bösewicht auftauchen. Hier über Bouncy Beach, in weniger als zehn Minuten.

»Hat es schon angefangen?«, meldete sich da Finn im Voicechat.

»Entspann dich, Diggi.« Stanni lachte. »Hier stehen alle noch rum und warten.«

»Zum Glück.« Finn atmete hörbar auf. »Bin gleich da! Von Trippy Town nach Bouncy Beach zu Fuß rennen dauert echt ewig.«

Max kicherte. »Das nächste Mal musst du halt früher den Gleiter auspacken!«

Stanni, Max und Finn waren gemeinsam in die Runde gestartet und hatten beim Absprung über der Map direkt den Strand angepeilt – immerhin sollte dort das Event stattfinden. Finn aber hatte den perfekten Moment verpasst, um seinen Gleiter zu aktivieren, und war so ein ganzes Stück weiter innerhalb der Karte, in der Nähe von Trippy Town, gelandet.

»Krass, hier ist ja richtig was los!«, staunte Finn nun. Offenbar war er endlich am Bouncy Beach angekommen. Und tatsächlich, Stanni sah ihn etwas planlos zwischen den anderen Spielern herumlaufen, ehe er ihn und Max am Strand entdeckte und auf sie zuhüpfte.

»Was für ein Marsch«, sagte Finn. Er klang etwas außer Atem, als wäre er den ganzen Weg wirklich selbst gelaufen und nicht seine Spielfigur.

»Das Trio ist endlich komplett!«, begrüßte Max den Nachzügler.

»Ihr habt euch ja richtig schick gemacht«, sagte Finn, während er Max’ und Stannis Avatare umrundete.

»Klar, ein epischer Kampf verlangt nach einem epischen Outfit!«, antwortete Stanni stolz und wählte eine heldenhafte Pose aus. Er spielte wie üblich Siren, einen »No Skin«, den man nicht erst freischalten musste, sondern von Beginn an im Spiel hatte. So sah er aus wie ein Anfänger und wurde regelmäßig unterschätzt – etwas, das ihm schon den einen oder anderen Sieg verschafft hatte. Aber für heute hatte Stanni extra ein besonderes Outfit für die Kämpferin gewählt. Das hatte es in der laufenden Season als Belohnung für eine besonders schwierige Herausforderung gegeben. Statt des sportlichen Soldatenoutfits trug Siren heute einen Superheldinnenanzug, inklusive Maske und einem Cape, das dramatisch im digitalen Wind flatterte.

»Ich hab mir auch mal ein Makeover gegönnt«, sagte Max. Sein Avatar »Woody«, ein breitschultriger Kerl mit dichtem Bart, der normalerweise Holzfällerhemd und Jeans trug, steckte nun ebenfalls in einem Superheldenkostüm, umschlungen von breiten Patronengurten. Sein Gesicht verschwand fast komplett im Schatten einer weiten Kapuze.

Und sie waren nicht die Einzigen, die sich für das heutige Live-Event umgezogen hatten. Die meisten Spieler, die um sie herumliefen und -tanzten, waren in Superheldenoutfits geschlüpft und zogen nun wehende Capes hinter sich her, hockten wie Batman auf den Dächern der Fischerhütten oder zeigten sich gegenseitig ihre besten Heldenposen.

Stanni schaute zu Finn, der wie er selbst einen No Skin spielte, einen schlanken Typen mit traurigen Zügen, der bloß schlichte Cargohosen und ein weißes T-Shirt trug.

»Kein Outfit bei dir, Finn?«, fragte er.

Finn seufzte. »Neuer Account, weißt du doch. Ich hab noch gar nichts freigespielt.«

Mist, das hatte Stanni fast vergessen. Finns alter Account war wegen Hacking gesperrt worden. Stanni hatte durch sein Eingreifen nur knapp verhindern können, dass Finn das komplette Game zerlegte. Die Macher des Spiels wussten natürlich nicht, was wirklich passiert war. Nur dass Finn am Code rumgeschraubt hatte, das hatten sie rausgefunden, und dann mit aller Härte durchgegriffen. Finn trug es mit Fassung, das wusste Stanni. Er hatte seine Lektion auf jeden Fall gelernt. Und durch die beinahe täglichen Runden mit Stanni und Max wurde der Junge immer besser, ganz ohne Tricks. Neben den ganzen Superhelden hier fehlten ihm seine verlorenen Skins wahrscheinlich trotzdem.

»Hey, wenn das Event hier rum ist, dann helf ich dir bei ein paar Herausforderungen«, sagte Max. »Dann hast du ruckzuck wieder ein paar Skins und Emotes. Das ist die Max-Garantie!«

»Das wäre echt super, Max!«, erwiderte Finn dankbar.

»Aber erst bring ich dir das mit dem Gleiter richtig bei.« Man konnte das Zwinkern in seiner Stimme geradezu hören. Finn verstand den Spaß und lachte laut los.

Stanni freute sich, dass die beiden so gut miteinander auskamen. Max war sein bester Kumpel, das stand außer Frage. Aber Stanni und Finn verband, dass sie die einzigen Menschen waren, die um die geheime Welt unter dem Tal Royal wussten, von Los Lamas und all seinen Bewohnern. So was schweißte einfach zusammen!

