Star Wars. Das Erbe der Jedi-Ritter 13. Verräter - Matthew Stover - E-Book

Star Wars. Das Erbe der Jedi-Ritter 13. Verräter E-Book

Matthew Stover

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die erfolgreichste Weltraum-Saga aller Zeiten geht weiter!

Jacen Solo hat eine geheimnisvolle neue Meisterin gefunden: Die oft grausame Vergere zeigt ihm eine unbekannte Dimension der Macht, die zu einer unschätzbaren Waffe gegen die Yuuzhan Vong werden könnte. Doch Jacens Ausbildung bleibt nicht unbemerkt …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 411

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Prolog - Den Schmerz annehmenTeil Eins - Abstieg
1 - Kokon2 - Die Zuchtstation3 - Der Garten4 - Der Wille der Götter5 - Saatfall
Teil Zwei - Die Höhle
6 - Zu Hause7 - Der Krater8 - In die Dunkelheit9 - Verschlungen10 - Trautes Heim
Teil Drei - Die Tore des Todes
11 - Verräter12 - Das Licht des Wahren Wegs13 - Ruhmkrankheit14 - Weg des Schicksals
Epilog - LektionenCopyright

Den Lehrern gewidmet

Dramatis Personae

Ch’Gang Hool, Meistergestalter der Yuuzhan Vong

Ganner Rhsyode, Jedi-Ritter

Jacen Solo, Jedi-Ritter

Nom Anor, Exekutor der Yuuzhan Vong

Tsavong Lah, Kriegsmeister der Yuuzhan Vong

Vergere, eine Fosh

Prolog

Den Schmerz annehmen

Außerhalb des Universums ist nichts.

Dieses Nichts nennt man Hyperraum.

Eine winzige Existenzblase hängt im Nichts. Diese Blase nennt man ein Schiff.

Die Blase bewegt sich weder, noch verharrt sie reglos, sie hat nicht einmal eine Richtung, da es im Nichts keine Entfernungen oder Richtungen gibt. Sie hängt einfach da, eine Ewigkeit oder weniger als einen Augenblick, denn im Nichts gibt es auch keine Zeit. Zeit, Entfernung und Richtung sind nur innerhalb der Blase bedeutsam, und die Blase erhält diese Dinge nur aufrecht, indem sie das Innen vollkommen vom Außen trennt.

Die Blase ist ihr eigenes Universum.

Außerhalb des Universums ist nichts.

Jacen Solo hängt im Weiß und erforscht das Spektrum des Schmerzes.

Im tiefen Infrarot findet er Funken von Durst, die seine Kehle ausdörren. Höher, in den sichtbaren Wellenlängen, glühen die scharlachroten, zu Drähten gestreckten Bänder, die in seinen Schultern knistern; knirschende Glassplitterlaute steigen kreischend aus seinen Hüftgelenken auf wie die Todesschreie goldener ithorianischer Sternblüten. Es gibt auch Grün – brodelnde Säurezungen, die gierig an seinen Nerven lecken –, ebenso blitzblaue Schocks, die bewirken, dass sein überreizter Körper sich immer wieder verkrampft.

Und noch höher, nicht weit hinter dem ultravioletten Verrat, der ihn hierher brachte – dem Verrat, der ihn den Yuuzhan Vong auslieferte, dem Verrat, der ihn in diese Umarmung des Schmerzes schleuderte, dem Verrat durch Vergere, der er vertraute –, findet er lautlose, zerrüttende Gammastrahlensalven, die sich in sein Hirn bohren.

Diese Gammastrahlensalven haben die Farbe des Todes seines Bruders.

Anakin, stöhnt er irgendwo tief drinnen, Anakin, wie kannst du tot sein?

Es hatte in seiner Familie schon öfter Todesmeldungen gegeben; mehr als einmal hatte er Jaina, seinen Vater, seine Mutter oder Onkel Luke für verloren gehalten. Er hatte sie beweint, hatte getrauert – aber es stellte sich immer heraus, dass es eine Falschmeldung war, ein Missverständnis, manchmal sogar ein bewusst angewandter Trick … Am Ende waren sie immer zu ihm zurückgekehrt.

Bis Chewbacca starb.

Als der Mond auf Sernpidal fiel, zerstörte er nicht nur Chewbaccas Leben, sondern auch die Magie, die sie alle offenbar stets geschützt hatte. Etwas im Universum war gekippt und hatte einen Riss in die Wirklichkeit geöffnet, und durch diesen Riss war der Tod in seine Familie eingedrungen.

Anakin …

Jacen sah ihn sterben. Spürte ihn sterben, durch die Macht. Sah seinen leblosen Körper in den Händen der Yuuzhan Vong.

Anakin war nicht einmal schwächer geworden.

Er war einfach nur gestorben.

In einem einzigen unmöglichen Augenblick hörte Anakin auf, der Bruder zu sein, mit dem Jacen gespielt, den er geneckt, auf den er aufgepasst, dem er Streiche gespielt, mit dem er sich gestritten, um den er sich gekümmert, mit dem er trainiert, den er geliebt hatte. Und er wurde zu … was? Zu einem Gegenstand. Zu sterblichen Überresten. Keine Person; keine Person mehr. Nun gibt es nur noch eine Person, die Anakin ist: das Bild, das Jacen im Herzen trägt.

Ein Bild, das anzuschauen er sich nicht einmal selbst gestatten kann.

Jeder kurze Blick auf Anakin, auf sein leichtsinniges Grinsen, das dem ihres Vaters so ähnlich war, seine Augen, in denen eine leidenschaftliche Willenskraft glühte – ein Spiegelbild der Augen ihrer Mutter –, seine leichtfüßige, athletische Kriegeranmut, so ähnlich der von Onkel Luke: Das sind die Gammasalven, die bis ins Mark brennen, die sein Hirn zum Sieden bringen, bis das Brodeln droht, seinen Schädel zu sprengen.

Aber wenn er den Blick von Anakin abwendet, kann er nichts anderes als Schmerzen sehen.

Er kann sich nicht erinnern, ob er sich auf einem Schiff oder immer noch auf einem Planeten befindet. Er erinnert sich vage an eine Gefangennahme an Bord eines Yuuzhan-Vong-Schiffs, eines Weltschiffs, aber er ist nicht vollkommen sicher, ob er selbst es war, der da gefangen genommen wurde, oder ein anderer. Er kann sich nicht mehr erinnern, ob solche Unterscheidungen etwas bedeuten. Er kennt nur das Weiß.

Er erinnert sich, dass er schon öfter gefangen genommen wurde. Er erinnert sich an Belkadan, erinnert sich an seinen eitlen Traum davon, die Sklaven zu befreien, erinnert sich an das schiere Entsetzen, als er bemerkte, dass seine Macht-Kräfte ihm nicht gegen die Yuuzhan Vong helfen würden; er erinnert sich an die Umarmung des Schmerzes, erinnert sich daran, wie sein Onkel Luke ihn rettete.

Meister Luke. Meister Skywalker.

Er erinnert sich an Vergere. Diese Erinnerung wiederum führt ihn zur Voxyn-Königin, und die Voxyn-Königin lässt ihn erneut voller Verzweiflung auf Anakins Leiche zudriften. Anakins Leiche treibt auf einem brennenden See der Qual, die schlimmer ist als alles, das Jacens Körper zustoßen könnte.

Jacen weiß – auf intellektuelle, distanzierte, abstrakte Weise –, dass er einmal außerhalb des Weiß existierte. Er weiß, dass er einmal Glück, Freude, Bedauern, Zorn, sogar Liebe empfand. Aber das sind nur Gespenster, Schatten, die unterhalb des Tosens der Schmerzen wispern, dieser Schmerzen, die alles erfüllen, was er ist, alles, was er je sein wird; die schlichte Tatsache, dass das Weiß einen Anfang hatte, lässt nicht unweigerlich auf ein Ende schließen. Jacen existiert außerhalb der Zeit.

