Steffis Kummer hat ein Ende - Britta Frey - E-Book

Steffis Kummer hat ein Ende E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! »Guten Morgen, Hanna! Du bist ja noch immer so erkältet, willst du nicht lieber einen Tag ausruhen?« Bea Martens, die Mutter der jungen Ärztin, sah ihre Tochter prüfend an. Ihre Erfahrung als Mutter sagte ihr, daß Hanna sich unmöglich so wohl fühlen konnte, wie sie vorgab. »Laß nur, Mutti, ich mache wenigstens meinen Schreibtischdienst in der Klinik, zu den Kindern darf ich ja nicht, damit sie sich nicht anstecken. Das schaffe ich schon!« »Du mußt es natürlich selbst wissen, aber deinen Patienten würdest du ein paar Tage Schonung verordnen, stimmt's?« Hanna nieste und bestätigte dann, daß sie das so machen würde. »Aber mich wirft so eine kleine Erkältung nicht gleich um, Mutti. Danke, Füchsin!« Die Haushälterin Jolande Rilla, wegen ihrer roten Haare nur »Füchsin« genannt, hatte Hanna ihren Kaffee gebracht. »Hanna, du solltest einen Tag im Bett bleiben und ordentlich schwitzen«, sagte sie jetzt bestimmt. »Hilfe! Ich bin die Ärztin, und ihr Laien erzählt mir, was ich zu tun habe! Schluß jetzt!« Sie lachte, aber Bea merkte, daß ein leicht gereizter Unterton in ihrer Stimme lag. Das bestätigte ihr, daß es Hanna nicht gut gehen konnte, sonst war sie stets ausgeglichen und fröhlich. Doch sie beschloß, lieber den Mund zu halten, denn Hanna war knapp dreißig Jahre alt, sie mußte ja wirklich selbst wissen, was sie tat.

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kinderärztin Dr. Martens – 97 –

Steffis Kummer hat ein Ende

Was hat sie und ihre Mama so bedrückt?

Britta Frey

»Guten Morgen, Hanna! Du bist ja noch immer so erkältet, willst du nicht lieber einen Tag ausruhen?«

Bea Martens, die Mutter der jungen Ärztin, sah ihre Tochter prüfend an. Ihre Erfahrung als Mutter sagte ihr, daß Hanna sich unmöglich so wohl fühlen konnte, wie sie vorgab.

»Laß nur, Mutti, ich mache wenigstens meinen Schreibtischdienst in der Klinik, zu den Kindern darf ich ja nicht, damit sie sich nicht anstecken. Das schaffe ich schon!«

»Du mußt es natürlich selbst wissen, aber deinen Patienten würdest du ein paar Tage Schonung verordnen, stimmt’s?«

Hanna nieste und bestätigte dann, daß sie das so machen würde.

»Aber mich wirft so eine kleine Erkältung nicht gleich um, Mutti. Danke, Füchsin!«

Die Haushälterin Jolande Rilla, wegen ihrer roten Haare nur »Füchsin« genannt, hatte Hanna ihren Kaffee gebracht. »Hanna, du solltest einen Tag im Bett bleiben und ordentlich schwitzen«, sagte sie jetzt bestimmt.

»Hilfe! Ich bin die Ärztin, und ihr Laien erzählt mir, was ich zu tun habe! Schluß jetzt!«

Sie lachte, aber Bea merkte, daß ein leicht gereizter Unterton in ihrer Stimme lag. Das bestätigte ihr, daß es Hanna nicht gut gehen konnte, sonst war sie stets ausgeglichen und fröhlich. Doch sie beschloß, lieber den Mund zu halten, denn Hanna war knapp dreißig Jahre alt, sie mußte ja wirklich selbst wissen, was sie tat.

Doktor Hanna Martens, blond, blauäugig und zierlich, führte mit ihrem älteren Bruder Kay die Kinderklinik Birkenhain. Es war ein sehr hübsches Heideschlößchen, das die beiden mit Mut und Initiative umgebaut und zum Erfolg geführt hatten.

Hanna und Kay waren gleichberechtigte Partner und mochten sich sehr. Einer schätzte die Kompetenz des anderen, Streit gab es kaum einmal, und wenn, wurde er vernünftig und sachlich beigelegt.

Sie hatten gerade ein nasses, kaltes Frühjahr hinter sich in Ögela. Jetzt war es April geworden, die Sonne hatte heute beschlossen, mal wieder zu schauen, ob es sich lohnte, aus dem Wolkenbett zu steigen.