Stanni fragte sich, ob es für Finn auch so komisch war, wieder als Spieler in dieser Welt zu sein. Als er damals ins Spiel geglitcht war, war er plötzlich er selbst gewesen, der fünfzehnjährige Stanni, der nach zwanzig Sekunden schon aus der Puste war. Da war es schon eine wahnsinnige Erleichterung, wieder den Körper seines Avatars Siren zu steuern. Die hatte kein Problem mit ihrer Ausdauer und legte krasse Sprünge und Rollen hin, wenn man die richtigen Knöpfe auf dem Controller drückte. Aber ein bisschen vermisste Stanni es schon, dieses Gefühl, so richtig echt in der Spielewelt zu sein. Dann könnte er jetzt den Wind in den Haaren spüren und die salzige See riechen. Sachen eben, die Spiele noch nicht hinbekamen, auch nicht mit VR.

Und er vermisste auch die Bewohner von Los Lamas. Er fragte sich häufig, wie es wohl Familie Puhmann ging und dem kauzigen alten Herrn Lama. Und manchmal sogar, was wohl Belix und seine mürrische Mutter, die Baumeisterin Sonja, so trieben. Ein paarmal hatte Stanni versucht, die geheime Rampe in Trippy Town zu öffnen oder mit einer der Lootboxen zu sprechen, aber meistens war er dadurch so abgelenkt, dass ihn irgendein Spieler erwischte und er aus der Runde flog.

Max’ laute Stimme riss Stanni jäh aus seinen Gedanken. »Stanni, ich glaub, es geht los!«, rief er aufgeregt ins Headset.

Und tatsächlich, es tat sich etwas! Eben noch waren die Spieler ein wilder Haufen gewesen, waren chaotisch umeinander herumgehüpft. Doch jetzt standen sie still und schauten wie erstarrt gemeinsam in den Himmel. Denn dort verdunkelte sich gerade die Sonne. Als würde sich eine gewaltige schwarze Scheibe davorschieben, wurde das Rund des Feuerballs immer kleiner und kleiner. Das Licht veränderte sich, wurde erst orange, dann bedrohlich rot. Ein Dröhnen lag in der Luft, wie ein Schwarm Hornissen, der weit in der Ferne war, aber immer näher kam.

»Krass«, hauchte Finn.

»Megakrass«, bestätigte Stanni.

Um sie herum begannen alle Spieler, ihre Waffen zu zücken, durchzuladen oder noch schnell untereinander zu tauschen. Wochenlang hatten sie sich auf diesen Moment vorbereitet und ihre beste Ausrüstung mitgebracht. Stanni sah epische Spitzhacken und seltene Back Blings, die es nur für besonders schwierige Herausforderungen als Belohnung gegeben hatte. Wer auch immer gleich dort oben am Himmel auftauchen würde, die Community war bestens in Form und absolut in der Lage, dem Bösewicht ordentlich in den Hintern zu treten!

Neben ihm zückten auch seine Freunde die Waffen.

»Das ist übelst cool, Mann, übelst cool«, sagte Max immer wieder, während er nervös auf und ab hüpfte. Finn hingegen hatte sich hinter eine Kiste geduckt und hielt seine bunte Standard-Spitzhacke umklammert. Ihm war wohl keine Zeit geblieben, um nach einer Waffe zu suchen.

Stanni schaute hinauf in den Himmel. So langsam sollte da mal jemand auftauchen. Immerhin waren hier jede Menge Spieler, denen es in den Fingern juckte! Und was es mit diesem Nullpunkt auf sich hatte, das wollten sie auch alle endlich wissen.

Das Dröhnen wurde immer lauter, so laut sogar, dass Stanni bald nichts anderes mehr hören konnte, weder das Rauschen des Meeres noch die Schreie der Möwen. Und auch Max und Finn im Voicechat waren kaum noch zu verstehen.

Jetzt übertreiben sie es aber ein bisschen, dachte Stanni und wollte schnell das Menü aufrufen, um den Spiel-Sound etwas runterzudrehen. Bevor er aber den Knopf auf seinem Controller drücken konnte, fiel ihm etwas auf. Die Spieler vor ihm, die näher am Wasser standen, schauten von dem Spektakel am Himmel weg und in seine Richtung – bewegten sich aber in die andere! Sie glitten langsam rückwärts. Einige liefen dabei auf der Stelle, als wollten sie wegrennen, kämen aber nicht gegen eine unsichtbare Macht an, die sie nach hinten zerrte.

Und nicht nur die Spieler schlitterten langsam, aber sicher auf das Meer zu, auch einige Deko-Objekte rutschten über den Boden. Normalerweise waren diese Gegenstände fixiert, die konnte nichts bewegen, kein Spieler, keine Glitter-Explosion, absolut gar nichts!

»Stanni!«, drang ein Schrei durch das Dröhnen in seinem Headset.

Das war Finn! Stanni drehte sich hektisch suchend nach seinem Freund um – und hätte fast den Controller fallen gelassen. Was er sah, raubte ihm glatt den Atem. Das Meer war bis vor ein paar Augenblicken nichts weiter als eine glatte blaue Fläche gewesen. Nur ein paar sanfte Wellen waren auf den Bouncy Beach gerollt. Jetzt aber konnte Stanni im unwirklichen roten Licht der verdeckten Sonne einen gigantischen Strudel erkennen, der sich im Ozean gebildet hatte. Wie in einem riesigen Trichter drehten sich die Wassermassen und saugten alles in der Umgebung ein. Das Dröhnen wurde noch lauter, und jetzt wurde Stanni auch klar, dass es nicht etwa ein Schwarm wütender Hornissen am Himmel war, sondern das Geräusch des Strudels, der immer größer und stärker wurde!