Wo Jacen ist, ist nur Weiß und die Macht.

Die Macht ist die Luft, die er atmet – ein kühler Hauch geistiger Gesundheit, eine sanfte Brise aus einer gesunden Welt –, obwohl er sie ebenso wenig greifen kann, wie er den Wind halten könnte. Sie umgibt ihn, erfüllt ihn, akzeptiert sein Leiden und sorgt dafür, dass er nicht den Verstand verliert. Sie erinnert ihn mit einem Flüstern daran, dass Verzweiflung zur Dunklen Seite gehört, und dieses Flüstern gibt ihm die Kraft weiterzuleben.

Wie in sehr weiter Ferne spürt er in dieser kühlen Brise auch einen Knoten von Zorn, von finsterer Wut und Verzweiflung, der sich noch fester zusammenzieht, komprimiert bis zur Dichte eines Diamanten und darüber hinaus, bis er sich schließlich selbst pulverisiert. Er spürt durch die Verbindung, die seit ihrer Geburt besteht, wie seine Zwillingsschwester in die Dunkelheit stürzt.

Jaina, fleht er in einer stillen Ecke seines Herzens. Tu es nicht. Jaina, halte durch …

Aber er kann sich nicht erlauben, sie in der Macht zu berühren; er kann sie nicht bitten, seine Qualen zu teilen – sie leidet bereits so sehr, dass noch mehr Leid sie nur tiefer in die Dunkelheit treiben würde. Und so wird auch die Verbindung zu seiner Zwillingsschwester für ihn zu einer Quelle der Pein.

Jacen ist zu einem Prisma geworden, das das glitzernde Spektrum des Schmerzes zu reiner, glühender Qual bündelt.

Diese Qual ist weiß.

Schneeblind in einem ewigen Eismittag des Leidens hängt Jacen Solo in der Umarmung des Schmerzes.

Durch die Berührung einer Hand an seinem Kinn sickerte Zeit ins Weiß. Es war keine Menschenhand, auch nicht die eines Wookiee, nicht die eines Familienmitglieds oder guten Freunds – es waren vier Finger, fest wie die Klauen eines Raptors –, aber die Berührung war warm und feucht und irgendwie nicht unfreundlich. Die Schmerzen zogen sich in seinen Hinterkopf zurück, bis er wieder denken konnte, obwohl er spürte, dass sie dort weiterhin lauerten, warteten. Er wusste, dass sie ihn wieder überwältigen, sich wieder in Wellen an ihm brechen würden, aber im Augenblick …

Die Qualen verebbten langsam, und Jacen konnte die Augen öffnen.

Die Hand, die ihn aus dem Weiß geholt hatte, gehörte Vergere. Sie stand unterhalb von ihm und blickte mit ihren großen Augen zu ihm auf, die Finger immer noch an seiner Wange.

Jacen hing horizontal und mit dem Gesicht nach unten zwei Meter oberhalb eines Bodens aus nassem, glatt aussehendem Grün und Braun – die Oberfläche war von Knoten und Ranken durchzogen, oder waren das Sehnen und Adern? Die Wände sonderten ölige Feuchtigkeit ab, die vage organisch roch: Banthaschweiß und Falkenfledermauskot. Aus der Dunkelheit über ihm hingen Tentakel wie bewegliche Augenstiele herab, die Enden mit glühenden Kugeln versehen, die ihn anstarrten, während die Tentakel sich verflochten und tanzten und sich umeinander drehten.

Er verstand: Der Feind sah zu.

Etwas, das sich wie Klauen anfühlte, hielt seinen Schädel scharf und unnachgiebig von hinten fest; er konnte den Kopf nicht drehen, um zu sehen, was das war. Seine Arme waren weit zur Seite gezogen und so verdreht, dass seine Schultern in ihren Gelenken kreischten. Ein einziger fester Griff drückte seine Fußknöchel zusammen, ließ Knochen gegen Knochen knirschen …

Aber der größte Schmerz ging nun davon aus, Vergere zu sehen und sich daran zu erinnern, dass er ihr vertraut hatte.

Sie zog die Hand zurück und bewegte die Finger, während sie sie mit einem Ausdruck anstarrte, der bei einem Menschen vielleicht ein Lächeln gewesen wäre – als wäre ihre Hand ein fremdartiges Werkzeug, das sich vielleicht auch als Spielzeug benutzen ließe.

»Unsere Herren«, sagte sie beiläufig, als setzte sie ein lange zuvor begonnenes freundschaftliches Gespräch fort, »halten es nicht für beschämend, wenn ein Krieger in deiner Situation um den Tod bittet. Hin und wieder wird er gewährt, um großen Mut auszuzeichnen. Es gibt einige auf diesem Schiff, die behaupten, durch das, was du mit der Voxyn-Königin gemacht hast, hast du dir eine solche Ehre verdient. Andererseits will der Kriegsmeister dich lebendig haben, damit er dich den Wahren Göttern opfern kann. Auch dies ist eine sehr große Ehre. Verstehst du das?«

Jacen verstand nichts außer seinen Schmerzen, den körperlichen und den seelischen, angesichts des Verrats. »Ich …« Wenn er sprach, riss es in seiner Kehle, als würde er Transparistahlsplitter husten. Er verzog das Gesicht und kniff die Augen zu, bis Galaxien in ihnen aufblitzten, dann biss er die Zähne zusammen und sprach dennoch weiter. »Ich habe dir vertraut.«

»Ja, das hast du.« Sie öffnete die Hand, drehte ihre geviertelte Handfläche nach oben, als wollte sie eine fallende Träne auffangen, und lächelte ihn an. »Warum?«

Jacen konnte keinen Atem finden, um zu antworten, und dann stellte er fest, dass er keine Antwort hatte.

Sie war so fremd …

Er war auf Coruscant aufgewachsen, dem Dreh- und Angelpunkt der Galaxis, und konnte sich an keinen einzigen Zeitpunkt erinnern, an dem er nicht Dutzende – ja hunderte, sogar tausende – vollkommen unterschiedlicher Spezies gesehen hatte, wenn er auch nur aus dem holografischen Fenster seines Schlafzimmers schaute. Alle Raumstraßen führten nach Coruscant. Alle intelligenten Spezies der Neuen Republik hatten dort ihre Vertreter. Rassismus war ihm vollkommen fremd; Jacen war ebenso wenig imstande, jemanden nicht zu mögen oder ihm zu misstrauen, weil er einer anderen Spezies angehörte, wie er imstande gewesen wäre, Methan zu atmen.

Aber Vergere …

Ihr Körper war kompakt und geschmeidig, und sie hatte lange, seltsam bewegliche Arme, als verfügten sie über zusätzliche Gelenke. Von ihren Händen gingen Finger aus wie die Greifstacheln andoanischer Felsenpolypen, ihre Knie beugten sich nach hinten … Er war sich bewusst, dass er noch nie zuvor ein Geschöpf von Vergeres Art gesehen hatte. Ihre lang gezogenen, hellen Augen hatten die Form von Tränen, und eine Spur von Schnurrhaaren umgab ihren breiten, ausdrucksvollen Mund … aber was drückte er aus? Wie konnte Jacen wissen, was die Bewegungen ihrer Lippen tatsächlich bedeuteten?

Es erinnerte an ein menschliches Lächeln, aber sie selbst erinnerte in nichts an einen Menschen.

Vielleicht benutzte ihre Spezies den Busch irisierender Federn am Kopfkamm, um Signale zu geben; im Augenblick stellten sich die Federn nahe dem hinteren Ende ihres abgeplatteten Kopfs auf und spreizten sich, und ihre Farbe wechselte von Sternenlichtsilber zum Rot einer Blastersalve. War das etwas, das einem Lächeln entsprach? Oder dem trockenen Schulterzucken eines Menschen? Oder der Drohgebärde eines Raubtiers?

