SteuerSache - Hedwig Maria Lutz - E-Book

SteuerSache E-Book

Hedwig Maria Lutz

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Beschreibung

Die junge Sabine Steuer, vom Leben wenig verwöhnt, träumt von einer Anstellung als Polizeimeisterin. Als ihr Traumjob auf sich warten lässt gründet Sabine mutig ihr eigenes Kleinunternehmen, lernt den schleimigen Finanzbeamten Arthur Silbersack kennen und begegnet Gloria, deren Ehe in komplizierten Bahnen verläuft. Als der todlangweilige Frieder, früherer Studienkamerad und Kriminaler, urplötzlich bei Sabine einzieht verändert sich Vieles, denn Frieder ist immer für eine Überraschung gut. Die Geschichte einer außergewöhnlichen jungen Frau zwischen Spannung und Romantik. Leichte Unterhaltung mit Hintergrund.

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Zufrieden sein wandelt Wasser in Wein.

Deutsches Sprichwort

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

1

Auf dem naturhölzernen Sekretär an der kurzen Wand meines Wohnzimmers stapeln sich fein säuberlich sortierte Häufchen verschiedener Belege. Keiner käme auf die Idee diesen Arbeitstisch schön zu nennen, oder hochwertig. Er ist alt und mit tiefen Furchen gezeichnet, aber für mich ist er ein wertvolles Juwel. Das einzige Möbelstück, überhaupt das Einzige, von meinen Eltern das mir blieb.

Mutter und Vater kehrten kurz nach meinem neunten Geburtstag von einer Geschäftsreise nicht mehr heim. Sie waren beide bei einem schlimmen Autounfall urplötzlich von mir gegangen. Das war der Tag an dem sich mein bis dahin behütetes umsorgtes Kinderleben schlagartig ändern sollte. Man kann nicht sagen, dass es danach völlig aus den Fugen geraten wäre, aber es nahm mit Sicherheit einen ungeraderen Weg wie geplant.

Nun, es ist lange her. Ungefähr achtzehn Jahre. Ich kam ins Heim, aus dem mich meine sanftmütige Großmutter nach mir damals unverständlich langen Monaten endlich befreite. Das Jugendamt hatte sich lange Zeit quer gestellt. Dass ein Mädchen im Alter von neun Jahren bei seiner gebrechlichen siebenundsiebzig jährigen Großmama haust, sei erzieherisch wenig sinnvoll, wurde behauptet. Erst nachdem das ganze Erbe für die Heimkosten aufgebraucht war, wurde ein Umzug zu meiner Oma für richtig befunden. Wie gesagt, es ist lange her. Nachdem Großmutter ebenfalls von mir ging, ich war vierzehn, nahm sich meine Tante Hilde meiner an. Von dort zogen mich meine geheimen Träume vom ersten Tag an fort. Obwohl sich meine Tante bemühte mir eine gute Ersatzmutter zu geben, gelang es ihr aus meiner Sicht nur sehr mäßig. Wir waren von Tag eins an so unterschiedlicher Meinung wie es nur geht. Tante Hilde führte ihren, mit mir, Dreipersonenhaushalt generalstabsmäßig. Kalt und beherrschend. Ihre aufopfernde Fürsorge drohte mich zu ersticken.

Die Schreckenszeit damals, bei Tante Hilde, nahm ein Ende als sich die Eltern meiner Freundin Susi bereit erklärten mich in ihre Familie zu integrieren. Dies empfand ich als eine geniale Idee und fragte nicht weiter, wie es sein würde bei völlig Fremden zu wohnen. Sofort ging es mir besser in der Familie meiner Freundin, um vieles wohler fühlte ich mich dort, und es waren alle gut zu mir. Die Fremde blieb ich trotzdem immer. Jedenfalls lernte ich bei Susis Eltern viel über den Umgang in der Gesellschaft. Wie ich am wenigsten anecke, wie man mit weniger als Wenig zufrieden sein kann ohne die eigenen Träume ganz zu verlieren.

Die Mutter meiner Freundin Susi war im Polizeiinnendienst beschäftigt. Beamtin auf Lebenszeit war sie und jeden Tag neu begeistert über ihren Beruf. Das ließ mich, als es soweit war, eine Entscheidung über meine Berufswahl zu treffen, spontan den gleichen Weg einschlagen. Also begann ich das Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Fachbereich 5, Polizei- und Sicherheitsmanagement, in Berlin und zog es sogar bis zum bitteren Ende durch. Fortan war ich alleine auf mich gestellt. Finanziell und sonst. Mit dem Umzug nach Berlin war meine Jugend beendet.

