Steuerfahndung Gesetz und Wirklichkeit - Manfred Bauer - E-Book

Steuerfahndung Gesetz und Wirklichkeit E-Book

Manfred Bauer

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Beschreibung

Manfred Bauer, der sein ganzes Berufsleben Finanzbeamter war und einen Großteil davon im Außendienst als Betriebsprüfer und Steuerfahnder verbrachte, gibt in seinem Buch einen tiefen Einblick in die Ermittlungsarbeit eines Steuerprüfers, die immer wieder von Querschüssen Vorgesetzter und interessengesteuerter Politiker gestört wird. Mit seinen Prüfungen konnte er manche kriminellen Strukturen zerstören. Manchmal war er dagegen machtlos. Seine Tätigkeit gab ihm nicht nur Einblick in die ganz normale Geschäftswelt mit ihrem Hang zur Steuerhinterziehung. Seine "Klientel" schreckte auch nicht vor der Erschleichung von Steuererstattungen mittels Urkundenfälschung zurück oder vor Betrug und sonstigen illegalen Aktionen. Bordelle standen auf seinem Prüfungsplan wie auch ganz normale Handwerker. In einem Fall wurde der Steuerpflichtige während der Steuerprüfung ermordet. Anfeindungen von Seiten seiner "Kunden" bis hin zu Morddrohungen gehörten zum täglichen Geschäft. Aufgrund seiner beruflichen Stellung gewann der Autor tiefe Einblicke in die Strukturen der Politik und kann dem interessierten Leser aufzeigen wie die Politik die Steuergerechtigkeit, die im Gesetz festgelegt ist, nach ihrem Gutdünken torpediert und welche Gründe hierfür maßgeblich sind. So erlebt der Leser aus erster Hand mit, was hinter den Kulissen der Verwaltung und des politischen Geschäfts vor sich geht - das was in den Nachrichten nur selten zu erfahren ist.

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Inhalt

Vorwort

1.

KapitelSteuerhinterziehung und Steuerraub

2.

KapitelEin ereignisreicher Tag

3.

KapitelSchmutziges Gold

4.

KapitelMissbrauchtes Vertrauen

5.

KapitelMacht Reichtum glücklich?

6.

KapitelZeit der Besinnung

7.

KapitelBeleidigungen und Morddrohungen

8.

KapitelDer Betrogenen Rache

9.

KapitelBettgeschichten

10.

KapitelHaie und kleine Fische

11.

KapitelDer Berg ruft

12.

KapitelDas bewegte Leben des Friedrich Hauser

13.

KapitelUmsatzsteuersonderfahndung

Umsatzsteuerkarussell

Wendezeit

Subunternehmer

14.

KapitelMentalitätsunterschiede

Mafia

Milliardendeal

Bilanzenvielfalt

Mord in der Abendstunde

Anerkennung von unerwarteter Seite

15.

KapitelInnerdienstliche Vorgänge

Hoffnung und Enttäuschung

Hoher Besuch

Zentralisierung der Finanzverwaltung

Rüge für gewissenhafte Arbeit

Anweisung zur Dienstpflichtverletzung

Erloschenes Prüfer-Feuer

16.

KapitelPolitik und Steuern

Freie Fahrt für Steuerhinterzieher in Frankfurt

Mobbing in Wuppertal

Schlusswort

Literaturhinweise

Vorwort

Man soll seine Steuern dem Staat zahlen wie man seiner Geliebten einen Blumenstrauß schenkt.(Novalis)

„Ich bin zur Steuerfahndung gegangen, weil ich einmal richtige Gauner und Gangster kennenlernen wollte!“

Mit diesem Satz begründete ich einmal einer Freundin gegenüber meinen Entschluss, in die Steuerfahndung einzutreten. Der Ausspruch beeindruckte sie so sehr, dass sie mich beschwor, wenn ich ein Buch darüber schreibe, müsse ich diesen Ausspruch an den Anfang setzen. Dem ist nun Genüge getan.

Natürlich war die Persönlichkeit und Psyche Krimineller aus der Nähe zu studieren nicht das einzige Motiv. Maßgebend war sicher, im Rahmen meines Berufes, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Nebenbei bekommt man bei dieser Arbeit sehr viel psychologischen Einblick hinter die Kulissen, die jeder Mensch vor sich aufbaut.

Ein Großteil der Prüfungsfälle betrifft ohnehin nicht Kriminelle, sondern normale Geschäftsleute, die seit Abrahams Zeiten damit beschäftigt sind, Mittel und Wege zu finden, um möglichst wenig von den vereinnahmten Geldern an übergeordnete Autoritäten abzugeben.

Nun mag dies in Zeiten des alten Roms oder der Raubritter durchaus verständlich gewesen sein. In einem demokratischen und sozialen Staatswesen ist die Entrichtung von Steuern jedoch eine Gemeinschaftsaufgabe und Grundlage einer funktionierenden, auf Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich basierenden Zivilgesellschaft.

Genauso wie jeder Verein Beiträge und Spenden benötigt, um seine Aufgaben zu erfüllen, braucht dies auch die etwas größere Vereinigung von Menschen, die sich Staat nennt. Da aber die menschliche Natur nun mal nicht immer zur Freigebigkeit neigt, ist es notwendig, die “Mitgliedsbeiträge” gesetzlich festzulegen und denen Sanktionen anzudrohen, die sich der Zahlung entziehen. Der Finanzbeamte ist Teil dieser Ordnung, indem er die Einhaltung der Gesetze überwacht.

Ohne Steuern keine Zivilisation. Ohne Finanzverwaltung kein geregelter Einzug der Steuern.

Etwas provokativ ausgedrückt könnte man daher sagen, der Finanzbeamte ist der wichtigste Beruf in einem zivilen Staat. Er hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich niemand dieser lästigen Pflicht der Steuerzahlung entzieht und stattdessen andere für sich bezahlen lässt.

Leider, wie wir im Verlauf des Buches noch sehen werden, ist dies aber graue Theorie. Denn ausgerechnet diejenigen, die dafür gewählt und prädestiniert sind, durch Gesetze und mittels Steuerpolitik, die Steuerlast gerecht auf die Schultern der Bürger zu verteilen, unsere Politiker, erschweren oft die Arbeit der Finanzbeamten, weil sie zum einen oft damit beschäftigt sind, die Interessen einzelner Berufsgruppen, großer Konzerne oder die ihres eigenen Bundeslandes zu vertreten. Zum anderen werden sie auch von mächtigen Interessengruppen der Wirtschaft genötigt, deren Klientel auf irgendeine Weise zu begünstigen.

Dies hat zur Folge, dass sich viele Steuerpflichtige ungestört ihre Abgabenlast mit legalen oder illegalen Tricks klein rechnen. Wobei ihre ehrlichen Mitmenschen den Anteil, vor dem sie sich drücken, aufgebürdet erhalten.

Variationen in Sachen krimineller Steuerhinterziehung oder unmoralischer Steuervermeidung gibt es wie Sand am Meer. Im Verlauf des Buches werde ich Sie mit einem breiten Spektrum hieraus bekannt machen. Die Rolle der Politik, bzw. das Dilemma, in dem die Politik steckt, wird dann deutlich werden.

Was dagegen der Schriftsteller der Romantik, Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, in dem obenstehenden Vers vorschlägt, ist zwar gut gemeint, aber jenseits aller Realität. Die Folge wäre eine Überschwemmung der Staatsfinanzen mit zu viel Geld, mit dem die Politiker um sich werfen würden. Viele Steuerpflichtige nähmen das Bild mit den Blumen ernst und würden die Ämter in ein Blumenmeer verwandeln. Soviel Liebe würde die Beamten glatt überfordern. Wie soll man da noch arbeiten?

Aber Scherz beiseite. Wie Sie im Verlauf der Lektüre sehen werden, gibt es im Bereich der Besteuerung eine enorme Schieflage. Ein gewichtiger Grund hierfür ist, dass die Steuerhoheit bei den einzelnen Bundesländern liegt. Zum einen versuchen die Länder durch eine laxe Steuerpolitik Firmen zur Ansiedlung zu bewegen oder bereits ansässige zu behalten. Zum anderen bewirken bestimmte Regelungen im Länderfinanzausgleich, dass ihnen von den Mehrergebnissen, die ihre Außenprüfer erzielen, kaum etwas verbleibt.

