Starlight Witch - Die Magie der Nachtinsel - Lisa Rosenbecker - E-Book

Starlight Witch - Die Magie der Nachtinsel E-Book

Lisa Rosenbecker

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Beschreibung

Magie aus Kaffee und Kuchen – So würde die Sternenhexe Juna den ruhigen Alltag in ihrem Café Strandhexe beschreiben. Doch alles ändert sich an jenem Tag, an dem die dreizehn Hexenfamilien wegen eines magischen Wettbewerbs auf ihrer Insel einfallen. Aufgrund ihrer schwachen Hexenkräfte ist Juna eigentlich von dem Ereignis ausgeschlossen, doch die Magie der Insel hat andere Pläne mit ihr. Sie wird in das Turnier hineingezogen und erweckt damit eine alte Fehde zwischen den Hexenfamilien zu neuem Leben. Und während sie sich gegen das Schicksal behaupten muss, lässt ausgerechnet der Mondhexer Koray, einer ihrer Rivalen, Junas Herz ungewollt höherschlagen. Softcover mit Farbschnitt

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Seitenzahl: 485

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STARLIGHT WITCH

DIE MAGIE DER NACHTINSEL

LISA ROSENBECKER

Copyright © dieser Ausgabe 2024 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https: //www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Stephan R. Bellem

Korrektorat: Lillith Korn

Layout Ebook: Stephan R. Bellem

Umschlag- und Farbschnittdesign: Alexander Kopainski

www.kopainski.com

Bildmaterial: Shutterstock

Illustrationen Print: Jenny Pieper

ISBN 978-3-95991-979-1

Alle Rechte vorbehalten

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Nachwort

Danksagung

Drachenpost

Für alle, die sich verloren fühlen.

Mögen die Sterne euch den Weg weisen.

Und für Alex und Jenny,

die wie Sterne über mich wachen.

KAPITEL1

Kuchen log nicht.

Zumindest nicht der frisch gebackene und mit Magie verfeinerte Kuchen, den ich in meinem Café Strandhexe servierte. In jedem Stück steckte eine Prise Wahrheit – mit der nicht alle Gäste umzugehen wussten.

Ein Mann mit grau meliertem und vollgekrümeltem Bart schob schnaubend seinen Teller über die Theke. Ich wischte meine Hände an der Schürze ab und betrachtete den kaum angerührten gedeckten Apfelkuchen.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich.

»Er schmeckt widerlich. Ich will mein Geld zurück.«

Ich sah an ihm vorbei zu dem Tisch, an dem er gesessen hatte. Seine Frau und seine Tochter musterten wie verzaubert die Decke des Cafés und mieden meinen Blick, ihnen schien das Verhalten des Vaters unangenehm zu sein. Verständlich. Er hatte sich so laut beschwert, dass ein Großteil der anderen Gäste zu uns herübersah. Ich setzte ein Lächeln auf.

»Bekommen Sie. Darf ich Ihnen dazu noch einen kostenlosen Ersatz anbieten? Vielleicht schmeckt Ihnen ja einer der anderen Kuchen besser.«

»Wohl kaum.« Seine schlechte Stimmung lud die Luft auf und ich war froh, zur Kasse flüchten zu können. Ich händigte ihm das Geld aus und er machte ein Schauspiel daraus, es nachzuzählen, ehe er es in seinen Geldbeutel fallen ließ. Ohne ein weiteres Wort rauschte er ab und setzte sich zurück an seinen Tisch. Ich seufzte.

Manchen Menschen konnte selbst mein Kuchen nicht helfen. Dabei war die magische Mischung, die ich individuell auf ihn angepasst hatte, perfekt gewesen. Den Stress des Mannes, seine Sorgen und Nöte, hatte ich in dem Moment gespürt, als er durch die Tür des Cafés getreten war. Es hatte Bände gesprochen, wie er fast schon wütend den Sand von seinen Schuhen geklopft und sich die vom Meerwind zerzausten Haare gerichtet hatte. Seinen Apfelkuchen hatte ich mit einer Mischung aus gemahlenem Zimt, geriebener Orangenschale, feinem Matcha-Pulver und einem winzigen Hauch Magie verfeinert. Alles in allem hätte ihm der Kuchen Zufriedenheit, mentale Ruhe und Freude schenken sollen. Nur wenn sich jemand seinen schlechten Zustand nicht eingestehen und Hilfe verweigern wollte, löste der eigentlich wohltuende Geschmack Missmut aus. Der Mann stand sich selbst im Weg, was mir leidtat. Mit ein wenig Glück würden die Zutaten etwas später wirken. Es wäre auch seiner Familie zu wünschen, die sich sicherlich auf einen entspannten Urlaub gefreut hatte. Es war unwahrscheinlich, dass sie ein weiteres Mal in der Strandhexe einkehren würden. Aber manchmal wurde ich noch überrascht.

Zumal die Strandhexe das einzige Café am Strand von Merschelling war und jeder, der den Ausblick auf das Meer ohne Sand in Augen und Ohren genießen wollte, früher oder später die Stufen zur Terrasse erklomm und entweder im windgeschützten Bereich draußen oder im Innenraum Platz nahm. Die Magie lockte sie hierher. Wie eine Sirene rief sie nach den Menschen und versprach, ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen und die dunkelsten Sorgen auszulöschen. Den Gästen war das nicht bewusst, sie wussten nichts über die Existenz von Magie oder Hexen, obwohl der Name des Cafés alles andere als ein guter Deckname war. Vermutlich könnte ich ihnen auch ins Gesicht sagen, dass ich eine Hexe war und ihren Kuchen verzauberte – sie würden es mir ja doch nicht glauben.

Ich nahm den Teller vom Tresen und kippte den Rest des Kuchens in eine schwarze Plastikbox im Kühlraum. Die Alphynen würden sich freuen. Heute waren schon fünf Stück Kuchen zurückgegeben worden. Eine niederschmetternde Statistik, wenn man sich etwas daraus machte. Aber da meine Kuchen perfekt waren – diese Arroganz nahm ich mir heraus – schob ich es auf die Unfähigkeit meiner Kunden, mit der Magie zurechtzukommen. Man konnte ihnen deswegen keinen Vorwurf machen. Es war normal und störte mich nicht.

Die nächsten Gäste betraten das Café und brachten eine frische, salzige Brise mit. Sie sogen den Duft des aufgebrühten Kaffees ein und sicherlich rochen sie auch den im Ofen backenden Hefeteig. Der Mann und die Frau hielten inne und ließen den Blick durch den Raum schweifen. Ihre Augen wurden groß und das entlockte mir ein Lächeln.

Die Strandhexe war wunderschön. Das Haus samt Terrasse war aus alten, bunt gestrichenen Holzbalken errichtet worden und schwebte auf Pfahlbeinen mannshoch über dem Strand. Die großzügig verglasten Fenster durchfluteten den Raum mit Licht und boten einen weitläufigen Ausblick auf das Meer. Und wenn man nicht nach draußen, sondern nach oben an die Decke schaute, fand man ein kosmisches Meer. Handgemalte schaumgekrönte Wellen und Galaxienwirbel flossen ineinander über, wogten wie ein Meer aus Farbe über den Köpfen der Gäste. Hier und da hatte ich Seesterne, Muscheln und kleine Inseln aus Sand angebracht, sodass man, egal, wohin man sah, immer etwas zu entdecken hatte. Dank eines kleinen Zaubers wirkte die Decke lebendig. Das Wasser glitzerte, die aufgemalten Sterne in den nebulösen Wirbeln funkelten.

Die Menschen, so rational sie waren, erklärten sich die Illusion mit kleinen Lampen und hauchdünnen Displays. Doch es war alles echt. Genauso wie die kleinen Tränke, die in den Regalen an den Wänden aufgereiht waren und wie die schimmernden Kristalle und Edelsteine in den Vitrinen, die mit einfachen Schutzzaubern belegt waren. Natürlich war alles gut abgesichert und ließ sich nur von magisch Begabten öffnen. Das erzählte ich auch meinen Gästen und sie verbuchten das unter dem zum Namen passenden Flair des Cafés. Wo Hexe draufstand, musste immerhin auch Hexe drin sein. Und hier sah es nun mal aus, wie man sich das Zuhause einer Strandhexe vorstellte. Sogar der Tresen war aus Treibholz gebaut worden, er war bis auf die schwarze Granitarbeitsfläche unförmig, dafür aber ein reines magisches Raumwunder. Öffnete ich eine der Schubladen, war immer genau das darin, was ich brauchte. Nur wenige Dinge hatten einen festen Platz.

Das Paar kam zu mir herüber und musterte schon im Laufen die Kuchenplatten in der Vitrine neben mir. Viel Auswahl gab es nicht, gerade einmal drei Sorten bot ich an. Was das Besondere ausmachte, waren die individuellen Toppings. Und um die auszuwählen, öffnete ich meine Hexensinne für die Schwingungen der beiden.

