Strand, Korb, Mord - Theda und die diebische Elster - Stefanie Lahme - E-Book
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Strand, Korb, Mord - Theda und die diebische Elster E-Book

Stefanie Lahme

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Beschreibung

Urlaub bei ihrer Tante auf der schönen Nordsee-Insel Wangerooge - darauf freut sich Buchhändlerin Theda schon lange. Selbst dieser unfreundliche ältere Herr auf der Fähre kann ihr die gute Urlaubslaune nicht verderben. Doch dann muss Tante Clara plötzlich aufs Festland reisen und Theda deren Strandkorbvermietung übernehmen. Prompt liegt am ersten Morgen ein Toter in einem der Strandkörbe. Aber ist das nicht ...? Genau, der unfreundliche Mann von der Fährfahrt!

Als dann auch noch Tante Claras zahme Elster Elsa eine geheimnisvolle Brosche aus dem Sand buddelt, ist Theda endgültig klar: Hier stimmt was nicht! Zusammen mit dem Krimi-Autor Hinnerk macht sie sich zwischen Dünen und Leuchtturm auf die Suche nach dem Mörder - und kommt einem längst vergessenen Verbrechen auf die Spur.

Der erste Fall für Buchhändlerin Theda auf Wangerooge! Das perfekte Urlaubsbuch für alle Nordsee-Fans, die humorvolle Küsten-Krimis lieben.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Über die Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Urlaub bei ihrer Tante auf der schönen Nordsee-Insel Wangerooge – darauf freut sich Buchhändlerin Theda schon lange. Selbst dieser unfreundliche ältere Herr auf der Fähre kann ihr die gute Urlaubslaune nicht verderben. Doch dann muss Tante Clara plötzlich aufs Festland reisen und Theda deren Strandkorbvermietung übernehmen. Prompt liegt am ersten Morgen ein Toter in einem der Strandkörbe. Aber ist das nicht ...? Genau, der unfreundliche Mann von der Fährfahrt!

Als dann auch noch Tante Claras zahme Elster Elsa eine geheimnisvolle Brosche aus dem Sand buddelt, ist Theda endgültig klar: Hier stimmt was nicht! Zusammen mit dem Krimi-Autor Hinnerk macht sie sich zwischen Dünen und Leuchtturm auf die Suche nach dem Mörder – und kommt einem längst vergessenen Verbrechen auf die Spur.

Der erste Fall für Buchhändlerin Theda auf Wangerooge! Das perfekte Urlaubsbuch für alle Nordsee-Fans, die humorvolle Küsten-Krimis lieben.

Stefanie Lahme

Theda und die diebische Elster

Ein Wangerooge-Krimi

Kapitel 1

Die besten Urlaube beginnen auf einer Fähre.

An diese weise Erkenntnis aus ihrer Kindheit musste Theda denken, während sich die Wangerooge 1 gemächlich vom Anleger entfernte. Sie hatte einen der beliebten Plätze auf einer Bank oben an Deck ergattert und genoss die Brise, die einzelne Strähnen aus ihrem zu einem Knoten geschlungenen Haar zupfte. Über ihr kreisten Möwen, und um sie herum zeigten die strahlenden Gesichter ihrer Mitreisenden, dass sie sich mit ihrer Erkenntnis offenbar in guter Gesellschaft befand. Mit jedem Meter, den sich die Fähre vom Festland entfernte, fiel ein wenig mehr von dem Stress der letzten Tage von Theda ab. Ihre Sorgen wurden vom Wind fortgetragen wie der Seidenschal einer Frau, die auf der Bank gegenüber saß und einen überraschten Fluch ausstieß. Die Frau sprang auf und versuchte den Schal zu fangen, doch ohne Erfolg. Sie konnte dem davonwirbelnden Stoffstreifen nur noch nachsehen. Mit einem verlegenen Lächeln fing sie Thedas Blick auf. »Ach herrje. So ein Pech.«

»Das ist aber auch ärgerlich«, entgegnete Theda. »Der schöne Schal.«

Die Frau, die Theda auf um die dreißig schätzte, also gut zwanzig Jahre jünger als sie, hob lachend die Schultern. »Ich hätte es besser wissen müssen. Schließlich komme ich von der Insel. Mit dem Wind hier sollte ich mich wirklich auskennen, statt mich wie eine unerfahrene Touristin aufzuführen.« Röte schoss ihr in die ohnehin schon frisch getönten Wangen, und sie lachte erneut. »Oje. Heute ist wohl mein Tag der Fettnäpfchen. Sie habe ich nicht damit gemeint!«

Theda stimmte in ihr Lachen ein. Die Frau war ihr sofort sympathisch. »Kein Problem, ich habe mich nicht angesprochen gefühlt. Ich bin zwar Touristin, doch der Wind hier ist mir nicht fremd.« Sie klopfte auf den fest verknoteten Schal an ihrem Hals.

»Dann waren Sie schon öfter an der Nordsee?«

»Ja, ich besuche eine Tante von mir. Clara Sivers.«

»Ah, ja, Clara kenne ich.« Ein schelmisches Funkeln trat in die Augen der Frau. »Wäre anders wohl auch komisch, auf so einer kleinen Insel wie Wangerooge. Clara, Königin der Strandkörbe. Stimmt, sie hat von ihrer Nichte erzählt. Dann müssen Sie Theda sein.«

Theda hob überrascht die Brauen. Wollte sie wissen, was Clara über sie berichtet hatte? Doch sicher nur Gutes ...

