Starting Six: Allie und Jason - Kim Valentine - E-Book

Starting Six: Allie und Jason E-Book

Kim Valentine

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Beschreibung

Allie Nash gilt als Eishockey-Ausnahmetalent, doch eine Herzerkrankung zwingt die junge Frau zu einem sofortigen Karriereende. Statt sich in Selbstmitleid zu suhlen, nutzt sie ihre Erfahrung und steigt als Eishockey-Expertin und Co-Kommentatorin bei einem Fernsehsender ein. Nach einer Live-Übertragung soll sie vollkommen spontan und dadurch unvorbereitet Jason Coltrane, den Bad Boy der Liga und Kapitän der Boston Razors, interviewen. Der ist dafür bekannt, jedes Zusammentreffen mit einem Pressevertreter in einem Desaster enden zu lassen. Selbst die um Professionalität bemühte Allie, bringt er mit seiner herablassenden Art in Sekundenschnelle auf die Palme. Doch sie rauscht nicht wutentbrannt ab, sondern bietet ihm die Stirn und fordert Jason zu einem Duell auf dem Eis heraus. Siegesgewiss willigt Coltrane ein und bald muss Allie erkennen, dass bei diesem Kräftemessen mehr auf dem Spiel steht, als nur ihre Ehre. Denn der Eishockey-Profi gewährt ihr unerwartet einen Blick hinter seine harte Fassade, was Allie vom ersten Moment an fasziniert. Doch je mehr sich die beiden aufeinander einlassen, desto näher kommt sie auch Jasons dunklem Geheimnis.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kim Valentine

Starting Six: Allie und Jason

© 2018 Written Dreams Verlag

Herzogweg 21

31275 Lehrte

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.weebly.com)

ISBN ebook: 978-3-96204-323-0

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.

Widmung

Für Dani - du weißt warum

Kapitel 1

Neun Jahre zuvor

Ich machte mir fast in die Hose, während Dr. Turner mit gemächlichen Bewegungen den Kopf des Ultraschallgerätes über meine Haut schob. Er wanderte höher und verteilte das kühle Kontaktgel dabei immer weiter. Währenddessen blickte mein Arzt konzentriert auf den Monitor, den ich nur zum Teil einsehen konnte.

Hoffentlich erkannte er in diesem schwarz-weißen Wirrwarr etwas. Ich tat es jedenfalls nicht.

„Hmm“, brummte Dr. Turner.

Aus Angst, was diesem ›Hmm‹ folgen würde, kniff ich die Lider zusammen und presste die Kiefer fest aufeinander.

Er sollte mir sagen, dass er keinen Hinweis auf seinen Verdacht gefunden hatte.

Er sollte mir sagen, dass alles in bester Ordnung war.

Er sollte mir sagen, dass ich weiterspielen konnte.

Aber Dr. Turner sagte gar nichts.

Alles, was ich hörte, war, wie der Kardiologe auf seinem niedrigen Hocker weg von dem Ultraschallgerät und der Behandlungsliege rollte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die Augen öffnete.

Tiefe Furchen waren in die Stirn des Mediziners eingegraben, während er auf die Ausdrucke des Ultraschalls blickte, die ausgebreitet vor ihm lagen.

„Kann ich mich anziehen?“, fragte ich in die ohrenbetäubende Stille.

„Hmhm“, antwortete der Mann, der meine Zukunft in den Händen hielt, ohne aufzusehen.

Meine Handflächen waren schweißnass, obwohl meine Finger sich wie Eiszapfen anfühlten. Ich schnappte mir ein paar der bereitstehenden Papiertücher und wischte mir damit das Ultraschallkontaktgel von der Haut. Anschließend zog ich meinen Pullover herunter. Er trug das Logo der Boston Hawks und ich war verdammt stolz darauf, es tragen zu dürfen. Ein harter Weg lag hinter mir und ich hatte Angst, dass Dr. Turner mir in wenigen Sekunden sagte, dass meine Mühen umsonst gewesen waren.

Auf wackeligen Knien durchquerte ich den Raum und setzte mich auf den freien Stuhl, der vor Dr. Turners Schreibtisch stand.

Wie viele Leute auf diesem Platz wohl bereits eine Hiobsbotschaft empfangen hatten? Bekam auch ich gleich eine schlechte Nachricht, oder würde ich das Zimmer freudestrahlend verlassen, weil Dr. Turner mir gesagt hatte, dass mein Herz gesund wäre?

Nervös sah ich zu meiner Mutter, die mir ein gequält wirkendes Lächeln schenkte. Ich konnte verstehen, dass ihr Nervenkostüm inzwischen enorm dünn war, denn die letzte Zeit war für uns beide nicht leicht gewesen.

Dr. Turner nahm seine Brille ab und sah mich mit seinen warmen braunen Augen an.

Seine Miene war ernst.

Sehr ernst.

Todernst, um genau zu sein.

Eine böse Vorahnung legte sich wie eine eiserne Klaue um mein Herz und drückte zu. Exakt das Organ, von dem so vieles abhing.

Von dem alles abhing.

„Allison“, begann er und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Stirn. Falls er mir wirklich gleich mitteilte, dass meine Karriere am Ende war, so tat er das mit jeder Menge Feingefühl. „Wie ich bereits vermutet habe, hat die Borreliose eine Herzmuskelentzündung ausgelöst. Das erklärt ihre verminderte Belastbarkeit.“

Die Klaue schob sich von meinem Herzen zu meiner Kehle, wo sie noch fester zupackte. Ich musste mich bemühen, um überhaupt ein Wort herauszubekommen, als ich sagte: „Aber das geht vorbei, oder?“

Turner lächelte, als hätte ich einen Scherz gemacht, den er nur zu oft gehört hatte, um ihn noch lustig zu finden.

„So leicht ist das nicht, Allison.“

Dann führte er sehr detailliert aus, wie sich dieser dumme Zeckenbiss, den ich mir vor einigen Wochen im Wald beim Joggen zugezogen hatte, auf mein Leben auswirkte. Die Pumpleistung meines Herzens war nun reduziert. Verschlimmert wurde alles, weil ich die ersten Borreliose-Symptome ignoriert und weiter trainiert hatte. Woher aber hätte ich bitte wissen sollen, dass hinter der Müdigkeit und den Kopfschmerzen, die mich geplagt hatten, eine Infektion steckte? Ich dachte, dass das Programm meines neuen Coaches einfach etwas ungewohnt war, denn Mr. Semjonov verlangte vollen Körpereinsatz. Und nun war mein Herz derart geschädigt, dass ich meinen geliebten Sport aufgeben musste?!

Dr. Turner redete mehrere Minuten lang, und als er geendet hatte und mir in die Augen sah, verschwamm sein Gesicht. Die Tränen liefen heiß über meine Wangen, tropften auf meine Hände, die ich während Dr. Turners Erläuterung ununterbrochen geknetet hatte. Das sollte es gewesen sein?

Ich würde nie wieder Eishockey spielen?

Mein Traum in die U18 Nationalmannschaft aufgenommen zu werden, hatte sich doch gerade erst erfüllt!

Das konnte alles nicht vorbei sein!

Das ging nicht!

Aber Dr. Turner sagte, dass das ging.