»So, ich gehe jetzt. Mach dir einen schönen Tag, Mutti. Hast du etwas Besonderes vor?«

»Nein, ich werde einen schönen Spaziergang machen, sofern die Sonne nachher noch scheint, dann muß ich ein paar Briefe beantworten. Kommst du zum Mittagessen?«

»Nein, ich möchte kurz nach Celle fahren. Ich will sehen, ob ich ein paar Fachbücher bekomme.«

»In Ögela ist eine kleine Leihbücherei eröffnet worden«, erzählte die Füchsin. »Sie soll einen guten Eindruck machen. Frag doch mal die junge Frau, vielleicht kann sie dir in Zukunft besorgen, was du brauchst!«

»Kann ich machen. Also, ich muß flitzen. Bis dann, Mutti!«

Bea Martens sah ihrer hübschen Tochter, die heute allerdings eine rote Nase und verquollene Augen hatte, hinterher. Das blaue Twinset und der karierte Faltenrock ließen sie aussehen wie einen Teenager. Sie war stolz auf ihre Kinder.

Hanna machte sich im Moment wenig Gedanken über ihr Aussehen. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht, als sie der Mutter den Rücken drehte.

Sie fühlte sich wirklich scheußlich, Fieber hatte sie auch. Na ja, solange sie nicht mit den kleinen Patienten zusammenkam, konnte sie es verantworten.

Freundlich wurde sie begrüßt vom Personal der Klinik. Doch als sie das fünfte Mal die Frage nach ihrem Befinden beantwortet hatte, war sie froh, endlich ihr Zimmer erreicht zu haben.

»Soll ich Ihnen einen Kaffee bringen, Frau Doktor? Ich habe gerade frischen gekocht«, fragte Oberschwester Elli Gaus, die gerade über den Klinikflur kam.

»Nein danke, Oberschwester Elli, ich habe gerade welchen getrunken. Ist alles in Ordnung mit den Kindern? Besondere Vorkommnisse?«

»Toi, toi, toi, alles ruhig heute nacht. Auch der kleinen Sarah geht es wieder besser!«

Nun lächelte Hanna zum ersten Mal an diesem Morgen richtig. Sarah hatte ihnen viel Sorgen gemacht. Sie war mit einem schweren Asthma-Anfall eingeliefert worden. Es war ihnen gelungen herauszufinden, wodurch er ausgelöst worden war.

Eine Hausstaub-Allergie lag zugrunde.

»Das ist ja wunderbar! Da wird ihre Mutter ja glücklich sein!« antwortete sie herzlich.

»Ja, die junge Frau war völlig außer sich, weil sie dachte, sie hätte etwas falsch gemacht. Sie machen heute wohl keine Visite?«

»Nein, ich bin ja eine richtige Bazillenschleuder mit meiner Erkältung! Das gibt mir Gelegenheit, endlich mal die ganzen Berichte zu diktieren, die sich auf meinem Schreibtisch türmen. Wenn etwas Besonderes ist, wenden Sie sich an meinen Bruder. Ich bin heute unsichtbar!«

Oberschwester Elli lachte und verschwand in einem Krankenzimmer.

Hanna ließ sich auf ihren Stuhl hinter dem großen Schreibtisch fallen.

Wahrscheinlich hätte ich heute doch im Bett bleiben sollen, dachte sie.

Sie war erschöpft, schon bevor sie überhaupt angefangen hatte zu arbeiten.

Hanna versuchte, sich auf die Akten zu konzentrieren, aber immer wieder verschwammen die Buchstaben vor ihren Augen. Ihre Stirn war heiß, gleichzeitig fror sie.

Als es klopfte und gleich darauf Kay die Tür öffnete, bemühte sie sich um ein Lächeln.

»Guten Morgen, Hanna. Ich wollte mal schauen, wie es dir geht! Elli sagte, du sähest nicht gerade taufrisch aus!«

»Könnt ihr mich nicht endlich mal in Ruhe lassen damit? Jeder gibt mir gute Ratschläge!«

Besorgt sah er Hanna an. Diesen Ton kannte er nicht an ihr.

Ihre Augen glänzten unnatürlich. Das Gesicht war schweißbedeckt.

