Störtebekers Erben - Rudi Czerwenka - E-Book
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Störtebekers Erben E-Book

Rudi Czerwenka

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Beschreibung

Vor wahrem historischem Hintergrund spielt diese Geschichte des Kaufmannsjungen Johannes Engelbrecht aus der Hansestadt Rostock. Als Kind und junger Mann kommt er mit den Helden jener Jahre, den Vitalienbrüdern zusammen, fährt auf Störtebekers Schiffen, erlebt viele Abenteuer, wird bei einer Seeschlacht verwundet und geht zurück an Land - seine Sehnsucht nach dem Meer bleibt jedoch in ihm wohnen. Er hilft seinen Freunden, wenn sie an Land sind und keiner so gut wie er Verstecke ausfindig machen kann, wo sie sich vor den Soldaten der Hanse verbergen können. Auch als Störtebeker und viele seiner treuesten Gefährten im Jahre 1401 in Hamburg geköpft werden, bleibt er den noch überlebenden Freunden früherer Jahre verbunden. INHALT: EIN ROSTOCKER JUNG’ DIE ERSTE SEEREISE LEHRJAHRE DIE ERSTE UND LETZTE FAHRT DER „SOPHIA MAGDALENA“ VERLORENE HEIMAT DER NEUE VITALIENBRUDER DER HELD DAS TAGES DRAUF UND DRAN! DER KAMPF UM GOTLAND SIEGE UND VERLUSTE ABSCHIED „... UND DER HENKER WAR SEIN MEISTER ...“ „... UND PFLANZEN NAMEN SICH UND TATEN DURCH DIE ZEITENLÄUFE FORT ...“

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Seitenzahl: 123

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Impressum

Rudi Czerwenka

Störtebekers Erben

Die abenteuerlichen Jugendjahre des Vitalienbruders und Likedeelers Johannes Engelbrecht

ISBN 978-3-86394-431-5 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 2000 im Scheunen-Verlag Kückenshagen.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: verlag@edition-digital.com Internet: http://www.ddrautoren.de

EIN ROSTOCKER JUNG’

„Mama, der Hanning hat sich eingemoddert!“

„Halt die Klappe!“

Doch es war zu spät. Die Absicht das Jungen, sich unbemerkt durch die Hausdiele in seine Kammer zu schleichen, war gescheitert. Nicht nur der kleine Bruder, auch Rieke, die Magd, hatten ihn trotz aller Vorsicht, mit der er ins Haus geschlichen war, entdeckt.

Durch das Geschrei des kleinen Julius angelockt, eilte auch die Mutter herbei. Frau Sophia Engelbrecht schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie ihren triefnassen, mit schwarzem Schlamm bekleckerten Sohn gewahrte.

„Mein Gott, wie siehst du aus? Wo kommst du her? Was ist passiert? Und ausgerechnet an deinem Geburtstag!“ Hanning stand mit herabhängenden Armen und wusste nicht, worauf und was er antworten sollte.

„Rieke! Paula! Nehmt euch den Jungen und richtet ihn wieder her! Beeilt euch, denn wir erwarten Gäste!“

Bis dahin war jetzt, am späten Vormittag, allerdings noch Zeit. Dennoch sputeten sich die beiden Mägde, den Wunsch ihrer Herrin umgehend zu erfüllen. Die eine griff Hanning am linken, die andere am rechten Ärmel. Sekunden später hatten sie ihn trotz Gegenwehr hinausgezerrt, und zurück blieb nur eine trübe Pfütze. In der Badestube ging der aussichtslose Kampf des Jungen gegen die beiden Mädchen weiter, die ihm gackernd das nasse Zeug vom Leib zogen und ihn in einen mit warmem Wasser gefüllten Bottich setzten. Dort gab er seinen Widerstand schließlich auf.

Es war zum Heulen.

Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Die Junisonne hatte ihn schon früh aus dem Bett getrieben. Doch nichts im Haus deutete darauf hin, dass dieser Tag sein Tag, sein Geburtstag war. Der Herr Vater, der mit den Hühnern aufzustehen pflegte, war bereits aus dem Haus. Die Frauen wirbelten herum und vergaßen, ihm zu gratulieren oder hielten sich bis zur Heimkehr des Hausherrn zurück, wie es sich gehörte. Allerdings hatten sie tatsächlich zu tun. Denn zum Nachmittag erwartete man die Gäste, nicht etwa gleichaltrige Kinder, sondern die Herren aus dem Patriziat der Hansestadt, die mit der Familie befreundeten Kaufherren und ihre Ehefrauen.