Er bestand darauf, dass ich meine Spielerkarriere beenden musste.

Wenn ich weiter Profisport betrieb, konnte das zu viel für mein krankes Herz sein.

Turner teilte mir mit eindringlicher Stimme mit, dass ich sterben könnte, während ich mich fragte, wie ich ohne Eishockey leben sollte.

Kapitel 2

Sofort spürte ich den skeptischen Blick, als ich die Kommentatorenkabine betrat. Zac Winters sah von seinen Notizen auf und musterte mich. Für meinen ersten Arbeitstag hatte ich eine dunkelblaue Jeans mit einem weißen Top und einem sportlich geschnittenen Blazer kombiniert. Dazu trug ich schwarze Stiefeletten und bis auf meine Armbanduhr hatte ich auf Schmuck verzichtet. Winters machte keine Anstalten, seine Beine von dem Stuhl zu entfernen, der für mich vorgesehen war, damit ich Platz nehmen konnte.

Wenn das bereits ein Machtkampf war, den er dachte, mit Links zu gewinnen, so hatte er sich getäuscht. Winters mochte einer der bekanntesten Sportmoderatoren Bostons sein, aber ich war auch nicht irgendwer. Und gewiss hatte man mich, nachdem die Saison vor einigen Wochen begonnen hatte, nicht grundlos eingestellt.

Ich setzte eine ernste Miene auf und marschierte mit ausgestreckter rechter Hand auf Winters zu. Die Kabine war nur ungefähr sechs Quadratmeter groß, deswegen stand ich eine Sekunde später vor ihm.

„Mr. Winters, schön Sie kennenzulernen. Ich bin Allison Nash“, stellte ich mich vor, ergriff seine Hand und drückte mit aller Kraft zu. Noch während ein verdatterter Winters meinen Händedruck erwiderte, zog ich mit meiner freien Hand den Stuhl nach hinten, sodass seine Füße keine Auflagefläche mehr hatten und wie zwei Säcke Kartoffeln auf den Boden polterten. Hätte mein Kollege weniger Zeit mit dem Abschätzen meiner Oberweite verbracht, dann hätte er seine Füße rechtzeitig herunternehmen können. Mein Mitleid hielt sich demnach in Grenzen.

„Ms. Nash. Die neue Expertin“, sagte er, wobei er das letzte Wort mit unverkennbarem Sarkasmus in der Stimme hervorhob. „Es freut mich, dass Sie hergefunden haben.“

Das hatte zwar freundlicher geklungen, aber ich traute dem Frieden nicht.

„Danke“, antwortete ich knapp und setzte mich auf den soeben freigewordenen Stuhl. Ich spürte, wie Winters mich beobachtete, als ich in meine Tasche griff und einen Stapel Papiere und einen Stift herausholte.

„Was haben Sie da mitgebracht? Eine Sammlung der beliebtesten Rezepte?“, stichelte er und lachte über seinen eigenen – wie ich fand, ziemlich schlechten – Witz.

Ich schüttelte seine Spitze betont unbeeindruckt ab und wandte mich ihm langsam zu. Man hatte mich vor Winters geringer Meinung gegenüber Frauen gewarnt, also hatte ich mit einem derartigen Seitenhieb gerechnet. Zudem hatte ich zu lange Sport auf hohem Niveau betrieben, um wegen ein bisschen Gegenwind gleich nach Hause zu laufen.

„Die Aufstellung der Razors und der Foxes. Daten und Statistiken der einzelnen Spieler und ein paar Informationen bezüglich der Trainer“, entgegnete ich.

Winters lehnte sich in seinem Stuhl zurück und strich mit beiden Händen sein graues Haar nach hinten. Ein selbstsicheres Lächeln klebte auf seinen Lippen. Der Typ machte den Kommentatorenjob schon so viele Jahre, dass er sich für unersetzbar hielt. 

Diese Einstellung ließ sich nicht mit meinem Credo vereinbaren. Das lautete nämlich: Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein.

Winters war das beste Beispiel, dass in meinem Leitspruch mehr als nur ein kleines Körnchen Wahrheit steckte. Als ich die letzten Übertragungen im Fernsehen angesehen hatte, die von ihm kommentiert worden waren, waren mir immer wieder Fehler aufgefallen. Mal ein vertauschter Vorname hier, mal eine falsch erklärte Regel da. Man hätte es auf einen schlechten Tag schieben können, wenn es nicht bei fast allen Spielen geschehen wäre.

„Sie sind mir ja eine ganz Eifrige“, sagte er gedehnt, während sein Blick auf mir haftete. „Sind sie überall so …“

Er unterbrach sich selbst und leckte sich schmatzend über die Lippen. „So einsatzfreudig?“, wollte Winters wissen und blickte in seinen Schritt.

Er hielt sich wohl für besonders subtil. Ich setzte ein Lächeln auf, griff erneut in meine Tasche und zog einen zweiten Stapel Papiere hervor. Zusammen mit einer Visitenkarte überreichte ich ihn Winters.

„Mr. Winters, mir sind nicht nur die Namen und Vornamen jedes Spielers der Liga bekannt. Ich kenne auch die Gesetze zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und den Antidiskriminierungs-Erlass unseres Arbeitgebers. Falls Sie noch Fragen dazu haben, ist Ihnen Mr. Palmer, mein Anwalt, mit Freude behilflich“, erwiderte ich kühl und genoss es, wie Winters selbstzufriedenes Grinsen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.

Das mit dem Anwalt war ein fetter Bluff, denn in Wirklichkeit war mir die Visitenkarte von Bostons prominentestem Rechtsanwalt nur zufällig zwischen die Finger gekommen. Palmer lag so weit außerhalb meines Budgets, dass ich ihn mir in zehn Jahren nicht leisten könnte! Das brauchte ich jedoch Winters nicht auf die Nase zu binden.

Mein Kollege starrte mich mit offenem Mund an.

„Wenn das alles ist, würde ich gerne anfangen, zu arbeiten“, schob ich eisig nach und richtete meine Konzentration auf meine Unterlagen.

Wie die einzelnen Reihen der beiden Kontrahenten heute zusammenspielten, war am Nachmittag bekanntgegeben worden. Eine Reihe setzte sich auf fünf Mann zusammen. Drei davon im Sturm, zwei in der Verteidigung. Der Großteil der Teams spielte mit vier Reihen. Mit den Torhütern ergab das eine Teamstärke von zweiundzwanzig Spielern. Es gab also mehr als vierzig interessante Akteure dort unten auf dem Eis, aber mein besonderes Augenmerk lag auf Jason Coltrane.

Er war der Bad Boy der Boston Razors. Er wich keinem Zweikampf aus und kassierte im Schnitt acht Strafminuten pro Begegnung. Die meisten Spieler der Liga wussten, dass Coltrane schnell die Handschuhe auszog, um seinen Gegenspieler zu einem Faustkampf auf dem Eis herauszufordern. Inzwischen kam dieser Aufforderung kaum mehr jemand nach. Denn mit seinen einhundertvierundneunzig Zentimetern Körpergröße und einem Gewicht von zweihundertzwanzig Pfund, die größtenteils aus Muskelmasse bestanden, besiegte Coltrane in neunundneunzig Prozent der Fälle seinen Gegner.

