Starting Six: Lynn und Caleb - Kim Valentine - E-Book

Starting Six: Lynn und Caleb E-Book

Kim Valentine

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Beschreibung

Als die sonst eher partyscheue Lynn Smith am Morgen nach der Feier ihres Studienabschlusses aufwacht, hat sie nicht nur einen Kater, sondern auch einen Filmriss. Doch das verdächtig zerwühlte Bett, einige leere Kondompackungen und die handgeschriebene Nachricht eines Fremden sprechen eine unmissverständliche Sprache. Nach einem kurzen Anfall von Panik beschließt sie, diesen Ausrutscher als Jugendsünde abzuhaken. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit verschwindend gering, dem Mann, mit dem sie eine leidenschaftliche Nacht verbracht hat, in einer Stadt wie Boston je wieder über den Weg zu laufen. Wenige Tage darauf tritt sie voller Energie ihren Job in der Marketingabteilung der Boston Razors an und bekommt direkt ein Großprojekt anvertraut. Zugpferd der Kampagne ist Caleb Walker, der Lynn alles abverlangt. Der zielstrebige Stürmer des Eishockeyteams erweist sich nämlich nicht nur als attraktiv – er ist auch im Besitz sehr freizügiger Fotos. Fotos, einer Nacht, die Lynn als Jugendsünde abgehakt hat.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Leseprobe “Scarred Ink: Body” von K. Elly de Wulf

Kim Valentine

Starting Six: Lynn und Caleb

© 2020 Written Dreams Verlag

Herzogweg 21

31275 Lehrte

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.weebly.com)

ISBN ebook: 978-3-96204-277-6

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.

Widmung

Für Anna

Vorwort

Die ‚Boston Razors‘ sind ein fiktives Team, das in einer fiktiven Liga gegen fiktive Gegner um einen fiktiven Pokal spielt.

Kapitel 1

Das Licht, das über dem Spiegel in der Clubtoilette hing, ließ meine Haut teigig aussehen. Ehe ich mit meiner besten Freundin Dee losgezogen war, hatte mir das Make-up gefallen, aber nun wurde ich das Gefühl nicht los, dass es zu dunkel und zu viel für meinen hellen Teint war. Der Drang, mir die sorgfältig aufgetragene Schminke aus dem Gesicht zu wischen, wurde sekündlich stärker. Ich war niemand, der ständig auf Partys ging, daher kam ich mir mit all der Wimperntusche, der Menge an Lidschatten und dem mit rosafarbenen Pailletten besetzten Mini-Kleid, das Nica mir geliehen hatte, total verkleidet vor.

Als ich dabei war, ein Papiertuch aus dem Spender zu ziehen, öffnete sich die Tür hinter mir und spülte drei offensichtlich betrunkene Frauen herein. Sie kicherten und ich schämte mich ein wenig für meine Geschlechtsgenossinnen, als ich sie über den Spiegel hinweg beobachtete. Der Frau in der Mitte gelang es allem Anschein nach nur mit Hilfe ihrer Freundinnen, sich auf den Beinen zu halten. Außerdem war ihr der Rock über den Po gerutscht, sodass ihr Slip und ein Tattoo, das einem gewissen Barney ewige Liebe schwor, zu sehen war. Die anderen zogen ausgelassenes Gekicher einem beherzten Handgriff vor. Möglicherweise hatten sie ebenfalls zu viel getrunken, um die Blöße ihrer Freundin zu bemerken.

Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Wie konnte man sich nur so gehenlassen? Zudem mochte ich dieses aufgesetzte Getue nicht, was einer der Gründe war, warum ich während meines Studiums kaum ausgegangen war. Wäre meine Freundin Dee nicht gewesen, hätte ich die fünf Jahre vermutlich in meiner Wohnung verbracht, jede erdenkliche Serie auf Netflix geschaut und Nachos mit Käse-Dip in mich hineingeschaufelt. Es war nicht so, dass ich generell niemanden leiden konnte und ich litt auch an keiner Sozial-Phobie. Es war nur so, dass ich kein Problem damit hatte, allein zu sein.

Eine der Frauen schlug sich plötzlich eine Hand vor den dunkelrot geschminkten Mund, torkelte in eine der Kabinen und ich musste nicht hinsehen, um zu erfahren, was sie tat. Die Würgegeräusche verrieten mir mehr, als ich wissen wollte.

Rasch verwarf ich mein Vorhaben, mir die Schminke aus dem Gesicht zu wischen, quetschte mich an der Frauengruppe vorbei und ging zurück zu Dee. Ständig wurde ich angerempelt, obwohl ich die Schultern einzog und versuchte, mich so klein wie möglich zu machen. Es erinnerte mich an einen weiteren Grund, weshalb ich nie viel ausgegangen war.

Als der Tisch, den Dee mit drei unserer Freundinnen belagerte, in Sichtweite kam, fiel mir sofort das volle Tablett leuchtend gelber Shots auf. Fünf davon standen vor Dee, die gerade damit begann, ein Glas nach dem anderen auf Ex zu trinken, angefeuert durch die Rufe von Mary, Heather und Nica.

„Hey! Da bist du ja wieder!“, rief Dee, reckte die Arme in die Luft und zog mich in eine kräftige Umarmung. „Der nächste Shot ist für dich, Lynn!“

Ehe ich in der Lage war, etwas zu erwidern, hielt ich eines der Gläser in der Hand. Seit wir den Club betreten hatten, wehrte ich mich gegen all die verschiedenen alkoholischen Getränke, die meine Freundinnen reihum anschleppten, deswegen betrachtete ich auch dieses Glas argwöhnisch. Wegen der sonnengelben Farbe sah der Inhalt immerhin ziemlich lecker aus, daher war es vielleicht gut, wenn ich es einfach hinter mich brachte. Trotzdem kostete es mich einiges an Überwindung, das Glas zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und es an meine Lippen zu führen. Als ich die kühle Oberfläche an meinem Mund spürte, erschien prompt mein dreizehnjähriges Ich vor meinem geistigen Auge, das auf meinem Bett saß.

Ich war allein zuhause gewesen und hatte beschlossen, dass es Zeit war, endlich Erfahrung mit Alkohol zu machen. Dazu hatte ich mir eine Flasche aus der Hausbar geschnappt und war in meinem Zimmer verschwunden. Der erste Schluck Whiskey brannte wie Feuer und ließ mich husten. Der zweite forderte meinen Würgereiz heraus und ich wusste, dass ich dieses Zeug niemals so lässig trinken konnte, wie mein Dad es gelegentlich am Wochenende tat. Trotzdem hatte ich mich gezwungen, die brennende Flüssigkeit herunterzuschlucken, woraufhin ich keuchend die Flasche abgestellt und mit Limonade nachgespült hatte. Alkohol und ich waren nach diesem Erlebnis nie die besten Freunde geworden. Mir war einen ganzen Tag lang unfassbar schlecht gewesen, was zum Großteil an den Gewissensbissen lag, die mich plagten. Ich hatte mich erst besser gefühlt, als ich mein Gewissen erleichtert und meinen Eltern von dem missglückten Experiment berichtet hatte. Zwar hatte ich keinen Hausarrest bekommen, aber mein Vater hatte mir einen sehr ausschweifenden Vortrag über Alkohol gehalten. So wie damals hörte ich auch jetzt seine mahnende Stimme.

Whiskey trinkt man nicht. Man genießt ihn, Lynn und in deinem Alter besäuft man sich sowieso nicht. Nun wurde sie jedoch unterlegt von dem hämmernden Techno-Beat, mit dem der DJ den Anwesenden einheizte.