Woher sollte er das wissen?

Wie hatte er ihr je vertrauen können?

»Aber du …«, keuchte er. »Du hast Mara gerettet …«

»Habe ich das?«, zirpte sie vergnügt. »Und wenn ja, welche Bedeutung misst du dem bei?«

»Ich dachte, du stündest auf unserer Seite …«

Eine Braue wölbte sich nach oben. »So etwas wie ›unsere Seite‹ gibt es nicht, Jacen Solo.«

»Du hast mir geholfen, die Voxyn-Königin zu töten …«

»Dir geholfen? Mag sein. Vielleicht habe ich dich auch benutzt, vielleicht hatte ich meine eigenen Gründe, den Tod der Voxyn-Königin zu wünschen, und du warst eine nützliche Waffe. Oder vielleicht bist du es, für den ich mich wirklich interessiere; vielleicht habe ich Mara meine Tränen gegeben … vielleicht habe ich dir geholfen, die Begegnung mit der Voxyn-Königin zu überleben … vielleicht habe ich all das getan, nur um dich hierher bringen zu können und dich in der Umarmung des Schmerzes aufzuhängen.«

»Und was …«, zwang Jacen sich zu fragen, »was war nun wirklich der Grund?«

»Was glaubst du, dass es war?«

»Ich – ich weiß es nicht … Wie könnte ich es wissen?«

»Warum fragst du mich? Wie könnte ich mir herausnehmen, einen Jedi in den Feinheiten der Erkenntnistheorie zu unterweisen?«

Jacen erstarrte im Griff der Umarmung des Schmerzes; er war nicht so gebrochen, dass er nicht bemerkt hätte, wenn man ihn verspottete. »Was willst du von mir? Warum hast du das getan? Warum bist du hier?«

»Tief schürfende Fragen, kleiner Solo.« Über ihre Kammfedern spielte ein schimmernder Regenbogen; es sah aus, als mische ein erfahrener Spieler ein Sabaccspiel mit Diamantkanten. »Es käme der Wahrheit recht nahe, wenn man behauptete, dass ich eine Botin der Melancholie bin – eine Verkünderin der Tragödie. Ich bringe Geschenke, um die Trauernden zu trösten. Ich bin selbst eine Trauernde und bringe Dinge, die würdig sind, ein Grabmal zu schmücken. Ich bin eine Hohepriesterin, die den Toten einen letzten Segen geben will …«

Jacen war schwindlig. »Was redest du da? Ich kann nicht … Ich …« Seine Stimme verklang, und er erschlaffte erschöpft.

»Selbstverständlich nicht. Es genügt, dass die Toten ihren Tod erleiden; wäre es denn gerecht, von ihnen auch noch zu verlangen, dass sie ihn verstehen?«

»Du sagst …« Jacen leckte sich die Lippen, und seine Zunge war so trocken, dass sie sie nur noch mehr aufriss. Ich werde es ertragen, dachte er. Ich mag kein besonders guter Krieger sein, aber ich kann immer noch wie einer sterben. »Du sagst also, dass du mich töten wirst.«

»O nein, ganz und gar nicht.« Aus Vergeres Mund kam ein wohlklingendes Geläut wie von endorischen Windkristallen; er nahm an, es stellte ein Lachen dar. »Ich sage, du bist bereits tot.«

Jacen starrte sie an.

»Du bist für die Welten, die du kanntest, für immer verloren«, fuhr sie mit einer fließenden, fremdartigen Geste fort, die vielleicht einem Schulterzucken entsprach. »Deine Freunde trauern, dein Vater tobt, deine Mutter weint. Dein Leben wurde beendet: Es wurde eine Trennlinie zwischen dir und allem, was du je kanntest, gezogen. Du hast die Trennlinien gesehen, die über Planeten ziehen, die Zwielichtlinien zwischen Tag und Nacht. Du hast eine solche Linie überquert, Jacen Solo. Die leuchtenden Felder des Tages gehören für dich nun der Vergangenheit an.«

Aber nicht alles, was er wusste, war vergangen, nicht, solange er noch lebte. Er war ein Jedi. Er tastete mit seinen Sinnen …

»Oh, die Macht«, zirpte Vergere verächtlich. »Die Macht ist Leben; was hat das Leben mit dir zu tun?«

Schmerzen und Erschöpfung hatten Jacens Fähigkeit zu staunen versickern lassen; es war ihm gleich, wie Vergere wusste, was er tat. Er öffnete sich der Macht, ließ sich von dieser klaren Kaskade durchspülen, ließ sie seine Schmerzen und die Verwirrung auflösen – und fand an seiner Seite eine Verbindung zur Macht, die so tief reichte wie seine eigene.

Vergere knisterte geradezu davon.

Jacen murmelte: »Du bist eine Jedi …«

Vergere lachte. »Es gibt hier keine Jedi«, sagte sie, und machte eine Geste, die nicht länger dauerte als ein Blinzeln.

In Jacens Kopf brach ein Wirbel interstellarer Gase in sich zusammen und ließ hinter seinen Augen einen Protostern aufflackern. Der Protostern schwoll an, gewann an Kraft, an Intensität, bis das Licht in seinem Kopf das hölzerne Schimmern der Kammer, in der er hing, wegwusch. In diesem Gleißen hörte er Vergeres Stimme, kalt und präzise wie das Licht eines fernen Quasars.

»Ich bin deine Führerin durch die Lande der Toten.«

Danach sah und hörte er nichts mehr.

Eine lautlose Supernova explodierte in Jacens Hirn und sprengte das Universum.

Sekunden oder Jahrhunderte vergingen ohne Wahrnehmung.

Dann schwamm das Bewusstsein zu ihm zurück, und als er die Augen öffnete, stellte er fest, dass er immer noch in der Umarmung des Schmerzes hing. Vergere stand immer noch unter ihm, auf dem Gesicht das gleiche fremdartige Faksimile vergnügten Spotts.

Nichts hatte sich verändert.

Alles hatte sich verändert.

Denn das Universum war nun leer.

»Was …?«, krächzte Jacen mit so wundem Hals, als hätte er tagelang im Schlaf geschrien. »Was hast du mir angetan …?«

»Du hast nichts mit der Macht zu tun und sie nichts mit dir. Ich soll zulassen, dass du die Macht hast? Was für eine Idee! Das muss etwas für Menschen Typisches sein – ihr Säugetiere seid so impulsiv, so leichtsinnig: Kleinkinder, die beim Zahnen auf einen Blaster beißen. Nein, nein, nein, kleiner Solo. Die Macht ist viel zu gefährlich für Kinder. Erheblich gefährlicher als diese lächerlichen Lichtschwerter, mit denen ihr alle so gerne herumfuchtelt. Also habe ich sie dir genommen.«

Die Leere des Universums heulte in seinem Kopf.

Da draußen war nichts.

Nur ein gewaltiges interstellares Vakuum.

All seine Ausbildung, all seine Begabung bedeutete dem grenzenlos gleichgültigen Kosmos nichts; die Macht war nur das Gespenst eines Traums, aus dem er noch nicht erwacht war.

Jaina – Er stürzte sich verzweifelt in die Verbindung, die immer da gewesen war, suchte seine Schwester, seine Zwillingsschwester; er ergoss sein Entsetzen und seine Trauer in die Leere, die dort klaffte, wo diese Verbindung sich immer befunden hatte.

Nur Schweigen. Nur Leere. Nur Abwesenheit.

O Jaina – Jaina, es tut mir so Leid …

Nachdem die Verbindung, die zwischen ihnen in der Macht bestanden hatte, gebrochen war, würde selbst Jaina ihn für tot halten.

Würde wissen, dass er tot war.

