Sternstunde - Karin Kalisa - E-Book + Hörbuch

Sternstunde Hörbuch

Karin Kalisa

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Beschreibung

Eine so zauberhaft wie poetische Weihnachtsgeschichte der Spiegel-Bestseller-Autorin Karin Kalisa. Der wunderbare Weihnachtsstern soll nur ein Komet gewesen sein, ein Klumpen Gas und Staub? Die siebenjährige Kim ist fassungslos über das, was sie da im Radio hört. Zwar weiß der Astrophysiker Arthur Sanftleben eine viel spannendere Geschichte zu erzählen, von einem ungewöhnlichen Zusammentreffen von Jupiter und Saturn. Doch erst der gleichaltrige Max, Star-Wars-Fan und Sternenkundiger, zeigt Kim, dass Wissenschaft und Wunder sich nicht ausschließen müssen. Eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte: poetisch, positiv und strahlend wie der Weihnachtsstern selbst.

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Zeit:2 Std. 6 min

Sprecher:Gabriele Blum

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Karin Kalisa

Sternstunde

Eine Wintererzählung

Mit Illustrationen von Stephanie Pfeiffer

Knaur e-books

Über dieses Buch

Der wunderbare Weihnachtsstern soll nur ein Komet gewesen sein, ein Klumpen Gas und Staub? Die siebenjährige Kim ist fassungslos über das, was sie da im Radio hört. Zwar weiß der Astrophysiker Arthur Sanftleben eine viel spannendere Geschichte zu erzählen, von einem ungewöhnlichen Zusammentreffen von Jupiter und Saturn. Doch erst der gleichaltrige Max, Star-Wars-Fan und Sternenkundiger, zeigt Kim, dass Wissenschaft und Wunder sich nicht ausschließen müssen. Eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte: poetisch, geheimnisvoll und strahlend wie der Weihnachtsstern selbst.

Inhaltsübersicht

WidmungStellaSternenstaubWandelsterneHinweise
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Für J. und I.

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Stella

Im vorletzten Stockwerk eines Hauses, das beinahe hundertundzwanzig Jahre alt war, saß ein Kind, das beinahe acht Jahre alt war, auf dem Küchenfußboden. Es hatte die Beine hochgezogen, hielt sie mit den Armen umschlungen, hatte das Kinn auf die Knie gelegt und schaute in die helle Höhle des Backofens, in der aus einem lang gestreckten Teigklops mit dünnen Streifen aus schwarzen Punkten ein Mohnstollen werden sollte.

»Kim«, hatte die Mutter vorhin zu dem Kind gesagt, während sie eilig den Mantel überzog, um zum Elternabend in die Schule zu gehen, »wenn die Kruste gerade so dunkel ist, wie, hm, let’s say, wie diese Kekse: Russisch Brot, genau, und wenn an der Backnadel hier kein Mohnkörnchen mehr hängenbleibt, dann drehst du den Ofen aus, nimmst die beiden dicken Topfhandschuhe und stellst das Blech oben auf den Herd, und dann …«

Als ob ihr die Sache mit der Backnadel, der Russisch-Brot-Kruste, an deren vielen »R«s ihre englische Zunge eben fast gescheitert war, dann noch mit den viel zu großen Topfhandschuhen und dem heißen Blech auf dem Herd auf einmal selbst ein bisschen kompliziert, um nicht zu sagen: brenzlig vorgekommen wäre, hatte sie mitten im Mantelzuknöpfen innegehalten, Kim zweifelnd angesehen und gefragt: »Schaffst du das?«

Kim hatte genickt. »Klar.« Auf »Schaffst du das?« gab es nun mal keine andere Antwort. Außerdem ging’s ja auch gar nicht anders, oder? Die Mutter musste zum Elternabend, der Vater hatte vorhin angerufen und gesagt, dass er schon seit einer Weile im Stau stand und sich daran aller Voraussicht nach erst einmal nichts ändern würde, es sei denn, er würde über die Autodächer nach Hause zurücklaufen, aber dafür sei es ihm zu kalt. Und Sari, Kims Bruder, hatte mit Stollen so wenig am Hut, dass er jegliche Zusammenarbeit schon im Vorfeld verweigert hatte. »Mohn, Rosinen und Mandeln, alles, was ich nicht mag, in einem Kuchen! Wer hat den bloß erfunden?«, hatte er gleich erklärt, als die Mutter über den Engpass zwischen Backofen, Elternabend und Stau zu sprechen begonnen und ihm dabei intensiv in die Augen gesehen hatte. Aber Sari war mit deutlichen Worten, was er von Stollen im Allgemeinen und von Mohnstollen im Besonderen hielt, abgezogen: Hausaufgaben machen mit Malte – sagte er jedenfalls …

»Na gut«, hatte die Mutter gemeint, die auf die Schnelle keinen anderen Ausweg sah, »und dann kannst du aus der Schale hier schon mal ein bisschen Puderzuckerguss auf den Stollen streichen, solange er noch warm ist – damit alles schön einzieht.« Sie hatte sich die Haare aus ihrem vom Backen erhitzten Gesicht geschoben, sich neben Kim hingehockt und ihr einen Kuss auf die Nasenspitze gegeben. »Pretty cold«, hatte sie gesagt und war davongeeilt.