„Komm schon, Lynn!“, rief Dee und riss mich aus meinen Erinnerungen. Ich sah auf und erkannte die erwartungsvollen Blicke meiner Freundinnen, die auf mir ruhten. Ein Shot konnte kaum schaden, oder? Schließlich waren wir hier, um unseren Studienabschluss zu feiern. Um nicht länger die Spielverderberin zu geben, hielt ich den Atem an, legte den Kopf in den Nacken und kippte das Getränk hinunter. Anstelle des erwarteten Brennens breitete sich ein angenehm frischer Geschmack auf meinen Geschmacksknospen aus. Um genau zu sein, schmeckte der Shot wirklich lecker. Zitronig-fruchtig, aber dennoch süß.

„Mhhh“, kommentierte ich, leckte mir über die Lippen und hatte bereits das zweite Glas in der rechten und das dritte in der linken Hand.

Es war, als hätte man die Büchse der Pandora geöffnet, denn Shot um Shot lief in meine Kehle und mit jedem Schluck wurde ich gieriger. Es gab also tatsächlich auch Alkohol, der gut schmeckte?

„Auf unseren Abschluss“, brüllte Nica über die Musik hinweg und stellte jeder von uns einen weiteren Shot vor die Nase.

„Auf unseren Abschluss“, echoten wir und leerten unsere Drinks auf Ex.

Eine Stunde später befand ich mich in der Mitte der Tanzfläche und tanzte mir die Seele aus dem Leib. Ich fühlte mich großartig! Warum hatte ich das früher nie gemacht? Ich kam mir wie neu geboren vor. Mir war nur am Rande bewusst, dass ich immer mehr Blicke auf mich zog, was mir allerdings egal war. Ich war blendender Laune und alles, was ich wollte, war, dieses berauschende Gefühl, so lange wie möglich zu genießen. Zwar war ich nie eine der Studentinnen gewesen, die eher feierten, als zu lernen, aber ich hatte schließlich nicht hinter dem Mond gelebt. Dee war oft genug wie ein Zombie zwischen Bett und Toilette hin und her gewankt, wenn sie mal wieder zu tief ins Glas geschaut hatte, daher wusste ich, was passieren konnte. Ich hingegen hatte mich im Griff. Ich war vernünftig, zuverlässig und überlegte lieber dreimal als zweimal. Vielleicht hatte ich mein Limit, was Alkohol betraf, noch nie ausgereizt, um es wirklich zu kennen, doch wie schwer konnte das schon sein? Bei einer Körpergröße von einem Meter siebzig und sechzig Kilogramm Gewicht, brauchte es gewiss deutlich mehr als die fünf oder sechs Shots, die ich bisher getrunken hatte. Oder waren es sieben gewesen?

Egal! Ich war gut drauf und wollte tanzen. Den Kopf hatte ich mir in den letzten Jahren oft genug zerbrochen. Als ich eine federleichte Berührung an meinen Armen spürte, glaubte ich zuerst an einen Zufall. Schließlich war der Club bis zum Bersten gefüllt und im Augenblick würde ich sogar Sardinen in einer Dose um ihren Platz beneiden. Aber als ich zwei eindeutig männliche Hände entdeckte, die von meinen Handgelenken bis hinauf zu den Trägern meines Kleides wanderten, wusste ich, dass ich soeben angebaggert wurde. Verdammt, ich wollte tanzen und war daher im Begriff, den Typen anzufauchen, damit er sich verpisste, doch als ich einen Blick über die Schulter warf, blieben mir die Worte im Hals stecken.

Heilige Maria Mutter Gottes!

Ich war nicht gläubig, allerdings musste bei der Entstehung dieses Mannes zweifellos eine überirdische Kraft ihre Finger im Spiel gehabt haben. Ein Lichtstrahl, der von einer der zahlreichen Diskokugeln reflektiert wurde, erhellte sein Gesicht und ließ mich strahlend blaue Augen, markante Gesichtszüge, eine gerade Nase, ordentlich zur Seite frisierte, dunkle Haare, ein hinreißendes Grinsen – und Himmel – Grübchen erkennen!

Er war ungefähr in meinem Alter, doch statt des offenbar jahrgangstypischen T-Shirts mit einem albernen Spruch trug er ein weißes Hemd, das seinen sonnengebräunten Teint zur Geltung brachte und von einer muskulösen Brust perfekt ausgefüllt wurde.

„Hey, schöne Frau“, raunte er mir mit tiefer Stimme ins Ohr, wobei seine Lippen mein Ohrläppchen streiften und ein Hauch seines Aftershaves zu mir getragen wurde. Wow. Der Kerl sah nicht nur phänomenal aus, er roch sogar fantastisch und mein inzwischen ohnehin kaum noch existenter Widerstand gegen seine Annäherung pulverisierte sich förmlich.

„Hey, schöner Mann“, erwiderte ich lahm und versuchte, meine zweifellos entgleisten Gesichtszüge wieder in Ordnung zu bringen. Er lachte leise, und das Prickeln, das sich über meine Wirbelsäule einen direkten Weg zwischen meine Schenkel suchte, war elektrisierend. Ich beschloss, dass es besser war, auf das Reden zu verzichten, legte die Hände auf die des Adonis und schob sie auf meine Hüften, wo er für einen Augenblick ein bisschen fester zupackte. Mutig geworden, schmiegte ich den Po gegen seinen Schoß und bewegte mich weiter im Takt der Musik. Er wirkte kurz überrascht, doch schon bald ließ er sich auf meinen Rhythmus ein.

Wir tanzten im flackernden Licht und ich protestierte nicht, als er näher an mich heranrückte. Seine Hände verschwanden keine Sekunde mehr von meinem Körper und ich biss mir auf die Lippe, um mein Stöhnen zu dämpfen, als ich etwas Hartes an meinem Po bemerkte. Ich war kein Partygirl, aber eine Nonne war ich ebenso wenig. Der Gedanke, dass ich für diese deutliche Gefühlsregung verantwortlich war, sorgte dafür, dass sich mein Blut in einen reißenden Strom aus purem Verlangen verwandelte. Ich sah zu ihm hinauf, fasste hinter mich und schlang die Hände um seinen Hals. Sein intensiver Blick brannte sich in meinen und mein Herz geriet für einen Moment aus dem Takt, als er sich zu mir beugte und mit seinen weichen Lippen flüchtig über meine strich. Das war nicht genug. Ich wollte seinem Mund folgen, doch er hielt mich auf Abstand und lächelte.

„Vorfreude ist die schönste Freude“, raunte er mir verheißungsvoll ins Ohr und lachte erneut dieses Lachen, das direkt in meinem Höschen landete.

Oh, er wollte spielen? Das konnte ich auch. Ich streckte die Arme in die Luft, schwang die Hüften noch lasziver hin und her und gab mich völlig der Musik hin.

Warum hatte ich mir das all die Jahre entgehen lassen?

Ich fühlte mich großartig!

Kapitel 2

Ich fühlte mich grässlich.

Mein Kopf dröhnte, als hätte man ihn über Nacht zu einem Flugzeugträger umfunktioniert, auf dem nonstop Düsenjets starteten, und meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Meine Kehle war staubtrocken und der Geschmack in meinem Mund war derart ätzend, dass ich mich vor mir selbst ekelte.

Wasser. Ich brauchte Wasser. Kühles, frisches, prickelndes, klares Wasser.