»Es ist unmöglich – du kannst unmöglich …« Er erkannte dieses leise Wimmern eines Kindes, das sich im Dunkeln fürchtete, kaum mehr als seine eigene Stimme.

»Aber ich habe es getan. Wirklich, diese Sache mit der Macht … du bist ohne sie besser dran. Wenn du ein braver Junge bist, gebe ich sie dir zurück, wenn du groß bist.«

»Aber …« Wie konnte sein Universum so zerbrechlich sein? Wie war es möglich, dass sich alles, was er war, so leicht brechen ließ? »Aber ich bin ein Jedi …«

»Du warst ein Jedi«, verbesserte sie. »Hast du nicht aufgepasst? Was am Totsein hast du immer noch nicht verstanden?«

»Ich …« Jacens Lider schlossen sich.

Tränen sammelten sich unter den Lidern, und als er die Augen wieder öffnete, lösten sich diese Tränen direkt von seinen Augäpfeln und klatschten neben Vergeres Füßen auf den Boden. Einer der Augenstiele bewegte sich weiter nach unten, um sie zu untersuchen. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr … Ich kann es nicht begreifen …«

Vergere streckte die nach hinten gebogenen Beine, stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihren breiten, von Schnurrhaaren umgebenen Mund ganz dicht an Jacens Ohr.

»Jacen Solo. Hör gut zu.« Ihre Stimme war warm und freundlich, und ihr Atem roch nach Gewürzen, die in fremder Erde gewachsen waren. »Alles, was ich dir sage, ist eine Lüge. Jede Frage, die ich stelle, ist ein Trick. Du wirst in mir keine Wahrheit finden.« Sie kam nahe genug, dass ihre Barthaare sein Ohr kitzelten, und flüsterte: »Selbst wenn du mir nichts anderes glaubst – darauf kannst du dich verlassen.«

Jacen starrte in Augen, die so schwarz und allumfassend waren wie der interstellare Raum. Er flüsterte: »Was bist du?«

»Ich bin Vergere«, antwortete sie schlicht. »Was bist du?«

Sie wartete, reglos, geduldig, als wolle sie sich bestätigen, dass ihm keine Antwort einfiel, dann wandte sie sich ab. Eine Schließmuskelluke in der Wand öffnete sich mit einem nassen Geräusch, als öffneten sich Lippen zu einem Kuss, und Vergere ging, ohne noch einmal zurückzuschauen.

Die Wände und die Decke knarrten wie die Gelenke eines alten Mannes, als sich der Griff der Schmerzumarmung wieder festigte. Jacen Solo wurde erneut von mörderischen Qualen verschlungen.

Nun gibt es keine Macht mehr für Jacen, keinen kühlen Hauch von Leben und geistiger Gesundheit, keine Jaina mehr, kein Leben.

Wo Jacen ist, gibt es nur noch das Weiß.

Teil Eins

Abstieg

1

Kokon

In der von Staub durchfegten Weite des interstellaren Raums, wo die Dichte der Materie in Atomen pro Kubikmeter gemessen wird, tauchte plötzlich ein kleines Schiff aus Yorikkorallen auf, vollzog eine radikale Wendung, die sowohl seinen Vektor als auch sein Tempo änderte, und schoss dann wieder davon, wobei es eine lasergerade Linie ionisierender Strahlung hinter sich ließ, um erneut in den Gammaexplosionen eines Hyperraumsprungs zu verschwinden.

Unbekannte Zeit später, in nicht auszudenkender Entfernung, in einer Region, die sich von der ersten nur durch die veränderte Parallaxe gewisser Sternengruppen unterschied, vollzog das gleiche Schiff ein ähnliches Manöver.

Auf seiner langen Reise könnte das Schiff mehrmals in die Galaxis fallen und jedes Mal wieder von dem Nichts außerhalb von ihr verschlungen werden.

Jacen Solo hängt im Weiß und denkt nach.

Er hat angefangen, die Lektionen des Schmerzes zu erforschen.

Das Weiß lässt ihn hin und wieder los, als verstünde die Umarmung des Schmerzes ihn irgendwie, als könne sie die Grenze seiner Kraft erkennen. Wenn auch nur eine einzige weitere Minute im Weiß ihn umbringen würde, lässt die Umarmung des Schmerzes genügend nach, dass er wieder in die Wirklichkeit des Raums, des Schiffs zurückkehren kann; wenn die Schmerzen so lange so heiß geknistert haben, dass seine überladenen Nerven und sein Hirn so taub geworden sind, dass sie nichts mehr spüren können, lässt die Umarmung des Schmerzes ihn auf den Boden herab, wo er eine Weile schlafen kann, während andere Geräte – oder Geschöpfe, da er den Unterschied nicht mehr feststellen kann, da er nicht mehr sicher ist, ob es überhaupt einen Unterschied gibt – ihn waschen und sich um die Wunden kümmern, die ihm der feste Griff der Umarmung in die Haut gekratzt, gerissen oder geschnitten hat. Andere Geschöpfe/Geräte kriechen wie Spinnenschaben über ihn und injizieren ihm Nährstoffe und genügend Wasser, damit er am Leben bleibt.

Selbst ohne die Macht gibt ihm seine Jedi-Ausbildung Möglichkeiten, die Schmerzen zu überleben; er kann seinen Geist durch einen meditativen Zyklus treiben, der eine Mauer der Disziplin zwischen seinem Bewusstsein und dem Weiß errichtet. Sein Körper leidet immer noch, aber er kann dafür sorgen, dass sich sein Geist außerhalb der Schmerzen befindet. Aber diese Mauer der Disziplin hält nicht ewig, und die Umarmung des Schmerzes ist geduldig.

Sie trägt seine geistigen Mauern mit der unbeseelten Beharrlichkeit von Wellen ab, die sich an einer Steilwand brechen; ihre geheimnisvolle Wahrnehmung lässt sie irgendwie wissen, dass er sich verteidigt, und ihre Anstrengungen sammeln sich langsam wie ein Sturm, der zum Orkan wird, bis sie seine Mauern zum Einsturz bringt. Erst dann, erst nachdem sie ihn erneut an die äußerste Grenze seiner Widerstandsfähigkeit getrieben und ihn dann über diese Grenze hinweg in eine ganz neue Galaxis des Schmerzes geschleudert hat, lässt die Umarmung langsam nach.

Er hat das Gefühl, als fräße das Weiß ihn – als fräße die Umarmung seine Schmerzen, aber nie so viel davon, dass er sich nicht erholen kann, um sie erneut zu nähren. Er wird beaufsichtigt und umsorgt wie der Wandertang auf einer chadianischen Tiefwasserranch. Seine Existenz ist zu einem Gezeitenrhythmus mörderischer Qual geworden, die heranflutet, einen Höchststand erreicht und sich dann wieder gerade so weit zurückzieht, wie es notwendig ist, damit er zu Atem kommen kann – die Umarmung achtet sorgfältig darauf, ihn nicht ertrinken zu lassen.

Manchmal, wenn er aus dem Weiß herabgesenkt wird, ist Vergere da. Manchmal hockt sie mit der starren Raubtiergeduld einer Falkenfledermaus neben ihm, ohne auch nur zu blinzeln, manchmal stolziert sie auf ihren rückwärts gebogenen Beinen umher wie ein Daktylusstorch, der durch einen Sumpf watet. Häufig ist sie unglaublich freundlich zu ihm, kümmert sich persönlich und mit merkwürdig tröstlicher Effizienz um sein wundes Fleisch; er fragt sich manchmal, ob sie mehr tun, mehr sagen würde, wenn es diese ununterbrochen beobachtenden, von der Decke hängenden Augenstiele nicht gäbe.