Bevor sie fragen konnte, redete die Frau schon weiter. »Keine Sorge, nichts Schlimmes. Nur, dass Sie Buchhändlerin sind und ... ach. Ich meinte natürlich nicht, dass es etwas Schlimmes über Sie zu erzählen geben könnte.«

Nun prusteten sie beide gleichzeitig los. Die Frau streckte Theda die Hand hin. »Ich bin übrigens Anna Färber, die Königin der Fettnäpfchen und Lehrerin an der Inselgrundschule.«

Einen Kaffee später, den sie aus Pappbechern schlürften, war Theda bereits in ein angeregtes Gespräch mit Anna vertieft. Noch bevor die Insel in Sicht kam, wusste sie, dass Anna sich über das Wochenende für einen Kurztrip auf das Festland begeben hatte, um eine Freundin in Bremen zu besuchen. Im Gegenzug erzählte Theda, dass Clara die jüngste Schwester ihres leider bereits vor zehn Jahren verstorbenen Vaters war und der Besuch bei ihr längst überfällig. »Irgendwie kam immer etwas dazwischen. Mal ist die Vertretung für meinen Buchladen ausgefallen, dann ist meine Katze krank geworden und, zugegeben, lange Zeit hat es mich eher in den Süden gezogen.«

Wie sich herausstellte, war auch Anna ein großer Italien-Fan, allerdings reiste sie in den Sommerferien eher in die malerischen Städte, während Theda ihrem Fährenmotto treu blieb und am liebsten die Inseln besuchte.

Diesmal also Wangerooge statt Elba.

Wie eine Fata Morgana tauchte die flache Insel aus dem Nebel auf. Die markanten Türme, an die Theda sich von ihren vorigen Besuchen erinnerte, ragten aus dem Dunst: der schlanke rot-weiße Leuchtturm und das wuchtigere Gebäude der Jugendherberge.

»Seenebel. Dieses Wetterphänomen gibt es im Sommer ab und zu«, erklärte Anna mit einem bezeichnenden Blick auf die Nebelschwaden. »Hat etwas mit der Temperatur des Wassers und der Luft zu tun. Morgen ist der Spuk wahrscheinlich schon vorbei.«

»Auf Dauersonne habe ich mich sowieso nicht eingestellt.« Theda freute sich auf vier geruhsame Wochen mit viel Zeit zum Lesen, wozu sie trotz ihres Jobs erstaunlich selten die nötige Muße fand. Außerdem hatte sie wetterfeste Kleidung eingepackt, um auch bei Regen und Wind Spaziergänge unternehmen zu können. Es gab nichts Besseres, als sich an frischer Luft mal ordentlich den Kopf durchpusten zu lassen. Und danach gemütlich Tee und Kuchen in einem der netten Cafés oder im Garten ihrer Tante zu trinken. Ein paar sonnige Tage im Strandkorb wären allerdings auch nicht zu verachten ...

Herrlich, vier Wochen nur Zeit für sich zu haben. Dass ihre Freundin und Mitinhaberin des Buchladens sie so lange vertreten wollte, war wirklich ein Glücksfall. Theda atmete tief durch. Allmählich geriet sie in Urlaubsstimmung.

Im Gegensatz zu Anna, die beim Anblick der Insel die Stirn runzelte und die Lippen zusammenpresste. Sie griff nach der Tasche, die neben ihr auf der Bank stand, und kramte darin herum. Ein Taschenbuch rutschte heraus, dessen Cover eine Dame in wallendem Kleid mit offenherzigem Dekolleté zeigte, die sich an einen muskulösen Herrn mit verwegenem Blick schmiegte. Mit einem verlegenen Grinsen schob Anna das Buch zurück in die Tasche. »Das ist sicher nicht die Art Lektüre, die Sie Ihren Kundinnen empfehlen.«

Theda schmunzelte. »Warum nicht? Ist das ein Roman von Rose Heartfield? Die liebe ich.«

Anna sah sie ungläubig an. »Aber ... das ist doch Schund. Wie nennt man diese Romane? Nackenbeißer?«

»Meiner Meinung nach gibt es keinen Schund. Die Bücher machen viele Lesende glücklich oder helfen ihnen zumindest, ein paar Stunden den Alltag zu vergessen. Das ist es doch, was zählt.«

Nachdenklich betrachtete Anna das Cover. »Da haben Sie wohl recht.« Sie lachte. »Überzeugt. Von nun an werde ich diese Romane nicht mehr als Guilty Pleasure betrachten und verschämt verstecken.«

Mit verschwörerischer Miene beugte sich Theda vor. »Übrigens habe ich den neusten Roman von Rose Heartfield dabei und freue mich schon sehr darauf, in einem Strandkorb zu sitzen und zu lesen, wie die verwöhnte Gouverneurstochter von einem Piraten entführt wird und sich natürlich in ihn verliebt.“ Sie blickte nachdenklich zur Seite. „Ach nein, ich glaube, in dem neuen Roman geht es um Highlander, also wohl keine Piraten.«

»Natürlich.« Anna grinste, schaffte es endlich, das Buch zu verstauen, und zog stattdessen ihr Smartphone hervor. Während sie auf das Display schaute, verschwand das fröhliche Grinsen. Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Keine guten Nachrichten, wie es aussah. So neugierig Theda auch war, hielt sie sich zurück und ließ Anna schweigend auf das Meer starren. Schließlich kannte sie die Frau erst seit einer Stunde und bei Weitem nicht gut genug, um sie indiskret nach ihren Sorgen zu fragen.

Es dauerte nicht mehr lange, bis die Fähre anlegte und die Reisenden fröhlich plappernd an Land drängten. Direkt am Anleger wartete bereits der Zug mit altmodischen Waggons, die aussahen, als wären es noch die Originale aus den Siebzigern. Wie selbstverständlich setzten sich Theda und Anna auch hier auf gegenüberliegende Holzbänke.

»Sie kommen zu einer schönen Zeit her«, sagte Anna. »Die Wildgänse und Austernfischer ziehen ihre Küken groß. Mit etwas Glück können wir sie auf der Fahrt sehen.«

Der Zug tuckerte los, und tatsächlich lichtete sich der Nebel im Inland und zog in faserigen Schwaden über die Marschlandschaft. Theda entdeckte einige der Austernfischer mit ihren roten, spitzen Schnäbeln, konnte aber keine Küken erkennen. Ihr Fernglas befand sich leider im Koffer, den sie am Hafen in einem Container verstaut hatte. Bestimmt würde sie später während ihres Aufenthaltes noch die Gelegenheit zur ausgiebigen Vogelbeobachtung finden.