Der Finanzausgleich wirkt sich zunächst sehr sozial aus, da reiche Bundesländer einen Teil ihrer Steuereinnahmen an ärmere Bundesländer abführen müssen. Es gibt also sogenannte Geber-Länder und Nehmer-Länder.

In Folge eines Passus´ in dieser Regelung müssen allerdings Mehrergebnisse aus Prüfungen von Geber-Ländern fast vollständig, etwa zur Hälfte an den Bund und fast die ganze restliche Hälfte an den Finanzausgleich abgeführt werden. Den Nehmer-Ländern verbleibt von den Mehrergebnissen, durch die Abführungen an den Bund und entsprechende Kürzungen beim Finanzausgleich, ebenfalls so gut wie nichts.

Im weiteren Verlauf des Buches ist zu ersehen, wie negativ sich diese Regelung auf die Praxis der Steuerprüfungen auswirkt.

Ich gebe in die inneren Vorgänge der Finanzverwaltung Einblick, da ich der Meinung bin, dass es „Dienst“-Stellen sind, die dem Bürger dienen sollen und ihm zur Rechenschaft verpflichtet sind.

Die Finanzverwaltung darf nicht als Instrument für den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf der Bundesländer untereinander missbraucht werden. Sie kann auch kein Instrument von Einzelnen oder politischen Parteien sein, um deren wirtschaftliche oder politische Ego-Interessen zu verfolgen.

Mein Buch bitte ich nicht nur als Kritik, sondern auch als Vorschlag zur Verbesserung der Besteuerung aufzufassen. Es geht darum, die in den Gesetzen angestrebte Steuergerechtigkeit in die Tat umzusetzen.

Es geht mir hierbei nicht darum, jemanden zu beschuldigen. Es ist mir vielmehr wichtig, Schwachstellen und Fehlentwicklungen im Steuersystem aufzuzeigen und dies einer größeren Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen, damit der Druck auf Politik und Verwaltung insoweit wächst und nicht mehr Lobbyistengruppen, Parteiinteressen oder finanzpolitische Überlegungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs die Besteuerungspraxis bestimmen.

Es geht einfach um mehr Steuergerechtigkeit.

Dieses Buch ist auch kein Loblied auf die Finanzverwaltung. Vielmehr zeigt es deren Mängel und die Gründe hierfür auf.

Wie Menschen sich verhalten, ist zum großen Teil vom System bestimmt, in dem sie leben. Und Beamte sind auch nur Menschen. Viele passen sich daher dem System an, indem sie den Weg des geringsten Widerstandes gehen.

Wie oft habe ich von Prüfern, die immer wieder ausgebremst wurden, gehört: „Wenn die da oben es so wollen, dann mache ich es eben so!“ Was bedeutete, nur oberflächlich zu prüfen.

Und dann noch die “Bedenkenträger", die immer rechtliche Bedenken vorschützen, um letztlich den einfacheren Weg gehen zu können. Wie beispielsweise beim Ankauf von Steuer CD´s aus der Schweiz oder Liechtenstein, wobei einzelne Finanzminister ihre Untätigkeit damit begründeten, dies sei ungesetzlich. Dabei erklärte das Bundesverfassungsgericht die Ankäufe bereits 2010 für zulässig.1

Dass es auch anders geht, zeigte der ehemalige Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, der in direkter Zusammenarbeit mit der Steuerfahndung, durch den Ankauf von elf Datenträgern von Schweizer Banken, der Staatskasse Einnahmen in Höhe von 7 (in Worten: sieben) Milliarden Euro verschaffte. 2

Leider blieb sein außergewöhnliches Engagement unter Finanzministern, bis zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Buches, ein Einzelfall.

Festzuhalten bleibt: Die Mängel in der praktischen Durchsetzung der Besteuerung in den einzelnen Bundesländern gehen in erster Linie auf das Konto der Politik, die nicht fähig ist, die egozentrischen Interessen der Parteien und vor allem der Bundesländer dem Bestreben einer bundeseinheitlichen Steuergerechtigkeit unterzuordnen.

Vielleicht wundern Sie sich, wenn Sie vereinzelt Dialoge weltanschaulicher Natur lesen werden. So etwas ist man bei solch nüchterner Thematik nicht gewöhnt. Es widerstrebt mir aber, das Thema Steuern und alles, was in dem Zusammenhang an menschlichen Unzulänglichkeiten sichtbar wird wie zum Beispiel Lüge, Betrug, Hinterlist, Raffgier, aber auch menschliche Stärken, wie Großzügigkeit und Ehrlichkeit, nur von der materialistischen Seite her zu sehen.

Ich habe mich daran gewöhnt, das Leben ganzheitlich zu betrachten. D.h. auch die spirituelle Seite mit einzubeziehen: Woher kommen wir, wie ist unsere Welt wirklich, was ist der Sinn dieses Lebens, wohin gehen wir?

Dabei berücksichtige ich, neben der religiösen Sichtweise auch wissenschaftliche Gesichtspunkte. Durch den Fortschritt in der Naturwissenschaft in den letzten einhundert Jahren hat sich gezeigt, dass wir unser angestammtes Weltbild grundlegend überdenken müssen, was im Kontext dieses Buches allerdings nur relativ knapp und oberflächlich dargestellt werden konnte.

Diese Themen sind in meinen beiden anderen Büchern: “Quantenphysik und die Frage nach Gott” sowie “Jesus in Neuem Licht” ausführlich, und was mir wichtig war, auch für den Laien verständlich beschrieben. 3

Nur mit einer wissenschaftlich basierten, spirituellen oder religiösen Weltsicht können wir die großen und kleinen Fragen unserer Existenz zufriedenstellend lösen. Wenn wir das Bezahlen und auch das Hinterziehen von Steuern in diesem Kontext betrachten, ergeben sich oft völlig neue Gesichtspunkte. Wir erkennen dann, dass sich dies nicht nur isoliert auf unseren Geldbeutel auswirkt, sondern auch auf unsere Persönlichkeit. Ist es z.B. wirklich wert, die Steuern auf Zinsen zu hinterziehen, indem ich meine Millionen, die ich in diesem Leben ohnehin nicht verbrauchen kann, auf einem Schweizer Nummernkonto verstecke und gleichzeitig von meinem Gewissen hören muss – falls ich es nicht schon mundtot gemacht habe: „Du Geizkragen, du lässt andere, die viel weniger haben, für dich mitbezahlen.“

Aber genug der Moralpredigt. Hier, eine Vogelschau über den Inhalt des Buches:

Im ersten Kapitel, Steuerhinterziehung und Steuerraub, gebe ich zunächst einen Überblick in die verschiedenen Methoden, den Staat, bzw. die Gemeinschaft der Menschen, die in unserem Land lebt, zu betrügen und andere für sich zahlen zu lassen. Bis zu Kapitel 11 bekommen Sie anschließend Einblicke in das Leben und die dienstliche Arbeit eines Steuerfahnders; auch privater Natur.

Das zwölfte Kapitel beschreibt das außergewöhnliche Leben eines ehemaligen Kollegen, der seine Laufbahn im Finanzamt begann. Außergewöhnlich deshalb, weil er zunächst eine steile Karriere vom Regierungsrat zum leitenden Ministerialrat in wenigen Jahren hinlegte, um dann, infolge von zunächst unsauberen und später kriminellen Aktionen, mehrere Haftstrafen in verschiedenen Ländern Europas, abzusitzen.

In Kapitel 13 bis 15 schildere ich meine Erlebnisse in der Zeit meiner Tätigkeit als Sachgebietsleiter im Innendienst, wobei die meiste Zeit auch einige Außenprüfer zu meinem Sachgebiet gehörten.