Finn, der nach ihm geschrien hatte, war nicht mehr hinter der Kiste, wo ihn Stanni zuletzt gesehen hatte. Stattdessen war er bereits ins Wasser gesaugt worden und versuchte vergeblich, gegen die Kraft des Strudels anzuschwimmen.

»Was …eht hi… ab?«, schrie Finn, doch bei dem Lärm war er kaum zu verstehen. Stanni blieb keine Zeit, um den Ton leiser zu stellen, denn auch ihn zerrte es jetzt immer stärker in Richtung Meer. Wo war das »sich verzweifelt irgendwo festkrallen«-Emote, wenn man es brauchte!?

Und wo war Max? Der hatte doch eben noch direkt neben ihm gestanden. Stanni schaute sich panisch nach seinem Kumpel um, während er Richtung Wasser schlitterte. Da! Geschickt hatte Max seinen Avatar gegen eine niedrige Mauer geklemmt. Normalerweise nervten diese Dinger im Spiel total; für Deckung waren sie nicht hoch genug, und wenn man beim Springen schlechtes Timing hatte, blieb man dran hängen. Jetzt jedoch war Stanni saufroh, dass es sie gab. Er konnte zwar nicht verhindern, dass er weiter nach hinten rutschte, konnte aber seine Richtung so weit korrigieren, dass er neben Max an der kleinen Mauer landete.

Stanni schaute Max an, der trotz Superhelden-Outfit nicht mehr besonders heldenhaft wirkte. Max starrte zurück, anscheinend ebenso ratlos wie Stanni. Um sie herum wurden die anderen Spieler jetzt immer schneller in Richtung des Strudels gezogen. Stanni riskierte einen kurzen Blick zurück über die Mauer und wünschte sich direkt, es nicht getan zu haben.

Der Strudel war noch gigantischer geworden und reichte fast bis an den Strand heran. Finn war nirgendwo mehr zu sehen, er musste längst in den Schlund des Wirbels gezogen worden sein, gemeinsam mit etlichen anderen Spielern und zahllosen Deko-Objekten von Bouncy Beach. Sogar die große Jacht, die bis vor Kurzem noch ruhig im Meer gelegen hatte, war komplett verschwunden.

Was passierte hier nur gerade? Das wirkte alles überhaupt nicht wie das große Event, das in den geheimen Botschaften angekündigt worden war. Sie alle waren hierhergekommen, um gegen einen fiesen Schurken anzutreten wie in einem dieser Superhelden-Filme! Es hätte ein epischer Kampf werden sollen! Stattdessen verschlang ein gigantischer Strudel alle Spieler und war drauf und dran, auch die Map einzusaugen, und man konnte absolut rein gar nichts dagegen unternehmen. Über sie segelten mittlerweile auch Dachziegel, Backsteine und halbe hölzerne Hauswände hinweg. Nicht mehr lange, und auch ihre kleine Mauer würde dem Sog des Strudels nachgeben!

Stanni hatte das miese Gefühl, dass hier etwas gewaltig schieflief.

»Tja, Bruder, das war’s wohl mit uns«, sagte er resigniert, obwohl er vermutete, dass ihn Max bei dem Höllenlärm ohnehin nicht hören konnte.

Er ließ Siren zur Sicherheit noch mal salutieren. Das hatte Max kapiert und antwortete mit dem gleichen Emote – genau in dem Moment, als die Mauer endgültig nachgab. Mit einem hässlichen Knirschen zersprangen die Steine, und keine Sekunde später wurde Stanni vom unglaublichen Sog des Strudels erfasst. Die Welt wirbelte um ihn herum, als er waagerecht Richtung Meer gezogen wurde.

Vor Stannis Augen wurde alles zu bunten Schlieren, keine Chance, zu erkennen, wo oben und unten, wo Max, wo überhaupt irgendwas war. Er landete klatschend im Wasser und wurde sofort von der heftigen Strömung mitgerissen. Wie in einem riesigen Abfluss drehten sich die Wassermassen im Kreis, schneller und immer schneller. Und jetzt konnte Stanni auch den Grund für den Strudel erkennen: Ganz unten, am Meeresboden, lag ein schwarzes Loch, das unerbittlich alles verschlang, egal ob es Wasser, Sand, Holz oder ein Spieler war.

Stanni drückte wie ein Verrückter auf die Knöpfe seines Controllers, versuchte verzweifelt gegen die Strömung anzukommen. Aber es gab kein Entkommen. Es wurde dunkler und dunkler, und das Dröhnen und Rauschen wurde lauter und lauter.

Und dann, plötzlich … hörte alles auf.

Der Lärm stoppte schlagartig. Alles um ihn herum war pechschwarz. Stanni hörte nur noch seinen eigenen Atem.

»Leute?«, fragte er in die Stille hinein. »Alle noch am Leben?«

»Glaube ja«, sagte Max unsicher.

»Positiv«, piepste Finn.

Stanni atmete auf. Klar, das war alles nur im Spiel gewesen, aber mit VR-Brille wirkte eben alles superecht. Und auch jetzt hatte er das Gefühl, klitschnass zu sein, als wäre er wirklich fast im Meer ertrunken.

»Passiert hier jetzt noch irgendwas?«, fragte Max. Stanni konnte hören, wie er wild auf seiner Tastatur rumtippte.