Der Frau würde ich eine Mischung aus Vanille, Zimt und einer Prise rosa Himalaya-Salz auf den Kuchen streuen, was in Kombination für ein Glücksgefühl und Geborgenheit sorgen würde. Sie und ihr Freund waren frisch verliebt und sie war sich unsicher, ob er dasselbe empfand wie sie. Da brauchte sie sich keine Sorgen machen – ihm ging es ganz genauso. Offensichtlich waren die beiden aber noch nicht mutig genug, sich darüber auszusprechen. Da konnte ich etwas nachhelfen. Für ihn wählte ich daher ebenfalls Vanille und Zimt, zusätzlich noch zwei, drei Körnchen Pfeffer für eine Portion Mut. Er war es nämlich, der es unbedingt als Erstes ansprechen wollte.

Ich speicherte die Liste meiner Auswahl in meinem Kopf ab, noch bevor die beiden sich mir zuwendeten und ihre Bestellung aufgaben. Sie wählten das gleiche, je einen normalen Kaffee und ein Stück Schokotorte, bezahlten und suchten sich einen Platz am Fenster.

Ich stellte zwei Teller auf den Granit und platzierte den Kuchen darauf. Ein Tarnzauber verbarg meine Magie vor den Gästen. Zunächst warf ich die Kaffeemaschine an, die sich dank Magie selbst bedienen konnte und den Kaffee zubereitete, während ich mich um den Kuchen kümmerte. Aus der obersten Schublade fischte ich die Schraubgläser mit den benötigten Zutaten sowie einen marmornen Mörser mit Stößel. Der Zimtduft kitzelte in meiner Nase. Ich warf die Zutaten für das erste Topping hinein, zerkleinerte sie und ließ sie über den Kuchen rieseln. Meine Fingerspitzen aneinanderreibend murmelte ich einen Spruch und lila Funken regneten auf den Kuchen hinab. Sie sorgten dafür, dass die Toppings sich mit dem Gebäck verbanden und mein Eingriff mit dem bloßen Auge nicht erkennbar war. Dasselbe wiederholte ich für den zweiten Kuchen und dann brachte ich dem Paar seine Bestellung. Mal sehen, wie sie reagieren würden.

Ich drehte eine Runde durch das Café und erkundigte mich bei den Leuten, ob sie noch etwas brauchten. Das Gemurmel und das hin und wieder aufkommende Gelächter der Menschen im Café rief ein warmes Gefühl in meinem Bauch hervor. Es war wie Musik in meinen Ohren, die zusammen mit dem Klappern von Geschirr und dem sanften Rauschen des Meeres den unverkennbaren Klang der Strandhexe ausmachte.

Eine Familie zahlte und bedankte sich für das leckere Essen, ansonsten waren alle versorgt. Ich gönnte mir einen Moment und sah aus dem Fenster. Heute fegte der Wind mit solcher Wucht über den Strand, dass nicht mal die Menschen mit ihren farbenfrohen Drachen Spaß hatten. Zwei Gruppen hatten es versucht, beide Male hatten sie nach wenigen Versuchen aufgegeben, weil ihre Drachen mehr durch die Luft gerissen wurden, als dass sie aufstiegen.

Es war ein heftiges Wetter, selbst für den Herbst.

Fast schon unnatürlich … Ich suchte den Strand ab, weil mich eine ungute Vorahnung beschlich. Und tatsächlich.

Der Grund für das Wetter kam gerade über den Strand geschlendert. Zwei Hexen in meinem Alter, denen ich früher schon mal begegnet war, und ein junger Hexer mit Mütze, den ich aus der Entfernung nicht erkannte. Wieso zur Hölle waren sie schon da? Sie sollten doch erst morgen kommen. Falls ich Glück hatte, machten sie nur einen Spaziergang und liefen am Café vorbei.

Nein, sie bogen natürlich zielsicher auf die Steinplatten ab, die direkt zur Treppe führten. Verdammter Mist.

Ich kniff mir in die Nasenwurzel. Meine Nerven waren noch nicht bereit für die Konfrontation mit den Mitgliedern der anderen Hexenzirkel. Ich traf sie nur alle fünf Jahre und ich hatte mich vom letzten Mal noch nicht erholt.

Ich ging zurück hinter die Theke, meinem Schutzschild vor der Außenwelt. Keine fünf Minuten später öffneten sich die Glastüren am Eingang. Die zwei jungen Frauen und der Hexer im Teenageralter traten herein. Die silbernen Haare, die unter der Mütze hervorlugten, verrieten ihn. Es musste Lunas sein, der jüngste Spross der van der Heydens und Mondhexer. Er hatte sich sehr verändert, kein Wunder, dass ich ihn nicht erkannt hatte. Eine der beiden Frauen war seine Schwester Selia, die dieselben silbernen Haare hatte. Es war wie ein schillerndes Markenzeichen der Familie.

Die Luft knisterte und der Zauber an der Decke verwirbelte die Malereien stärker. Wo so viele Hexen und ihre Energien aufeinandertrafen, spielte nicht nur das Wetter verrückt.

Ich hielt den Blick gesenkt und tat so, als würde ich die Arbeitsfläche putzen. Vielleicht verschwanden sie ja, wenn ich ihnen keine Aufmerksamkeit schenkte.

»Hallo Juna«, säuselte eine rauchige Stimme und ich sah auf.

»Hallo Esther«, antwortete ich. Die Hexe mit den blonden Haaren war Anfang zwanzig, wie ich, und eine strahlende Naturschönheit mit dunkelgrünen Augen. Sie war ebenfalls eine Sternenhexe, weswegen sie zu jenem Teil der Hexenfamilien gehörte, der aus Höflichkeit nett zu mir war. Sie und ihre Begleitung, die sich skeptisch im Innenraum des Cafés umsah, trugen beide schwarze Strickpullover, dazu passende Lederjacken, Jeans und Boots. Die glänzenden Ketten mit den Edelsteinen und Kristallen waren die einzigen Farbkleckse an ihrem Outfit. So viele Farben auf der Welt und die beiden entschieden sich für Trostlosigkeit.

»Ein hübsches Café hast du«, sagte Esther und warf einen Blick zur meerseitigen Fensterfront. »Deine Mom hat erzählt, dass du es selbst eröffnet hast und du dich allein drum kümmerst.«

»Seit drei Jahren, stimmt.«

Lunas trat neben sie und musterte mich. »Ich hatte dich hübscher in Erinnerung.«

Esther stieß ihn erschrocken in die Seite. »Entschuldige dich. Sofort!«

»Nein.«

Esther schnipste mit dem Finger, blaugrauer Rauch stieß aus den Spitzen empor. »Ich verwandele dich sonst wieder in eine Kröte.«

Es war absolut verboten, andere Hexen oder Menschen in Dinge oder Tiere zu verwandeln, aber trotzdem schluckte der Junge schwer und schob die Hände in die Hosentaschen. »Na gut. Tut mir leid.« Außerdem murmelte er so was wie: Aber hübscher macht dich das auch nicht.

Ich nickte und fragte mich, ob Esther ihn wirklich schon mal in eine Kröte verwandelt hatte. Ein bisschen Verständnis hätte ich gehabt. »Danke, Lunas. Ich hatte dich tatsächlich auch netter in Erinnerung.«

Er rollte mit den Augen und verzog sich an einen Tisch.

Esther seufzte. »Sorry. Die Hormone wirbeln einiges durcheinander.«

»Schon okay.«

»Mein Bruder ist die Pest«, warf Selia ein. Ihre dunkelbraunen Augen blitzen provozierend auf, als sie mich ansah. Sie zwirbelte die Spitze ihres Zopfes zwischen den Fingern, während sie mich von oben bis unten musterte. »Also, was servierst du hier? Zaubertränke? Magische Speisen? Ambrosia?«

»Kuchen«, antwortete ich.

Selia zog die Nase kraus. »Stinknormalen Kuchen?«

»Mit einer Prise Magie.«

Die Hexe kam um den Tresen herumgelaufen, ließ ihre Hand durch die Luft kreisen und im nächsten Moment öffnete sich die Schublade rechts von mir. Sie beugte sich darüber und warf einen Blick auf die Glasgefäße und Zutaten. »Das ist alles? Wo sind die Knochen? Kristalle? Irgendwas Cooles?«

Selia gehörte der jüngsten Generation des Mondzirkels an, dem mächtigsten und auch größten Zirkel unter den dreizehn Familien. Was unsere Fähigkeiten anging, trennten uns nicht nur Welten, sondern Universen. Sie nutzte zum Zaubern vermutlich Dinge, von denen ich noch nie im Leben gehört hatte. Mom hatte mir zwar viel beigebracht, aber in den letzten Jahren hatte ich vieles davon wieder vergessen, weil ich es im Alltag nicht brauchte. Und ich würde einen Teufel tun und so was wie Knochen auf meinen Kuchen streuen. Widerlich.