Die Weite der Landschaft und die frische Meeresluft ließen ihr Herz auch ohne die Küken schneller schlagen. Sie merkte erst jetzt, wie sehr sie die Nordsee vermisst hatte, und nahm sich vor, in Zukunft öfter herzukommen.

Tutend fuhr der Bummelzug in den Dorfbahnhof ein. Der sah aus wie aus einem Bilderbuch. Rasch zückte Theda ihr Smartphone und machte ein paar Fotos.

»Wissen Sie, wie das mit dem Gepäck läuft?«, erkundigte sich Anna.

»Ja, die Container stehen sicher schon auf dem Vorplatz.«

Wie alle Passagiere hatte Theda ihren Koffer in einen der am Hafen bereitstehenden Container geladen, bevor sie auf das Schiff gegangen war. Die Container wurden nach der Überfahrt zum Bahnhof transportiert, und dort konnten sich alle ihr Gepäck herausnehmen, wobei es sich als hilfreich erwies, sich die Nummer besagten Containers zu merken ...

Anna hob ihre Tasche. »Heute reise ich nur mit Handgepäck. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen. Bestimmt sehen wir uns noch. Auf Wiedersehen, ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub.«

„Danke schön! Mich hat es auch gefreut.“

Mit einem Mal schien Anna es eilig zu haben. Theda kämpfte den Anflug von Enttäuschung rasch nieder. Sie hatte gehofft, dass sie sich zu einem Tee oder Kaffee verabreden könnten, wollte aber nicht aufdringlich sein. Bestimmt hatte Anna viel zu tun und keine Lust, sich um eine ältere, allein reisende Touristin zu kümmern. Womöglich hatte sich Theda die stimmige Chemie zwischen ihnen nur eingebildet? Aber nein, auf ihre Menschenkenntnis konnte sie sich verlassen. Annas Hast musste andere Gründe haben, dafür sprach auch das ehrliche Lächeln, das sie Theda zum Abschied schenkte, bevor sie sich geschickt zwischen den Urlaubern hindurchschob und auf die Straße zueilte. Theda beobachtete, wie sie einen mürrisch dreinschauenden Mann mit blondem Haarschopf mit einem Wangenkuss begrüßte. Wenn das ihr Freund oder Ehemann war, sah der nicht sonderlich begeistert von ihrer Rückkehr aus.

Aber das ging Theda nichts an. Sie hielt auf dem Weg zu den Gepäckcontainern lieber Ausschau nach ihrer Tante. Clara entdeckte sie nicht, dafür bekam sie einen Aufruhr vor den Containern mit. Ein hagerer Herr um die siebzig, der mit Anzug und Krawatte zwischen den bunten Jacken fehl am Platz wirkte, verlangte herrisch, dass sein Koffer zuerst ausgeladen werden sollte. Offenbar war ihm entgangen, dass sich einfach jeder selbst sein Gepäck aus den Fächern nahm.

»In welchem Container steht denn Ihr Koffer?«, erkundigte sich ein Servicemitarbeiter freundlich.

»Woher soll ich denn das wissen?«, blaffte der Herr ihn an. »Ich mache doch hier nicht Ihren Job! Geben Sie mir jetzt sofort meinen Koffer oder ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie beschweren.«

Was für ein unangenehmer Typ! Theda ging rasch weiter zu Container 11 b, in dem sie ihren Trolley vor Betreten der Fähre verstaut hatte. Während der Querulant noch mit dem bedauernswerten Mitarbeiter diskutierte, fand sie ihren kleinen Rollenkoffer und wollte ihn aus dem oberen Fach ziehen. Ein junger Mann half ihr. Sie bedankte sich und erntete ein gut gelauntes »Da nich für!«.

Leider war nicht jeder in so guter Stimmung.

»Nun warte ich hier schon eine geschlagene halbe Stunde auf meinen Koffer. Das ist unerhört!«, hörte Theda die laute Stimme des unzufriedenen Herrn. Einige Touristen tauschten vielsagende Blicke, ein sportlich aussehender Mann tippte sich an die Stirn und grinste. Nun tat Theda der ältere Herr ein bisschen leid. Was war geschehen, das ihn derart verbittert hatte? Oder hatte er nur gerade jetzt schlechte Laune und war sonst ein netter Zeitgenosse?

Auf dem Weg zur Straße musste sie um ihn herumkurven, weil er breitbeinig und mit verschränkten Armen mitten zwischen den Containern stand. Sie sah die tiefen Furchen, die sich von seiner Nase zu seinen nach unten zeigenden Mundwinkeln zogen, die Querfalten über seiner Nasenwurzel, und nahm doch eher an, dass sein aktuelles Benehmen seinem üblichen Charakter entsprach. Sogleich ermahnte sie sich, vom Aussehen eines Menschen keine voreiligen Schlüsse auf seine Persönlichkeit zu ziehen. Jedenfalls hatte der grantige Herr ihr Interesse geweckt und beschäftigte sie noch, als sie Claras Häuschen erreicht hatte.

Merkwürdig, dass Clara sie nicht abgeholt hatte. Andererseits kannte Theda den Weg und brauchte keine Eskorte. Nur hatte Clara bei Thedas früheren Besuchen immer am Bahnhof gewartet und ihr gewunken, noch bevor sie aus dem Zug gestiegen war. Ein Anflug von Sorge ließ Thedas Magen grummeln. Sie betrachtete Claras Häuschen, das genauso aussah wie in ihrer Erinnerung: rot verklinkerte Wände, himmelblau gestrichene Fensterläden, und statt einer akkuraten Vorgartenbepflanzung erfreute eine Wildblumenwiese eine sonor brummelnde Insektenschar.