Er sah sich in der Dunkelheit um, konnte aber absolut nichts erkennen. Und auch wenn er versuchte, seine Waffen abzufeuern, geschah nichts.

»Ich glaube, wir sind nicht mehr im Spiel«, sagte Finn nachdenklich.

Genau in diesem Moment flackerte es in der Dunkelheit einmal kurz auf, dann erschien plötzlich der Startbildschirm von Tal Royal, und die fröhliche Titelmelodie begann zu spielen. So, als hätte man gerade erst das Spiel hochgefahren. Also alles wie immer.

Oder zumindest fast. Denn über dem Startmenü tat sich nun eine Box auf, in der eine Nachricht in bunten Buchstaben blinkte.

Okay. Irgendetwas stimmte hier absolut rein gar nicht.

DER HILFERUF

Regen klatschte von außen gegen das Fenster von Stannis Zimmer. Der Wind rüttelte ordentlich an seinen Rollläden. Es war mittlerweile dunkel geworden.

Stanni knipste die Stehlampe in seinem Zimmer an, damit der Bildschirm seines Computers nicht mehr die einzige Lichtquelle war. Dann setzte er sich sein Headset auf. Die VR-Brille ließ er diesmal links liegen, die Nummer mit dem Strudel war dann doch etwas zu echt für seinen Geschmack gewesen.

»Schon was Neues?«, fragte er in den Voicechat.

»Nope«, sagte Max. Er klang müde und genervt.

Seit dem Server-Crash waren mittlerweile mehrere Stunden vergangen, und noch immer konnte man sich nicht ins Spiel einloggen. Im Internet wurde längst heftig diskutiert, was genau wohl während des Events schiefgelaufen war. Waren die Server zusammengebrochen? Oder war das alles Teil des Spektakels? War etwa der mysteriöse Nullpunkt das, was das schwarze Loch ausgelöst hatte?

Fragen über Fragen.

Aber Stanni war nicht interessiert an dem Rätsel um den Nullpunkt. Er war vor allem besorgt. Immerhin wusste er, dass Tal Royal eben nicht nur ein Spiel war, sondern gleichzeitig auch die Heimat der Bewohner von Los Lamas. Wenn jetzt ein gigantischer Strudel die gesamte Welt eingesaugt hatte, was bedeutete das für seine Freunde?

»Hey!«, rief da plötzlich Finn. »Es tut sich was!« Man hörte ihn wild auf der Tastatur rumtippen. »Die Server sind wieder da!«, sagte er dann triumphierend.

»Endlich!«, stöhnte Max erleichtert. Auch bei ihm klackerten Tasten.

Stanni atmete ebenfalls auf. Trotzdem zitterten ihm die Finger, als er sein Passwort eingab, um sich ins Spiel einzuloggen. Dann klickte er sofort auf »Runde beitreten«, ohne sich groß mit der Auswahl seines Skins aufzuhalten.

Der Ladebalken kroch unendlich langsam über den Bildschirm. 80%, 81%, 82%.

»Alter, was soll das denn?!« Max klang entsetzt. »Ist das deren Ernst?«

88%, 89%, 90%. Stanni starrte auf den Ladebalken, versuchte ihn mit seinen Gedanken zu beschleunigen.

»Das gibt’s doch nicht …«, sagte jetzt auch Finn.

98%, 99%, 100%. Stannis Finger schwitzten. Vor ihm auf dem Bildschirm erschien die Welt von Tal Royal. Doch er befand sich nicht im Landeanflug über der Map, sondern stand mitten in Trippy Town, die bunten Häuser sympathisch schief wie eh und je.

»Alles … alles ist weg!«, rief Max fassungslos.

Stanni schaute an sich herab. Siren hatte nicht mehr ihre Superheldenkleidung an, sondern das Starter-Outfit. Die Spitzhacke, die sie bei sich trug, war ebenfalls das absolute Standardmodell. Eigentlich hätten aber seine letzten Einstellungen gespeichert sein müssen.

Stanni öffnete hektisch die Übersicht für seine Emotes, aber sie war absolut leer. Keine Tänze, keine Posen, nichts.

»Leute, macht mal die Map auf«, sagte Finn.

Stanni drückte den Knopf für die Karte und sah es sofort. Sie war viel kleiner als sonst! Vorher hatte es hier bestimmt ein Dutzend Orte gegeben, die von Season zu Season hinzugekommen waren. Jetzt gab es nur noch vier: Trippy Town, den Hafen am Bouncy Beach, den Funky Forest und die Artic Alps. Es sah fast so aus, als …

»Die … die haben das ganze Spiel zurückgesetzt!«, keuchte Stanni. »Alles ist so, wie es ganz früher mal war!«

»Meine Tänze«, jammerte Max. »Und meine Emotes. Ich habe ewig gebraucht, bis ich die zusammenhatte! Die waren mein ganzer Stolz!«

»Ihr seid nicht die Einzigen, die alles verloren haben«, sagte Finn. »Hier laufen alle mit No Skins rum, schaut mal.«

Stanni sah sich um. Bei ihm in Trippy Town standen auch einige Spieler herum, die alle verwirrt in ihren Einstellungen herumscrollten und doch nicht fündig wurden. Was für ein Albtraum! Auf einen Schlag war alles verloren, für das hier jeder wochen-, vielleicht monatelang gearbeitet hatten. Kein Wunder, dass niemand ernsthaft die Runde spielte, sondern alle nur freudlos durch die Stadt geisterten. Einige loggten sich sogar ganz aus, zumindest sank die Anzahl der aktuellen Spieler in dieser Runde stetig. Schon jetzt waren von hundert Spielern nur noch siebzig übrig. Und Stanni konnte sie verstehen, das war echt nur noch frustrierend.