Aber meist sitzt oder liegt er da und wartet. Er ist nackt, und seine Hand- und Fußgelenke bluten. Nein, er ist mehr als nackt – er ist vollkommen haarlos. Die lebendigen Maschinen, die sich um seinen Körper kümmern, zupfen ihm auch alle Haare aus. Alle: an Kopf, Armen, Beinen, im Schambereich, in den Achselhöhlen. Augenbrauen. Wimpern.

Einmal fragte er mit seiner dünnen, schwächlich krächzenden Stimme: »Wie lange?«

Ihre Antwort war ein ausdrucksloser Blick. Er versuchte es noch einmal. »Wie lange … bin ich hier?«

Sie vollführte diese flüssige Wellenbewegung mit ihren biegsamen Armen, die er für gewöhnlich als Schulterzucken deutete. »Wie lange du hier bist, ist so irrelevant wie der Ort, an dem du bist. Zeit und Ort gehören den Lebenden, kleiner Solo. Sie haben nichts mit dir zu tun, und du nichts mit ihnen.«

Er erhält auf seine Fragen immer Antworten wie diese, und schließlich hört er auf, Fragen zu stellen. Fragen erfordern Kraft, und er kann es sich nicht leisten, seine Kraft zu verschwenden.

»Unsere Herren dienen strengen Göttern«, sagt sie beim zweiten, fünften oder zehnten Mal, als er erwacht und sie an seiner Seite findet. »Die Wahren Götter sagen, Leben ist Leiden, und geben uns den Schmerz, um diese Wahrheit zu beweisen. Die Domäne Shai war dafür berühmt, dass sie die Umarmung des Schmerzes benutzten, wie du oder ich ein Bad nehmen würden. Vielleicht hofften sie, wenn sie sich selbst bestraften, die Strafen der Wahren Götter vorwegnehmen und abwehren zu können. In dieser Sache, sollte man annehmen, wurden sie … äh, enttäuscht. Oder vielleicht haben sie die Schmerzen auch – wie es die Kritiker der Domäne Shai flüstern – nach einiger Zeit genossen. Schmerz kann eine Droge sein, Jacen Solo. Verstehst du das bereits?«

Vergere schien sich nie daran zu stören, dass er nicht antwortete; sie gab sich offenbar vollkommen damit zufrieden, endlos über irgendein Thema zu schwatzen, als interessiere sie nichts als der Klang ihrer eigenen Stimme – aber wenn er auch nur den Kopf hob, sobald er eine Antwort krächzte oder eine Frage murmelte, wurde sofort der Schmerz das Thema.

Sie hatten viel, worüber sie reden konnten; Jacen hatte viel über Schmerz gelernt.

Den ersten Hinweis auf das, was Schmerz lehren konnte, erhielt er, als er wieder einmal vor Erschöpfung zitternd auf dem gerippten Boden lag. Die zweigartigen Ausläufer der Umarmung des Schmerzes hielten ihn immer noch, aber nur locker, nur um den Kontakt aufrechtzuerhalten, nicht mehr. Sie hingen in schlaffen Spiralen über ihm, baumelten von zusammengezogenen, verknoteten Bündeln vegetativer Muskeln, die sich über die Lederrinde der Decke zogen.

Diese Ruheperioden taten Jacen beinahe so weh wie die Qualen, die ihm die Umarmung zufügte: Sein Körper nahm langsam, aber unvermeidlich wieder Form an, Gelenkköpfe rutschten in die Pfannen zurück, und die Anspannung überdehnter Muskeln ließ nach. Aber ohne die ununterbrochenen Schmerzen konnte er an nichts anderes als an Anakin denken, an die klaffende Wunde, die Anakins Tod in sein Leben gerissen hatte; und daran, was Anakins Tod Jaina angetan hatte, wie er sie auf die Dunkelheit zutrieb; und daran, wie seine Eltern leiden mussten, nachdem sie beide Söhne verloren hatten …

Mehr, um sich davon abzulenken, als aus einem tatsächlichen Bedürfnis nach einem Gespräch, hatte er sich zur Seite gerollt, um Vergere sehen zu können, und gefragt: »Warum tut ihr mir das an?«

»Das?« Vergere bedachte ihn mit einem stetigen Blick. »Was ich gerade tue?«

»Nein …« Er schloss die Augen, organisierte seine von den Schmerzen wirr gewordenen Gedanken und öffnete die Augen dann wieder. »Nein, ich meinte die Yuuzhan Vong. Die Umarmung des Schmerzes. Ich bin bereits gebrochen«, sagte er. »Dass sie mich brechen wollten, ist irgendwie verständlich. Aber das hier …«

Seine Stimme versagte vor Verzweiflung, aber dann nahm er sich zusammen und hielt den Mund, bis er sie wieder beherrschen konnte. Verzweiflung gehört zur Dunklen Seite. »Warum foltern sie mich?«, fragte er schlicht und einfach. »Sie stellen mir nicht einmal Fragen …«

»Warum ist eine Frage, die stets tiefer geht als ihre Antwort«, sagte Vergere. »Vielleicht solltest du stattdessen fragen: Was geschieht hier? Du sprichst von Folter, du sprichst von Brechen. Für dich, ja. Für unsere Herren?« Sie legte den Kopf schief, und ihr Federkamm nahm eine Orangefärbung an. »Wer weiß?«

»Das hier ist also keine Folter? Du solltest es einmal versuchen«, sagte Jacen mit einem schwachen Lächeln. »Tatsächlich wünschte ich wirklich, du würdest es tun.«

Ihr leises Lachen klang wie eine Hand voll Glasglöckchen. »Glaubst du, das habe ich noch nicht getan?«

Jacen starrte sie verständnislos an.

»Vielleicht wirst du nicht gefoltert«, sagte sie vergnügt. »Vielleicht wirst du belehrt.«

Jacen gab ein rostiges, krächzendes Geräusch von sich, irgendwo zwischen einem Husten und einem verbitterten Lachen. »In der Neuen Republik«, sagte er, »tut Bildung nicht so weh.«

»Nein?« Sie legte den Kopf in die andere Richtung, und nun verfärbten sich ihre Kammfedern grün. »Vielleicht verlieren deine Leute ja deshalb den Krieg. Die Yuuzhan Vong verstehen, dass keine Lektion je richtig verinnerlicht wird, wenn man sie nicht unter Schmerzen lernt.«

»Oh, sicher. Und was soll es mich lehren?«

»Geht es darum, was der Lehrer lehrt?«, erwiderte Vergere. »Oder was der Schüler lernt?«

»Worin besteht der Unterschied?«

Die Wölbung ihrer Lippen und ihr schief gelegter Kopf stellten zusammen vielleicht eine Art Lächeln dar. »Das ist an sich schon eine Frage, über die man nachdenken sollte, nicht wahr?«

Es gab eine andere Situation, vorher, nachher, er war nicht sicher. Er hatte sich gegen die ledrige Krümmung der Kammerwand gekuschelt, und die Zweigarme der Umarmung hingen locker über ihm wie schlaffe Speiseleitungen. Vergere hockte an seiner Seite, und als das Bewusstsein wieder in ihn hineinsickerte, glaubte er sich zu erinnern, dass sie ihn genötigt hatte, einen Schluck aus einem lang gezogenen, kürbisartigen Gefäß zu trinken. Zu erschöpft, um nicht zu gehorchen, versuchte er es, aber die Flüssigkeit – kühles, sauberes Wasser – brannte in seinem trockenen Hals, bis er würgte und sie wieder ausspuckte. Geduldig hatte Vergere ein Tuch in das Gefäß getaucht und es ihm gegeben, damit er daran saugen konnte, bis sich sein Hals genügend lockerte, dass er trinken konnte.

Die riesige Wüste in seinem Mund absorbierte die Flüssigkeit sofort, und Vergere befeuchtete das Tuch erneut. Dies ging über beträchtliche Zeit so weiter.