Ich schob die Schublade zu. »Kann ich euch irgendwie helfen?« Sie waren nicht hier, um Small Talk zu betreiben oder um sich zu erkundigen, wie es mir ging. In ihren Augen war ich nicht mehr wert als der Sand, der sich in den Ritzen der Balken verteilte. Sie waren nur aus einem Grund hier: Um nachzusehen, wie die nutzloseste Hexe der Welt lebte.

»Wir nehmen jeweils einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Such du was aus«, sagte Esther. Selia wollte protestieren, doch Esther zog sie mit sich zum Tisch, an dem Lunas saß und wartete.

Mir wurde schlecht. Die Energien von Menschen waren leicht auszulesen, Hexen waren eine ganz andere Liga. Wenn ich das vermasselte, wäre ich für die nächste Woche das Gespött des Zirkels. Warum musste dieser dämliche Wettbewerb auch ausgerechnet auf dem Fleck Erde stattfinden, an den ich gekettet war? Welche blöde Macht des Schicksals hatte sich das ausgedacht?

Die Galaxienwirbel an der Decke leuchteten rot auf.

»Ja, ja, schon gut. Sorry«, murmelte ich.

Mit den Mächten des Universums schimpfte man nicht. Schon gar nicht, wenn die eigene Magie daran geknüpft war.

Ich horchte auf meine Instinkte und bereitete drei verschiedene Kaffeesorten und drei Stück Kuchen vor. Ich war wie in Trance, sodass ich mich später nicht mal mehr daran erinnerte, was ich eigentlich auf den Kuchen gestreut hatte.

Mit zitternden Händen trug ich das Tablett zu den dreien und servierte die Bestellung. Esther war die Einzige, die sich bedankte, Lunas lächelte mich schief an und Selia ignorierte mich.

Hatte ich schon erwähnt, dass Hexen echt anstrengend waren?

Um die Reaktionen auf meinen Kuchen nicht live mitzubekommen, kümmerte ich mich um meine anderen Gäste, räumte auf und checkte die Kasse. Als ich das nächste Mal aufsah, waren die drei verschwunden. Sie hatten die Kuchen kaum angerührt. Shit. Hoffentlich zerrissen sie sich das Maul nur untereinander und nichts davon kam Mom zu Ohren. Ihr würde das mehr wehtun als mir. Mir war es egal, was die anderen über mich dachten, aber Mom machte sich meinetwegen Sorgen. Unnötigerweise, aber so waren Mütter nun mal.

Ich kippte die Reste der Kuchen in die Box, schüttete die Getränke weg und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. Nicht alles funktionierte von allein. Dann hätte ich gar nichts mehr zu tun gehabt und Langeweile bekam mir nicht gut.

Die Anzahl der Gäste dünnte sich nach und nach aus, bis es Zeit zum Schließen war. Das Paar, das anfangs unsicher das Café betreten hatte, verließ es als letztes, da die beiden Turteltauben vor lauter Händchenhalten und tiefen Blicken die Zeit um sich herum vergessen hatten. Der Kuchen schien die gewünschte Wirkung gehabt zu haben, was mich sehr freute. Auf die liebevollen Blicke, die sie sich zuwarfen, konnte man glatt neidisch werden.

Ich war auch erleichtert, dass nicht noch mehr Hexen und Hexer den Weg zu mir gefunden hatten. Vielleicht schreckten die Erzählungen von Esther und den anderen beiden sie ab und sie ließen sich auch die kommende Woche nicht blicken. Insofern hätte der Besuch heute also doch etwas Positives gehabt.

Nachdem das Café sauber und aufgeräumt war, schnappte ich mir die Dose mit den Kuchenresten und verließ das Gebäude. Die Sonne ging gerade am Horizont unter und tauchte den Strand in violettrosa Licht. Es war abends mittlerweile um einiges kälter als tagsüber und auch, wenn es wahrscheinlich Unsinn war, konnte ich die kältere Luft riechen. Sie war salziger und frischer, belebender. Ich schloss die Tür ab und stieg die Treppe hinunter auf den Strand, lehnte mich gegen den Wind, der sich gedreht hatte und nun aus einer anderen Richtung blies. Geduckt lief ich zwischen den Pfählen an der Unterseite des Cafés entlang und stellte die Box mit den Kuchenresten ungefähr in die Mitte unter der Plattform in den Sand. Ich wischte mir die losen Haare aus dem Gesicht.

»Bon Appetit.«

Erst als ich mich ein paar Meter entfernt hatte, schlüpften die Alphynen aus den Schatten und machten sich über die Kuchenreste her. Die Dämonen waren in der Dunkelheit kaum auszumachen, nur ihre Augen, die wie glühende Kohlen in der Schwärze schwebten, flackerten rötlich-golden. Sie waren Wesen aus schwarzer Magie, mit dem Körper eines Wolfes, den Klauen eines Drachen und dem in sich verdrehten Schwanz eines Greifs. Normalerweise ernährten sie sich von menschlichen Emotionen und Sehnsüchten. Die drei Exemplare unter der Strandhexe allerdings nicht. Ihre Gier wurde ausreichend durch die Kuchenreste befriedigt. Oft schon hatte ich versucht, auch für sie eine richtige Mischung aus meinen Zutaten herzustellen, doch bisher hatte keine die drei Biester länger als einen Tag sättigen können.

Dass sie hier waren, brach ungefähr dreihundert Regeln. Es war strengstens untersagt, Dämonen, zu welchem Zweck auch immer, zu beschwören. Aber das hatte ich auch gar nicht getan. Sie waren schon vor mir auf der Insel gewesen und ich gab, seit ich es selbst konnte, mein Bestes, um sie in Schach zu halten. Eigentlich hätte ich sie an den Rat melden müssen, damit man sie eliminierte, aber … Ich konnte nicht. Sie waren wie die imaginären Freunde, die man als Kind hatte. Nur dass diese drei mich nun schon mehr als zwanzig Jahre begleiteten. Und sie taten niemandem etwas, also konnten sie so böse nicht sein.

Vermutlich waren sie die Einzigen, die sich darüber freuten, dass ich diese Insel niemals verlassen und sie bis an mein Lebensende mit Kuchen versorgen würde.

»Ihr müsst diese Woche besonders gut auf euch aufpassen«, sagte ich. Ich wusste nicht, ob sie mich verstanden. »Die Insel ist wieder voll mit Hexen und Hexern, die euch und mir nur Probleme machen, wenn sie euch entdecken.«

Die Alphynen verspeisten ihren Kuchen ungerührt weiter. Damit war alles erledigt. Ich würde die Box morgen früh bergen, ausspülen und neu befüllen.

Ich zog meinen Cardigan enger und folgte dem Steinplattenweg über die Düne zum Fahrradparkplatz. Als ich mein Rad aufgeschlossen hatte und gerade aufstieg, stellte sich mir jemand in den Weg. Lunas. Bei den Göttern, ich war so neidisch auf die Teleportationszauber, die meine Kräfte weit überstiegen. Und er schaffte es allein vermutlich sogar ohne ein Hilfsmittel. So was lernte man auf der Akademie. Wenn man denn in den Genuss kam.

»Hast du was vergessen?«, fragte ich.

»Eine richtige Entschuldigung.«

»Oh?«

»Selia meinte, dass ich dir gegenüber nicht nett sein darf. Weil du … na ja.«

»Weil ich ein Niemand bin?«

Er wiegte den Kopf. »So ungefähr. Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Was ist anders an dir?«

»Gehen wir ein Stück?« Ich stieg vom Sattel und begann zu schieben. Lunas folgte mir. Ich betrachtete ihn von der Seite. Seine Augen waren dunkelgrau und wirkten freundlich. Mein Gefühl sagte mir, dass er nicht hier war, um mich auszuhorchen, sondern aus ehrlichem Interesse. Trotzdem war ich vorsichtig und erzählte ihm nur, was ohnehin alle wussten.

»Ich habe meinen Hexenstein verloren und konnte keine Ausbildung an der Akademie machen.«

Lunas zog scharf die Luft ein und griff reflexartig an den Ring an seinem linken Zeigefinger, in dem sein Hexenstein eingefasst war. Jede Hexe und jeder Hexer besaß einen solchen Edelstein, den sie mit dem ersten Atemzug herbeizauberten. Dieser wurde geschliffen und in einen Ring gefasst, der dann seinem Träger oder seiner Trägerin mit dem dritten Geburtstag, wenn die Hexenkräfte sich manifestierten, übergeben wurde. Er verlieh mehr Macht, half dabei, Zauber kontrollierter einzusetzen und die eigene Hexenkraft schneller zu regenerieren. Ohne ihn brauchte man dazu andere Hilfsmittel, die man allerdings erst mit Magie aufladen musste. Natürlich konnte man auch ohne auskommen, aber dann entfaltete sich nicht das volle Potenzial und Zaubern war mit einem gewissen Risiko verbunden. Weshalb Hexen und Hexern ohne Stein der Zugang zu der Ausbildung an der Akademie verwehrt wurde. Aber das kam so gut wie nie vor.