Heute bin ich siebenundzwanzig und ein freier erwachsener Mensch. Ich habe gelernt nach jedem Fall wieder aufzustehen um mich erneut in den Wind zu stellen. Ich habe das Gefühl des Verlierens kennengelernt und die notwendige Kraft zum überwinden der eigenen Geduld erfahren. Ich habe mein Freischwimmerabzeichen hart erkämpft. Und ich habe meinen persönlichen Frieden mit all dem geschlossen.

Doch nun, da ich endlich eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen kann, kreuzt eine bisher ungeahnte Herausforderung meinen Weg.

Es ist mehr als nur frustrierend.

»Ihre Zeugnisse sind wirklich überzeugend, aber Sie sind in einem Alter, wo Sie sicher an Familienplanung denken. Deshalb haben wir die ausgeschriebene Stelle an einen männlichen Bewerber vergeben“ hieß es nach den letzten gefühlten hundert Vorstellungsgesprächen in hinreißend freundlichem Ton. Dabei fühlte sich jedes einzelne persönliche Gespräch zunächst außerordentlich positiv an.

Es wäre für mich überhaupt kein Problem in eine andere Stadt zu ziehen, auch ein gemäßigtes Einstiegsgehalt würde ich sofort akzeptieren, ebenso einen Einjahresvertrag oder andere ungeliebte Arbeitsbedingungen. Aber das sind keine Zugeständnisse die als positiv gewertet werden.

Eine junge Frau kann so gut sein wie sie will. Sie hechelt hinter ihren männlichen Berufskollegen her, weil Sie die Gnade inne hat, Kinder gebären zu dürfen.

Zum verzweifeln ist es!

Bist du weiblich, zwischen fünfundzwanzig und dreißig, ohne Verwandtschaft, ohne Beziehungen, mit Super-Studien-Abschluss zwar, aber ohne Berufserfahrung, dann quasselt dich jeder Personaler im Vorstellungsgespräch genau auf diesen Punkt an.

Als ob wir Frauen ausschließlich zum Kinderkriegen taugen.

Dabei war mein Abitur mit 1,2 nicht das schlechteste meiner Klasse und mein Studienabschluss kann sich ebenfalls sehen lassen.

Meine bescheidene Ausgangssituation zeichnete sich bereits damals, am Abend der Abschlussfeierlichkeiten ab. Kurz vor Beginn der Preisverleihungen hatte mir mein Lieblingsprofessor unter der Hand zugesteckt, dass ich den besten Noten-Gesamtdurchschnitt geschafft hatte. Die Auszeichnung dafür, samt Urkunde, Preisgeld und Reisestipendium, wurde offiziell ein paar Minuten später an den bedeppten bescheuerten Sohn von dem Großindustriellen aus Recklinghausen vergeben. Jedem drückte das flotte geschniegelte Söhnchen sein „gestatten von Gerstett„ ins Auge, parkte seinen Porsche Carrera protzig so dicht an der Haupteingangstür zum Unigebäude, dass die Putzfrau mit dem fahrbaren Gerätekarren nicht mehr hinein kam. So ein Blödmann. Der Papa hat sich den Preis doch für seinen Sohn gekauft.

Jede Wette würde ich eingehen.

Am selben Abend erfuhr ich auch, dass sich der Präsident der Uni zuvor nach meinen familiären Verhältnissen erkundigt hatte.

Und als ich die Veranstaltung dann verließ, schleuderte mir zum Abschied der Präsident der Universität Dr. Dr. H. Jatzen höchstpersönlich »hat leider nicht ganz gereicht, Süße« in meine enttäuschte Visage.

Danke Herr Präsident!

Die Verzweiflung könnte mich packen, denke ich daran. Ohne reichen Onkel bleibt einer jungen aufstrebenden Frau, sogar mit bestem Schulabschluss, wenig Chance. Jeder männliche Dodel kommt vor dir an die Reihe. Ist halt so.

Es ist weit enttäuschender ohne Chance zu sein, als eine vertan zu haben.