Hanning Engelbrecht jedenfalls fühlte sich seit dem Morgen überflüssig. Das störte ihn an normalen Tagen wenig. Seine Welt war ohnehin nicht die Enge der Stadt mit ihren dicht gedrängten, aber hohen Steinhäusern hafenwärts von der Blotstraße. Lieber tollte er draußen vor den Toren herum und suchte bzw. fand dort seine Gefährten. Der interessanteste Platz war unten am Hafen. Dort aber störten die Kinder in dem Gewühl der schweren Transportwagen, der Stapel der Säcke, Fässer und Ballen sowie der Arbeitsknechte. Hanning war bekannt; so vermied er, sich dort aufzuhalten. Ähnlich war es in den Moorwiesen draußen vor dem Kuhtor, wo die Rinder weideten, denn da wachten die städtischen Hirten nicht nur über das Vieh.

So blieb nur die von Bächen, Teichen, Wiesen und Buschwerk durchzogene Landschaft vor dem Kröpeliner Tor. Hier hatte Hanning sogar einen Freund, den Sohn des Mühlenbetreibers Vöge, der gleichzeitig eine Herberge unterhielt für allerhand Handelsvolk, das hier vorüberzog, Einkehr suchte oder gar über Nacht blieb.

Vöge war der erste, der dem Senatorensohn zum Geburtstag gratulierte. Tapfer schluckte Hanning das Gesöff hinunter, das sich Bier nannte, aber ebenso schwarz gebraut war, wie es aussah. Wenn das der Herr Vater erfahren hätte! Auch die 17-jährige Tochter Vöges gratulierte ihm - mit einem schmatzenden Kuss mitten auf den Mund, und Hanning errötete. Dann liefen die beiden Jungen hinaus in die Wiesen, bis zu jenem Bach, der diesen bisher so glücklich abgelaufenen Vormittag ins Gegenteil verkehren sollte. Schuld daran war Hanning selbst.

„Du traust dich ja doch nicht hinüberzuspringen“, reizte er den Freund.

„Wozu? Dort hinten ist ein Steg.“

„Nimm den Steg, wenn du Angst hast. Ich jedenfalls springe.“ Er sprang, aber zu kurz, und er landete in der aufspritzenden Brühe des städtischen Abwasserkanals.

Jochen Vöge lachte.

Hanning lachte nicht. Er dachte an das Gesicht der Mutter und machte sich betreten und bekleckert auf den Heimweg.

Als am Nachmittag Senator Jakob Engelbrecht nach Haus kam und seinen Sohn zu sich rief, waren alle Spuren des abenteuerlichen Vormittags getilgt.

„Heute ist dein 10. Geburtstag“, bemerkte der Kaufherr mit der ihm eigenen Weitläufigkeit und legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern. „Es naht die Zeit, wo du die unbekümmerte Kindheit, die deine Mutter und ich dir bieten konnten, hinter dir lassen und in das durch mich vorgezeichnete Leben treten wirst. Du bist der älteste Sohn eines hanseatischen Kaufmanns. Du sollst mein Erbe übernehmen, nicht nur mein Schiff, mein Haus, mein Geld, sondern vor allem mein Geschäft und den lebendigen Geist, mit dem ich es betrieben habe. Ehrlichkeit, Risikobereitschaft und Wagnis als wahre hanseatische Tugenden bestimmten stets mein Handeln. In diesem Sinne sollst du weiterwirken.“

Mit gesenktem Kopf stand Hanning vor dem Vater, hörte nur wenig und verstand noch weniger von der Predigt, die auf ihn herab rieselte. Der Vater war für ihn wie ein Gott, gegen dessen Wort und Willen es keinen Widerspruch gab. Er wurde aufmerksam, als der Senator innehielt und sich dem hinter ihm stehenden Tischchen zuwandte.

„Und dies ist mein Geschenk, lieber Johannes. Wachstafel und Griffel stammen aus unserem Danziger Kontor, wo man dir künftig kaufmännisches Wissen und anderes mehr vermitteln wird. Sie sind die Symbole unseres Standes. Und dieses samtene Barett kommt aus Brügge, aus der entgegengesetzten Richtung. Es soll dir zeigen, wie weit unsere Handelsverbindungen reichen.“

Jetzt wuchs doch ein wenig Ehrfurcht in Hanning auf, als er die aus ihm noch unbekannter Ferne vom Vater beschafften Geschenke entgegennahm. Die Mutter hielt sich im Hintergrund und wischte sich gerührt eine Träne aus dem Augwinkel.