Auch er schlich jetzt durch Trippy Town und entdeckte überall die Veränderungen. Die Tankstelle war verschwunden, und die Reihe an Reklameschildern, hinter denen Stanni besonders gern in Deckung ging, gab es auch nicht mehr. Viele der Gebäude, in die man zuvor hatte reinlaufen können, waren jetzt nicht mehr zugänglich, sondern mit Brettern zugenagelt. Tja, so hatte das Spiel ganz früher mal ausgesehen, das stimmte wohl. Aber es gab ja einen Grund, warum es weiterentwickelt und verbessert worden war. Gerade diese ständigen Veränderungen und Neuerungen waren es, die dafür sorgten, dass so viele Spieler das Tal Royal liebten. Jetzt, wo alles weg war …

Stanni sah bedrückt auf. Er stand inzwischen vor dem Rathaus, dem größten Gebäude am Marktplatz in der Mitte von Trippy Town. Jemand hatte große Buchstaben auf die Außenmauer des Hauses gemalt. Komisch. Daran konnte sich Stanni gar nicht erinnern.

»Habt ihr das Rathaus in Trippy Town gesehen?«, fragte Stanni. »Es ist total vollgekritzelt mit irgendwelchen Buchstaben.«

»Eine geheime Botschaft vielleicht?«, wunderte sich Finn. Er klang plötzlich wieder etwas aufgeregter. Das Entschlüsseln der Nachrichten, die vom Nullpunkt erzählten, hatte ihm besonders gefallen. Jetzt witterte er wohl das nächste Rätsel. »Was genau steht da?«

Stanni kniff die Augen zusammen. Die Schrift war ganz schön krakelig, als hätte jemand nicht besonders viel Zeit gehabt, sie an die Hauswand zu pinseln.

»ISLA…TALS…DRNTK?«, las Stanni langsam.

»Hast du grad einen Schlaganfall?«, fragte Finn.

»Das steht hier. Oder vielleicht auch … DARK…IS…LAST…TLN?«

»Was für ’ne blöde Geheimnachricht«, meldete sich Max genervt zu Wort. »Was soll’n das bitte sein?«

Stanni legte den Kopf schief, versuchte, die Buchstaben anders anzuordnen, aber nichts ergab wirklich Sinn.

»Tja«, sagte Finn nach ein paar Minuten, in denen er wohl online recherchiert hatte. »Andere Spieler haben das auch schon entdeckt, aber schlau wird irgendwie keiner draus. Die meisten glauben, dass es KRISTALLSTAND heißen soll.«

»Das wäre immerhin ein richtiges Wort. Aber was soll ein Kristallstand sein?«, grübelte Stanni.

»Vielleicht ein neues Item?«, schlug Max vor.

»Sie nehmen alle Inhalte raus, um ein einziges neues Item einzuführen?« Finn klang nicht sehr überzeugt. »Im Code steht von einem Kristall jedenfalls nichts.«

Stanni hatte in der Zwischenzeit das Wort KRISTALLSTAND auf einen Zettel auf seinem Schreibtisch gekritzelt und begann jetzt, die Buchstaben neu anzuordnen, um vielleicht so das Geheimnis hinter dem Wort zu entziffern.

KRISTALLSTAND. ANTARKTIS DLLS. DR ATLANTIS SLK.

»Findest du was zu Atlantis, Finn? Oder zur Antarktis?«, murmelte Stanni vor sich hin. Er hörte das Tastaturtippen auf der anderen Seite.

»Nope«, kam die Antwort nach wenigen Sekunden.

»Kannst dich ja umbenennen, in KRISTALLSTANDartskill, hehe«, kommentierte Max.

»Haha«, gab Stanni trocken zurück. Die Buchstaben vor ihm verschwammen. NASSKALT DILRT. KLARISSA DTTLN.

Moment. Stopp.

Die Buchstaben wirbelten umher. Verbanden sich neu. Stanni riss die Augen auf und setzte sich wieder richtig hin.

KRISTALLSTAND. STANDARTSKILL.

Das war sein Name! Jemand hatte die Buchstaben seines Namens an die Hauswand des Rathauses geschrieben. Das Internet hatte sie nur falsch zusammengesetzt. Das war wirklich eine geheime Nachricht! Aber sie war nicht für die anderen Spieler gedacht. Das war eine Nachricht an ihn, an ihn ganz allein. Und es gab nur eine Möglichkeit, wie diese Nachricht es an die Hauswand eines Gebäudes in Trippy Town geschafft hatte: Ein Bewohner von Los Lamas musste an die Oberfläche gekommen sein und sie dort hinterlassen haben, in der Hoffnung, dass Stanni sie finden würde.

Das war ein Hilferuf! Los Lamas brauchte Stannis Hilfe!

Stanni starrte auf den Bildschirm, er war schon ganz hibbelig vor Aufregung. Er musste einen Weg finden, wieder ins Spiel zu glitchen. Er musste wieder als Stanni nach Los Lamas. Aber wie, verfluxt noch mal, sollte er das anstellen?