Auftritt Juna.

»Was ist passiert?«, fragte Lunas.

»Als Kleinkind bin ich mal fast im Meer ertrunken. Ich habe meinen Hexenstein eingesetzt, um mich zu retten, ihn dabei aber verloren.«

»Scheiße. Tut mir leid.«

»Danke, aber das muss es gar nicht. Ich bin, so wie ich jetzt bin, groß geworden. Ich kenne es kaum anders.«

»Das heißt aber, dir entgeht einiges von deiner Hexenmacht.«

»Richtig.« Das war noch nicht alles, aber es reichte aus, um mich in den Augen der anderen zu Staub zu degradieren. Für sie glich ich einem nutzlosen Menschen, dem man keine weitere Beachtung schenken musste.

»Noch mal Scheiße.«

»Es ist, wie es ist.«

»Danke fürs Aufklären. Das letzte Mal, als ich hier war, habe ich das nicht verstanden.«

»Da warst du ja auch erst wie alt? Elf?«

Er nickte. »Jetzt bin ich sechzehn und verstehe endlich so halb, wie hier der Kessel kocht. Wie alt bist du?«

»Zweiundzwanzig.«

»Nimmst du am Wettbewerb teil?«

Ich lachte auf. »Nein.«

»Darfst du nicht oder willst du nicht?«

»Beides. Bei meinem Glück würde ich draufgehen.«

»Mein Bruder hat das letzte Mal gewonnen«, sagte er stolz.

Ich erinnerte mich dunkel an seinen älteren Bruder Koray. Beim letzten Turnier vor fünf Jahren hatte ich mich die ganze Woche über in meinem Zimmer vergraben und nur flüchtige Blicke auf die anderen Zirkelmitglieder geworfen. Sie hatten sich nicht für mich interessiert, mich sogar größtenteils ignoriert, wenn wir uns zufällig über den Weg gelaufen waren. Aber jetzt, da ich erwachsen war, auf eigenen Beinen stand und meine Magie tagtäglich anwendete, war ich auf ihrem Radar gelandet. Als potenzielle Gefahrenquelle. Und Lunas’ Bruder war sicherlich einer von denen, die mich als mögliche Schwachstelle sahen. Er hatte mich damals nicht beachtet, wie er jetzt zu mir stand, war schwer einzuschätzen.

Ich neigte den Kopf. »Sag ihm lieber nicht, dass du mit mir geredet hast. Er findet das bestimmt noch schlimmer als deine Schwester.«

»Danke für die Warnung. Behältst du diese Unterhaltung auch für dich?«

»Versprochen.«

Er hielt inne und drehte den Ring an seinem Finger.

»Selia hat mich den Kuchen nicht probieren lassen. Sie hat einen Bissen genommen und gesagt, ich soll es gar nicht erst versuchen. Ich komme ein anderes Mal wieder, wenn es in Ordnung ist. Ich werde mich wieder wie ein Vollpfosten benehmen. Tut mir jetzt schon leid. Tschau.« Eine weitere Drehung des Rings und Lunas löste sich in feinen Nebel auf. Ich blieb noch einen Moment auf der Stelle stehen und versuchte, mir einen Reim aus dieser Begegnung zu machen. War er wirklich einfach nur aus Nettigkeit interessiert? Oder spionierte er mich aus? Leider würde ich den Hexenfamilien alles zutrauen, auch dass sie einen Teenager für ihre Zwecke ausnutzten. Ich musste auf der Hut sein.

Ich schwang mich aufs Rad und fuhr los. Die geteerte Straße wand sich mehrere Kilometer lang wie eine Schlange durch die Dünen, bis sie den nächsten Ort erreichte. Ich fuhr vor dem Haus meiner Eltern vor und stellte das Rad an der Holzbank im Vorgarten ab. Beim Anblick des Klinkerbaus mit den roten Ziegeln, dem Reetdach und den großen Fenstern umgab mich eine Aura der Ruhe und Geborgenheit. Auf der Rückseite gab es einen riesigen Garten, in dem Dad so gut wie jedes Gemüse anbaute, das es auf der Welt gab. Jeden Sommer war er wie eine Oase, in der man der Realität entfliehen konnte.

Schon vor der Haustür empfing mich der Geruch von Moms Auflauf, der im Inneren noch intensiver war und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Mom war eine großartige Köchin. Von ihr hatte ich alles gelernt, was es über das Zubereiten von Speisen zu wissen gab, und hatte dabei das Backen für mich entdeckt. Mom führte ein kleines Restaurant im Ort, das die kommende Woche wegen des Wettbewerbs geschlossen blieb, und sie hatte mir Starthilfe für das Café gegeben. Kalkulationen, Steuern und Co. ließen sich nämlich leider nicht auf magischem Wege bewältigen und auch Hexen brauchten Geld. Vor allem ich, weil meine Kräfte eingeschränkt waren und ich beispielsweise das Obst im Garten nicht schneller zum Wachsen bringen konnte. Die Sonnenhexen beherrschten das perfekt und ich war schon immer neidisch darauf gewesen. Aber wenn ich eines hatte, dann war es Zeit, um Gemüse beim Wachsen zuzusehen.

Das Klappern von Geschirr drang aus der Küche zu mir in den Flur. Mom und Dad unterhielten sich über die Tischordnung. Tischordnung? Die war doch seit immer gleich.

Als ich in das Esszimmer eintrat, hielt ich überrascht inne. Der Tisch war ausgezogen und daran war Platz für fast zehn Leute, für die teilweise auch schon eingedeckt war.

»Mom?«, rief ich. Meine Mutter kam in das Esszimmer, neben ihr schwebte eine Schüssel, in der ein Löffel rührte.

»Juna! Da bist du ja endlich!« Sie umarmte mich fest. Meine Mom war eine der schönsten Frauen, die ich kannte. Nicht im klassischen Sinn von symmetrischen Proportionen, sondern wegen des Feuers in ihren Augen. Sie strahlte Lebensfreude aus, die ansteckend war. Ihr Charisma machte sie bei allen beliebt und war mit ein Grund dafür, warum man sie trotz ihrer verkorksten Tochter noch nicht aus dem Rat geschmissen hatte. Jede der dreizehn Familien hatte ein Oberhaupt, die zusammen den Rat bildeten, und Mom vertrat unsere Familie. Die dreizehn Mitglieder des Rates waren durch einen besonderen Telepathiezauber miteinander verbunden. So konnten sie sich auch beraten und Entscheidungen treffen, wenn die Hexen und Hexer auf der ganzen Welt verteilt waren. Eine Hexe von ihnen, aktuell Esthers Mutter Karla, war bei offiziellen Veranstaltungen die Sprecherin des Rates und teilte den Anwesenden mit, was der Rat im Stillen diskutierte und festlegte.

Moms schwarze Haare kitzelten mich, als sie mir einen Kuss auf die Wange gab.

»Wie war dein Tag?«

»Gut. Ich befürchte aber, er wird kein schönes Ende nehmen.« Ich deutete auf den Tisch und Mom seufzte. Sie warf sich ein Küchenhandtuch über die Schulter.

»Ajnur und seine Familie haben sich spontan schon für heute angekündigt. Glaub mir, ich habe mir das auch anders gewünscht.« O nein. Ausgerechnet er, Ajnur van der Heyden. Oberhaupt des Mondzirkels und Arschloch vom Dienst. Aber auch der Leiter der Akademie, was ihm leider viel zu viel Einfluss einbrachte und seinen Ruf mit Teflon bedeckte. Nichts und niemand schien ihm etwas anhaben zu können.

»Zwei seiner Kinder waren heute im Café.«

Der Löffel in der Schüssel hielt inne und Mom wurde blass. »Wie bitte? Wer?«

»Selia und Lunas. Zusammen mit Esther. Sie haben meinen Kuchen verschmäht.«

»Was?« Mom plusterte die Backen auf, der Kochlöffel hackte auf den Inhalt der Schüssel ein. Ich griff nach ihm, damit er keinen Schaden anrichtete, und drückte ihn Mom in die Hand.

»Ist schon okay. Spätestens morgen hätte ich sowieso damit gerechnet.«

»Ich hatte Ajnur gesagt, dass wir das Café zusammen besuchen würden.«

»Vielleicht haben seine Kinder auf eigene Faust gehandelt. Es ist wirklich kein Drama. Und sie sind nur eine Woche da, das stehe ich durch.«

»Trotzdem«, murmelte Mom und drehte den Holzlöffel in den Händen. Gedankenverloren betrachtete sie den Tisch, als mein Vater das Esszimmer betrat.

»Sternchen! Da bist du ja. Deine Ma hat für eine ganze Horde gekocht, ich hoffe, du hast ordentlich Hunger.« Dad zog mich an seine Brust und erdrückte mich fast. Wie immer. Er war ein Sonnenhexer und dazu noch gebaut wie Dwayne The Rock Johnson. Nur dass er noch goldgelbe Haare auf dem Kopf und sogar einen Bart hatte. Von ihm hatte ich auch die Sommersprossen geerbt, die seiner stattlichen Erscheinung etwas von ihrer Schärfe nahmen.