Jedenfalls hüpfe ich seither vom einen Praktikum zum nächsten um meine Mietkosten aufzubringen. Es gibt niemanden der mich finanziell unterstützen könnte. Das kleine Vermögen meiner Großmutter fraß deren Heimpflege im letzten Stadium ihres Lebens auf. Tante Hilde hatte nie Interesse daran mir einen Cent zukommen zu lassen. Von ihr hätte ich auch nichts genommen! Und die Eltern von Susi haben mir sowieso weit mehr gegeben wie ich erwarten konnte.

Manches Mal stelle ich jeden meiner Schritte in Frage. Mit jeder neuen Absage häufen sich die Zweifel in mir, ob ich diese Hürde jemals nehmen kann, die sich jetzt vor mir aufbaut.

Eine gewisse Stabilität, etwas Ruhe und Ordnung wünschte ich mir für mein Leben. Eine Arbeit mit der ich mich identifizieren kann, die mich fordert und fördert, die mir Zufriedenheit schenkt und meinen genügsamen Lebensunterhalt sichert.

Nichtstun ist nicht mein Stil.

2

Also verselbständigte ich mich Ende letzten Jahres mit dem Plan meine finanzielle Situation etwas aufzupuschen. Die freundliche Dame beim Arbeitsamt empfahl es mir wärmstens. »Als Selbständige bestimmen Sie Ihren Arbeitsumfang und verdienen gut«. Hat sie geschwärmt.

Seit einigen Monaten betreibe ich nun meinen Versandhandel für Nagelpflegeprodukte. Und nebenbei jage ich hoffnungsvoll dem Wunsch-Job meiner Ausbildung entsprechend hinterher.

Alles wäre im "Grünen Bereich", hielt mich die Dauer-Spaßbremse namens "Steuern" nicht dermaßen im scharmanten Würgegriff.

Es ist zum Mäuse melken. Die Abwicklung des eigentlichen Geschäftes beansprucht weit weniger meiner Zeit wie die Admin-Auflagen, die ich von dem zuständigen Finanzamt meines Wohnortes auferlegt bekam.

Das geht nun schon so, seit ich mein kleines Geschäft zwecks finanzieller Überbrückung bis sich eine Arbeitsstelle findet, ins Leben rief.

Jetzt wartet der erste Jahresabschluss auf seine Erledigung. Diese Aufgabe trifft mich außergewöhnlich hart, kann ich mir doch allein den Gedanken an eine gewerbsmäßige Steuerberaterkanzlei unmöglich leisten. Also gebe ich mich wild entschlossen meine Steuererklärung selbst in die Hand zu nehmen.

Nun sitze ich vor dem hölzernen Vermächtnis meiner Eltern, das ich hochhalte und achte, vor dem Häufchen geordneter Belege und fühle wieder einmal die Last der Mutlosigkeit auf meinen Schultern liegen. Alle Summen sind errechnet, mehrfach überprüft, Nachweise gesammelt, die Gegenprobe ist gemacht. Dem Ausfüllen meiner ersten Steuererklärung steht nichts mehr entgegen.

Es fehlen nur noch die Formulare dafür.

Jung und unerfahren in allen Steuerdingen, wie ich bin, halte ich mich an die Worte des Vortragsleiters vom Selbständigen-Crash-Kurs, den ich unlängst zwangsläufig absolvierte. »Wenn Sie in Buchhaltungsdingen irgendetwas nicht spontan auf die Reihe kriegen, wenden Sie sich ungeniert an die Finanzbehörde Ihres Wohnortes«. Hat er verkündet.

»Da werden Sie geholfen« fügte er an und es brach schallendes Gelächter unter den Kursteilnehmern aus.

Ich habe immer gekämpft. Ich habe niemals aufgegeben. Darauf bin ich stolz und ich bin dankbar dafür mit so viel Kraft ausgestattet zu sein.

Also greife ich zum Hörer und rufe die im Telefonbuch abgedruckte Nummer der Steuerstelle bei der Finanzbehörde meines Wohnortes Schotterstein an.

Es ist eine Durchwahl-Nummer die mich direkt zu meinem Ansprechpartner führen wird. Denke ich laienhaften Glaubens.

Nach einmaligem Klingelton geht bereits der Hörer auf und ein Herr mit schroffer Stimme, der sich mit Silbersack vorstellt, eröffnet das Gespräch unvermittelt.