Doch es war nicht ausschließlich seine imposante Statur, die mir eine Gänsehaut bescherte. Es war diese düstere Aura, die er mit sich herumtrug. Es war der Blick aus seinen grünen Augen, der jedem unmissverständlich klarmachte, dass man ihm besser aus dem Weg ging. Er wirkte wie ein Kerl, der nichts zu verlieren hatte und genau so spielte er.

Hart und kompromisslos.

Als Teamkameraden liebte man ihn. Als Gegenspieler hasste man ihn. Schlimmstenfalls fürchtete man ihn.

Seit zwei Jahren trug er das C, das ihn als Captain des Teams auswies, auf seiner Brust und Coltrane schien diese Rolle wie auf den Leib geschneidert zu sein. Er war der geborene Leader, ein absolutes Alpha-Tier. Er mochte nicht der eleganteste Skater sein und es gab Spieler, die deutlich schneller waren, aber Coltranes gnadenlose Checks und sein Schlagschuss wurden ligaweit gefürchtet.

Ich wusste selbst nicht, was ich ihm gegenüber empfinden sollte. Die Spielerin in mir bewunderte ihn, die Kommentatorin in mir würde ihm lieber aus dem Weg gehen. Ein Interview mit Coltrane rangierte bei den meisten meiner Kollegen in etwa auf Augenhöhe mit einer Wurzelbehandlung. Die provokanten Antworten des Starverteidigers der Razors ließen sogar bei den abgebrühtesten Reportern den Schweiß ausbrechen.

Ich sah dem jedoch gelassen entgegen. Meine journalistische Karriere, wenn ich sie denn so nennen konnte, hatte bei einer kleinen Zeitungsredaktion begonnen, für die ich während des Studiums Spielberichte verfasste. Meine fundierte Fachkenntnis, die meine Zusammenfassungen auszeichnete, blieb nicht lange unbemerkt. Den ersten Karrieresprung stellte der Wechsel von der Lokalzeitung zu einem Radiosender dar, den man mehrere Meilen in und um Boston herum empfangen konnte. Zwar gab es dort keine Liveübertragung, doch ich gab den Zuhörern in regelmäßigen Abständen einen kurzen Überblick über den Spielverlauf.

Nun saß ich auf dem Kommentatorenstuhl eines Lokalfernsehsenders, aber trotz der Erfahrung, die ich bereits gesammelt hatte, galt ich noch immer als Grünschnabel. Man schickte eher die Kollegen mit jeder Menge Praxis vor die Kamera.

Mit dem Wissen, dass mir keine Konfrontation mit einem Spieler bevorstand, lehnte ich mich so entspannt, wie es mir bei meiner Moderationspremiere für den United Sports Channel möglich war, zurück. Im Geiste zählte ich den Countdown mit, der auf dem Bildschirm vor mir aufleuchtete. Sobald er abgelaufen war, befanden wir uns live auf Sendung. Mit einer Kopfbewegung deutete ich Winters an, dass er die Zuschauer zuerst begrüßen sollte. Immerhin war er der alte Hase.

Er nickte. Als die Null auf dem Display leuchtete, lag mein Puls dennoch im dreistelligen Bereich.

„Herzlich willkommen beim United Sports Channel und der Live-Übertragung der Begegnung zwischen den Boston Razors und den Philadelphia Foxes! Mein Name ist Zac Winters und neben mir sitzt die liebreizende Allison Nash, die uns ab sofort als Expertin zur Seite stehen wird!“, startete mein Kollege unsere Moderation und ich bewunderte, wie schnell er vom sabbernden Lüstling in die Rolle des Profi-Moderators schlüpfen konnte.

„Auch von mir ein herzliches Willkommen und vielen Dank, dass Sie eingeschaltet haben“, begann ich.

Meine Stimme flatterte. Doch dann rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich mich auf bekanntem Terrain befand. Ich hatte zwölf Jahre lang Eishockey gespielt! Wenn diese Borreliose-Infektion mein Herz nicht derart geschwächt hätte, könnte ich nun gewiss auf einige Länderspieleinsätze zurückblicken. Ich hatte als Ausnahmetalent gegolten!

Kurz schielte ich auf meine Unterlagen und die Fakten zu den einzelnen Teams verließen wie von selbst meinen Mund. Mit jedem Wort, das über meine Lippen kam, wurde ich ruhiger. Gekonnt gab ich an den richtigen Stellen und zum passenden Zeitpunkt an Winters ab, der mir zufrieden zunickte.

Nachdem fünfzig der insgesamt sechzig Spielminuten abgelaufen waren, lagen die Razors mit vier Toren zurück. Als ob die Fehlpässe und die ideenlose Leistung der Angreifer der Razors nicht schon genug waren, sprach der Schiedsrichter eine Strafe aus. Marc Franklin, der mit Coltrane in einer Reihe spielte, wurde für zwei Minuten in die Kühlbox geschickt, wie die Strafbank auch genannt wurde. Coltrane in seiner Rolle als Kapitän fuhr auf den Hauptschiedsrichter zu und begann eine Diskussion. Gespannt beobachtete ich das Geschehen auf dem Eis. Egal, was Coltrane sagte – der Unparteiische schüttelte rigoros den Kopf und gab Coltrane mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er zu seinem Team zurückkehren sollte.

Selbst von hier oben aus der Kommentatorenkabine sah ich, dass das Gesicht von Jason Coltrane feuerrot war. Er rückte dem Unparteiischen immer weiter auf die Pelle, bis dieser in seine Trillerpfeife blies und Coltrane eine doppelte Zweiminutenstrafe aufbrummte. Coltrane stand nun kurz vor der Explosion und ich befürchtete, dass er gleich handgreiflich werden könnte. Doch seine herbeigeeilten Teamkameraden zogen ihren Captain vom Referee weg und bugsierten ihn auf die Strafbank. Coltrane schimpfte und knallte wütend seinen Schläger in die Ecke, als sich die Tür hinter ihm schloss. Sein Teamkollege Franklin, der ohne großes Theater seine Strafe angetreten hatte, ging auf den größtmöglichen Abstand. Ich konnte gut nachvollziehen, dass er aus dem Radius des brodelnden Vulkans Coltrane gelangen wollte.

Winters gab mir das Zeichen, dass wir für einen Spot in die Werbung geschaltet wurden, was mir etwas Zeit verschaffte, um eine Einschätzung über die Entscheidung des Schiedsrichters auszuformulieren. Die zwei Minuten gegen Franklin waren berechtigt. Ein Schläger hatte im Gesicht des Gegenspielers nun mal nichts zu suchen und die Unparteiischen waren dazu angehalten, diese Vergehen gnadenlos zu ahnden. Die doppelte Strafe gegen Coltrane hingegen war ein wenig hart, aber sein Ruf eilte ihm so weit voraus, dass unter den Referees vermutlich eine Null-Toleranz-Abmachung getroffen worden war.

Der Werbespot dauerte noch zehn Sekunden, die ich nutzte, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ich stellte gerade mein Glas zurück, als die Tür zu unserer Kabine aufging und Donald Anderson, der Aufnahmeleiter des United Sports Channel hereinkam.