„Doch ich habe noch ein weiteres Geschenk. Noch in diesem Jahr wirst du mich auf eine unserer Handelsfahrten begleiten, über See.“

Das war tatsächlich eine Überraschung, auch für Sophia Engelbrecht, wie Hanning aufblickend feststellte.

Endlich fand die Zeremonie ihr Ende. Hanning durfte sich höflich bedanken. Die Mutter übernahm ihren Sohn und drückte ihn fest an sich. Dann durfte er sich in seine Kammer zurückziehen, wo er Muße hatte, die Geschenke des Vaters genauer zu betrachten. Am besten gefiel ihm das rote Barett mit dem kleinen glitzernden Stein auf der Stirnwulst. Ob das ein niederländischer Diamant war?

Am frühen Abend kamen die erwarteten Gratulanten, ein Halbdutzend Kaufherren und Ratsherren, sogar einer der Bürgermeister. Es wurde aufgetischt. Gut Speis’ und Trank war hanseatische Art. Vor allem die Männer langten tüchtig zu. Als schließlich nur noch die Becher kreisten, führte Frau Sophia die Damen auf den von der Tagessonne erwärmten Hinterhof. Unter dem Fliederbusch ließ sich's gemütlich plaudern.

Hanning musste bei den Männern bleiben, wo es etwas lauter zuging. Er langweilte sich. Der Vater stieß mit dem alten Dehmel an, dem er im Vorjahr eine Schiffsladung Weizen abgeluchst und mit gutem Gewinn in London verkauft hatte, und die Männer lachten über den gelungenen Streich. Bei anderen Themen ging es weniger fröhlich zu. Da ging es um die dänische Königin, die die Schlappe nach dem Stralsunder Frieden nicht hinnehmen wollte und Piraten mit Kaperbriefen gegen die Hanse losschickte. Die Herrschaft des Städtebundes in der Ostsee war bedroht, zumal diese Regentin auf bestem Wege war, die drei skandinavischen Länder auf ihre Linie einzuschwören. Den schwedischen König, einen Mecklenburger, hatte sie mit Hilfe des schwedischen Adels bereits entthront und ins Verlies werfen lassen. Dies und anderes musste man hinnehmen und konnte sich nur wehren, indem man gleichfalls Piraten anheuerte und sie mit Kaperbriefen gegen die dänische Margarete schickte. Hanning saß in der Männerrunde, hörte brav zu und verstand wenig. Er war froh, als ihn die Mutter schließlich aus der Herrenrunde befreite und zu Bett brachte.

Vor dem Einschlafen überdachte er noch einmal diesen seinen Geburtstag. Er dachte an seine Zukunft, die der Vater für ihn bereithielt. Er kam sich vor wie auf einem Schiff, das steuerlos in eine unbekannte Ferne trieb, auf dem er wehrlos festsaß. Und er dachte an den Geburtstagskuss der Dörte Vöge.

DIE ERSTE SEEREISE

Die Monate zogen übers Land und alles blieb, wie es war.

Jakob Engelbrecht redete zwar, wenn er zu Hause war, wiederholt davon, dass und wie er seinen Johannes alsbald auf den Ernst des Lebens vorbereiten wollte, aber er weilte selten in der Stadt.

Und wenn er sich mal vorübergehend in Rostock aufhielt, dann war sein Schiff unterwegs. Währenddessen tat die Mutter alles, um ihren Sohn noch möglichst lange unter ihren Fittichen zu halten. Im Herbst steuerte die „Arche Baltic“ wieder einmal den heimatlichen Hafen an, wurde entladen - und blieb. Das war merkwürdig, zumal auch die Koggen anderer Kaufleute diesmal lange vor etwaigen winterlichen Eisbarrieren anscheinend ungenutzt im Hafen vor sich hindümpelten.

Jochen Vöge wartete mit einer weiteren Neuigkeit auf: „Piraten haben im Hafen festgemacht.“

Es kam zwar öfters vor, dass die mit hanseatischen Kaperbriefen ausgestatteten Seeräuber ihre Beute in jenen Städten, in deren Auftrag sie fuhren, verhökerten. Hier wurden ihnen sogar Marktrechte eingeräumt. Besonders für die Jungen der Stadt boten derartige Anlandungen jedoch willkommene Abwechslungen. Daran konnten auch elterliche Verbote nichts ändern. Und Hanning machte hierbei keine Ausnahme.