Ein wenig spät fiel Theda ein, dass Clara sich womöglich nicht zu Hause, sondern bei ihrer Strandkorbvermietung an der Promenade aufhielt. Am besten wäre es wohl, wenn sie Clara anrief. Gerade, als sie ihr Smartphone aus der Tasche zog, flog die Haustür auf und eine Frau in einem Blumenkleid und mit einem riesigen Strohhut auf dem Kopf warf bei ihrem Anblick die Hände in die Luft.

»Theda! Ach du liebe Güte! Ich dachte, du kommst erst morgen!«

Kapitel 2

»Hallo, Clara!«, rief Theda. Ihre Erleichterung machte rasch neuer Sorge Platz. Trotz ihrer üblichen Aufmachung sah Clara anders aus als sonst. In Thedas Erinnerung war ihr weißes Haar immer zu zwei akkuraten Zöpfen geflochten gewesen. Zöpfe trug Clara auch jetzt, doch einer hatte sich halb aufgelöst, und der andere klemmte zur Hälfte unter dem Strohhut, der windschief auf ihrem Kopf saß. Am Kragen des Kleides prangte ein bräunlicher Fleck, der nach Kaffee aussah. Zwischen den Riemchen von Claras Sandalen leuchteten ein blauer und ein grüner Socken. Und beim Blick in Claras wettergegerbtes rundes Gesicht fiel Theda das erste Mal auf, dass Clara eine alte Frau war.

Natürlich war sie das, mit siebzig Jahren. Nur hatte sonst ihre lebhafte Art dafür gesorgt, dass Theda sich nie Gedanken darüber gemacht hatte. An diesem Tag sah ihre Haut unter der Bräune aschgrau aus, und ihre Mundwinkel zitterten, ihre sonst so strahlenden hellblauen Augen wirkten glasig. Das Lächeln, zu dem sie ihr Gesicht verzog, machte auf Theda zwar einen ehrlichen, aber doch ein wenig gezwungenen Eindruck.

»Theda, meine Liebe! Willkommen, willkommen auf der Insel!« Mit ausgebreiteten Armen kam Clara den Plattenweg durch den Vorgarten auf Theda zu. »Es tut mir unendlich leid, dass ich dich nicht abgeholt habe. Ich dachte ...«

»Alles gut, liebe Tante.« Theda schloss Clara in die Arme. Sie fühlte sich unerwartet zerbrechlich an. »Ich kenne doch den Weg.«

Am liebsten hätte sie Clara gleich gefragt, was los war. Denn dass hier etwas nicht stimmte, war klar. Aber sie kannte Claras Geheimrezept in allen Lebenslagen und sagte daher: »Wie wäre es zur Begrüßung mit einem Tässchen Tee?«

Eigentlich wäre es Claras Part gewesen, Theda das zu fragen. Nur machte Clara den Eindruck, als wüsste sie nicht genau, was sie tun sollte. Ihr Blick huschte von Theda zur Straße und zurück, und sie rückte an ihrem Hut herum.

»Oder passt es dir gerade nicht?«, fragte Theda, nun noch beunruhigter. »Du warst ja eben auf dem Weg zu ...«

Ja, wohin eigentlich? Clara blinzelte, als könnte sie sich selbst nicht erinnern. Sie gab sich einen sichtlichen Ruck. »Tee! Natürlich. Eine hervorragende Idee. Hattest du eine gute Überfahrt?«

Theda folgte Clara ins Häuschen. Zu ihrer Erleichterung sah in der winzigen, ordentlich aufgeräumten Küche alles so aus wie früher. Auf dem Fensterbrett standen Töpfe mit Kräutern, und in einem offenen Regal die blau-weiß gemusterten Teetassen, von denen Clara sogleich zwei auf den Tisch stellte. »Setz dich doch, Theda. Ach je, was bin ich nur für eine schlechte Gastgeberin. Dich einfach am Bahnhof stehen zu lassen.« Geschäftig eilte sie in der Küche hin und her und füllte einen altmodischen Kessel mit Wasser.

Theda nahm auf einem der bunt bemalten hölzernen Stühle Platz. »Nun ist es aber gut«, sagte sie mit liebevoller Strenge. »Ich hoffe doch sehr, dass du mich nicht als Pensionsgast siehst, sondern als Familienmitglied.«

Clara fiel der Kessel aus der Hand und landete scheppernd auf dem Boden. Das konnte Theda nicht länger mit ansehen. Sie stand auf, nahm Clara sanft am Arm und dirigierte sie zu einem Stuhl. »Setz dich mal hin. Ich übernehme den Tee.«

Clara öffnete den Mund und runzelte die Stirn, als wollte sie protestieren, sank dann aber auf den Stuhl und schnaufte nur.

Während Theda den Tee zubereitete, erzählte sie von der Überfahrt, dem Seenebel und dass sie Anna kennengelernt hatte. Ihr fiel auf, dass sie ihre größer werdende Sorge wegplappern wollte. Mit ihren Gedanken war sie nicht bei der Fähre, sondern überlegte, was wohl mit Clara los sein konnte und warum ihre sonst so lebhafte Tante zusammengesunken am Küchentisch saß und ihr kaum zu folgen schien.

Schließlich standen eine Kanne Tee, die Becher, dazu Milch und Kluntjes auf dem Tisch, und Theda nahm gegenüber von Clara Platz.

Nach den ersten Schlucken Tee seufzte Clara. »Ah. Das tut gut.«

Theda entschied sich, geradeheraus zu fragen. »Clara, was ist denn los mit dir?«

»Mit mir?« Clara blinzelte und verzog das Gesicht.

