Statt einsam gemeinsam - Christiane Hastrich - E-Book

Statt einsam gemeinsam E-Book

Christiane Hastrich

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Beschreibung

Das Älterwerden neu erfinden! Sie sind Pioniere in eine ungewisse Alterszukunft – die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge. Ab 2030 wird Wohnraum ein Problem für uns sein. Dann wird es spannend, denn wir werden das Älterwerden neu erfinden müssen. Für dieses Buch haben die Journalistinnen Hastrich und Lueg vieles selbst ausprobiert: Alters-WG. Tiny House. Dauercamping. Mehrgenerationenhaus. Auswandern. Altenheim. Öko-Bauernhof. Und sich die Fragen gestellt: Welche Lebensform streben wir für später an? Welche passt zu uns? Was wird uns später wirklich glücklich machen? Was wird uns wichtig sein? Mit persönlichem Erfahrungsbericht, Experteninterviews und Faktenchecks. »Sie fragen Menschen, Experten und ganz Normale, die von den Vor-und Nachteilen erzählen. Das ist kein bisschen spröde oder langweilig. Im Gegenteil: ein Vergnügen, weil voller Lust, voller Lebenslust!«Christine Westermann 

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Seitenzahl: 272

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Das Buch

Wie wollen wir im Alter leben? Welche Lebensform passt zu uns? Diese Fragen stellen sich die Journalistinnen Christiane Hastrich und Barbara Lueg und testen die Möglichkeiten kurzerhand selber aus. Sie legen sich ins Tinyhouse, bauen ihr Zelt bei den Dauercampern auf, nehmen sich ein Zimmer in der Seniorenresidenz und besuchen ein Mehrgenerationenhaus. Auf der Suche danach, was uns im Alter glücklich macht, haben sie Interviews geführt, Experten befragt und Vor- und Nachteile der Alternativen im ehrlichen Selbstversuch gegeneinander abgewogen. Eine inspirierende Entdeckungsreise in eine neue Lebensphase, die uns alle erwartet.

Die Autorinnen

CHRISTIANE HASTRICH, geboren 1965 im Rheinland, studierte Japanologie und Personalmanagement und arbeitet als Fernsehredakteurin im aktuellen Nachrichtengeschäft. Als Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und langjährige Stiefmutter von drei Patchwork-Kindern hat sie sich nächtelang Zukunfts- und Altersmodelle ausgemalt und findet, jetzt ist Zeit zum Handeln.

BARBARA LUEG, geboren 1965, ebenfalls aus dem Rheinland, studierte Kunstgeschichte und Politik und arbeitet als Fernsehreporterin für aktuelle Nachrichten und längere Dokumentationsformate. Sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern, wohnt in München mit ihrer Lebensgefährtin und rätselt schon länger, wo ihr Platz im Alter sein könnte. Das erste gemeinsame Buch der beiden

Besuchen Sie uns im Internet:

www.eisele-verlag.de

ISBN 978-3-96161-113-3

© 2021 Julia Eisele Verlags GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über die Autorinnen
Impressum
Titel
Vorwort
Selbstversuch Alters-WG
Nachgefragt bei … Henning Scherf
Faktencheck Alters-WG
Experten-Interview mit Professor Martin Halle
Selbstversuch Tinyhouse
Nachgefragt bei … Susanna
Faktencheck Tinyhouse
Nachgefragt bei … Eva
Nachgefragt bei … Eva
Selbstversuch Bauernhof-WG
Nachgefragt bei … Udo
Nachgefragt bei … Martin
Nachgefragt bei … Guido
Faktencheck Bauernhof-WG
Nachgefragt bei … Liesl
Nachgefragt bei … Werner
Selbstversuch Campingplatz
Nachgefragt bei … Sonja und Sigurd
Faktencheck Campingplatz
Nachgefragt bei … Bea
Nachgefragt bei … Iris
Selbstversuch Ausland, Ökodorf in der Schweiz – oder ab nach Thailand?
Nachgefragt bei … René
Nachgefragt bei … Maria
Experten-Interview mit Cornelius Steger
Faktencheck Auswandern
Nachgefragt bei … Ursula
Nachgefragt bei … Sigurd
Nachgefragt bei … Stefanie
Nachgefragt bei … Hannelore
Selbstversuch "Sich neu erfinden"
Nachgefragt bei … Maya
Faktencheck »Sich neu erfinden«
Nachgefragt bei … Thomas
Nachgefragt bei … Anette
Selbstversuch Mehrgenerationenhaus
Nachgefragt bei … Josef
Nachgefragt bei … Christa
Nachgefragt bei … Andrea Müller
Faktencheck Mehrgenerationenhaus
Experten-Interview mit Prof. Manfred Spitzer
Selbstversuch Seniorenresidenz Bad Füssing
Nachgefragt bei … Alfred
Nachgefragt bei … Gerda
Nachgefragt bei … Ingeborg
Nachgefragt bei … Elisabeth
Nachgefragt bei … Waltraud
Nachgefragt bei … Leni
Faktencheck Seniorenresidenz
Nachwort
Quellennachweis
Danksagung
Empfehlungen

VORWORT

»Still crazy after all these years …«

Paul Simon

Wir stellen uns das Ganze in etwa so vor: Tief einatmend und die Flügel weit ausgebreitet segeln wir mit enormer Spannweite durch die Leichtigkeit des Seins, getragen von all jenen schönen und schrecklichen, glücklichen und traurigen Augenblicken des Lebens, die uns bis hierher gebracht haben – ins Älterwerden. Manche Momente lassen wir in ihrer Wirrnis hinter uns, andere ragen wie Leuchttürme empor und werfen ihre hellen Strahlen auf unsere Zukunft. Der Rückenwind ist erhebend und das Gefühl erstaunlich gut.