Quatsch. Was redete ich mir da nur ein? Ich würde aus der Regenrinne trinken, wenn dadurch dieser Geschmack und der entsetzliche Durst endlich verschwanden.

Langsam hob ich ein Lid. Die Rollos waren nicht zugezogen und das viel zu helle Sonnenlicht leuchtete mein Schlafzimmer aus wie das Set eines Fotoshootings. Das hieß, ich war zuhause, was vermutlich schon mal ein gutes Zeichen darstellte. Vorsichtig linste ich in Richtung meines Nachttisches, der außer meinem Handy, einer Lampe und einer Packung Taschentücher leer war. Unbeholfen kroch ich auf den Rand der Matratze zu und spähte über die Kante. Keine Flasche mit dem begehrten Wasser weit und breit.

Wären nur das Pochen in meinem Kopf und die bleierne Müdigkeit gewesen, hätte ich wohl den Rest meines Lebens im Bett verbracht, aber der Durst machte mich wahnsinnig. Ich kratzte all den Elan zusammen, den der Alkohol nicht verbrannt hatte, und setzte mich auf. Sofort begann sich das Zimmer um mich herum zu drehen, und ich kniff die Lider zu, als mir eine violette Reflexion in die Augen stach. Stöhnend vor Schmerz vergrub ich mein Gesicht hinter den Händen und wog ab, ob ich das Wasser wirklich so dringend brauchte, wie mir mein ausgetrockneter Mund weismachen wollte. Ich war schon im Begriff, mich wieder in die Laken sinken zu lassen, als ich erstarrte.

Moment.

Eine Reflexion von etwas Violettem?

Bei der Einrichtung der Zweizimmerwohnung war ich darauf bedacht gewesen, alles in hellen Creme- und Pastellfarben zu halten. Da gab es nichts leuchtend Violettes. Erschrocken öffnete ich die Augen, hoffte, dass ich mich getäuscht hatte, aber der farbtechnische Fremdkörper war nach wie vor da.

„O mein Gott“, kam es als Krächzlaut aus meiner staubtrockenen Kehle, als mir bewusst wurde, was vor mir lag.

Es war eine Kondomverpackung.

Eine geöffnete Kondomverpackung!

Weil mich mein Durst, der Geschmack in meinem Mund und mein dröhnender Schädel so irritiert hatten, hatte ich noch gar keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich möglicherweise nicht allein nach Hause gekommen war. Das Bild eines Mannes kämpfte sich aus der trüben Suppe meiner Erinnerungen an die Oberfläche und brachte eine Reihe von Empfindungen mit. Geschickte Hände auf meinem Körper, heißer Atem auf meiner Haut, Lippen, die über meine Ohrmuschel strichen und mir versaute Dinge zuflüsterten.

Panisch wandte ich mich um und atmete beim Anblick meines leeren Bettes erleichtert aus. Aber die Erleichterung hielt nur solange an, bis ich den Zettel auf meinem zweiten Kopfkissen erkannte. Mit zitternden Fingern griff ich nach dem Stück Papier.

Musste leider weg. Danke für die Nacht. Und die Fotos.

C.

„Verfluchter Mist“, zischte ich, während ein Dutzend Fragen gleichzeitig aufkamen. Was war vergangene Nacht passiert? War C der Mann aus dem Club? Wie war ich nach Hause gekommen? Und am wichtigsten: Von welchen Fotos sprach er?!

Panik drohte mich zu erfassen. Schließlich hatte ich noch nie einen One-Night-Stand gehabt. Was machte man in so einer Situation? Duschen, Zähneputzen und zum Alltag übergehen? Eine Typveränderung? Die Behörden um eine neue Identität bitten? Vorsichtshalber einen Arzt aufsuchen, um diverse Tests durchführen zu lassen, falls der Alkohol die Vernunft ausgeschaltet hatte? Letzteres war vermutlich irrelevant, wie die leere Kondompackung bewies. Trotzdem hatte ich keine Ahnung! Hektisch stürzte ich in Richtung Nachttisch, um zu meinem Handy zu gelangen. Moment. Baumelte mein Slip tatsächlich dort an der Ecke des Bilderrahmens? Verdammt! Was hatte ich vergangene Nacht nur getan?! Oder war getrieben das passendere Wort?

Erst jetzt stellte ich fest, dass ich vollkommen nackt war. Schnell sprang ich auf und schnappte mir den Morgenmantel, der an einem Haken hinter der Schlafzimmertür hing und schlüpfte hinein. Dabei spürte ich ein Ziehen in einigen bislang unbekannten Muskeln. Während ich mit zitternden Fingern die Nummer von Dee in meinem Adressbuch suchte, ging ich ins Badezimmer. Etwas knisterte unter meiner Fußsohle und als ich hinabsah, erkannte ich, dass die Kondomverpackung an mir klebte. Aber die hatte doch vor meinem Bett gelegen? Ich bückte mich, zupfte die Packung ab und sah zurück zu meinem Bett. Verfluchte Scheiße! Egal, wer C war – allem Anschein nach hatte ich zweimal Sex mit ihm gehabt. Mein Magen grummelte unheilvoll und ich linste zur Toilette. Meine weitaus stärkere Neugier allerdings trieb mich jedoch zum Bett. Ich lief zu der Seite, wo C offenbar geschlafen hatte, und fand dort meine schlimmste Befürchtung bestätigt: Eine dritte Kondompackung! Leer selbstverständlich.

„O mein Gott. O mein Gott. O mein Gott“, murmelte ich und endlich gelang es mir, Dees Nummer zu wählen. Nach dem fünften Läuten hob sie ab.

„Na sieh mal einer an“, begann sie mit einem süffisanten Unterton, „hat dich dein Adonis also doch nicht ins Nirwana gevögelt.“

„Dee!“, rief ich. „Was habe ich gestern nur getan?“

„Keine Ahnung“, antwortete meine Freundin und kicherte. „Hoffentlich nichts, das ich nicht auch getan hätte.“

Ich sah hinab auf den Zettel. Die Worte ‚Nacht‘ und ‚Fotos‘ schienen sich deutlich hervorzuheben.

„Um ehrlich zu sein, ich habe keinen Schimmer. Alles, was ich weiß, ist, dass sein Name offenbar mit C beginnt und er heute Morgen verschwunden war.“

Ich verschwieg die Bilder, die mein nächtlicher Gast in seiner Nachricht erwähnt hatte. Anhand der drei leeren Kondompackungen hatte ich bereits eine böse Vorahnung, um was für Fotos es sich hierbei handelte. Vielleicht wurde es nicht wahr, wenn ich vermied, es auszusprechen, und ich konnte die Existenz dieser Bilder vergessen, so wie ich die letzten Stunden vergessen hatte.

„Ich glaube, sein Name war Cal. Aber sicher bin ich mir nicht, weil du ihm nämlich die Zunge in den Hals geschoben hast, ehe er ausreden konnte.“

Beschämt schlug ich mir die Hand vor den Mund. Dee bemerkte meinen Schreck über die Neuigkeit entweder nicht, oder sie ignorierte mich, da sie Gefallen daran gefunden hatte, mich zu foltern.