»Lassen Sie sich einen Termin an Schalter fünf für Zimmer zweihundertachtundzwanzig geben. Bitte keinesfalls vor 9.30 Uhr und nicht nach 15.00 Uhr. Und bringen Sie unbedingt alle Erklärungs-Durchschriften leserlich ausgefüllt zum Termin mit. Und etwas Kleingeld, bitte«.

»Nein, Herr Silbersack, ich benötige keinen Termin, ich möchte lediglich erfragen wo ich das Formular EÜR mit Anlage K1 und Anhang B7 für meine Steuererklärung erhalte«.

»Da sind Sie bei mir vollkommen verkehrt« weist mich die Beamtenstimme zurück. »Bitte, wo erhalte ich denn dieses Formular?« frage ich geduldig und bemühe mich um Höflichkeit.

»Gute Frau! Woher soll ich das wissen? Sie sind hier mit der Steuerstelle - Amtsleitung verbunden«.

»Oh, Entschuldigung«.

Enttäuscht endet mein Telefonat mit der Erkenntnis, dass die für mein Kleingewerbe zuständige Finanzbehörde mit Formular-Auskunfts-Fragen wenig am Hut zu haben scheint. War ich doch sogar mit der Amtsleitung und nicht etwa mit einem unwissenden Auszubildenden verbunden.

Bestimmt bin ich unglücklicherweise an einen heute schwer überlasteten Beamten geraten. Denke ich. So eine laienhafte Frage, wie die meine, kann einen Profi gewiss ernsthaft nerven.

Aber was soll ich tun?

Im Grunde suche ich lediglich eine Information um als ehrlicher Bürger ordnungsgemäß meine Steuer anzugeben. Gut, in meinem Fall dürfte ich auf eine kleine Steuererstattung hoffen, was meinem bescheidenen finanziellen Haushalt nur entgegen käme. Verzichte ich doch, mein Stolz will es so, auf staatliche Arbeitslosenunterstützung. Stattdessen bemühe ich mich redlich darum meinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Was mich angesichts der ungleichen Chancenverteilung meines weiblichen Geschlechts wegen, täglich sehr viel Mühe und Sorge kostet.

Trotzdem - Nichtstun ist nicht mein Stil.

Nun, meine Jugend hat mich gelehrt leise zu jammern und meine Eltern, lebten sie noch, würden sich eine starke Tochter wünschen. Eine Lebensfähige.

Gedankenversunken betrachte ich das hölzerne Erbe, vor dem ich mich befinde und meine Hände streicheln in diesem ratlosen Moment das Möbelstück als wäre es aus purem Gold. Und ich spüre neue Energie in mir.

Also starte ich einen erneuten Versuch mein leichtes Problem glücklich zu lösen.

07778 / 385 261 - 10 ----- Tüüt, Tüüt.

»Finanzamt Schotterstein, Sie sprechen mit Frau Sausemelker, was kann ich für Sie tun?«

Die zierliche Damenstimme klingt heiter, nicht geschäftsmäßig. Sie verleiht mir den Eindruck ich spreche nun mit einem Gesangstalent. So wie die Person ihren Ansagetext herunter tiriliert. Noch zwei drei süße Strophen und jeder Chorleiter würde sich um das Stimmchen von der netten Frau Sausemelker reißen. Hinreißend und freundlich, klingt sie.

»Steuer, ich.....«.

»Moment bitte, ich stelle durch«.

Schon befinde ich mich in der Warteschleife die mir Zeit lässt mich gehörig überfahren zu fühlen, von einem Dreitonner namens Sausemelker platt gewalzt, ohne ein einziges Wort von mir in welcher Angelegenheit ich anrufe.

Während ich darauf hoffe auf völliges Geratewohl mit dem richtigen Ansprechpartner für meine Frage verbunden zu werden staune ich über das turbomäßig unpersönliche Tempo dieser Amtsbediensteten. Aber die beruhigende Wartemusik aus dem Hörer, ich kenne die Melodie - es ist "Für Elise" - besänftigt mein angespanntes Gemüt schnell und gerade beginne ich meine innere Ruhe wiederzufinden, da tut sich etwas in der Leitung.

»Silbersack, Steuerstelle-Amtsleitung«.

Oh nein, nicht nochmal! Bitte nicht!

Ich will doch nur Vordrucke für meine Steuererklärung. Weiter nichts.