Mag sein, dass dieses Bild etwas kitschig ist, aber es ist vor allem eines: verheißungsvoll. Denn hier, in diesem Moment, beginnt eben mitnichten unsere Restlaufzeit, sondern vielmehr unsere After-Show-Party. Konfetti statt Resterampe. In unserem letzten Drittel holen wir herrlich tief Luft und schöpfen aus dem Vollen. In den kommenden fünfzehn Jahren gehen ab sofort jährlich eine Million von uns »neuen Alten« in Rente. Und wir werden anders leben und wohnen als alle Generationen zuvor.

Was gerade passiert? Unsere Lebens-Revue läutet mit sanftem Trommelwirbel ihr großes Auftaktfinale ein. Und der Ernst des Lebens weicht federleichten Perspektiven. Fakt ist: Unser letztes Lebensdrittel beginnt gerade. Und wir machen uns Gedanken, wo unser Platz sein wird.

Wenn wir darüber nachdenken, wie wir später wohnen wollen, dann geht es auch um unser Selbstverständnis, unser Lebensgefühl, das darin gedeiht. Wie wir im Alter wohnen werden, erzählt viel über den Glutkern unserer Generation, über die Art, wie wir aufwuchsen, über das, was uns antrieb und heute umtreibt. Und vor allem spiegelt es eine grundlegende Veränderung, die unser Älterwerden mit sich bringt. Denn wir werden den Lebensbogen um eine weitere aktive und bunte Lebensphase ergänzen.

Geboren 1965 gehören wir Autorinnen zu den späten Babyboomern. Eine Unmenge an Babys kam damals in Deutschland auf die Welt, ganze Heerscharen brüllten um die Wette. Die geburtenstarken Jahrgänge. Wir haben Kindergärten, Klassenzimmer und Hörsäle bis an den Rand geflutet und elterliche Toleranzen über die Schwelle getrieben. Wie waren einfach immer und überall viele, oft zu viele. Bis der Pillenknick kam. Da wurde es dann ruhiger in der Welt.

Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente ziehen, wird Wohnraum ihr größtes Problem sein. Das ist sicher. Ab 2030 wird jeder Jahrgang, der in Rente geht, doppelt so stark sein wie der der nachrückenden Berufseinsteiger. Was bedeutet das für unser Leben im Alter? Welche neuen Wohnformen lassen sich für uns viele finden?

Hier ist unsere Kreativität, unsere Initiative gefragt. Undenkbar, uns erschöpft aufs Sofa sinken zu lassen. Im Gegenteil: Wir stemmen uns gemeinsam und hellwach gegen die große Müdigkeit und wollen in dieser Phase lieber fiebrig neues Terrain erkunden. Einen flirrenden Platz, der aus der Reihe tanzt und zu uns passt. Ein leichtes, federndes Dach über unseren Köpfen und Herzen. Wir wollen nicht nur den großen Zeh ins Wasser tunken. Nein, wir werden in eine Lebenszeit tauchen und dort noch unbewohntes Land erobern.Auf der Suche nach Weite, Zuversicht, Gemeinschaft. Ob wir wollen oder nicht – wir werden die Trendsetter für ein neues Älterwerden sein, wir werden uns neu erfinden.

So vieles ist anders als in der Generation vor uns. Wir müssen umdenken. Wir sind Pioniere in eine ungewisse Alterszukunft, ziehen die Anker ein und spüren den frischen Wind in den Segeln. Was da gerade stattfindet, ist eine Art Biotopwechsel. Und wirklich spannend, denn wir werden in neuen Gemeinschaften zusammenfinden.

Warum? Weil sich die Bedingungen, Bedürfnisse und Lebensverhältnisse grundsätzlich verändert haben. Generationenverträge gelten nicht mehr, sie sind schlichtweg nicht mehr vorgesehen. Kinder – wenn vorhanden – wurden großherzig für die weite Welt erzogen. Und weg waren sie. Aber, ganz ehrlich: Abhängigkeiten wollten wir sowieso nie. Und Kinder als selbstverständliche Pflegekräfte schon gar nicht, oder?

Mit der Altersvorsorge haben es viele von uns auch nicht so genau genommen. Na ja. Ein Riester-Versuch für das gute Gewissen vielleicht, eine kleine Lebensversicherung. Eventuelle Erbschaften? Schön und gut. Doch damit ist es in den meisten Fällen nicht getan. Altwerden kostet Geld, die Rentenansprüche sind gering. Aber dennoch stehen wir so gut da wie keine Generation vor uns. Wir sind gesünder, gebildeter und unsere Lebenserwartung ist gemeinhin hoch. Und wenn uns Krankheit in dieser Phase doch früher trifft, gibt es Wohnformen, in denen wir damit nicht alleine sind.