»Meine liebe Schwester, ich muß jetzt leider mal meine ganze Autorität ins Spiel bringen! Du wirst jetzt sofort hinübergehen und dich mindestens drei Tage ins Bett legen! Weißt du nicht, wie langwierig eine verschleppte Erkältung sein kann? Also, Akten zu und raus mit dir!«

»Aber ich wollte doch nur…«

»Nichts, außer im Bett liegen und dich verwöhnen lassen! Keine Widerrede!«

»Gut, Onkel Doktor, wenn du meinst. Ich gehe ja schon!«

*

Die nächsten drei Tage verbrachte sie tatsächlich im Bett, ließ sich von der Füchsin und ihrer Mutter verwöhnen, schlief viel und las Romane statt der Fachbücher, die sonst ihre Lektüre bildeten. Am dritten Tag war sie fieberfrei, aber Kay bestand darauf, daß sie noch zwei Tage der Klinik fernblieb.

Inzwischen war es wärmer geworden, so daß sie warm verpackt auf der Terrasse liegen konnte. Sie kam sich schon richtig faul vor, trotzdem genoß sie jede Minute ihres Zwangsurlaubes.

Gerade hatte sie den ausgezeichneten Kaffee und Kuchen verspeist, den die Füchsin ihr serviert hatte, als im Wohnzimmer das Telefon klingelte.

»Bleib liegen, ich gehe an den Apparat!« bestimmte Bea, die bei ihrer Tochter saß.

Zufrieden kuschelte sich Hanna wieder zurecht. Auch mal ganz schön, so umsorgt zu werden wie früher als Kind. Wenn sie da krank war, hatten Mutter und Vater immer sehr lieb alles getan, um sie aufzuheitern, ihr vorgelesen, mit ihr gespielt, überhaupt hatten Kay und sie eine schöne Kindheit gehabt.

Wie traurig manche Kinder aufwachsen mußten! Viele Schicksale erlebten sie an ihren kleinen Patienten.

»Hanna, du müßtest doch bitte einmal kommen! Der Anruf ist für dich!«

Sie schälte sich aus der warmen Decke und stand auf. Gott sei Dank wurde ihr dabei nicht mehr schwindelig, also war sie wohl wieder gesund!

»Hanna Martens«, meldete sie sich, als sie ihrer Mutter den Hörer abgenommen hatte.

»Hanna! Ich freue mich so, daß ich dich erreiche!«

Eine Männerstimme, die Hanna nichts sagte, außer daß die angesprochene Freude deutlich herauszuhören war.

»Wie schön. Darf ich auch erfahren, wer sich da so freut, mich zu erreichen?« antwortete sie lachend.

»Oh, entschuldige, Hanna, hier spricht Thomas Schlehmann, dein alter Leidensgenosse aus rosigen Studententagen! Na, klingelt’s?«

Nun konnte sie die Stimme auch wieder einordnen. Sie strahlte.

»Tom! Das ist ja eine gelungene Überraschung! Jetzt freue ich mich auch!«

Bea Martens ging lächelnd auf die Terrasse zurück. Hanna hatte sich neben dem Telefon in den Sessel gesetzt, ein Zeichen, daß das Gespräch länger dauern würde.

»Was machst du denn so, Tom? Bist du inzwischen auch Arzt geworden? Etwa tatsächlich Knochenbrecher?«

Er lachte laut. So hatte er früher die Orthopäden bezeichnet, wie sein Vater einer war. Thomas hatte damals davon geträumt, seine Praxis zu übernehmen.

Aber dann hatte er sein Studium für eine Weile unterbrochen, weil er den dringenden Wunsch verspürt hatte, auszusteigen. Auf einer kleinen griechischen Insel lebte er zwei Jahre mit einer Gruppe Gleichgesinnter zusammen, bis er merkte, daß es auf Dauer nichts für ihn war und zurückging an die Universität.

»Ich habe gerade meine Facharzt-Ausbildung abgeschlossen, Hanna. Als Kinderarzt, stell dir vor! Wahrscheinlich ist das Kindliche in mir schuld daran! Ich mag die kleinen Patienten lieber als die großen, habe ich festgestellt!«

Hanna lachte. Thomas war ein verrücktes Haus, damals und heute anscheinend noch immer. Aber er war immer so fröhlich, so zuversichtlich gewesen, ein richtig toller Kumpel. Als Kinderarzt war er sicher umwerfend, die Kinder müßten ihn lieben.

»Das freut mich, Tom, daß du auch Kinderarzt geworden bist! Was machst du jetzt? Klinik oder Praxis?«

»Das ist der Grund meines Anrufes, Hanna. Ich habe nämlich eine ziemlich unbescheidene Frage an dich! Bevor ich entscheide, wollte ich ein bißchen in der Praxis ausprobieren, was mir mehr liegt. Könnte ich nicht bei euch für einige Zeit hospitieren? Ihr müßt mir natürlich nichts zahlen, ich möchte einfach Erfahrungen sammeln.«

Hanna überlegte schnell. Das Angebot kam völlig überraschend, sie konnte es natürlich nicht allein entscheiden.