»Wozu ist Schmerz gut?«, fragte sie nach einer Weile leise. »Denkst du je darüber nach, Jacen Solo? Was ist seine Funktion? Viele unserer frommeren Meister glauben, dass Schmerz die Peitschenschnur der Wahren Götter ist: dass die Wahren Götter uns durch den Schmerz lehren, Bequemlichkeit zu verachten, unsere Körper zu verachten, ja sogar das Leben selbst. Ich würde sagen, Schmerz ist selbst ein Gott: der Zuchtmeister des Lebens. Schmerz lässt die Peitsche knallen, und alles, was lebt, bewegt sich. Der grundlegendste Instinkt des Lebens besteht darin, sich vor dem Schmerz zurückzuziehen. Sich vor ihm zu verstecken. Wenn es wehtut, sich dorthin zu bewegen, wird selbst eine Granitschnecke nach da kriechen; Leben bedeutet, ein Sklave des Schmerzes zu sein. ›Jenseits aller Schmerzen‹ zu sein bedeutet, dass man tot ist, oder?«

»Nicht für mich«, antwortete Jacen matt, sobald sich seine Kehle genug geöffnet hatte, dass er sprechen konnte. »Ganz gleich, wie tot ich angeblich bin, es tut immer noch weh.«

»Nun ja. Dass die Toten keine Schmerzen mehr haben, ist schlicht Glaubenssache. Wir sollten lieber sagen, wir hoffen, dass die Toten keine Schmerzen mehr haben – aber es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Sie zwinkerte ihm lächelnd zu. »Glaubst du, dass Schmerzen auch das beherrschende Prinzip des Todes sind?«

»Ich glaube überhaupt nichts. Ich will einfach nur, dass es aufhört.«

Sie wandte sich ab und machte ein seltsam schnüffelndes Geräusch; einen halben Augenblick fragte sich Jacen, ob sein Leid sie schließlich doch irgendwie berührt hatte, fragte sich, ob sie sich seiner erbarmen würde …

Aber als sie sich wieder umdrehte, stand in ihren Augen kein Mitgefühl, sondern Spott. »Ich bin so dumm«, sagte sie wieder in diesem Glöckchentonfall. »Ich bin die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ich mit einem Erwachsenen spreche. Ah, Selbstbetrug ist wirklich die grausamste Form von Betrug! Ich habe mich glauben lassen, dass du einmal ein wahrer Jedi warst, wenn du doch in Wahrheit nur ein Küken bist, das zitternd im Nest sitzt und heult, weil Mutter noch nicht angeflattert kam, um es zu füttern.«

»Du … du …«, stammelte Jacen. »Wie kannst du – nach allem, was du getan hast …«

»Was habe ich denn getan? O nein, nein, nein, kleiner Solo-Junge. Es geht hier darum, was du getan hast.«

»Ich habe nichts getan!«

Vergere lehnte sich gegen die einen Meter entfernte Kammerwand. Langsam faltete sie ihre rückwärts gebogenen Knie unter sich, dann verschränkte sie ihre Finger vor dem mit zarten Schnurrhaaren umgebenen Mund und starrte ihn über ihre Knöchel hinweg an.

Nach langem, langem Schweigen, während dessen der Satz Ich habe nichts getan! in Jacens Kopf widerhallte, bis seine Wangen glühten, sagte Vergere: »Genau.«

Sie beugte sich näher zu ihm, als wolle sie ihm ein peinliches Geheimnis verraten. »Ist das etwa nicht die Taktik eines Kindes? Zu jammern und zu jammern und zu jammern, mit den Fingern zu fuchteln und mit dem Fuß aufzustampfen … in der Hoffnung, dass ein Erwachsener es bemerkt und sich um es kümmert?«

Jacen senkte den Kopf und kämpfte gegen plötzliche, heiße Tränen an. »Was kann ich denn tun?«

Sie lehnte sich zurück und gab wieder dieses schnüffelnde Geräusch von sich. »Zu deinen Möglichkeiten gehört zweifellos, weiter in diesem Raum zu hängen und zu leiden. Und was, glaubst du, wird passieren, solange du das tust?«

Jacen sah sie erschüttert an. »Was?«

»Nichts«, sagte sie vergnügt. Sie spreizte die Finger. »Oh, irgendwann wirst du den Verstand verlieren. Wenn du Glück hast. Eines Tages wirst du vielleicht sogar sterben.« Sie legte die Kammfedern zurück, und diese wurden blastergrau. »An Altersschwäche.«

Jacen starrte sie mit offenem Mund an. Er konnte keine weitere Stunde mehr in der Umarmung des Schmerzes ertragen – und sie sprach von Jahren. Von Jahrzehnten.

Vom Rest seines Lebens.

Er zog die Beine an, schlang die Arme darum und drückte die Knie gegen die Augenhöhlen, als könne er sich damit das Entsetzen aus dem Kopf pressen. Er erinnerte sich an Onkel Luke in der Tür der Hütte auf Belkadan, erinnerte sich an die Traurigkeit auf seinem Gesicht, als er die Yuuzhan-Vong-Krieger tötete, die Jacen gefangen genommen hatten, erinnerte sich an den raschen, sicheren Druck, mit dem Luke mit seinem kybernetischen Daumen die implantierten Sklavensamen aus Jacens Gesicht entfernt hatte.

Dann wurde ihm klar, dass Onkel Luke diesmal nicht kommen und ihn retten würde. Niemand würde das tun.

Denn Jacen war tot.

»Kommst du deshalb hierher?«, murmelte er in seine verschränkten Arme. »Um zu prahlen? Um einen besiegten Feind zu demütigen?«

»Prahle ich? Sind wir Feinde?«, fragte Vergere und klang ehrlich erstaunt. »Bist du besiegt?«

Ihr plötzlich offener, ehrlicher Tonfall traf ihn; er hob den Kopf, und nun konnte er keinen Spott mehr in ihren Augen erkennen. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Das zumindest ist sehr klar«, seufzte sie. »Ich gebe dir ein Geschenk, Jacen Solo. Ich befreie dich von der Hoffnung auf Rettung. Siehst du nicht, dass ich versuche, dir zu helfen?«

»Helfen?« Jacen hustete ein verbittertes Lachen heraus. »Du solltest dein Basic wieder einmal aufpolieren, Vergere. Normalerweise benutzen wir im Basic, wenn wir über Dinge sprechen, wie du sie mir angetan hast, keine Worte wie helfen.«

»Nein? Dann hast du vielleicht Recht, und unsere Schwierigkeiten sind tatsächlich linguistischer Art.« Wieder seufzte Vergere und ließ sich noch tiefer nieder, faltete die Arme vor sich auf dem Boden und machte es sich auf eine Weise bequem, die mehr an eine Katze als an einen Vogel erinnerte. Sekundäre innere Lider überzogen ihre Augen.

»Als ich sehr jung war – noch jünger als du, kleiner Solo –, begegnete ich einer geringelten Mondschattenmotte am Ende ihrer Metamorphose, die sich immer noch in ihrem Kokon befand«, berichtete sie in distanziertem Ton, in dem aber auch eine gewisse Trauer mitschwang. »Ich hatte bereits einige Erfahrungen mit der Macht gesammelt; ich konnte den Schmerz der Schattenmotte spüren, ihre Panik, ihre Klaustrophobie, ihren hilflos verzweifelten Kampf, sich zu befreien. Es war, als wüsste diese Schattenmotte, dass ich neben ihr stand, als schrie sie mir zu, ihr zu helfen. Wie konnte ich ihr das verweigern? Schattenmottenkokons bestehen aus Silikatbindungen – sehr, sehr zäh –, und Schattenmotten sind so zart, so schön: sanfte Geschöpfe, deren einziges Trachten darin besteht, den Nachthimmel anzusingen. Also gab ich ihr das, was du vielleicht unter Hilfe verstehst: Ich benutzte einen kleinen Mehrzweckschneider, um den Kokon aufzuschneiden, um der Schattenmotte zu helfen, nach draußen zu gelangen.«

»Wirklich? Bitte sag, dass du das nicht getan hast.« Jacen ließ die Lider sinken, bereits von Bedauern erfüllt, denn er wusste schon, wie diese Geschichte weitergehen würde.