»Ja, du bist so ... durcheinander. So kenne ich dich gar nicht.«

Zu Thedas Schreck füllten sich Claras Augen mit Tränen. »Oje, ich möchte dich doch gar nicht damit belasten. Du hast Urlaub.«

»Belaste mich!«, forderte Theda sie auf. »Nun hab ich ja sowieso gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Bist du etwa krank?«

Clara schüttelte den Kopf. »Mit mir ist alles in Ordnung. Nur ... ich habe heute Morgen erfahren, dass der Mann von Sybille einen Schlaganfall hatte.«

Sybille war die beste Freundin von Clara, und obwohl sie bereits vor zwanzig Jahren zu ihrem Mann aufs Festland gezogen war, besuchten sich die Frauen, so oft es ging. Clara tupfte sich mit einer Serviette unter den Augen herum. »Und jetzt mache ich mir große Sorgen um Bille. Sie war ganz außer sich, als sie mich angerufen hat. Ich weiß nicht, ob sie es schafft, alles allein zu regeln. Ja, ich weiß, sie ist eine erwachsene Frau, aber in letzter Zeit kam sie mir etwas verwirrt vor, und dass Egon nun so krank ist, hat ihr glaube ich den Rest gegeben.«

»O nein, das tut mir so leid.« Betroffen griff Theda nach Claras Hand. »Ich kann gut verstehen, dass du dir Sorgen machst.«

Kein Wunder, dass Clara ihre Ankunftsdaten durcheinandergebracht hatte. Sie hatte andere Dinge im Kopf und war mit ihren Gedanken sicher ständig bei Sybille.

»Willst du nicht zu Sybille fahren?«, fragte Theda. »Sie könnte deine Hilfe bestimmt brauchen.«

»Das geht doch nicht. Ich kann doch meinen Strandkorbverleih nicht allein lassen. Die Saison fängt gerade an und ...«

Clara erklärte weiter, warum sie unabkömmlich war, doch Theda hörte ihr nur noch mit halbem Ohr zu. Wie sie die Lage einschätzte, könnte Clara die Vermietung ohnehin nicht vernünftig weiterführen. Sie hatte es nicht mal geschafft, Tee zu kochen. Aber sie brachte es nicht übers Herz, ihrer Tante das zu sagen. Endlich machte Clara eine Pause zum Luftschnappen, und Theda sagte rasch: »Das kann ich doch übernehmen.«

Clara starrte sie an. »Was? Aber ... das geht doch nicht!«

So spontan Theda den Vorschlag gemacht hatte, umso besser gefiel er ihr nun. »Warum denn nicht? Traust du mir etwa nicht zu, Strandkörbe an Touristen zu vergeben?«

»Doch, natürlich. Das ist aber sicher nicht das, womit du deinen kostbaren Urlaub verbringen möchtest.«

»Meinen Urlaub möchte ich vor allem am Strand verbringen. Da wäre ich ja dann, also passt das. Mir würde das Spaß machen, und du kannst unbesorgt aufs Festland fahren und deiner Freundin beistehen.«

Bei dem Gesicht, das Clara zog, konnte von unbesorgt wohl keine Rede sein. »Ich weiß nicht ...«, murmelte sie zweifelnd.

»Ich aber«, erklärte Theda resolut. »Es ist ein Wink des Schicksals, dass ich ausgerechnet jetzt hier bin. Weißt du was? Du packst deine Sachen und nimmst die nächste Fähre, und ich kümmere mich um die Strandkörbe.« Die Idee gefiel ihr richtig gut. Sie sah sich schon mit Strohhut an der Promenade sitzen und mit netten Gästen plaudern. Außerdem konnte sie sich mit dem kleinen Gefallen endlich bei Clara revanchieren, die sie schon so oft mit offenen Armen in ihrem Heim willkommen geheißen hatte.

Ein zaghafter Hoffnungsfunke trat in Claras Augen. »Meinst du wirklich?«

»Ja, allerdings. Du hast doch jetzt sowieso keinen Kopf für etwas anderes als Sybille, oder? Dein Platz ist an ihrer Seite. Du könntest dir bestimmt nicht verzeihen, wenn du jetzt nicht zu ihr fahren würdest.«

»Das stimmt.« Clara setzte sich auf. »Die letzte Fähre geht in vier Stunden, die kann ich nehmen.« Sie zögerte und sah Theda forschend an. »Aber wirklich nur, wenn es dir auch ernst damit ist.«

»Wenn es mir nicht ernst wäre, hätte ich den Vorschlag gar nicht gemacht. So gut kennst du mich doch, oder?«

Endlich lächelte Clara wie früher, schelmisch und ehrlich. »Ja, ich kenne dich. Dir kann ich meine Strandkörbe und meine lieben Gäste guten Gewissens anvertrauen. Es gibt da nur noch ein paar Dinge, die ich dir erklären muss ...«

»Jetzt packst du erst mal. Ich helfe dir, du erklärst mir alles in Ruhe und wir trinken noch einen Tee. So wild wird es schon nicht sein. Schließlich habe ich dir ja auch schon ein paarmal assistiert.«

Theda hatte es immer genossen, mit Clara vor ihrer Holzbude zu sitzen, Tee aus der Thermoskanne zu schlürfen und sich Geschichten über die Gäste anzuhören. Nur nette und witzige Geschichten, denn so war Clara, sie sah das Positive in jedem Menschen. Flüchtig huschte das Bild des grantigen Kerls vom Bahnhof durch Thedas Gedanken. Bestimmt hätte Clara auch an ihm gute Seiten entdeckt.