Ihm fielen auf die Schnelle nur zwei Ideen ein. Er könnte natürlich versuchen, noch einmal einen der geheimen Zugänge nach Los Lamas zu finden. Hier in Trippy Town hatte es doch eine Laderampe gegeben. Jetzt, wo die Spieler nur umherirrten, anstatt zu spielen, könnte er in Ruhe nach einem Schalter suchen. Dass ihn das aber als Stanni ins Spiel ziehen würde, war leider nicht garantiert.

Oder aber er bat Finn um Hilfe. Immerhin war es damals die Schuld des Nachwuchs-Hackers gewesen, dass Stanni überhaupt ins Spiel hineingestolpert war. Vielleicht konnte er noch einmal im Code herumwühlen und einen weiteren Glitch auslösen. Allerdings mussten sie vorher Max loswerden. Der wusste ja nichts von Los Lamas, und das sollte auch so bleiben.

Puh, eine schwere Entscheidung.

Tja, und hier bist du gefragt. Ja, genau, DU! Denn auch dieses Mal ist Stanni auf deine Mithilfe angewiesen!

»Ich versuche auf eigene Faust, einen der geheimen Zugänge nach Los Lamas zu finden!«

Ob das wohl die richtige Taktik ist? Finden wir es heraus, auf Seite 22!

»Ich brauche deine Hilfe, Finn!«

Soll Finn noch einmal im Code des Spiels herumwühlen und einen neuen Glitch produzieren? Dann ab zu Seite 25!

 

»Ich versuche auf eigene Faust, einen der geheimen Zugänge nach Los Lamas zu finden«, sagte Stanni motiviert und griff nach dem Controller.

»Was für ein Lama?«, fragte Max neugierig.

Mist, eigentlich wollte Stanni das natürlich nicht laut sagen.

»Ich hab gesagt, dass das LAHM ist, nicht Lama, du Profi«, log Stanni spontan.

Max sagte erst nichts, als müsste er überlegen, ob er sich wirklich verhört hatte. Dann seufzte er.

»Ja, ist wirklich ziemlich lame alles. Kein Wunder, dass gerade keiner mehr spielen will.«

Stanni atmete auf. Noch mal Glück gehabt. Jetzt musste er nur noch einen Grund finden, sich unauffällig aus dem Voicechat zu verabschieden.

»Hey, Max«, meldete sich da Finn zu Wort. »Du wolltest mir doch schon die ganze Zeit dieses Spiel zeigen, in dem man Autos klauen muss! Hier passiert eh nichts mehr.«

Danke, Finn, dachte Stanni erleichtert. Offenbar hatte Finn die Situation sofort erkannt und verstanden, dass Stanni Hilfe brauchte.

»Ach, lässt deine Mami dich das denn spielen?«, hänselte Max. »Du bist doch erst …«

»Dann lass ich euch Jungs mal in Ruhe zocken«, verabschiedete sich Stanni schnell. »Macht’s gut, haut rein und so!«

Und damit trennte er die Verbindung. Er atmete kurz durch. Eine private Nachricht von Finn blinkte sofort auf. »Viel Glück!«, schrieb er.

»Dann wollen wir mal«, sagte Stanni laut und knackte mit den Knöcheln, ehe er seinen Controller in die Hand nahm. Kurz schaute er mit mulmigem Gefühl auf seine VR-Brille, entschloss sich aber schließlich, sie doch aufzusetzen. Immerhin hatte er sie auch getragen, als er das erste Mal ins Spiel geglitcht war. Sie war bestimmt wichtig!

Er verließ die aktuelle Runde und startete eine neue, ohne seine beiden Freunde. Hier landete er direkt auf dem Marktplatz von Trippy Town, weil er wusste, dass es hier eine geheime Laderampe gab, die hinunter in einen Tunnel führte. Bei seinem ersten Besuch im Tal Royal hatte Baumeisterin Sonja die Rampe mit einer Fernbedienung geöffnet, aber vielleicht gab es ja noch einen anderen Schalter.

Der Marktplatz sah so aus, wie er ihn verlassen hatte, doch normalerweise tummelten sich hier etliche Spieler, immerhin war das der Mittelpunkt der gesamten Map. Jetzt aber war weit und breit niemand mehr zu sehen, und ein kurzer Blick auf die Spielerzahlen verriet, dass nur noch weniger als fünfzig Leute in der aktuellen Runde waren. Der Rest hatte sich wohl frustriert ausgeloggt.

Perfekt für Stanni. Er begann, auf dem Boden herumzukriechen, genau dort, wo er die Rampe vermutete. Tja, nichts zu sehen. Er legte den Kopf schief und schielte nach irgendeiner verräterischen Erhebung. Aber nichts verriet, dass sich unter den Pflastersteinen eine versteckte Luke befand.

Aber was, wenn mal jemand die Fernbedienung vergaß? Es musste doch einen geheimen Schalter für den Notfall geben. Stanni sah sich um. Der Marktplatz war eigentlich kaum mehr als eine große, leere, gepflasterte Fläche. Die absolute Todeszone. Das Einzige, das hier vor versteckten Scharfschützen Deckung bot, war die Statue von Bürgermeister Trippington, die in der Nähe des Rathauses stand.

Mensch, das musste es sein! Die besten Verstecke sind eben immer die, die am auffälligsten sind. Weil da niemand suchen würde.

Stanni sprintete zur Statue. Trippington stand auf einem steinernen Sockel, die Hände wie immer in die Hüften gestemmt. Zunächst war daran nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Erst als Stanni die Statue langsam einmal umrundete, sah er es: Im Sockel gab es eine kleine Vertiefung an der Seite. Sie war kaum größer als eine Münze, etwas länglicher, fast rechteckig. Und Stanni wusste sofort, was in diese Vertiefung passte.