„Mensch Lynn! Der heißeste Typ des ganzen Clubs und ausgerechnet du schleppst ihn für deinen ersten One-Night-Stand ab. Nicht, dass ich dir das nicht gönne, doch ein wenig neidisch war ich schon. Ach, was rede ich? Jede Frau im Club war neidisch.“

„Dee“, setzte ich an und schluckte, ehe ich weitersprach. „Um ehrlich zu sein, habe ich einen üblen Filmriss und keine Ahnung mehr, was diese Nacht vorgefallen ist. Alles, was ich weiß, ist, dass hier drei leere Kondompackungen herumliegen.“

Die zugehörigen Kondome hatte ich noch nicht entdeckt, aber ich nahm an, dass der geheimnisvolle C, oder Cal, falls er tatsächlich so hieß, sie im Mülleimer im Badezimmer entsorgt hatte.

„Drei Mal? Holy Fuck! Er war sicher phänomenal. Dem sah man bereits beim Tanzen an, dass er sehr genau weiß, wie er sein Becken einzusetzen hat. Mit der entsprechenden Ausstattung … hmmm.“

Eine vage Erinnerung, wie aus einem Traum, flackerte vor meinem geistigen Auge auf. Mein Innerstes auf die beste Art und Weise ausgefüllt.Ich auf allen vieren, die Finger ins Kissen gekrallt, starke Hände auf meinen Hüften. Ein lautes Stöhnen.

„Dee, ich kann mich an kaum etwas erinnern“, jammerte ich.

„Das ist wirklich schade. Hat er dir seine Nummer gegeben?“, wollte meine Freundin wissen. Ich drehte den Zettel in meiner Hand und betrachtete die Rückseite. Sie war leer.

„Nicht, dass ich wüsste. Aber ich habe ohnehin keine Zeit für Dates und diesen Kram, Dee. Am Montag fange ich zu arbeiten an, schon vergessen?“

Sie seufzte. Dee hatte mehrfach versucht, mich dazu zu überreden, wie sie eine Auszeit bis zum Frühjahr zu nehmen, was ich jedoch stets abgelehnt hatte. Ich hatte die Nase voll davon, meinen Eltern auf der Tasche zu liegen, und brannte darauf, endlich mein eigenes Geld zu verdienen.

„Sieh es als Abschied von deinem Studentendasein, Lynn. Du hast so viele Partys ausgelassen, da ist es kein Verbrechen, es zumindest einmal richtig krachen zu lassen“, redete mir Dee weiter gut zu und ich merkte, wie ich langsam ruhiger wurde.

Es ist ein One-Night-Stand gewesen, schärfte ich mir selbst ein. Offenbar ein guter, denn sonst wäre es wohl kaum zu einer zweifachen Wiederholung gekommen. Einige meiner Kommilitoninnen waren jedes Wochenende mit einem Anderen im Bett gelandet. Hatten die sich etwa geschämt? Falls dem so war, dann hatte es jedenfalls nicht den Eindruck gemacht. Dee interpretierte mein Schweigen so, dass noch Überzeugungsarbeit von Nöten war.

„Wie oft hast du brütend über deinen Büchern gesessen? Gut, dafür hast du einen hervorragenden Abschluss hingelegt, aber auch eine Menge verpasst. Einen kleinen Teil hast du eben vergangene Nacht nachgeholt. Und mach dir keine Sorgen, dem Typen gleich morgen über den Weg zu laufen. Boston ist groß. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zufällig wieder zu sehen, ist extrem gering.“

„Wie sah er aus?“, unterbrach ich meine Freundin, die sich regelrecht in Rage geredet hatte.

„Wer? Dein One-Night-Stand?“

„Nein! Superman! Natürlich mein One-Night-Stand.“

„Puh, ich war schon ziemlich hinüber. Er war auf jeden Fall groß und gut gebaut. Sein Lächeln war so heiß, dass er dafür wirklich einen Waffenschein benötigt. Dunkle Haare.“

Das war alles? Schätzungsweise gab es hunderte Männer in Boston, die dies erfüllten, denn viele Ausschlusskriterien waren das ja nun nicht.

„Oh und blaue Augen. Mehr weiß ich leider nicht, aber ich wette, der Typ hatte einen Waschbrettbauch“, fügte Dee hinzu.

„Okay, groß, gut gebaut, dunkles Haar, blaue Augen, womöglich Waschbrettbauch“, seufzte ich und war ein bisschen enttäuscht, dass Dees Beschreibung meiner Erinnerung nicht auf die Sprünge geholfen hatte.

Ein Teil von mir hätte gern noch ein wenig über den gestrigen Abend geredet, doch der klügere Teil wusste, dass es besser war, einen Haken hinter die Sache zu machen. Schließlich war es Sinn und Zweck von One-Night-Stands, für eine Nacht Spaß zu haben, ohne sich anschließend wiederzusehen. Im Geiste schrieb ich mir eine Notiz, diese Jugendsünde keinesfalls zu wiederholen.

„Vermutlich hast du recht. Es war eine einmalige Angelegenheit. Daran ist heutzutage nichts mehr verwerflich. Immerhin haben wir uns geschützt“, erwiderte ich und betrachtete eine der Kondompackungen.

„Richtig. Nichts spricht gegen guten, ehrlichen Sex, Lynn.“

Langsam setzte ich mich auf mein völlig zerwühltes Bett und rieb mir über die Stirn. „Am besten beseitige ich hier mal das Chaos und bereite mich seelisch und moralisch auf Montag vor“, beendete ich das Thema One-Night-Stand und Dee sprang glücklicherweise auf meinen Themenwechsel an.

„Das wird bombastisch! Wer kann schon von sich sagen, direkt nach dem Studium einen Job in der PR-Abteilung der Razors zu ergattern?“, rief sie euphorisch.

„Du weißt, dass ich den Job vermutlich nur bekommen habe, weil mein Dad dort General Manager ist.“

„Bullshit, Lynn“, protestierte Dee und ich konnte sie förmlich vor mir sehen, wie sie die Hände in die Hüften stemmte. „Du hast jeden Abend gebüffelt und mit deiner guten Abschlussnote hat dein Vater sicherlich nicht das Geringste zu tun.“

Punkt für Dee. Aber ich hatte nicht gelernt wie eine Besessene, um meinen Dad zu beeindrucken, sondern, da ich das Klischee des dummen Blondchens auf keinen Fall erfüllen wollte.

„Okay, du hast recht. Ich rufe dich am Montagabend an und erstatte dir Bericht.“

„Mach das! Und sollten dir Details zu Adonis-Cal einfallen, will ich sie hören, ja?“

Ich grinste, obwohl ich mir diesbezüglich wenig Hoffnung machte. Mein Kopf schien so gut wie alles, was ich über die Nacht wusste, unter einer schweren Decke zu verbergen.

„Versprochen“, sagte ich. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich legte mein Handy zusammen mit der Notiz meines Übernachtungsgastes auf den Nachttisch. Cal also. Dee hatte ihn Adonis-Cal genannt. Drei leere Kondomhüllen, eine selige Zufriedenheit und das Ziehen in meinen Muskeln verrieten, dass ich offenbar bei meinem ersten One-Night-Stand direkt einen Jackpot gelandet hatte.

Wenn da nur nicht die Erwähnung der Fotos gewesen wäre, die wie ein Damoklesschwert über mir schwebte. Möglicherweise hatte er mich ja nur darum gebeten, Bilder von ihm zu machen? Oder hatten wir auf dem Weg zu mir peinliche Selfies geschossen und uns durch sämtliche Snapchat-Filter gearbeitet?

Ich schüttelte den Kopf. Nein. So naiv war ich nicht. Ich hatte zugestimmt, dass er uns beim Sex fotografierte!