Er hatte für kurze Zeit eine Schattenmotte in seiner Sammlung gehabt; er erinnerte sich, wie er zugesehen hatte, wie die Larve wuchs, und dabei dank seiner empathischen Begabung ihre Zufriedenheit spüren konnte, wenn sie sich von abgekratztem Isoliermaterial und Durabetonbröckchen ernährte; er erinnerte sich, wie die junge Schattenmotte, die schließlich aus dem Kokon erschienen war, ihre dunklen, wunderschön geriefelten Flügel gegen das kristalline Polymer des Schaukastens gedrückt hatte; er erinnerte sich an das trillernde Pfeifen ihres Mondgesangs, als er sie aus dem Schaukasten gelassen hatte und sie in den Schein der vier Monde von Coruscant aufgestiegen war.

Und er erinnerte sich an die verzweifelte Panik, die in der Nacht wie Wellen auf ihn zugerauscht war, in der Nacht, als sich die Schattenmotte aus dem Kokon kämpfte. Er erinnerte sich an seinen Drang, diesem hilflosen Geschöpf zu helfen – und wieso er es nicht getan hatte.

»Du darfst einer Schattenmotte nicht helfen, indem du den Kokon aufschneidest«, sagte er. »Sie braucht die Anstrengung; der Kampf darum, den Kokon zu zerbrechen, zwingt die Sekrete in die Flügeladern. Wenn du den Kokon aufschneidest …«

»Wird die Schattenmotte verkrüppelt«, beendete Vergere ernst für ihn. »Ja. Sie war ein tragisches Geschöpf – sie konnte niemals fliegen und sich nie ihren Artgenossen bei ihrem nächtlichen Tanz unter den Monden anschließen. Selbst die Flügelflöten waren verkrüppelt, und so war sie ebenso stumm wie an den Planeten gebunden. In diesem langen Sommer hörten wir durch das Fenster meines Schlafzimmers manchmal den Mondgesang der anderen Motten, und von meiner Schattenmotte spürte ich dann immer nur Traurigkeit und bitteren Neid, dass sie nie unter den Sternen fliegen konnte, dass sich ihre Stimme nie zum Gesang erheben würde. Ich kümmerte mich, so gut ich konnte, um sie, aber das Leben einer Schattenmotte ist kurz, wie du weißt; sie verbringen viele Jahre als Larven und sammeln Kraft für diesen einen Sommer voller Tanz und Gesang. Ich habe diese Schattenmotte beraubt; ich habe ihr ihr Schicksal gestohlen – weil ich ihr helfen wollte.«

»Das war keine Hilfe«, sagte Jacen. »Das ist es nicht, was helfen bedeutet.«

»Nein? Ich sah ein Geschöpf, das sich quälte, das sein Entsetzen herausschrie, und ich habe versucht, ihm seine Qualen zu erleichtern und seine Angst zu nehmen. Wenn es das nicht ist, was du unter helfen verstehst, dann ist mein Basic wirklich schlechter, als ich dachte.«

»Du hast nicht verstanden, was geschah.«

Vergere zuckte die Achseln. »Ebenso wenig wie die Schattenmotte. Aber sag mir eins, Jacen Solo: Wenn ich verstanden hätte, was geschah – wenn ich gewusst hätte, was diese Larve war, was sie tun musste und was sie erleiden musste, um zu dem großartigen Geschöpf zu werden, das sie werden konnte –, was hätte ich dann tun können, um ihr auf die Weise, in der du Basic verstehst, zu helfen?«

Jacen dachte einige Zeit nach, bevor er antwortete. Seine Machtempathie hatte ihn befähigt, die exotischen Geschöpfe in seiner Sammlung außergewöhnlich gut und klar zu verstehen, und aus diesem Verständnis war tief empfundener Respekt für die wesentlichen Prozesse der Natur gewachsen. »Ich nehme an«, sagte er bedächtig, »die beste Hilfe hätte darin bestanden, für die Sicherheit des Kokons zu sorgen. Falkenfledermäuse jagen Schattenmottenlarven, besonders die Puppen, die sich frisch eingesponnen haben: In diesem Stadium verfügen sie über das meiste gespeicherte Fett. Also nehme ich an, die beste Hilfe hätte darin bestanden, die Larve gut zu bewachen, sie vor Raubtieren zu schützen – und sie ansonsten in Ruhe zu lassen, damit sie ihren eigenen Kampf ausfechten konnte.«

»Und vielleicht«, fügte Vergere sanft hinzu, »sollte man sie auch vor anderen wohlmeinenden Leuten schützen – Leuten, die in ihrem Unwissen versuchen würden, ihr mit ihren Mehrzweckschneidern zu ›helfen‹.«

»Ja …«, sagte Jacen, dann hielt er plötzlich den Atem an und starrte Vergere an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. »Heh …« Ihm dämmerte, wieso sie ihm das alles erzählt hatte. »Heh …«

»Und außerdem«, fuhr Vergere fort, »könnte man hin und wieder vorbeischauen, um das verzweifelte, leidende Geschöpf wissen zu lassen, dass es nicht allein ist. Dass jemand Anteil an ihm nimmt. Dass sein Schmerz im Dienst seines Schicksals steht.«

Jacen konnte kaum atmen, aber irgendwie zwang er ein Flüstern heraus. »Ja …«

Vergere verkündete feierlich: »Dann, Jacen Solo, sind unsere Definitionen von Hilfe identisch.«

Jacen rutschte vor und kam auf die Knie hoch. »Wir sprechen hier nicht wirklich über Schattenmottenlarven, oder?« Sein Herz fing plötzlich an, schneller zu schlagen. »Du sprichst von mir.«

Sie stand auf, und ihre Beine entfalteten sich wie Portalkrane unter ihr. »Von dir?«

»Von uns.« Seine Kehle zog sich in unmöglicher Hoffnung zusammen. »Dir und mir.«

»Ich muss jetzt gehen; die Umarmung wird ungeduldig und will, dass du zurückkehrst.«

»Vergere, warte …« Er kam auf die Beine. Die Zweiggriffe der Umarmung baumelten an seinen Handgelenken. »Warte, Vergere, komm schon, sprich mit mir – und … und Schattenmotten …«, stotterte er. »Schattenmotten sind einheimische Tiere! Sie sind einheimische Tiere auf Coruscant! Wie kannst du eine Schattenmottenlarve gefunden haben? Es sei denn, es sei denn, du – ich meine, hast du – warst du jemals …?«

Sie schob die Hand zwischen die Lippen der mundähnlichen Sensorbuchse neben dem Lukenmuskel, und die warzige Luke öffnete sich weit.

»Alles, was ich dir sage, ist eine Lüge«, sagte sie und ging.

Die Umarmung des Schmerzes hob ihn erneut ins Weiß.

Jacen Solo hängt im Weiß und denkt nach.

Einen Augenblick ist er einfach nur erstaunt, dass er überhaupt denken kann; das Weiß hat sein Bewusstsein immerhin für Tage, Wochen oder Jahrhunderte ausgebrannt, und nun kann er zu seinem Erstaunen nicht nur denken, sondern auch klar denken.

Er verbringt ein weißes Zeitalter damit, zu staunen.

Dann beginnt er, an den Lehren des Schmerzes zu arbeiten.

Das ist es, denkt er. Das ist es, worüber Vergere gesprochen hat. Das ist die Hilfe, die sie mir gegeben hat und von der ich nicht wusste, wie ich sie akzeptieren soll.