Die große Frage verbindet uns deshalb alle: Wie wollen wir im Alter leben? In welche Art von Nest oder Gemeinschaft führt uns unsere Rente, die vielleicht weniger gestattet, als wir uns wünschen? Oder wenn sie für ein Leben ausreicht – ist es die Lebensform, die wir anstreben? Die zu uns passt? Was wird uns wirklich glücklich machen? Worauf wird es unserer Generation, die von Anfang an um Unabhängigkeit und Freiheit gefochten hat, wirklich ankommen? Wir wollten ein anderes Leben als das unserer Mütter; eines, das uns staunen lässt. Wir wollten uns austoben, den Rausch, das Fieber, Freiheit, berufliche Selbständigkeit, finanzielle Unabhängigkeit, Geborgenheit, Liebe. All das.

Wir waren mutig, sind Risiken eingegangen. Und wurden oft dafür belohnt. Aber wie zimmern und modellieren wir uns nun unser Alter zurecht? Und vermeiden auch in dieser Lebensphase eine gänzlich festgelegte Choreographie? Was ist es, dass unser Leben dann wertvoll gestaltet? Von wo kommen Inspiration, Austausch und Freude, nach der wir uns genauso sehnen werden wie heute? Von der nächsten Generation? Von Freunden? Aus Büchern, Theatern, Strandspaziergängen oder weiten Feldern auf dem Land? Auf jeden Fall wollen wir im Alter nach wie vor die Welt anfassen, wollen das Leben spüren. Unseren Alltag mit Kunststücken verzieren, kleinen Momenten Glanz verleihen. Feiern. Auch das Älterwerden. Die Zeit zwischen 55 und 85 ist genauso lang wie die zwischen 25 und 55. Aber ab 55, so empfinden wir es heute, schwindet die Schwere des Seins, alles wird leichtfüßiger. Und das ist wunderbar.

Wir müssen, wir wollen für uns selbst sorgen. Mit all der Selbstbestimmung, die sich unsere Generation in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft hat. Wer also sollte sich darum Gedanken machen und Lösungen finden, wenn nicht wir? Wer ratlos ist und keine Antwort weiß, bemüht allzu gern das Schicksal. Aber das wollen wir nicht. Wollten wir nie.

Deshalb haben wir für uns alle schon mal vorgefühlt. Ausgetestet. Versucht. Geschnuppert. Wir wollen mit diesem Buch ein Bouquet an Möglichkeiten zeigen. Viele Wohn- und Lebensmodelle, die in diesem Lebensabschnitt möglich sind, haben wir selbst ausprobiert. Für Sie. Für Euch. Und für uns. Alters-WG? Tinyhouse? Dauercamping? Mehrgenerationenhaus? Ökodorf? Oder ab ins Ausland? Dies alles sind Möglichkeiten und Alternativen zu Singlewohnung, Seniorenheim und Ratlosigkeit.

Wir waren überall, haben uns Zeit genommen und probegelebt, sind an alle Orte gereist, haben mit Betroffenen gesprochenen, ihre Erfahrungen gehört und zu Erkenntnissen gebündelt. Nach allem, was wir für dieses Buch gesehen, gehört, erfahren und getestet haben, bleibt eine große Zuversicht: Unser Älterwerden könnte grandios werden. Vielleicht die schönste After-Show-Party, die es je gab – befeuert und getragen vom vertrauten Soundtrack unseres Lebens, der noch immer aus jeder Party das Beste hervorgeholt hat.

»Strike another match, go start anew.«

Bob Dylan

Selbstversuch Alters-WG

Jahr für Jahr – immer wieder auf den gleichen alten Pfaden unterwegs…

Teilen tröstet. Teilen schont Ressourcen. Teilen macht stark. Wenn wir über Alters-WGs sprechen, sprechen wir auch über Freundschaft. Über echte Freundschaft.

»Year after yearRunning over the same old groundWhat have we found?The same old fearsWish you were here.«

Pink Floyd

Ein grandioser Song, den Pink Floyd da schrieb. Eine Hymne an Syd Barrett, Gründungsmitglied der Band. Acht der elf Lieder auf dem 1967er Debütalbum ›The Piper At The Gates Of Dawn‹ stammen von ihm, er war ein Genie und Exzentriker. Syd gab Pink Floyd einen eigenen Stil. Doch er war ohne Maß. Nicht zu bändigen. Extrem. Und rauschanfällig. Die Drogen brachten ihn an den Rand der Zurechnungsfähigkeit. Syd musste die Band verlassen. ›Wish you were here‹ verbeugt sich vor ihm, dem alten Gefährten, besingt seine tragische Abkehr vom Leben. Genauso wie später der Song ›Shine on you crazy diamond‹. Beide Lieder sind wohl auch eine Hymne an die Freundschaft, an gemeinsame Wurzeln, an ewige Nähe.

Wir sind in Bremen und denken an dieses Lied, das unsere Jugend prägte. Auch so ein Song, der zum Lebensbegleiter wurde. Nie erloschen. Immer wieder da.

Es ist ein strahlender Tag. Die Holzbretter der Bank, auf der wir sitzen, sind von der Sonne gewärmt. Der Himmel blau und wolkenlos. Wir schweigen und beobachten die tanzenden Lichter im Wasser. Enten durchkreuzen das Glitzern. Auf der Wiese neben dem Teich umarmen sich verliebte Paare. Ein Fahrradfahrer fährt pfeifend an uns vorbei. Ab und an summt eine Biene über den Himbeerkörbchen auf unserem Schoss, wie eine fröhliche Verheißung, die sich über diesen Tag spannt. Ein Bild wie aus einem dieser Kinder-Wimmelbücher. Ein Sommertag in der Stadt. Idylle im Park. Doch es ist eine Szene im echten Leben.