Das 16. Kapitel behandelt überregionale, durch die Politik ausgelöste Steuerskandale – die Art und Weise, wie die Politik die Besteuerung lähmt oder sogar verhindert.

Ich habe die Erzählkapitel (1- 12) nicht in Ich-Form, sondern in der dritten Person geschrieben, da nicht alles biografisch ist und von mir erlebt wurde. Der Protagonist trägt zwar weitgehend autobiografische Züge unterliegt aber auch dichterischer Freiheit.

Die geschilderten Fälle sind wirklich geschehen. Jedoch musste ich wegen des Steuergeheimnisses die handelnden Personen sowie Zeit, Ort und Einzelheiten der Besteuerung verfremden.

Wichtig ist mir, dem Leser die Praxis der Besteuerung aufzuzeigen und die Hintergründe für deren Mängel offen zu legen. Die geschilderten Dialoge mit Steuerpflichtigen, Kollegen und Vorgesetzten sind zum großen Teil frei gestaltet.

Wenn Sie wissen wollen, wie es hinter den Kulissen, nicht nur der Finanzämter, sondern auch der Politik, zugeht, lesen Sie weiter.

1. Kapitel

Steuerhinterziehung und Steuerraub

Politisches Denken und Urteilen bewegt sich zwischen der Gefahr, Tatsächliches für notwendig und daher für unabänderlich zu halten und der anderen, es zu leugnen und zu versuchen, es aus der Welt zu lügen.(Hannah Arendt)

Dem Arbeitnehmer wird die Lohnsteuer vorneweg abgezogen und vom Arbeitgeber an das Finanzamt überwiesen. Er erhält nur einen Nettobetrag. Im folgenden Jahr kann er eine Einkommensteuererklärung abgeben, wobei er meist einen kleinen Teil seiner Steuer wieder zurückbekommt. Wenn er nicht nebenbei “schwarz” arbeitet, hat er kaum Möglichkeiten seine Steuern zu verkürzen.

Die Einnahmen eines selbstständigen Unternehmers dagegen sind brutto. Sie enthalten auch die Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer, die er später an das Finanzamt abführen muss, bzw. müsste, wenn er wollte. Er kann also selber, bis zu einem gewissen Grad, mitbestimmen, wieviel er dem Finanzamt überlässt. Bei dem “Wieviel “spielt sein Charakter eine große Rolle.

Ist er sich bewusst, dass die abzuführenden Beträge wichtig für die staatliche Gemeinschaft sind und ist es für ihn eine Ehrensache, nicht andere für sich bezahlen zu lassen, wird er sich selber überreden, seine Steuerpflicht so gut wie möglich zu erfüllen.

Leider gibt es aber viele Charaktere, die genau in die andere Richtung denken und handeln.

„Es ist mein Geld und ich lasse mir vom Staat so wenig wie möglich abnehmen! Das sind ohnehin alles Faulenzer, die nur von meinem Geld leben.“

Schließlich muss man seine gesetzwidrigen Handlungen begründen, um sein Gewissen zu beruhigen.

Um Steuern zu sparen, kann der Unternehmer sich legaler Methoden bedienen, aber auch grenzwertiger Tricks bis hin zu gesetzwidriger Steuerhinterziehung. Eine letzte Stufe ist, sich Steuern erstatten zu lassen, die man nie bezahlt hat – also ein Raub aus der Staatskasse.

Im Folgenden gebe ich einen Querschnitt über die Methoden der Steuerhinterziehung bzw. des Steuerraubes, unter denen die Einnahmen des Staates am meisten leiden.

So erklärt ein Großteil des gewerblichen Mittelstandes Umsatz und Gewinn mehr oder weniger nach eigenem Gusto an das Finanzamt.

Bislang waren beispielsweise alle Registrierkassen in Deutschland manipulierbar und natürlich wurden sie fleißig manipuliert. Schätzungen gehen von mehr als 10 Milliarden Steuerausfall, allein durch die dadurch nicht verbuchten Bareinnahmen, aus. 1

Ende 2016 wurde vom Bundestag endlich nach Jahrzehnten ein Kassengesetz beschlossen, nach dem elektronische Kassen mit einer zertifizierten Sicherheitseinrichtung versehen sein müssen und jedem Kunden ein Kassenbon ausgehändigt werden muss. Die Lobbyisten erreichten jedoch immer wieder einen Aufschub der Einführungsfrist, sodass für einen Teil der Registrierkassen noch eine Ausnahmeregelung bis Ende 2022 besteht.

Die Aushändigung des Kassenbons ist Teil der Regelung, da nur dann sichergestellt ist, dass der Verkauf in der Kasse erfasst ist. Verständlich, dass die Kaufmannschaft, vorneweg die Bäckerinnung, hiergegen Sturm lief.

Thomas Eigenthaler, der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, führte hierzu in einem Interview aus:

„Ich glaube nicht, dass der ökonomische Erfolg einer Bäckerei an der Kasse und an einer Papierrolle hängt, da gibt es ganz andere Parameter. Es geht doch darum, dass man ehrlich und fair Steuern bezahlt. Und das Gesetz sagt, der Kunde soll in diesen Vorgang ein Stück weit einbezogen werden. Er soll sehen: Hab ich´s denn mit einem ehrlichen Unternehmen zu tun, das verbucht, oder muss man da ein Fragezeichen machen? Ich finde, das ist sehr, sehr wichtig, und im Ausland funktioniert das auch.“

Und an anderer Stelle: „Steuerzahlen kann nicht nur etwas für Dumme sein.“ 2

Dazu ist noch zu bemerken, dass ähnliche Regelungen im europäischen Ausland schon seit Jahrzehnten in Kraft sind.

Wer hat nicht schon von einem Handwerker die Frage gehört: „Brauchen Sie eine Rechnung? Wenn nicht, können Sie die Mehrwertsteuer sparen!“

„Brigitte Unger, die Wissenschaftlerin der Böckler-Stiftung, die sich intensiv mit Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzarbeit auseinandergesetzt hat, beziffert den Gesamtschaden auf 100 Milliarden Euro pro Jahr.“ 3

Um eines klarzustellen: Arbeitnehmer sind nicht die Guten und Unternehmer nicht die Bösen. Arbeitnehmer haben dieselben menschlichen Eigenschaften wie Unternehmer. Ich habe viele Arbeitnehmer gesehen, die sich selbstständig machten und dann steuerlich genauso agierten wie etablierte Unternehmer. Bekanntermaßen gibt es auch Schwarzarbeit bei Arbeitnehmern. Aber in der Summe übersteigen die durch Unternehmer verursachten Steuerausfälle oder Steuerbetrügereien die der Arbeitnehmer bei weitem, da sie wesentlich mehr Möglichkeiten haben.

Sehr beliebt ist unter Reichen und Superreichen die Anlage ihrer Gelder aus unversteuerten, aber auch aus versteuerten Gewinnen in Steueroasen, in denen sie für die anfallenden Zinsen nur minimale Steuern bezahlen. Internationale Konzerne, aber auch normale Firmen, nutzen Steueroasen, um ihre Gewinne zum Teil dorthin zu verlagern, durch Eröffnung einer Briefkastenfirma. Die dortige Steuer beträgt oft nur einen kleinen Bruchteil von dem, was sie in dem Land bezahlen müssten, in dem sie ihre Geschäfte betreiben. Es gibt sogar Steueroasen, die ganz auf eine Gewinnsteuer verzichten.