»Schon«, antwortete ich. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich zum Essen bleiben sollte.«

»Ich befürchte«, sagte mein Vater, »Dass es, egal wie du es machst, in den Augen von Ajnur nicht richtig sein wird. Aber wenn du hierbleibst, dann bekommst du wenigstens etwas zu essen.«

»Ich könnte es mir auch mitnehmen.«

»Nichts da. Nur unter unserem Dach schmecken die Gerichte am besten.« Er beugte sich näher an mein Ohr und flüsterte: »Tu es Ma zuliebe. Sie ist schrecklich nervös.«

»Okay.«

Er klopfte mir auf die Schulter und ich fiel fast vornüber. »Das ist mein Mädchen. Komm, hilf mir mit den Servietten. Ich hab schon wieder vergessen, wie das mit den Blüten geht.«

Zehn gefaltete Servietten später trug Mom das Essen auf den Tisch.

»Pünktlich wie immer«, kommentierte Dad und entfachte mit einem Schnipsen ein magisches Feuer um die Töpfe, damit das Essen warm blieb. Sonnenhexen und -hexer hatten eine Affinität zu den Elementen Feuer und Erde, wohingegen die Mond- und Sternenzirkel jeweils nur ein Element besser beherrschten als die anderen: Wasser beziehungsweise Luft.

Ich sah an mir herunter. Die Jeans, das schlichte graue Shirt und der dunkelblaue Cardigan riefen nicht gerade nach einem schicken Dinner. Der erste Eindruck könnte durchaus besser ausfallen. Wobei, ich hatte es bei Ajnur und seiner Familie eh schon verschissen, ich konnte genauso gut auch im Schlafanzug essen. Doch ein Blick auf Mom und ich änderte meine Meinung. Sie rückte das Besteck auf dem Tisch hin und her, zupfte an der Tischdecke und drehte an den Tellern.

»Mom, kann ich mir was aus deinem Schrank borgen? Eine Bluse vielleicht?« Sie würde einen Ticken zu groß sein, aber mit ein bisschen Magie ließ sich das richten.

»Natürlich.«

Ich stieg die schmale und steile Treppe in den ersten Stock hinauf. Der Teppichbelag war dick und weich und roch wie eine Frühlingswiese. Mom hatte ihren Kleiderschrank in mein altes Kinderzimmer gestellt, nachdem ich zwei Orte weiter in ein eigenes kleines Haus gezogen war. Ich liebte meine Eltern und war oft hier, aber ich brauchte auch meinen Freiraum und nach den anstrengenden Teenagerjahren hatte die räumliche Trennung für unsere Beziehung Wunder gewirkt. Auch wenn nur ein paar Kilometer zwischen den Häusern lagen.

Ich wühlte mich durch Moms Kleidung, bis ich eine weite mitternachtsblaue Bluse fand. Ich zog mich um und band mir noch einen der dünnen Gürtel um die Taille, um dem Outfit etwas Form zu geben – ganz ohne Magie. Perfekt. Ich bürstete mir die Haare zu einem Zopf und tuschte mir die Wimpern. Den Aufwand gestand ich unseren Gästen zu, mehr allerdings nicht. Wer meinen Kuchen verschmähte, hatte es nicht anders verdient.

Eine Energiewelle rollte über das Haus und kündigte unsere Gäste an, kurz darauf klingelte es an der Tür. Ich geriet für eine Sekunde in Versuchung, aus dem Fenster zu steigen und abzuhauen. Seufzend trat ich stattdessen den Weg nach unten an und drückte auf der ersten Treppenstufe die Schultern durch. Stimmengemurmel drang von unten zu mir herauf. Als ich unten ankam, war der kleine Flur im Erdgeschoss leer, meine Eltern hatten unsere Gäste direkt in das Esszimmer geführt.

Als ich in den Türrahmen trat, fiel mein Blick sofort auf Ajnur. Er war eine strahlende Erscheinung. Sein silbergraues Haar, das er an seine Kinder vererbt hatte, schien zu leuchten, ebenso seine hellblauen Augen. Sein Anzug aus schiefergrauer Seide war ihm wie auf den athletischen Leib geschneidert. Solche Männer wie er landeten auf der Titelseite von Modekatalogen. Trotz meiner Mühen mit der Bluse fühlte ich mich neben ihm wie ein Müllsack. Seine schwarzen Schuhe waren blank poliert und glänzten schöner als das Silberbesteck im Café.

Ohne seine Unterhaltung mit meinem Vater zu unterbrechen, drehte er den Kopf in meine Richtung. Sein Blick ließ mich zusammenfahren und all meine Alarmglocken schlugen an. Dieser Mann war der mächtigste Hexer aller dreizehn Familien. Ich war das genaue Gegenteil, ein Nichts und Niemand, und trotzdem würden wir gemeinsam an einer Tafel essen. Das konnte ja nur schiefgehen.

»Juna.« Aus Ajnurs Mund klang es eher wie eine Feststellung als ein Name. Zu meiner Überraschung kam er auf mich zu und streckte mir die Hand hin.

Ich machte mir nichts vor. Das war keine Geste der Höflichkeit, sondern eine Chance, um sich aus wortwörtlich erster Hand einen Eindruck meiner Magie zu verschaffen. Also gut, dann brachten wir das mal hinter uns.

»Magus Ajnur«, sagte ich und bemühte mich um eine ruhige Stimme. Ich gab ihm meine Hand und senkte den Kopf. Eine Geste der Demut im Angesicht eines Ratsmitglieds, den ich geistesgegenwärtig noch mit seinem Titel angesprochen hatte. Das milde Lächeln des Hexers verriet mir, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, meinen Platz in seiner Welt nicht zu vergessen.

Seine Haut war überraschend kühl, aber weich. Sicher kamen diese Hände nur in den Genuss der feinsten Tinkturen und Cremes. Ein feines Prickeln verriet mir, dass er meine Energie begutachtete. Oberflächlich nur, aber spürbar. Das Hellblau seiner Iriden waberte um die Pupillen wie Nebel im Mondlicht. Dad räusperte sich, als Ajnur meine Hand eine Sekunde zu lang hielt und die Grenze zur Schicklichkeit übertrat. Er lächelte matt und ließ mich links liegen.

»Lasst uns mit dem Essen anfangen«, sagte er. Als wäre er der Boss im Haus, deutete er auf den Tisch und forderte uns zum Sitzen auf. Ohne seine einnehmende Präsenz direkt vor meinen Augen konnte ich den Blick endlich durch den restlichen Raum schweifen lassen. Mom unterhielt sich mit Hina, Ajnurs Frau, die ein atemberaubendes Etuikleid trug. Wo Moms Aura taghell war, war die von Hina ein Abbild der Nacht. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie zu einem schlichten Knoten zusammengefasst und mit einer Haarnadel hochgesteckt, an der ein blutroter Rubin schimmerte.

Lunas schob sich in mein Blickfeld und nickte mir kaum merklich zu. Selia, die dieselbe Kleidung wie heute Nachmittag trug, beachtete mich nicht und ging direkt zum Tisch. Mein Dad zog ihr den Stuhl zurück, was sie mit einem »Danke« kommentierte. Siehe da, sie besaß also doch Manieren. Ich setzte mich zwischen meinen Dad und meine Mom. Nur so fühlte ich mich sicher.

Der Platz mir gegenüber blieb frei.

»Sollen wir noch auf Koray warten?«, fragte meine Mom mit Blick auf den leeren Stuhl.

Ajnur nahm die Serviette von seinem Teller, entfaltete sie und legte sie über seinen Schoß. So viel zu dramaturgischen Pausen.

»Nein«, antwortete er dann. »Er sieht sich auf der Insel um und bereitet sich auf den Wettbewerb vor. Immerhin hat er einen Titel zu verteidigen. Er nimmt das Ganze etwas ernster als gewisse andere Leute an diesem Tisch.«

Erst dachte ich, er meinte mich damit. Aber es war Selia, die daraufhin schnaubte. »Er hat Schiss vor mir«, erwiderte sie. »Nur deswegen bereitet er sich vor. Ich habe das nicht nötig.«

»Wir werden sehen«, sagte Ajnur und nickte meinem Vater zu. Dad kreiste mit den Fingern durch die Luft, das Besteck folgte seinem Befehl und füllte erst die Teller unserer Gäste, dann unsere. Ich war froh, dass das Essen meine Hände und meinen Mund beschäftigte und niemand meine Beteiligung an der Unterhaltung erwartete. Die Stimmung war angespannt und ich fragte mich, wieso die Hexer und Hexen so viel Wert auf scheinheilige Treffen legten, auf die eigentlich keiner Bock hatte. Sollten sie sich meinetwegen mit uns prügeln, das wäre wenigstens weniger schmerzhaft und schneller vorbei als so ein Abend.