Wir essen schweigend. Übereinstimmend. Eine dicke, sonnendurchtränkte Himbeere nach der anderen. Es ist ein nachdenklicher Moment, der uns in dieser Kulisse nach unserem Besuch bei Henning Scherf so leise grübeln lässt über das, was Freundschaft für uns bedeutet. Darüber, was sie ist in unseren Leben. So wichtig. So existentiell. So erfüllend. So glücklich machend. Und wie unendlich oft in der Vergangenheit – das rettende Ufer.

Lange haben wir mit Henning Scherf, dem ehemaligen Bürgermeister Bremens, gesprochen. Er hat uns alles gezeigt und sehr viel erzählt über die Geschichte ihrer Hausgemeinschaft, ihrer Alters-WG inmitten der Stadt, die nun seit 30 Jahren währt. Eine spannende, inspirierende Geschichte für uns.

Mit 50 beschlossen er und seine Frau mit weiteren acht Freunden gemeinsam alt zu werden. Lange suchten sie nach einem geeigneten Platz, denn alle wollten in der Stadt bleiben. Möglichst zentrumsnah. Drei Jahre hat es gedauert, bis sie in einer mäßig schönen Gegend nahe Bremens Bahnhof ein überbordend schönes Haus fanden. Henning Scherf will das Haus damals begeistert in eine große Wohngemeinschaft umbauen lassen. Mit gemeinsamer Küche für alle. Doch die anderen Mitstreiter sind strikt dagegen, weil sie Alltagsfriktionen befürchten. Kleinmist, der ihren Plan ausgehebelt hätte.

Also bekam jede Partei ihre eigene Wohnung, die umgehend altersgerecht und barrierefrei ausgebaut und eigens bezahlt wurde. Den Aufzugschacht für den späteren Fahrstuhl bedachten sie gemeinsam gleich mit. Henning Scherf und seine Frau Luise leben im ersten Stock. Eine große Wohnung mit großer Terrasse, die hinten in den gemeinsamen Garten blickt. Unten wohnt Manfred, ewiger Junggeselle, der neulich einen schweren Reitunfall hatte und seither nur eingeschränkt mobil ist. Doch einsam wird er hier nicht. Immer wieder schneit jemand vorbei. Oben links lebt der pensionierte Pastor, Witwer, der sich nun neu verliebt hat in die ebenfalls verwitwete Tante eines jungen Paares, das inzwischen auch hier wohnt und das er getraut hat. Links oben leben Günther und Simone und im ausgebauten Dachgeschoss Klaus und Cordula. Sie ist pensionierte Lehrerin, er ehemaliger Betriebsarzt. Auch sie beide gehören zu den Mitbegründern der Alters-WG. Ein bunter Haufen. Vertraut wie eh und je. Henning Scherf blickt nach oben und grinst. »Da steht er ja«, erzählt er uns und winkt. Günther winkt zurück. »Alles klar?«, ruft Scherf hinauf ins Dachgeschoss. »Ja, alles bestens«, brüllt Günther zu uns hinab. Man spürt das enge Band. Die Fürsorge füreinander.

Zwei Mitbegründer von damals sind in den vergangenen Jahren verstorben. Gepflegt wurden sie von den anderen im Haus. Von ihren Freunden. Henning Scherfs Stimme wird brüchig, als er uns davon erzählt. »Unsere Freundin wollte nicht sterben«, sagt er. »Sie war neidisch oder sauer auf uns, die wir immer noch lebendig und gesund herumliefen und in unserer Gemeinschaft bleiben konnten.« Henning Scherf wird ernst und schweigt. Mehr erzählt er nicht, geht ja niemanden etwas an. Tatsache ist: Er und seine Freunde haben die beiden gemeinsam in den Tod begleitet. »Denn das sollte niemand«, sagt Scherf. »Alleine sterben.«

Die Trauer der Bewohner, die übrig blieben, hat inzwischen eine Kruste bekommen. Es bleibt ein fernes Grollen, doch die Schwermut hat sich gelegt. Und in Gedanken, in den Geschichten ihrer langen Lebensgemeinschaft, die sie sich heute immer wieder gern erzählen, blieben die beiden Teil der WG. Die große Holzplatte des verstorbenen Freundes hat nun ihren Platz in Henning Scherfs Wohnung gefunden. »Hier hat er früher seine Elektroeisenbahn drauf fahren lassen. Jetzt ist das mein Arbeitstisch«, erzählt Scherf. Es scheint so wenig, aber am Ende ist es so viel. Wahre Freundschaft hat eine liebende Kraft.

»Nobody knows where you are, how near or how far.Shine on you crazy diamond.Pile on many more layers and I’ll be joining you there.Shine on you crazy diamond.«

Pink Floyd

Das Dach, das sie alle einst über sich spannten, hat Bestand. Seit 30 Jahren. Am Ende. Und im Leben. Im Alltag. Die Gemeinschaft funktioniert. Auch ohne gemeinsame Küche, ohne Gemeinschaftsraum. Vielleicht sogar besser. Ihre Wohnungen sind offen für jeden, aber Privatsphäre wird von allen respektiert. Einmal wöchentlich laden sie sich gegenseitig ein, kochen, reden, sind zusammen. Schwere Themen haben sie nie ausgespart. Und die Wahrheit sagen sie sich auch. Wer nicht die Wahrheit sagt, baut Wälle auf. Das haben sie beherzigt. Wenn es Konflikte gibt, besprechen sich alle. Eine Lösung haben sie so noch immer gefunden. Ohne Mediator. Wie gesagt: Seit 30 Jahren geht das so.