Inzwischen kehrte auch der Vater von den regionalen Hafentagen aus Lübeck zurück. Über das, was sich währenddessen im Hafen abspielte, verlor er zunächst kein Wort. Er schmunzelte nur geheimnisvoll.

„Mach dich allmählich bereit!“, sagte er nur.

So lief auch Hanning hinunter zu den Landestegen.

Ein derartiges Gewimmel hatte er selten erlebt. Die Schiffe der Piraten lagen allerdings etwas abseits. Aber an den Fredekoggen wimmelte es von Trägerknechten, die ihre Lasten über schwankende Planken auf die dickbäuchigen Schiffe schleppten oder rollten und dort verstauten, Getreide- und Mehlsäcke, schwere Herings- und Salzfleischtonnen und Fässer mit Rostocker Bier. Was hatte das zu bedeuten? Jakob Engelbrecht konnte sich den drängenden Fragen seines Sohnes nicht mehr entziehen.

Seit Monaten wurde das hansetreue Stockholm von dänischen Truppen belagert. An eine Erstürmung auf dem Landweg war nicht zu denken, denn die Stadt lag auf einer Insel inmitten der verzweigten Ausflüsse des Mälarsees. So blieb den Dänen nur die Blockade. Lediglich der schmale Zugang zur Ostsee blieb frei von den Soldaten der dänischen Königin. Die fast ausschließlich deutsche Bevölkerung litt schon jetzt Hunger, und der Winter stand noch bevor. So hatten sich Rostock und Wismar entschlossen, den Stockholmern mit Viktualien, mit den erforderlichen Lebensmitteln aus der Not und damit über den Winter zu helfen. Darin waren sich die Städte Rostock und Wismar insgeheim einig geworden, wie meistens, wenn es galt, Bedrohungen gemeinsam abzuwehren. Denn Stockholm war das letzte Bollwerk im Norden der Ostsee, nachdem Königin Margareta nicht nur Dänemark beherrschte, sondern auch Norwegen erobert und mithilfe des schwedischen Adels sogar Schweden an sich gerissen hatte.

Mit diesem Wissen um die Hintergründe ausgestattet, schummelte sich Hanning auf die ,Arche Baltic“, denn hier würde er sein Quartier beziehen müssen. Der bauchige Laderaum in der Schiffsmitte bot kaum noch Platz, war vollgepackt bis zum Unterbord. Im Vorschiff sah es nicht viel anders aus. Er öffnete die Tür zu dem hochgezogenen Steven und erblickte das Quartier der Schiffsleute, einen einzigen Raum für 30 oder mehr Männer. Er wandte sich ab und stakste über die gestaute Ladung hinweg zum Heckkastell. Die Zugänge zu den unteren Etagen waren verschlossen. Die kleinen Kammern darüber sahen etwas wohnlicher aus, waren mit Tisch, Stühlen und Bettpritschen ausgestattet. Doch auch dieser Anblick reichte nicht, um freudige Gefühle auszulösen.

Er verließ die Kogge und schlenderte zu den beiden Orlogschiffen. Zwei der Piraten wuchteten gerade eine schwere Truhe von Bord und luden sie auf einen zweirädrigen Karren, mit dem der eine der Burschen in Richtung Stadt davon schob. Hanning folgte mit gehörigem Abstand.

Auf dem Markt ließ der Kerl die Truhe herab und öffnete sie. Sofort sammelten sich Menschen um den etwa 25-jährigen Mann, der seine Waren wie ein geübter Marktschreier anpries. Breitbeinig stand er da in seiner roten Pluderhose, die schon bessere Zeiten gesehen hatte und deren Beinlinge in hohen, im Gegensatz zu der verschlissenen Hose neuen Schaftstiefeln steckten. Ein schwarzes Kopftuch bändigte seine blonde Mähne.

Die überwiegend jüngeren Schaulustigen kramten in der Kiste, zogen einzelne Stücke hervor, betrachteten sie und feilschten um den Preis.

Dörte Vöge spielte mit einem bunten Seidentüchlein. Der Pirat beobachtete sie.

„Schenk ich dir“, rief er. „Trag's im Gedenken an Jan Köpping, wenn mich die See längst geschluckt hat.“

Hanning, der soeben einen kleinen Dolch besah, den er aus der goldverzierten Lederscheide gezogen hatte, wurde ein bisschen eifersüchtig.

„Zeig mal her!“, sagte ein neben ihm stehender Junge.