Kapitel 3

Vier Stunden später schwirrte Theda der Kopf von all den Informationen, mit denen Clara sie überhäuft hatte. Zu allem Überfluss hatte Clara auch noch darauf bestanden, dass Theda sich Notizen machte. Eine gute Idee, wie Theda zugeben musste. Also war sie wie eine übereifrige Chefsekretärin aus einem Fünfzigerjahre-Film neben Clara hergetrabt und hatte in ihr eigentlich als Reisetagebuch vorgesehenes Heft gekritzelt. Wann sie die Strandkorbvermietung öffnen und schließen sollte, wo sie die Reservierungslisten fand und was es sonst noch Wichtiges zu beachten galt. Insgeheim hatte Theda eine ledergebundene Kladde mit handgeschriebenen Reservierungen erwartet, doch Clara war up to date. Die komplette Organisation der Vermietung lief über ein Buchungssystem auf ihrem Laptop, den sie Theda notgedrungen überlassen hatte.

»Pass bloß auf, dass da kein Sand reinkommt«, hatte sie Theda mehrmals eingeschärft und sich im gleichen Atemzug für ihre Hilfe bedankt.

Nun stand Theda ein wenig verloren am Bahnhof und schaute dem abfahrenden Zug nach, der Clara zum Anleger brachte. Zu Thedas grenzenloser Erleichterung hatte Clara zu ihrem alten fokussierten Selbst zurückgefunden, sobald ihr klar geworden war, dass sie Sybille bald höchstpersönlich zur Seite stehen konnte. Glücklich darüber, machte sie sich auf den Weg zum Strand. Zu ihrem neuen Job. Jetzt, am frühen Abend, lohnte es sich nicht mehr, Claras Strandbude aufzuschließen, doch Theda wollte sich zumindest einen kurzen Überblick verschaffen.

Sie zweifelte nicht daran, die Aufgabe bewältigen zu können. Trotzdem klopfte ihr Herz, als sie die Promenade erreichte. Die weißen Strandkörbe lagen in den letzten faserigen Resten des Nebels verborgen. Das mäßige Wetter hinderte die Inselgäste jedoch nicht daran, den Strand zu besuchen. Sie stapften tapfer durch den Sand, flanierten mit Eishörnchen auf der diesigen Promenade, und tatsächlich standen noch ein paar Leute vor Claras Strandbude und studierten das handgeschriebene Schild an der Tür: Komme gleich wieder!

Flüchtig fragte sich Theda, ob sie sich mit einem Strohhut hätte ausstaffieren sollen. Das wäre für den Anfang ein wenig zu viel des Guten gewesen, oder? So begrüßte sie die Gäste herzlich ohne Hut und stellte sich als Claras Vertreterin vor. Die Wartenden, offenbar Stammgäste, brachen in enttäuschtes Ohh und Ahh aus und baten Theda, Clara liebe Grüße auszurichten.

Theda schloss die Strandbude auf. Es gelang ihr, den Laptop hochzufahren und die passenden Ordner für die Reservierungen zu finden. Es gab Kunden, die immer denselben Korb mieteten, der dann auch am selben Platz am Strand zu stehen hatte. Nun ja, darüber erlaubte sich Theda kein Urteil. Sollte jeder urlauben, wie er wollte.

Allzu viel blieb von ihrem ersten Arbeitstag nicht mehr übrig. In einer Stunde, um achtzehn Uhr, würde Theda die Bude schließen. Danach wollte sie sich auch einen schönen Korb aussuchen und bis zum Sonnenuntergang ein wenig lesen oder die Leute beobachten.

»Wie teuer ist denn so ein Ding?«, schnarrte eine ihr bekannt vorkommende Stimme. Der grantelnde Herr vom Bahnhof stand vor der Bude, die Miene genauso grimmig wie bei seiner Ankunft auf der Insel. Auch den Anzug trug er noch und wirkte hier an der Strandpromenade deplatzierter als zuvor.

Freundlich nannte Theda ihm den Preis für eine Woche.

»So lange werde ich hier wohl kaum bleiben«, brummelte der Herr. »Das sind Wucherpreise. Diese albernen Körbe sind sicher nicht mal bequem.«

»Wenn Sie möchten, können Sie gerne probesitzen«, schlug Theda vor. »Natürlich können Sie sich auch so am Strand aufhalten ...«

»Das wäre ja wohl noch schöner!«

»... so ein Strandkorb bietet allerdings einen guten Wind- und Sonnenschutz.«

»Und vor diesem verdammten Nebel schützt der wohl auch, was? Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen.«

Bei dieser altmodischen Redewendung konnte Theda ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

»Machen Sie sich etwa lustig über mich, Fräulein?«, fuhr der Herr sie an.

Theda hatte lange genug in Buchläden gearbeitet, um sich von Kunden wie ihm nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Im Gegenteil schlug sie ihm erneut mit ausgesuchter Höflichkeit vor, sich gerne mal ein paar Strandkörbe aus der Nähe anzusehen.

Mit mürrisch verzogenem Mund musterte der Mann seine blank gewienerten Schuhe. »Da werden ja meine Schuhe dreckig.«

Nun ja, ein Sandstrand brachte es mit sich, sandig zu sein. Theda verzichtete darauf, den Herrn auf diese offensichtliche Tatsache hinzuweisen. »Sie können die Schuhe ausziehen«, schlug sie stattdessen vor.

Der Herr starrte sie an, als hätte sie ihm ein unsittliches Angebot gemacht. »Es kann doch wohl niemand von mir verlangen, hier barfuß herumzulaufen.«

»Wie Sie wollen.«

Allmählich begann Theda, an einen Scherz zu glauben. War dieser Herr womöglich ein Comedian und agierte mit versteckter Kamera?

»Na schön, ich überlege es mir«, sagte er mürrisch, wandte sich ab und marschierte im Stechschritt davon. Sprachlos sah Theda ihm nach. Wieso er wohl ausgerechnet hier Urlaub machte? Oder war es gar kein Freizeitvergnügen, das ihn auf die Insel verschlagen hatte? Doch was konnte er sonst hier wollen?