Erkenntnisse des Tages

• Wenn es zu Ende ist, tut es gut, an den Moment des Anfangs zu denken.

• Wir sollten immer wieder überprüfen, wie wir gerade leben.

Mit ihrer Alters-WG waren Henning Scherf und seine Freunde damals Vorreiter einer Entwicklung, die heute in unserer Generation überall in der Luft schwebt. Denn die Idee ist toll: als Paar oder alleine mit Freunden gemeinsam ins Alter zu gehen. Eine schöne Vorstellung. Denn jeder braucht doch einen Halt in der Welt, und im Alter ganz besonders. Das können Menschen sein, eine Mission, ein Ort, eine Berufung, ein Glaube.

Wir persönlich würden immer die Menschen wählen. Auch wenn es manchmal ja so eine Sache sein kann mit den Freunden im Laufe der Jahrzehnte. Manche fallen aus unserem Alltag und verblassen zu flüchtigen Silhouetten, an die man sich nur noch unter großer Anstrengung erinnert. Dabei waren sie mal ganz nah und wichtig. Mit anderen hat man den Streit von einst nie so richtig überwunden. Wieder andere sind aus unerfindlichen Gründen verschwunden.

Dabei begannen Freundschaften früher in unseren Kindestagen mit großem Ernst und Pathos. Unsere Verehrung für Winnetou und Old Shatterhand beispielsweise, ihre so reale Blutsbrüderschaft war damals unerschütterlich und heilig. Wie haben wir diese Verbindung geliebt! Ein Freund, für den man im Zweifel sein Leben gibt, so dachten wir jedenfalls. Und dann haben wir uns mit unserer jeweils besten Freundin unter so mancher Tanne im Wald in die Hand geritzt und unser Blut auf ewig vermischt. Doch spätestens als sich jene vermeintlich beste Freundin dann später genau in den Menschen verknallte, für den auch wir selbst schwärmten, war es vorbei mit dem Zauber. Von wegen Leben geben. Sicher nicht für die doofe Gans.

Manche dieser vielbeschworenen Blutsbrüder und -schwestern hat man nie wiedergesehen. Aber andere – die gibt es noch. Diese Schatten von damals trifft man zuweilen bei 30- oder 40-Jahre-Abiturtreffen in der alten Heimat. Dann haben die Jungs von damals keine Haare mehr und die Mädchen ganz schön zugelegt. Aber manche leuchten in alter Stärke hervor, weil der Charme, der Witz, der Schalk von damals immer noch derselbe ist. Dies sind für uns die schönsten Momente, wenn wir erkennen, dass nicht jeder Mensch nach 30 oder 40 Jahren ein anderer ist. Und mit ein bisschen Glück begleiten uns diese Menschen durch ein ganzes Leben, während andere sich hinzugesellen. Lebensmenschen. Sie hüten unsere Geheimnisse. Mit ihnen würde man gerne alt werden. Sie kennen uns. Und wir sie. Es macht glücklich, sich mit solchen Menschen zu verbinden.

Die Fragen, die sich uns nun stellen, lauten: Mit wem könnten wir uns eine Alters-WG vorstellen? Und könnten sie sich das umgekehrt auch mit uns? Würde eine große Wohnung funktionieren, in der jeder nur ein Zimmer hätte? Oder müsste man nach Wohnungen im selben Haus suchen? Oder gleich ein ganzes Haus kaufen? Und wenn ja, hätten alle genug Geld, um sich daran ernsthaft zu beteiligen? Und würden sie das am Ende auch?

Eine Alters-WG zu planen, darüber zu reden, auf Partys herumzuspinnen, ist einfach, aber wenn es konkret wird? Hat man dann verlässliche Menschen um sich herum, die tatsächlich mitziehen?

Immerhin: Unsere Generation hat viel Erfahrung mit Studentenwohnheimen und WGs, so mancher von uns hat an die zwanzig Jahre in solchen Gemeinschaften verlebt. Erst waren da neun Semester Soziologie, vielleicht zwölf Semester Kunstgeschichte im Anschluss. Schließlich irgendwann der Magister, um danach zu überlegen, ob es wirklich das richtige war. Nicht wenigen von uns erging es so.

Jedenfalls war die WG lange unser Zuhause. Ein Zimmer mit Ikea-Matratze auf dem Boden, der Schreibtisch vom Sperrmüll, ein Mini-Fernseher, ein Regal, lange und lustige Abende in der Gemeinschaftsküche, Putzpläne, die nie befolgt wurden. Schlecht war das nicht.

Aus diesem Gefühl heraus brachen wir ins Leben auf. Und wer weiß – vielleicht kehren wir nun wieder zurück in dieses Gefühl. Der Gedanke ist nicht übel.

Erkenntnisse des Tages

• Manche Menschen drehen unsere Welt zur Sonne.

• Während man lebt, weiß man oft gar nicht, welche Zeiten im Rückblick die schönsten gewesen sein werden.