Der europäische Rat führte in 2020 eine Liste von zwölf Ländern auf, die mit der EU für Steuerzwecke nicht kooperieren. D.h., sie geben den Mitgliedstaaten der EU keine Auskünfte über die bei ihren Banken eingelagerten Kapitalien oder über die registrierten Scheinfirmen. Das sind beispielsweise die Cayman Islands, Virgin Islands, Panama, die Seychellen oder auch Oman. 4

Außer diesen nicht kooperierenden gibt es noch Steueroasen, die zwar mit den Staaten der EU kooperieren, sich jedoch trotzdem eine Menge einfallen lassen, um die bei ihnen registrierten Scheinfirmen oder angelegten Gelder zu verheimlichen. Einige davon sind die Schweiz, Liechtenstein, Monaco oder Guernsey. Ironischerweise sind auch viele EU-Länder darunter, wie z.B. Luxemburg, Österreich, Malta oder Zypern. 5

„Pro Jahr entgehen den Staaten durch diese Steueroasen laut der NGO Tax Justice 255 Milliarden Dollar.“ 6

Man könnte zu träumen anfangen um wieviel man die Steuerlast, vor allem für die Masse der Lohnsteuerzahler, senken könnte, wenn alle ihre Steuern ehrlich bezahlen würden. Die Allgemeinheit könnte zu einem großen Teil steuerlich entlastet werden und der Staat bräuchte nicht immer neue Schulden anzuhäufen.

Nicht vergessen dürfen wir kriminelle Aktionen, mittels derer sogar Steuererstattungen ergaunert werden, ohne dass vorher eine Steuer bezahlt wurde. Hier sind in erster Linie die bekannt gewordenen Cum-Ex Geschäfte zu nennen, wobei sich bedeutende Banken zu Handlangern von kriminellen Aktionen machten. Durch Buchungstricks ihrer Hausbank ließen sich hier Reiche und Superreiche Kapitalertragssteuer vom Finanzamt erstatten, die sie nie bezahlt hatten. Der Schaden für die deutsche Staatskasse wird insgesamt auf etwa 10 bis 12 Milliarden Euro geschätzt. 7

Ab 2012 wurde dem, nach jahrelangem Zögern durch die Politik, mittels einer gesetzlichen Regelung, ein Riegel vorgeschoben. Cum-Ex Geschäfte wurden vom Landgericht Bonn mit Urteil vom 18.03.2020 als strafbare Steuerhinterziehung angesehen. Die Aufarbeitung des entstandenen Schadens durch die Finanzverwaltung und die Gerichte war bei Erstellung dieses Buches noch lange nicht abgeschlossen.

Auch mit dem sogenannten Umsatzsteuerkarussell wird seit Einführung der Mehrwertsteuer die Staatskasse, allein in Deutschland, jährlich in einer Größenordnung von fünf bis vierzehn Milliarden Euro geplündert. 8 Im Kapitel 13, Umsatzsteuersonderfahndung – Umsatzsteuerkarussell – ist dieses Modell näher erläutert.

„Laut Recherchekollektiv Correctiv macht es Deutschland den Betrügern besonders leicht. So sind sowohl die Umsatzsteuern als auch die Strafverfolgung von Steuerhinterziehung Sache der Länder. Zudem werde die Strafverfolgung durch den regionalen Fokus der Finanzämter und Staatsanwaltschaften erschwert. So bereitet Deutschland dem organisierten Steuerbetrug weiter fruchtbaren Boden.“ 9

Wie wir im weiteren Verlauf noch sehen werden, trifft diese Beurteilung das zentrale Problem der bundesdeutschen Besteuerungspraxis.

Natürlich gibt es noch etliche andere Gaunereien, um sich aus der Staatskasse zu Lasten der Allgemeinheit zu bedienen. Die Konstruktion der Umsatzsteuer öffnet dem Betrug Tür und Tor.

Wie funktioniert das Umsatzsteuerverfahren?

Der Lieferant oder Leistende berechnet dem Abnehmer Umsatzsteuer, die er an das Finanzamt abführen muss.

Der Leistungsempfänger, sofern er Unternehmer ist, bekommt diese vom Finanzamt wieder als Vorsteuer erstattet oder angerechnet. Lieferungen oder Leistungen von Unternehmer zu Unternehmer sind daher steuerlich ein Nullsummenspiel.

Wenn nun aber der Rechnungsaussteller seine Umsatzsteuerschuld nicht bezahlt und bei ihm auch nichts zu holen ist, verbucht die Staatskasse einen Verlust in Höhe der vom Leistungsempfänger geltend gemachten Vorsteuer.

Dies kann beispielsweise geschehen, wenn der Leistende in Insolvenz geht oder wenn es sich bei ihm um eine Scheinfirma handelt, die nicht greifbar ist, weil der Betreiber beispielsweise vom Ausland aus agiert. Zwar gibt es rechtliche Vorschriften, die das zu verhindern bestrebt sind. Aber längst nicht jeder solcher Vorgänge wird der Finanzverwaltung bekannt.

Nicht zuletzt deswegen, weil sich die mit höheren juristischen Weihen gesegneten höheren Beamten in den Ministerien nicht gerne mit solchen profanen Vorgängen befassen. Sie beschäftigen sich lieber mit den theoretischen gesetzlichen Bestimmungen als mit deren Missbrauch in der Praxis.

Die politischen Entscheidungsträger werden daher oft erst dann informiert und sensibilisiert, wenn die Betrügereien zu offensichtlich geworden sind und der Schaden nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden kann.

Selbst wenn diese endlich Bescheid wissen, dauert es oft einige Jahre oder gar Jahrzehnte, bis sie sich gegenüber den Lobbyisten durchgesetzt haben und den Missbräuchen gesetzlich ein Riegel vorschieben. Und dieser “Riegel” ist dann manchmal durch Kompromisse und Ausnahmeregeln so wackelig, dass Steuerhinterzieher und Betrüger sofort wieder mit veränderten Varianten weitermachen. Und dann dauert es wieder Jahre, bis die mit höheren juristischen Weihen gesegneten höheren Beamten … . Das Weitere können Sie sich selber denken!

Nachstehende Übersicht zeigt auf, wie viel der Gemeinschaft an Steuern durch Hinterziehung und betrügerische Machenschaften – mindestens – verloren geht:

Dies ist zwar nur eine grobe Schätzung. Aber sie ist eher zu vorsichtig, als übertrieben. Wenn wir nun die Höhe der Staatsausgaben 2019 – den Bundeshaushalt oder die Gesamtsteuereinnahmen des Bundes, der Länder und Gemeinden – dem gegenüberstellen, ist es schon erschreckend, dass die Steuermanipulationen mehr als die Hälfte des Bundeshaushaltes oder über ein Viertel der gesamten Steuereinnahmen ausmachen.

Man kann nicht sagen, die Politik hätte sich der Sache mit den Steueroasen nicht angenommen. Vieles muss heute jedoch EU-weit geregelt werden. Aber oft wehren sich einzelne Staaten, um ihre Steuer-Privilegien nicht zu verlieren, so dass letztlich oft faule Kompromisse herauskommen, die zu viele Schlupflöcher lassen.

Ansonsten halten sich die Bemühungen der Politik, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen, sehr in Grenzen. Letztlich gilt: „Business as usual“.

Wir sehen, mangelnde Steuergerechtigkeit ist kein Problem einzelner Bundesländer oder gar einzelner Finanzämter. Vielmehr erstreckt sie sich über die gesamte Bundesrepublik, bzw. hat eine weltweite Dimension. Solche, von mir geschilderten Fälle, ereignen sich daher in ähnlicher Weise ständig in allen Finanzamtsbereichen Deutschlands.

An all dem hat die politische Steuerung maßgeblichen Anteil, die die Steuererhebung in den deutschen Bundesländern weitgehend bestimmt. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich und werden im Verlauf des Buches deutlich werden.

Aber gegen die gleichmäßige Besteuerung wird nicht nur durch die Politik agiert. Es wird auch versucht, die öffentliche Meinung massiv für die eigenen Belange zu instrumentalisieren.

So zum Beispiel durch den Bund der Steuerzahler Deutschland e. V.

Öffnet man seine Webseite, so liest man unter der Überschrift:

Mitgliedschaft, Gemeinsam erreichen wir mehr:

wir kämpfen gegen die Verschwendung von Steuergeldern

wir verteidigen Ihre Rechte als Steuerzahler

wir fordern die Bestrafung von Steuergeldverschwendung

wir bieten Ihnen wertvolle Ratgeber mit zahlreichen Steuertipps

Mittels der Schuldenuhr, die den aktuellen Schuldenstand des Staates darstellt, wird die hohe Staatsverschuldung angeprangert.