Langsam ging ich ins Bad, stellte mich vor das Waschbecken und betrachtete mich im Spiegel. Meine Wangen waren leicht gerötet und ich schien von innen heraus zu strahlen. Dee hatte die Tatsache, dass ich das Bett mit einem vollkommen Fremden geteilt hatte, überhaupt nicht schlimm gefunden. Doch ihr gegenüber hatte ich auch die Fotos verschwiegen.

Während meines Studiums hatte ich eine Vorlesung zum Thema Rachepornographie besucht und nun kamen mir die mahnenden Worte der Dozentin wieder in den Sinn. Wer nicht möchte, dass seine Nacktbilder im Internet auftauchen, sollte keine machen. Ich erinnerte mich noch, wie ich mir nach der Vorlesung geschworen hatte, dass mir das nie passieren würde, aber nun war genau dieser Fall eingetreten. Das Blut in meinen Adern verwandelte sich in einen Strom, der vorwiegend aus Eiskristallen bestand, als mir die gesamte Tragweite meiner idiotischen Entscheidung bewusst wurde.

Ich hatte diesen Cal mit zu mir nach Hause genommen. Er wusste, wo ich wohnte und vermutlich auch, wie ich hieß. Heutzutage war es ein Leichtes, gewisse Dinge über eine Person herauszufinden. Was, wenn er mich damit erpresste, die Fotos meinen Eltern zu schicken oder sie auf einschlägigen Websites hochlud?

Meine Fantasie war im Begriff, mir einen lebhaften Film mit Worst-Case-Szenarios vorzuspielen, aber ich verbot mir, mich selbst verrückt zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bilder im Internet landeten, war zwar da, doch was konnte ich schon tun, ohne seinen vollen Namen zu kennen oder seine Telefonnummer zu haben? Mir blieb vorerst nur zu hoffen, dass ich an einen Gentleman geraten war, dem Genießen und Schweigen wichtiger war, als mit einer Eroberung zu prahlen.

Ich stellte das Wasser in der Dusche an, streifte mir den Morgenmantel ab und begab mich unter den heißen Strahl, um mir die vergangene Nacht vom Körper zu waschen. Eine Weile genoss ich mit geschlossenen Lidern die Wärme, die auf meine ächzenden Muskeln wie eine Wohltat wirkte. Es war nicht so, dass ich in meinen bisherigen Beziehungen nur Sex in der Missionarsstellung gehabt hatte, aber keiner meiner Verflossenen, hatte es geschafft, mich so zu fordern, wie es dem Unbekannten aus dem Club gelungen war.

Selbst, wenn nun irgendwo vermutlich Bilder von mir existierten, so war mir trotz meiner Erinnerungslücken klar, dass die Nacht viel zu gut gewesen war, um alles davon zu bereuen.

Kapitel 3

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich das Vorzimmer zum Büro meines Dads betrat. Am Schreibtisch saß eine Afroamerikanerin, die zwar telefonierte, mich jedoch sofort bemerkte und mit hektischen Armbewegungen hereinwinkte.

„Nein! Richten Sie Ihrem Boss aus, dass Mr. Smith die Verträge noch heute braucht. Das war so abgemacht. Denken Sie wirklich, wir zahlen seinen Stundenlohn, nur weil sein Name Angst und Ehrfurcht verbreitet? Bestimmt nicht!“

Obwohl die Frau lächelte, klang ihre Stimme schneidend, was offenbar auch ihrem Gesprächspartner nicht entging.

„Wunderbar. Haben Sie vielen Dank“, änderte sich ihr Tonfall plötzlich in ein Säuseln, das so süß war, dass es beinahe in meinen Zähnen zog. Sie legte auf und wandte sich dann mit einem strahlenden Lächeln an mich. „Hey! Du musst Lynn sein. Herrje, du siehst deinem Vater unglaublich ähnlich. Und das meine ich als Kompliment“, begrüßte sie mich, erhob sich von ihrem Stuhl und kam zu mir herüber.

Ich stutzte, denn ich sah eher aus wie meine Mom. Blond mit blauen Augen und einem herzförmigen Gesicht. Trotzdem nickte und lächelte ich, weil ich vermeiden wollte, dass der erste Wortwechsel mit der persönlichen Assistentin meines Dads ein Widerspruch war. Ein schelmisches Funkeln trat in ihre Augen, als sie zu der Bürotür schielte, auf der ‚L. Smith, General Manager‘ stand, ehe sie sich zu mir beugte.

„So wie ich das sehe, hat er dir all seine guten Merkmale verpasst, und die schlechten behalten“, kicherte sie vergnügt und zwinkerte mir zu. Ihre Fröhlichkeit war so ansteckend, dass ich selbst grinsen musste.

„Ähm, danke“, stammelte ich, als mir auffiel, dass ich, seitdem ich den Raum betreten hatte, noch kein Wort gesagt hatte.

„Ich bin Audrey. Wir haben telefoniert. Schön, dich kennenzulernen“, sagte Dads Assistentin und reichte mir die Hand.

„Lynn Smith“, stellte ich mich vor, obwohl sie das gewiss wusste.

Sie arbeitete bereits eine kleine Ewigkeit für meinen Vater und kannte ihn vermutlich besser als ich.

„Fühlst du dich nun ein wenig wohler?“, erkundigte sie sich und sah mir aufmerksam ins Gesicht.

Mir entglitten die Gesichtszüge ein bisschen und ich realisierte, dass ich mich nun deutlich ruhiger fühlte, als bei meinem Eintreten. Offenbar war ihre Anspielung auf die nicht vorhandene Ähnlichkeit zu meinem Dad nur das Mittel gewesen, um das Eis zu brechen. Und es hatte funktioniert.

„Irgendwie schon“, meinte ich, überrascht von mir selbst.

Audrey strahlte und legte mir die Hände auf die Schultern. „Gut so. Mädchen, du warst kurz vor dem Kollaps, als du über die Schwelle getreten bist, richtig?“

Langsam nickte ich. Sie hatte eine Art an sich, die es einem schwer machte, sich ihr zu entziehen.

„Gut, jetzt vergiss, was ich über dich und deinen Vater gesagt habe. Er ist ein toller Boss und wie er aussieht, ist mir egal. Ich bin seit Jahren glücklich verheiratet“, sagte sie und wackelte vor meinem Gesicht mit den Fingern, an denen jede Menge Ringe blitzten. Auf die Schnelle war nicht auszumachen, welcher davon ihr Ehering war. „Wunderbar. Dein Arbeitsvertrag sollte längst hier sein, aber da gab es ein paar kleine Probleme. Wir zäumen das Pferd also von hinten auf und ich zeige dir zuerst deinen Arbeitsplatz, in Ordnung?“

„Gerne“, erwiderte ich und schenkte Audrey ein Lächeln, das vermutlich nach wie vor ein wenig zittrig ausfiel. Dann warf ich einen Blick auf die geschlossene Bürotür meines Dads, was seiner Assistentin nicht entging.

„Er ist bei Mick, unserem Schatzmeister. Sie sind momentan an irgendeiner riesigen Sache dran. Frag mich jedoch nicht nach den Details“, meinte sie und deutete mir mit einer Handbewegung an, ihr zu folgen. Wir traten hinaus auf den Flur und hielten zielstrebig auf die Treppe zu.