Nur ein paar einfache simple Vordrucke. Inzwischen gehe ich bereits in die dritte Runde. Amts-Runde.

Gestern startete ich einen Versuch über die Null am Ende der eigentlichen Telefonnummer zum Amt zu gelangen. Da begrüßte mich der Pförtner der Tiefgarage des Amtes für Migranten am Telefon. Es ist in Schotterstein keine Neuigkeit mehr, dass dieses Amt notgedrungen vorläufig in Teilräumen der Finanzbehörde untergebracht wurde, was ich völlig ok und vorbildlich finde.

Undeutlich hörbar aber freundlich sagte er mir »Ich kann dich nicht durchschieben, Leitung ist heute nicht gut. Musst du morgen wieder rufen«. Gut. Ich rufe heute wieder.

Nach meinen beiden ersten Bruchlandungen hat mich mein Bauch nun die -10 am Ende wählen lassen. Nach der eigentlichen Nummer. Die Zehn - geht immer! Dachte ich.

Und das mit Frau Sausemelker war ein Volltreffer, einerseits, nur dass ich andererseits jetzt erneut bei dem sonderbaren Herrn Amtsleiter ankomme.

»Ja, Steuer, nochmal, sorry ich bin......«.

»Was wollen Sie? Steuerschulung, Steuerumschichtung, Verlängerung der Steuerfrist, Steuertabelle, Steuernachzahlung anmelden?

Ich empfehle Ihnen einen Termin für die Steuerbesprechung? Dafür müssen wir pro halbe Stunde ab 75 € aufwärts in Rechnung stellen.

Brauchen Sie einen Deutschkursus für Migranten? Wir bieten da ein Komplettpaket ab 320 € an«.

»Stopp! Halt!«

Langsam wird mir die Sache zu bunt und Geduld ist eine der begrenzteren meiner Stärken.

Meine Stimme stellt sich eine Oktave höher ein und nimmt einen johlenden Ton an.

»Hören Sie, ich heiße Steuer. Sabine Steuer. Steuernummer 61175/ 16105. Staatsangehörigkeit deutsch, römisch-katholisch, ledig, Augenfarbe grün grau, Schuhgröße 38, Haarfarbe dunkel, Körpergröße 168 ohne 175 mit Pumps, Taille 63, und meine Oberweite geht Sie nun wirklich nichts an«. Es herrscht eine Sekunde Totenstille in der Leitung und ich setze energisch nach.

»So, und wenn Sie auch nur einen Cent von meinen spärlich zusammengetragenen Kröten einzukassieren gedenken, dann sagen Sie mir bitte jetzt wo ich das Formular EÜR mit Anlage K1 und Anhang B7 erhalte«.

Das hat gesessen.

Sagte ich bereits, dass ich kämpfen kann, wenn es darauf ankommt?

Schon geht es mir besser. Entschieden besser. Wie ein Freischwimmer auf Goldmedaillenkurs fühle ich mich nun.

Wollen wir doch einmal sehen, ob der fleißige Finanzritter gewillt sein wird, das ersehnte Formular auszuspucken.

»Oh… Ahhh... Achsooo…..Eieiei..., Frau Steuer. Ahhh… das ist jetzt aber peinlich. Ein bedauerliches Versehen. Bitte entschuldigen Sie vielmals. Selbstverständlich kann ich Ihnen sagen wo Sie das EÜR mit Anlagen erhalten. Ach wissen Sie, bei uns geht es unentwegt so turbulent zu. Stapelweise kriegen`s wir auf den Tisch. Man weiß ja gar nicht mehr wo einem der Kopf steht. Und dann noch dazu diese Abrechnungen für Besprechungstermine und die Sprachkurse und die Schulungen….

Das ist ja so ein Bürokratismus«, höre ich den Herrn atemringend stöhnen und er klingt so ehrlich bedrückt.

»Sie haben doch Internet?« fährt er fort. »Ja« bestätige ich, ohne die leiseste Ahnung über die Konsequenz meiner Aussage.

»Gut. Dann gehen Sie auf die Seite www.formulare-bfinv.de. Da finden Sie alle Vordrucke für Ihre Steuererklärung. Wissen Sie, wir haben umgestellt. Bitte reichen Sie Ihre Erklärung ausschließlich Online ein.

Falls Ihnen dieser Aufwand zu groß erscheint bieten wir unseren Hilfeservice an. Den kann ich Ihnen sowieso wärmstens empfehlen«.