»Du, ich hätte nichts dagegen, aber Kay ist ja ebenfalls Leiter der Klinik, ich muß ihn wenigstens fragen. Aber ich glaube nicht, daß er etwas dagegen hat!«

»Kay leitet die Klinik mit dir zusammen? Das ist ja wunderbar! Erinnere ihn mal an die ›Witwe Bolte‹, dann wird er sofort wissen, wer ich bin«, antwortete Thomas geheimnisvoll und lachte dann wieder.

»Was hat es damit auf sich? Erzähl mal!« forderte Hanna ihn auf.

»Nee, nee, das soll er dir lieber selbst erzählen, wenn er sich traut! Ich petze nicht! Darf ich dann in ein paar Tagen noch einmal anrufen? Oder willst du mir Bescheid sagen?«

»Gib mir deine Nummer, ich rufe dich an. Ich sehe Kay nachher, dann frage ich ihn gleich.«

Thomas diktierte ihr seine Hamburger Telefonnummer, dann plauderten sie noch einen Moment über alte Zeiten, bevor Hanna mit strahlendem Gesicht wieder auf die Terrasse hinausging.

»Erinnerst du dich noch an Thomas Schlehmann, Mutti? Er war der Kommilitone, der damals nach Griechenland ging!«

Bea nickte. Sein Entschluß hatte viel Wirbel ausgelöst, sein Vater hatte mit Enterbung gedroht. Thomas war oft bei ihnen gewesen, hatte lange mit ihrem verstorbenen Mann, dem Vater von Hanna und Kay, gesprochen, der ebenfalls Arzt war.

»Ich weiß sogar noch, was Papa zu ihm gesagt hat! Wenn er so stark das Gefühl hat, noch nicht reif zu sein für die schwere Verantwortung, solle er seinem Wunsch nachgehen. Sonst würde er einer der mürrischen, frustrierten Menschen, die ein Leben lang jedem übelnehmen, daß sie sich ihren Traum nicht erfüllt haben. Es war ja wohl wirklich richtig in seinem Fall!«

»Sein Vater war ziemlich autoritär, er mußte sich einfach auflehnen dagegen und sich ausprobieren. So habe ich es damals jedenfalls aufgefaßt. Denn ein verrückter Spinner war Thomas ganz und gar nicht. Er hat auf dieser Insel ziemlich hart gearbeitet.«

»Und was wollte er jetzt von dir? Einfach mal hören, wie es euch geht?«

Hanna erzählte ihrer Mutter, warum Thomas angerufen hatte.

»Das wäre aber eine nette Abwechslung hier, wenn Thomas käme! Ich glaube nicht, daß Kay etwas dagegen hat!«

»Ich werde jetzt mal schnell in die Klinik hinübergehen und ihn gleich fragen. Tom hat da nämlich so ein geheimnisvolles Stichwort gegeben, ich muß sofort wissen, was es damit auf sich hat!«

Bea lächelte. Manchmal war Hanna noch immer der übermütige Kindskopf, der sie als junges Mädchen so beliebt gemacht hatte. Jetzt sah sie richtig neugierig aus.

Sie ließ sich auch nicht aufhalten und ging in die Klinik hinüber. Es ging ihr wieder gut, ab morgen würde sie ihren Dienst aufnehmen können.

Kay saß in seinem Arztzimmer und studierte eine Krankenakte, als seine Schwester hereinkam.

»Hanna! Was führt dich denn her? Du siehst ja aus, als hättest du etwas Lustiges gehört oder gesehen!«

Hannas Grinsen verstärkte sich noch. Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und ließ ihre jeansbehosten Beine baumeln wie ein Kind.

»Was sagt dir das Stichwort ›Witwe Bolte‹?«

Kay runzelte die Stirn. Dann ging plötzlich ein so komisches Zucken über sein Gesicht, daß Hanna laut lachen mußte. Er sah jetzt dermaßen schuldbewußt aus, als habe er sich an etwas ganz besonders Peinliches erinnert.