Hektisch zog er sich die VR-Brille vom Kopf und beugte sich zu seiner Schreibtischschublade. Im obersten Fach, versteckt unter einigen losen Notizzetteln, lag eine Box. In ihr bewahrte er seine »Schätze« auf. Seine seltenste Pokémon-Karte. Einen Fidget Cube. Und vor allem den Anhänger, den er damals in Los Lamas bekommen hatte. Es war ein rechteckiges Metallplättchen mit einem Bild von Flux, seinem kleinen Würfelfreund aus Los Lamas, und darunter war Stannis Name eingraviert.

Aufgeregt befestigte er den Anhänger an seiner Glückskette, dann setzte er die VR-Brille wieder auf. Er blinzelte kurz, und schon war er zurück auf dem Marktplatz, direkt vor der Statue mit der Vertiefung.

»Bitte sei da«, murmelte Stanni und schaute am Körper seines digitalen Charakters hinab – und tatsächlich, um Sirens Hals baumelte nun der Anhänger, den sich Stanni gerade in der echten Welt angezogen hatte!

Stanni lehnte sich zum Sockel hin, griff mit zitternden Fingern nach dem Anhänger und presste ihn in die Vertiefung. Er passte perfekt. Es piepste einmal kurz.

»Zugang bewilligt« ertönte eine freudige Computerstimme. Und dann versank alles um Stanni in einem grellen lilafarbenen Licht.

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»Ich brauche deine Hilfe, Finn!«, sagte Stanni entschlossen.

»Ach ja?«, fragte Finn neugierig.

»Tja, ähm, genau. Es geht um … um die Lamas!«

Eine Weile herrschte Stille. Mist, hatte Finn die Anspielung nicht verstanden?

»Ooooh. Die Lamas!«, rief Finn dann aber doch übertrieben freudig.

»Hä?«, machte Max. »Habt ihr ’nen Schaden?«

Stanni räusperte sich. »Äh, ich brauche nur Hilfe bei ... einem Referat!«

»Über Lamas?«, fragte Max argwöhnisch.

»Ich bin so eine Art Profi!«, log Finn.

»Für … Lamas?«

»Ja?«, krächzte Finn nicht gerade überzeugend. Stanni schlug sich die Hand gegen die Stirn.

Aber Max lachte laut los. »Alter, Stanni, was du immer für Leute anschleppst.«

Die anderen beiden fielen nervös in sein Lachen mit ein. Anscheinend hatte er es ihnen abgekauft. Noch mal Glück gehabt!

»Na ja, was auch immer«, sagte Max, nachdem er sich beruhigt hatte. »Ich hab keine Lust mehr auf den Mist hier. Ich zock was anderes. Könnt euch ja melden, wenn ihr mit euren Lamas fertig seid.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich aus dem Voicechat. Stanni atmete hörbar auf.

»Du willst wieder zurück ins Spiel, oder?«, riet Finn.

Clever, er hatte es gleich gecheckt.

»Die Kritzeleien auf dem Rathaus? Das ist mein Name!«, erklärte Stanni aufgeregt. »Nur die Buchstaben sind vertauscht. Die Leute in Los Lamas brauchen meine Hilfe!«

»Und du willst, dass ich dich wieder ins Spiel glitche?«, bohrte Finn nach. Er klang unsicher. Klar, beim letzten Mal, als er am Code des Spiels gebastelt hatte, war er selbst ins Tal Royal gezogen worden und hatte eine ganze Weile darin festgesteckt. Aber Stanni musste das Risiko eingehen.

»Mit Siren komme ich nicht nach Los Lamas, ich muss Stanni sein, anders geht es nicht«, seufzte er. »Und du bist der Einzige, der weiß, wie das geht.«

Finn schien kurz darüber nachzudenken. Vielleicht wägte er ab, was wohl passierte, wenn ihn die Macher des Spiels wieder erwischten. Vielleicht würde er dann für immer gebannt werden. Aber offenbar entschied er, dass es das Risiko wert war, denn Stanni hörte ihn hektisch auf seiner Tastatur tippen.

»Okay, du musst deine VR-Brille wieder aufsetzen«, befahl er in ernstem Ton.

Stanni gehorchte sofort, auch wenn ihm ein bisschen mulmig zumute war. Die Nummer mit dem Strudel hatte ihm ganz schön zugesetzt – und das war nicht mal echt gewesen!

Er zog sich die Brille trotzdem über den Kopf und schlüpfte wieder in die Rolle seines Avatars Siren. Vor ihm war noch immer das vollgekritzelte Rathaus. Kein Spieler war weit und breit zu sehen.

Finn klackerte noch immer auf seiner Tastatur.

»Wo hat dich der Glitch beim letzten Mal erwischt? Da musst du hin«, sagte er nun.

»Trippy Town Tanke«, sagte Stanni, ohne zu zögern. Das würde er wohl nie vergessen.

»Tanken und Freunde treffen«, murmelte Finn konzentriert; das war der Spruch, der auf einem Schild auf der Tankstelle stand. Stanni kicherte kurz. Selten dämlicher Spruch, aber immer wieder witzig.

Er rannte los, aber gerade als er um eine Häuserecke bog, fiel es ihm wieder ein.