Mom, die Götter mögen ihr danken, ergriff als Erste das Wort und leitete eine Konversation über die Verpflegung für die Zeit des Wettbewerbs ein. Es war Tradition, dass sie alle Mahlzeiten für die Familien zubereitete, solange sie auf der Insel verweilten. Sie war berühmt dafür, das beste Essen aller Hexen zu machen, und mächtig stolz drauf, auch wenn sie einen Großteil der Leute nicht leiden konnte. Sie wusste das, wir wussten das, die anderen wussten das. Und gerade weil sie trotzdem keine Unterschiede machte und sich um alle gleichermaßen kümmerte, wurde sie von allen als Ratsmitglied respektiert und geschätzt.

Ich hörte kaum hin, als sie von Pasteten, Braten, Aufläufen und Co. erzählte. Ich kannte die Liste mit den Gerichten seit Wochen und hatte sie bereits verinnerlicht, weil ich bei den Vorbereitungen helfen würde.

»Und deine Tochter kümmert sich um den Kuchen?«, fragte Ajnur.

Alle hielten die Luft an. Selia versteckte ein hämisches Grinsen hinter dem Weinglas und ich ahnte Böses. Hätte ich mich nicht so vollgestopft, wäre mein Gehirn jetzt nicht so träge und müsste nicht unter Hochdruck nach einer guten Antwort suchen.

»Juna hat mir bisher immer bei den Vorbereitungen geholfen, das wird auch in diesem Jahr nicht anders sein«, antwortete Mom.

Ajnur verzog den Mund. »Nach Selias Bericht bin ich mir nicht sicher, ob das den Ansprüchen unserer verehrten Hexen und Hexer genügt.«

Dad spannte sich an. Ich legte zur Beruhigung eine Hand auf seinen Oberschenkel.

»Junas Kuchen sind fantastisch«, erwiderte meine Mutter selbstbewusst. Schon vor fünf Jahren hatte ich die Kuchen zubereitet und niemand hatte sich beschwert – was vielleicht auch daran lag, dass alle geglaubt hatten, er käme von Mom und wir diese Annahme nie korrigiert hatten.

Ajnur legte seine benutzte Serviette auf den Teller. »Davon will ich mich selbst überzeugen.«

»Morgen kannst du –«

»Jetzt.«

Mom schnappte nach Luft. »Jetzt? Du willst jetzt Kuchen essen?«

»Nicht nur irgendeinen«, antwortete Ajnur und richtete den Blick auf mich. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für das berühmt-berüchtigte Loch im Boden. »Ich will genau denselben Kuchen, den Selia heute hatte. Davon ist doch noch was da, oder?«

Ich sammelte allen Mut zusammen. »Nein«, sagte ich dann. »Er ist ausverkauft.«

»Dann wirst du einen neuen backen.«

»Sofort?«

»Sofort.«

Ich blinzelte und hoffte, dass er sich auf die Schenkel klatschte und seinen Witz auflöste. Pustekuchen. Er meinte es ernst. Arroganter, machtsüchtiger Arsch.

»Wie Ihr wünscht.« Ich erhob mich. »Ich muss allerdings ins Café, weil dort alle meine Zutaten sind.«

»Lunas«, sagte Ajnur im Befehlston. »Hilf ihr beim Teleportieren.« Sein Sohn erhob sich, er zögerte nicht mal eine Sekunde. Ajnur hatte seine Kinder wohl gut trainiert oder eingeschüchtert.

Wir gingen gemeinsam in den Flur, wo ich meine Schuhe anzog. Lunas hatte seine nie ausgezogen, er wartete geduldig, bis ich fertig war.

»Darf ich?« Er streckte den Arm aus. Ich gab ihm meine Hand und er umschloss meine Finger mit seinen. Seine Haut war warm und feucht, ich spürte seinen Puls ganz deutlich. Er war aufgeregt, hatte vielleicht sogar ein bisschen Bammel davor, eine weitere Person mit sich zu teleportieren. Es war nicht ohne Risiko, aber ich vertraute dem jungen Mondhexer. Lunas drehte den Ring an seinem Finger, murmelte ein paar unverständliche Worte und wir lösten uns in dunklem Nebel auf.

KAPITEL2

Kurz bevor die Magie uns freigab, drang mir der salzige Duft des Meeres in die Nase. Und das Kribbeln eines Gewitters, was eigentlich nicht sein konnte, weil für heute eine sternklare Nacht angesagt war. Meine Nackenhärchen stellten sich auf, als meine Sicht sich klärte und ich den Sand unter meinen Füßen spürte. Die Strandhexe wurde von sanftem Mondlicht erhellt, keine Wolken waren am Himmel zu sehen und doch …

Ein Schauder schoss meine Wirbelsäule herunter. Ich warf mich herum, schnappte Lunas und riss ihn mit mir. Keine Sekunde später schlug ein Blitz mit einem ohrenbetäubenden Knall neben uns im Sand ein, genau an die Stelle, an der wir eben noch gestanden hatten. Geblendet und halb taub tastete ich im Sand nach Lunas.

»Alles in Ordnung?« Ich schrie, aber in meinen Ohren hörte es sich wie ein Flüstern an. Lunas nickte und sagte etwas, aber ich verstand ihn nicht. Mein Kopf dröhnte und ich schloss die Augen. Etwas roch angekokelt. Hoffentlich nicht ich. Ich öffnete die Lider und sah an mir herunter. Kein Qualm, keine züngelnden Flammen, ich hatte wohl noch mal Glück gehabt.

Plötzlich wurde Lunas neben mir nach oben gerissen und auf die Füße gestellt. Ich warf mich nach vorne und wollte ihm helfen, als ich die dunkle Gestalt erkannte, die Lunas gerade in den Arm nahm und an sich drückte.

Silbergraues Haar und goldfunkelnde Augen. Koray. Er war Ajnur wie aus dem Gesicht geschnitten und hatte dieselbe athletische Figur, nur seine Augen, die hatte er von seiner Mutter geerbt. Dass ich ihn anstarrte, merkte ich erst, als er sich von Lunas löste und sich vor mich kniete. Seine Lippen bewegten sich und mein Blick heftete sich darauf, was das Pochen meines Herzens in eine andere Richtung lenkte. Außer, dass sie wirklich weich aussahen, konnte ich den Lippen aber nichts ablesen. Koray hob beide Hände an meinen Kopf und ich zuckte zurück. Er wartete einen Moment, bis ich nickte, und startete einen zweiten Versuch. Warme Finger schoben sich unter meine Haare und legten sich auf meine Ohren. Es prickelte, als Koray einen Zauber sprach. Mein Körper schüttelte sich und er verstärkte seinen Griff ein wenig. Ich konzentrierte mich auf seine Augen, während die Wirkung der Magie sich entfaltete und meine Ohren heilte. Es war unangenehm, aber nicht schmerzhaft.

Wenige Sekunden später ließ er mich los.

»Juna? Hörst du mich?«, fragte er. Seine Stimme war tiefer, als ich sie in Erinnerung hatte.

»Klar und deutlich«, krächzte ich. Ich griff mir an den Hals, der wie Sandpapier kratzte, und räusperte mich.

»Das geht vorbei«, sagte Koray. »Tut dir sonst noch was weh?« Ich schüttelte den Kopf. »Kannst du aufstehen?«

»Denke schon.«

Er half mir auf die Beine. Ich schwankte leicht, weil ich im weichen Sand keinen Halt fand, aber mir wurde nicht schwindelig.

Lunas tauchte neben mir auf und funkelte seinen Bruder zornig an. »Verrätst du mir jetzt, wieso du hier einen auf Wettergott machst und sie fast pulverisiert hättest?«

Ich blickte zu der Einschlagstelle. Stränge aus Glas zogen sich durch den Sand. »Das war deiner?«

Koray fuhr sich durch die Haare. »Es tut mir leid. Ich habe Dämonen gejagt und dachte, der Nebel käme von ihnen.«

»Dämonen?«, fragte ich und mir wurde kalt. »Meinst du die Alphynen? Hast du sie getötet?«

»Die Biester sind mir entwischt, aber … Moment, du weißt, dass hier Alphynen unterwegs sind?«

Oh-oh. Koray baute sich vor mir auf. Seine Augen leuchteten auf, ein zugleich wunderschöner wie Furcht einflößender Anblick.

Ich schluckte. Eine Lüge musste her. »Sie sind erst vor Kurzem hier aufgetaucht. Ich füttere sie seitdem mit Kuchen und sie lassen die Menschen in Ruhe.«

»Du fütterst sie. Mit Kuchen.« Koray sah aus, als wollte er mir ein Fieberthermometer in den Mund schieben, um zu testen, ob ich krank war, und deswegen so einen Stuss von mir gab.

»Verhextem Kuchen«, sagte ich, aber das schien es nicht besser zu machen. Er kniff die Augen zusammen.