Viel Zeit zum Ersinnen weiterer Szenarien blieb Theda nicht. In der letzten halben Stunde kamen noch einige Inselgäste an Claras Bude, um sich schnell vor dem Abendessen einen Strandkorb für den Sonnenuntergang zu sichern. Theda stellte Quittungen aus, öffnete Strandkörbe und trug alles akribisch in Claras Tabellen ein. Ein paar Strandbesucher erkundigten sich besorgt nach Clara. Theda konnte sie beruhigen und versicherte ihnen, alles zu tun, um Clara würdig zu vertreten.

Kurz nach achtzehn Uhr schloss Theda die Holzbude ab. Da es kühl geworden war und sie keine Jacke dabei hatte, verzichtete sie auf die Strandkorbpause und machte sich gleich auf den Weg zu Claras Häuschen. Dort angekommen wirkten die gemütlich eingerichteten Zimmer leer und leblos. Clara fehlte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine Zeit gehabt, um sich über etwas anderes Gedanken zu machen als ihre neue Aufgabe. Doch nun stieg Enttäuschung in ihr auf. Sie hatte sich auf die Tage mit Clara gefreut, auf gemeinsames Kochen, Teestunden im Garten, gute Gespräche. Stattdessen saß sie nun alleine da.

Eine WhatsApp von Clara ließ ihr Smartphone bimmeln:

Liebe Theda, ich bin gut angekommen und sehr froh, dass du dich um meine Gäste kümmerst. Bin jetzt im Krankenhaus bei Bille und rufe dich morgen an. Ganz liebe Grüße, Clara.

Sofort fühlte sich Theda besser. Sie hatte das Richtige getan und würde nun das Beste aus der Situation machen. Der Verweis auf das Schicksal, den sie verwendet hatte, um Clara zu überreden, war für sie mehr als eine Floskel. Sie glaubte daran, dass alles im Leben einen Grund hatte, auch, wenn man ihn nicht gleich erkannte.

Und so verwarf sie die Überlegung, sich in ein überfülltes Restaurant zu begeben, und genoss eine Tasse Ostfriesentee im Garten. Sie ließ den erlebnisreichen Tag Revue passieren, dachte an Anna und den grantigen Herrn, freute sich auf den kommenden Tag am Meer und kam allmählich zur Ruhe. Nach einem leichten Abendessen, für das sie sich an Claras Kühlschrank bediente, trug sie ihren Koffer hoch ins Gästezimmer im ersten Stock.

Auch wenn Clara erst am nächsten Tag mit ihrer Ankunft gerechnet hatte, war das Zimmer bereits liebevoll hergerichtet. Auf der Kommode stand eine kleine Vase mit einem Dünenröschen. Der Duft erinnerte Theda an ihre Kindheit. Für sie war es immer etwas Besonderes gewesen, im Urlaub Zeit mit ihrer Tante Clara verbringen zu dürfen. Trotz der zwanzig Jahre Altersunterschied hatte Theda sie damals eher als die Freundin gesehen, die sie sich immer gewünscht hatte. Und Clara war nie genervt von der anhänglichen Kleinen gewesen oder hatte es zumindest nie gezeigt.

Theda öffnete das Fenster mit Blick über die Dünen weit und sog die frische, vom Nebel feuchte Meeresbrise in die Nase. Herrlich! Hier brauchte sie sich wegen ihres Heuschnupfens keine Sorgen zu machen. Sie konnte schon viel freier durchatmen.

Mit der Gewissheit, gut schlafen zu können, legte sie sich in das bequeme Gästebett.

Es gab für Theda kaum etwas Schöneres als einen Morgenspaziergang am Strand. Die ersten Sonnenstrahlen hatten sie aus dem Bett gelockt, und ein Blick aus dem Fenster bestätigte, dass sich der Nebel verzogen hatte. So ging sie noch vor dem Frühstück zum Strand und genoss den Luxus, ihn für sich zu haben. Nun ja, bis auf ein paar Hundebesitzer, die ihre Lieblinge auf der ersten Gassirunde des Tages begleiteten, und einen Jogger, der an der Wasserkante entlangtrabte.

Barfuß schlenderte Theda am Wasser entlang, die Schuhe trug sie an den zusammengeknoteten Schnürsenkeln in der Hand. Zum Glück hatte sie an ihre Sonnenbrille gedacht, denn die Kombination heller Sand und Morgensonne hätte ohne ganz schön geblendet. Trotz Brille musste sie auf dem Weg zurück zur Promenade blinzeln, so stark reflektierte das Licht auf den weißen Strandkörben. Eine Elster hüpfte zwischen ihnen umher, floh flatternd vor einer Dohle, die ihr Revier verteidigte. Neugierig darauf, wie dieser Kampf ausgehen mochte, blieb Theda stehen. Doch Dohle und Elster kamen zu einer friedlichen Einigung und zogen jede ihrer Wege, die Dohle Richtung Strand und die Elster trippelte auf Theda zu. Mit schräg gelegtem Kopf musterte sie Thedas bloße Füße. Ob ihr der türkisfarbene Nagellack gefiel?

Theda bewunderte ihrerseits das glänzende schwarz-weiße Gefieder. Dabei fiel ihr auf, dass der Vogel etwas im Schnabel trug, einen silbernen, in der Sonne aufblitzenden kleinen Gegenstand. Doch bevor sie erkennen konnte, worum es sich dabei handelte, hopste die Elster ein paar Schritte weiter und breitete die Flügel aus. Theda sah ihr nach, wie sie über die Strandkörbe davonsegelte. Wie nett wäre es, sich für eine Weile in einen der Körbe zu setzen und nichts weiter zu tun, als auf das Meer zu schauen.

Warum eigentlich nicht? Bis zur Öffnung der Vermietung hatte Theda noch zwei Stunden Zeit. Genug für eine Pause und sogar noch ein ausgiebiges anschließendes Frühstück in Claras Garten. Sie hielt Ausschau nach einem passenden leeren Strandkorb. Die meisten Gäste verzichteten darauf, die Holzgitter abends einzusetzen, daher gab es genug Auswahl und ...

Theda stutzte.