Kaum hatte er die Waffe in den Händen, so wollte er damit davonspringen und drängte in den dichten Ring der Gaffer. Doch schon hatte ihn der Pirat an der grobleinernen Hemdbrust und verpasste ihm eine Maulschelle, dass das Kerlchen wie vom Blitz getroffen zu Boden fiel.

Der Mann stellte den ertappten kleinen Dieb wieder auf die Beine, besah die gerötete Gesichtshälfte, strich ihm fast väterlich das Haar zurecht und sagte: „Du musst noch viel lernen, vor allem, dass du dich nicht erwischen lässt.“ Hanning hatte den Dolch aufgehoben und wollte ihn zurückgeben.

„Behalt ihn“, sagte der Mann, der sich Jan Köpping genannt hatte. „Trag ihn in Ehren! Er kommt von Klaus Störtebeker.“

Die für Stockholm bestimmte Ladung war verstaut. Die fünf Rostocker Kauffahrer waren zum Auslaufen bereit. Im Engelbrechtschen Haus wusste man sehr wohl, dass diese bevorstehende Fahrt riskanter werden konnte als die gewöhnlichen Warentransporte über die Ostsee, trotz des Schutzes durch die beiden Orlogschiffe. Doch alle unterdrückten ihre Befürchtungen. Nur die Mägde wischten sich verstohlen die Augen, als sie das Abschiedsessen für den Hausherrn und dessen Sohn auftrugen.

„Keine Bange!“, sagte Jakob Engelbrecht und drückte seine Gattin an sich. „Bis Weihnachten sind wir wieder daheim.“

An einem nebligen Novembermorgen legte die kleine Flotte ab. Gemächlich ging es durch den Breitling Richtung offene See, wo die Wismarer warteten und sich anschlossen. Der Westwind griff zügig in die viereckigen Rahsegel und trieb den Konvoi zunächst auf Ostkurs voran. Störtebekers „Seetiger“, die blaue Flagge mit der goldenen Raubkatze am Mast, segelte voraus. Die acht schweren Fredekoggen folgten in Kiellinie. Drei weitere Orlogschiffe sicherten den Geleitzug seitlich ab.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle. Der Wind blies zwar recht kalt, doch Hanning verbrachte die meiste Zeit auf dem Heckkastell und genoss den freien Blick übers Meer und auf zeitweise vorüberziehende Land- oder Inselstreifen.

Als man auf Nordkurs drehte, war es mit der gemütlichen Seefahrt vorbei. Im Gotlandtief wurde es sogar stürmisch. Die See schäumte auf, und die tief liegenden Koggen rumpelten und knarrten unter dem Anprall der Wellen. Regen peitschte über das Oberdeck, und Hanning zog es vor, sich in der Kajüte zu verkriechen, die der Schiffsführer seinem Kaufherrn und dessen Sohn diesmal abgetreten hatte.

Doch dieser Rückzug unter Deck war ein Fehler. Auch der Vater saß merkwürdig teilnahmslos auf dem eichenen Lehnstuhl und hielt sich am Tisch fest, obwohl beide Möbel am Boden verankert waren. Obwohl er seit Stunden alles Ess- oder Trinkbare von sich gewiesen hatte, kaute er ständig wie eine Kuh vor sich hin. Hanning lag auf der Schlafpritsche, hatte die Decke über den Kopf gezogen, zitterte vor Angst und Kälte, hielt die Augen geschlossen und durchlitt dennoch jedes Auf und Ab des Schiffshecks. Diese erste Seefahrt seines Lebens würde gleichzeitig seine letzte sein. Das schwor er sich.

Als die Flotte in den Schutz der schwedischen Ostküste eintauchte, beruhigte sich nicht nur die See. Auch Hanning kam wieder zu sich. Nach den Fastentagen verspürte er sogar so etwas wie Hunger. Er wischte sich die Spuren der Schinkenbrote von den Mundwinkeln, schlürfte genussvoll den heißen Tee und bezog seinen gewohnten Ausguck auf dem Heckkastell. Die Kauffahrschiffe hatten das Unwetter unbeschadet überstanden und zogen in braver Kiellinie ihre Bahn. Die Piraten allerdings waren ausgeschwärmt, doch von Dänen war weit und breit nichts auszumachen. Die Wolken zogen dahin, der Wind blähte die Segel, und die Welt war wieder in Ordnung.

Ungesehen und unbehindert segelten die hanseatischen Vitalienbringer in die Mälarbucht bis vor Staden, die dicht besiedelte Insel mit der Stadt Stockholm.



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