»Wie kommst du darauf? Was steigt da hoch aus meiner dunklen Vergangenheit?«

»Thomas Schlehmann! Na, was ist also mit ›Witwe Bolte‹?«

»Muß ich das erzählen? Na schön, du läßt mir ja doch keine Ruhe, wie ich dich kenne. Also, Thomas hatte damals eine Vermieterin, die er so nannte. Sie war schrecklich neugierig, stand immer hinter der Tür und lauschte. Ich war damals noch ziemlich unreif, muß ich zu meiner Entschuldigung sagen. Jedenfalls kam ich auf die Idee, ihr mal etwas zu hören zu verschaffen, daß ihr die Ohren klingeln würden. Ich habe mit…, warte mal, wie hieß sie noch…, ich glaube Renate Ziehmann, einer Kommilitonin, eine Wahnsinnsliebesszene einstudiert. So mit Ächzen und Stöhnen und Schnulz, kannst dir ja vorstellen, wie man das mit zweiundzwanzig macht. Wir haben uns bei Thomas eingeladen, und als er loszog, um etwas zu trinken zu holen, haben wir dann, als wir sicher waren, sie steht hinter der Tür, unser Theaterstück aufgeführt. Nun, der langen Rede kurzer Sinn, Thomas flog raus bei ihr, weil er angeblich sein Zimmer stundenweise vermietete! Sie war nicht zu überzeugen, daß alles ganz harmlos war!«

Hanna mußte so lachen, daß sie von der Schreibtischkante rutschte. Ihr ernster, sehr verantwortungsbewußter Bruder Kay als liebestoller Belami!

»So brauchst du nun auch nicht zu lachen, Hanna! Glaubst du, ich kann nicht stürmisch sein? Täusch dich nur nicht, liebe Schwester, stille Wasser sind tief!« beschwerte er sich grinsend.

»Kay, du bist herrlich! Dann wirst du ja sicher nichts dagegen haben, wenn Thomas eine Weile bei uns hospitiert. Er ist Kinderarzt und möchte sich noch überlegen, was er nun macht.«

»Er will zu uns kommen? Warum nicht! Wenn er noch immer so nett ist wie damals! Außerdem habe ich etwas gutzumachen an ihm, denn damals bekam er ein Zimmer bei einer noch schrecklicheren Wirtin, nachdem die ›Witwe Bolte‹ ihn rausgeworfen hatte. Das war ja meine Schuld, wie ich zugeben muß.«

»Gut, dann rufe ich ihn gleich an. Er wird sich freuen. Und ich auch, ehrlich gesagt. Das kann doch ganz lustig werden, meinst du nicht?«

»Bestimmt. Aber sag ihm, er soll bei mir wohnen, nicht irgendwo im Ort. Ich hab ja Platz genug!«

Das überzeugte Hanna mehr als alles andere, daß Kay sich wirklich freute, denn seine Ruhe im Haus war ihm heilig. Wenn er so bereitwillig sein Gästezimmer anbot, hieß das, daß er Thomas wirklich gern mochte… oder, daß er nicht die ganze Geschichte erzählt hatte!

Sie ließ sich noch das Neueste aus der Klinik berichten, bevor Kay sie aus seinem Zimmer scheuchte, weil er keine Zeit habe für seine kichernde Schwester, wie er sagte.

»Na hör mal, ich bin auch Chefin hier!«

»Aber erst wieder ab morgen, heute bist du nur meine Schwester, weil du noch nicht gesundgeschrieben bist! So, nun geh schön, und wage es ja nicht, hier in der Klinik etwas zu erzählen von der ›Witwe Bolte‹ – Geheimsache.«

»Hah, wenn du mich in Zukunft ärgerst, werde ich nur ›Witwe Bolte‹ sagen, und du bist gewarnt!«

Kay nahm ein Radiergummi und zielte auf Hanna, die lachend zu Tür hinauslief, bevor er treffen konnte.

*

Thomas Schlehmann kam eine Woche später in Ögela an. Sein schicker Sportwagen, feuerrot und mit offenem Verdeck, erregte beträchtliches Aufsehen, als er durch den Ort fuhr. Seine rötlichen kurzen Haare standen noch genau wie früher eigenwillig um den Kopf herum, die blauen Augen blitzten unternehmungslustig.

»Hanna, ich freue mich, daß ich kommen durfte!«

Mit einem Satz sprang er aus dem Auto, ohne erst die Tür zu öffnen, und umarmte Hanna herzlich.

»Du bist ja noch viel hübscher geworden als damals!« rief er aus und, sah ihr tief in die Augen.

»Und du bist noch genauso ein ­Charmeur wie früher!« lachte Hanna.

Er hatte gern mit ihr geflirtet, beide hatten es als Spaß betrachtet, denn sie waren wirklich Freunde gewesen. Verliebtheit spielte zwischen ihnen keine Rolle.

»Man tut, was man kann. Dieses traumhafte Stück Erde ist also eure Klinik? Alle Achtung, Hanna, da habt ihr aber schön was erreicht!«