»Hast du den Verstand verloren? Alphynen sind gefährlich. Und du hältst sie dir wie Haustiere?«

»Ich halte sie davon ab, jemandem gefährlich zu werden.«

»Solche Biester sind nur dann nicht gefährlich, wenn sie tot sind.«

»Im Gegensatz zu dir haben sie noch nicht versucht, mich umzubringen.«

Koray hob eine Braue. Hätte er mich in diesem Moment nicht so angesehen, als ob er mir einen weiteren Blitz in den Hintern jagen wollte, wäre das wirklich sexy gewesen. So aber ging mir besagter Arsch auf Grundeis.

»Du hast keine Ahnung, wovon du da redest. Woher auch«, sagte er vorwurfsvoll. »Aber du hast recht, ich schulde dir was. Also lasse ich dich und deine Dämonen für heute in Ruhe. Ich hoffe für dich, dass du morgen noch lebst und auch sonst niemand zu Schaden gekommen ist.«

»Und selbst wenn, ist es deine Schuld, weil du ihnen Todesangst eingejagt hast.«

»Dämonen haben keine Angst.«

»Woher willst du das wissen?«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast wirklich von nichts eine Ahnung.« Er sah zu Lunas, dann zu mir. »Was macht ihr überhaupt hier? Wolltet ihr … Er ist noch minderjährig!«, blaffte Koray mich an.

Lunas stöhnte auf. »Du bist so unfassbar peinlich, Koray! Sie soll einen Kuchen backen. Für Dad.«

Koray kniff sich in die Nasenwurzel. »Drehen jetzt alle durch? Wieso redet hier jeder von Kuchen?«

»Vielleicht liegt was in der Luft«, sagte Lunas und grinste mich an. Er gab sich Mühe, die Stimmung aufzulockern, doch es prallte an Koray ab wie an einer Wand.

»Wir gehen.«

»Aber Juna –«

»Ist erwachsen. Außerdem rennen hier Alphynen rum und deswegen gehen wir. Jetzt.«

»Sie hat mir das Leben gerettet!«, protestierte Lunas.

»Als ob. Blitze sind für Hexen nicht tödlich. Zumindest diese waren es nicht.«

»Das wusste sie ja nicht.«

Koray warf mir einen prüfenden Blick zu. Er seufzte. Wenn er jetzt noch einmal einen Kommentar dazu machte, wie ahnungslos und dumm ich war, würde ich ausrasten.

Kopfschüttelnd griff er sich in die hintere Hosentasche und zog eine Karte hervor. Er reichte sie mir. »Denk an den Ort, zu dem du willst, und dann zerreiße sie. So kommst du nachher schnell nach Hause. Sieh es als Dank für das Leben meines Bruders.« Er griff sich theatralisch an die Brust. Lunas verbarg das Gesicht in den Händen.

Die Karte hatte einen grünen Hintergrund und einen schwarzen gezackten Rand. Darauf abgebildet waren ein graublauer Buckelwal und rosa Quallen. Über den Tieren war die Rune Raidho aufgemalt. Sie stand unter anderem für den richtigen Weg, Bewegung und Reisen und wurde auch für Zauber aus diesen Bereichen genutzt. Die Mondhexen und -hexer hatten ein Faible für Orakel und Tarotkarten und ich konnte kaum glauben, dass ich selbst eine in Händen hielt. Sie besaßen Macht, viel Macht. Die Karte in meinen Fingern pulsierte und strahlte Wärme aus. Ich sah auf und wollte Koray etwas dazu fragen, aber er und Lunas waren bereits verschwunden.

Ich steckte die Karte ein und sah mich um. Weder von den Hexern noch von den Alphynen war etwas zu sehen. Hoffentlich beruhigten sich die Dämonen schnell und kehrten in ihr Versteck unter dem Café zurück. Mein Blick glitt zu der Stelle, an der der Blitz eingeschlagen war. Ich würde später, sobald der Sand abgekühlt war, noch einmal wiederkommen.

Für die paar Meter zur Strandhexe reichte mir das Mondlicht. Ich wollte die Alphynen nicht noch mehr erschrecken, indem ich ein Zauberlicht entfachte. Im Café angekommen schaltete ich nur die Lichter in der Küche ein und machte mich ans Werk. Die Zutaten – magische wie normale – flogen durch die Küche. Natürlich legte ich auch selbst Hand an und Stück für Stück entstand daraus ein gedeckter Apfelkuchen. Ich schob ihn in den Ofen und räumte das Chaos auf. Anschließend schnappte ich mir ein Glas mit Deckel und ging wieder nach draußen.

Die Röhren aus aufgeschmolzenem Gestein, die bei einem Blitzeinschlag entstanden, nannte man Fulgurite oder Quarzglas. War es ein durch Zauberkraft erschaffener Blitz, so nannte man diese Röhren auch Hexenglas. Schwer zu finden, weil die Manipulation von Wetterphänomenen nur wenigen gelang und gerade Blitze sehr unberechenbar waren. Aber natürlich besaß der älteste Sprössling von Ajnur diese Gabe. Andernfalls wäre er wohl enterbt worden.

Ich grub mich vorsichtig durch den Sand und legte das Hexenglas frei. Es sah unscheinbar aus wie ein langer Stein. Aber aufbereitet und poliert wurde es wunderschön und eignete sich sowohl für die Herstellung von Hexenwerkzeug oder als Zutat für einen Zauber. Koray konnte sich wohl jederzeit Nachschub beschaffen, wenn er das Hexenglas einfach dem Strand überließ. Beziehungsweise mir. Vermutlich würde er sich ärgern, wenn er das wüsste. Pech gehabt. Ich legte die Röhrenstücke in das Glas und verschloss es luftdicht. Sobald ich die Zeit dazu fand, würde ich mich um die Aufbereitung kümmern.

Doch jetzt stand ich erst mal vor der schweren Entscheidung, welches Topping-Gemisch ich Ajnur auf den Kuchen machen würde. War es mir schon bei seinen Kindern schwergefallen, sie einzuschätzen, war es bei ihm nahezu unmöglich. Und ich bezweifelte, dass meine Magie etwas bei ihm ausrichten würde. Erst recht nicht, wenn er sich nicht darauf einlassen wollte und davon ging ich stark aus. Hm. Schwierig.

Ich zog die Schublade auf und schloss die Augen. Langsam ließ ich meine Handflächen über die Gläser kreisen und hoffte auf eine Eingebung. Ich rief mir Ajnurs Gesicht ins Gedächtnis. Seine Aura. Dabei mogelten sich auch Bilder von Lunas, Selia und Koray vor mein inneres Auge. Letzterer entlockte mir ein Schnauben. Aber es half bei meiner Entscheidung. Ajnur war – trotz seines aufgeblähten Egos und Machtkomplexes – ein Familienmensch. Für seine Kinder würde er sicher alles tun.

Koriander, Heidekraut, Pfefferminz und Vanille. Diese Mischung würde ich sonst niemandem anbieten, aber für ihn fühlte sie sich richtig an. Und wenn mein Kuchen unterging, dann schon richtig. Als ich mit dem Mörsern fertig war, meldete sich auch der Ofen zu Wort. Ich ließ den Kuchen kurz auskühlen und bestreute ihn dann mit der Gewürzmischung. Es juckte mich in den Fingern, ihn selbst zu probieren. Aber wenn ich Ajnur nur ein Stück brachte oder einen angeschnittenen Kuchen, würde er vielleicht glauben, dass ich nicht genug Selbstbewusstsein besaß, um ihm den Kuchen ungetestet vorzusetzen.

Na super. Er war gerade mal einen Tag hier und schon stellte ich jede meiner Entscheidungen in Frage. Hoffentlich ging die Woche schnell rum.

Ich nahm die Runenkarte zwischen die Finger. Sollte ich sie nutzen? Sie war viel zu wertvoll, um sie für eine Kuchenlieferung zu verschwenden. Mit glühenden Wangen dachte ich an eine andere mögliche Verwendung. Vielleicht war dieser Zauber meine wortwörtliche Eintrittskarte in die Welt. Vielleicht würde sie es mir ermöglichen, die Insel ein einziges Mal zu verlassen. Nie im Leben hätte ich eine andere Hexe oder einen anderen Hexer um Hilfe gebeten, aber so …

Eine Karte voll Hoffnung gegen einen verspäteten Kuchen und die Enttäuschung eines Mannes, der mir den Buckel runterrutschen konnte …

Ich steckte die Karte zurück in die Hosentasche. Einem Einfall folgend ging ich in den Schuppen, der hinter dem Café stand. Es war ein windschiefes Häuschen aus Holz und Steinen, in dem ich Sachen für den Sommer lagerte. Ein paar Liegestühle für den Strand, Sonnenschirme und allerhand anderer Kram, den ich dringend mal ausmisten musste. Wenn mich nicht alles täuschte, dann – aha! Zwischen zwei Werbeschildern fand ich mein altes Kinderfahrrad, das ich im Sommer auf der Terrasse als Deko benutzte. Es hatte sogar einen weißen Korb am Lenker, der als Blumentopf fungierte. Ich würde den Kuchen doch in zwei Hälften schneiden und in zwei Kartons packen müssen, aber das nahm ich in Kauf. Die Reifen waren platt. Wie gut, dass ich als Sternenhexe Windmagie beherrschte. Es reichte nicht für einen Orkan, aber um zwei Reifen aufzupusten allemal. Ich schraubte die Ventile auf und wies der Luft mit den Fingern den Weg in die Reifen, die sich lautlos aufpumpten. Perfekt.