„Allison, Sie müssen auf der Stelle mitkommen“, forderte er aufgeregt.

Sofort setzte ich die Kopfhörer ab und stand auf. War mit meiner Mutter oder meiner Mitbewohnerin Natalie etwas geschehen? In der Zeit, in der ich moderierte, war mein Smartphone immer komplett ausgeschaltet, damit ich nicht abgelenkt wurde. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich Anderson auf den Flur folgte.

„Was ist denn passiert?“, erkundigte ich mich bei ihm.

„Nichts! Keine Sorge!“, erwiderte dieser und mir fiel ein Stein vom Herzen. Statt mich aufzuklären, weshalb er mich herausgebeten hatte, gab er mir mit einem Winken zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte.

„Sam, der heute für die Spielerinterviews zuständig ist, hängt seit zwanzig Minuten über der Kloschüssel und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Ich brauche Sie als Ersatz!“

Mein Magen knotete sich zusammen, während ich versuchte, mit meinem Aufnahmeleiter Schritt zu halten.

„Ich?! Aber das ist meine erste Live-Moderation beim Sender! Meine Erfahrung in Bezug auf Interviews ist quasi nonexistent!“, warf ich ein, als Anderson mich zu den Katakomben führte, in denen sich die Spielerkabinen befanden.

„In Ihren Unterlagen steht, dass Sie jahrelang Eishockeyspielerin waren. Einen besseren Ersatz habe ich im Moment nicht“, brummte er, während er inzwischen mit seinem Presseausweis vor der Nase von zwei Türstehern herumwedelte.

„United Sports Channel, Allison Nash und Donald Anderson für die Spielerinterviews“, erklärte er knapp, woraufhin wir durchgewunken wurden.

„Ich war Spielerin! Das ist eine Ewigkeit her!“, startete ich einen erneuten Versuch, um diese Interviews doch noch abzuwenden.

„Sie haben das Spiel gesehen! Stellen Sie die Fragen, von denen Sie glauben, dass sie die Zuschauer interessieren. Sie sind keine Anfängerin, Nash!“, erwiderte Anderson, ohne stehenzubleiben.

Je weiter wir den Flur entlangliefen, umso intensiver wurde der Geruch des Eises. Ich spürte die Kälte, die über den Gummimatten schwebte, die auf dem Boden ausgelegt worden waren, damit die Kufen der Spieler beim Weg auf das Eis nicht stumpf wurden. Ich sah die typischen, leicht schräg verlaufenden, nassen Kufenabdrücke und fragte mich automatisch, welcher Spieler diese wohl hinterlassen hatte. War es einer der Rookies gewesen, die bereits in ihrer ersten Saison mehr verdienten, als ich in zehn Jahren? War es Jason Coltrane gewesen, der in einem Jahr mehr verdiente, als ich in meinem ganzen Leben?

Meine Überlegungen wurden von einem donnernden Knall unterbrochen, dem ein lauter Jubel folgte. Wie von selbst lief ich schneller, dem Lärm und dem Duft des Eises nach, bis ich um eine Ecke bog und sich das Spielfeld vor mir erstreckte. Einige Mitglieder des Betreuungsstabs standen vor der Plexiglasscheibe, die uns von dem Geschehen auf dem Eis trennte. Das Publikum johlte und jubelte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und schielte am Lockenkopf einer blonden Frau vorbei auf die Eisfläche.

Hinter dem Tor hatten sich zwei Spieler in der Wolle. Ich erkannte ein Fox-Trikot und eines der Razors. Die Helme der Kontrahenten lagen auf dem Eis neben ihren Handschuhen. Zuerst konnte ich nicht ausmachen, um welche Spieler es sich handelte, doch als sich die beiden herumdrehten, sah ich schweißnasse dunkle Haare, die in knapp zwei Meter Höhe um ein wutverzerrtes Gesicht herumflogen. Mit einer geschickten Bewegung zog Coltrane, der eigentlich auf der Strafbank sitzen sollte, wie mir die Anzeige auf dem Videowürfel verriet, seinem Gegner das Trikot über den Kopf, was im Eishockey das Kampfende markierte.

Coltrane mochte eine kurze Zündschnur haben, aber er kämpfte stets fair. Er ließ von seinem Kontrahenten ab, der sich sofort darum bemühte, sein Trikot zurechtzurücken. Die Zuschauer bejubelten den gewonnenen Kampf ihres Kapitäns. Wenn schon das Spiel zugunsten der Gäste aus Philadelphia ausgehen würde, so konnte man zumindest sagen, dass man im Faustkampf die Oberhand behalten hatte. Dem Publikum gefiel es gewiss, dass der unterlegene Foxes-Spieler sich immer wieder an die Nase fasste, als er auf seine Bank zu skatete.

Coltrane bückte sich nach seinem Helm und las seine Handschuhe auf. Dann reckte er die Arme in die Luft und heizte dadurch die ohnehin bereits tobende Menge weiter an. Seine Siegesrunde konnte er jedoch nicht beenden, denn er wurde von zwei Schiedsrichtern flankiert und über das Eis in meine Richtung geschoben.

„Das ist unsere Chance auf ein Exklusiv-Interview“, hörte ich Anderson in mein Ohr flüstern.

Ehe ich in der Lage war, darauf zu reagieren, ging ein Kameramann in Position, von dem ich bisher keine Notiz genommen hatte. Während er die Linse seiner Kamera auf mich richtete, sah ich, wie Coltrane sich zum Publikum umdrehte und in seine behandschuhten Hände klatschte, um sich für die Unterstützung zu bedanken.

„Siebenundfünfzigste Spielminute. Matchstrafe gegen die Nummer neun, unseren Kapitän Jason …“, ertönte die Stimme des Stadionsprechers.

„Coltrane“, vervollständigte die Halle, gefolgt von begeistertem Jubel für seinen Körpereinsatz.

Dass Coltrane nun mindestens im nächsten Spiel fehlen würde, war für die meisten aktuell zweitrangig. Der Knoten, den ich vor einigen Minuten in meinem Magen verspürt hatte, war inzwischen in meine Kehle gewandert. Mit jedem Schritt den Coltrane auf mich zukam, dehnte er sich weiter aus, bis ich mir sicher war, gleich keinen Ton herauszubekommen. Mit seiner Ausrüstung und auf den Kufen der Schlittschuhe wirkte der Kapitän der Razors noch größer und breiter, als er es ohnehin bereits war.

„Los, los, los!“, zischte Anderson, drückte mir ein Mikrofon in die Hand und schubste mich direkt in Coltranes Weg.