Meine künftige Abteilung lag im Erdgeschoss. Dort arbeiteten etwa ein Dutzend Leute, die mir Audrey allesamt namentlich vorstellte. Da es allerdings zu viele Namen waren, gab ich rasch auf, mir sie alle merken zu wollen. Der heutige Tag brachte gewiss noch mehr als genug Neuigkeiten mit sich und ich ahnte bereits, dass mir der Kopf am Abend nur so schwirren würde. So ziemlich die Einzige, die ich mir merkte, war Erin, eine zirka vierzig Jahre alte Brünette, die mir erklärte, dass sie dafür zuständig war, mich einzuarbeiten.

Mein unmittelbarer Vorgesetzter hieß Tom. Er war jünger, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und befand sich mitten in einem offenbar wichtigen Telefonat, sodass er mir nur zunickte. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er keine Zeit für mich hatte, denn ich war immerhin eine satte Stunde zu früh. Zudem wusste er eventuell gar nicht, dass ich seine neue Angestellte war. Schließlich hatte mein Vorstellungsgespräch mit meinem Dad stattgefunden.

„Ich bringe sie euch gleich wieder. Erst muss die Tinte auf ihrem Vertrag trocknen“, rief Audrey, begleitet von einem Lachen in das Großraumbüro und schob mich dabei aus der Tür. Sobald wir an einem Raum vorbeikamen, erklärte mir meine selbsternannte Fremdenführerin, was darin untergebracht war, falls sie der Meinung war, das könnte nützlich für mich sein. Wir kamen sogar an Siennas Büro vorbei. Ich verriet Audrey aber nicht, dass sie wie eine Schwester für mich geworden war, nachdem ihr Vater gestorben war und mein Dad sie sozusagen unter seine Fittiche genommen hatte, sondern folgte ihr einfach weiter.

Die Worte Kopierraum, Damentoilette, Kaffeeküche und Konferenzraum flogen mir nahezu wie Kugeln um die Ohren und ich versuchte, keinen allzu verwirrten oder gar überforderten Eindruck zu machen. Mein Dad war seit knapp zehn Jahren der Mann, der hier die Fäden in der Hand hielt, allerdings konnte ich mich nicht daran erinnern, schon einmal in der Razors-Zentrale gewesen zu sein. Genaugenommen war ich kein Fan von Eishockey im Allgemeinen oder der Razors im Speziellen, doch mich beeindruckte die Gestaltung des Hauptsitzes enorm. Alles war in den Teamfarben dunkelblau, grau und weiß gehalten und überall hingen Bilder von ehemaligen Spielern, die manchmal sogar Rekorde aufgestellt hatten. Das Team blickte auf eine lange Tradition zurück und ich war froh, dass Hillary McBride es vor Jahren vor der Insolvenz gerettet hatte. Fan oder nicht – Boston wäre in meinen Augen nicht dasselbe ohne sein Eishockeyteam.

„Die Verträge sollten nun da sein“, informierte mich Audrey, nachdem sie mir die derzeit verwaiste Trainingshalle gezeigt hatte, die gegenüber des Bürogebäudes lag. Also machten wir uns auf den Rückweg und waren gerade im zweiten Stock angekommen, als meine Begleiterin plötzlich ihre Schritte verlangsamte und mich zur Seite zog.

„Langsam“, flüsterte sie mir in einem verschwörerischen Tonfall zu und ich folgte ihrem gebannten Blick, der direkt auf den straffen Hintern des Mannes im Anzug gerichtet war, der auf ihre Bürotür zusteuerte. Er war schätzungsweise etwas über einen Meter achtzig groß, hatte breite Schultern, dunkles kurzes Haar und einen Gang, der nur so vor Selbstsicherheit strotzte.

„Wer ist das?“, wollte ich wissen, während ich fasziniert dem Spiel seiner Pobacken zusah. Ob er damit Nüsse knacken konnte?

„Das, meine Liebe, ist unser Anwalt Cal Palmer“, raunte Audrey.

Im Augenwinkel erkannte ich, wie sich ihr Mund weiterhin bewegte, aber der Name Cal ließ mein Herz derart laut schlagen, dass ich nichts mehr anderes wahrnahm.

Hatte Dee meinen One-Night-Stand aus dem Club nicht als Adonis-Cal bezeichnet? Zudem passten seine Statur und das dunkle Haar zu meiner kläglichen Erinnerung und Dees Schilderung. Mein Magen verknotete sich. Meine beste Freundin hatte gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, ihm wieder zu begegnen gleich null war, doch offenbar war Boston nicht so riesig, wie ich mir erhofft hatte.

„Was für ein Arsch. Da kann mal selbst als verheiratete Frau mal einen zweiten Blick riskieren“, flüsterte Audrey mir zu und stieß mir ihren Ellbogen in die Seite.

Ich war zu perplex, dass ich in der Zentrale der Razors möglicherweise meinem mysteriösen One-Night-Stand mit den Fotos über den Weg lief, um sofort zu antworten. Außerdem war der Hintern wirklich nicht von schlechten Eltern. Als ich spürte, wie Audrey mich erwartungsvoll ansah, rang ich mir ein etwas lahmes „Oh, ja“, ab, weil ich glaubte, dass sie exakt das erwartete. Der Knoten in meinem Bauch löste sich ein wenig, als dieser Cal Palmer in Audreys Büro und somit aus meinem Sichtfeld verschwand.

„Na los, bringen wir deine Unterschrift auf den Vertrag, damit auch alles seine Richtigkeit hat“, ermunterte mich Audrey, machte eine auffordernde Handbewegung und war bereits einige Schritte gegangen, während ich immer noch an Ort und Stelle stand. Der Gedanke daran, dem Mann zu begegnen, mit dem ich offenbar eine ganze Nacht Sex gehabt hatte, lähmte mich förmlich.

„Ich komme gleich, ich muss mal kurz für kleine Mädchen“, rief ich ihr hinterher und deutete auf die Tür, die mir im Augenblick wie eine Rettungskapsel erschien. Ob es möglich war, dass sie mich durch das Dach aus der Zentrale katapultierte, ehe ich gezwungen war, mein Gesicht zu verlieren?

Was, wenn mein Dad erfuhr, dass ich mit dem Anwalt des Teams geschlafen hatte?! Auf wackeligen Knien stolperte ich in eine Kabine und war heilfroh, allein zu sein. Rasch fischte ich mein Smartphone hervor und wählte Dees Nummer.

„Baby, hast du mal einen Blick auf die Uhr geworfen? Ich hoffe, es ist ein Notfall“, murrte meine Freundin verschlafen in den Hörer.

„Ist es, Dee. Ich glaube, mein One-Night-Stand ist hier.“

Es raschelte in der Leitung, ein Poltern erklang und diverse Flüche folgten.

„Sorry, mir ist das Handy aus der Hand gefallen. Was sagtest du? Dein One-Night-Stand ist da? Adonis-Cal? Wo? Bei dir zuhause?“

„Nein. In der Zentrale der Razors. Ich habe ihn nur von hinten gesehen, aber mein Gott – es passt bisher wirklich alles.“

Zitternd atmete ich aus und versuchte, meine aufsteigende Panik in den Griff zu bekommen.

„Okay“, entgegnete meine Freundin und klang dabei ebenso ratlos, wie ich mich fühlte.

„Was soll ich tun, Dee? Es ist mein erster Arbeitstag und dann gleich sowas?“

„Lynn, mach dich nicht selbst verrückt. So ein One-Night-Stand sorgt doch nicht dafür, dass du dir ein scharlachrotes A wie Hester Prynne auf die Brust zu malen hast“, wollte sie mich beruhigen, was nur bedingt gelang. „Du gehst jetzt hin, siehst dem Typen in die Augen und behältst die Nerven.“

„Als wäre das so einfach“, murmelte ich in den Hörer, aber Dee hatte mich trotzdem verstanden.