Nicht ganz so perfekt gestaltete sich das in die Pedale Treten. Ich war dem Rad entwachsen und fühlte mich wie ein Frosch auf einem Bobbycar. Das Licht flackerte nur notdürftig und ich fuhr den größten Teil der Strecke im Dunkeln, aber da ich den Weg wie meine Westentasche kannte, machte mir das nichts aus. Über mir funkelten die Sterne und lachten sich mit Sicherheit über mich schlapp. Ich war wahrlich keine edle Vertreterin ihres Namens.

Es ging nicht so schnell voran, wie ich mir das wünschte, aber ich erreichte Moms Haus schneller, als wenn ich gelaufen wäre.

Mom hatte am Küchenfenster nach mir Ausschau gehalten und öffnete mir die Haustür.

»Meine Güte, wieso hat das so lange gedauert? Und wo ist Lunas? Er sollte dich doch zurückbringen.«

»Lange Geschichte. Ist Ajnur noch da?«

»Hina, Selia und er sind vor einer halben Stunde gegangen.«

»Mist. Dann bringe ich ihm den Kuchen vorbei. Wo wohnen sie?«

Mom schürzte die Lippen. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

»Warte ich bis morgen, ist es falsch. Bringe ich den Kuchen jetzt vorbei, ist es auch falsch. Man kann es ihm nicht recht machen, aber ich bringe es lieber jetzt hinter mich.«

»Na gut. Sie wohnen im Eaton Haus, einen Ort weiter.«

»Kann ich das Auto nehmen?«

»Natürlich.«

Sie nahm den Schlüssel vom Brett neben der Tür und reichte ihn mir. »Moment«, sagte sie dann. Ein Schnipsen und meine Kuchenhälften fügten sich Funken sprühend zu einem Ganzen zusammen, der Karton wuchs entsprechend mit.

»Danke, Mom.«

»Gerne. Und jetzt beeil dich.«

Ich lud den Kuchen in den Wagen und fuhr los. Die Sitzheizung war eine Wohltat für meinen Hintern, der nicht nur kalt war, sondern von dem ungewohnten Sattel auch schmerzte. Das gemütliche Brummen der Pflastersteine unter den Rädern lullte mich ein und ich merkte, wie müde ich war. Der Tag hatte doch seine Spuren hinterlassen und ich konnte es nicht abwarten, endlich ins Bett zu kommen.

Ich parkte den Wagen an der Straße direkt vor dem Eaton Haus. Es war ein langgezogener Bungalow aus Klinkersteinen, mit großen Fenstern und einem hübschen Garten. Nirgendwo brannte Licht, das Haus war leer oder die Bewohner schliefen bereits. Ich spähte durch das Fenster neben der Haustür, entdeckte im Inneren aber niemanden. Ich entzündete ein kleines Licht in meiner Handfläche und ging um die Ecke zur Terrasse. Auch hier war niemand. Vermutlich waren sie noch woanders hingefahren und würden erst später wiederkommen. Ich stellte den Karton mit dem Kuchen neben die Terrassentür ab, wo er einigermaßen geschützt war. Zurück am Auto kramte ich Zettel und Stift aus dem Handschuhfach und verfasste eine kurze Nachricht, die ich unter den Türklopfer steckte. Damit war mein Auftrag erledigt. Da Mom das Auto morgen früh nicht brauchte, fuhr ich direkt weiter zu meinem Haus. Es war das kleinste im Ort Midsland, aber ich liebte es abgöttisch. Es war schief und knarzte viel, was ich unter seinem Charakter verbuchte. Und ich bildete mir ein, dass auch das Haus zufrieden seufzte, als ich endlich ins Bett fiel.

KAPITEL3

Ajnur meldete sich nicht. Er ließ Mom den ganzen Tag auf heißen Kohlen sitzen, bis sie sich dazu entschied, dass ich wie geplant alle Kuchen für die Feier am Abend vorbereiten würde. Heute war der eigentliche Anreisetag der Hexenfamilien und aus diesem Anlass wurde ein Willkommensfest gefeiert, bevor es am nächsten Tag mit dem ersten Wettkampf losging. Obwohl nur die Hexen und Hexer im Alter von 18 bis 25 Jahren teilnahmen, reisten auch die engeren Familienkreise der Teilnehmenden an. Während sich die jungen Sprösslinge um den ersten Platz in einem sinnlosen Turnier prügelten, genoss der Großteil der Familien die Natur und die kostenlose Verpflegung in Moms Restaurant. Sobald das Ende eines Wettkampfes in Sicht war und der erste Teilnehmer das Ziel erreichte, setzten sich alle in Bewegung, um diesen an der Ziellinie zu begrüßen. Dann wurde gemeinsam weitergefeiert. Insgesamt konnte man diese Veranstaltung also auch als Fress- und Saufgelage betiteln, das unter dem Deckmantel eines Wettkampfes stattfand. Zum Glück fand es nur alle fünf Jahre statt, denn nach dieser einen Woche brauchten wir alle erst mal einen Monat Urlaub.

»Meinst du, die Schnittchen reichen?«, fragte Mom, die sich die Hände an einem Geschirrtuch abwischte. Vor uns türmten sich unzählige Sandwiches und Fingerfood, dessen Namen ich nicht mal kannte.

»Damit könnten wir das ganze Land einen Monat lang versorgen«, antwortete ich und schnappte mir eines der Gurkensandwiches. Dad hatte ebenfalls die Backen voll und kaute genüsslich. Mom erwischte ihn dabei, wie er ein Hackbällchen in Tomatensoße vom Büffet stahl, und schlug mit dem Handtuch nach ihm.

»Jannik! Finger weg!«

Dad wich ihr geschickt aus. »Schatz, das ist Fingerfood. Es gehört vom Namen her in Finger. Bevorzugt meine.«

»Iss gefälligst, wenn alle anderen essen.«

»Die Meute ist so verfressen, da bleibt gar nichts mehr für mich übrig.«

Ich ging in Deckung, als der altbekannte, gut eingespielte Streit zwischen den beiden ausbrach und kümmerte mich um die Dekoration. Moms Restaurant, Die letzte Düne, befand sich genau gegenüber ihrem Wohnhaus. Das schwarz gestrichene Holzhaus wartete im Inneren mit einer Mischung aus Shabby Chic und Edelmöbeln auf, gekrönt mit den liebevollen Details eines Insellebens. Alte Werbeschilder von Limonadenmarken hingen neben edlen Kerzenhaltern an der Wand. Die Kissen, wenn auch schlicht in ihren Farben, waren urgemütlich und die frischen Blumen auf dem Tisch verströmten einen süßlichen Duft, der sich mit dem Geruch nach gebratenem Fisch und Gemüse mischte. Mir lief bereits jetzt das Wasser im Mund zusammen. Doch bis alle anderen da waren, mussten wir uns mit den kalten Happen begnügen. Nicht, dass ich mich beschwerte, sie waren superlecker, aber es ging nichts über Moms Fischgerichte.

An den Deckenbalken aus Holz hatte Mom glitzernde Girlanden mit kleinen Sonnen, Monden und Sternen aufgehängt. Dank eines kleinen Illusionszaubers würde es später den Eindruck erwecken, als säße man unter einem Nachthimmel. Daher hatte ich mir den Trick auch für die Strandhexe abgeschaut.

Um dem Raum noch ein gemütlicheres Ambiente für den Abend zu verpassen, verteilte ich Kerzen im ganzen Raum, die Dad nachher entzünden würde. Er hatte sie selbst gezogen und sich dabei in den Formen und Farben wieder selbst übertroffen. Natürlich waren alle mit einem kleinen Zauber oder bestimmten Zutaten versehen, die ihnen besondere Eigenschaften verliehen. Der Großteil aller Anstrengungen sollte dazu beitragen, eine entspannte Atmosphäre in den Raum zu bringen.

Wobei man heute eher von riesigem Saal sprechen sollte. Mom und Dad hatten ihre Kräfte vereint und mit ein paar Hilfsmitteln aufpoliert, um die letzte Düne größer zu machen. Zumindest im Inneren. Die normalen Ausmaße hätten nämlich nicht gereicht, um die vielen Hexen und Hexer zu beherbergen. Jetzt passten doppelt so viele Tische und Stühle in das Restaurant.