Es ist sicher in Ordnung, wenn es eine Vereinigung gibt, die den staatlichen Behörden auf die Finger schaut und Verschwendung anprangert. Allerdings gibt es auch in der freien Wirtschaft Verschwendung. Und die dürfte um einiges krasser sein als die staatliche.

Wenn wir ein Auto kaufen, bezahlen wir zum Beispiel auch das Spitzengehalt des Vorstandsvorsitzenden des Konzerns mit, von dem ein Bundeskanzler nicht mal zu träumen wagt.

Verwunderlich ist auch, wie der Steuerzahlerbund auf das Kriterium staatlicher Verschwendung festgelegt ist. Kein Wort über die mangelnde Steuerehrlichkeit, die die Steuerbelastung der Ehrlichen und derer, die sich nicht entziehen können, in die Höhe treibt.

So schreiben Sascha Adamek und Kim Otto in ihrem ausgezeichnet recherchierten Buch: Schön Reich, Steuern zahlen die anderen:

„Die Unternehmensberatung BBW kommt zu dem Ergebnis, dass deutsche Steuerpflichtige 175 Milliarden Euro in die Schweiz, 85 Milliarden nach Luxemburg, 70 nach Österreich und 155 Milliarden in weiter entfernte Steueroasen wie etwa die Kaimaninseln geschafft haben. Insgesamt wurden demnach geschätzte 330 Milliarden allein ins benachbarte Ausland geschafft.“ 10

Wieviel besser erginge es dem Gemeinwohl, wenn diese, insgesamt (330 + 155 =) 485 Milliarden – Gelder, die deren Eigentümer in diesem Leben meist nicht mal annähernd verbrauchen können – ordnungsgemäß versteuert werden würden.

Stattdessen suggeriert der Verein, der immense Schuldenstand und die hohe Steuerbelastung würde durch die Verschwendung des Staates verursacht werden, der dem Bürger ausbeuterisch gegenübersteht. Wobei die Steuerbelastung des normal verdienenden Arbeitnehmers bewusst irreführend in die Höhe geschraubt wird.

So war am 26.1.2021 auf der Webseite zu lesen: „45,7 Cent bleiben Ihnen – rein rechnerisch – von jedem verdienten Euro im Jahr 2018.“ Hierbei wird verschwiegen, dass in den Abzügen, außer der Lohnsteuer, noch Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung enthalten sind. Alles Ausgaben für die private Absicherung. Die Lohnsteuer beträgt in der Regel nur zwischen 6 und 19 Prozent, je nach Familienstand und Höhe des Arbeitslohnes.

In seinem Buch: STEUERN – DER GROSSE BLUFF entlarvt Norbert Walter-Borjans mit klaren Argumenten die (Des-) Informationskampagnen dieses Vereins und greift ihn mit scharfen Worten an.11

Offensichtlich hat sich der Verein zum Handlanger reicher Steuervermeider gemacht, indem er die zweifellos starke Belastung der einfachen Lohnsteuerzahler dem “verschwenderischen” Staat in die Schuhe schiebt und Steuersenkungen fordert, von denen normalerweise Besserverdienende am meisten profitieren. Was wiederum, im Umkehrschluss, die Normalverdiener stärker belastet. Irgendjemand muss schließlich die gemeinschaftlichen Ausgaben tragen.

Nach diesem, etwas unerfreulichen Gesamtüberblick, wollen wir uns nun der Praxis zuwenden, den Erlebnissen eines Finanzbeamten, den es in die Steuerfahndung verschlagen hat.

2. Kapitel

Ein ereignisreicher Tag

Ich habe nichts gegen Beamte. Sie tun ja nichts!(Blöder Witz – aus der Sicht eines Beamten)

Es war einmal ein Bundesland, das wie viele andere auch, seine Ausgaben, von seinen eigenen Steuereinnahmen nicht bestreiten konnte. Obwohl es durch den Länderfinanzausgleich von den reicheren Ländern Geld bekam, reichten die Einnahmen nicht aus, um die Ausgaben zu bestreiten. Die Regierung, egal von welcher Partei, musste daher immer neue Schulden aufnehmen und sehen, wie sie das Land über die Runden bringt.

In der Hauptstadt befand sich der Sitz des Finanzministeriums wie auch der Oberfinanzdirektion. Über das Land verteilten sich viele Finanzämter.

In einem altmodisch eingerichteten Amtszimmer in einer dieser “Raubritterburgen", wie sie von manchen unwilligen Steuerbürgern genannt werden, sitzen um 8.00 Uhr vormittags zwei dieser “Raubritter", etwa 30 und 40 Jahre alt, über ihre gegenüberliegenden Schreibtische gebeugt.

Während der Jüngere Steuererklärungen bearbeitet und seine Finger über die Tastatur des Computers laufen lässt, liest der Ältere ein Buch, das in der herausgezogenen Schublade seines Schreibtisches liegt.

Über der Szene liegt eine gelassene Ruhe, die plötzlich von einem schnellen Klopfen an der Tür unterbrochen wird. Bereits während des Klopfens wird schon die Türe aufgestoßen und herein stürmt ein hochgewachsener, sportlich aussehender Mann mittleren Alters, bleibt wie angewurzelt an der Tür stehen und starrt angestrengt auf Linus Michels, den Älteren der beiden. Es ist Sachgebietsleiter Schneider, der Chef der Körperschaftsteuerstelle.

Aufgrund eines Tipps eines “fürsorglichen” Kollegen von Linus, bezüglich dessen morgendlicher Lesestunde, will er diesen auf frischer Tat ertappen.

Aber Linus ist ein vorsichtiger Mensch und hat den Ernstfall mehrere Male vorher geprobt. Bereits während des Klopfens hatte er die Schublade mit einer Reflexbewegung in den Schreibtisch zurückfeuert, seinen Kugelschreiber ergriffen und in einer Steuererklärung zu blättern angefangen. Mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck blickt er nun verwundert auf seinen Sachgebietsleiter und wünscht ihm einen Guten Morgen.

Herr Schneider steht nun unschlüssig da. Er hat wohl begriffen, dass seine Aktion ein Fehlschlag ist – andererseits war ihm der Knall, der beim Zuschlagen der Schublade entstand, nicht entgangen. Aber er weiß wohl, eine Durchsuchung des Schreibtisches kommt nicht infrage. So beschränkt er sich auf ein gemurmeltes: „Das geht doch nicht“ und ist so schnell durch die noch geöffnete Tür hinaus, wie er hereinkam.

Armin, Linus´ Zimmergenosse, der die Szene mit unbeteiligtem Gesicht beobachtet hatte, bricht nun in ein unterdrücktes Gelächter aus, das er erst nach einiger Zeit unter Kontrolle bringt.

Die Wände des Amtszimmers sind dünn und die Beurteilungen stehen bevor. Er kann daher nicht riskieren, dass sein Gelächter Herrn Schneider direkt oder indirekt zu Ohren kommt.

„Das waren wohl deine Geister, die dich gerettet haben“, meint er zu seinem Gegenüber, nachdem er sich wieder gefangen hat, in einem Ton, in dem etwas Bewunderung, aber auch leichter Grusel mitschwingt. „Ich würde mich nicht allzu sehr auf sie verlassen, sonst fällst du mal gewaltig auf die Nase.“

Linus hat sich von seinem ersten Schreck schon wieder erholt, nimmt das Buch aus der Schublade, legt einen Papierfetzen als Lesezeichen hinein und verstaut es in seiner Aktentasche. Es trägt den schönen Titel: Verkehr mit der Geisterwelt.