Nun war die Mutter schon eine Weile weg, und der Stollen oder vielmehr das, was einmal ein Stollen werden sollte, bekam gerade eine helle Kruste, die Kims Einschätzung nach noch ziemlich weit von Russischbrotbraun entfernt war, und legte sich auf dem Blech gerade eine neue Form zu: etwas schmaler, dafür höher und fester. Die schwarzen Mohnstreifen begannen schon, eine schöne Schneckenlinie zu ergeben. Kims Augen hingen an den winzigen Bläschen, die die Hitze des Ofens aus dem Teig trieb und gleich wieder vergehen ließ.

Dass das kleine Radio oben auf dem Kühlschrank, aus dem vorhin der Stau gemeldet worden war, in dem der Vater mit seinem Kombi feststeckte, noch weiter und weiter lief mit seinem Hin und Her von Musik und Stimme und Stimme und Musik, nahm Kim kaum wahr. Was vielleicht daran lag, dass diese seltsamen Tonfolgen, die nirgendwo anzufangen und nirgendwo hinzuführen schienen, im Halbdunkel der Küche versickerten, bevor sie sich in Kims Ohren zu einer Melodie zusammensetzen konnten. Und selbst die Stimme, die dann und wann einige Sätze dazwischen sprach, war so eintönig, als hätte sie längst jede Hoffnung aufgegeben, gehört zu werden. Weil aber auch Kim auf den guten, alten, rissigen Dielen des Küchenfußbodens einfach nur ihren Gedanken nachhing, die selbst so unbestimmt waren, dass man sie vielleicht noch nicht mal Gedanken nennen konnte, ergab dies alles zusammen ein von der Backröhre her wohlig duftendes Nichts – bis auf einmal diese fade Radio-Stimme sich doch in Kims Ohren schlängelte. Was hatte sie gerade gesagt? »Weihnachtsstern?« Ihr Stern? Der, unter dem sie geboren worden war? Der, der durch ihr Leben funkelte, schon solange sie denken konnte?

Schnell war Kim auf den Beinen, drehte das Radio lauter und blieb nah davor stehen, um kein Wort mehr zu verpassen. Dass die drei Könige, die dem Stern gefolgt waren, keine normalen Könige gewesen waren, mit Krone, Zepter und Thron, sondern Gelehrte, die den Himmel erforscht hatten, das hatte sie schon gewusst. Aber jetzt hieß es, dass sie gerechnet hätten und wieder gerechnet und noch mal nachgerechnet, aber am Ende dieser Stern, der ihnen dort am Himmel erschien, sich aus keiner ihrer Rechnungen ergeben hatte: Es konnte ihn gar nicht geben. Und darin hätten sie recht gehabt, sagte die Stimme, denn tatsächlich sei es ja gar kein Stern gewesen. Aber da wären die drei Weisen mit ihrer Weisheit eben auch am Ende gewesen.

Kim war nahe daran, dem Radio einen Vogel zu zeigen: Kein Stern? Was denn sonst? Dass man sich immerzu verrechnen konnte, hielt Kim für sehr gut möglich, ja, für wahrscheinlich, aber dass der Weihnachtsstern kein Stern gewesen sein sollte, das war genauso unmöglich, wie dass den Weisen aus dem Morgenland ihre Weisheit ausgegangen war, nur weil irgendetwas mit den Berechnungen nicht stimmte.

Vieles spreche dafür, fuhr die Stimme fort, dass der Weihnachtsstern gar kein Stern, sondern ein Komet gewesen sei. Und ein Komet, das ist, wie den Hörern sicherlich wohlbekannt sei, ein Himmelskörper aus gefrorenem Gas und Staub. Unter Sonneneinstrahlung taue er auf und bilde einen langen Schweif. Und genau so etwas hätten die Heiligen Drei Könige damals gesehen: hell beleuchteten Staub und aufgetautes Gas.

Kim lauschte der Stimme, die nicht anders klang, als würde sie, wie gerade eben noch, die Staumeldungen verlesen, mit ungläubigem Entsetzen. Ihr Weihnachtsstern – nichts als Staub und Gas?

Die Stimme war noch nicht fertig. Dieser Komet werde wiederkommen, sagte sie, und zwar im Jahr 2061. Kim begann nachzurechnen. Das waren nicht nur ein paar Jahre, das waren Jahrzehnte, viele Jahrzehnte. Nicht im Ernst! Und jetzt hatte sie in all ihrer eigenen Rechnerei auch noch die letzten Sätze der Sendung verpasst. »Eine schöne Adventszeit wünscht Ihnen Ihr Team von Wissenschaft am Nachmittag«, war alles, was sie noch erwischte.