Im Treppenhaus zeigt uns Henning Scherf eine kleine Magnettafel, auf der oben alle Wochentage stehen. Jeder Hausbewohner hat einen eigenen Magnetknopf und schiebt diesen auf den aktuellen Wochentag, an dem er zu Hause ist. Wenn Manfred oder jemand anderes also verreist sind, wissen die anderen, wann er wieder zu Hause sein müsste. So passen sie auf sich auf, ohne sich gegenseitig privat zu sehr zu bedrängen. Das Prinzip funktioniert seit 30 Jahren.

Wir schlendern mit Henning Scherf durch den Garten. Im Sommer sitzen sie oft hier. Manchmal trinken sie Whiskey. Oder essen Salat. Wer mag, setzt sich dazu. Ein großer Tisch steht auf der Terrasse, der obligatorische Grill, fette Hortensien blühen überall. Alles ist gepflegt. Einladend. Bewohnt. Für die zahlreichen Enkel, die es inzwischen gibt, steht eine Schaukel auf der Wiese. Eine Oase mitten in der Stadt. Es duftet nach Blumen. Und schönem geselligen Leben. Henning Scherf wirkt fröhlich, erfüllt von diesem Konzept. Das Haus strahlt Wärme aus. Lebendigkeit. Alte Freunde unter einem Dach machen offensichtlich glücklich und halten einander jung.

Viel Zeit hat Henning Scherf nicht mehr für uns an diesem Tag. Luise, seine Frau, faltet oben auf der Terrasse die Wäsche zusammen und mahnt zur Eile. Ein Blick zu Henning Scherf genügt, die beiden sind seit 60 Jahren verheiratet. Heute Abend radeln sie gemeinsam mit ihren E-Bikes ins Konzert, und Henning muss sich noch umziehen.

Und so sitzen wir da an diesem Sommertag auf der warmen Bank in Bremen und essen schweigend unsere Himbeeren – wohl ein bisschen neidisch auf das, was Henning Scherf und seine Freunde da für sich geschaffen haben. Keiner von ihnen hat die Entscheidung jemals bereut.

– Henning Scherf –

82 Jahre, seit 60 Jahren verheiratet, 3 erwachsene Kinder, 9 Enkelkinder

Wie kamen Sie auf die Idee der Wohngemeinschaft?

Wenn es eng wird, dann muss man sich zusammentun, das habe ich schon früh im Leben gelernt, noch aus dem Krieg. Ich habe schon immer mit vielen Menschen in Wohngemeinschaften gewohnt. Auch in jungen Jahren, als meine Frau schwanger war, haben wir in Hamburg als Studenten eine Wohngemeinschaft aufgemacht. Das hat gut funktioniert und war eine tolle Erfahrung. Später, nach dem Studium haben wir mit sechs Familien bereits ein Haus bewohnt und uns gegenseitig unterstützt im Alltag und bei der Kinderbetreuung. Das waren alles Vorstufen und Erfahrungen, noch in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Als dann unsere drei Kinder aus dem Haus waren, da waren wir Ende 40, da haben wir überlegt, dass wir Lebens- und Wohnraum entwickeln möchten, etwas, wo wir sein können bis zum Ende. Dann haben wir drei Jahre immer wieder mit Freunden diskutiert und nach einem geeigneten Objekt gesucht, schließlich 1987 dieses Haus hier mit zehn Leuten gemeinsam gekauft und ein Jahr lang umgebaut. Jede Familie bzw. jedes Paar hat eine abgeschlossene Wohnung, aber die Türen stehen immer offen – den Garten und die Terrasse, die teilen wir uns. Anfangs waren wir alle gleich alt, dann sind aber sukzessive auch Jüngere eingezogen.

Wo liegt der Vorteil dieser Wohnform?

Ich glaube, das größte Problem im Alter ist die Einsamkeit. Das ist schwer, ja grauenhaft, und manche werden depressiv, sogar paranoid. Einsamkeit verstärkt die Demenz oder provoziert sie, glaube ich. Sich rechtzeitig Menschen zu suchen, mit denen man gemeinsam alt werden kann, ist wichtig: gemeinsam lesen, gemeinsam Musik machen, gemeinsam vielleicht auch Enkelkinder aufziehen, gemeinsam etwas auf die Beine stellen, reden und diskutieren! Wir inspirieren und motivieren uns hier gegenseitig. All das sind kleine Bausteine, die uns helfen, nicht einsam, nicht verwirrt zu sein, sondern zu sagen: Mensch, ich kann ja noch was!

Hat das Leben in der Gemeinschaft auch körperliche Auswirkungen bei Ihnen?

Ich schlafe herrlich, viele andere in meinem Alter haben ja Schlafprobleme. Ich unternehme viel, fordere mich heraus und lasse mich durch die anderen anregen. Auch körperlich, wir laufen und wandern und sind auch immer wieder mit Enkelkindern unterwegs. Das hält mich fit, und dadurch bin wunderbar erschöpft manchmal. Davon abgesehen lese ich auch viel – mein Geist ist munter und angeregt.

Worin bestehen die Herausforderungen, wenn man in einer solchen Gemeinschaft lebt?