Zu Armin gewandt, rechtfertigt er sich: „Erstens hast du gesehen, dass es gar nicht so einfach ist, mich zu erwischen und zweitens, wenn schon, was könnte er schon machen. Ich habe meinen Bezirk genauso in Ordnung wie andere auch. Außerdem mache ich keine Kaffeepause, lese keine Zeitung und sitze auch sonst mehr auf meinem Stuhl als manche anderen, die zwischendurch ihre Schwätzchen halten.“

Linus hatte einen Spleen. Jedenfalls wurde es von manchen Kollegen so gesehen. Er dachte, wenn ich existiere und denken kann, ist es eine der wichtigsten Sachen im Leben, herauszufinden, wieso ich existiere und was der Zweck meiner Existenz ist. Einem Hund kann man nicht verübeln, wenn er sich keine Gedanken darüber macht. Aber mit den intellektuellen Möglichkeiten eines Menschen ist es gewissermaßen eine Verpflichtung, diesen Fragen nachzugehen.

Er wollte einfach wissen, was Wirklichkeit ist! Wieso sind wir hier auf dieser Erde? Existierte der Mensch schon vor diesem Leben? Was folgt nach dem Tode? Vorausgesetzt es folgt etwas. Woher kommt das materielle Universum? Gibt es jenseits dessen eine geistige Welt? Was ist an der Sache mit Gott?

Kurz gesagt: nach seiner Ansicht sollte der Mensch danach trachten, über den materialistischen Tellerrand hinausschauen.

Zu diesem Zwecke las Linus sich durch Berge von Büchern.

Zuhause beanspruchten ihn Frau und Kinder sowie Haus und Garten. Infolgedessen hatte er abends oft keine große Lust mehr, sich die Lektüre trockener Sachbücher anzutun. Dagegen war der Geist in der Frühe frisch und aufnahmefähig, so dass er diese morgendliche Lesestunde ideal für die Erweiterung seines Wissens hielt. Er las dabei quer durch alle Wissensgebiete, wie Evolutionstheorie, Quanten- und Astrophysik, bis hin zu Nahtoderfahrungen, Spiritismus, Reinkarnation, westliche und östliche Religionen und noch vieles andere, was die Esoterik bereithält.

Er hielt dies einfach für wichtiger, als die Tageszeitung zu lesen. Letzteres war morgens zwar ungern gesehen, aber doch nicht verboten. Da er seiner dienstlichen Tätigkeit schnell und konzentriert nachging, war es für ihn kein Problem, mit der Bearbeitung der eingehenden Steuererklärungen – der Veranlagung, wie es im Finanzamtsdeutsch genannt wird – auf dem Laufenden zu bleiben.

Nun vergeht eine längere Zeit, in der die Stille nur von Geräuschen der Computertastatur oder gedämpfter Ausrufe wie: „So ein Mist, jetzt nimmt er das wieder nicht an! Weißt du wie das geht?“ Nachdem der Kollege hinzukommt, wird das Problem gemeinsam bewältigt. Eben der normale tägliche Kampf mit dem Computer, nachdem die Finanzverwaltung ein neues, noch nicht ausgereiftes Programm installiert hat, mit dem sich die Beamten eine Zeitlang herumschlagen müssen, bis die Mängel ausgemerzt sind.

Der Tag hält aber noch eine weitere Überraschung bereit.

Es klopft und herein tritt – diesmal ruhig und bedächtig – mit einem freundlichen: „Guten Morgen die Herren,“ ein untersetzter älterer Herr, dessen lustige oder sind es eher listige Augen, die beiden anlachen. Ewald Maringer ist der stellvertretende Chef der Steuerfahndung. Obwohl diese in einem anderen Gebäude der Stadt untergebracht ist, kennen die beiden ihn, da er des Öfteren im Hause auftaucht, um sich Steuerakten verdächtiger Klienten anzusehen.

Auch diesmal geht es darum.

Froh, ein bisschen Abwechslung zu haben, steht Linus auf, zieht die gewünschte Akte unter einem Stapel im Schrank hervor und überreicht sie Maringer. Dieser setzt sich an den dritten Tisch im Raum, der für Auszubildende und für Publikum vorgesehen ist und fängt an, in der Akte zu blättern. Aber irgendwie scheint er kein richtiges Interesse daran zu haben. Hin und wieder mustert er Linus verstohlen von der Seite, bis er dann mit seinem eigentlichen Anliegen herausrückt:

„Herr Michels, wir haben in der Steufa (gebräuchliche Abkürzung für Steuerfahndung) eine Stelle neu zu besetzen. Haben Sie kein Interesse sich zu bewerben? Sie haben doch schon längere Bp-Erfahrung (Bp steht für Betriebsprüfung). Wir könnten sie ohne längere Einarbeitung direkt einsetzen. Der Innendienst ist doch auf die Dauer keine Option für Sie!“

Maringer spricht hier Linus´ wunden Punkt an. Dieser war einige Jahre recht erfolgreich als Betriebsprüfer tätig gewesen. Das Problem war jedoch, dass nach jeder Prüfung über sein Prüfungsergebnis mit dem Steuerpflichtigen und seinem Steuerberater in einer Schlussbesprechung verhandelt wurde. Anwesend hierbei waren auch sein Sachgebietsleiter und der zuständige Bearbeiter oder Sachgebietsleiter des Innendienstes. Letztere sind über die Feststellungen des Prüfers entscheidungsbefugt.

Das, was dieser an Ungereimtheiten bis hin zu offensichtlichen Steuerhinterziehungen im Laufe von ein bis zwei Wochen bei der Überprüfung der Buchhaltung und einer Nachkalkulation des Umsatzes oder durch einen Vermögensvergleich – einer komplizierten Berechnung, ob der erklärte Gewinn zum Leben ausreichen konnte – aufgedeckt hatte, wurde oft im Laufe einer Stunde Besprechung bis auf einen kläglichen Rest zusammengestrichen. Die Gründe hierfür waren vielfältiger Natur: Persönliche Bekanntschaften, ein Anruf von Höherer Stelle, Angst jemandem weh zu tun oder einfach nur fehlendes Rückgrat des entscheidungsbefugten Vorgesetzten.

Wenn man den Steuersünder und seine Frau persönlich vor sich sitzen hat, versteckt sich die Verpflichtung, für Steuergerechtigkeit zu sorgen, sehr leicht hinter dem Bedürfnis, als verständnisvoller, für die Belange der Wirtschaft eintretender Beamter zu gelten. Manche Innendienstbeamten sind ganz einfach überfordert, die Scheingefechte zu durchblicken, die hierbei ausgefochten werden und geben einfach nach, um nichts Falsches zu machen oder um ihre Ruhe zu haben und nicht angefeindet zu werden. Wobei dem Prüfer, der während der Prüfungszeit einen wesentlich tieferen Einblick gewonnen hat, dann natürlich der Part des verbissenen Beamten zukommt, der keinen Sinn für größere wirtschaftliche Zusammenhänge hat.

Natürlich gab es auch Schlussbesprechungen die regulär abliefen. So war Linus immer erleichtert, wenn der vorerwähnte, zur Tür hereinstürmende Sachgebietsleiter Schneider, mit von der Partie war. Dieser war einer der wenigen, bei dem er sich sicher sein konnte, dass er ihm nicht in den Rücken fiel.

Aber die Unsicherheit war ein ständiger Begleiter. Linus kam sich oft vor wie ein Architekt, der ein Haus baut, bei dem anschließend so vieles beanstandet und abgerissen wird, dass am Schluss nur noch eine Ruine übrig ist.

Nachdem er dieses zermürbende Spiel einige Jahre hindurch immer wieder erlebte, hatte er die Nase voll und sprach – nach einer besonders frustrierend verlaufenden Schlussbesprechung – beim Vorsteher des Finanzamtes vor, damit dieser ihm eine Stelle im Innendienst zuweisen sollte. Und da befindet er sich nun schon im dritten Jahr.

Das Angebot Maringers lässt ihn aufhorchen. Aber der Frust sitzt noch tief in ihm.