Ich befürchtete, dass er einfach über mich hinweglaufen würde und ich hässliche, leicht schräg verlaufende Narben von messerscharfen Kufen auf dem Rücken behalten würde. Doch Coltrane blieb stehen und musterte mich aus seinen grünen Augen heraus. Das Mikrofon, das ich ihm unter die Nase hielt, zitterte. Im Stillen verfluchte ich mich dafür, aber zur Not konnte ich es auf die Kälte schieben. Um nicht wie eine Vollidiotin dazustehen, räusperte ich mich und stellte die erste Frage, die mir einfiel:

„Mr. Coltrane, durch die Matchstrafe wird Ihr Team das kommende Spiel gegen die New York Sabertooths ohne Sie bestreiten müssen. Wer wird Ihre Aufgabe übernehmen und Samuel Jones, den flinken Angreifer der Sabertooths und amtierenden Top-Scorer der Liga, am Tore schießen hindern?“

Coltranes eisiger Gesichtsausdruck wechselte innerhalb eines Wimpernschlages zu vernichtend. Statt zu antworten, schweifte sein Blick flüchtig über meinen Körper, ehe er zu meinem Aufnahmeleiter sah.

„Anderson! Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass ich auf kurvige Latinas stehe! Warum schickst du also so ein flachbrüstiges Milchbrötchen, um mich mit beschissenen Fragen zu löchern? Weiß die überhaupt, wie man Eishockey schreibt?“, knurrte Coltrane herablassend.

„Cut! Stopp diese Aufnahme!“, herrschte Anderson den Kameramann an, der mit einem verdutzten Ausdruck im Gesicht das tat, was man von ihm verlangte. „Verdammt, Coltrane! Kann man mit Ihnen nicht einmal ein vernünftiges Interview drehen?“, fügte er hinzu und fuhr sich mit beiden Händen durch sein graues Haar, das er sich im Moment wohl am liebsten ausreißen würde.

„Ach, Anderson. Das wäre doch stinklangweilig“, entgegnete Coltrane und wollte mich zur Seite schieben, damit er seinen Weg in Richtung Kabine fortsetzen konnte.

Mein Stolz und ein selbstzerstörerischer Reflex ließen mich jedoch einen Schritt nach rechts machen. Coltrane stoppte, kurz bevor wir gegeneinanderstießen, und sah auf mich herab. War da für einen Augenblick Überraschung auf seiner Miene zu erkennen gewesen?

Mir wurde bewusst, dass ich Bostons Star-Verteidiger erneut dazu gezwungen hatte, stehenzubleiben. Aber er konnte mich nicht vor laufender Kamera beleidigen, mich auf mein Äußeres reduzieren und davon ausgehen, dass ich das einfach hinnahm!

„Ich kann das Wort ›Eishockey‹ nicht nur fehlerfrei buchstabieren, ich weiß sogar, wie man es spielt“, gab ich scharf zurück.

Coltrane stieß ein verachtendes Schnauben aus und schüttelte den Kopf.

„Püppchen, nur weil du dir einmal im Monat Schlittschuhe ausleihst und ein paar Runden auf dem Eis drehst, ohne auf den Arsch zu fallen, bedeutet das nicht, dass du Eishockey spielen kannst“, konterte er, während er versuchte, mich mit seinen grünen Augen in Grund und Boden zu starren.

Inzwischen war ich es gewohnt, dass ich in dieser Männerdomäne meine Ellbogen ausfahren musste. Also biss ich die Zähne zusammen, stemmte die Hände in die Seiten und erwiderte seinen Blick.

„Wenn das so ist, dann wissen Sie ja, dass zwei der Gegentore auf Ihre Kappe gehen. Fehlpässe im eigenen Drittel beim Aufbau des Angriffs? Derartige Fehler passieren selbst den Neulingen in der College-League nicht“, stichelte ich.

Auch die erfahrensten Profis waren nicht in der Lage, eine Passquote von einhundert Prozent aufzuweisen, aber da Coltrane sich für so unfehlbar hielt, musste ich ihm das einfach unter die Nase reiben.

„Materialfehler am Schläger. Sie könnten einen Puck gewiss nicht einmal aus drei Metern Entfernung ins leere Tor schießen“, konterte Coltrane.

Dieser arrogante Arsch! Was fiel ihm ein, sich so ein Urteil über meine Fähigkeiten zu erlauben?

Coltrane schien es jedoch egal zu sein, dass er mit solchen Äußerungen in meiner Achtung rapide sank. Sein Ruf war in dieser Beziehung ohnehin nicht mehr zu retten. Der Captain der Razors war zu berüchtigt für seine Angewohnheit, jedes Interview in einer mittelschweren Katastrophe enden zu lassen. Selbst die regelmäßigen Geldzahlungen, die sein Club von ihm forderte, wenn er einen Reporter mal wieder vor Live-Publikum brüskiert hatte, hatten daran bislang nichts ändern können.

„Na dann haben Sie, wenn wir in einem Shootout gegeneinander antreten, nichts zu verlieren, oder?“, platzte es ungefiltert aus mir heraus.

Der Shootout war im Eishockey das, was man im Fußball als Elfmeterschießen bezeichnete. Spieler gegen Torhüter. Eins gegen eins.

Coltrane legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals los. Sein Gelächter hallte von den Wänden wider und ich starrte kochend vor Wut über seine Reaktion auf seinen Kehlkopf, der sich unter seiner Haut abzeichnete.

„Mit oder ohne Torwart?“, erkundigte er sich, nachdem er sich in einer übertriebenen Geste die Lachtränen aus den Augenwinkeln gewischt hatte.

„Mit Goalie natürlich“, antwortete ich intuitiv. Was wäre denn ein Shootout ohne Torhüter?

„Was bekomme ich, wenn ich gewinne?“, wollte Coltrane wissen und beugte sich zu mir hinab.

Er war mir so nahe, dass mich bestimmt gleich ein Schweißtropfen aus seinen dunklen Strähnen treffen würde, die ihm in die Stirn fielen.

„Das können Sie sich aussuchen“, begann ich, unterbrach mich allerdings, als ich sein wölfisches Grinsen bemerkte. „Aber ich werde nicht mit Ihnen ins Bett steigen oder mich anderweitig prostituieren. Mein Wetteinsatz muss sich in einem moralisch vertretbaren Rahmen bewegen.“

Coltrane rückte ein wenig von mir ab und sah mir in die Augen. Sein Blick war ernst. Dachte er wirklich über einen Shootout nach? Er ließ mich einige unerträglich lange Sekunden schmoren. Als ich kurz davor war, einzuknicken, sagte er: „Okay. Ich melde mich bei Ihnen, Püppchen.“

Dann stapfte er auf seinen Schlittschuhen davon in Richtung Kabine.

„Hey! Was ist, wenn ich gewinne? Was bekomme ich in dem Fall?“, rief ich ihm hinterher, ehe er durch eine Tür verschwand.

Coltrane blieb stehen und drehte sich halb zu mir, sodass ich nur sein Profil sah.

„Püppchen, denkst du ernsthaft, ich werde gegen dich verlieren?“, erwiderte er, begleitet von einem hämischen Lachen, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Ich wandte mich an Anderson, dessen Unterkiefer fast bis auf seine Brust gesunken war.

„Du hast gerade den Captain herausgefordert!“, stieß mein Aufnahmeleiter hervor, während er mir das Mikrofon aus der Hand nahm.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung versuchte ich, die Situation zu entschärfen. Ich hatte keine Ahnung, wie mein spontaner Einfall vom Sender gesehen wurde. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine Herausforderung bei den Verantwortlichen des United Sports Channel einen Sturm der Begeisterung lostreten würde.

„Ach, das war nur ein alter Insider-Witz unter Hockeyspielern“, redete ich mich heraus.