Die Wohnszene ist ja bunt gemischt, da hilft es, sich andere Gemeinschaften und Wohnprojekte anzuschauen und aus deren Fehlern zu lernen. Zehn Prozent von ihnen scheitern. Manche, weil sie nicht gut streiten können, sich nicht ausbalancieren können, andere weil sie sich finanziell übernommen haben, oder auch weil Beziehungen zerbrechen. Es ist nicht alles perfekt, aber wenn man vergleicht, wie häufig Wohnprojekte scheitern oder Ehen zerbrechen, dann läuft das mit den Wohnprojekten weit besser. Ob auf dem Land oder in der Stadt, ob Ökogemeinschaften oder religiöse oder kulturelle Projekte, es gibt alles, und so soll es sein – man muss ausprobieren, was funktioniert für einen und was man will.

Gibt es Regeln, an die man sich halten sollte?

Wir haben uns für Etageneigentum entschieden, wir sind also alle Eigentümer unserer Wohnung. Diese Organisationsform ist für uns gut, so ist jeder autark. Darum gibt es schon mal keinen Streit ums Geld. Da bedarf es einer guten Rechtsform.

Jeder kann so sein, wie er will, und das beisteuern, was er am besten kann.

Wir sind der Meinung, nichts soll zu formalisiert sein. Wir versuchen, uns möglichst an keine starren Regeln oder Formen zu halten, sondern immer neu zu diskutieren und zu reden. Wir sind flexibel und kreativ und suchen immer wieder nach Ideen und Lösungen. Jeder denkt sich seine Rolle stets neu aus, überlegt, wo kann ich mit anfassen, was kann ich zur Gemeinschaft beisteuern?

Manfred zum Bespiel hatte einen Reitunfall, und er kann nicht gut laufen, schon seit einem Jahr. Jetzt geht immer ein anderer mal für ihn einkaufen, dafür passt er hier auf. Er ist der erste, der aufsteht, und er versorgt die Mülleimer. Er schaut, dass immer alles gut gefegt ist. Er hat alles im Blick im Haus.

Ich habe immer gedacht, ich wäre der Richtige, um den Garten anzulegen und zu pflegen. Das ist natürlich Quatsch, früher musste ich mich ja noch um Regierungsgeschäfte kümmern und hatte überhaupt keine Zeit, und offen gestanden auch keine Ahnung von Gartenarbeit. Das habe ich dann schon gemerkt.

Gab es denn auch Schieflagen, Konflikte oder schwierige Erlebnisse?

Wir sind bisher ohne Supervision ausgekommen. Es klappt gut. Aber man kann sich auch Hilfe holen und gruppendynamische Prozesse beobachten und sich bei Konflikten helfen lassen.

Bereits drei Bewohner sind hier gestorben, eine Freundin und kurz drauf dann ihr ältester Sohn. Den Sterbeprozess konnten wir intensiv begleiten, das war für uns alle gut, und die Sterbenden waren nie alleine. Wir sind in dieser Zeit nochmal enger zusammengewachsen, und die Freundin des Sohns ist nach dessen Tod hier eingezogen. Der dritte Todesfall kam für uns wie ein Schock, von jetzt auf gleich. Unser Freund und Mitbewohner, der Priester, ist Heiligabend nach dem Abendessen mit Fisch und gutem Wein einfach tot umgefallen. Wir hatten gesungen und alle waren fröhlich. Und als er satt war, alles gut war, ist ihm eine Ader im Kopf geplatzt. Für ihn war das schön, weil er keine Pflegenot hatte, keine Pflegelast war, aber wir hier haben lange an dem Erlebnis gearbeitet und sind eigentlich immer noch dabei es zu verarbeiten. Der Priester wohnte letztendlich nur zwei Jahre hier, aber wir hatten uns lange gewünscht, dass er einzieht und es war ein ganz lieber Freund.

Wenn eine Wohnung frei wird, dann überlegen wir alle lange, wer hier hineinpasst, erst jeder für sich und dann in der Gruppe. Danach fragen wir gezielt bei möglichen Kandidaten an und überreden die geeigneten Personen möglicherweise auch. Die Entscheidung über ein neues Hausmitglied muss einstimmig fallen. Der Findungsprozess dauert. Da muss man sehr geduldig und einfühlsam sein, genau hingucken. Möglichst sollte auch kein Fremder einziehen, irgendwie sollte die Person schon vorher bekannt sein.

Sie säen hier etwas, was leben Sie anderen vor?

Unsere Kinder und Enkel sind oft hier und begeistert von der Wohnform und überlegen, wie sie das für sich fortführen können, in ihrem Leben. In der Gesellschaft gibt es ja immer weniger Leute, die pflegen, und das verschärft sich in Zukunft weiter durch die Bevölkerungsentwicklung. Da ist absehbar, dass wir in eine Pflegenotstandsituation rutschen. Heime sind überlastet, es braucht Alternativen. Ich zum Beispiel möchte hier nicht mehr ausziehen, auch als Pflegefall nicht. Wir haben das hier so organisiert, dass wir mit einem Pflegedienst zusammen arbeiten, und der kommt bei Bedarf – das muss man natürlich bezahlen, aber ansonsten helfen wir uns gegenseitig.

Nimmt die Gemeinschaft die Angst vor dem Sterben, vor dem Tod?

Na ja, man gewöhnt sich zumindest daran. Wir alle sehen das ja hier gegenseitig. Wir werden langsam bescheiden mit unserem Bewegungsdrang, wir unternehmen keine Fernreisen mehr und bleiben im Lande, wir wollen gar nicht mehr so weit weg. Wir fahren nun Elektrorad und stellen uns so langsam um, genießen die Landschaft hier und das Grüne und tasten uns so heran ans Alter und an das ein oder andere Gebrechen – ob das nun das künstliche Knie oder die Hüfte ist.