Geschäftig, mit hörbarem Schmeichlerlächeln wie ein Profiverkäufer für Unterwäsche fügt der Herr eilig noch hinzu:

»Kleines Geld für große Leistung. Erhältlich direkt bei mir und exklusiv«.

Puhh…denke ich und suche ein schnelles Ende des Gesprächs.

»Danke. Und einen geruhsamen Tag noch. Äh.. Schaffen Sie es gut«.

Auch das noch. "Online" oder "mit Kosten"!

Das Adrenalin, das mich angetrieben hat die Steuererklärung in eigener Regie aufzustellen, nimmt nach diesem Gespräch ziemlich rasant ab.

"Mit Kosten" - scheidet für mich aus und "Online" - das ist mein absolutes Anti-Lieblingsthema.

Aber gut. Ich will es schnell und abschließend hinter mich bringen. Meine Selbständigkeit mit der Möglichkeit der freien Zeiteinteilung bei gutem Verdienst, wie die Dame beim Arbeitsamt damals es prognostizierte, verlangt dieses Opfer von mir.

Seit Kurzem leide ich nämlich regelmäßig unter Sodbrennen, wenn ich „Online“ höre.

Ist mein Untermieter der Frieder, Computerfreak und ein wirklicher Könner auf dem Gebiet, man kommt ins wahre Staunen, was er drauf hat, unlängst doch tüchtig in den Sand gelaufen mit seinem Onlinebanking. Jetzt ist sein Konto leer und ich bin die Dumme dabei, weil Frieder vorläufig umsonst bei mir wohnt.

Aber ich bin kein Unmensch. Ich weiß was es heißt abgebrannt zu sein. In gewisser Hinsicht weiß ich mehr von Fehlschlägen, Bedürftigkeit, Entbehrung und Einsamkeit als er, da bin ich mir sicher. Ich bin geradezu Profi darin. Soll ich Frieder rauswerfen, nur weil ihm das Internet schwer aufstößt?

Also hab ich zugesagt, dass er die Miete nachzahlt, wenn seine Finanzlücke wieder geschlossen ist. Obwohl ich die Mieteinnahmen dringend bräuchte.

Ist ja auch ein armer Teufel. Der Frieder. Zieht wegen seiner blonden Liebe nach Schotterstein, gibt dafür seine Kripo- Stelle in Köln auf, erhascht sich tatsächlich einen tollen und weit ruhigeren Job bei der Zollbehörde in der Gottfried-Keller-Straße und steht ein halbes Jahr später wie nackt vor meiner Tür.

»Die Blondine findet den Vermieter meiner sonnigen 3-Zimmer-Bleibe aufregender«, erzählte er mir enttäuscht als er bei mir ankam. Nun hausen die Beiden in seiner Wohnstatt und er steht auf der Straße.

Gut. Reizende Blondine und Frieder das passt irgendwie auch nicht zusammen. Denke ich. Das ist wie Feuer und Wasser. Aber es geht mich ja wirklich gar nichts an.

Sein prima Job bei der Zollbehörde hat sich zudem als Schleudersitz geoutet, nachdem Zollamtsinspektor Hans Habenschaden, Kegelbruder und Duts-Freund von der halben Stadt, dem Frieder völlig überraschend ein „zu eigenständiges Denken“ und „eingeschränkte Teamfähigkeit“ bescheinigt hatte. Außerdem sei für diese Stelle eine regional geprägte Person eine weitaus vorteilhaftere Wahl, hieß es angeblich.

Nun bequemt sich so ein Jungspunt namens Sigi Streichhans auf jenem Zollamtsposten und Frieder, wie gesagt, ohne Geld, auf meinem Sofa.

Dabei ist Frieder rein beruflich gesehen bestimmt ein fähiger Könner. Er war schon immer ein ernsthafter und verantwortungsbewusster Typ. Schon während unseres Studiums fiel er als konsequent arbeitender stiller Kommilitone auf, der nie seine Ziele aus den Augen verlor. Es gab nicht viel was ihn davon abhielt das anzugreifen was er plante. Er hatte stets etwas Felsenhaftes an sich und er sah immer entrückt aus. Er wirkt so friedlich, so sanft, so perfekt und immer geheimnisvoll und versteckt.