„Es war ein One-Night-Stand. Ihr hattet beide Spaß zusammen. Daran ist nichts auszusetzen, okay?“

Ich zögerte, ehe ich ihrem Vorschlag zustimmte.

„Du schaffst das, Lynn. Und nun lass mich schlafen.“ Dee kicherte und bereits eine Sekunde später war die Verbindung getrennt.

Nachdem ich mein Handy wieder in meiner Handtasche verstaut hatte, verließ ich die Kabine, wusch mir die Hände und warf einen Blick in den Spiegel. Ich hatte heute nur wenig Make-up aufgelegt und meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Meine Wangen leuchteten in einem kräftigen Rot, was auf meiner blassen Haut besser zur Geltung kam, als mir lieb war. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber ich beschloss, nichts dagegen zu unternehmen und Dees Rat zu beherzigen. Mit gestrafften Schultern und aufrechtem Gang machte ich mich auf den Weg in Audreys Büro. Obwohl ich versuchte, so selbstbewusst wie möglich zu wirken, zitterten meine Finger, ehe ich sie entschlossen auf die Klinke legte. Ein erneuter Anflug von Panik rollte drohend auf mich zu, doch ehe mich der Fluchtinstinkt zurück auf die Toilette trieb, betrat ich das Zimmer.

Sofort richteten sich drei Augenpaare auf mich. Das meines Dads, blau wie meine. Audreys, braun mit einem leichten Grünstich und das von Cal Palmer, ein dunkles Braun.

Laut Dee hatte mein One-Night-Stand blaue Augen gehabt. Erleichterung erfasste mich, als mir klar wurde, dass somit dieser Cal Palmer ausgeschlossen war. Ich hatte mich also ganz umsonst verrückt gemacht.

„Da ist sie ja endlich“, rief mein Dad, kam auf mich zu und zog mich in seine Arme.

Es war mir ein wenig peinlich, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass das die übliche Begrüßung für neue Angestellte war. Ich wollte keine Sonderbehandlung, aber es wäre gelogen, wenn ich gesagt hätte, ich hätte es nicht genossen. Die Zeit meines Dads war stets knapp bemessen und ich freute mich immer, ihn zu sehen. Zudem war der Tag auch ohne das befürchtete und glücklicherweise ausgebliebene Cal-Fiasko aufregend genug, da konnte eine väterliche Umarmung nicht schaden.

Mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen legte Dad mir die Hand auf die Schulter und drehte mich zu Audrey und Cal Palmer. Der Anwalt nickte mir zu, während die persönliche Assistentin nur grinste. Doch schließlich hatten wir uns heute schon begrüßt.

„Cal, Audrey, darf ich vorstellen? Lynn, meine wunderbare Tochter. Sie hat kürzlich ihr Marketingstudium als Jahrgangsbeste abgeschlossen und wird uns ab sofort verstärken.“

Ich lächelte schüchtern und da ich nicht so recht wusste, was ich sagen sollte, winkte ich einfach.

„Fehlt nur noch die Unterschrift auf dem Vertrag“, ergriff Palmer das Wort und lief mit langen Schritten auf den kleinen Tisch in der Ecke zu. Er legte seinen ledernen Aktenkoffer drauf, ließ den Deckel aufschnappen und holte eine Mappe hervor, deren Inhalt er vor uns ausbreitete. „Sie unterschreiben hier, hier und hier“, wies mich der Anwalt knapp an und deutete mit einem sauber manikürten Fingernagel auf die entsprechenden Stellen, die zudem mit neonfarbenen Post-its versehen waren.

Nickend ging ich auf ihn zu und spürte ein leichtes Flattern in meinem Magen, als mir sein würziges Aftershave in die Nase stieg. Zwar war anhand der Augenfarbe bereits ausgeschlossen, dass dieser Cal mein One-Night-Stand gewesen war, aber falls Zweifel bestanden hätten, so erkannte ich nun ein weiteres Ausschlusskriterium.

Seine Aura.

Cal Palmer strahlte nämlich so viel Selbstbewusstsein aus, dass für alle anderen im Raum kaum mehr etwas übrig blieb. Das wäre mir selbst in betrunkenem Zustand aufgefallen, denn diese Präsenz war so stark und unmöglich zu ignorieren. Kein Wunder also, dass meine Handflächen schweißfeucht waren, als ich den von Palmer angebotenen Füllfederhalter entgegennahm und mich über meinen Arbeitsvertrag beugte.

„Moment“, warf mein Dad ein, ehe ich die Spitze des Stiftes auf das Papier setzen konnte. „Ehe sie unterschreibt, sollte sie sich das durchlesen.“

Ein genervtes Seufzen von Palmer erklang und ich hielt in der Bewegung inne.

„Das ist der Standardvertrag. Genau wie du wolltest“, erinnerte der Rechtsanwalt meinen Vater in einem barschen Ton. Es war kaum zu überhören, wie ungelegen ihm diese Verzögerung kam. „Unbefristete Anstellung. Zehn Tage bezahlten Urlaub. Fünfunddreißig Riesen im ersten, Siebenunddreißig im zweiten Jahr, dann eine Staffelung um jeweils dreitausend alle zwei Jahre, vorausgesetzt, sie verstößt nicht dagegen“, fasste Palmer die Kernpunkte des Vertrages zusammen und blätterte zu einer anderen Seite. Dort klopfte er mit dem Fingerknöchel auf einen Absatz, der fett hervorgehoben war. Ich lehnte mich nach vorn und erkannte, dass es darum ging, kein Wort von dem, was sich in der Zentrale der Razors abspielte, an Dritte weiterzugeben.

„Ich rate Ihnen dringend davon ab, diesen Paragrafen zu missachten, Ms. Smith“, schärfte er mir ein und der stechende Blick aus seinen braunen Augen sorgte dafür, dass ich mir klein und unzulänglich vorkam.

„Werde ich nicht“, brachte ich hervor und wünschte mir ein Loch im Boden herbei, als ich hörte, wie schrill und wackelig meine Stimme dabei gewesen war. Vermutlich klang ich wie eine miese Lügnerin, aber dieser Mann schüchterte mich enorm ein. Ich kam frisch von der Uni und war solche Raubtiere wie ihn einfach nicht gewohnt. Palmer Senior war der wohl gefürchtetste Anwalt in Boston und Umgebung. Dad hatte mir erzählt, sein Sohn stünde ihm in nichts nach und ich erlebte gerade hautnah, dass er damit vollkommen Recht hatte.

„Gut, denn ansonsten bekommen Sie es mit mir zu tun“, versprach er und grinste wölfisch.

„Lockere die Daumenschrauben ein wenig, Callum“, schaltete sich mein Dad ein und legte mir in einer beschützenden Geste eine Hand auf die Schulter. „Sie ist meine Tochter und wird uns in keiner Weise enttäuschen. Hab‘ ich recht, Lynnie?“

Ihn meinen Kosenamen hier vor dem furchteinflößenden Rechtsanwalt und Audrey aussprechen zu hören, ließ erneut Hitze in meine Wangen schießen.

„Natürlich hast du recht. Ich werde immer mein Bestes geben“, murmelte ich und setzte meine Unterschrift auf die markierten Zeilen.