Wer wusste schon, ob der Shootout jemals wirklich zustande kommen würde. Coltrane war Profi und vor ihm lag noch eine anstrengende Saison. Von Oktober bis April, Mai oder gar Juni - je nachdem, wie weit das Team in den Play-Offs kam - war sein Terminplan brechend voll.

„Na gut, aber seien Sie das nächste Mal ein wenig freundlicher, Nash. Coltrane ist schwer zu händeln und wir wollen es uns mit dem Captain nicht völlig verscherzen“, belehrte mich Anderson, wandte sich ab und lief zusammen mit dem Kameramann in Richtung Ausgang.

Es mochte eine Kurzschlussreaktion gewesen sein, aber ich konnte kaum erwarten, diesem aufgeblasenen Macho zu zeigen, wie falsch er mit seiner Einschätzung mir gegenüber lag.

Coltrane wusste gar nichts von mir. Er dachte, ich sei ein flachbrüstiges Milchbrötchen, das nicht einmal Schlittschuhlaufen konnte.

Ich war auf sein Gesicht gespannt, wenn er erkannte, dass dies nicht der Fall war.

Kapitel 3

„Du hast was?“, kreischte Natalie, meine Mitbewohnerin, als ich ihr von dem Vorfall mit Coltrane erzählte.

Nat hatte mit Eishockey nicht viel am Hut, brannte aber für Gossip jeglicher Art. War irgendwo eine Trennung in Sicht, witterte sie das. In der Beziehung war Natalie wie ein Trüffelschwein.

Wir hatten uns im Laufe unseres Journalistikstudiums kennengelernt und uns, ungeachtet unserer zum Großteil unterschiedlicher Interessen, gut verstanden. Während ich mich noch mit dem Schreiben von Spielberichten und dem Kommentatorenjob beim Radio über Wasser gehalten hatte, erkämpfte Nat sich eine Anstellung bei Channel14, einem lokalen Fernsehsender. Mit ihrem hübschen Gesicht, den strahlend blauen Augen und dem glänzenden schwarzen Haar hatte es nicht lange gedauert, bis man dort erkannt hatte, dass Natalie dafür geschaffen war, vor der Kamera zu arbeiten. Sie war fünf Monate bei Channel14, da berichtete sie in ihrer Morgensendung das erste Mal über die Fehltritte der Stars und Sternchen. Zwar wurde die Sendung nur innerhalb des Staates Massachusetts ausgestrahlt, aber ich hatte kaum Zweifel, dass Nat es irgendwann auch in ein Format schaffen würde, das landesweit übertragen wurde.

„Ich durfte ihn nicht einfach damit davonkommen lassen!“, verteidigte ich mich. „Er hat mich als flachbrüstiges Milchbrötchen bezeichnet!“

Natalie schob die Unterlippe nach vorne und setzte eine finstere Miene auf.

„Dass Coltrane auf einen anderen Typ Frau abfährt, hätte ich dir gleich sagen können“, klärte sie mich überflüssigerweise auf.

Genervt rollte ich mit den Augen und griff nach meinem Weinglas, das auf dem Couchtisch stand. Auf die Stelle des Glases platzierte ich meine Füße, die ich in dicke Frotteesocken gepackt hatte.

„Ich wollte ihn interviewen! Von einer Heirat war nie die Rede! Der Kerl kann meinetwegen so viele Kerben im Bettpfosten haben, dass sein Bett kurz vor dem Zusammenbruch steht“, grummelte ich und nippte an meinem Getränk. Von mir aus konnte Coltrane ein Dutzend Weiber gleichzeitig daten!

„Das wird bedauerlicherweise nicht passieren, Allie“, warf meine Mitbewohnerin ein. „Seine letzte Beziehung mit Luana Correia ging vor zwei Jahren in die Brüche. Dazwischen sah man ihn mit keiner Frau. Er scheint kein Typ für bedeutungslosen Sex oder Affären zu sein. Was eine Schande ist, sonst wäre er nämlich häufiger ein Thema in meiner Sendung. Die Zuschauer lieben den Captain, aber außer seinen gelegentlichen Ausrastern auf dem Eis und ein paar langweiligen Karrieredetails gibt es absolut nichts über ihn zu berichten!“

„Langweilige Karrieredetails? Seine Statistiken sind beeindruckend! Wusstest du, dass er mit seinem Schlagschuss einen neuen Rekord in der College-Liga aufgestellt hat?“

„Nein! Das wusste ich nicht! Sowas ist doch auch total uninteressant“, antwortete Natalie, während sie versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen. Sie scheiterte kläglich.

Nat und ich ärgerten uns gegenseitig oft damit, dass sie sich so sehr für Klatsch begeistern konnte, wohingegen für mich nur die sportlichen Fakten zählten. Für sie war Eishockey ein rotes Tuch – es sei denn, ein Spieler sorgte für Schlagzeilen, die verwertbar für ihre Sendung waren. Aber wir respektierten unsere gegensätzlichen Interessen und zogen uns nur gelegentlich auf. Vermutlich war es die Tatsache, dass wir so unterschiedlich waren, die unsere Freundschaft zu etwas Besonderem machte.

„Ein Schlagschuss mit über achtzig Meilen pro Stunde! Und da war Coltrane erst siebzehn!“, frotzelte ich lachend weiter.

„Herrje, Allie! Der Typ ist ein Langweiler. Keine Affären, keine One-Night-Stands. Nicht einmal eine Nutte hat er sich in den vergangenen Monaten bestellt!“, jammerte meine Mitbewohnerin und rollte mit den Augen, während ich mich fragte, wie sie an diese Informationen kam – vor allem an die Letzte!

„Na ja, möglicherweise gibt es einfach keine Frauen, weil er sich auf seine Karriere konzentriert“, mutmaßte ich, doch Nat schüttelte sofort den Kopf.

„Allie, nun enttäuschst du mich. Coltrane ist einer der Bestverdiener der Liga. Was will er mehr?“

„Sein Vertrag läuft in zwei Jahren aus. In Coltranes Fall ist bei der Verhandlung der Verlängerung und deren Konditionen gewiss von einem zweistelligen Millionenbetrag die Rede. Das wäre für mich durchaus ein Argument, meinen Schwanz in der Hose zu lassen, sollte mich mein Sexualleben zu sehr ablenken“, klugscheißerte ich und zog eine Augenbraue in die Höhe. Natalie stieß ein genervtes Seufzen aus.

„Es existiert nicht einmal ein Abschlussballfoto von ihm und glaub mir, Allie, wenn es dieses Bild gäbe, so hätte ich es gefunden!“, entgegnete meine Freundin und wischte einen imaginären Fussel von ihrer Schulter.

Natalie war schon immer stolz auf ihre Fähigkeiten gewesen, jedes noch so gut gehütete Geheimnis auszubuddeln.

„Ja, ja“, gab ich betont gelangweilt retour und wartete mit einem Lächeln auf den Lippen ab, was zwangsläufig nun als Nächstes kam.

„Es hat seinen Grund, dass …“, begann sie und ich stimmte mit ein.