Was raten Sie denn unserer Generation, also Ihren Kindern?

Die Babyboomer, diese Riesenschar, wenn die alle in Rente gehen – das ist eine Herausforderung. Ich kann nur sagen, man soll rechtzeitig mit Freunden darüber reden, wo und wie man wohnen will, sich eine Gemeinschaft suchen und sich da so langsam heranrobben, mal in der Gruppe Urlaub machen und ausprobieren wie es im Team funktioniert.

Gibt es Gemeinschaftsräume? Wie organisieren Sie sich?

Nein, wenn wir eine große Runde sind, dann treffen wir uns in den großen Wohnungen oder im Garten. Wir essen ja regelmäßig zusammen. So fühlt sich jeder als Gastgeber, räumt auf und kauft ein. Da ist jeder reihum verantwortlich, und das funktioniert gut. Mit einem Gemeinschaftsraum wäre es anstrengend, denn da muss man immer organisieren: Wer pflegt den Raum, wer richtet ihn ein, wer kümmert sich um frische Blumen und die Sauberkeit. Wir haben hier gemerkt, einen Gemeinschaftsraum braucht es nicht – das klingt im Konzept gut, aber in der Praxis, ohne ein konkretes Projekt wie eine Mal- oder Bastel- oder Kochwerkstatt als Aushängeschild funktioniert es nicht. Es gibt hier ein schwarzes Brett, da stehen die Termine und auch wer wann im Haus ist oder gerade im Urlaub. Es ist schön, wenn wir regelmäßig miteinander reden. Eigentlich kommen wir immer mal auf einen Besuch vorbei oder sitzen hier bei Manfred unten in der Wohnung und reden über alles. Die Frauen gehen lieber in eine andere Wohnung, dahin wo es aufgeräumter ist. Man muss hier aufpassen, dass man den anderen nicht zur Last fällt, keinem zu nahe kommt. Jeder muss trotz aller Vertrautheit und Gemeinschaft auch in Ruhe gelassen werden und seinen Lebensstil pflegen können. Jeder macht so sein Ding. Ich zum Beispiel finde es wunderbar, lange und viel zu schlafen. Jeder weiß auch vom anderen hier, was er gerne mag und was ihm wichtig ist.

Was ist bei der Suche nach einem Wohnhaus wichtig?

Die Lage ist entscheidend. Wo will man wohnen und leben, in der Nähe der Stadt oder mittendrin? Oder lieber im Grünen, weit weg? Und man muss sehr genau schauen, ob die Immobilie geeignet ist. Ideal sind alte Gasthäuser oder Betriebe – die kann ein Architekt gut umbauen zu einzelnen Wohneinheiten.

Es ist wichtig sich zu fragen, mit wie vielen Menschen man gemeinsam wohnen möchte, und wie kann die Wohnhülle aussehen? Man sollte sich Hilfe holen beim Umbau, sich beraten lassen, was praktisch ist und gleichzeitig individuell passt; dieses Haus hier hat daher seinen Charme.

Ich liebe es, spontan ins Theater oder Konzert zu gehen, oder ich gehe auch schon mal einkaufen. Hier ist alles nah und fußläufig erreichbar.

Und was denken wir?

• Barbara

Pro: Mit Freunden ins Alter zu gehen, stelle ich mir toll vor. Vertraut und inspirierend. Gleiche Wellenlänge verbindet.

Contra: Ich sehe keine Nachteile.

• Christiane

Pro: Es gibt immer ein vertrautes Ohr und nette Gesellschaft.

Contra: Nichts bleibt privat. Jeder redet wahrscheinlich mit jedem über alles.

– Professor Martin Halle –

58 Jahre, Sportmediziner, Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Fakultät der TU München.

Hat gerade das Projekt »Bestform. Sport kennt kein Alter« ins Leben gerufen.

Warum ist Bewegung mit zunehmendem Alter so wichtig?

Unsere Körperzellen brauchen einen physiologischen Reiz, damit sie nicht ihre Funktion verlieren. Die Eiweißproduktion in den Zellen nimmt im Alter ab. Der Alterungsprozess der Zelle ist nur durch Bewegung zu beeinflussen. So sind die Muskeln mit 30 leicht aufzubauen, mit Mitte 50 noch leidlich, und wenn ich 75 bin, kann ich mit den gleichen Übungen, die ich als 30jähriger mache, trotzdem keine neuen Muskeln mehr bilden. Sportlich aktive Menschen können allerdings den Alterungsprozess zu einem Teil aufhalten bzw. verlangsamen.

Wo liegt das Problem, gerade bei Älteren?

Man verliert im Alter an Ausdauer, Koordination und Kraft. Der Verlust der Koordination und der Muskelkraft machen alten Menschen besonders zu schaffen. Wer stürzt, kann sich nicht abfangen – Muskeln und Nerven greifen nicht mehr schnell genug ineinander, die Reaktionsfähigkeit lässt nach. Ausdauer ist in jungen Jahren besonders wichtig, auch zur Prävention gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Je älter man wird, desto größer ist aber die Rolle der Kraft. Radfahren, Laufen, Spazierengehen; all das tut gut, aber Krafttraining ist viel, viel wichtiger! Kleine Einheiten von etwa sieben Minuten reichen, die aber am besten täglich.