Mein Vater strahlte über das ganze Gesicht, als ich Palmer den Füllfederhalter zurückgab. Der Anwalt verlor keine Zeit an Glückwünsche oder anderweitige Phrasen, sondern steckte den Stift in die Innentasche seines Sakkos und verstaute meinen Vertrag in seinem Koffer.

„Ich wollte nur, dass keine Missverständnisse aufkommen. Missverständnisse können sehr teuer werden. Falls Sie plappern, vor allem für Sie“, schlug er ein weiteres Mal in die Kerbe und zeigte mit einem Finger auf mich. Mein Kiefer klappte herab und ich verfluchte mich selbst, keine schlagkräftige Antwort parat zu haben. Vermutlich fielen mir heute Abend unter der Dusche wieder unzählige Erwiderungen ein, was natürlich viel zu spät war.

„Sie bekommen eine beglaubigte Kopie des Arbeitsvertrages von meiner Assistentin zugesandt, Ms. Smith. Laurence, wir müssen in der anderen Sache etwas Dingendes besprechen“, meinte Palmer, nahm seinen Aktenkoffer und richtete seine Krawatte, die meiner Meinung nach perfekt saß.

„Ich hoffe, du bringst positive Neuigkeiten“, brummte mein Dad, woraufhin Palmer selbstzufrieden grinste.

„Laurence, ich bitte dich“, entgegnete der Anwalt und hob tadelnd eine Augenbraue.

Mein Vater, der nach wie vor neben mir stand, lachte auf.

„Wieso frage ich überhaupt? Schließlich hast du uns nie enttäuscht.“

Daraufhin verschwanden die beiden Männer im Büro des General Managers und ich blieb mit Audrey allein.

Diese ließ sich mit einem Seufzen auf ihren Schreibtischstuhl sinken. „Er ist ein arroganter Bastard, aber man kann unmöglich abstreiten, dass er der absolut Beste ist. Und mal ehrlich. Er ist intelligent, erfolgreich und sieht auch noch gut aus. Hätte er dazu noch einen tollen Charakter, wäre das echt gruselig, nicht wahr?“, wandte sie sich an mich, nachdem sie ein Telefonat weggedrückt hatte.

Ich wusste nicht so recht, ob das ein Test war, daher zuckte ich nur mit den Schultern. „Er ist definitiv ein attraktiver Mann, nur leider nicht mein Typ“, gab ich diplomatisch zurück.

Die Assistentin meines Vaters lachte laut auf. „Gott bewahre! An meinen Will kommt ohnehin keiner ran“, erklärte sie und hielt mir ein gerahmtes Bild entgegen. Vorsichtig nahm ich es und betrachtete den Mann, der eine vor Glück strahlende Audrey umarmte. Die Sonne spiegelte sich in seiner Glatze und sein Lächeln entblößte eine Reihe weißer Zähne. Seine dunklen Augen waren von Lachfalten umgeben und ich konnte nur erahnen, was für eine erfüllte Beziehung die beiden führten.

„Ihr seht sehr glücklich aus.“

„Das sind wir auch. Wir sind seit fünfzehn Jahren verheiratet und ich …“ Das erneute Klingeln des Telefons unterbrach Audrey in ihrer Schwärmerei. „Da muss ich rangehen. Am besten machst du dich auf den Weg in deine Abteilung“, meinte sie und winkte mir zu, ehe sie den Anruf entgegennahm.

„Whyttner will neu verhandeln? Das war so nicht abgemacht!“, schaltete sie sofort vom fröhlichen Plaudermodus in den Geschäftsmodus und ich verließ das Büro, um meinen ersten Arbeitstag zu beginnen.

Als ich die Stufen zur Marketing- und PR-Abteilung hinabging, schickte ich ein kurzes Dankesgebet zum Himmel, dass ich davon verschont geblieben war, meinem One-Night-Stand an meinem Arbeitsplatz und im Beisein meines Vaters zu begegnen. Und ich betete, das möge künftig so bleiben. Mit wem auch immer ich Fotos gemacht hatte – ich besaß kein Interesse daran, dem Mann ein zweites Mal über den Weg zu laufen.

Kapitel 4

Die Stunden vergingen wie im Flug, während Erin, die dazu eingeteilt worden war, mich einzuarbeiten, mir die Grundlagen des PC-Systems erklärte und mir meine einzelnen Kollegen ein weiteres Mal vorstellte. Sie schienen alle sehr nett zu sein und da mich niemand auf meinen Dad ansprach, nahm ich an, dass ihnen meine Verwandtschaft zum General Manager des Teams entweder egal war, oder sie keine Verbindung zwischen uns herstellten. Smith war zum Glück ein Name, der häufig vorkam und ich hatte nicht vor, jeden darauf hinzuweisen, wessen Tochter ich war.

Kurz vor dem Feierabend traf eine Mitteilung von Dee ein, die sicherlich neugierig war, wie mir mein erster Tag gefallen hatte. Obwohl ich den leisen Signalton deutlich gehört hatte, zwang mich mein Pflichtbewusstsein dazu, die Nachricht zu ignorieren. Daher hörte ich Erin weiterhin aufmerksam zu, die gerade dabei war, mir einige abgelaufene und auch aktive Werbekampagnen zu zeigen, damit ich ein Gefühl dafür bekam, in welche Richtung unsere Aktionen gehen sollten.

„Wirst du erwartet?“, wollte sie wissen, deutete mit einer Kopfbewegung zu meiner Handtasche und sah über den Rand ihrer rahmenlosen Brille zu mir auf.

„Nein, alles gut“, versicherte ich ihr und wir erschraken beide, als plötzlich Tom, unser Abteilungsleiter, hinter uns auftauchte. Er war ein schlaksiger, eher unauffälliger Typ, aber ich hatte Respekt vor der Intelligenz, die ich in seinen Augen zu erkennen glaubte.

„Lynn, hast du einen Moment?“, fragte er und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte.

„Klar“, erwiderte ich, stand auf und folgte ihm in sein Büro, einen mit Glas abgegrenzten Bereich in einer Ecke des Raumes.

Tom schloss die Tür, nahm auf seinem Schreibtischstuhl Platz und zeigte auf den modernen Ledersessel, der sich ihm gegenüber befand. Ich setzte mich und beobachtete meinen Chef dabei, wie er sich in einer gedankenverloren wirkenden Geste sein zerzaustes braunes Haar aus der Stirn strich und begann, in dem Papierchaos, das auf seinem Tisch herrschte, nach etwas zu suchen. Nach einer Minute zog er ein Schreiben hervor, das mir vage bekannt vorkam.

Es war meine Bewerbung um eine Stelle in der Marketing-Abteilung.

„Nun, Lynn“, murmelte er, ohne den Blick zu heben. „Deine Noten haben mich wirklich beeindruckt. Du scheinst eine echte Überfliegerin zu sein.“

Jetzt sah er doch auf und im ersten Augenblick konnte ich nicht mit Gewissheit sagen, ob er nicht einen Anflug von Sarkasmus in seinem Lob versteckte. Vermutlich hatte er Schwierigkeiten, das Klischee des dummen Blondchens auszuklammern, aber ich würde ihm schon beweisen, dass ich mehr konnte, als hübsch auszusehen.

„Danke“, erwiderte ich daher und lächelte zaghaft.

Tom legte meine Bewerbung wieder zur Seite, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und betrachtete mich. Mit jeder Sekunde, die verstrich, fühlte ich mich unwohler, deswegen beschloss ich, das Gleiche bei ihm zu tun. Ich musterte ihn.

---ENDE DER LESEPROBE---