„Herr Maringer, Ihr Angebot freut mich. Aber ich nehme an, Sie wissen, wieso ich mich in den Innendienst gemeldet habe. Sie können sich vorstellen, dass ich keine große Lust mehr habe, immer nur für den Papierkorb zu arbeiten. Ich würde lieber heute als morgen in den Außendienst gehen, aber dann sitze ich wieder in derselben Sch… .“

Gerade noch rechtzeitig kann er sich bremsen. „Ich wollte sagen, kommen wieder dieselben Probleme auf mich zu.“

„Ich verstehe Sie, Herr Michels. Aber in der Steuerfahndung läuft das doch etwas anders. Da bei Prüfungen oft vorher eine Hausdurchsuchung gemacht wird, haben Sie meistens Belege zur Hand, die ein Betriebsprüfer nie zu Gesicht bekommt. Diese sind dann oft so beweiskräftig, dass dies bei der Schlussbesprechung nicht ohne weiteres übersprungen werden kann. Auch haben Sie als Fahnder eine stärkere Position als ein normaler Betriebsprüfer.“

„Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Maringer. Was Sie sagen stimmt sicher zum Teil. Aber ich habe auch schon Fahnder baden gehen sehen.“ „Ich hatte mir das mit Ihnen leichter vorgestellt, Herr Michels. Ich schlage vor, Sie überlegen sich das nochmals in Ruhe und sagen mir in den nächsten Tagen Bescheid.

Nun möchte ich Ihnen noch etwas sagen, bitte Sie aber, dies für sich zu behalten. Ein weiterer Grund, weshalb ich Sie anspreche ist, dass ein Beamter für die Stelle vorgesehen ist, dem der Ruf vorausgeht, nicht besonders an Arbeit interessiert zu sein. Aber er ist nun mal in der richtigen Partei und wird daher auch von Herrn Hauser, dem Leiter der Steufa favorisiert, der in derselben Partei ist. Ich bin zwar nur der zweite Mann, habe aber den Personalrat auf meiner Seite, der mich gebeten hat, einen geeigneten Prüfer zu präsentieren.“

Maringer stand nun auf, klappte die Akte zu und gab sie Linus zurück. „Sie brauchen übrigens keine Sorge zu haben, mit Herrn Hauser in Konflikt zu geraten. Er wechselt demnächst zur Bezirksbetriebsprüfung. Rufen Sie mich bald an, egal wie Sie sich entscheiden. Es ist nicht mehr viel Zeit.“

Mit den Worten: „Dann noch einen schönen Tag, die Herren,“ verabschiedet er sich mit einer leichten Verbeugung und wendet sich zur Türe.

Wie wird sich Linus entscheiden? Darüber mehr im nächsten Kapitel.

3. Kapitel

Schmutziges Gold

Ein Polizist wollte gestern meinen Bauernhof nach illegalen Pflanzen durchsuchen. Ich sagte ihm, dass er es machen kann, nur das eine Feld neben dem Stall soll er nicht betreten.

Er holte ein Blatt Papier aus seiner Tasche und sagte arrogant: „Sehen Sie diesen Durchsuchungsbefehl? Damit kann ich JEDES, und wenn ich JEDES sage, dann meine ich auch JEDES (…) FELD, durchsuchen. War das klar genug?“

Ich entschuldigte mich bei ihm, ließ ihn machen und ging weiter meiner Arbeit nach.

Nach fünf Minuten sah ich ihn auch schon rennen, als der Stier, vor dem ich ihn warnen wollte, hinter ihm her war und ihn auch beinah hatte.

Ich ließ alles stehen und brüllte ihm zu:

„DEN DURCHSUCHUNGSBEFEHL! ZEIGEN SIE IHM DEN

DURCHSUCHUNGSBEFEHL!“1

„Wieso wackelt das Durchsuchungsbeschluss in meiner Hand derart?“, wundert er sich. Bei näherem Hinsehen, bemerkt er, dass es von seiner Hand ausgeht. Diese zittert deutlich sichtbar, was durch das Blatt verstärkt wird.

Er atmet ein paarmal tief durch und drückt dann, nachdem er nochmal den Namen an der Haustüre mit dem auf dem Durchsuchungsbefehl verglichen hat, entschlossen auf die Türklingel.

Seit dem Gespräch mit Maringer sind einige Monate vergangen. Dessen Angebot hatte Linus doch bewogen, es nochmal mit dem Außendienst zu versuchen. Er spürte, dass er nicht sein ganzes Leben im Innendienst verbringen kann. Mit seinen 38 Jahren fühlte er sich noch jung genug, um Abenteuer zu erleben. Es reizte ihn, einmal dahinter zu kommen, wie das Katz und Maus Spiel zwischen Wirtschaft und Finanzamt wirklich läuft; was hinter den Kulissen geschieht.

Auch hat es ihn immer interessiert, wie Menschen ticken, die mehr oder weniger jenseits der Legalität leben; sogenannte Kriminelle. So besann er sich nicht mehr lange und überreichte sein Bewerbungsschreiben für die Stelle in der Steuerfahndung seinem Finanzamtsvorsteher. Nach einigem Hin und Her war er in das Finanzamt für Betriebsprüfung und Steuerfahndung in der Hauptstadt versetzt worden.

Zunächst ging er ein paarmal mit anderen Fahndungsprüfern mit, um sich einzuarbeiten. Aber schon nach ein paar Wochen bekam er eigene Fälle zugeteilt und steht nun mit drei weiteren Fahndungskollegen und einem Zeugen ziemlich nervös vor der ersten Hausdurchsuchung, die er selbst leitet.

Bei jeder Durchsuchung hat ein neutraler Zeuge anwesend zu sein – meist ein Beamter der Stadt- oder Gemeindeverwaltung – der bei etwaigen Vorwürfen von Seiten der Steuerpflichtigen als unparteiischer Beobachter gehört werden kann.

Grund dafür, dass Linus eine richterliche Anordnung für die Hausdurchsuchung erwirkte, war die schriftliche Anzeige eines Mannes gegen seine getrennt lebende Ehefrau: Sehr geehrtes Finanzamt!

Ich möchte zur Anzeige bringen, dass meine, von mir getrennt lebende Ehefrau Anita Kettenhofen, etwa 1 Million DM auf Konten bei der hiesigen Kreissparkasse hat und für die Zinsen daraus keine Steuern bezahlt.

Das Geld stammt hauptsächlich aus dem Erbe von ihrem Vater, der ein hoher Nazi war. Er besaß nach dem Krieg einen Sack mit Goldzähnen von im KZ ermordeten Juden. Den größten Teil vererbte er meiner Frau. Ich kann das mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren und bitte Sie daher der Sache nachzugehen.

Gezeichnet: Albert Kettenhofen

Um sicher zu gehen, dass es sich hier nicht nur um einen reinen Racheakt unter Eheleuten handelt, bat Linus zunächst Herrn Kettenhofen telefonisch um ein Gespräch, um den Wahrheitsgehalt der Anzeige beurteilen zu können. Er trifft ihn in seiner Werkstatt an, in der er alte Möbel und auch Kunstwerke restauriert.

Beim Eintreten in die Werkstatt liest Linus: „Redlichkeit gedeiht in jedem Stande“, oder: „Ein wahrhaft edler Mensch findet Glauben, ohne zu reden“. Noch andere eingerahmte Verse hängen an der Wand, die alle den ethischen Standpunkt des Inhabers signalisieren.

Als dieser nun auf Linus mit ausgestreckter Hand zugeht, um ihn zu begrüßen, sieht er dabei mürrisch auf den Boden.

„Ein vom Leben Enttäuschter, der mit Mühe versucht, seine Ideale hochzuhalten,“ kommt es Linus in den Sinn.

Da Kettenhofen meist allein arbeitet, hat er sich mit der Zeit wohl zu einem Eigenbrötler entwickelt. Und die Ehe, die er in fortgeschrittenem Alter eingegangen war, scheint auch nicht zu seiner Erheiterung beigetragen zu haben. Linus hat ein bisschen Mitleid mit ihm.

Seine Frau verbarg zwar ihre Bankgeschäfte vor ihm. Aber er hatte im Laufe der Jahre einiges davon mitbekommen. So übergibt er im Laufe der Unterredung dem Prüfer einen Kontoauszug seiner Frau, den sie einmal versehentlich auf den Tisch liegen ließ. Dieser weist eine Summe im hohen fünfstelligen Bereich aus und da in der Steuererklärung der Ehegatten keine Zinseinkünfte erklärt sind, ist klar, dass die Anzeige fundiert ist und der Fall weiterverfolgt werden muss. Natürlich fragt Linus auch nach, was Herr Kettenhofen über die Goldzähne weiß.