„… die CIA mich bereits ein Dutzend Mal angefordert hat, damit ich Informationen beschaffe.“

Grinsend nippten wir an unserem Wein, während ich mich an Coltranes stechenden Blick erinnerte. Für gewöhnlich interessierte ich mich nicht für den Klatsch und Tratsch, der abseits des Eises verbreitet wurde. Mein Hauptaugenmerk galt dem, was darauf passierte. Trotzdem kam mir sein Vorwurf an meinen Aufnahmeleiter wieder in den Sinn, weil er ihm ein ›flachbrüstiges Milchbrötchen‹ geschickt hatte.

„Lass mich raten: Luana ist eine kurvige Latina“, grummelte ich.

Natalie schoss in die Höhe und sah mich mit großen Augen an. Allem Anschein nach war sie sehr überrascht, dass ich den Gesprächsfaden über Coltranes zurückliegende Beziehung noch einmal aufnahm.

„Richtig! Und ich dachte schon, dass in deinem Kopf außer Passquoten und Schussstatistiken nichts anderes Platz hat!“

„Das war nur etwas, das ich aufgeschnappt habe. Um genau zu sein, hat Coltrane sich bei Donald darüber beschwert, dass ich ihm ein Mikrofon unter die Nase halte. Er bevorzugt offenbar Lateinamerikanerinnen“, brummte ich verschnupft vor mich hin.

„Nun, Coltranes Beuteschema kann nicht ausschließlich auf Latinas beschränkt werden. Bevor er mit Luana zusammen war, traf er sich einige Male mit dem italienischen Model Giullia Moretta. Und davor …“, setzte sie an, doch ich wusste, wann ich meine Ohren auf Durchzug stellen musste.

Natalie hatte Blut geleckt und der Flut an Gerüchten und Klatsch, die gleich über mich hereinbrechen würde, war nichts mehr entgegenzusetzen. Mir war bewusst, dass ich eine miese Freundin war, als ich meiner Mitbewohnerin in die Augen sah und gelegentlich nickte, damit sie glaubte, ich hörte ihr zu. Aber es gab einen Grund, weshalb ich Tratsch aus dem Weg ging. Ich wusste nämlich, wie es war, diejenige zu sein, über die getratscht wurde.

Als ich vor knapp zehn Jahren dazu verdammt wurde, meine Karriere zu beenden, erschien es viel zu unwirklich für mich, dass ich meinen Traum aufgrund des Bisses einer kleinen Zecke begraben musste. Deswegen verriet ich keiner Menschenseele die wahre Ursache, warum ich mit dem Eishockey aufhörte. Das stellte sich leider als Fehler heraus, denn meine damals härteste Konkurrentin Sally Perkins sah darin ihre Chance und tratschte überall herum, dass ich wegen einer ungewollten Schwangerschaft gezwungen war, meine Schlittschuhe an den Nagel zu hängen. Sally war in der Lage, furchtbar überzeugend zu sein und die Aussicht, meinen Platz in der Nationalmannschaft einzunehmen, tat ihr Übriges. Zu spät hatte ich erkannt, dass mein Schweigen all diese Spekulationen und Lügen erst möglich gemacht hatte.

Doch als ich bereit war, das Geheimnis zu lüften, interessierte sich längst niemand mehr für mich. Das verletzte mich fast ebenso schwer, wie die Tatsache, dass ich meinen geliebten Sport aufgeben musste. Weil mir sowieso keiner zuhörte, blieb ich bei meinem Schweigen. Nur meine Mutter und meine Ärzte kannten den wahrhaftigen Grund. Nicht einmal Nat wusste Bescheid. Als sie mich am Beginn unserer Freundschaft gefragt hatte, weshalb ich mit dem Eishockey aufgehört hatte, hielt ich ihr einen Vortrag darüber, dass man mit dem Verdienst unmöglich über die Runden kommen konnte. Die Wahrheit war, dass ich nackt unter einer Brücke geschlafen hätte, wenn ich nur weiter hätte spielen können. Es tat weniger weh, wenn ich mir einredete, dass ich die Entscheidung selbst getroffen hatte.

Natalie beugte sich nach vorn und riss mich damit aus meiner gedanklichen Reise in die Vergangenheit. Sie hob einen Zeigefinger und setzte ihr Verschwörungsgesicht auf, wie ich es insgeheim nannte. Dabei wurden Nats ohnehin schon große Augen noch größer und ihre Augenbrauen berührten beinahe ihren Haaransatz.

„Und mit der war er immerhin fünfzehn Monate zusammen. Gerüchte sagen, dass Luana sich von ihm getrennt hat, weil Jason sich beharrlich weigerte, ihr einen Heiratsantrag zu machen.“

„Nach etwas mehr als einem Jahr erwartete sie bereits einen Antrag?“, hakte ich nach und schüttelte den Kopf.

„Die beiden waren unzertrennlich. Sie hat keines seiner Spiele verpasst“, klärte Natalie mich auf und warf in einer theatralischen Geste die Hände in die Höhe, um zu unterstreichen, wie überraschend das Ende zwischen Coltrane und dieser Luana gekommen war.

„Nur, weil sie ihm überall hin gefolgt ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er glücklich war. Wenn sie die Frau fürs Leben gewesen wäre, dann hätte er sie nicht gehen lassen“, resümierte ich.

Natalie grinste breit und klatschte mir mit der flachen Hand auf den Oberschenkel.

„Allison! Dass du dich mal zu solchen Äußerungen hinreißen lässt!“

„Was?“, fragte ich und sah sie entgeistert an.

„Wir reden gerade über das Privatleben eines Spielers!“

Verdammt! Sie hatte Recht! Ich ließ mich tiefer in das Sofa-Polster sinken und nippte erneut an meinem Wein.

„Interpretiere nun bitte nichts hinein, was nicht vorhanden ist!“, bat ich Natalie, obwohl ich wusste, dass sie dies längst getan hatte. „Mir ist scheißegal, wen Coltrane datet oder mit wem er in den letzten fünf Jahren zusammen war.“

Plötzlich rückte Nat an mich heran.

„Zurück zum ursprünglichen Thema: Du warst als Spielerin gut und dieses Shootout ist eine hervorragende Möglichkeit, um herauszufinden, ob Coltrane vielleicht doch eine interessante Seite hat. Du musst gewinnen! Er als Verlierer muss dir ein paar Fragen beantworten.“

Ich musterte die Miene meiner Mitbewohnerin und Freundin einige Sekunden. Natalie hatte keine Ahnung, wie gut Coltrane war. Nur so ließ sich erklären, wie sie ernsthaft annehmen konnte, dass ich als Siegerin vom Eis gehen würde.

„Ihn besiegen? Glaub mir, ich werde sämtliche Hände voll zu tun haben, dass er mir nicht den Kopf abreißt! Es ist fast ein Jahrzehnt her, dass ich auf Schlittschuhen gestanden bin“, gab ich zu bedenken.

„Sowas kann man nicht verlernen! Außerdem war das Ganze deine Idee, meine liebe Allison“, erinnerte sie mich überflüssigerweise.