»Wir haben da vielleicht ein kleines Problem«, merkte Stanni an. »Die Tankstelle gibt es nicht mehr. Oder noch nicht.«

»Oh«, machte Finn. »Das erklärt wohl, wieso ich die Location nicht im Code finde. Ich wollte die Tanke als Fokus benutzen. Ich weiß nicht, wie ich den Glitch sonst auf dich lenken soll.«

Stanni überlegte kurz. »Ich hab da vielleicht einen anderen Fokus für dich«, sagte er. »Warte kurz.«

Er setzte seine VR-Brille ab und öffnete die oberste Schublade seines Schreibtischs. Darin befand sich eine kleine Box, in der er seine wichtigsten Besitztümer aufbewahrte. Einen Fidget Cube. Eine seltene Pokémon-Karte. Und den Kettenanhänger, den er während seines letzten Abenteuers in Los Lamas bekommen hatte. Sein Name stand darauf, außerdem war ein Bild von Flux, dem kleinen Würfel, zu sehen, den er in Los Lamas kennengelernt hatte. Sogar ein bisschen angetrockneter Flux-Sabber klebte an dem Metall.

Stannis Idee war zwar verrückt, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein. Er klipste den Anhänger an seine Glückskette, dann setzte er sich die VRBrille wieder auf. Sofort war er zurück in Trippy Town, und – er schaute an sich herab – um Sirens virtuellen Hals baumelte jetzt tatsächlich ebenfalls der Anhänger, den er in der realen Welt gerade angelegt hatte. Er schien darauf zu reagieren, wieder in der digitalen Welt zu sein, denn er begann, mit einem leichten lilafarbenen Schimmer zu leuchten.

»Oh!«, machte da Finn, und Stanni hörte, wie er schneller auf der Tastatur herumtippte. »Eine neue Energiesignatur ist im Code aufgetaucht! Bist du das?«

Stanni lächelte schief. »Ich glaube schon.« Der Anhänger schien wie zur Antwort stärker zu pulsieren, lila Funken knisterten über die Oberfläche.

»Okay, damit kann ich arbeiten! Kurz die Überprüfung aushebeln … die Koordinaten anpassen … hier noch schnell eine Variable einfügen …«, murmelte er aufgeregt.

Stanni trat nervös von einem Bein aufs andere. Der Anhänger an seiner Brust war mittlerweile richtig warm geworden.

»Tja, besser wird’s nicht!«, sagte Finn endlich. »Dann drück mal die Daumen, dass das klappt. Jetzt. Geht’s. LOS.«

Und wie auf Kommando leuchtete die ganze Welt um Stanni herum in grellem Lila auf.

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ZURÜCK IN LOS LAMAS

Stanni fühlte sich wie schwerelos, als das grelle lilafarbene Licht ihn einhüllte. Er kniff geblendet die Augen zusammen, aber die Helligkeit drang selbst durch seine geschlossenen Lider hindurch.

Ein paar Sekunden lang passierte nichts. Dann ertönte ein lautes PLOPP, das Stanni stark an das Geräusch eines Korkens erinnerte, der aus einer Sektflasche flog. Das grelle Licht verschwand, stattdessen war es jetzt dämmerig, wie abends kurz vor Sonnenuntergang. Es wehte ein angenehmer Wind, der seine Haare unter der Kappe zerzauste.

Stanni blinzelte. Da, direkt vor sich, konnte er die Sonne sehen. Sie war ein großer orangener Ball, der über der Spitze einer riesigen Pyramide hing und nur noch ein wenig letztes Licht ausstrahlte.

Moment. Eine Pyramide?

Stanni riss die Augen auf. In diesem Moment wurden ihm zwei Dinge gleichzeitig bewusst. Erstens: Das war die unterirdische Sonne von Los Lamas! Ein riesiger künstlicher Ball aus Licht, der die Höhle, in der die Stadt lag, beleuchtete. Er hatte es also geschafft. Er war wieder zurück! Zweitens: Er befand sich im freien Fall! Der angenehme Wind, den er spürte, war in Wirklichkeit die Luft, die an ihm vorbeirauschte, während er auf die Stufen der Pyramide zustürzte. Und das würde wehtun, denn – so stellte er überrascht fest – er steckte nicht mehr in Sirens Körper, sondern war wieder er selbst. Ausgebeulte Jeans, lässiges T-Shirt, Kappe. Stanni eben!

»Whaaaaaaaaaa!«

Die Stufen der Pyramide sausten immer näher. Es musste doch eine Möglichkeit geben, seinen Sturz abzubremsen! Mit Siren hätte er jetzt einfach seinen Gleiter aktiviert, wäre bis zum Fuß des Monuments geschwebt und hätte sich dort geschickt abgerollt. Aber als Stanni hatte er keinen Gleiter auf dem Rücken, und was das coole Abrollen anging, bedurfte es sicherlich auch Übung. Als Stanni konnte er gerade nur eines: fallen wie ein Stein.

Er schaute sich panisch um. Die gesamte Höhle erstreckte sich unter ihm, raste auf ihn zu. Die Pyramide und drum herum, in orangenes Licht gehüllt, Los Lamas und seine vielen, wild zusammengewürfelten Gebäude, die kleinen Gässchen und größeren Straßen, der glitzernde Fluss, der sich durch die Stadt schlängelte. Girlanden aus dicken Seilen mit Lampions und Fahnen hingen hier und da zwischen den Häusern und über dem großen Vorplatz der Pyramide, als hätte vor Kurzem ein Fest stattgefunden.