Seine Frau hätte ihm mal einige in einer Schachtel gezeigt und ihm gestanden, wie sie in deren Besitz gekommen war, erwidert er.

Hier gibt es wohl keine Möglichkeit mehr, dies aufzuklären. Für Zwecke der Besteuerung ist es ohnehin nicht von Bedeutung. So bedankt sich Linus und verabschiedet sich, wobei ihn Herr Kettenhofen nochmal nachdrücklich auffordert, der Sache auf jeden Fall nachzugehen. Andernfalls würde er sich an eine höhere Stelle wenden.

Nachdem Linus den Klingelknopf gedrückt hat, dauert es eine Weile bis Schritte zu hören sind. Die Tür öffnet sich und eine Frau, etwa Anfang 60, steht vor ihm.

Sie wirkt recht gelassen, als sie die Männergesellschaft vor sich fragend ansieht.

Um sicher zu gehen, dass er die richtige Person vor sich hat, fragt Linus: „Sind Sie Frau Kettenhofen?“ Sie bejaht. Nun ist es seine Pflicht, seinen Spruch loszuwerden:

„Wir sind von der Steuerfahndung und haben gegen Sie einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass gegen Sie ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist. Sie haben das Recht, die Aussage und Mitwirkung in dem Verfahren zu verweigern. Es steht Ihnen frei, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen!“

Sie sieht Linus etwas spöttisch an, da er sich vor Aufregung einen paarmal verhaspelt.

Dann entgegnet sie leicht resigniert und schon fast erleichtert:

„Mein Mann hat mir schon vor Monaten angekündigt, er werde mich anzeigen. Nun, da Sie jetzt da sind, können wir die Sache hinter uns bringen.“ Und dann, mit einer einladenden Handbewegung: „Kommen Sie bitte herein!“

Linus´ Kollegen beginnen nun routinemäßig mit der Durchsuchung, indem sie sich auf die einzelnen Zimmer des Einfamilienhauses verteilen. Er selbst setzt sich mit der Steuerpflichtigen an den Küchentisch, wobei sie ihm ungefragt Kontoauszüge der Kreissparkasse übergibt. Bei der Durchsicht stellt er fest, dass sich der Kontostand infolge der Zinsgutschriften von anfangs 600.000 DM auf fast 1,6 Millionen DM erhöht hat Als er jedoch den letzten Auszug in der Hand hält, sieht er, dass dieser über vier Jahre alt ist und einen Endstand von null ausweist. Der gesamte Betrag ist bar abgehoben worden.

Er wendet sich zu der Steuerpflichtigen: „Frau Kettenhofen, wieso haben Sie denn das ganze Geld abgehoben? Auf welcher Bank liegt es denn jetzt?“

„Das war vor etwa vier Jahren, als mein Mann und ich uns im Streit trennten. Ich befürchtete schon damals, dass er mich anzeigen könnte und habe mir das Geld deswegen bar auszahlen lassen.“

„Ja, und wo ist es jetzt? Haben sie es auf eine andere Bank gebracht?“

„Ich habe es anderweitig angelegt. Aber Sie werden wohl nicht erwarten, dass ich Ihnen sage wo. Sie haben selbst gesagt, dass ich keine Aussage machen muss.“

„Aber das hat doch keinen Sinn Frau Kettenhofen. Früher oder später kommt es doch heraus und dann kommt nochmal ein Strafverfahren auf Sie zu. Machen Sie doch jetzt reinen Tisch!“

Sie stellt sich jedoch quer: „Aus mir bekommen Sie nichts heraus!“

Linus sieht, dass da momentan wohl nichts zu machen ist. In dem Moment kommt ein Kollege herein und wendet sich an die Steuerpflichtige: „Frau Kettenhofen, ich müsste Ihr Auto noch durchsuchen. Können Sie mir bitte den Schlüssel dafür geben!“

„Was wollen Sie denn mit dem Auto? Glauben Sie, ich würde meine Papiere spazieren fahren?“

„Was ich glaube, spielt keine Rolle. Ich muss es durchsuchen, weil es ihr Eigentum ist.“

„Dann warten Sie doch bitte, bis ich mit Herrn Michels fertig bin. Ich muss den Schlüssel erst suchen.“

Als Linus ihr daraufhin erklärt, er hätte momentan keine weiteren Fragen und sie den Schlüssel jetzt holen könne, fängt sie an, hektisch überall zu suchen. Schließlich erklärt sie, sie könne ihn jetzt nicht finden. In dem Auto wäre ohnehin nichts.

Je länger sich das Ganze hinzieht, umso mehr verstärkt sich bei den beiden Prüfern der Verdacht, dass es sich bei ihrem Verhalten nur um Theater handelt, um die Durchsuchung des Autos zu verhindern. Daher erhöht Linus´ Kollege nun den Druck, indem er ihr erklärt: „Frau Kettenhofen, wenn Sie mir den Schlüssel nicht geben, rufe ich eine Autowerkstatt an, die uns das Auto innerhalb von fünf Minuten aufmacht. Da wären sie nicht die Erste, bei der wir das hinkriegen.“

Sie sieht nun keinen Ausweg mehr, sucht noch ein bisschen herum, bis sie plötzlich freudestrahlend den Schlüssel hochhält.

„Ich hatte ihn die ganze Zeit in der Tasche, wusste es aber nicht mehr.

So was Dummes ist mir schon lange nicht mehr passiert!“

Linus´ Kollege nimmt den Schlüssel kommentarlos an sich und zieht ab.

Linus setzt sich daraufhin nochmal zu der Steuerpflichtigen und fragt sie, woher das ganze Geld stammen würde. Auch spricht er sie auf den Sack mit den Goldzähnen an.

Vehement wehrt sie sich. Ihr Mann hätte sich das eingebildet, weil er immer etwas gegen ihren Vater gehabt hätte, der Mitglied der NSDAP gewesen war. Sie hätte bis vor zwölf Jahren einen Tabak- und Schreibwarenladen gehabt, den sie nach ihrer Heirat aufgab. Die Gelder würden hieraus stammen und hätten sich durch die Zinsen vermehrt.

„Kann es sein, dass da ein Teil Schwarzgeld enthalten ist?“, fragt Linus.

„Das können Sie halten wie Sie wollen! Es ist schließlich schon lange verjährt,“ antwortet sie mit einem triumphierenden Lächeln.

„Ich werde das nachprüfen. Wenn dem so ist, haben Sie von uns jedenfalls deswegen nichts zu befürchten,“ gibt Linus zurück.

Zehn Minuten später kommt der Kollege von der Durchsuchung des Autos zurück, wobei er mit unbewegtem Gesicht ein Bündel Kontoauszüge hochhält.

„Ich habe das unter dem Reserverad gefunden.“

Frau Kettenhofen erblasst, fasst sich aber gleich wieder.

„Nun, da haben Sie ja jetzt alles. Jetzt können Sie mich ja in Ruhe lassen!“

Linus sieht, dass die Kontoauszüge von einer weiter entfernten Volksbank stammen. Sie beginnen mit dem Tag, an dem das Geld vom Konto der Kreissparkasse abgehoben wurde, mit einer Bareinzahlung in Höhe der Abhebung. Der letzte Auszug datiert einige Tage vor der Durchsuchung. Insofern bleiben keine Fragen mehr offen.

Mittlerweile haben sich auch die anderen Fahnder in der Küche eingefunden und da sie nichts weiter fanden, was für die Besteuerung interessant wäre, schreibt Linus das übliche Protokoll, worin er die aufgefundenen und mitgenommenen Unterlagen anführt und lässt Frau Kettenhofen gegenzeichnen.

Dann zieht die ganze Mannschaft ab, wobei man mit Rücksicht auf die Gefühle der Steuerpflichtigen tunlichst vermeidet, „Auf Wiedersehen“ zu sagen.