Frieder war seit ich ihn kenne immer von zurückhaltender Natur. In seinen Augen liegt etwas, das sagt, dass er anständig ist. Schon fast scheu, möchte ich es nennen. Groß gewachsen, schlank aber nicht dünn mit einem muskulösen Oberkörper, schmaler Taille und dunklem gewelltem Haar, das er während der Studienzeit bis zum Nacken trug. Und mit Charisma. Vielleicht war es das, was ihn so unnahbar auf uns junge Studierende wirken lies.

Wir waren ein paar wenige Male am selben Tisch in der Mensa gesessen und hatten uns nett unterhalten. Er war immer korrekt, nicht mehr und nicht weniger. Er erzählte niemals von sich oder seiner Familie. Bei den meisten Mädels galt er als der Langweiligste obwohl wir alle recht früh erkannten, dass Frieder richtig was auf dem Kasten hat. Trotzdem wurde er mit seiner nüchternen, soliden Ausstrahlung als gänzlich trostlos, blass, leidenschaftslos und altbacken empfunden und dementsprechend umgangen.

Kurz gesagt, Frieder war und ist einzigartig unspektakulär.

Er war der einzige, dem ich ohne genaues Wissen zutraute, dass er in ebenso bescheidenen Verhältnissen lebt, wie ich. Seine mehr als zurückhaltende Kleidung, das immer selbe ausgeleierte Schuhwerk, die abgewetzten Ärmelkanten am Hemd, ließen keinen Zweifel daran. Ich hätte mich niemals getraut ihn darauf anzusprechen. Wusste ich doch, wie es sich anfühlt arm zu sein. Der Hauptgrund aber warum er in unserer Studienclique immer eine Randerscheinung blieb, war seine Besonderheit sich zu kleiden. Er wurde "die Katastrophe" genannt.

Genau dieser fade farblose Frieder Einstein bat mich vor einigen Wochen völlig überraschend um eine vorrübergehende Wohnmöglichkeit bei mir. Der ich ohne zögern aus reiner Gutmütigkeit zustimmte, was nun meine Finanzlage wenig positiv tangiert dafür meine Wohnqualität eindeutig verschlechtert.

3

»Hallo, Conny«.

» Hi Sabine. Wie immer?« »Ja. Danke, wie immer«. Wenn nichts mehr geht - führt mein Weg mich zu Conny. Ihr Cafe ist mein Schneckenhaus.

Und die stümperhaft bittere Auskunft der Steuerbehörde, die mich ins Onlinedesaster zwingt, ist für mich ein wunderbarer Grund mich vorerst tief ins Schneckenhaus zurückzuziehen.

Allein der Duft von köstlichem Kaffee hat jedes Mal etwas Tröstliches. Hier bin ich fähig dem Tag und sei er auch noch so unterkühlt, mit Humor zu begegnen. An diesem Ort ist es mir möglich fantasielose Tatsachen zu verdauen.

Connys Cafe ist meine Oase der Ruhe, mein sicherer Hafen, wenn die Stürme draußen zu laut, zu ruppig, zu stressig für mich werden. Wenn es mir zu Viel des Alltagswahnsinns wird.

Eine Tasse mit cremiger Schokolade von einer Riesenportion Sahne gekrönt, dazu Schokostreusel und ein winziger Schuss Eierlikör, hebt meine Alltags-Niederstimmung in Sekundenschnelle wieder auf Normalniveau.

Nirgends schmeckt die heiße Schokolade so fein, so elegant, so edel wie in Conny`s gemütlichem Cafe an der Ecke, gegenüber dem protzigen Bankgebäude mit der schillernden Glasfassade in der Karlstraße.

Das ist meine Haltestelle zum Kraft tanken, zum Seele baumeln lassen, zum knietiefen Frust hinuntertrinken oder einfach zum Menschen beobachten.

Hier muss ich nicht durch brennende Reifen springen um mich zu behaupten hier bin ich Sabine Steuer und die Welt da draußen ist mir wurscht.

Ohne meine stille kleine Kaffeepause am letzten Tisch in der vordersten Reihe wäre ich vielleicht längst eingebrochen. Ich wäre des Kämpfens müde geworden. Denn als alleinstehende junge Frau, ohne Anhang, ohne Familie und ohne reichen Gönner, mit guter Schulbildung zwar, aber ohne Aussicht auf einen Job - musst du kämpfen. Aber wem erzähle ich das?