Kim stand in der dämmrigen Küche und war so damit beschäftigt, über das, was sie gerade gehört hatte, nachzudenken, dass sie weder darauf kam, den Lichtschalter an-, noch den Radioschalter auszudrehen. Allein das Backofenfenster war hell erleuchtet und strahlte friedliche Wärme ab. So setzte sie sich wieder davor und starrte auf den Stollen, der weiter lustig Blasen schlug – als sei nichts geschehen. Als sei nicht gerade ein Stern vom Himmel geholt worden. Im Radio ließen sie jetzt jubelnde Geigen erklingen, weil das so gut in die schöne Adventszeit passte, die eben allen Hörern von Wissenschaft am Nachmittag gewünscht worden war, und weil keiner dort wusste, dass da jetzt ein Kind in der Küche hockte und die Welt nicht mehr verstand. Denn in seine Welt gehörte der Weihnachtsstern wie Sonne und Mond, wie Wind, Regen und Schnee. Man konnte ihn vielleicht nicht immer von überallher sehen, aber das hieß schließlich nicht, dass er nicht da war oder nie da gewesen war oder erst in zig Jahren wiederkehren würde oder am Ende gar kein Stern war. Ja, beim Sender spielten sie fröhlich ihre Jubelmusik weiter, weil dort keiner sehen konnte, dass dieses Kind jetzt ganz langsam wieder aufstand, das Radio ausdrehte, mechanisch zwei dicke Backhandschuhe überzog, einen Mohnstollen aus dem Ofen holte und ihm dabei die Tränen übers Gesicht liefen. Direkt in die zartbraune Kruste hinein, wo eigentlich der Puderzuckerguss einsickern sollte.

Manchmal, wenn Räume so mitteldunkel sind und es um einen herum ganz still wird, dann ist es, als stünde auch die Zeit still. So war es jetzt in der Küche. Kim sah unglücklich vor sich hin, und in all diesem Vorsichhinsehen und Unglücklichsein schienen auch die Zeiger der Uhr jedes Interesse am Weitergehen verloren zu haben. Eine kleine Ewigkeit hatte Kim dagestanden mit nichts als dieser eigenartigen Leere in sich und um sich herum, und vielleicht wäre aus der kleinen Ewigkeit am Ende noch eine große geworden, wenn es nicht an der Tür geläutet hätte. Bei diesem ungeduldigen Klingeln in die dämmrige Stille hinein zuckte Kim zusammen, und auch die Zeit stolperte in ihren normalen Lauf zurück. Nachdem sich Kim einmal kräftig über die Augen gewischt hatte, öffnete sie die Tür. Zwei Pakete für die Familie Goldschmidt und eines für die Nachbarn. Ein riesiges.

»Kannst du das wohl auch annehmen?«, fragte der Paketbote, noch immer schnaufend. Wer drei Pakete auf einmal in den dritten Stock balancierte, dem konnte schon mal die Puste ausgehen. Und es waren ja nicht die ersten Treppen, die der gute Mann heute zu bewältigen gehabt hatte. Kim nickte und hievte das Paket in die Flurecke. Ganz schön schwer.

»Na, da können deine Eltern ja mächtig stolz sein, dass sie so ein kräftiges Bürschchen haben«, meinte der Paketbote.

Irgendwie sagen heute alle etwas Falsches, dachte Kim. Der Mann wollte nett sein, keine Frage, denn er war dankbar dafür, dass er das Monsterpaket nicht zurück in den Transporter schleppen musste. Er hatte auf das Kind im dunkelblauen Rollkragenpullover geschaut, die durchgewetzten Stellen der Hose auf Kniehöhe bemerkt, hatte das Stirnband in den dunklen Locken gesehen, so wie es manche Fußballer trugen, hatte insgesamt nicht das kleinste Fitzelchen Rosarot entdeckt – und schon war es für ihn ein kleiner Junge gewesen, der ihm da die Wohnungstür geöffnet hatte. Kim zuckte mit den Schultern. Sollte sie ihm jetzt wirklich mitteilen, dass sie ein Mädchen war? Dann lachten die Leute immer so verlegen und fingen an, etwas von langen und von kurzen Haaren zu erzählen und von »heutzutage« und von »zu meiner Zeit«, und dass man sich ja gar nicht mehr auskenne, und das wollte sie jetzt eigentlich alles nicht hören. Sie trug die Sachen ihres Bruders auf, und sie machte das gern. Ausgewaschen und ausgeleiert war einfach gemütlich. Sie spielte Fußball, und sie machte das gut. Dribbeln war wie Waldmeisterbrausepulver in den Beinen haben. Wenn sie morgens neben Sari im Badezimmer ihre Zähne putzte, sahen sie beide im Spiegel über dem Waschbecken tatsächlich aus wie großer Bruder und kleiner Bruder. Sie mochte das – weil es irgendwie lustig war. Eigentlich fand sie es einerlei, ob sie Bruder oder Schwester war – Hauptsache, ein Geschwister von Sari. Zu Hause war die Sache ja sowieso klar. In der Schule allerdings war das anders …