„Ich weiß“, seufzte ich und legte die Stirn auf meine angezogenen Knie. „Doch das habe ich nur im Affekt gesagt. Bestimmt denkt Coltrane ohnehin, dass das alles nur ein Witz war.“

„Wenn das so ist, ist es höchste Zeit, dass du dafür sorgst, dass er dich ernstnimmt. Das wird die Schlagzeile!“, rief Nat aufgeregt und ich sah, wie sie sich die Hände rieb, als ich zur Seite linste.

„Nein, nein, nein, nein, nein!“, widersprach ich rasch, setzte mich auf und reckte meiner Mitbewohnerin einen Zeigefinger ins Gesicht. „Es wird keine Story geben, Natalie! Schwör mir das! Ich will weder in deiner noch in irgendeiner anderen Sendung vorkommen!“

Sie verdrehte die Augen, schob die Unterlippe nach vorne und stieß ein genervtes Seufzen aus.

„Ach, man! Da landet eine tolle Story direkt vor meiner Nase und ich darf nicht darüber berichten. Aber da du offenbar darauf bestehst: meinetwegen! Dann musst du es eben mit deinen Fragen rausreißen, die du ihm stellst, sobald du gewonnen hast. Das kann nicht so schwer sein, oder?“

Oh doch, das konnte es, antwortete ich im Stillen und nippte an meinem Wein, während Nat sofort begann, allerhand Szenarien aufzuzählen, die ihr durch den Kopf gingen. In jedem Einzelnen behielt ich am Ende die Oberhand.

Mein Gegner war allerdings nicht irgendwer.

Er war einer der besten Verteidiger der Hockey League.

Und einer der Gefürchtetsten.

Man konnte noch so optimistisch sein. Meine Chance, dieses Shootout zu gewinnen, lag bei etwa einem Prozent.

Zudem hatte sich bereits der Gedanke eingeschlichen, ob ich diese Anstrengung meinem geschwächten Herzen zumuten konnte.

Aber fünf Schüsse, denen jeweils ein Anlauf von wenigen Metern vorausging, sollten kein Problem darstellen.

„Süße, ich muss ins Bett. Morgen um kurz nach vier klingelt mein Wecker“, sagte Natalie und verabschiedete sich mit einem Küsschen auf die Wange von mir.

Nachdenklich blieb ich auf der Couch sitzen und fragte mich, in was ich mich mit meiner Kurzschlussreaktion hinein manövriert hatte. Ich klammerte mich an den Strohhalm, dass Coltrane nicht auf dieses Shootout bestehen würde, weil er mich nicht ernstgenommen hatte. Aber mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes.

Kapitel 4

In der Nacht hatte ich kaum ein Auge zugemacht. Ich schwankte nahezu minütlich zwischen ›Dem zeige ich es‹ und ›Er rammt mich ohne Skrupel in den Boden‹ hin und her.

Letztendlich gewann meine zweite Befürchtung die Oberhand. Coltrane war Profispieler und ich würde keine Chance haben! Ich zog mir die Decke über den Kopf und dachte darüber nach, wie ich möglichst galant aus der Sache herauskommen konnte. Schnell kam ich zu dem Schluss, dass ich am besten alles als Scherz abtat.

Gleich nach dem Frühstück musste ich versuchen, jemanden von den Razors zu erreichen, der Coltrane meine Entscheidung mitteilte. Falls nötig, würde ich behaupten, dass ich mich durch Coltrane provoziert gefühlt hatte, denn schließlich war der Captain für genau das bekannt. Mit der Zuversicht, dass ich die Angelegenheit geradebiegen würde, verließ ich mein Zimmer und lief in die Küche, um mir meine morgendliche Dosis Koffein zu gönnen. Am Kühlschrank hing ein Zettel von Natalie, die mir einen schönen Tag wünschte. Lächelnd zupfte ich ihn ab und klebte ihn auf die Innenseite der Schranktür, hinter der wir unsere Kaffeetassen aufbewahrten, zu den hundert anderen. Meine Mitbewohnerin hinterließ mir nämlich jeden Tag eine Nachricht, sodass das mittlerweile zu einem Ritual zwischen uns geworden war. Als ich nach meiner Lieblingstasse griff, läutete es.

Ehe ich zur Tür ging, sah ich an mir hinab. Ich hatte eine bequeme Fleece-Schlafhose an und trug ein weißes Langarmshirt. Auf einen BH verzichtete ich beim Schlafen generell, und da ich vor dem Frühstück für gewöhnlich niemandem über den Weg lief, hatte ich mich noch nicht darum bemüht, einen anzuziehen.

Die Klingel schrillte erneut. Wer auch immer mein Besucher war – er hatte keinerlei Verständnis für meine Überlegungen, ob ich in diesem Aufzug die Tür öffnen konnte, oder nicht.

Ich schob die Gedanken, ob mein Outfit vorzeigbar war, zur Seite, schnappte mir jedoch im Vorbeigehen Natalies Morgenmantel, der im Flur auf dem Korb für die Schmutzwäsche lag, und streifte ihn mir über. Vorsichtig öffnete ich die Wohnungstür und linste auf den Flur. Der Duft von maskulinem und zweifellos teurem Eau de Toilette schwebte in unsere überschaubare, etwas chaotische Dreizimmerwohnung und ich starrte wie paralysiert auf den perfekt gebundenen Windsor-Knoten, ehe ich meinen Blick höher gleiten ließ. Ich registrierte blendend weiße Zähne, eine gerade Nase, wache braune Augen unter dunklen Brauen und einen akkurat gelegten Kurzhaarschnitt, in dem nicht eine Strähne nicht da war, wo sie sein sollte.

„Guten Tag, Ms. … Nash?“, begrüßte mich der Anzugträger, was ich mit einem Nicken beantwortete.

„Ms. Nash, es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Callum Palmer, ich komme im Auftrag von Mr. Coltrane.“

„Callum Palmer? Der Star-Anwalt?“, stieß ich verdattert hervor.

Weshalb tauchte er bei meiner Privatadresse auf? Wieso schickte ihn Coltrane hierher? Ich schluckte, weil mich das Gefühl beschlich, dass ich mir gestern Ärger eingehandelt hatte, als ich dem Captain der Razors die Stirn geboten hatte.

„Verzeihung. Es muss natürlich Callum Palmer Junior heißen“, korrigierte er sich selbst und räusperte sich dabei leise.

„Mr. Palmer“, stammelte ich unbeholfen und wünschte, Natalie wäre hier. Sie würde sich sogleich auf Palmer stürzen, ihn in die Wohnung bitten und ihn mit Small Talk in Schach halten, bis ich mich angezogen hatte. Mein Gehirn funktionierte ohne eine Tasse Kaffee einfach nur mittelmäßig, verdammt!

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich hereinkomme?“, erkundigte sich Palmer freundlich.

Ich musterte ihn dennoch skeptisch. Das Junior erklärte, warum er um zwanzig bis dreißig Jahre jünger war, als ich es von einem Star-Verteidiger angenommen hatte. Für mich waren Anwälte fern der sechzig. Palmer war höchstens halb so alt!

„Sollte ich ungelegen kommen, können wir selbstverständlich einen Termin in meiner Kanzlei vereinbaren. Jedoch hielt Mr. Coltrane mich an, die Angelegenheit so zügig wie möglich zu behandeln.

---ENDE DER LESEPROBE---