Sie hat ihn aus seiner eigenen Falle befreit: der Falle der Kindheit. Der Falle, auf einen anderen zu warten. Auf Dad oder Mutter, Onkel Luke, Jaina, Zekk oder Lowie oder Tenel Ka oder eine der anderen Personen, bei denen er sich immer darauf verlassen konnte, dass sie versuchen würden, ihn zu retten.

Er ist nicht hilflos. Er ist nur allein.

Das ist nicht das Gleiche.

Er braucht nicht einfach nur hier zu hängen und zu leiden. Er kann etwas tun.

Vergeres Schattenmottengeschichte war vielleicht eine Lüge, aber in dieser Lüge lag eine Wahrheit, die er ohne sie nicht hätte verstehen können. Hatte sie das gemeint, als sie sagte: Alles, was ich dir sage, ist eine Lüge?

Und war das wichtig?

Schmerz ist selbst ein Gott: der Zuchtmeister des Lebens. Schmerz lässt die Peitsche knallen, und alles, was lebt, bewegt sich. Leben bedeutet, ein Sklave des Schmerzes zu sein.

Er weiß, dass das wahr ist, und nicht nur aus seiner eigenen Erfahrung, sondern weil er Dad und Anakin nach Chewies Tod beobachtet hat. Er hat gesehen, wie der Schmerz die Peitsche über seinem Vater knallen ließ, wie Han vor dem Schmerz durch die halbe Galaxis davonrannte. Er hat gesehen, wie Anakin sich verhärtete, hat beobachtet, wie sein Bruder sich immer weiter antrieb, um stärker, schneller, effizienter zu sein, mehr zu tun – das war die einzige Antwort auf den Schmerz, überlebt zu haben und mit ansehen zu müssen, wie sein Retter starb.

Jacen dachte immer, dass Anakin Onkel Luke sehr ähnlich war: seine mechanische Geschicklichkeit, seine Fähigkeiten als Pilot und Kämpfer, sein ausgeprägter Kriegermut. Er erkennt nun, dass Anakin in einer wichtigen Hinsicht seinem Vater ähnlicher gewesen war. Seine einzige Antwort auf Schmerz hatte darin bestanden, dafür zu sorgen, dass er zu beschäftigt war, um ihn zu bemerken.

Er war vor dem Zuchtmeister davongelaufen.

Leben bedeutet, ein Sklave des Schmerzes zu sein.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit; Schmerz kann auch ein Lehrer sein. Jacen erinnert sich daran, wie er seine schmerzenden Muskeln durch immer weitere Wiederholungen seiner Lichtschwertübungen gezerrt hat. Er erinnert sich an das Training der fortgeschritteneren Bewegungen, wie sehr es wehtat, seinen Körper auf eine Art zu benutzen, wie er es nie zuvor getan hatte, sein Schwerkraftzentrum zu senken, die Hüften zu lockern, seine Beine dazu auszubilden, sich wie die eines Sandpanters anzuspannen und dann zu springen. Er erinnert sich an Onkel Lukes Worte: Wenn es nicht wehtut, machst du etwas falsch. Selbst die Schüsse einer Übungsdrohne – sicher, das Ziel hatte immer darin bestanden, ihnen auszuweichen oder sie abzufangen, aber der leichteste Weg, Schmerzen zu vermeiden, hätte darin bestanden, mit der Ausbildung aufzuhören.

Manchmal ist Schmerz die einzige Brücke zu deinem Ziel.

Und die schlimmsten Schmerzen sind ohnehin die, vor denen man nicht davonrennen kann. Er kennt die Geschichte seiner Mutter so gut, dass sie ihn in seinen Träumen heimsuchte und er sah, wie sie auf der Brücke des Todessterns stand und gezwungen war zuzusehen, wie die Hauptwaffe der Kampfstation ihren gesamten Planeten zerstörte. Er spürte ihr alles verschlingendes Entsetzen, ihre Versuche, das Geschehene zu leugnen, ihren hilflosen, brodelnden Zorn, und er erhielt eine gewisse Vorstellung davon, wie viel von ihrer schonungslosen, hingebungsvollen Arbeit für den Frieden in der Galaxis von der Erinnerung an diese Milliarden von Leben angetrieben wurde, die vor ihren Augen ausgelöscht worden waren.

Und Onkel Luke: Wenn er sich dem Schmerz darüber, dass seine Pflegeeltern von imperialen Sturmtruppen brutal ermordet worden waren, nicht gestellt hätte, hätte er vielleicht sein ganzes Leben als unglücklicher Feuchtfarmer verbracht, tief in der Sandwüste von Tatooine, und von Abenteuern geträumt, die ihm versagt geblieben waren – und die Galaxis würde vielleicht noch heute unter der imperialen Herrschaft stöhnen.

Schmerz kann einem auch Kraft geben, erkennt Jacen. Die Kraft, Dinge zu verändern. So kommt es zu Veränderungen: Etwas tut jemandem weh, und früher oder später entscheidet er sich, etwas dagegen zu unternehmen.

Leid ist der Brennstoff im Triebwerk der Zivilisation.

Jetzt fängt er an zu verstehen: Schmerz ist tatsächlich ein Gott – und er befindet sich seit Anakins Tod im Griff dieses grausamen Gottes. Aber Schmerz ist auch ein Lehrer und eine Brücke. Er kann ein Sklaventreiber sein und einen brechen – und er kann die Kraft sein, die einen unzerstörbar macht. Er ist all das und mehr.

Gleichzeitig.

Was er ist, hängt davon ab, wer du bist.

Aber wer bin ich?, fragt er sich. Ich bin davongelaufen wie Dad – wie Anakin. Ich glaube allerdings, sie haben damit aufgehört; ich glaube, Dad war stark genug, um sich schließlich umzudrehen und sich dem Schmerz zu stellen, ihn zu nutzen, um stärker zu werden, so wie Mom und Onkel Luke. Anakin hat es am Ende ebenfalls getan. Bin ich so stark?

Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

Seit unendlichen Tagen, Wochen, Jahrhunderten, hat das Weiß ihn gefressen.

Nun beginnt er, sich von ihm zu ernähren.

Exekutor Nom Anor spielte zerstreut mit einem Sackwurm voller Schlepptangbrühe, während er darauf wartete, dass die Gestalterdrohne ihren Bericht beendete. Er saß wie ein Mensch auf einem fleischigen Vorsprung neben einem ungewöhnlich großen Villip, an den die Drohne ihre im monotonen Singsang vorgetragene Analyse der Ergebnisse aus der Umarmungskammer richtete, in der sich der junge Jedi, Jacen Solo, befand.

Nom Anor brauchte nicht zuzuhören. Er wusste bereits, was die Drohne sagen würde; er hatte den Bericht selbst verfasst. Die Umarmungskammer war mit einem ausgesprochen komplexen Nervennetz von Sensoren ausgerüstet, die den elektrochemischen Output von Jacen Solos Nerven bis hin zu jedem individuellen Impuls deuten konnten und die Schmerzempfindungen, die sie aufzeichneten, mit ihrer Auswirkung auf seine Hirnchemie verglichen. Die Drohne leierte weiter ihre Beschreibung winziger Einzelheiten herunter, und ihre tödlich ausdruckslose Stimme klang wie das nervtötende Summen vieler Insekten dieser Galaxis. Es war unerträglich …

Vielleicht nennen sie sie deshalb Drohnen, dachte Nom Anor mit einem humorlosen inneren Lächeln. Er teilte seine Beobachtung der dritten Person in dieser kleinen, feuchten Kammer allerdings nicht mit. In jeder anderen Sprache als Basic war es nicht einmal ein Witz, und es war ohnehin nicht besonders komisch.

Stattdessen blieb er einfach sitzen, trank hin und wieder einen Schluck Brühe aus dem Sackwurm, beobachtete den Villip und wartete darauf, dass Kriegsmeister Tsavong Lah die Geduld verlor.