In einem der Körbe saß tatsächlich schon jemand. Wohl auch ein Frühaufsteher, der die ruhige Zeit am Morgen genießen wollte?

Zwar hatte Theda nicht vor, die Person zu stören, aber einen kleinen Blick wollte sie doch auf sie werfen. Schließlich besetzte sie einen von Claras Strandkörben. Nicht, dass Theda vorhatte, jemanden zu vertreiben oder auf sofortiger Zahlung zu bestehen. Das hätte absolut nicht Claras Geschäftsethos entsprochen. Sie hatte nichts dagegen, wenn sich ab und zu jemand für ein paar Minuten in einem der Strandkörbe niederließ, ohne ihn gleich zu mieten, und Theda würde es ebenso halten.

Müßig schlenderte sie durch den Sand und schielte unauffällig zu dem besetzten Strandkorb. Nanu! Den Herrn, der darin saß, kannte sie doch. Der Anzug war auffällig genug. Es war der Querulant. Offenbar hatte er sich dazu durchgerungen, am allzu sandigen Strand seine Schuhe dreckig zu machen.

»Guten Morgen«, rief Theda. Das konnte sie sich nicht verkneifen.

Keine Antwort.

Eine höfliche Replik hatte Theda ohnehin nicht erwartet, doch dass der Herr sich so gar nicht regte, war merkwürdig. Thedas Nackenhaar stellten sich kribbelnd auf. Da stimmte etwas nicht!

Sie beschleunigte ihre Schritte, kämpfte sich durch den weichen, tiefen Sand. Je näher sie dem Korb kam, desto mulmiger war ihr zumute. Und dann sah sie das verzerrte Gesicht des Mannes, die verkrampfte Haltung. Sie rannte. Doch am Strandkorb angekommen war ihr sofort klar, dass sie nichts mehr tun konnte. Die weit offenen Augen starrten ins Leere, das Kinn war dem Mann auf die Brust gesunken.

Der Querulant war eindeutig tot.

Kapitel 4

Ein paar keuchende Atemzüge lang schaute Theda den Toten einfach nur an, unfähig, etwas anderes zu tun, als sich die Handflächen auf die Brust zu pressen. Das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen. Sie musste etwas tun, doch was? In ihrem Kopf herrschte gähnende Leere. Schließlich zupfte doch eine Idee an ihrem schreckgelähmten Hirn: Ruf die Polizei!

Natürlich. Theda schob die Hand in die Hosentasche, nur um zu merken, dass sie ihr Smartphone nicht dabei hatte. Das lag vermutlich auf dem Küchentisch in Claras Haus, genau dort, wo sie es am Vorabend nach Claras WhatsApp-Nachricht hingelegt hatte, und sehr wahrscheinlich war der Akku mittlerweile leer.

Was nun? Hilflos schaute sich Theda um. Dummerweise war ausgerechnet jetzt niemand in der Nähe. Einer der Hundeausführer bewegte sich außerhalb von Thedas Rufweite am Strand entlang von ihr weg, und sonst sah sie niemanden. Eben noch hatte sie sich über die einsame Morgenstunde gefreut, nun wünschte sie sich weitere Frühaufsteher herbei.

Doch halt! Was war mit dem Jogger, den sie vorhin gesehen hatte? Sie trat ein paar Schritte zurück und spähte um die Strandkörbe herum. Tatsächlich, er trabte locker Richtung Promenade.

»Hallo!«, rief Theda so laut sie konnte. Zuerst reagierte der Jogger nicht, doch als sie erneut rief und den erhobenen Arm schwenkte, verlangsamte er sein Tempo, blieb schließlich stehen und legte sich eine Hand über die Augen, um zu ihr herüberzuschauen. Theda winkte heftiger und machte ihm Zeichen, zu ihr zu kommen. Bestimmt dachte er, sie wolle mit ihm flirten, doch das war ihr egal. Hauptsache, er hatte ein Handy dabei, aber nahmen nicht alle Jogger eins mit, um ihre Aktivitäten mit einer App zu tracken? Oder verwendeten die alle diese Smartwatches?

Der Mann stapfte durch den Sand auf sie zu, die Brauen zusammengezogen. Auf seinem grauen T-Shirt zeichneten sich Schweißflecken ab, und seine Shorts erlaubten Theda einen Blick auf beneidenswert durchtrainierte Waden.

Etwa zwei Meter von Theda entfernt blieb er stehen und strich sich eine feuchte Strähne seines dunklen Haars aus der Stirn. »Ja?«, fragte er höflich.

Aus der Nähe sah er älter aus, als Theda zunächst geschätzt hatte, mindestens Anfang sechzig. Seine fülligen dunklen Locken wurden an den Schläfen weiß, und um seine Augen zeichneten sich Lachfältchen ab.

»Dürfte ich bitte mal Ihr Handy leihen?«, fragte Theda bemüht ruhig.

»Klar.« Der Mann griff sofort in die Seitentasche seiner Shorts. Mitten in der Bewegung verharrte er und starrte an Theda vorbei. Statt ihr das Handy zu geben, war er mit wenigen großen Schritten am Strandkorb und drückte die Finger an den Hals des Toten. Er drehte sich zu Theda um. »Tut mir leid, aber Ihr ... äh ... ist das Ihr ...«

Ungeduldig streckte Theda die Hand aus. »Ich weiß selbst, dass der Herr tot ist, darum will ich ja die Polizei rufen. Wenn Sie mir nun bitte Ihr Handy geben könnten?«

Ein Ausdruck von Erleichterung huschte über das zugegeben attraktive Gesicht des Fremden. »Ach so, Sie kennen diesen Herrn gar nicht? Ich dachte ... egal. Bitte sehr, aber wenn Sie möchten, kann ich direkt die Hauptkommissarin von Wangerooge anrufen. Dann müssen Sie sich nicht über die Leitstelle verbinden lassen.«